Schneesturm und Mandelduft - Camilla Läckberg - E-Book

Schneesturm und Mandelduft E-Book

Camilla Läckberg

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Beschreibung

Weihnachten in Fjällbacka: Kommissar Martin Mohlin begleitet seine neue Freundin zu einem Familienfest. Der betagte Patriarch Ruben hat alle Liljecronas auf der kleinen Insel Valön zusammengerufen, er möchte sein Erbe regeln. Als ein Schneesturm aufkommt, wird die Insel vom Festland abgeschnitten. Während des Weihnachtsessens bricht Ruben plötzlich zusammen. Schon bald steht fest, dass er ermordet wurde – und somit eines der Familienmitglieder der Mörder sein muss. Statt das Weihnachtsfest zu genießen, muss Kommissar Mohlin ermitteln. Alle scheinen ein Motiv zu haben. Doch wer wäre so kaltblütig?

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Das Buch

Weihnachten in Fjällbacka: Kommissar Martin Molin begleitet seine neue Freundin zu einem Familienfest. Der betagte Patriarch Ruben hat alle Liljecronas auf der kleinen Insel Valö zusammengerufen, er möchte sein Erbe regeln. Als ein Schneesturm aufkommt, wird die Insel vom Festland abgeschnitten. Während des Weihnachtsessens bricht Ruben plötzlich zusammen, und Martin ist als Polizist gefragt. Schon bald steht fest, dass Ruben ermordet wurde – und somit eines der Familienmitglieder der Mörder sein muss. Doch wer hat ein Motiv? Und wer wäre so kaltblütig?

Die Autorin

Camilla Läckberg, Jahrgang 1974, ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie stammt aus Fjällbacka – der kleine Ort und seine Umgebung sind Schauplatz ihrer Kriminalromane. Weltweit hat Läckberg inzwischen über zehn Millionen Bücher verkauft, in Schweden und vielen anderen Ländern (den Niederlanden,Frankreich,Spanien, Italien etc.) ist sie regelmäßig auf der Best­sellerliste zu finden. Heute lebt Camilla Läckberg in Stockholm.

Weitere Informationen finden Sie unter:www.camillalackberg.com

Von Camilla Läckberg sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die Totgesagten Engel aus Eis Meerjungfrau

Besuchen Sie uns im Internet:www.list-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Deutsche Erstausgabe im List Taschenbuch List ist ein Verlag derUllstein Buchverlage GmbH, Berlin. 1. Auflage November 2012 © für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2012 © 2007 by Camilla Läckberg Titel der schwedischen Originalausgabe:Snöstorm och mandeldoft (Forum, Stockholm 2007) Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München Titelabbildung: Elliot Elliot / Getty Images (Holzscheite und Hausfassade)/ bürosüd° GmbH, München (Vogel) Satz und eBook: LVD GmbH, Berlin

ISBN 978-3-8437-0533-2

Es roch wieder nach Schnee. Es war sechs Tage vor Weihnachten, und der Dezember hatte bereits kalte Temperaturen und Unmengen an Schnee mit sich gebracht. Eine dicke Eisschicht bedeckte seit Wochen das Meer, aber durch das Tauwetter der vergangenen Tage war sie brüchig und unberechenbar geworden.

Martin Molin stand am Bug des Bootes, das in der Rinne im Eis vorwärtspflügte, die das Seenot-Rettungsschiff bis Valö aufgebrochen hatte. Er fragte sich, was er hier eigentlich tat und ob er wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber Lisette hatte ihn so eindringlich gebeten zu kommen. Sie hatte ihn richtig angefleht, wenn er ganz ehrlich sein sollte. Familientreffen seien nicht ihre Stärke, hatte sie gesagt, und es wäre viel leichter auszuhalten, wenn er mitkäme. Das Problem war nur, dass ein Treffen mit der Verwandtschaft ihrem Verhältnis eine seriöse Note verlieh, und die war zumindest für ihn ziemlich schief.

Aber versprochen war versprochen. Jetzt stand er hier, unterwegs zu der ehemaligen Ferienkolonie auf Valö, wo er zwei Tage in Gesellschaft ihrer Familie verbringen würde.

Er drehte sich um. Fjällbacka war zweifellos umwerfend schön, nicht zuletzt um diese Jahreszeit, in der die kleinen roten Holzhäuser in sanftes Weiß gebettet da­lagen. Und der graue Berg rund um die Gemeinde verlieh dem Panorama eine einzigartige, ästhetisch ansprechen­de Dramatik. Vielleicht sollte ich Tanum verlassen und hierherziehen, dachte er kurz, doch dann musste er über diese verrückte Idee lachen. Vorher müsste er erst noch im Lotto gewinnen.

»Werfen Sie mir die Leine rüber?«, rief ihm ein Mann vom Steg aus zu, und Martin erwachte aus seinen Träumereien. Er beugte sich herunter und packte das Tau, das vor seinen Füßen lag. Er warf es über die Reling, sobald das Boot nah genug am Steg war. Der Mann fing es geschickt auf und vertäute das Boot.

»Sie sind der Letzte. Die anderen sind bereits da.«

Martin stieg vorsichtig auf den glatten Holzsteg und schüttelte die Hand, die ihm entgegengestreckt wurde.

»Ich musste noch ein paar Dinge im Büro erledigen, bevor ich losfahren konnte.«

»Ja, ich habe schon gehört, dass die Polizei, unser Freund und Helfer, an diesem Wochenende unter uns weilen wird. Fühlt man sich gleich sicherer.«

Der Mann lachte dröhnend und stellte sich dann als ­Eigentümer des Hauses vor.

»Ich heiße Börje. Meine Frau und ich schmeißen den Laden ganz allein. Ich bin also Zimmermann, Koch, Butler und Mädchen für alles. Stets zu Ihren Diensten.« Wieder dröhnendes Lachen.

Martin nahm sein Gepäck und folgte Börje in Richtungder Lichter, die zwischen den Bäumen hindurchschienen. »Nach allem, was man mir erzählt hat, haben Sie wahre Wunder mit der alten Ferienkolonie vollbracht«, sagte er.

»Das war eine ganz schöne Schufterei«, antwortete Börje stolz. »Und teuer. Das muss ich zugeben. Aber es hat sich gelohnt. Meine Gattin und ich waren den ganzen Sommer über bis in den Herbst hinein ausgebucht. Und auch unser Weihnachtsangebot kommt unerwartet gut an.«

»Die Leute wollen sicher dem Weihnachtsstress entfliehen«, sagte Martin und versuchte, nicht zu sehr zu schnaufen, als sie den Hang zum Haus hochgingen. Es war ihm ein wenig peinlich. In seinem Alter und bei seinem Beruf sollte er wirklich besser in Form sein.

Als Martin kurz den Blick hob, traute er kaum seinen Augen. Sie hatten tatsächlich ein wahres Wunderwerk mit dem alten Haus vollbracht. Wie die meisten, die in der Region aufgewachsen waren, hatte Martin an Schulausflügen und Sommerlagern auf Valö teilgenommen, und er erinnerte sich an ein zwar hübsches, aber doch etwas heruntergekommenes grünes Haus, das auf einer riesigen Rasenfläche lag. Jetzt war das Grün durch Weiß ersetzt, und das Haus glitzerte wie ein Schmuckstück. Es war frisch ­gestrichen und ausgebaut worden, und aus den Fenstern strömte ein warmes Licht, das die helle Fassade zum Strahlen brachte. Vor der Eingangstreppe flackerten Kerzenlichter, und durch eines der Fenster im Erdgeschoss sah er einen großen Weihnachtsbaum. Die Kulisse war zauberhaft, und er blieb kurz stehen, um den Anblick zu genießen.

»Schön, was?«, sagte Börje und blieb ebenfalls stehen.

»Unglaublich«, antwortete Martin, und er meinte, was er sagte.

Als sie am Haus ankamen, traten sie in die Diele und stampften den Schnee von den Schuhen.

»Der letzte Mann ist angekommen!« Börjes Stimme schallte durch die Eingangshalle, und Martin hörte, wie sich jemand mit raschen Schritten näherte.

»Martin! Toll, dass du da bist!« Lisette fiel ihm um den Hals, und erneut überkam ihn das Gefühl, dass er nicht hätte herkommen sollen. Lisette war schon süß und sympathisch, aber langsam hatte er den Eindruck, dass sie ihre Beziehung zu ernst nahm. Doch nun war es zu spät, noch einen Rückzieher zu machen. Jetzt hieß es, das Wochenende irgendwie zu überstehen.

»Komm!« Lisette nahm ihn bei der Hand und zerrte ihn mehr oder minder in den großen Raum zu ihrer ­Lin­ken. In Martins Kindheitserinnerungen war das der Schlafsaal, vollgestellt mit Etagenbetten. Inzwischen hatte dieser sich in einen geschmackvoll eingerichteten Salon mit angrenzender Bibliothek verwandelt. Mitten im Zimmer thronte ein gigantischer Weihnachtsbaum, der nach allen Regeln der Kunst geschmückt war.

»Hier ist er!«, verkündete Lisette triumphierend. Alle Blicke waren auf Martin gerichtet. Er widerstand dem Drang, an seinem Hemdkragen herumzunesteln, und winkte stattdessen nur ein wenig dümmlich. Lisette gab ihm mit einem Knuff in die Seite zu verstehen, dass wohl etwas mehr von ihm erwartet wurde, und so arbeitete er sich methodisch von links nach rechts durch den Raum. Lisette ging neben ihm her und erklärte laut und deutlich, wem er jeweils die Hand hinstreckte.

»Das ist mein Vater Harald.« Ein kräftiger Mann mit dichtem Haar und ebenso dichtem Schnurrbart stand auf und schüttelte ihm heftig die Hand.

»Und das ist meine Mutter Britten.«

»Ich heiße eigentlich Britt-Marie, aber seit ich fünf bin, nennen mich alle nur noch Britten.« Lisettes Mutter stand auch auf, und Martin war von der Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter stark beeindruckt. Dieselbe zierliche Figur, dieselben nussbraunen Augen und dunklen Haare, auch wenn Brittens von einigen grauen Strähnen durchzogen waren.

»Wie schön, Sie endlich kennenzulernen«, sagte Lisettes Mutter.

Martin murmelte etwas Ähnliches und hoffte, dass seine Lüge nicht allzu offenkundig war.

»Und hier haben wir meinen Onkel Gustav«, sagte Lisette. Ganz offensichtlich schien die schlankere Version ihres Vaters nicht zu ihren Lieblingen in der Familie zu gehören.

»Angenehm, angenehm«, sagte Gustav Liljecrona etwas gestelzt und verbeugte sich leicht. Martin fragte sich, ob von ihm die gleiche Geste erwartet wurde, entschloss sich dann aber, nur kurz zu nicken. Gustavs Frau, die als Nächste an der Reihe war, schien dem Tonfall nach zu urteilen auch keine warmen Gefühle bei Lisette zu wecken.

»Meine Tante Vivi.«

Martin drückte eine trockene, runzelige Hand. Eine Hand, die in starkem Gegensatz zu dem Gesicht der Frau stand, das so frei von Falten war wie die gespannte Haut einer Trommel. Er war sicher, er würde die Narben mehrerer chirurgischer Eingriffe sehen können, falls er hinter ihre Ohren blickte, hielt sich aber mit Mühe zurück, es wirklich zu tun.

Offenbar herrschte mehr Zuneigung zwischen Lisette und dem Mann, der neben Tante Vivi saß, denn ihr »mein Cousin Bernard« klang wesentlich herzlicher und fröhlicher. Martin hingegen verspürte eine instinktive Abneigung gegenüber dem elegant gekleideten Mittdreißiger. Bernard hatte sein Haar mit Gel aus dem Gesicht gekämmt, eine Frisur, die man in Finanzkreisen aus unerklärlichen Gründen gern und oft trug.

»Ah, Sie sind also Lisettes Polizist …«, sagte er mit großspurigem Stockholmer Akzent, und obgleich die Bemerkung an und für sich sowohl korrekt als auch vollkommen unschuldig war, ahnte Martin, dass sich hinter dem lockeren Ton etwas anderes verbarg. Etwas Herablassendes, das er nicht recht zu fassen bekam.

»Ja, genau«, antwortete er kurz und ließ den Blick zu der Frau neben Cousin Bernard wandern.

»Bernards Schwester Miranda«, fuhr Lisette fort. Martin fuhr unwillkürlich zusammen, als er nach der ausgestreckten Hand griff. Cousine Miranda war umwerfend schön. Sie war etwa fünfundzwanzig und hatte rabenschwarzes Haar. Als sich ihre tiefblauen Augen auf ihn richteten, spürte Martin, wie er einen Moment lang die Haltung verlor. Ein leises Räuspern von Lisette gab ihm zu verstehen, dass er Mirandas Hand wahrscheinlich ein wenig zu lange gehalten hatte. Er ließ sie los, als ob er sich verbrannt hätte.

»Das ist mein Bruder Mattias. Aber alle nennen ihn nur Matte«, sagte Lisette mit eisiger Stimme, und Martin wandte sich hastig ihrem älteren Bruder zu. Dieser hatte ein offenes und freundliches Gesicht und schüttelte Martin begeistert die Hand.

»Ich habe so viel von dir gehört und fast das Gefühl, dich schon zu kennen! Lisette redet ja den ganzen Sommer über nichts anderes als dich. Ich freue mich wirklich sehr, dass wir uns endlich treffen!«

Es folgte eine dramatische Pause, und dann sagte Lisette:

»Und zu guter Letzt – mein Großvater Ruben!«

Martin stand jetzt vor einem alten Mann im Rollstuhl. Ruben hatte den beiden Söhnen seine Gesichtszüge vererbt, selbst war er aber zur Größe eines Kindes zusammengeschrumpft. Eine karierte Decke lag über seinen Knien. Trotzdem war sein Händedruck überraschend fest, und sein Blick war wach und aufmerksam.

»Soooo, das ist also der junge Mann«, sagte er mit amüsiertem Gesichtsausdruck, und Martin fühlte sich wie ein kleiner Schuljunge vor dem Rektor. Der Alte hatte etwas sehr Beeindruckendes, und Martin kannte seinen Lebens­weg nur zu gut. Ärmer als eine Kirchenmaus geboren, hatte er aus dem Nichts ein Imperium aufgebaut, das heute in der ganzen Welt Milliarden umsetzte. Ja, diese Geschichte kannten die meisten Schweden.

»Das Essen ist serviert!« Eine Frau mit altmodischer weißer Schürze stand in der Türöffnung, und alle Blicke wandten sich ihr zu. Sie zeigte in Richtung Speisesaal. Martin nahm an, dass es Börjes Frau war.

»Ja, etwas zwischen die Zähne könnte jetzt nicht schaden«, sagte Harald Liljecrona und marschierte allen voran zu dem gedeckten Tisch.

Die Übrigen folgten in geschlossener Formation, doch zuvor beobachtete Martin belustigt, wie mehrere Fami­­lienmitglieder auf Rubens Rollstuhl losstürmten. Jeder wollte der Erste sein. Lisette stand am nächsten und gewann den Wettlauf. Sie warf ihrer Tante Vivi einen triumphierenden Blick zu. Offenbar gingen hier Dinge vor sich, in die Martin nicht eingeweiht war. Er seufzte innerlich. Das würde ein sehr, sehr langes Wochenende werden.

Lisette spürte die Blicke der anderen im Rücken, während sie Großvater Ruben in den Speisesaal schob. Der Triumph brachte ihre Wangen zum Glühen, und sie hoffte, dass dieser Erfolg ein Fingerzeig darauf war, wer als Sieger aus der großen Schlacht hervorgehen würde. Der Schlacht um Großvaters Vermögen. Manchmal wurde ihr ganz schwindelig beim Gedanken, wie viel Geld eines Tages ihr gehören könnte. Millionen reichten nicht einmal mehr aus. Es handelte sich um Milliarden. Sie musste nur dafür sorgen, dass sie es sich mit dem Alten nicht verscherzte, und darauf ­hoffen, dass sich die anderen disqualifizierten. Was durchaus im Bereich des Möglichen lag. Sie wusste mit Sicherheit, dass sowohl ihr Vater als auch ihr Onkel sehr schlechte Karten hatten; diese beiden würden kein großes Hindernis darstellen. Und Bernard und Miranda auch nicht. Nein, ihr härtester Widersacher um das Erbe war Matte. Sie musste sich eingestehen, dass er im Augenblick bei Großvater einen dickeren Stein im Brett hatte als sie. Aber sie war überzeugt, dass dies nur vorübergehend war. Sie brauchte nur abzuwarten, bis auch Matte eine Schwäche offenbarte, die sie zu ihrem Vorteil nutzen konnte.

»Oh, entschuldige!« Fast wäre sie Martin mit dem Rollstuhl gegen das Schienbein gefahren. Sie hielt an, um ihn vorbeizulassen. Dabei fragte sie sich kurz, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, ihn hierher einzuladen. Aber sie wollte Großvater unbedingt zeigen, dass sie erwachsen und reif geworden war, und da passte ein fester Freund, noch dazu ein Polizist, sehr gut ins Bild. Auch wenn sie sich gewünscht hätte, dass er bei der Vorstellungsrunde nicht so tollpatschig gewirkt hätte. Ein Blick auf Bernard hatte genügt, um zu sehen, was er von Martin hielt, und sie fragte sich, ob die anderen genauso dachten.

Natürlich war Martin nett und sah gut aus, es war jedoch offensichtlich, dass er keine Umgangsformen besaß. Aber nun war er hier, und sie musste versuchen, das Beste aus dem Wochenende zu machen. Sie schob Großvater in den Speisesaal.

Der Anblick der zahllosen Speisen, die man auf den Tischen des Buffets an der einen Längswand aufgebaut hatte, war überwältigend. Schinken, Presskopf, Heringssalat, eingelegter Hering, Buletten, Wurst und vieles mehr. Es gab alles, was man sich für ein Weihnachtsessen wünschen konnte, und Martin stellte verlegen fest, dass sein Magen laut knurrte.

»Unser junger Mann ist wohl ein bisschen hungrig, hm?«, sagte Harald lachend und verpasste Martin einen Klaps auf den Rücken.

»Ja, ein bisschen schon«, antwortete er und lächelte gequält. Er betete zu Gott, dass Lisettes Vater ihn nicht für den Rest des Wochenendes mit »junger Mann« anreden und ihm auf den Rücken klopfen würde.

Bald hatten sich alle bedient und ließen sich an dem hübsch gedeckten Esstisch nieder. Draußen hatte sich der leichte Schneefall inzwischen fast in einen richtigen Sturm verwandelt. Börje machte die Runde und schenkte eisgekühlten Branntwein in die Schnapsgläser ein. Er wirkte besorgt.

»Das sieht nicht gut aus. Laut Wetterbericht steht uns ein dickes Unwetter bevor. Ich hoffe, dass wir nicht aus ­irgendeinem Grund rüber aufs Festland müssen, das könnte bei dem Wetter schwierig werden«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf das Schneegestöber.

»Es fehlt uns hier an nichts«, erwiderte Ruben mit seiner heiseren Altmännerstimme. »Vor Sonntag wollen wir ja nicht weg, und verhungern werden wir inzwischen auch nicht, denke ich.«

Alle lachten über seinen Kommentar. Ein wenig zu laut und ein wenig zu herzlich. Eine argwöhnische Falte bildete sich zwischen Rubens buschigen Augenbrauen; vermutlich hatte er die gekünstelte Freundlichkeit satt. Einen Moment lang kreuzten sich ihre Blicke, und Martin begriff, dass der Alte seine Gedanken gelesen hatte. Er schlug die Augen nieder und konzentrierte sich darauf, Senf auf die kleinen Cocktail-Würstchen zu streichen. Wenn man sie an den Enden aufschnitt, drehten sie sich um sich selbst. Als er klein war, hatte er sie Dauerwellenwürste genannt, was er noch immer bei jedem Weihnachtsfest zu Hause von seinen Eltern zu hören bekam.

»Nun, Bernard«, sagte Ruben und wandte sich seinem Enkel zu. »Wie geht es denn deiner Firma? An der Börse sind einige Gerüchte im Umlauf.«

Für einen Moment machte sich ein betretenes Schweigen breit, bevor Bernard antwortete:

»Das ist nur böswilliges Gerede. Der Firma geht es besser als je zuvor.«

»Aha, da habe ich aber etwas ganz anderes gehört«, entgegnete Ruben sanft. »Und meine Quellen sind … wie du weißt … äußerst zuverlässig.«

»Nichts gegen deine Quellen, Großvater, aber ich denke, dass sie vielleicht nicht gerade auf dem neuesten Stand sind. Was wollen die also über …«

Ein strenger Blick von Vivi brachte Bernard zum Schwei­gen. Mit gedämpfter Stimme sagte er:

»Tja, nun, ich kann nur sagen, dass sich deine Quellen täuschen. In der nächsten Bilanz werden wir hervorragende Zahlen präsentieren können.«

»Und was ist mit dir, Miranda? Wie geht es deiner ­Design-Agentur?« Rubens Blick war durchdringend wie Röntgenstrahlen, und Miranda rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, als sie antwortete:

»Na ja, wir hatten ein bisschen Pech. Einige Aufträge wurden im letzten Moment storniert, und wir mussten ziemlich viel unentgeltlich arbeiten, um Referenzkunden zu gewinnen, und …«

Ruben hob eine knochige Hand. »Danke, danke, das reicht. Ich kann mir den Rest denken. Mit anderen Worten, es ist nicht mehr viel von dem Kapital übrig, das ich in dein Unternehmen gesteckt habe, richtig?«

»Nun, Großvater, genau darüber wollte ich mit dir reden …« Sie wickelte eine Locke ihres schönen dunklen Haars um einen Finger und blickte den alten Mann demütig an.

»Die Kinder sind so fleißig und arbeiten unglaublich hart. Ja, Gustav und ich bekommen sie derzeit kaum noch zu Gesicht, immerzu arbeiten und arbeiten sie …« Vivi versuchte, die Situation zu retten, und plapperte weiter, während sie nervös mit ihrer Perlenkette spielte.

Martin hatte immer mehr Mühe mit seinen Cocktail-Würstchen. Das Abendessen hatte eine unangenehme Wendung genommen, und er suchte Lisettes Blick. Aber wie die anderen Familienmitglieder lauschte sie mit großer Spannung dem verbalen Schlagabtausch.

»Und du, Lisette, hast du vor, dir bald mal eine Arbeit zu suchen?«

Lisette klappte den Mund zu, als ihr Großvater plötzlich sie ansprach.

»Aber … ich … ich studiere doch noch«, stammelte sie nervös und schien auf ihrem Stuhl zusammenzuschrump­fen.

»Ja, ich weiß, dass du studierst«, sagte Ruben trocken. »Ich finanziere schließlich dein Studium. Seit acht Jahren. Ich wollte nur wissen, ob es nicht langsam an der Zeit ist, einen Teil all diesen Wissens in die Praxis umzusetzen?« Sein Ton war noch immer gefährlich sanft. Lisette senkte den Blick und murmelte:

»Ja, Großvater.«

Er schnaubte verächtlich und blickte zu seinen Söhnen.

»Es gibt ein paar Probleme bei der Arbeit, habe ich gehört.«

Martins geübtes Auge sah, wie Harald und Gustav einen raschen Blick wechselten. Es dauerte nur eine Milli­sekunde, doch Martin konnte sowohl Hass als auch Furcht darin erkennen.