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Als Roberts Flitterwochen von einer jähen Erkrankung seiner Ehefrau Elisabeth überschattet werden, erscheint es ihm nur folgerichtig, Italien zu verlassen und einen Kurort im Schwarzwald aufzusuchen: Ruchensee. Die Warnungen einer alten Frau im Nachbarort, in Ruchensee gehe nicht alles mit rechten Dingen zu, schlägt er in den Wind.
Auch Elisabeths Klagen, die Männer des Ortes stellten ihr nach, tut er als nervöse Einbildung ab.
Erst als er auf einer seiner einsamen Wanderungen eine grausige Entdeckung in einer Kapelle in den Bergen macht, wird es auch ihm mulmig zumute ...
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Es war, im Grunde genommen, ein unglücklicher Zufall, der mich nach Ruchensee brachte. Wäre meine Ehefrau gesund und munter gewesen, ich hätte nie einen Fuß in die Ortschaft gesetzt. Doch Elisabeth war leidend.
Es war ganz überraschend über sie gekommen, wiewohl ich im Nachhinein anzunehmen gezwungen bin, dass sie mir etwas verheimlicht hat. Doch ich will nicht vorgreifen.
Wir lernten uns in Zermatt kennen, wo ihr Adoptivvater mit der Familie gereist war um sich dem Alpinismus zu widmen.
Ich selbst war dort um die Legenden zu erforschen, die sich um das Matterhorn rankten, abergläubische Märchen, die die Einheimischen erzählten. Solcher Aberglaube lag mir fern, im Gegenteil, meine Absicht war, soweit möglich, den Gegenbeweis zu erbringen – wenn auch sicherlich nur durch theoretische Schlussfolgerungen, denn ich war kein Alpinist und hätte kaum hoffen können, das angeblich unbezwingbare Matterhorn selbst zu erklimmen.
Doch zurück zu Elisabeth.
Wir begegneten uns im Frühstücksraum des Hotels, eines führte zum anderen, und am Tag vor ihrer Abreise verlobten wir uns.
Damals war sie das blühende Leben.
Dem merkwürdigen Betragen ihrer Adoptiveltern maß ich damals keine Bedeutung bei. Ich wusste gleich, dass sie nicht wirklich ihre Tochter war, denn beide Eltern hatten flachsblondes Haar, während das der Tochter in ebenholzschwarzen Wellen um ihr vornehmes Gesicht lag.
Sie behandelten mich höflich, aber nicht mit der Herzlichkeit, die einem Schwiegersohn zugekommen wäre, und behaupteten, sie könnten ihr keine Mitgift geben, obwohl das Hotel in dem wir damals weilten durchaus nicht billig war und sie nicht arm zu sein schienen.
Ein Widerwillen gegen mich kann es nicht gewesen sein, denn sie verboten Elisabeth nie den Umgang mit mir, und es hätte auch nicht rechtmäßig etwas gegen mich einzuwenden gegeben.
Man muss wohl davon ausgehen, dass sie froh waren, ihr Mündel – welches sie wohl in Wahrheit nie als Tochter angesehen hatten - auf anständige Art und Weise loszuwerden.
Nach der ersten Begegnung im Oktober 1870 heiratete ich Elisabeth im März 1871 und wir brachen zu unserer Hochzeitsreise nach Italien auf.
Wiewohl sie damals noch gesund erschien, ist im Rückblick anzunehmen, dass die Krankheit bereits Fuß gefasst hatte.
Obschon wir frisch verheiratet waren, erwiderte sie jede über Küsse hinausgehende Zärtlichkeit meinerseits mit einer Apathie, die an einen toten Fisch gemahnte.
Ich, der ich bis dahin nur mit käuflichen Mädchen Erfahrung hatte, hielt es für Züchtigkeit und dachte mir nichts weiter dabei.
Dann jedoch, einige Tage nach unserer Ankunft in Rom, begann ihr Leib anzuschwellen und sie verlor ihren Appetit. Sollte sie nach so kurzer Zeit schon schwanger sein?
Elisabeth stritt es energisch ab. So etwas passiere eben manchmal. Wassereinlagerungen, verursacht durch ihren weiblichen Zyklus.
Ich drängte sie zu einem Arztbesuch, und der italienische Doktor beruhigte meine Sorgen. Schwanger war sie nicht; es waren keine der üblichen Symptome vorhanden, überdies hätte man bei einer so weit fortgeschrittenen Schwangerschaft bereits die Herztöne des Ungeborenen hören können.
Er verschrieb entwässernde Medikamente und äußerte die Vermutung, dass ihr vielleicht das italienische Klima nicht gut tue. Er beobachte solche Verschlimmerungen der Konstitution oft bei englischen Damen.
Wäre alles seinen Lauf gegangen, so wären wir alsbald in meine ostdeutsche Heimat zurückgekehrt. Doch wenige Tage nach diesem Arztbesuch, als ich allein einen Abstecher nach Neapel machte, begegnete mir zufällig Linda, eine Cousine zweiten oder dritten Grades, so genau hatte ich das nie ergründet, die wie es der Zufall wollte dort gerade auf Hochzeitsreise mit ihrem Ehemann war.
Wir saßen zusammen in einem Straßencafe und plauderten über dies und das, und da sie sich natürlich wunderte, warum Elisabeth mich nicht begleitete, erzählte ich von dem plötzlichen Leiden.
„Oh!“, sagte meine Cousine Linda. „Wie schade, dass sie diesen Ausflug verpasst! Es ist sicher nichts Schlimmes, wie der Arzt schon sagt, sicher nur das Klima.“ Und sie berichtete mir von dem hochgelegenen Schwarzwaldort Ruchensee, einem Luftkurort mit angemessen kühlem Klima, der sie von einem Mädchen mit kränklicher Konstitution in die kräftige Frau verwandelt habe, die ich nun vor mir sähe.
Ich hatte meine Cousine niemals leidend gesehen, erinnerte mich jedoch sehr wohl, dass sie sich häufig auf Familienzusammenkünften hatte entschuldigen lassen.
Ihr Ehemann, der sie kurz nach ihrem Aufenthalt im Schwarzwald kennengelernt hatte, bekräftigte ihre Worte mit der Versicherung, er hätte niemals erraten können, dass sie je unter einer schwachen Konstitution gelitten habe.
Das besiegelte meinen Entschluss.
Elisabeth wollte nichts davon hören. Es gehe ihr gut, sie wolle mir die Hochzeitsreise nicht ruinieren. Sie schlug mir vor, alleine nach der Insel Capri zu reisen, wovon wiederum ich nichts hören wollte.
Durch Nachfragen stellte ich fest, dass sie während meiner Abwesenheit kaum etwas gegessen hatte.
Diese Appetitlosigkeit setzte sich fort. Zwar aß sie dank meiner Überredungskünste genug, um sich am Leben zu erhalten, doch wann immer ich in meiner Wachsamkeit nachließ, trat zutage, dass ihr Appetit vollständig verschwunden war.
Es war an der Zeit, etwas zu unternehmen.
Wir verließen also Italien, und fuhren in den Schwarzwald.
Da Elisabeths Zustand sich trotz meiner Bemühungen zusehends verschlechterte, verbrachten wir vor unserer Ankunft eine Nacht in einem Gasthaus im Nachbarort.