Scherbenspiel – Ein Koblenz-Krimi - Andrea Dejon - E-Book

Scherbenspiel – Ein Koblenz-Krimi E-Book

Andrea Dejon

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Beschreibung

Ein außergewöhnliches Ermittler-Duo löst die verzwicktesten Mordfälle im Koblenzer Raum: Die lebensfrohe Polizistin, Theressia Colling, die eigentlich im Dezernat für Diebstahl arbeitet, und Sophia Mosel - eine Frau, die keine Erinnerung daran hat, wer sie ist, aber über ein unheimliches Wissen verfügt.
Nachdem die unbekannte Frau halbtot aus der Mosel gefischt worden war, hatten sich die beiden Frauen zufällig im Krankenhaus kennen und schätzen gelernt. Seit zwei Jahren leben sie zusammen in einer Wohngemeinschaft und haben gemeinsam schon einige ungeklärte Fälle vom Morddezernat aufgeklärt.
Doch dieser neue Fall, bei der ein Jugendlicher seine Lehrerin erstochen haben soll, nimmt immer abstrusere Formen an. Grenzen und Realitäten verwischen sich …

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Andrea Dejon

 

 

 

Scherbenspiel

 

 

 

 

 

Ein Koblenz-Krimi 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Neuausgabe

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Claudis Westphal nach Motiven, 2024

Korrektorat: Katharina Schönfeld

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau (OT), Gemeinde Oberkrämer. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Das Copyright auf den Text oder andere Medien und Illustrationen und Bilder erlaubt es KIs/AIs und allen damit in Verbindung stehenden Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren oder damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung erstellen, zeitlich und räumlich unbegrenzt nicht, diesen Text oder auch nur Teile davon als Vorlage zu nutzen, und damit auch nicht allen Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs nutzen, diesen Text oder Teile daraus für ihre Texte zu verwenden, um daraus neue, eigene Texte im Stil des ursprünglichen Autors oder ähnlich zu generieren. Es haften alle Firmen und menschlichen Personen, die mit dieser menschlichen Roman-Vorlage einen neuen Text über eine KI/AI in der Art des ursprünglichen Autors erzeugen, sowie alle Firmen, menschlichen Personen , welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren um damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung zu erstellen; das Copyright für diesen Impressumstext sowie artverwandte Abwandlungen davon liegt zeitlich und räumlich unbegrenzt bei Bärenklau Exklusiv.

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Scherbenspiel 

Samstag 

Montag 

Dienstag 

Mittwoch 

Donnerstag 

Freitag 

Samstag 

Sonntag 

 

Das Buch

 

 

Ein außergewöhnliches Ermittler-Duo löst die verzwicktesten Mordfälle im Koblenzer Raum: Die lebensfrohe Polizistin, Theressia Colling, die eigentlich im Dezernat für Diebstahl arbeitet, und Sophia Mosel - eine Frau, die keine Erinnerung daran hat, wer sie ist, aber über ein unheimliches Wissen verfügt.

Nachdem die unbekannte Frau halbtot aus der Mosel gefischt worden war, hatten sich die beiden Frauen zufällig im Krankenhaus kennen und schätzen gelernt. Seit zwei Jahren leben sie zusammen in einer Wohngemeinschaft und haben gemeinsam schon einige ungeklärte Fälle vom Morddezernat aufgeklärt.

Doch dieser neue Fall, bei der ein Jugendlicher seine Lehrerin erstochen haben soll, nimmt immer abstrusere Formen an. Grenzen und Realitäten verwischen sich …

 

 

***

Scherbenspiel

 

Ein Koblenz-Krimi von Andrea Dejon

 

Samstag

 

9. April 2016

Ausdruckslos starrt Thorsten vor sich hin. Die Welt um ihn herum interessiert ihn nicht sonderlich. Auf den ersten Blick wirkt er, als stünde er über allen Dingen, als gelten für ihn nicht die Gesetze und Regeln eines Rechtsstaates. Die Worte, die von außen auf ihn niederprasseln, dringen nicht zu seinem Inneren vor – obwohl die Stimmen immer lauter werden. Gleichmütig lehnt sich der junge Mann auf dem Stuhl zurück, steckt die Hände in den Hosenbund und streckt seine Beine weit aus, sodass sie wie scheinbar zufällig gegen das Beinpaar seines Gegenübers prallen.

Wütend springt der Polizist vom Tisch auf. Durch die Wucht, kippt sein Stuhl nach hinten weg und knallt auf den Boden. Harwey Schmidt ist nicht gerade für seine Sanftheit bekannt, aber im Moment glüht sein ungeschorener grauer Kopf regelrecht. Er stemmt sich mit den Händen auf den Tisch, wobei sein wohlgenährter Bauch die vordere Kante berührt. Sein rundes Gesicht näherte sich dabei dem des Verdächtigen und versucht ihn nun mit einem durchdringenden Blick aus der Reserve zu locken - Schreie und Drohungen haben nichts bewirkt.

Thorsten wendet den Kopf. Kurzzeitig scheint wieder Leben in seine Pupillen zu kommen. Seine Augen wandern den Oberkörper hinunter, über sein zerknittertes rotes Shirt und bleiben an den Blutflecken seiner zerrissenen Bluejeans hängen. Er hat gerade mal Zeit, gehabt sein Hemd zu wechseln, bevor die Polizei in sein Zimmer gestürmt war und ihn wegen Mordverdacht abgeführt hat.

Fassungslos hatten seine Eltern im Wohnzimmer gestanden und zugesehen, wie die Polizisten ihn aus seinem Zimmer zerrten. Seine Mutter hatte ihn verwirrt und ungläubig angeschaut, während in den Blicken seines Vaters nur die Worte zu lesen waren: Das war doch klar! Für ihn stand wohl zweifellos fest, dass sein Sohn die Tat begangen haben musste. Sozusagen als Krönung seiner Laufbahn: Ein Junge, der schon immer Anpassungsschwierigkeiten gehabt hatte und immer wieder aus der Reihe getanzt war. Auf diese Weise war Thorsten des Öfteren von einer Misere in die nächste geschlittert.

Schmidts Kollege, Meinrad Emsig, öffnet die Tür des Verhörzimmers. Er ist mehr der schweigsame Typ und überlässt das Reden gerne Harwey. Zudem überragt er ihn um eine Stirnhöhe und sein muskulöser, schlanker Körperbau sowie seine strohblonden Haare lassen ihn gut und gern zehn Jahre jünger erscheinen. Dabei ist er mit seinen siebenundvierzig sogar zwei Jahre älter.

Meinrad gibt den Polizisten draußen im Flur die Order, Thorsten in eine Zelle zu bringen. Dann legt er seine Hand beschwichtigend auf Harweys Schultern: »Hoffen wir, dass er nach ein paar Tagen in Untersuchungshaft gesprächiger sein wird. Oder wir haben den endgültigen Beweis für seine Schuld, dann wäre ein Geständnis unwichtig geworden.«

Nach einem Notruf war die Mordkommission am Abend ausgerückt gewesen und hatte die besagte Wohnung in einem mehrstöckigen Mietshaus aufgesucht. Die Tür zur Zweizimmerwohnung von Marie Keller war nur angelehnt. Die Türen innerhalb standen alle weit offen. Gleich im Eingangsbereich, im drei Meter langen Flur, hatten sie auf dem Teppichboden, nahe der Wohnzimmerschwelle blutige Teilfußabdrücke sichergestellt. Direkt dahinter im Wohnzimmer lag das Mordopfer rücklings auf dem Boden in einer Blutlache wie auf einem Präsentierteller. Die Frau war Mitte Dreißig, ihre Füße zeigten in Richtung Flur. Jemand hatte ihr mit großer Wucht, in einer Aufwärtsbewegung des Unterarms, zwischen die Rippen ein Messer ins Herz gestoßen.

Hinter dem Opfer stand ein kleiner Wohnzimmertisch aus Kiefernholz. Ein frischer Blumenstrauß und zwei Glasuntersetzer befanden sich darauf. Das ganze Szenario erinnerte die Beamten an einen Mord aus Leidenschaft. Nur die zwei sauber abgespülten Weingläser im Spülbecken der Küche, die sich parallel zum Flur befindet, und die fehlende Flasche Wein passten nicht so ganz ins Bild.

Bei der weiteren Durchsuchung der Wohnung fand sich in der Nachttischschublade ein Foto eines jungen Mannes sowie das Bild eines Zwanzigers zusammen mit einem von Hand geschriebenen, poetischen Liebesbrief.

Bei der Befragung der Nachbarn stellte sich schnell heraus, dass der Jugendliche auf dem Foto Minuten zuvor aus der Wohnung gestürmt sei, und der Hausverwalter wusste sogar zu berichten, dass Thorsten Mai nur wenige Häuser entfernt wohnt.

 

 

Montag

 

Schweißgebadet schreckt Thorsten aus dem Schlaf hoch. Wie ein Blitzgewitter donnern die Bilder von Marie Keller in seinem Gehirn umher. Augen, die ihn ablehnend anschauen: »Es reicht, hör endlich damit auf, hinter mir herzulaufen!« Dazwischen leuchten immer wieder Szenen aus seinem Traum auf: Maries lebloses Gesicht und das blutverschmierte Messer in seinen Händen.

Der junge Mann setzt sich auf und fährt sich durch sein braun gelocktes, kurzes Haar. Er zittert, sein Kopf wippt unmerklich hin und her, und versucht diesen Albtraum abzuschütteln. Langsam wird ihn wieder klar, wo er sich befindet. Dunkel erinnert er sich, in der Nacht seine Eltern auf der Wache gehört zu haben. Die Stimme seiner Mutter hatte fast hysterisch geklungen: »Ihr könnt mein Baby nicht einfach hierbehalten und einsperren.« Dagegen hatte der feste Tonfall seines Vaters erklärt: »Soll der Junge ruhig mal ein paar Nächte im Knast verbringen. Vielleicht bringt ihn das endlich zur Besinnung!«

Ein Blick zum Fenster zeigt Thorsten, dass es langsam dämmert. Er weiß, die Sonne geht etwa um fünf Uhr dreißig auf. Also bleibt ihm nicht mehr viel Zeit, bis er wohl wieder Besuch von den Männern in Blau bekommen würde. Nur reden, reden würde er mit ihnen nicht.

Er mag keine Polizeibeamten. Allein ihre Art zu denken ist ihm zuwider. In allem nur das Schlechte vermuten und ohne nachzudenken an überholten Gesetzen blindlings festzuhalten. Und mit einem dieser Sorte hat Thorsten die letzten Monate sogar zweimal die Woche unfreiwilligen Kontakt. Manfred Engel, ein Kriminalbeamter im Ruhestand, leitet den Antischmier-Graffiti-Workshop, zu dem Thorsten vom Rektor des Berufsbildungszentrums vor drei Monaten verdonnert worden war. Und dass nur, weil er dabei erwischt wurde, wie er einen Liebesbeweis an seine Lehrerin an die hintere Wand der Schule gesprayt hatte. Das Bildnis hätte Marie Keller von ihrem angestammten Sitzplatz im Lehrerzimmer gut sehen können. Und nur sie hätte erahnt, dass es dabei um ihn und sie ging.

 

*

 

Noch einmal geht Meinrad Emsig die Beweise durch. Das Blut auf dem Shirt, das sie auf dem Bett in Thorstens Schlafzimmer sowie seinen Hosen gefunden haben, ist das von Marie Keller. Und die Spuren auf dem Flurteppich passen zu den Turnschuhen, die der Junge an diesem Abend getragen hat sowie das Blut daran. Die Fingerabdrücke auf dem Schaft der Tatwaffe und überall in der Wohnung sind ebenfalls seine. Nur, ob das Messer aus der Wohnung des Opfers stammt oder vom Täter mitgebracht worden ist, ließ sich nicht mit Sicherheit klären. Marie Keller besaß ein buntes Sortiment aus Messern, von denen jedes komplett anders aussieht. Dazu kommt, dass durch den Winkel des Einstichs, sich die Größe des Täters auf etwa ein Meter fünfundsiebzig belaufen muss, plus minus fünf Zentimeter – Thorstens Körperlänge von einem Meter achtzig passt dabei genau ins Bild.

»Das Einzige, was mich irritiert, ist, dass das Zeitfenster für den Mord etwas knapp bemessen ist«, sinniert Emsig. Seine Hände spielen mit der Beweistüte. Laut Zeitstempel des Fahrscheines, den Thorsten in der Hosentasche gehabt hatte, war er noch kurz vor der Mordzeit mit dem Bus unterwegs. Die Wohnung des Opfers liegt zudem nur ein paar Blocks von der seiner Eltern entfernt.

Harwey schiebt den Bürostuhl nach hinten und setzt sich lautstark seinem Kollegen gegenüber.

»Hör mit dem Grübeln auf! Ist doch alles vollkommen klar.« Schmidt atmet hörbar aus und schiebt die Aussagenotizen der Anwohner zu Emsig hinüber. Sein Kopf beginnt sich vor lauter Enthusiasmus langsam wieder rötlich einzufärben. »Außerdem war er laut vieler Zeugenaussagen in der Mordnacht nicht das erste Mal in ihrer Wohnung. Vermutlich ist er absichtlich mit dem Bus gefahren, um sich Alibi zu verschaffen. Und wenn wir mal davon ausgehen, dass beide nicht zuvor bei einem Glas Wein gemütlich im Wohnzimmer zusammengesessen und geredet haben, sondern Mai mit dem Vorsatz sie zu töten in ihre Wohnung gestürmt kam und sie dann unverzüglich getötet hat, passt alles perfekt ins Bild!«

»Und was ist mit dem Strauß Blumen? Vielleicht hat sie ja einen Freund?«

»Laut der Hausordnung gelten feste Freunde als Untermieter und müssen gemeldet werden. Dem Hausverwalter ist aber nichts in der Richtung bekannt. Seiner Aussage nach sei sie vor etwas mehr als zwei Jahren in das Appartement gezogen und hätte wohl auch keine einzige Nacht außerhalb verbracht.«

Der Hausverwalter, Gerd Graf, ist ein älterer Herr, der im Erdgeschoss wohnt. Wenn es nichts zu tun gibt, hat er neben dem Fernsehschauen nur das Hobby, die Mieter vom Fenster oder dem Türgucker aus zu beobachten.

Der Blonde steht vom Stuhl auf und geht langsam im Büro hin und her.

»Dennoch«, setzt er an, »ist es möglich, dass Graf nicht alles mitbekommt hat. Den Mann auf dem anderen Foto will er schließlich noch nie gesehen haben.«

»Was aber nichts bedeuten muss. Es könnte auch ein altes Foto ihres Vaters sein.« Schmidts rotes Gesicht starrt in die Akte. »Meine Frau macht das auch. Ihr Vater ist jung verstorben, und deshalb hat sie ein Passfoto von ihm in ihre Nachttischschublade gelegt.«

»Wenn aber Mai der Täter ist«, beharrt Emsig, und seine braunen Augen beginnen zu leuchten. »Von wem stammt dann der Blumenstrauß? Und mit wem hat das Opfer gemeinsam getrunken?«

»Den kann sie schon Stunden zuvor erhalten haben. Vielleicht hat sie ihn sich selbst gekauft oder«, spinnt Schmidt den Tathergang weiter. »der Täter hat ihn ihr bereits am Nachmittag überreicht, in der Hoffnung, sie umstimmen zu können. Als das nicht funktioniert hat, ist er wohl ruhelos umhergelaufen – was auch erklären würde, dass keiner weiß, wo Mai den ganzen Tag über gewesen ist.« Er stellt die Ellbogen auf dem Tisch ab und faltet nachdenklich die Hände wie zum Gebet. Sein Kopf wippt auf und nieder und berührt dabei immer mal wieder seine Fingerrücken. Seine Augenbrauen heben sich, als er weiterspricht: »Und in dieser Zeit hat Mai vermutlich einen Racheplan ersonnen. Womöglich hat er sie noch nicht mal wirklich töten, sondern lediglich erschrecken wollen. Doch dann war alles aus dem Ruder gelaufen.«

»Du hast ja recht. Es ist alles ganz plausibel. Und die Muskelpakete an seinen Armen zeigen, dass er ein kräftiger Gegner wäre.«

»Außerdem sind sich viele der Jugendlichen in dem Alter nicht wirklich ihrer eigenen Kraft bewusst. Sie agieren manchmal aus der Wut heraus und merken erst danach, was sie angerichtet haben.«

»So was ähnliches hat sein Vater an dem Abend auch zu Protokoll gegeben – weshalb er die Inhaftierung seines Sohnes sogar für gutgeheißen hat.«

Es klopft an der geöffneten Tür. Theressia Collings kurz geschorener Kopf kommt hinter der Metalltür hervor. Wie üblich ist sie sehr gutgelaunt. Sie grinst über das ganze Gesicht, als gäbe es nichts Schlechtes auf der Welt. Mit ihren kurzen, roten Haaren, die modisch nach allen Seiten vom Kopf abstehen und den vielen Sommersprossen, hat sie überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem Rang, den sie begleitet. Sie gehört zur Diebstahlkommission und ist oft Undercover unterwegs.

»Was gibt es denn?«, tönt Harwey gelangweilt, ohne zu ihr aufzusehen.

»Mir ist gerade Frau Mai über den Weg gelaufen. Sie will ihren Sohn abholen.«

»Nur mit richterlicher Erlaubnis. Er ist unser Hauptverdächtiger!«

»Der noch nicht mal volljährig ist!«

»Das ist unser Fall! Halten Sie sich gefälligst da raus!«, presst Schmidt wütend zwischen den Lippen hervor. Im gleichen Moment betritt ein bürokratisch gekleideter Mann den Raum und legt ein amtliches Schreiben auf den Tisch. Hinter ihm erscheint die schmale Figur von Angelika Mai. Sie hat so gar nichts mehr von der verängstigten Frau von Samstagnacht. Zwar sieht man ihrem Gesicht an, dass sie kaum geschlafen hat, aber ansonsten wirkt sie, als wolle sie es notfalls mit der ganzen Welt aufnehmen. Sie gibt Colling wortlos die Hand.

»Und falls Sie Hilfe brauchen«, erklärt die Polizistin und führt dabei ihre linke Hand fürsorglich zur rechten. »Dann wenden sie sich vertrauensvoll an mich. Ich helfe ihnen gern. Wir Frauen müssen doch zusammenhalten!«

 

*

 

Thorsten hat sich bei seiner Heimkehr direkt in sein Zimmer geflüchtet. Auch die ganze Fahrt über nach Hause hat er kein Wort gesagt. Angelika Mai setzt sich an den Küchentisch und starrt die Zimmertür ihres Jungen an. Sie ist ja gegen den Wunsch ihres Mannes gewesen, dass Thorsten seine Zeit in Untersuchungshaft verbringen sollte. Daher hat sie sich auch direkt, als ihr Mann morgens zur Arbeit gefahren ist, mit einem Anwalt in Verbindung gesetzt.

Die letzten beiden Jahre waren hart für die Mutter gewesen. Irgendwie hat Thorsten seine Eltern immer mehr aus seinem Leben ausgeschlossen und keinen einzigen Kommentar mehr zu seinen Aktionen abgegeben. Er hat sich geweigert zu erzählen, wohin er geht und was er vorhat. Und je mehr sein Vater ihn bedrängt hat, umso verschlossener war er geworden. Angelika war schließlich nicht mehr an ihn herangekommen. Dazu kam, dass er auch mal in eine Schlägerei verwickelt war. Womöglich waren es sogar mehrere. Die Abschürfungen in seinem Gesicht, an seinen Armen und Händen deuteten darauf hin, aber nur bei einer war er von einer Streife aufgegriffen worden. Die Eltern des anderen Jugendlichen hatten zum Glück keine Anzeige erstattet.

»Ihr wollt mich einfach nicht verstehen!«, hatte Thorsten immer wieder gesagt, oder: »Du spionierst nur für Dad. Du willst doch gar nicht wirklich wissen, was in mir vorgeht!«

Dabei war es ihre innigste Sehnsucht.

Als Thorsten noch ein kleiner Junge war, war er so ganz anders gewesen. Sie waren eng miteinander verbunden. Er war ihr einziges Kind. Das absolute Wunschkind. Einfach alles hatte er mit ihr geteilt, und auch zu seinem Vater war das Verhältnis recht gut gewesen. Wenn man mal davon absieht, dass dieser als Montagearbeiter viel auf Reisen war und nicht so oft Zeit mit seiner Familie verbringen konnte.

Doch dann am neunten Juni 2006, zwei Monate vor Thorstens achtem Geburtstag, hatte der Junge einen schweren Fahrradunfall gehabt. Irgendwie war es ihm gelungen, den abgesperrten Hofbereich zu verlassen und auf die Straße hinauszufahren. Dort war er mit einem Auto kollidiert. Die Ärzte hatten nicht viel Hoffnung. Zwar waren die Verletzungen nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick ausgesehen hatte, aber dennoch war der Junge wochenlang im Koma gelegen - aus medizinisch unersichtlichem Grund. Ein halbes Jahr nach dem Unglück war Thorsten wieder ganz gesund. Aber er war irgendwie vollkommen verändert. Gut, vielleicht war ein Grund dafür, weil er ständig rebellierte, dass sie – aufgeschreckt durch diesen Unfall – ihn viel mehr kontrollierten und ständig beobachteten.

»Ich wollte nicht, dass er nochmal verunglückt und ich meinen kleinen Jungen dann womöglich tatsächlich verliere.« Angelika stützt ihren Kopf in die Hände. Langsam fließt ein Meer von Tränen aus ihren Augen und tropft auf den Tisch. Noch nie hat sie sich so allein gelassen und hilflos gefühlt wie in diesem Moment.

 

*

 

Noch immer sitzt Thorsten auf seinem Bett. Es tut ihm gut, die bekannten Gerüche in seiner Nase zu spüren und die fremden Geräusche aus der Inhaftierung nicht mehr hören zu müssen. Die zwei Nächte waren ihm wie Wochen vorgekommen. Und all das nur, weil sein Vater immer alles unter Kontrolle haben musste. Zuerst kam die Bestrafung, wenn er nicht tat, was sein Vater wollte und erst danach die Fragen nach dem Warum. - Egal, ob er daran schuld war oder nicht!

Aber daran hat sich der junge Mann irgendwie schon gewöhnt. Er greift nach seinem Telefon, das in der Schublade vom Nachttisch liegt, und wählt Maries Nummer.

Nur kurz ihre Stimme hören, dann geht es mir wieder besser!, denkt er, doch da donnern wieder die Bilder von Samstagnacht in seinen Kopf ein. Das Smartphone fällt ihm aus der Hand, und während der Anrufbeantworter auf der anderen Seite anspringt und die Worte aus seinem Lautsprecher tönen, wird Thorsten schlagartig klar, dass er niemals wieder mit ihr sprechen kann.

 

*

 

Theressia Colling beobachtet das emsige Gehen und Kommen in der Mordkommission neugierig.

---ENDE DER LESEPROBE---