Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In zehn Kurzgeschichten lässt Lars Gebhardt die Helden seiner Erzählungen auf Hamburgs Straßen, in Hochhäusern, in Bars und Clubs Menschen treffen und Situationen erleben, die so vielleicht nur an der Waterkant möglich sind. Rau und spröde, unangenehm direkt und großmäulig, dabei aber auch immer mit Herzenswärme und Zuversicht. Es sind die Menschen abseits des Scheinwerferlichts und der großen Erfolge, die hier Erwähnung und Gehör finden und Einblicke in Seiten Hamburgs geben, die ansonsten vielleicht unentdeckt blieben. Illustriert werden die Geschichten durch stimmungsvolle Schwarz-weiß-Fotos von Tim Groothuis, Thorsten Spitz und dem Autor.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 72
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
In zehn Kurzgeschichten lässt Lars Gebhardt die Helden seiner Erzählungen auf Hamburgs Straßen, in Hochhäusern, in Bars und Clubs Menschen treffen und Situationen erleben, wie sie so vielleicht nur an der Waterkant möglich sind. Rau und spröde, unangenehm direkt und großmäulig, dabei aber auch immer mit Herzenswärme und Zuversicht. Es sind die Menschen abseits des Scheinwerferlichts und der großen Erfolge, die hier Erwähnung und Gehör finden und Einblicke in Seiten Hamburgs geben, die ansonsten vielleicht unentdeckt blieben.
Lars Gebhardt wurde 1973 in Unna / Westfalen geboren. Er studierte Germanistik und Medienwissenschaften in Hamburg, wo er noch heute lebt und als Fotoredakteur arbeitet. Seit seiner Jugend schreibt er für diverse Musik-Magazine wie Ox, Mind The Gap oder Pankerknacker. In den 90er Jahren war Gebhardt Herausgeber und Chefredakteur des „Stay Wild“ Fanzines. 2013 erschien sein Debüt-Roman „Ein Goldfisch in der Grube“, 2015 dessen Nachfolger „Die Reise zur grünen Fee“. Mit "Schattenboxen" legt Gebhardt nun seine erste Kurzgeschichten-Sammlung vor.
Ganz egal
Im Hochhaus
Hamburger Berg
Was guckst Du?
Tage der Entwöhnung
Spaziergang
Kokain
Namenlos
Spießer
Unfall
Danksagung
Da tut sich was auf der Bühne. Mal sehen, vielleicht geht es ja gleich doch noch los. Immerhin ist es schon halb elf. Aber das kenne ich ja inzwischen hier vom AJZ. Angekündigt für zwanzig Uhr fängt es im Endeffekt nie vor zehn an. Auch wenn ich das längst weiß, stehe ich immer wieder um spätestens neun Uhr auf der Matte. Ich könnte ja doch etwas verpassen. Was genau, weiß ich allerdings auch nicht. Heute scheint das Konzert mit einer gerade in den Kinderschuhen steckenden Garagenband anzufangen, die mächtig stolz darauf ist, auf einer richtigen Bühne zu stehen. Alle ihre Kumpels - im Moment zähle ich sieben - stehen in der ersten Reihe. Da gehe ich mir doch lieber mal in der angrenzenden Bar ein Bier holen.
Was sie wohl gerade macht. Natürlich ist sie an diesem verregneten Montagabend nicht ins AJZ gekommen. Sie geht eigentlich nie ins AJZ. Außer den zwei Mal, als ich sie mitgeschleppt hatte. Aber wirklich gefallen hat es ihr da, glaube ich, auch nicht. Wahrscheinlich sitzt sie gemütlich zu Hause und lässt es sich gut gehen. Oder hat sie sich schon wieder mit diesem Lackaffen getroffen? Hoffentlich nicht. Mit so einem Schmierlappen. Und mit Arbeitskollegen lässt man sich nicht ein. Don't fuck your company. Ob sie diesen Vorsatz beherzigt? Vielleicht hat sie mich ja auch doch noch gar nicht ganz vergessen.
Ich hätte nicht in die Bar rübergehen sollen. Dann wäre mir Stachi nicht über den Weg gelaufen und hätte mich zum Jägermeistertrinken verführt. Jetzt ist mir schlecht. Und die Fuckdevils - die nennen sich wirklich so - spielen immer noch ihre Musik. Oder wie immer man dieses stümperhafte Lärmen nennen mag. Sie finden einfach kein Ende. Das kenne ich zur Genüge. Da rufen ein paar der angekarrten Freunde nach einer Zugabe, und schon fühlt sich die Kapelle genötigt, noch einmal das halbe Repertoire zu wiederholen. Gänzlich ignorierend, dass außer eben jenen paar Freunden der Rest des Publikums den Saal längst verlassen hat. Aber wenn man schon mal hier auf der Bühne steht, dann bleibt man auch gleich da. Warum dreht der Mixer nicht einfach mal den Saft ab?
Kennengelernt hatten wir uns im Supermarkt. Mir war sie schon öfter aufgefallen, und ich bildete mir ein, ich ihr auch. Also sprach ich sie eines Tages an. Wir verabredeten uns und verbrachten einen schönen Abend miteinander. Einige weitere folgten. Doch von heue auf morgen meldete sie sich nicht mehr, rief mich nicht mehr zurück. Tagelang. Ich hielt es nicht mehr aus. An der Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite ihres Hauses hatte ich auf sie gewartet. Stundenlang. Als sie dann endlich kam, tat ich so, als käme ich rein zufällig vorbei und sei nur auf dem Weg zum Recyclinghof. Ohne irgendwas zum Recyclen dabei zu haben. Das könnte ihr vielleicht komisch vorgekommen sein, anmerken ließ sie sich das aber nicht. Stattdessen gab sie sich freundlich, aber doch unverbindlich. Natürlich könnten wir uns bald mal wieder treffen. Gerne sogar. Aber wann, das könne sie im Moment noch nicht sagen. Dazu habe sie gerade viel zu viel um die Ohren. Und damit ließ ich mich abspeisen. Gutgläubig und blauäugig.
Nun hat die Vorband doch noch aufgehört zu spielen. Allerdings nicht ganz freiwillig. Während ihrer gefühlt hundertsten Zugabe kommt plötzlich ein kleines Punkmädchen auf die Bühne, schnappte dem Sänger das Mikrofon weg und schreit irgendwas von "Die Nazis sind draußen" oder so. Mit einem Mal kommt Bewegung in die Bude. Das Mädchen hat das geschafft, was die Band die ganze Zeit über versuchte. Eh ich mich versehe, ist das AJZ leer. Eigentlich ohne großes Interesse an einer Schlägerei mit ein paar krawallgeilen Nachwuchsfaschisten trete auch ich ins Freie. Und schon sehe ich ihn. Den Feind. In Form von vier Skinheads im minderjährigen Alter. Umringt von aufgepeitschten Konzertbesuchern. Jetzt gilt es den Feind in die Flucht zu schlagen. Aber ist das wirklich der Feind, frage ich mich. Die Jungs kennen Hitler wahrscheinlich noch nicht mal vom Hörensagen. Eher schüchtern und kleinlaut stammelt einer von ihnen etwas von "Band angucken wollen" und "überhaupt nicht rechts sein". Ich glaube ihm. Der Rest der Meute nicht. Endlich präsentiert sich hier mal der vermeintliche Feind von Angesicht zu Angesicht. Und dann auch noch in zahlenmäßiger Unterlegenheit. Die Chance will man nicht verstreichen lassen. Ob es sich dabei nun wirklich um Neonazis handelt oder nicht, ist dann mal zweitrangig. Schon bekommt der Wortführer der Skinheads eine Bierflasche durchs Gesicht gezogen. Ich wende mich angewidert ab.
Wiedergesehen habe ich sie einige Tage später in einem Cafe. In Gesellschaft eines gut aussehenden Schnösels. Auch sie hatte mich gesehen. Einfach wieder gehen ging also nicht mehr.
Sie begrüßte mich übertrieben herzlich und stellte mich dann ihrem Begleiter vor. Er wäre ein Arbeitskollege und der einzige in ihrem Betrieb mit dem man was anfangen könne. Was anfangen. So kann man das auch ausdrücken. Ob ich mich denn zu ihnen setzen wolle. Ich wollte nicht. So verabschiedete ich mich unter einem schwachen Vorwand und ging traurig heim.
Langsam füllt sich der Saal des AJZ wieder. Siegestrunken nach der gewonnenen Schlacht gegen die vier kleinen Skinheads verbreitet sich unter den Leuten eine euphorische Stimmung. Jetzt kann die Band, auf die alle warten, ja anfangen. Aber nichts geschieht. Erst nach unzähligen Minuten kommt ein junger Typ mit blonden Dreadlocks auf die Bühne geschlurft und verkündet, die Band hätte sich gerade via Handy von unterwegs aus gemeldet und durchgegeben, sie stünden noch mit einem Motorschaden auf einem Parkplatz vor der Stadt. Der ADAC sei aber unterwegs und um eins sei man spätestens am AJZ. Da die Uhr aber gerade erst die Geisterstunde eingeläutet hat, mach ich mir die Jacke zu und verlasse das AJZ. Meine Geduld ist an ihre Grenzen getreten.
So schnell wird man abserviert, dachte ich, als ich das Cafe wieder verlassen hatte und sie mit ihrem Arbeitskollegen zurückließ. Auf einmal war ich nicht mehr interessant. Das passiert immer wieder. Und nicht nur mir. Da muss man dann halt durch. Ich nahm mir vor, nicht in einen Liebeskummer zu verfallen.
Ich wollte ihr nicht nachtrauern. Ich wollte wieder mehr aus- und unter Leute gehen. Viel zu selten hatte ich in letzter Zeit Konzerte besucht. Das sollte sich wieder ändern.
Dort würde ich etwas erleben, Spaß haben, gute Musik hören und bestimmt viele tolle Leute treffen.
Es wird wohl an der Frau gelegen haben, die bereits drei Haltestellen zuvor zu mir in die Bahn gestiegen war und neben mir Platz genommen hatte. Unwohlsein verspürte ich bereits den ganzen Tag über. Aber ich glaubte mir einzubilden, dass sich dieser Zustand seit drei Haltestellen kontinuierlich verschlimmerte.
In ihren Unterschenkeln trug sie unnötige Mengen Wasser mit sich herum. In ihrem Kopf eventuell auch, denn der ähnelte auf verblüffende Art einer reifen Melone. Bei genauerer Betrachtung bekam ich immer mehr den Eindruck, dass die Frau von oben bis unten voller Wasser war. Sie wirkte regelrecht aufgequollen, ja aufgeschwemmt. Vielleicht war sie sich dessen bewusst. Vielleicht hatte sie sich lange überlegt, wie sie mit diesem Umstand am besten umzugehen habe, und war dabei zu dem Entschluss gekommen, dass sie aufgrund des vielen Wassers in ihrem Körper nun keines mehr an ihren Körper lassen wollte. Der Verdacht drängte sich mir zumindest immer dann auf, wenn ich versehentlich durch die Nase einatmete und mich ein Schwall ihres Körpergeruches traf. Ich versuchte, diesem durch geschicktes Wegdrehen in Richtung Fenster zu entgehen.