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- Wilhelm Tell-Comic zur Vorentlastung und Einführung - Klassischer Originaltext mit erläuternden Fußnoten - Anhang zu Friedrich Schiller – Leben und Werk
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Seitenzahl: 167
Friedrich Schiller
1. Auflage 1 Version 1 | 2020
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags.
© Ernst Klett Sprachen GmbH, Rotebühlstraße 77, 70178 Stuttgart 2015.
Alle Rechte vorbehalten.
Internetadresse: www.klett-sprachen.de
Reihenkonzept: Sebastian Weber
Comic-Strips: Pixelcloud GmbH & Co. KG, Ludwigsburg
Konzeption: Lena Fritschle
Illustration: Marcel Durer
Projektleitung: Jonas Kirchner
Annotationen und Anhang: Sylvia Klötzer, Berlin
Redaktion: Sylvia Klötzer, Berlin
Layoutkonzeption: Sandra Vrabec
Satz: Satzkasten, Stuttgart
Umschlaggestaltung: Sandra Vrabec
Titelbild: BigStockphoto.com (Candyman), New York
eISBN 978-3-12-909058-9
Vorwort
Comic: Wilhelm Tell – Der treffsichere Klassiker
Originaltext: Wilhelm Tell
Erster Aufzug
Zweiter Aufzug
Dritter Aufzug
Vierter Aufzug
Fünfter Aufzug
Anhang:
Friedrich Schiller – Daten zu Leben und Werk
„Lupen“-Texte
Comic: Ein Stoff und zwei berühmte Dichter
Klassiker trifft Comic …
Klassiker bleiben Klassiker: Sie werden in der Schule gelesen, aber ihre Lektüre stößt nicht immer auf große Begeisterung im Unterricht. Klassiker sind aber auch Klassiker, weil die Themen, die sie aufgreifen, im wahrsten Sinne des Wortes „klassisch“, also auch heute noch aktuell sind: Denn sie können uns noch immer ansprechen und berühren, … wenn sie erst mal gelesen sind!
Mit diesem Buch fällt’s leichter, denn der Comic-Teil zum Einstieg zeigt dir mit Witz und Humor, worum es überhaupt geht:
Warum muss Wilhelm Tell dem eigenen Sohn einen Apfel vom Kopf schießen? Wer zwingt ihn dazu? Aus welchem Grund? Welche eingeschworene Gemeinschaft trifft sich da nachts heimlich auf dem Rütli? Und welches Drama spielt sich in der Hohlen Gasse ab?
Entscheide in den heiklen Handlungsmomenten selbst, wie es weitergehen wird… Du wirst dich wundern!
Nachdem du weißt, worum es geht, ist das Lesen des Originaltexts gleich viel leichter. Wo’s schwierig wird, gibt es außerdem zusätzliche (Wort-)Erklärungen, die dir helfen.
Und zum Schluss findest du wichtige Informationen zu Schillers Leben und Werk. Die kurzen Lupen-Texte greifen interessante Details auf. Und natürlich darf zum Ausklang zu Schillers schillerndem Leben ein kurzer Comic-Strip nicht fehlen.
Probiere es aus: WILHELM TELL – ganz anders als du denkst!
Friedrich Schiller
Wilhelm Tell
Schauspiel
Zum Neujahrsgeschenk auf 1805
Personen:
HERRMANN GESSLER, Reichsvogt in Schwyz und Uri
WERNER, FREIHERR VON ATTINGHAUSEN, Bannerherr
ULRICH VON RUDENZ, sein Neffe
Landleute aus Schwyz:
WERNER STAUFFACHER
KONRAD HUNN
ITEL REDING
HANS AUF DER MAUER
JÖRG IM HOFE
ULRICH DER SCHMIED
JOST VON WEILER
Landleute aus Uri:
WALTHER FÜRST
WILHELM TELL
RÖSSELMANN, der Pfarrer
PETERMANN, der Sigrist
KUONI, der Hirte
WERNI, der Jäger
RUODI, der Fischer
Landleute aus Unterwalden:
ARNOLD VOM MELCHTHAL
KONRAD BAUMGARTEN
MEIER VON SARNEN
STRUTH VON WINKELRIED
KLAUS VON DER FLÜE
BURKHARDT AM BÜHEL
ARNOLD VON SEWA
PFEIFFER von Luzern
KUNZ VON GERSAU
JENNI, Fischerknabe
SEPPI, Hirtenknabe
GERTRUD, Stauffachers Gattin
HEDWIG, Tells Gattin, Fürsts Tochter
BERTHA VON BRUNECK, eine reiche Erbin
Bäuerinnen:
ARMGARD
MECHTHILD
ELSBETH
HILDEGARD
Tells Knaben:
WALTHER
WILHELM
Söldner:
FRIESSHARDT
LEUTHOLD
RUDOLF DER HARRAS, Gesslers Stallmeister
JOHANNES PARRICIDA, Herzog von Schwaben
STÜSSI, der Flurschütz
DER STIER VON URI
EIN REICHSBOTE
FRONVOGT
MEISTER STEINMETZ, GESELLEN UND HANDLANGER
ÖFFENTLICHE AUSRUFER
BARMHERZIGE BRÜDER
GESSLERISCHE UND LANDENBERGISCHE REITER
VIELE LANDLEUTE, MÄNNER UND WEIBER AUS DEN WALDSTÄTTEN
Reichsvogt Ranghöchster Verwalter im Auftrag des Königs; hat Richterfunktion
Schwyz, Uri Schweizer Kantone
Bannerherr Adeliger, der das Recht hat, die Kriegsfahne (das Banner) zu führen
Sigrist Küster; Kirchenangestellter
Unterwalden Schweizer Kanton
Flurschütz ein Knecht, der die Felder bewachen muss
Fronvogt Beamter, der die Fron (die abzuleistenden Dienste) überwacht
Waldstätte (sg: die Waldstatt) Kantone (hier: Schwyz, Uri, Unterwalden)
Hohes Felsenufer des Vierwaldstättensees, Schwyz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Über den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur Rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Herdenglocken, welches sich auch bei eröffneter Szene noch eine Zeitlang fortsetzt.
FISCHERKNABE(singt im Kahn. Melodie des Kuhreihens):
Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er ein Klingen,
Wie Flöten so süß,
Wie Stimmen der Engel
Im Paradies.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spülen die Wasser ihm um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen:
Lieb Knabe, bist mein!
Ich locke den Schläfer,
Ich zieh ihn herein.
HIRTE(auf dem Berge. Variation des Kuhreihens):
Ihr Matten lebt wohl!
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muss scheiden,
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kuckuck ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen Mai.
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muss scheiden
Der Sommer ist hin.
ALPENJÄGER(erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen. Zweite Variation):
Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,
Er schreitet verwegen
Auf Feldern von Eis,
Da pranget kein Frühling,
Da grünet kein Reis;
Und unter den Füßen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
Durch den Riss nur der Wolken
Erblickt er die Welt,
Tief unter den Wassern
Das grünende Feld.
Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend.
Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte. Werni der Jäger steigt vom Felsen. Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melknapf auf der Schulter. Seppi, sein Handbube, folgt ihm.
RUODI: Mach hurtig, Jenni. Zieh die Naue ein.
Der graue Talvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,
Der Mythenstein zieht seine Haube an,
Und kalt her bläst es aus dem Wetterloch,
Der Sturm, ich mein, wird da sein, eh wir’s denken.
KUONI: ’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schafe fressen Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.
WERNI: Die Fische springen, und das Wasserhuhn Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.
KUONI(zum Buben):
Lug, Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.
SEPPI: Die braune Lisel kenn ich am Geläut.
KUONI: So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.
RUODI: Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.
WERNI:
Und schmuckes Vieh – Ist’s Euer eignes, Landsmann?
KUONI: Bin nit so reich – ’s ist meines gnäd’gen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.
RUODI: Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht.
KUONI: Das weiß sie auch, dass sie den Reihen führt,
Und nähm ich ihr’s, sie hörte auf zu fressen.
RUODI: Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft’ges Vieh –
WERNI: Ist bald gesagt. Das Tier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
’ne Vorhut aus, die spitzt das Ohr und warnet
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.
RUODI(zum Hirten): Treibt Ihr jetzt heim?
KUONI: Die Alp ist abgeweidet.
WERNI: Glücksel’ge Heimkehr, Senn!
KUONI: Die wünsch ich Euch,
Von Eurer Fahrt kehrt sich’s nicht immer wieder.
RUODI: Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.
WERNI: Ich kenn ihn, ’s ist der Baumgart von Alzellen.
Konrad Baumgarten atemlos hereinstürzend.
BAUMGARTEN: Um Gottes willen, Fährmann, Euren Kahn!
RUODI: Nun, nun, was gibt’s so eilig?
BAUMGARTEN: Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Setzt mich über!
KUONI: Landsmann, was habt Ihr?
WERNI: Wer verfolgt Euch denn?
BAUMGARTEN(zum Fischer):
Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.
RUODI: Warum verfolgen Euch die Reisigen?
BAUMGARTEN:
Erst rettet mich, und dann steh ich Euch Rede.
WERNI: Ihr seid mit Blut befleckt, was hat’s gegeben?
BAUMGARTEN: Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg saß –
KUONI: Der Wolfenschießen? Lässt Euch der verfolgen?
BAUMGARTEN:
Der schadet nicht mehr, ich hab ihn erschlagen.
ALLE(fahren zurück):
Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr getan?
BAUMGARTEN: Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht hab ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr’ und meines Weibes.
KUONI: Hat Euch der Burgvogt an der Ehr’ geschädigt?
BAUMGARTEN: Dass er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.
WERNI: Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?
KUONI: O, lasst uns alles hören, Ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer losgebunden.
BAUMGARTEN: Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt
Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
»Der Burgvogt lieg’ in meinem Haus, er hab’
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.
Drauf hab’ er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sei entsprungen, mich zu suchen.«
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab ich ihm ’s Bad gesegnet.
WERNI:
Ihr tatet wohl, kein Mensch kann Euch drum schelten.
KUONI: Der Wüterich! Der hat nun seinen Lohn!
Hat’s lang verdient ums Volk von Unterwalden.
BAUMGARTEN:
Die Tat ward ruchbar, mir wird nachgesetzt
Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –
(Es fängt an zu donnern.)
KUONI:
Frisch, Fährmann – schaff den Biedermann hinüber.
RUODI: Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müsst warten.
BAUMGARTEN: Heil’ger Gott!
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tötet –
KUONI(zum Fischer):
Greif an mit Gott, dem Nächsten muss man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.
(Brausen und Donnern.)
RUODI: Der Föhn ist los, Ihr seht, wie hoch der See geht,
Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.
BAUMGARTEN(umfasst seine Knie):
So helf Euch Gott, wie Ihr Euch mein erbarmet –
WERNI: Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.
KUONI: ’s ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!
(Wiederholte Donnerschläge.)
RUODI: Was? Ich hab auch ein Leben zu verlieren,
Hab Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin,
Wie’s brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,
Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.
– Ich wollte gern den Biedermann erretten,
Doch es ist rein unmöglich, Ihr seht selbst.
BAUMGARTEN(noch auf den Knien):
So muss ich fallen in des Feindes Hand,
Das nahe Rettungsufer im Gesichte!
– Dort liegt’s! Ich kann’s erreichen mit den Augen,
Hinüberdringen kann der Stimme Schall,
Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,
Und muss hier liegen, hülflos, und verzagen!
KUONI: Seht, wer da kommt!
WERNI: Es ist der Tell aus Bürglen.
Tell mit der Armbrust.
TELL: Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?
KUONI: ’s ist ein Alzeller Mann, er hat sei’ Eh’
Verteidigt, und den Wolfenschieß erschlagen,
Des Königs Burgvogt, der auf Roßberg saß –
Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen,
Er fleht den Schiffer um die Überfahrt,
Der fürcht’t sich vor dem Sturm und will nicht fahren.
RUODI: Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,
Der soll mir’s zeugen, ob die Fahrt zu wagen.
TELL: Wo’s not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen.
(Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf.)
RUODI: Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?
Das täte keiner, der bei Sinnen ist.
TELL: Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt,
Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.
RUODI: Vom sichern Port lässt sich’s gemächlich raten,
Da ist der Kahn und dort der See! Versucht’s!
TELL: Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,
Versuch es, Fährmann!
HIRTEN UND JÄGER: Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!
RUODI: Und wär’s mein Bruder und mein leiblich Kind,
Es kann nicht sein, ’s ist heut Simons und Judä,
Da rast der See und will sein Opfer haben.
TELL: Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,
Die Stunde dringt, dem Mann muss Hülfe werden.
Sprich, Fährmann, willst du fahren?
RUODI: Nein, nicht ich!
TELL: In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn,
Ich will’s mit meiner schwachen Kraft versuchen.
KUONI: Ha, wackrer Tell!
WERNI: Das gleicht dem Weidgesellen!
BAUMGARTEN: Mein Retter seid Ihr und mein Engel, Tell!
TELL: Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich Euch,
Aus Sturmes Nöten muss ein andrer helfen.
Doch besser ist’s, Ihr fallt in Gottes Hand,
Als in der Menschen!
(Zu dem Hirten.)
Landsmann, tröstet Ihr
Mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet,
Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte.
(Er springt in den Kahn.)
KUONI(zum Fischer):
Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich
Der Tell getraut, das konntet Ihr nicht wagen?
RUODI: Wohl bessre Männer tun’s dem Tell nicht nach,
Es gibt nicht zwei, wie der ist, im Gebirge.
WERNI(ist auf den Fels gestiegen):
Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer!
Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!
KUONI(am Ufer):
Die Flut geht drüber weg – Ich seh’s nicht mehr.
Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich
Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.
SEPPI: Des Landvogts Reiter kommen angesprengt.
KUONI: Weiß Gott, sie sind’s! Das war Hülf in der Not.
Ein Trupp Landenbergischer Reiter.
ERSTER REITER:
Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.
ZWEITER: Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.
KUONI UND RUODI: Wen meint ihr, Reiter?
ERSTER REITER(entdeckt den Nachen):
Ha, was seh ich! Teufel!
WERNI(oben):
Ist’s der im Nachen, den ihr sucht? – Reit’ zu,
Wenn ihr frisch beilegt, holt ihr ihn noch ein.
ZWEITER: Verwünscht! Er ist entwischt.
ERSTER(zum Hirten und Fischer):
Ihr habt ihm fortgeholfen,
Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Herde!
Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder!
(Eilen fort.)
SEPPI(stürzt nach): O meine Lämmer!
KUONI(folgt): Weh mir! Meine Herde!
WERNI: Die Wüt’riche!
RUODI(ringt die Hände): Gerechtigkeit des Himmels,
Wann wird der Retter kommen diesem Lande?
(Folgt ihnen.)
Vierwaldstättensee verbindet die vier Waldstätte (Kantone) in der Zentralschweiz: Uri, Schwyz, Unterwalden sowie Luzern
Matten Wiesen, Weiden
Haken Name eines Berges
der Kuhreihen Singsang und/oder melodisches Rufen, um die Kühe zusammenzutreiben
der Senne der Alphirte
der Nauen Kahn; pl. Naue
der graue Talvogt Wolkenformation: Anzeichen für Regenwetter
lugen (nach)schauen
von Alzellen aus dem Ort Alzellen (Altzellen) in Unterwalden
der Landvogt oberster Verwalter eines Landkreises; hier: des Kantons Unterwalden
die Reisigen berittene Soldaten
der Burgvogt niederer Verwalter (hier heißt er Wolfenschießen), eingesetzt vom Landvogt des Kantons (hier heißt er Landenberg). Seine Residenz ist die Burg Roßberg
Biedermann ehrenwerter Mann
Bürglen Ort in Uri
Alzellen Altzellen in Unterwalden
eitel vergeblich, sinnlos
Weidgeselle Jäger
der Nachen kleines, offenes Wasserfahrzeug ohne Mast
Zu Steinen in Schwyz. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstraße, nächst der Brücke.
Werner Stauffacher, Pfeiffer von Luzern kommen im Gespräch.
PFEIFFER: Ja, ja, Herr Stauffacher, wie ich Euch sagte.
Schwört nicht zu Östreich, wenn Ihr’s könnt vermeiden.
Haltet fest am Reich und wacker wie bisher,
Gott schirme Euch bei Eurer alten Freiheit!
(Drückt ihm herzlich die Hand und will gehen.)
STAUFFACHER:
Bleibt doch, bis meine Wirtin kommt – Ihr seid
Mein Gast zu Schwyz, ich in Luzern der Eure.
PFEIFFER: Viel Dank! Muss heute Gersau noch erreichen.
– Was ihr auch Schweres mögt zu leiden haben
Von eurer Vögte Geiz und Übermut,
Tragt’s in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,
Ein andrer Kaiser kann ans Reich gelangen.
Seid ihr erst Österreichs, seid ihr’s auf immer.
Er geht ab. Stauffacher setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet.
GERTRUD:
So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.
Schon viele Tage seh ich’s schweigend an,
Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furcht.
Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,
Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,
Und meine Hälfte fodr’ ich deines Grams.
(Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.)
Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.
Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glücksstand blüht,
Voll sind die Scheunen, und der Rinder Scharen,
Der glatten Pferde wohlgenährte Zucht
Ist von den Bergen glücklich heimgebracht
Zur Winterung in den bequemen Ställen.
– Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz,
Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert
Und nach dem Richtmaß ordentlich gefügt,
Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,
Mit bunten Wappenschildern ist’s bemalt,
Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann
Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.
STAUFFACHER:
Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,
Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.
GERTRUD: Mein Werner, sage, wie verstehst du das?
STAUFFACHER: Vor dieser Linde saß ich jüngst wie heut,
Das schön Vollbrachte freudig überdenkend,
Da kam daher von Küßnacht, seiner Burg,
Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.
Vor diesem Hause hielt er wundernd an,
Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig,
Wie sich’s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,
Der uns des Kaisers richterliche Macht
Vorstellt im Lande. Wessen ist dies Haus?
Fragt’ er bösmeinend, denn er wusst es wohl.
Doch schnell besonnen ich entgegn’ ihm so:
»Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,
Und Eures und mein Lehen« – da versetzt er:
»Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt
Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue
Auf seine eigne Hand, und also frei
Hinleb’, als ob er Herr wär in dem Lande,
Ich werd mich unterstehn, Euch das zu wehren.«
Dies sagend ritt er trutziglich von dannen,
Ich aber blieb mit kummervoller Seele,
Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.
GERTRUD: Mein lieber Herr und Ehewirt! Magst du
Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?
Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich,
Des vielerfahrnen Manns. Wir Schwestern saßen,
Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,
Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter
Versammelten, die Pergamente lasenDer alten Kaiser, und des Landes Wohl
Bedachten in vernünftigem Gespräch.
Aufmerkend hört ich da manch kluges Wort,
Was der Verständ’ge denkt, der Gute wünscht,
Und still im Herzen hab ich mir’s bewahrt.
So höre denn und acht auf meine Rede,
Denn was dich presste, sieh, das wusst ich längst.
– Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden,
Denn du bist ihm ein Hindernis, dass sich
Der Schwyzer nicht dem neuen Fürstenhaus
Will unterwerfen, sondern treu und fest
Beim Reich beharren, wie die würdigen
Altvordern es gehalten und getan. –
Ist’s nicht so, Werner? Sag es, wenn ich lüge!
STAUFFACHER: So ist’s, das ist des Gesslers Groll auf mich.
GERTRUD: Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,
Ein freier Mann auf deinem eignen Erb’,
– Denn er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich
Trägst du dies Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,
So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,
Denn über dir erkennst du keinen Herrn
Als nur den Höchsten in der Christenheit –
Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,
Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,
Drum sieht er jedes Biedermannes Glück
Mit scheelen Augen gift’ger Missgunst an,
Dir hat er längst den Untergang geschworen –
Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,
Bis er die böse Lust an dir gebüßt?
Der kluge Mann baut vor.
STAUFFACHER: Was ist zu tun!
GERTRUD(tritt näher):
So höre meinen Rat! Du weißt, wie hier
Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen
Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei.
So zweifle nicht, dass sie dort drüben auch
In Unterwalden und im Urner Land
Des Dranges müd sind und des harten Jochs –
Denn wie der Gessler hier, so schafft es frech
Der Landenberger drüben überm See –