Sag nur einmal: Ich liebe dich - Clare Connelly - E-Book

Sag nur einmal: Ich liebe dich E-Book

Clare Connelly

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Beschreibung

Als Nanny schenkt die hübsche Paige ihren jungen Schützlingen liebevoll die Zuwendung, die sie selbst als Kind nie bekommen hat. Doch ihr neuer Job in Australien wird zu einer echten Herausforderung. Die elfjährige Amanda ist verschlossen – und deren Dad, der Perlen-Tycoon Max Stone, für Paige eine nie gekannte Versuchung! Als Max sie endlich an sich zieht und heiß küsst, kapituliert sie vor ihren stürmischen Gefühlen. Dabei steht in ihrem Vertrag schwarz auf weiß, dass Liebe streng verboten ist und ihr Job nach drei Monaten endet …

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Seitenzahl: 194

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2024 by Clare Connelly Originaltitel: „Contracted and Claimed by the Boss“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA, Band 2658 Übersetzung: Nicole Lacher

Abbildungen: Harlequin Books S.A., Dean Drobot / Shutterstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751524865

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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PROLOG

Jeden Abend, kurz vorm Schlafengehen, sah Max nach seiner Tochter. Er verweilte einen Moment an ihrem Bett und betrachtete Amandas entspannte Gesichtszüge. Dann knipste er die neonpink- und lilafarbene Lavalampe auf ihrem Nachttisch aus. In letzter Zeit versetzte ihm ihr Anblick einen merkwürdigen Stich. Denn im Schlaf sah das kleine Mädchen so liebenswert und lebenslustig aus wie immer. Doch seit ein paar Monaten brauste Amanda schnell auf und ihre Stimmung war unberechenbar, sodass er seine Tochter kaum wiedererkannte.

Abends aber stand er neben ihrem Bett und wünschte mit jeder Faser seines Herzens, sie möge wieder glücklich, ausgeglichen und zufrieden sein. Am allermeisten hoffte Max, sie möge begreifen, wie sehr er sie liebte.

Seine eigene Kindheit machte es ihm schwer, diese Liebe auszudrücken, aber er versuchte es, weiß Gott. Als Milliardär lebte er sehr zurückgezogen und es fiel ihm nicht leicht, Zuneigung zu zeigen. Das bedeutete allerdings nicht, dass er keine Zuneigung empfand.

Er wollte es unbedingt besser machen. Er wollte anders sein, aktiver und engagierter als sein eigener Vater und seine Mutter früher. Bei Erziehungsfragen waren ihm seine Eltern ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Und bis vor Kurzem hatte ihm diese Einstellung gute Dienste geleistet.

Doch fast unmerklich hatte sich Amanda verändert. Ihre ersten kleinen Ausraster hatte er zunächst übergangen, anfangs fand er sie sogar amüsant. Dann wurde der Sturm immer stärker. Max konnte sich kaum mehr an eine Unterhaltung erinnern, die nicht in Streit endete. Meistens wurde Amanda laut, manchmal zu seiner Schande aber auch er.

Max war Erfolg gewöhnt.

Bereits als kleiner Junge war er der schnellste und gescheiteste Schüler in seiner Klasse gewesen. Seine Eltern hatten seinen Wettbewerbsgeist geschürt, Max aber nie gelobt, obwohl er sich danach am meisten gesehnt hatte. Heute lag ihm nichts mehr an der Anerkennung anderer. Trotzdem wollte er nach wie vor in sämtlichen Bereichen seines Lebens erfolgreich sein.

Max leitete das Familienunternehmen, das Luxusgüter wie Schmuck, Handtaschen und Kleidung vertrieb. Sein Herzensprojekt war die Perlenfarm hier in Australien. Mit ihm an der Spitze hatte sich die Firma zu einem weltweit führenden Konzern entwickelt. Der Erfolg war erfreulich, doch am wichtigsten war ihm Amanda. In erster Linie wollte Max ein guter Vater sein.

Zurzeit scheiterte er dabei allerdings jämmerlich. Dieses Eingeständnis widerstrebte ihm zutiefst. Vor allem weil er sich nun genötigt sah, Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Leider blieb ihm nichts anderes übrig. Zum ersten Mal in seinem Leben wusste er nicht weiter. Ja, verdammt, um Amandas willen musste er sich Hilfe holen.

1. KAPITEL

So etwas hatte sie noch nie gesehen. Sie war steif von der langen Reise um die halbe Welt bis zur Nordspitze Australiens. Rötlicher Staub wehte Paige Cooper in die Augen. Doch selbst durch diesen Schleier war die Aussicht faszinierend. Die Straße führte mitten durch die Wüste. In den wenigen Bäumen hockten unzählige Kakadus majestätisch im Licht der Nachmittagssonne. Je länger Paige in dem eleganten schwarzen Geländewagen über Schlaglöcher und Steine fuhr, desto dichter wuchsen die Bäume und desto grüner war das Laub, bis die Kronen schließlich ein glänzendes Blätterdach bildeten. Ein süßlicher tropischer Duft nach Mangos und etwas Unbekanntem stieg ihr in die Nase.

Die bisher schnurgerade Straße begann sich zu schlängen. Hinter der Kurve lag dichter Wald, durch den hier und da blauer Himmel lugte. Schließlich bog der Fahrer um eine Kurve, und schlagartig blickte sie auf Wattle Bay. Das Meer glitzerte wie türkisfarbene Diamanten, schöner als auf jeder Postkarte. Paige dachte an Los Angeles und das Leben, das sie dort vor Jahren hinter sich gelassen hatte. Der Strand, der für alles stand, was sie vergessen wollte, ihre Eltern, die sie schlecht behandelt hatten. Dieser Strand aber wirkte anders. Urwüchsiger. Hier gab es keine Hochhäuser, keine Andenkenläden. Nur weißen Sand, kristallklares Wasser und so viele Bäume, dass Paige der Atem stockte.

Das Haus sah anders aus, als sie erwartet hatte. Die Stones gehörten immerhin zu den wohlhabendsten Familien der Welt. Paige hatte sogar selber einmal eine Diamantkette von Stone getragen. Obwohl sie erst zwölf gewesen war, hatte ihre Mutter ihr ein tief ausgeschnittenes Kleid und Schuhe mit schwindelerregend hohen Absätzen angezogen und ihr dazu den kostbaren Schmuck angelegt. Paige dachte mit gemischten Gefühlen und einem mulmigen Gefühl an die glamouröse Abendveranstaltung zurück. Genau wie an all die anderen unangenehmen Situationen, in die ihre Eltern sie manövriert hatten.

Das Stone-Imperium beruhte auf der Perlenzucht. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts züchtete die Familie Südseeperlen. Dieses Grundstück in Nordaustralien war ihr größtes Zuchtgebiet. Deshalb hatte Paige ein modernes und pompöses Gebäude erwartet, wie es die Reichen und Schönen in Los Angeles bewohnten. Stattdessen sah sie das Gegenteil vor sich. Mit ihren grünen Augen, deren Farbton dem der Tropenbäume glich, musterte sie das Haus. Freude keimte in ihr auf – eine Freude, mit der sie in dieser Wildnis nicht gerechnet hatte.

Oder war es Erleichterung? Seit einem Monat verließ sie sich auf ihren Instinkt. Ihre Eltern hatten vor einem Monat ein Enthüllungsbuch angekündigt und Paige war der kalte Schweiß ausgebrochen. Wurde sie die beiden denn niemals los? Obwohl sie sich noch als Teenager juristisch von ihren Eltern getrennt hatte, verfolgte deren manipulatives Verhalten sie noch immer. Interviewanfragen waren bei ihr eingetrudelt, und Presseleute hatten einem ihrer Schützlinge vor der Schule aufgelauert. Ihre Tarnung war also aufgeflogen. Paige hatte ihr Heil in der Flucht zu einem neuen Arbeitseinsatz gesucht, möglichst weit weg von der Zivilisation.

Als sie jetzt das Haus betrachtete, erlaubte sie ihrem Herzen keine Regung, obwohl sie sich dem Charme des Anwesens schwer entziehen konnte. Sie nahm nur befristete Engagements an. Ihre Arbeit bestand darin, Unterstützung zu leisten, ohne sich emotional an Menschen oder Orte zu binden.

Der gepflegte Rasen zeigte, dass sich hier jemand gegen den Wald behauptete, aber das Haus schien sich ganz der Natur zu ergeben. Es war aus Holz gebaut und hatte viele Fenster. Wie ein Baumhaus für Erwachsene. Trotz seiner drei Stockwerke wirkte es gemütlich. Die Fassade war cremefarben gestrichen. Ein breiter Balkon, auf dem eine Couch und ein Tisch standen, zog sich um das Haus. Paige stellte sich vor, wie nett es wäre, dort zu sitzen und mit einem Glas Eistee in der Hand die Aussicht zu genießen. Allerdings war sie nicht zum Entspannen hier, sondern zum Arbeiten – und wahrscheinlich würde sie alle Hände voll zu tun haben.

Laut der Agentur, für die sie tätig war, lag das Haus abgeschieden. Deshalb hatte Paige mit Stille gerechnet, die ihre Seele nach dem Getöse in ihrem Privatleben während der letzten vier Wochen dringend brauchte. Aber hier war es kein bisschen still! Die Vögel zwitscherten erstaunlich laut, ein wahres Orchester der Natur. Paige blieb stehen und lauschte.

In diesem Moment erblickte er sie zum ersten Mal: Paige Cooper. Ihre helle Haut, die ihn an Perlen erinnerte, leuchtete in der Nachmittagssonne. Mit großen Augen schaute sie in die Ferne, die roten Lippen leicht geöffnet. Ihr halblanges kastanienbraunes Haar hatte sie im Nacken zusammengebunden in der Hoffnung, trotz der erdrückenden Luftfeuchtigkeit eine Meeresbrise an ihren Schultern zu spüren. Sie war schlank, zierlich. Unbeobachtet und ohne ihre übliche Wachsamkeit strahlte sie eine Andeutung jener Verletzlichkeit aus, die sie seit Jahren unterdrückte.

Max Stone blieb abrupt stehen. Er warf einen Blick auf die Frau und unterdrückte ein Stöhnen. Obwohl er wusste, dass er Hilfe brauchte, hatte er nur widerwillig die Agentur angerufen, um eine Nanny für seine Tochter zu engagieren.

Ihm war die Vorstellung, dass eine Fremde unter seinem Dach lebte und sich um Amanda kümmerte, zuwider. Wie ein Versager kam er sich vor. Schlimmer noch, er handelte wie sein eigener Vater, der so weit wie möglich andere mit der Erziehung seines Sohnes beauftragt hatte. Für Max hatte sich Carrick Stone nur interessiert, wenn sein Sohn Anzeichen von Geschäftssinn zeigte.

Über die Nanny selbst hatte Max sich keine Gedanken gemacht. Doch als er die schlanke Frau auf dem Rasen stehen sah, entbrannte sein Körper und er hielt augenblicklich inne. Regungslos stand er da und starrte sie verärgert an, denn sie war schön und anziehend. Und eine Nanny, die er begehrte – darauf konnte er wahrlich verzichten.

Am besten schickte er sie auf der Stelle fort und bat um eine andere Nanny.

Allerdings brauchte er dringend Unterstützung, und Paige Cooper war angeblich die Beste. Außerdem hatte er die Betreuung auf drei Monate begrenzt. Max war schon lange nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen, und er hatte nicht die Absicht, jetzt der Versuchung nachzugeben. Er ballte die rechte Hand zur Faust und konzentrierte sich auf das Wesentliche.

„Miss Cooper?“ Er klang so barsch, dass sich ihre Augen weiteten. Prompt wurde das seltsame Gefühl in seiner Magengegend stärker. Er biss die Zähne zusammen und straffte die Schultern. Mit langen Schritten ging er entschlossen auf die zerbrechlich wirkende Amerikanerin zu.

Das Haus sah faszinierend aus, aber noch faszinierender war der Mann, der mit grüblerischer Miene aus dem Schatten auf Paige zukam. Sie war ausgebildete Schauspielerin. Schon als Kleinkind war sie in Werbefilmen aufgetreten, später hatte sie Hauptrollen in Filmen gespielt. Obwohl sie sich mit Körpersprache und Mimik auskannte, konnte sie diesen Mann schwer einschätzen. Offenbar war er verärgert, aber weshalb? Sie kam nicht zu spät und hatte noch keinen Ton gesagt.

Neben seinem Unmut spürte Paige noch etwas anderes. Bedrückt wirkte er, gestresst, müde, erschöpft. Das stand im Widerspruch zur Stärke, die er ausstrahlte, und zu seinem Gang – wie der eines wilden Tieres in Menschengestalt. Jeder Schritt war wie ein Blitz, der in den Boden einschlug. Paige kam es vor, als würde ein Funke über den Rasen in ihre eigenen Füße springen.

„Miss Cooper?“

Seine Stimme mit dem australischen Akzent war tief und entspannt – und anziehender, als ihr lieb war. „Paige.“ Sie nickte, räusperte sich und zwang sich zu einem Lächeln. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. Sie hatte die letzten Jahren in Dubai verbracht und ihre Wasserflasche eigentlich nicht im Flugzeug lassen sollen. Seit fast zwei Stunden hatte sie nichts getrunken – bei dieser Hitze.

„Ich bin Max Stone.“

Das wusste sie bereits. Zum einen war er bekannt, er war einer der beiden milliardenschweren Brüder, die das Stone-Imperium geerbt hatten. Zum anderen steckte ein Foto von ihm in den Unterlagen der Agentur.

„Danke, dass Sie hergekommen sind.“ Robust klang seine Stimme, erdig, wie der rote Staub auf der Straße zu diesem tropischen Paradies. Und alles andere als dankbar.

Max Stone hatte ein markantes Kinn, wie Granit, das zu seiner Stimme passte. In der Mitte befand sich ein Grübchen. Groß wie eine Fingerkuppe, kam es Paige wenig hilfreich in den Sinn. Sein Haar war rabenschwarz, vereinzelte silbrige Strähnen zierten seine Schläfen. Seine Augen waren von einem durchdringenden, geradezu hypnotischen Blau. Kontaktlinsen, hätte Paige in Los Angeles vermutet, aber sie wusste intuitiv, dass dieser Mann über solchen Eitelkeiten stand. Er war rau wie die Naturgewalten dieser Gegend.

Jetzt blickte er sie an, als würde er darauf warten, dass sie das Wort ergriff. Doch was konnte sie noch sagen? Freut mich? Das stimmte nicht wirklich. Sie hatte einen Auftrag an einem möglichst entlegenen Ort gewollt. Weit weg vom Rest der Welt, vor allem von dem Medienrummel, der sich wie ein Orkan über ihrem alten Leben zusammenbraute.

„Danke, dass ich kommen durfte“, sagte sie schließlich. Gleich darauf verfluchte sie sich wegen des Geständnisses. Ihr neuer Arbeitgeber sollte nicht wissen, dass sie auf der Flucht war. Eine Empfehlung klang definitiv anders.

„Amanda kommt in …“, er blickte auf seine Armbanduhr, eine altmodische Rolex, „… knapp einer Stunde heim. Kommen Sie rein, ich zeige Ihnen das Haus.“

Aus den Augenwinkeln registrierte Paige eine Bewegung hinter ihrem Rücken. Reg, der der Fahrer, trug ihren Koffer über den Rasen zu den breiten Stufen der Veranda. An den Stufen standen Terrakottatöpfe mit Stauden, die sie nicht kannte, deren farbenfrohen Blüten ihr aber gefielen. Aus der Nähe sah sie, dass an den wächsernen Blättern erbsenartige Hülsen hingen. Paige konnte nicht widerstehen und berührte eine Hülse, die sofort aufsprang. Samenkörnchen flogen wie Konfetti durch die Luft.

Max bekam es nicht mit. Er war vier Schritte voraus und stand vor der breiten Doppeltür seines Hauses. Paige strich sich die Samenkörnchen von den Fingern und stieg hastig die letzten Stufen hoch, bis sie neben ihrem Arbeitgeber stand. Wie das Meer roch er, salzig und herb.

Als er die Tür öffnete, kam Reg gerade heraus. Paige musste ihm ausweichen und stieß gegen Max Stone.

Vorhin hatte sie bei seinem Anblick an ein wildes Tier gedacht, und nun, da sie sich berührten, spürte sie es: In diesem Mann vibrierte eine außergewöhnliche Kraft. Unterbewusst nahm sie seinen Körper wahr. Die einzigartige Energie, die ihn antrieb, die er ausstrahlte. Rasch trat Paige zur Seite. Sie atmete schnell, und ihre Fingerspitzen kribbelten.

„Tut mir leid, Boss, hab Sie nicht gesehen“, sagte Reg, tippte sich an den verfärbten Hut und lief die Treppe mit großen Schritten hinab.

Paige wagte nicht, Max anzuschauen. Sie kämpfte noch gegen die völlig unwillkommene Reaktion auf seine Nähe an. Schnell suchte sie Schutz im Haus.

Dunkel und kühl war es in der großen Diele. Boden und Wände waren aus Holz. Paige fühlte sich auf Anhieb wohl.

„Früher war dieses Haus ein Hotel“, knurrte Max regelrecht hinter ihr. „Mein Großvater hat etliche Wände entfernt, um die Zimmer zu vergrößern und ein Wohnhaus draus zu machen. Ich habe die Küchen und Bäder renoviert und die Leitungen fit für das 21. Jahrhundert gemacht.“

Versuchte er, witzig zu sein? Wenigstens höflich klang ihr Chef jetzt. Deshalb setzte sie ein Lächeln auf.

„Das Wohnzimmer ist da drüben.“ Er nickte nach links.

Paige trat über die breite Schwelle in einen gemütlichen Raum mit Bücherregalen und einem großen Teppich, um den mehrere hübsche Sofas standen. An einer Wand hing ein Fernseher. Ein großes Erkerfenster bot einen spektakulären Blick über das Meer. Sie hoffte, dass sie von ihrem Schlafzimmer auch diese Aussicht hatte. Auf dem niedrigen Tisch lag ein Scrabble-Spiel.

Eine vertraute Leere breitete sich in ihrer Brust aus – ein Gefühl, das sie seit fünf Jahren begleitete. Seit sie aus Los Angeles weggezogen war, um als Nanny zu arbeiten. In den Familien erlebte sie täglich kleine Gesten der Liebe und des Zusammenhalts. Unwillkürlich verglich sie die ungezwungene Zuneigung der Eltern, die sie bei der Arbeit sah, mit ihrer eigenen Kindheit – in der es daran leider gemangelt hatte.

Max ging weiter und Paige folgte ihm. „Büro.“ Er nickte nach rechts, in Richtung einer geschlossenen Tür. „Amandas Spielzimmer“, sagte er und zeigte nach links.

Auch diese Tür war geschlossen, Paige öffnete sie. Immerhin war sie nun für Amanda zuständig, also fiel auch deren Zimmer in ihre Verantwortung. Was sie sah, war das reinste Kinderparadies. Am Fenster stand ein Schaukelstuhl mit Blick auf das Meer. Amanda hatte einen Fernseher und ein Regal mit Konsolen für so ziemlich alle Spiele, die man sich vorstellen konnte. Auf dem Boden lagen Bücher.

„Sie hält sich viel hier drinnen auf.“ Max Stones Stimme klang beinahe normal, doch Paige entging die Anspannung nicht. Offenbar störte ihn, dass Amanda Zeit in diesem Raum verbrachte. „Esszimmer. Dort essen wir aber nicht.“ Trotzdem schob er die Tür auf. Von hier aus blickte man auf den Rasen und den Regenwald dahinter. Mächtige uralte Stämme, um die sich Lianen rankten. Paige hörte die Vögel zwitschern. „Wir mögen es nicht.“

Wir. Wieder spürte sie einen Stich. Sie selbst hatte nie zu einem Wir gehört und würde vermutlich auch nie zu seinem gehören. Wer durchgestanden hatte, was sie durchstehen musste, war außerstande, Vertrauen zu fassen und sich auf ein Wir einzulassen. Nein, wer wie sie von den beiden Menschen betrogen worden war, auf die eigentlich am meisten Verlass hätte sein sollen, traute niemandem mehr.

„Nicht? Was gibt es denn an diesem Zimmer nicht zu mögen?“, fragte sie und verbarg ihren Kummer hinter einem betont fröhlichen Lächeln.

Seine Augen verengten sich. „Amanda meint, es sei zu spießig.“

„Womöglich ist es wirklich etwas … steif.“ Sie ging zu dem wuchtigen Esstisch aus dunkler Eiche und strich über die polierte Oberfläche. Nichts deutete auf eine Familie hin. Keine Fotos, keine Bücher, keine Kratzer auf dem Tisch. Es gab einen Kamin und bodenlange Fenster mit burgunderroten Vorhängen.

„Kommen Sie, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit“, sagte Max.

In seiner Stimme schwang etwas mit, was Paige nicht deuten konnte, aber es lag auf der Hand, dass er nicht glücklich war.

Sie gingen zügig weiter in die Küche auf der Rückseite des Hauses. Ein umwerfender Raum. Der historische Charme war erhalten worden, gleichzeitig wirkte die Küche modern und geräumig. In der Mitte stand eine Kücheninsel auf den Holzbohlen. Drei der vier Wände waren verglast, sodass man sowohl einen Panoramablick auf das Meer hatte als auch den Regenwald erkennen konnte. Mit seinen Gebrauchsspuren war der Holztisch das Gegenteil vom Tisch im Esszimmer. Paige legte beide Hände auf die Rückenlehne von einem der beiden Stühle. Offenbar luden Max und Amanda Stone nicht oft Gäste an ihren Tisch.

Das ließ auf ein liebevolles, harmonisches Vater-Tochter-Gespann schließen. Paige verkniff sich einen Seufzer, sah Max an und wunderte sich, weil ihr Herz schneller schlug.

„Bitte, setzen Sie sich“, sagte er.

Wo saß er normalerweise, wo Amanda? Paige zog den Stuhl zurück, auf dem ihre Hände ruhten, und nahm Platz.

„Wasser?“

„Ja, bitte.“

Er holte zwei Gläser aus einem Schrank und drückte sie gegen einen Knopf am Kühlschrank. Eiskaltes Wasser rann aus einem Hahn in die Gläser, die sofort beschlugen. Mit finsterer Miene stellte er das Glas Wasser vor Paige. Sie nahm es und trank es fast leer. Ihr Blick traf den ihres Chefs. Der betrachtete sie mit einer Miene, die ihr einen angenehmen Schauer über den Rücken rieseln ließ. Eine Warnung. Paige hatte gelernt, ihrem Instinkt zu folgen, vor allem, wenn er sie zu Vorsicht mahnte.

Max blieb stehen und stemmte beide Hände in die Hüften. Sein Körper strahlte Anspannung aus. Er zog die breiten dunklen Brauen zusammen, und Paiges Herz pochte noch etwas rascher. Dieser Mann war attraktiv, allerdings auf eine sehr schroffe Weise – ganz anders als die Männer, mit denen sie aufgewachsen war. Er wirkte kein bisschen gekünstelt. Sein Äußeres war rau und unkultiviert und deshalb umso überwältigender. „Meine Tochter …“ Seine tiefe, brüske Stimme brach ab. „Amanda ist …“

Paige wartete geduldig. Von der Agentur wusste sie: Amanda war elf. Ihre ersten fünf Jahre hatte sie in Sydney verbracht, bis ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Jetzt ging sie in der Kleinstadt Mamili zur Schule. Paige hatte eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen müssen. Das war ihr sehr recht. Sie hatte eine große Abneigung gegen Rampenlicht und respektierte das Recht jedes Menschen auf Privatsphäre.

„Ich habe mein Bestes getan“, brummte Max defensiv. „Aber sie hat sich verändert. Sie ist … nicht wiederzuerkennen.“ Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und blickte Paige mit seinen kristallblauen Augen so eindringlich an, dass sie stocksteif dasaß, während eine seltsame Hitze in ihrem Bauch aufstieg. „Ich will, dass Sie mir meine Tochter zurückbringen. Der Agentur zufolge sind Sie die Beste. Stimmt das?“

2. KAPITEL

Paige wusste, dass ihre Referenzen überschwänglich waren. Sie stammten von prominenten, wohlhabenden Familien. „Das ist ein großes Lob“, murmelte sie. „Meine Arbeit macht mir Freude, Mr. Stone, und ja, ich glaube, ich mache sie gut.“ Sie hatte für ihren Erfolg als Nanny hart gearbeitet. Nie erlaubte sie sich, einen ihrer Schützlinge zu lieben, doch sie vermittelte ihnen, wie Liebe sich anfühlte, indem sie jedes Kind so behandelte, wie sie als Kind selbst gern behandelt worden wäre.

Max sah sie auf eine Weise an, die sie nervös machte. Als würde er sie zum ersten Mal wahrnehmen und sie abschätzen. Bewusst ruhig und gelassen saß sie da, obwohl ihre Haut unter seinem aufmerksamen Blick immer wärmer wurde und sie am liebsten wegschauen wollte.

„Sie sehen nicht alt genug aus“, sagte er nach einem langen Schweigen, in dem die Luft zwischen ihnen zu knistern schien, „um genügend Erfahrung zu haben.“

Paige setzte sich kerzengerade hin. „Ich bin vierundzwanzig. Alt genug, um für ein Kind zu sorgen.“

„Sie sind ja selbst kaum älter als ein Kind“, erwiderte er skeptisch.

„Verzeihung, aber ich bin nicht viel jünger als Sie. Und mit vierundzwanzig liegt die Kindheit lange, lange zurück.“

„Meine Tochter ist recht schwierig“, erklärte er und verzog das Gesicht, sodass Paige mit ihm fühlte. Stockte er, weil er sich illoyal vorkam? „Ich brauche jemanden, der mit ihren … Emotionen umgehen kann.“

Paige lächelte. „Ich habe Erfahrung mit Kindern und ihren Emotionen.“

„Das habe ich gehofft. Das ist es, was ich brauche. Ich … nach dem Tod von Amandas Mutter dachte ich, ich käme klar. Aber Amanda wird älter und ich frage mich, ob sie nicht mehr braucht. Eine …“

„Eine weibliche Sichtweise“, schlug Paige vor. Sie begriff, wie schwer es jemandem wie Max Stone fallen musste, zu akzeptieren, dass er nicht allein zurechtkam.

„Ja.“ Er schloss die Augen und holte scharf Luft. „Also lassen Sie uns die Grundregeln durchgehen.“

Schlagartig verschwand ihr Mitgefühl. Jetzt spürte Paige etwas anderes. Erstaunen und – Anziehungskraft. Im Ernst? Obwohl sie es ganz und gar nicht mochte, wenn man ihr sagte, was sie tun solle. Dafür hatte sie sich ihre Unabhängigkeit zu hart erkämpft. Doch Max strahlte eine so selbstverständliche Autorität aus, wirkte so stark und männlich, dass er etwas in Paige ansprach, das sie lange verdrängt hatte.

Seine Stimme klang nicht herrisch, sondern … beschützend. Ob er wohl wusste, wie wichtig es für Kinder war, Eltern zu haben, die für sie da waren, die ihnen Halt gaben und sie behüteten?

„Amanda war am Boden zerstört, als ihre Mutter starb. Sie darf in Ihnen keinen Ersatz für Lauren sehen. Wenn Sie nach drei Monaten abreisen, darf ihr der Abschied nicht schwerer fallen als der einer Bekannten. Offen gestanden kann ich die Dinge nicht ein zweites Mal wieder ins Lot bringen.“

„Ich bin ein Profi, Mr. Stone. Ich habe nicht die Absicht, Ihre Tochter zur Abhängigkeit zu erziehen. Allerdings ist es meiner Erfahrung nach am besten, wenn sich eine echte Verbindung entwickelt.“

„Der Job ist auf drei Monate befristet“, stellte er mit einem stählernen Unterton klar. „Es wird keine Verlängerung geben. Wir brauchen keine langfristige Hilfe.“

Seine barschen Worte überraschten sie. „Ich habe die Konditionen meines Vertrags verstanden. Aber Sie müssen wissen, wenn es um Kinder geht …“