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Der „verlorene Sohn“ einer Londoner Juweliers-Familie kommt im Südafrika zur Zeit der Burenkriege einer Betrügerbande auf die Spur und rettet das Vermögen seiner Eltern Ein nostalgischer Abenteuer-Schmöker von Walther Kabel.
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Schmökerkiste – Band 1
Walther Kabel – Der Spion von Kimberley
1. eBook-Auflage – Juli 2013
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Armin Bappert unter Verwendung eines Fotos von http://www.gratis-foto.eu/
Lektorat: Hermann Schladt
Der Spion von Kimberley
Erzählung von Walther Kabel.
Im Sommer des Jahres 1899 wurde in der verkehrsreichen Oxford-Street Londons ein neues, mit allem modernen Luxus ausgestattetes Juweliergeschäft eröffnet, dessen reichhaltige Schaufensterauslagen mit den auf dunkelrotem Samt geschmackvoll gruppierten Perlenschnüren, Brillantringen, Armbändern, Diamantbroschen und in allen Farben schillernden Haarspangen und Ohrringen ein Vermögen von Hunderttausenden repräsentieren mussten. Dafür verschwanden zu derselben Zeit aus der bedeutend weniger vornehmen Berkeley-Street zwei bisherige Konkurrenzfirmen und die Namen ihrer früheren Inhaber fanden sich merkwürdigerweise auf dem großen Glasschild des in der Oxford-Street neugegründeten Ladens als „Siders u. Karst, Juweliere“ in friedlicher Vereinigung wieder.
Den zwischen den beiden Familien seit Jahren bestehenden Geschäftsneid mit seinen unangenehmen Folgeerscheinungen plötzlich in die engsten Beziehungen umgewandelt zu haben, war das unbestrittene Verdienst von Siders einziger Tochter Helena, die sich zunächst mit ihren strahlenden Augen und schelmischen Grübchen in das Herz John Karsts und bald auch in das seiner Eltern so fest eingeschlichen hatte, dass eines schönen Tages das Kriegsbeil zwischen den beiden Familien auf immer begraben und Helena Johns überglückliche Braut wurde, – ein Ereignis, das auch in die verdüsterten Herzen der beiden alten Siders wieder einige Lichtstrahlen warf und den stillen, aber desto tieferen Gram um den Verlust ihres ältesten Kindes etwas milderte.
Es waren damals vor fünf Jahren traurige Zeiten für die in behaglichem Wohlstande und herzlicher Eintracht lebende Familie gekommen, als plötzlich die Verfehlungen Harry Siders bekannt wurden, der sich, verführt durch die Lockungen der Millionenstadt, einem ausschweifenden Leben hingegeben und die hierzu notwendigen, für ihn auf redliche Weise unerschwinglichen Geldmittel der Kasse seines Prinzipals entnommen hatte, bei dem der kaum Dreiundzwanzigjährige eine Vertrauensstellung als zweiter Kassier bekleidete. Und dieser Schlag traf die armen Eltern um so schwerer, als sie gehofft hatten, dem Sohne dieselben streng rechtlichen Ansichten anerzogen zu haben, nach denen ihr eigenes Leben und Streben in jeder Beziehung eingerichtet war. Harry Siders verschwand damals urplötzlich aus London und nie wieder war ein Lebenszeichen von ihm in die Berkeley-Street gelangt.
All die Liebe, die der schwergeprüfte Vater für den jetzt Verschollenen empfunden hatte, übertrug er auf John Karst, dem er das Glück seiner Tochter anvertraute. Und so sehr glaubte er auch an die Geschäftstüchtigkeit seines neuen Schwiegersohnes, dass er sich mit dessen Plan, die Firmen zu vereinigen und die Londoner durch die Eröffnung eines selbst den verwöhntesten Ansprüchen genügenden Geschäftes zu überraschen, vollständig einverstanden erklärte, ebenso auch mit der Absicht, dass „Siders u. Karst“ sich ausschließlich dem Handel mit Edelsteinen und wertvollen Perlen widmen und einen vornehmen und jeder Mode Rechnung tragenden Geschmack in der Goldschmiedekunst nur durch die Herstellung eigenartiger, künstlerischer Fassung für ihre Waren beweisen sollten. Und schon die Einnahmen in den ersten Monaten des Bestehens der neuen Firma zeigten, wie richtig die Spekulation des jungen Karst gewesen war.
Um nun ihren Bedarf an kostbaren Steinen möglichst billig einzukaufen und nicht die teuren Händlerpreise auf den Weltmärkten in Amsterdam und Brüssel zahlen zu müssen, beschloss man, einen langjährigen, erprobten Angestellten von Karst, namens Edward Brice, nach Südafrika zu senden, wo gerade infolge des drohenden Burenkrieges die Preise für Diamanten plötzlich bedeutend gefallen waren und sich besonders in den Minen von Kimberley die günstigste Gelegenheit zu vorteilhaftem Einkauf bot. Mitte September 1899 verließ Edward Brice denn auch London, wohlversehen mit Anweisungen auf die englische Bank in Kapstadt. Und nach seiner Rückkehr sollte auf Wunsch der beiden Elternpaare die Hochzeit ihrer Kinder gefeiert werden.
Doch die Ereignisse in Südafrika spitzten sich schneller zu einer Katastrophe zu, als man im Anfang des Herbstes erwarten konnte. Das Ultimatum der Burenrepubliken an England, in dem die sofortige Einstellung aller Rüstungen verlangt wurde, fand eine schroffe Ablehnung und die Folge war, dass die Verbündeten schon am 12. Oktober in Natal und Griqualand einmarschierten und nach den ersten Gefechten die Städte Kimberley, Mafeking und Ladysmith einschlossen.
Die an der Londoner Börse jetzt ausbrechende Panik teilte sich auch dem Hause Siders u. Karst mit, da nur zu sehr zu befürchten stand, dass Edward Brice, der sich bei Ausbruch der Feindseligkeiten gerade auf dem Kriegsschauplatz befand, etwas zustieß und die ihm mitgegebenen 30.000 Pfund Sterling durch einen unglücklichen Zufall verloren gingen. Damit wäre dann auch der Ruin der Firma besiegelt gewesen, die sich durch die kostspielige Einrichtung des neuen Geschäfts und den für die so günstig erscheinende Einkaufsgelegenheit flüssig gemachten Betrag von allen Barmitteln entblößt hatte.
Schlimme Tage kamen für John Karst, Tage voll aufreibender Unruhe und bitterer Vorwürfe, da sein Schwiegervater ja nur auf seinen Vorschlag hin Teilhaber an den großangelegten Spekulationen geworden war und jetzt vielleicht durch ihn seine gesamten Ersparnisse verlor. Vergebens suchte Helena ihren Verlobten zu trösten, vergebens verschwendete sie ihre ermutigenden Worte und ihre innige Zärtlichkeit. Als dann endlich Mitte November eine Nachricht von Edward Brice eintraf, da übersetzte er atemlos den in Chiffern abgefassten Brief und sank dann wie vernichtet in dem Schreibtischsessel zusammen, nachdem er die Übertragung zusammenhängend überflogen hatte.
Kimberley, den 19. 10. 1899.
An Siders u. Karst, Juweliere,
London,
Oxford-Street 55.