Schleichende Sucht  Das Spiel am Roulettisch - Bernhard Bös - E-Book

Schleichende Sucht Das Spiel am Roulettisch E-Book

Bernhard Bös

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Beschreibung

Jürgen und Manfred kennen sich seit frühester Kindheit. Zusammen fahren sie regelmäßig seit ihrem 21. Geburtstag ins Casino. Zuerst setzen sie noch auf einfache Chancen, spielen relativ vernünftig, werden mit der Zeit aber immer wagemutiger, bis Manfred einen großen Gewinn von 50.000 Euro einfährt. Doch was die beiden nicht merken, ist, dass sie spielsüchtig geworden sind. Es ist nicht der große Gewinn, der sie immer wieder zu der rollenden Roulettekugel führt, sondern das Gewinnen an sich. Mit jedem Gewinn stellt sich ein Glücksgefühl ein, nach dem sie schon süchtig sind. Eine schleichende Sucht, die in einem Banküberfall gipfelt.

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Seitenzahl: 288

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Ich hörte Polizeisirenen näher kommen, bis sie schließlich verstummten. Was hatten wir bloß für eine riesen Dummheit gemacht. Jetzt war es zu spät. Wir – mein Freund Manfred und ich – befanden uns in einer kleinen Bankfiliale, die wir gerade im Begriff waren auszurauben.

Dr. Pfeiffer, leitender Polizeipsychologe, hatte Kontakt übers Telefon zu uns aufgenommen, er wollte uns zur Aufgabe des Verbrechens bewegen. Mit fast väterlichem Ton hielt er uns vor Augen, was wir angerichtet hatten. Auch versprach er bei Aufgabe, würden wir in seiner Begleitung zum Polizeipräsidium gefahren werden und das Gericht würde dies zudem im Strafmaß berücksichtigen.

Eine Zeit lang schwankte ich zwischen Aufgeben und Weitermachen. Sollte ich aufgeben? Lasse ich meinen Freund Manfred, der auf jeden Fall nicht kapitulieren wollte, im Stich?

Ich schaute mich in der Bank um. Die Bankangestellten saßen zusammen mit den beiden Kunden, die sich noch im Geldinstitut befunden hatten, auf der Besuchercouch. Manfred hielt eine Pistole in der Hand und hatte sie auf die verängstigten Geiseln gerichtet. Er schien zu überlegen, wie er unbehelligt aus dem Geldinstitut herauskäme. In seiner anderen Hand befand sich der Rucksack, prall gefüllt mit etlichen Hunderterscheinen, die ihm kurz zuvor vom Filialleiter ausgehändigt worden waren. Schweißperlen liefen ihm über das Gesicht. Er wischte sie sich mit seinem Ärmel ab und sein Blick wanderte zu mir.

Vor drei Jahren

Die Lust am Spiel, die Hoffnung auf schnelles Geld, davon träumten wir. Wir spürten die Angst, aber auch den süßen Geschmack des Gewinnens. Unser Leitspruch war: »Mit acht Stunden Arbeit am Tag, damit lässt sich kein Geld verdienen.« Dabei schauten wir uns an, mein Freund Manfred Herzig und ich, Jürgen Müller, und lächelten spitzbübisch.

Unsere Berufsausbildung hatten wir beide abgeschlossen, ich als Maler, Manfred als Autoschlosser. Wir waren seit frühester Kindheit gute Freunde und gemeinsam in eine Klasse gegangen.

Am Wochenende verbrachten wir unsere Freizeit meistens im Casino – wenn wir Geld hatten.

Es war Samstagabend, wieder einmal waren wir auf dem Weg mit Manfreds altem WV Golf ins hundert Kilometer entfernte Casino. Ausgemacht hatten wir, ohne großes Risiko zu spielen, aber mit einem kleinen Gewinn wollten wir doch nach Hause kommen. Jeder hatte 1.000 Euro in der Tasche.

Nach einer Stunde Fahrzeit waren wir am Ziel. Das Casino musste schon um diese Zeit gut besucht sein, denn ein Parkplatz war nicht so leicht zu finden. Plötzlich fuhr genau vor uns ein Audi aus seinem Parkplatz. Was für ein Glück. Wir parkten den alten Golf direkt neben dem Eingang des Casinos. Das fing ja gut an. Nachdem wir uns am Einlass ausgewiesen hatten, betraten wir den abgedunkelten Spielsaal.

Außergewöhnliche Atmosphäre herrschte hier, nur die Spieltische waren in helles Licht getaucht. Wir fühlten die knisternde Spannung an den Roulettetischen, nur das Rollen der Kugel im Kessel war zu hören. Vereinzelt ein leiser Aufschrei der Glücklichen, die gewonnen hatten. Aber auch Seufzer der Gäste war zu vernehmen, die ihren Einsatz wieder einmal verloren hatten. Nachdem wir uns einen Überblick verschafft hatten, fingen Manfred und ich an zu spielen.

Am Anfang spielten wir ausgeglichen auf Rot oder Schwarz mit 20 Euro pro Spiel. Das erste ging verloren, es kam Schwarz. Noch einmal setzten wir einen Zwanziger-Jeton auf Rot. Manfred und ich starrten gebannt der Kugel nach, wie sie sich im Kessel Runde für Runde drehte. Dieses Mal hatten wir Glück, die Kugel blieb in einem roten Fach liegen, wir bekamen unser verlorenes Geld zurück. »Na also, es geht doch«, frohlockte Manfred.

Wir hatten uns vor Spielbeginn ausgemacht, dass jeder das Gleiche setzte. Mit der Zeit jedoch waren die Gewinne für uns zu gering. Manfred machte den Vorschlag, doch mit größeren Jetons zu spielen. Als ich Zweifel anmeldete, sagte Manfred: »Stell dich nicht so an, ich habe das Gefühl, heute werden wir mit einem größeren Gewinn nach Hause fahren.«

»Bis jetzt ist es doch ganz gut gelaufen«, argumentierte ich. »120 Euro habe ich gewonnen, du musst mindestens 200 Euro kassiert haben. Das ist doch gut.«

»Das ist mir nicht genug«, kam die Antwort, dabei erhöhte er den Einsatz auf 50 Euro je Spiel.

Ich ließ mich ebenfalls darauf ein und setzte die größeren Jetons. Das war ein Fehler. Der höhere Einsatz machte uns, vor allem mich, nervös. Im Handumdrehen war unser Gewinn wieder verloren. Wir machten immer wieder die gleichen Fehler. In einer gewissen Panik wechselten wir die Spieltische, was wiederum ein Fehler war, anstatt sich auf einen Tisch zu konzentrieren. Manfred und ich verloren die Übersicht, wie schon so oft. Nach nicht einmal zwei Stunden hatten wir alles verspielt. Dabei waren wir eine Zeit lang im Vorteil gewesen und hatten eine bescheidene Summe gewonnen. Die guten Vorsätze, mit denen wir ins Casino gefahren waren, waren längst vergessen, untergegangen im Spielfieber.

Schlecht gelaunt über unser Versagen verließen wir das Casino. Bis zum Auto sprachen wir kein Wort miteinander, jeder hatte mit sich zu kämpfen. Am Wagen gab mir Manfred die Autoschlüssel, ich sollte nach Hause fahren. Manfreds Selbstvorwürfe nahmen kein Ende. Mit seiner Handfläche schlug er gegen seinen Kopf. »Ich Idiot, warum habe ich denn nicht aufgehört? Für 200 Euro muss ich in der Firma drei Tage arbeiten, warum?«

Auch für mich waren 1.000 Euro viel Geld, noch größer war jedoch die Enttäuschung, wieder einmal versagt zu haben.

Bei einer Flasche Bier bei Manfred zu Hause überlegten wir, wie es weitergehen sollte. Ich machte den Vorschlag, das Roulettespielen aufzugeben. Damit hatte ich bei Manfred einen wunden Punkt getroffen. »Aber es geht doch. Wir müssen einfach versuchen, uns gegenseitig zu unterstützen, uns auch davon abzuhalten, weiterzuspielen, wenn nur eine geringe Summe gewonnen wurde«, versuchte mich Manfred zu überzeugen.

»Du hast ja am Anfang immer Glück. Wenn ich dir zuschaue, hast du meistens in der ersten Stunde einen Überschuss gewonnen von etwa 100 bis 200 Euro, das müsste doch reichen?«

»Sicher reicht das«, antwortete Manfred zerknirscht, »denn an der Arbeit muss dafür viel geleistet werden. Auch wenn der Aufenthalt im Casino nur eine Stunde dauert, trinken wir lieber etwas an der Bar.«

Und damit hatte mich Manfred wieder überzeugt. Sicher konnte es so funktionieren. Wenn wir aufeinander aufpassten und uns bremsten, würden wir mit etwas Gewinn nach Hause gehen können. Unsere Taktik für den nächsten Casinobesuch stand fest. Und es stimmte, von fünf Casinobesuchen lag ich bei vier Besuchen immer mit einem Gewinn vorne. »Diesen Monat wird es aber nichts mehr geben, mein Geld ist alle, außerdem ist auch mein Konto überzogen«, sagte ich zu Manfred.

Er nickte und trank noch einen Schluck aus seiner Flasche Bier.

Bis zum Ende des Monats gingen wir am Wochenende nur in die Disco, werktags blieb ich zu Hause. Meine Mutter Irene merkte, dass irgendetwas nicht stimmte. »Ihr wart wieder mal im Casino gewesen, dabei habt ihr wieder alles verzockt«, sagte sie eines Abends.

Ich bekam einen roten Kopf und nickte nur.

»Hört doch auf«, sagte mein Vater, »du bringst dein sauer verdientes Geld ins Casino. Dort wird auf die Dauer nicht gewonnen. Oder glaubst du, die Casinos bestehen schon über 200 Jahre, weil sie Verluste machen?«

Ich hasste diesen Vortrag, denn dieser würde wieder damit enden, wann ich mir endlich ein Mädchen suchte, denn dann käme ich vom Spielen los. »Das wird auch noch kommen«, erwiderte ich darauf meist und sah zu, dass ich in mein Zimmer kam.

Je näher wir uns dem Monatsende näherten – und damit unserem Gehaltsscheck –, umso mehr schwärmte Manfred vom Casino. »Wir müssen so spielen, wie wir uns das ausgedacht haben«, betonte er dabei immer wieder. »Außerdem nehmen wir uns nur 500 Euro mit. Letzten Monat, das war auch für mich zu viel.«

Ob das Manfred einhalten würde, das würden wir ja sehen, ich sagte aber nichts dazu.

Am ersten Freitag des neuen Monats fuhren wir ins Casino. Gebetsmühlenartig wiederholte Manfred die Taktik, wie wir dieses Mal spielen sollten. Und sie ging an diesem Abend auf, wir gewannen eine bescheidene Summe. Auch die nächsten zehn Besuche im Casino waren ein Erfolg. Obwohl ich bei Manfred manchmal den Eindruck hatte, dass er am liebsten weiterspielen würde, hielt er sich an unsere Abmachung. In den zehn Abenden kamen fast für jeden 2.000 Euro zusammen. Dass wir uns so zusammennehmen konnten, machte uns richtig stolz. Manfred war selig, wenn wir das Casino mit Gewinn verlassen konnten. Auch die Abmachung, nur 500 Euro mit ins Casino zu nehmen, wurde eingehalten.

An einem Wochenende, wir waren wieder im Casino, merkte ich, dass Manfred sehr nervös war. Es lief nicht so richtig, wie in den letzten Wochen. Wir machten keinen Gewinn. Ich hatte bald meine 500 Euro verspielt und dachte, auch Manfred hätte kein Geld mehr. Doch er spielte weiter, verlor und gewann, kam aber nicht in die Gewinnzone. Zum Schluss hatte er seinen ganzen Gewinn aus den letzten Abenden verspielt, obwohl wir ausgemacht hatten, nur 500 Euro mitzunehmen. Er hatte unsere Abmachung gebrochen, denn er hatte ohne mein Wissen seinen ganzen Gewinn der letzten Wochen eingesteckt. Ich war sauer und stellte ihn noch auf der Heimfahrt zur Rede. Da rastete er komplett aus. »So ein Mist«, fluchte er vor sich hin. »So ein verdammter Mist.«

Auch ich schaute missmutig, die Stimmung war im Keller. Manfred fluchte und schimpfte vor sich hin und dann platzte es aus ihm heraus: »Wir könnten ja einmal versuchen, eine Bank zu überfallen.«

Ich schwieg, schaute ihn verdutzt an. »Meinst du das im Ernst oder machst du Spaß?«, wollte ich von ihm wissen, doch Manfred sagte kein Wort mehr. Und auch ich hatte keine Lust mehr, mich weiter zu unterhalten. Manfred war ganz in den Gedanken versunken, wie er schnell an viel Geld käme.

Die Wochen vergingen, es passierte nichts Außergewöhnliches. Ich tat seinen Ausbruch im Auto als Schnapsidee ab. Das konnte er ja nicht ernst gemeint haben, eine Bank zu überfallen. Auch er verlor kein Wort mehr darüber. Wenn wir Geld hatten, gingen wir ins Casino und gewannen ab und zu kleinere Beträge, aber das große Geld blieb aus. Die Bilanz jedoch verlief negativ.

An Sonntagnachmittagen fuhren wir manchmal ziellos durch die Gegend. In einem Dorf in der Rhön fiel Manfred eine Sparkasse ins Auge, die verkehrsgünstig an der Durchgangsstraße lag. Er stieß mich in die Seite: »Die ist doch wie geschaffen für einen Überfall.«

Ich zuckte nur mit den Schultern und sagte kein Wort. Es war mir anzusehen, dass mir dieser Vorschlag nicht geheuer war. Ich war froh, als wir wieder zu Hause waren.

Lustlos ging es in die neue Arbeitswoche. Manfred ließ der Gedanke nicht los, noch einmal an der Bank vorbeizufahren. Wir verabredeten uns nach Feierabend und er fuhr in das kleine Örtchen. »Was willst du hier«, fragte ich. »Das mit der Sparkasse meinst du doch wohl nicht ernst?«

»Ich will doch nur mal schauen. So rein theoretisch, wie es wäre, wenn …«, antwortete Manfred.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Manfred es ernst meinte, wirklich eine Bank zu überfallen.

Er stellte das Auto am Ortseingang ab und wir gingen zu Fuß weiter. Wie ganz zufällig setzten wir uns auf eine Parkbank, von der aus das Gebäude gut einzusehen war. Es begann schon zu dämmern, als wir uns auf den Rückweg machten. Auf die Idee, dass sich jemand über zwei Ortsfremde, die über eine Stunde die Sparkasse beobachtet hatten, wunderte, kam keiner von uns. Auf dem Heimweg entwarf Manfred einen Plan, wie wir vorgehen könnten, alles rein theoretisch natürlich.

Wochen vergingen, das Thema »Banküberfall« erwähnte Manfred kein einziges Mal mehr. Doch wollte er nach wie vor durch Roulettespielen ans große Geld kommen. Ich aber auch, wenn ich ehrlich war. Wir kamen auf die Idee, einen Kredit aufzunehmen von je 5.000 Euro, um mit größeren Jetons spielen zu können, nicht immer mit kleinem Geld. Da unser Beschäftigungsverhältnis nach unserer Lehre in der jeweiligen Firma fortbestand, war es kein Problem, von der Sparkasse einen Kredit zu bekommen. Nach ein paar Unterschriften hatten wir innerhalb einer Woche das Geld auf unseren Konten.

Wie eigentlich immer vor dem Besuch der Spielbank, besprachen wir wieder unsere Taktik. Wir wollten auch heute übersichtlich spielen. Es war Samstag und wir fuhren entspannt mit 5.000 Euro in der Tasche ins Casino. Ausgemacht war, mit mindestens 500 Euro Gewinn nach Hause zu fahren.

Als wir im Casino ankamen, tauschten wir 2.000 Euro in 50er- bis 100er-Jetons, um auf einfache Chancen wie Rot oder Schwarz zu setzen. Am Anfang spielten wir sehr ausgeglichen, ohne Hektik. Nach etwa einer Stunde hatte Manfred 300 Euro plus und ich 1.200 Euro. Gut gelaunt lud ich meinen Freund zu einem Drink an der Bar ein. Von dort aus konnten wir den Spieltisch einsehen, an dem hoch gespielt wurde. Manfred starrte auf den Roulettetisch. Plötzlich stand er auf. Ohne etwas zu sagen, ging er zu dem Tisch und setzte mit je 100 Euro auf 27 – 1 – 1. Diese Ansage bedeutet, dass im Kessel die Zahlen 6 – 27 – 13 spielten. Der Croupier drehte die Kugel entgegen dem Lauf des Roulette-Kessels. Als die Kugel rollte, bildeten sich kleine Schweißperlen auf Manfreds Stirn. Langsam rollte die Kugel aus und drehte noch Runden am untersten Kranz des Roulette-Kessels, bis sie in die Zahl 6 fiel. Vor lauter Freude, dass er nun 3.500 Euro gewonnen hatte, waren alle seine Anspannungen gewichen. Nun fühlte sich Manfred stark und setzte mit je 100 Euro auf 6 – 1 – 1, das sind die Zahlen 34 – 6 – 27. Üblicherweise wurde nach jedem Gewinn ein Jeton des jeweiligen Einsatzes an den Croupier als Trinkgeld gereicht, wovon alle Gehälter der Angestellten der Spielbank bezahlt wurden. Da der Jeton auf der Gewinnzahl liegen blieb und zusätzlich noch 100 Euro dazugelegt wurde, belief sich der Einsatz auf der gewonnenen Zahl auf insgesamt 200 Euro. Während die Kugel im Kessel ihre Runden drehte, hielt Manfred noch einen 100-Euro-Jeton in der Hand, den er kurzentschlossen setzen wollte. In einem Moment, als der Croupier seine Absage machte: »Rien ne va plus – Nichts geht mehr«, setzte Manfred noch schnell den 100-Euro-Jeton. Trotz Absage wurde der Jeton vom Croupier nicht zurückgegeben, damit lagen auf der Zahl jetzt 300 Euro. Nachdem die Kugel ausgerollt war, fiel sie wieder in die 6, was bedeutete, dass Manfred 35 mal 300 Euro, also insgesamt 10.500 Euro gewonnen hatte.

Manfred war aus dem Häuschen und konnte sein Glück nicht begreifen, ich aber auch nicht. Nachdem meinem Freund der Gewinn ausbezahlt worden war, setzte er wie ein Hasardeur seine Jetons. Die Croupiers vergaß er dabei auch nicht. Die Zahl 6 wurde auf Maximum erhöht, das waren 500 Euro. Insgesamt machte er einen Einsatz von 2.600 Euro. Dabei spielte er A Cheval, je 200 Euro auf dreimal zwei Zahlen mit 600 Euro Einsatz, Carre, je 400 Euro auf zweimal vier Zahlen mit 800 Euro Einsatz, Transversale pleine, je 300 Euro auf einmal drei Zahlen mit 300 Euro Einsatz und Transversale simpel, je 200 Euro auf zweimal sechs Zahlen mit 400 Euro Einsatz.

Ich fragte mich, ob Manfred nun endgültig ganz verrückt geworden war, sagte aber nichts und ließ ihn einfach machen. Auch ich war wie gefangen von Manfreds Gewinn, von seinem Glück und glaubte ernsthaft, dass es dieses Mal klappen könnte. Abgesehen davon hätte Manfred in diesem Moment sowieso nicht auf mich gehört, wenn ich ihn an unsere Abmachung erinnert hätte.

Erneut wurde die Kugel geworfen und alle am Roulettetisch waren nur auf den Kessel sowie auf die Kugel fixiert. Es herrschte eine angespannte Stille, nur das Surren der rollenden Kugel war zu hören. Manfreds Kopf drehte sich ein wenig im Kreis, als ob er die Kugel fixieren wollte. Eine gefühlte Unendlichkeit drehte und drehte sich die Kugel, bis sie endlich fiel. Es war die 6. Zum dritten Mal wurde diese Zahl geworfen. Die Zuschauer, die um den Tisch standen, klatschten, was ja doch sehr selten vorkam. Manfred konnte sein Glück kaum fassen. Auch mir wurde ganz anders. Manchmal im Leben läuft das Glück einem nach. Jetzt fingen Manfred und ich an zu rechnen. 500 Euro auf eine Zahl machten 35-mal 500 Euro, also 17.500 Euro, 600 Euro auf zwei Zahlen, das waren 17-mal 600 Euro, insgesamt 10.200 Euro, dann 800 Euro auf vier Zahlen machte achtmal 800 Euro, ergab 6.400 Euro, 300 Euro auf drei Zahlen, elfmal 300 Euro, mit 3.300 Euro Gewinn und schließlich 400 Euro auf sechs Zahlen, das machte fünfmal 400 Euro, also 2.000 Euro. Insgesamt kam dabei ein Gewinn von 39.400 Euro heraus. In seinem Übermut gab Manfred 1.000 Euro Trinkgeld. Er war außer sich, befand sich in einem regelrechten Glücksrausch, bis ich zu ihm sagte: »Nimm den Einsatz vom Tisch, ein viertes Mal wird die Zahl nicht mehr kommen.«

Er schaute mich überrascht an, nahm jedoch den Einsatz vom Tisch. Wir beide waren so aufgeregt, denn so viel Geld hatten Manfred und ich noch nie in der Hand gehabt. Mein Rat war richtig, ein viertes Mal kam die 6 nicht mehr, es kam die 26. Manfred hatte in drei Spielen über 50.000 Euro gewonnen.

Nachdem wir uns ein bisschen beruhigt hatten, lud mich mein Freund zu einem Essen ein. Wir ließen es uns gut gehen. Ich wollte nach dem Essen, dass wir unser Geld nahmen und nach Hause fuhren, doch Manfred wehrte ab: »Heute ist mein Glückstag, ich versuch’s noch mal.«

Alles reden von meiner Seite drang überhaupt nicht mehr zu Manfred durch, also gab ich es schließlich auf. Doch nun wurde er leichtsinnig, er wechselte einen Tausender-Jeton nach dem anderen, aber ein großer Gewinn kam nicht mehr heraus. Mal gewann er, aber am meisten verlor er seinen Einsatz. Ich drängte immer wieder zur Heimfahrt, was bei Manfred jedoch auf taube Ohren stieß. Sollte er doch seinen ganzen Gewinn wieder verzocken, was kümmerte es mich. Ich war sauer. Mein Freund hörte einfach nicht auf mich. Und mein gesunder Menschenverstand sagte, dass wenn Manfred nicht sofort aufhörte zu spielen, würde er noch seinen ganzen Gewinn verlieren. Ich setzte mich wieder an die Bar und sah dem Treiben von dort aus zu. Zerknirscht trank ich ein Bier, das ich mir beim Barkeeper bestellt hatte.

Mittlerweile war es drei Uhr morgens. Von den Croupiers wurden die letzten drei Spiele angesagt, weil das Casino schließen wollte. Eigentlich war das Glück für Manfred, denn er hatte nur noch verloren. Wie viel, das konnte er nicht sagen. Er wusste es ganz einfach nicht.

Ich musste das Auto nach Hause fahren, damit sich Manfred einen Überblick verschaffen konnte, wie viel er tatsächlich verloren hatte. Dabei wurde er blass, sein Gewinn von etwa 50.000 Euro war auf nur noch 42.600 Euro geschrumpft. Er hatte also 7.400 Euro verzockt, schlichtweg aus dem Fenster geschmissen, verbrannt oder, wie man bei uns sagt, in der Fulda versenkt. Trotz Verlust war die Stimmung noch ganz gut. Ich setzte Manfred vor seiner Haustür ab und fuhr nach Hause. Auch ich kam endlich mal mit einem größeren Gewinn – 1.200 Euro waren ja auch nicht zu verachten – nach Hause. Dass ich mich beim Spielen in der Gewalt hatte und rechtzeitig aufgehört hatte, machte mich ein bisschen stolz. Dabei keimte in mir der Gedanke: Warum habe ich nicht auch mal so ein Glück? Ich könnte es gebrauchen!

*

Ich traf Manfred am nächsten Tag. Er hatte noch immer ein Honigkuchengrinsen im Gesicht. »Weißt du«, begann er, »was ich gestern Abend noch alles mit dem vielen gewonnenen Geld angestellt habe?«

»Nein«, antwortete ich, »aber du wirst es mir sicher gleich erzählen.«

Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen. Nicht, dass ich neidisch war, aber es ärgerte mich einfach, dass Manfred trotz Abmachung einfach weitergespielt hatte. Sollte er doch mit seinem gewonnenen Geld baden gegangen sein, es interessierte mich nicht.

»Also, als Erstes hab ich in meinem Zimmer das Geld in die Luft geworfen und es auf mich herabregnen lassen«, begann Manfred. »Ich war so müde, da hab ich es gleich liegen lassen. Heute Morgen wollte meine Mutter mich dann wecken. Sie hat die Zimmertür geöffnet und einen Heidenschrecken bekommen. Das ganze Geld, das da verstreut in meinem Zimmer lag, war ihr nicht geheuer. Also musste ich ihr sofort erzählen – und das alles im Halbschlaf –, wo das herkommt. Dann ließ sie mich in Ruhe weiterschlafen, allerdings mit der Bemerkung, dass ich nicht mehr so lange im Bett bleiben solle.«

Gegen 12 Uhr war Manfred endlich aufgestanden und hatte seiner Mutter 1.000 Euro auf den Tisch gelegt. Dann hatte auch noch einmal sein Vater ganz genau wissen wollen, wie es im Casino abgelaufen war. Also hatte Manfred sich an den Tisch gesetzt und von dem Abend im Casino erzählt. Seine Eltern hatten aufmerksam zugehört, ohne zu unterbrechen. Im Anschluss daran hatte er sich viele Ratschläge seitens seines Vaters anhören dürfen, vor allem, nicht mehr wieder ins Casino zu fahren. »Das Glück gibt es nur einmal, den Wenigsten gelingt es, mit solch einem Gewinn nach Hause zu fahren«, hatte er gemeint und Manfred ernst angeschaut.

Doch die gut gemeinten Ratschläge hatte Manfred gar nicht wahrgenommen.

Plötzlich griff er hinter sich in den Schrank und holte ein Bündel Geld heraus, zählte vor meinen Augen 3.800 Euro ab und reichte sie mir. »Was soll das jetzt?«, fragte ich ihn.

»Das ist für dich, dein heutiger Einsatz für das Casino.«

Ich war sprachlos, umarmte ihn spontan. Dann sah ich ihn ernst an: »Wir sollten nicht ins Casino gehen. So ein Glück kannst du doch nicht zweimal hintereinander haben. Hör doch auf deinen Vater.«

Doch alles Reden half nichts. »Lass uns doch nur für zwei Stunden ins Casino fahren«, versuchte Manfred, es mir schmackhaft zu machen.

Ich winkte ab: »Nicht schon wieder!«

»Dann fahre ich eben alleine«, antwortete er säuerlich.

Auch ich wurde zornig und meinte: »Jetzt hat dich der Spielteufel aber richtig im Griff, was?«

Am liebsten hätte ich ihm das ganze Geld vor die Füße geworfen, so wütend war ich auf ihn. Ich schüttelte den Kopf und sagte ihm, dass ich mich auf den Heimweg machen würde, weil ich ja doch recht müde wäre. Doch noch während ich das Haus verließ, rief mir Manfred hinterher: »Bleib hier, ich fahre dich nach Hause.«

Wie besessen muss einer sein, am anderen Tag wieder ins Casino zu fahren, wenn er einen großen Gewinn eingefahren hatte? Manfred war so einer. Nachdem er mich nach Hause gefahren hatte, machte er sich alleine auf den Weg ins Casino mit etwa 10.000 Euro. Er hoffte, vielleicht noch einmal einen größeren Geldbetrag zu gewinnen. Als er dort ankam, ging er gleich an die Bar, um etwas zu trinken und dabei die Spieltische zu beobachten. Dabei fiel ihm ein Tisch auf, an dem der Croupier die Kugel ziemlich gleichmäßig warf. Das bedeutete, dass sie fast immer in die Nähe der vorletzten Zahl fiel.

Manfred stand auf und begab sich an diesen Spieltisch. Er nahm 300 Euro und setzte 26 1/1, damit waren die Zahlen 3 – 26 – 0 abgedeckt. Das Glück hatte Manfred anscheinend noch nicht verlassen. Es kam die Zahl 0. Damit gewann er 3.500 Euro und er fasste neuen Mut, setzte gleich noch einmal auf die vorletzte Gewinnzahl. Um ganz sicher zu sein, spielte er statt 1/1 auf 16 2/2, also auf die Zahlen im Kessel 5 – 24 – 16 – 33 – 1. Die Kugel rollte. Das Surren verstummte und die Kugel fiel klackernd in die 5. Wieder gewann er 3.500 Euro. Noch einmal setzte er und hatte wieder Glück. Die 5 kam noch einmal und er gewann wieder 3.500 Euro. Manfred versuchte noch einige Spiele, die ihm kein Glück mehr brachten. Jedes Spiel wurde mit fünf Zahlen mit je 100 Euro gespielt. Schließlich nahm er seine Jetons, tauschte sie an der Kasse um und machte sich mit einem wohligen Glücksgefühl und 7.900 Euro Gewinn auf den Heimweg. Dabei kreisten seine Gedanken nur um das Glücksspiel. Wenn er, wie beim letzten Mal, auch immer mal wieder nachgesetzt hätte, dann hätte er seinen Gewinn locker verdoppeln können. Das nächste Mal wollte er daran denken, denn dass es ein nächstes Mal geben würde, das war für ihn klar. Die guten Ratschläge seines Vaters schlug er einfach aus. Was wusste der schon vom Glücksspiel, dachte er bei sich. Er nahm sich vor, wenigstens einmal pro Woche ins Casino zu fahren.

Als wir am nächsten Tag telefonierten, schwärmte er mir von seinem gestrigen Casinobesuch vor. Auch erzählte er mir von der Pechsträhne, bei der er schon 5.000 Euro verloren hatte. »Kommst du am Mittwoch mit ins Casino?«, fragte er mich.

Seine gute Laune war ansteckend, vielleicht seine Glückssträhne ja auch. Ich sagte zu.

Um Punkt 18 Uhr am Mittwoch machten wir uns auf den Weg ins Casino. Ich nahm 2.000 Euro mit und Manfred 10.000 Euro. Im Auto unterhielten wir uns, als wäre nichts gewesen. Ich sagte zu ihm: »Ich bleibe bei meinem Spiel auf einfache Chance. Dabei hab ich die beste Gewinnchance.«

Manfred merkte, dass er mich nicht überzeugen konnte, nach seinem System zu spielen. Wahrscheinlich war er sogar ein bisschen beleidigt. Unsere Unterhaltung versiegte, worüber hätten wir uns auch unterhalten sollen?

Nach der Einlasskontrolle verschafften wir uns erst einmal einen Überblick. Wie immer schauten die Gäste gebannt auf das Kreisen der Roulettekugel im Kessel. Das ist die Faszination des Spiels. Wir trennten uns, Manfred ging sofort zu dem Spieltisch vom Samstagabend. Ich spielte mit Fünfziger-Jetons und gewann eigentlich recht gut. In kurzer Zeit kamen 500 Euro zusammen. Ich freute mich sehr über den Gewinn und machte eine kurze Pause. Als ich an die Bar lief, sah ich Manfred an seinem Spieltisch sitzen. Seine Miene war alles andere als freudig. Ich ging zu ihm. »Na, wie viel hast du denn schon verloren?«, wollte ich wissen. Mir war klar, dass es bei ihm nicht so gut lief, das konnte ich an seinem Gesichtsausdruck leicht ablesen.

Die Antwort kam prompt und äußerst mürrisch: »4.500 Euro.«

Ich wagte gar nicht, von meinen gewonnenen 500 Euro zu erzählen. Das hätte ihn in dieser Situation vermutlich herzlich wenig interessiert. »Wenn du mich suchst, ich bin an der Bar«, sagte ich stattdessen zu ihm, drehte mich um und ließ ihn dort sitzen.

Ich saß etwa eine Stunde alleine an der Bar herum und trank gelegentlich ein Bier. Dabei beobachtete ich die Menschen im Casino. Manchen standen Schweißperlen auf der Stirn, andere hatten ein seliges Lächeln im Gesicht und wieder anderen merkte man gar nichts an. Das waren wohl die Profispieler. Trotz dass das Casino recht gut besucht war, war es recht leise. Die Schritte verhallten klanglos auf dem roten mit Ornamenten versehenen Teppich. Das leise Klackern der fallenden Roulettekugeln und das Surren der sich drehenden Kessel waren das Einzige, was man hörte. Vereinzelt drangen gedämpfte Gesprächsfetzen zu mir an die Bar. Einen Raum weiter saßen die Kartenspieler, die ihr Glück beim Black Jack oder Poker versuchten. In einem weiteren Raum, der allerdings durch eine Tür abgetrennt war, befanden sich die Spielautomaten. Hier herrschte keine gedämpfte Stille, im Gegenteil, durch die Automaten war es recht laut. Wir hatten nur Sinn für das Roulette, weil wir darin die höchsten Gewinnchancen sahen und meinten, das Geschehen durch Beobachten und kluges Setzen beeinflussen zu können.

Ab und zu schaute ich zu Manfred, der noch immer am Spieltisch saß. Er war richtig im Stress. Er schwitzte. Nach einer Weile stand er plötzlich neben mir mit einem Lächeln im Gesicht. »Jetzt trinken wir noch einen zusammen, bevor wir uns auf den Heimweg machen«, sagte er.

»Hast du gewonnen?«, fragte ich vorsichtig.

»Ja«, antwortete er. »Ich habe den ganzen Verlust zurückgewonnen und zusätzlich noch 1.500 Euro Gewinn herausgespielt. Und das in zwei Spielen.«

Manfred musste wieder hoch gepokert und einen hohen Einsatz abgegeben haben, sonst hätte er in zwei Spielen nicht so eine hohe Summe gewinnen können. Das war wieder sehr riskant, doch letztendlich war ich erleichtert, dass es doch noch so gut für ihn gelaufen war. Jetzt erzählte ich ihm von meinem Gewinn. »Hat sich doch gelohnt, der Abend«, meinte mein Freund und nippte an seinem Bier.

Ich nickte.

Wir tauschten unsere Jetons in Euro um und liefen zum Auto. Auf der Heimfahrt machte ich den Vorschlag, dass wir doch jetzt unseren Kredit zurückzahlen könnten. »Das ist eine gute Idee«, pflichtete mir Manfred bei und nickte.

Wir trafen uns am nächsten Tag vor der Bank und gingen gemeinsam hinein. Wir wollten unseren Kredit auf Heller und Pfennig zurückzahlen, doch unser Sachbearbeiter machte uns einen Strich durch die Rechnung. »Das geht leider nicht«, meinte er.

»Was soll das heißen, das geht nicht?«, fragte Manfred. »Wir haben das Geld doch hier und wollen es wieder zurückgeben.«

Der Sachbearbeiter klärte uns auf: »So einfach ist das nicht. Wenn Sie das Geld jetzt zurückzahlen, verliert die Bank dadurch Zinseinnahmen. Deshalb wurde im Kreditvertrag festgehalten, dass eine Sondertilgung nicht möglich ist.«

Uns war es egal, wie teuer es werden würde, wir wollten nur keine Schulden mehr haben, also zahlten wir den Kredit zurück plus die Zinsen, die die Bank bekommen hätte, wenn wir das Geld wie vereinbart zurückbezahlt hätten. Jetzt waren wir wieder schuldenfrei. Ein schönes Gefühl.

Nachdem alles erledigt war, gingen wir in eine Gaststätte, um unseren Durst zu stillen. Es dauerte nicht lange, da fing Manfred wieder vom Casino an zu schwärmen. Darüber hatten wir unterschiedliche Meinungen, aber ich ließ mich mal wieder breitschlagen, am Samstagabend mit ihm ins Casino zu fahren. Manfred war total auf Roulette fixiert, es gab bei ihm kein anderes Thema mehr. Ich sah die Realität etwas anders, auch diese Glücksphase würde einmal vorbeigehen. Doch das wollte er nicht hören.

Es war Freitagabend. Manfred rief mich an, um mir von einem fast neuen Golf GTI zu erzählen. »Der hat total wenige Kilometer drauf. So viel ich gehört habe, wurde das Fahrzeug vom Autohaus wieder zurückgeholt, weil der Besitzer die Leasingraten nicht mehr bezahlen konnte.«

»Und weiter«, meinte ich.

»Ich habe das Auto in der Mittagspause mal etwas genauer unter die Lupe genommen. Morgen früh mache ich eine Probefahrt. Willst du mitfahren?«

Da ich sonst nichts weiter zu tun hatte, willigte ich ein.

Am nächsten Morgen holte mich Manfred zusammen mit seinem Vater pünktlich zur Probefahrt ab. Er war richtig aufgeregt. »So ein Auto kauft man ja auch nicht alle Tage«, meinte er. »Vor einer Woche war daran nicht einmal zu denken.«

Wir fuhren zum Autohaus, genauer gesagt zu Manfreds Arbeitsstelle. Da stand der GTI. Schon lange hatte Manfred von einem solchen Wagen geträumt, doch bisher hatte er sich so etwas nicht leisten können. Er hatte zu Hause noch 45.000 Euro liegen, alles Gewinne aus seinen Roulettespielen im Casino. Als wir den Laden betraten, kam sogleich ein Autoverkäufer auf Manfred zu und begrüßte ihn überschwänglich. Anschließend erklärte er die einzelnen Funktionen des Fahrzeugs, was er sich eigentlich bei Manfred als gelernter KFZ-Mechaniker hätte schenken können. Schließlich bekam er den KFZ-Schein und den Schlüssel für die Probefahrt ausgehändigt. »Das Auto kannst du bis zum Montagmorgen behalten«, sagte der Verkäufer.

Manfred war schon ganz ungeduldig und wollte endlich starten, doch der Verkäufer gab noch immer Tipps, worauf er achten müsse.

Dann endlich durfte er vom Hof fahren. Kurz darauf gab er Vollgas. Die Tachonadel zeigte 120 km/h an. »Hier sind aber nur 100 km/h erlaubt«, meinte sein Vater, der neben ihm saß und gar nicht begeistert vom Fahrverhalten seines Sohnes war.

Manfred ignorierte seinen Vater. »Merkt ihr eigentlich den Unterschied zwischen meinem alten Golf und diesem GTI?«

Nun ging die Fahrt in Richtung Autobahn, um das Fahrzeug mal so richtig zu testen. Ganz still saß Manfreds Vater neben seinem Sohn. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, dabei brachte er keinen Ton mehr heraus. Diesen Fahrstil war er nicht gewohnt. Im Nu erreichte der GTI eine Geschwindigkeit von über 200 km/h, die Gesichtsfarbe von Manfreds Vater veränderte sich. Auch mir war sehr mulmig zumute. Ich sagte keinen Ton und klammerte mich an meinen Sitz.

Nach einer halben Stunde Vollgas reduzierte Manfred die Geschwindigkeit. Selbst ihm war das schnelle Fahren auf Dauer zu anstrengend. Entspannt machte er sich auf den Rückweg.

Nach einer Weile räusperte sich sein Vater und bemerkte: »Das Auto ist doch viel zu schnell für dich.«

»Sonst hast du nichts zu sagen?«, entgegnete Manfred.

»Ich finde ihn auch ziemlich schnell, er hat halt ordentlich Dampf unter der Haube«, pflichtete ich Manfreds Vater bei.

»Das Auto lässt sich gut fahren«, resümierte mein Freund, »auch sonst scheint es in Ordnung zu sein. Vom Preis ist auch nichts zu sagen.«

Er war begeistert.

»Ich hole dich heute Abend um 18 Uhr zum Casino ab«, meinte er zu mir, als ich ausstieg.

»In Ordnung«, erwiderte ich. »Bis dann.«

Manfreds Vater fing an zu schimpfen. So zornig hatte ich ihn noch nie erlebt. »Geht es also schon wieder ins Casino?«, polterte er los. »Immer wieder dasselbe Casino, wie viel Mal muss ich noch sagen, dass Glück nicht von Dauer ist?«

»Ich bin doch alt genug«, entgegnete Manfred.

Ich schlug die Tür zu und Manfred startete den Wagen, um nach Hause zu fahren.

Kurz vor 18 Uhr stand Manfred wie verabredet vor meiner Tür mit 10.000 Euro in der Tasche. Meine Mutter wollte wissen, was wir vorhatten. Als wir ihr erzählten, dass wir wieder ins Casino fahren wollten, zog sie die Luft scharf ein, sagte aber kein Wort. »Das Glück kann sich ja wiederholen«, meinte Manfred und ein verschmitztes Lächeln kam über seine Lippen.

»Man kann nicht immer Glück haben«, sagte meine Mutter. »Bitte seid vorsichtig und hört rechtzeitig mit dem Spielen auf.«

Manfred freute sich auf die Fahrt, dabei überhörte er die mahnenden Worte meiner Mutter. Am Anfang war ich noch ruhig, aber seine Fahrweise passte mir auf Dauer überhaupt nicht. Er hatte das neue Auto, das er zur Probefahrt das ganze Wochenende mit nach Hause nehmen durfte, für die Fahrt ins Casino genommen. »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«, meinte ich.

»Klar, warum denn nicht?«, erwiderte Manfred. »Das ist doch schließlich auch eine Probefahrt.«

»Dann fahr wenigstens nicht so riskant. Am Ende werden wir noch von der Polizei gestoppt«, sagte ich.

Manfred sah zu mir herüber, ging aber vom Gas herunter. Um nicht wieder vom Roulette zu sprechen, lenkte ich das Gespräch auf das Auto. »Willst du den GTI wirklich behalten?«, fragte ich ihn.

»Ja«, antwortete Manfred. Er fing an, von dem Wagen zu schwärmen, doch kurze Zeit später waren wir wieder beim Roulette angelangt. »Ein Gewinn von 15.000 Euro wäre heute nicht schlecht«, meinte er.

Ich verdrehte die Augen, ertappte mich aber dabei, auf Manfred neidisch zu werden. Ein solches Glück könnte ich ja auch mal gebrauchen.