Schon wieder abgehauen - Karin Michalke - E-Book

Schon wieder abgehauen E-Book

Karin Michalke

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Beschreibung

Durch den Hinweis auf eine Annonce kommt Karin Michalke zu Straßenhund-Mischling Billy-Joe. Und verliebt sich sofort. Er ist ein absoluter Prachtkerl. Und zugleich ein Windhund, Jäger und Krieger: Billy ist nicht zu halten, egal, ob er Hasen, Murmeltieren, Radfahrern oder anderen Hunden begegnet. Mit wunderbar feiner Selbstironie erzählt die Autorin vom Glück, einen Hund zu halten, aber auch vom seelischen Aufruhr einer verzweifelten Hundebesitzerin, die versucht, ihren Schützling in den Griff zu bekommen. Von vielen Hundetrainer:innen, Seminaren, Workshops, Zusammenbrüchen und Durchbrüchen, von ihrem Üben, ihren Erfolgen und ihren Rückschlägen. Doch am Ende hat der Problemhund nicht nur ihr Leben kräftig durcheinandergewirbelt, sondern ihr auch einen völlig neuen Weg zum Glück gezeigt. Und ihr den Mut gegeben, so zu leben, wie sie ist. Eine Liebeserklärung an unsere Hunde und an das Leben, oft zum Lachen und manchmal auch zum Weinen. Ein Buch, das nicht nur Hundebesitzern Mut macht und ihnen Trost, Freude und Inspiration schenken kann.

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Seitenzahl: 343

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Impressum

© eBook: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

GU ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Autorin: Karin Michalke

Projektleitung: Susanne Kronester-Ritter

Lektorat: Eva Stadler, München

Bildredaktion/Gestaltung der Bildseiten: Denise Sterr, Dornbirn

Covergestaltung: ki36 Editorial Design, Bettina Stickel

Schlusskorrektur: Andrea Lazarovici

eBook-Herstellung: Teresa Klocker

ISBN 978-3-8464-1026-4

1. Auflage 2024

Bildnachweis

Illustration: Michaela Fischer

Fotos: Alamy Stock Photo Ian Jones, Carolin Kipka, Getty Images/Westend61 Lisa und Wilfried Bahnmüller, privat, Ulrike Hofbauer, Ulrike Molsen, Lisa Ploschka

Syndication: Bildagentur Image Professionals GmbH, Tumblingerstr. 32, 80337 München, www.imageprofessionals.com

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Leserservice:

GRÄFE UND UNZER Verlag

Grillparzerstraße 12

81675 München

www.graefe-und-unzer.de

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieses Buch geht wahrhaft zu Herzen. Es ist eine großartige Liebeserklärung an unsere Hunde und an das Leben, oft zum Lachen und manchmal zum Weinen. Karin schildert sehr liebevoll und aufrichtig, was viele Hundebesitzer aus ihrem eigenen Erleben bestens kennen: eine aufregende Reise mit ihrem vierbeinigen Freund. Nicht nur im Alltag, sondern auch auf der Suche nach dem richtigen Verhaltensberater für sich und ihren Hund Billy – mit all den Rückschlägen und Fortschritten, mit den großen und kleinen Dramen im Leben von Mensch und Hund.

Es ist ein Buch, das anderen Hundebesitzern Mut macht. Karin zeigt an ihrer eigenen Geschichte, dass die gute Absicht allein manchmal nicht ausreicht – und dass es nie zu spät ist, einen neuen Weg einzuschlagen. Wer für sich und seinen Hund nach kompetenter Unterstützung sucht, wer offen ist für Neues und für ein verändertes Verhalten und wer bereit ist für ein konsequentes Umsetzen des Gelernten, der kann diesen Weg gehen. Wir dürfen Karin in diesem Buch auf diesem Weg begleiten.

Und auch ich durfte das tun. Ich kann mich noch genau daran erinnern, als ich Karin und Billy das erste Mal in ihrem Haus besucht habe. Wie habe ich mich gefreut, dass ich in diesem autobiografischen Buch vorkommen darf! Karin schildert in ihrer wunderbaren Geschichte, was auch für mich als Hundetrainerin das ganz Besondere an meiner Berufung ist: Ich darf Menschen begegnen und begleiten, die sich das Beste für ihren Hund wünschen; die ihren Hund lieben und ihm in einem gemeinsamen Leben als Partner und Freund gerecht werden wollen. Begegnungen wie zwischen Karin und mir sind es, die mir Bestätigung und Erfüllung geben in meinem Hundetrainer-Dasein.

Das harmonische Miteinander, zu dem Karin und Billy schließlich finden, ist keine Zauberei. Nach meiner Erfahrung kann das ganz einfach sein – wenn man das hündische Verhalten verstehen lernt und wenn man sich darauf einlässt, sein eigenes Verhalten gegenüber dem Hund so zu gestalten, dass es für den Vierbeiner lesbar ist und berechenbar wird. So wird der Mensch in der Wahrnehmung des Hundes zu einem verlässlichen, fairen Partner.

Das A und O dafür sind die verhaltensbiologischen, wissenschaftlichen Grundlagen unserer Hundetrainer-Arbeit. Wir Menschen wissen inzwischen so viel über die Spezies Hund, dass alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, den Hund als Hund wahrzunehmen, ohne veraltete Rangordnungstheorien heranzuziehen, die doch nur auf den Vorstellungen von uns Menschen beruhen.

Der Weg zum guten Miteinander mag manchmal steinig sein, aber er lohnt sich, wie Karin so anschaulich und unterhaltsam zeigt. In einer Zeit, in der wir manchmal atemlos nach schnellen Lösungen suchen, zeigt ihre Geschichte, wie wichtig es ist, auf unser Herz zu hören und nicht nur mit dem Hund, sondern auch mit uns selbst achtsam umzugehen.

Ich lade Sie ein, sich auf diese Reise einzulassen, mit offenem Herzen und offenem Geist. Lassen Sie sich berühren, lassen Sie sich inspirieren und finden Sie vielleicht sogar ein Stück Ihrer eigenen Geschichte in den Erlebnissen von Karin und Billy wieder.

Danke, Karin, für dieses aufrichtige und bewegende Buch. Es wird vielen Hundebesitzern Trost, Freude und Inspiration schenken.

Viel Spaß beim Lesen,

Ihre Stephanie Lang von Langen

Tierpsychologin, Hundetrainerin und Ausbilderin

2006 Nie wieder Rockstars

»Schau ihn dir wenigstens an.« Meine Nachbarin hat eine Annonce ausgedruckt. Platziert sie strategisch schlau zwischen unseren Kaffeetassen.

»Ähm …«, sage ich. Und dreh mich weg, um die Espressokanne noch mal zu stopfen.

Ich werde nicht auf die Annonce schauen. Ich habe mein Leben sehr gut sortiert, endlich einmal. Extrem übersichtlich. Unter Vermeidung jeglicher Aufregung und Zweifel. Es gibt mich, meinen lila Fernsehstuhl und ab 14 Uhr die tägliche Etappe Tour de France. Ich komme hervorragend klar.

»Ich glaube wirklich, dass er zu dir passt.« Meine Nachbarin lächelt die Annonce an und dann mich. Sie heißt Mathilde, aber alle sagen Tilo. Sie ist wie eine große Schwester zu mir und wahrscheinlich hält sie’s nicht aus, wie ich lebe. Allein. In meiner 50 Quadratmeter großen Dachgeschosswohnung.

»Passt schon«, murmle ich. »Mir geht’s gut.«

»Jeder Mensch braucht jemanden!«, lächelt sie. »Ich seh euch schon richtig zusammen. Ich fühl’s.«

Ihre Hände streichen über das Foto. Mein Gott. Man kann ja fast nicht nicht hinschauen.

Er ist ein Rockstar. Bernsteinaugen, geschmeidig wie ein Tiger, Tennisball im Maul.

»Wir könnten gemeinsam Gassi gehen«, sagt Tilo. Immer, wenn sie was durchsetzen will, klingt ihre Stimme wie Glitzer. »Du kannst ja nicht ewig hier oben eingeigelt bleiben.«

»Doch«, sage ich. Und wünsche mir einen Topf Spaghetti mit Ketchup und Mayonnaise. Tilo würde nicht im Traum Ketchup und Mayonnaise auf irgendwas tun.

Ich mache eine Prozedur daraus, die Kaffeekanne auf der Herdplatte zu bewachen. Vielleicht, damit ich nicht noch mal auf das Foto schaue. Weil:

»In den verlieb ich mich. Kenn ich alles. Mach ich nie wieder.«

Tilo legt ungläubig ihre grazile Hand auf die Annonce. »Das kannst du doch nicht vergleichen!«

»Doch. Genau das vergleich ich.«

Sie rührt in ihrem Espresso, während ich Milch schäume für meinen. Tilos Augen sind voller Verständnis. Voller Güte. Diese Art Güte … können nur Menschen haben, die oberhalb der Chaosgrenze leben. Nicht wie ich, vom Schreiben für eine Vorabendserie, ein Job, für den ich »viel zu kantig denke, das will der Fernsehzuschauer nicht«.

Tilo nippt an ihrer Tasse. Wortlos.

»Es muss ja kein Hund sein«, nuschle ich und überflute meinen Kaffee mit Milchschaum. »Ich hol mir ein anderes Tier. Ich mag zum Beispiel gerne … Fische. Ich hol mir einen Fisch.«

Tilo nimmt keine Milch im Kaffee. Zucker auch nicht. Niemals. Ihre schmalen Finger rühren trotzdem. Elegant. »Ein Fisch ist kein Sozialpartner.«

»Einem Fisch kann ich alles erzählen. Ein Fisch ist immer da, wo ich ihn haben will. Für einen Fisch muss ich kein anderer Mensch werden. Ein Fisch ist der perfekte Sozialpartner.«

»Ein Hund freut sich, wenn du nach Hause kommst. Ein Hund geht mit dir laufen. Ein sportlicher wie der da …« Sie schiebt die Annonce, auf die ich nicht schaue, näher zu mir: »… kann auch mit zum Radfahren. Auf Skitouren. Baden am See.«

Ich weigere mich, die Buchstaben zusammenzusetzen. Nein, nicht mal die Überschrift …

Sportlicher, temperamentvoller Labrador-Mix sucht den einen Menschen, dem er vertrauen kann.

Oh Mann.

Ich schüttle den Kopf. Ich bin nicht »der eine Mensch«. Für niemanden. Auch nicht für einen hübschen Labrador-Mix. Und Rad fahren, Skitouren oder baden am See geh ich schon lange nicht mehr.

Tilo hat einen Golden Retriever. Gonzo. Gonzo betet Tilo an. Für Gonzo besteht die ganze Welt nur aus Tilo. Tilo hat Gonzo mit dem kleinen Finger unter Kontrolle. Tilo hat auch ihr Leben mit dem kleinen Finger unter Kontrolle.

Ich bin 30. Aber ich schwöre, irgendwas unter Kontrolle – hatte ich noch keine einzige Sekunde. Ich schiebe die Annonce zurück zu Tilo. Ich glaube, sie wird sie auf meinem Küchentisch liegen lassen, wenn sie wieder geht. Und in den Untiefen meines Gehirns weiß ich, dass sie recht hat.

Aber einer wie der da ist gefährlich. Für mich zumindest. Nie wieder werde ich mich an ein Lebewesen verlieren, das auch nur eins der folgenden Attribute besitzt: Männlich. Gut aussehend. Selbstbewusst. Und ein Rockstar.

Nach dem letzten Exemplar dieser Art – andere Spezies, aber gleiches Prinzip – bin ich nach Indien gefahren, um halbwegs von ihm wegzukommen. Ashram. Ayurveda. Himalaya. Das ganze Programm. Ich bin geläutert. Erleuchtet. Im Reinen mit dem, was ist. Und, glauben Sie mir, es war kein Spaß.

Das wird mir auf keinen Fall noch mal passieren. Es wird für mich nur noch neutrale, sichere, überschaubare Kontakte geben. Simple, angenehme Beziehungen. Fische.

Keine Rockstars.

Mann oder Hund.

Einfach keine Rockstars.

Ich warte, bis Tilo ihren Kaffee ausgetrunken hat. Ihr Leben ruft. Kinder, Schule, Haushalt, ein gut laufendes Steuerbüro, Papagei, Friseur, Pilates, Golden Retriever.

Sie küsst mich auf die Wange, wünscht mir alles Beste und ich soll sie anrufen! Vielleicht mal Gassi gehen, mit Gonzo, und … »Schau ihn dir wenigstens an.«

Ein Hauch von Chanel wabert um mich herum, als ich die Wohnungstür hinter ihr schließe. Klack-klack-klack machen Tilos Absätze auf der alten Treppe. Elegant und leicht. Für einen Moment horche ich. Horche ihr nach und höre ein Klopfen, das nicht von ihren Schritten kommt, sondern von mir. Ba-bumm. Ba-bumm. Herz. Klopft. Unbeirrbar. Einfach ein Muskel, der seinen Job macht. Kein Grund zur Aufregung.

Dann geht die Haustür.

Und dann Stille. Ruhe.

Ruhe, in der ich die Falten in meinem T-Shirt rascheln höre.

Vollkommene Ruhe. Durchschnaufen. Allein. Allein ist der beste Zustand. Das ist einfach so.

Aber dann, wenn die Schritte verhallt sind und die Wohnung leer, ist es … Dann sehe ich die Schatten. Dunkle Flecken, die mein Leben auf mir hinterlassen hat. Die sich ausbreiten wie Tentakel, nach mir greifen. Die Ruhe ist eine Krake.

»Schau ihn dir wenigstens an«, hat Tilo gesagt.

Schau ihn dir wenigstens an.

Ich falte die Annonce. Ins Altpapier damit. So macht es die Vernunft. Das ist der kluge Weg. Ich gehe den klugen Weg.

Es ist jetzt 11.30 Uhr. Noch drei Stunden, bis die elfte Etappe anfängt. Das Feld hat die Berge erreicht. Die Tour de France rettet meine Nachmittage. Ich sehe die Terminator-Beine in die Pedale treten. Treten, treten, treten. Immer gleich. Sausen sie dahin. Bis ich vom Zuschauen in Trance verfalle. Treten, treten, treten. Keine Gedanken mehr. Keine Fragen. Nichts, was ich tun muss. Bis fast halb sechs.

Schau ihn dir wenigstens an.

Längst ist es meine eigene Stimme, die das sagt. Wie ein Ohrwurm. Ich fange an in Schubladen zu kramen. Um ihn nicht mehr zu hören, den Ohrwurm. Ich habe aufgehört zu rauchen. Noch nicht sehr lange her, aber dieses Mal definitiv. Keine Sucht mehr für mich: Zigaretten nicht, Liebe nicht und Hoffnung auf ein glückliches Leben oberhalb der Chaosgrenze auch nicht.

Ich könnte Staub saugen, bis die Etappe anfängt. Mein Bettzeug raushängen. Ordnung und Klarheit schaffen.

Genau. Das mach ich.

Und wie ich meine beiden Küchenstühle wegrücke, damit ich mit meiner Düse unter den Tisch komme, denke ich: Wie groß ist er gleich noch mal … 62 Zentimeter. Das ist ungefähr so hoch wie der Stuhl, oder? Ich messe nach. Der Stuhl hat 40. Okay. 62 ist groß. Aber aussehen tut er richtig toll.

Ba-bumm. Ba-bumm. Macht mein Herz.

Kein Problem. Ein Herz ist ein Muskel. Bloß ein Muskel. Und ich sauge weiter.

Vernünftig sein ist so viel sinnvoller. Gleichgewicht halten. Auf der sicheren Seite bleiben. Ruhig werden. Zielgerichtet. Kein Erdbeben mehr sein.

Ich muss einfach weitersaugen. Ich konzentriere mich. Auf den Boden. Die Brösel …

Bevor ich sie stoppen kann, grabscht meine Hand nach dem gefalteten Papier. Er schaut direkt in die Kamera. Zum Eisbergeschmelzen. Eisberge wie mein Herz.

Ich lese:

Billy-Joe ist im Grunde seines Herzens ein toller Kerl. Nur manchmal reagiert er noch (zu) stark auf seine Umgebung. Trotz seiner Größe ist er ein sehr unsicherer Hund. Neue Menschen und Situationen bringen ihn leicht aus dem Gleichgewicht. Billy-Joe wünscht sich einen Menschen, dem er sein Vertrauen schenken kann und der ihm die sportliche Auslastung bieten kann, die er braucht. Kinder sollten nicht in seinem Haushalt leben.

Er ist hübsch. Viel zu hübsch. Viel zu viele Dinge gleichzeitig in seinem Blick. Gute, witzige Dinge. Ein Sunnyboy-Grinsen. Aber auch die anderen. Die dunklen, glühenden, alles durchdringenden Dinge. Zerbrochen und überlebt.

Ba-bumm. Ba-bumm. Macht mein Herz.

Er ist wie ich.

Da ist ein Fühlen. Eine Verbindung. Wie ein unsichtbarer Faden, von ihm zu mir …

Ich schiebe die Annonce weg. Ans südlichste Ende meines Küchentischs. Es ist bloß ein Foto. Eine Momentaufnahme. Den Rest bilde ich mir ein. Reine Projektion. Alles gut, ich fahr da nicht hin. Auf keinen Fall. Keine Fäden zu irgendwelchen Herzen. Nix mehr. Ich bin ein Hochhaus. Aus Stahlbeton und Glas. Da kommt niemand rein. Die … können mich alle.

Ich ihn auch, übrigens. Wie sich knapp zweieinhalb Stunden später rausstellen wird.

Ich parke meinen VW Passat mit Kilometerstand 387.002 in der Garageneinfahrt einer Villa in Grünwald. Ich klingle. Warte auf den Türsummer. Ein diskretes Bssss. Mehr nicht. Keine Sprechanlage, kein »Hallo, kommen Sie rein«. Nur Bssss.

Ich schiebe mich durch das schmiedeeiserne Gartentor auf das parkähnliche Anwesen. Krasses Grundstück. Uralte Bäume. Eichen. Zypressen. Ein Tulpenbaum. Moosbewachsene Wege. Eine Steinskulptur. Der Garten umhüllt mich, in Dunkelgrün, wie ein Geheimnis.

Nach Tierschutzverein sieht’s hier allerdings nicht aus.

Vielleicht bin ich falsch? Stimmt die Hausnummer? Solche Häuser haben nie Hausnummern. Ich schleiche zur Haustür und klingle dort.

Das Gebell von 100 Höllenhunden bricht los, irgendwo im Inneren dieser Villa. Das heißt, ich bin hier doch richtig.

Ich höre mein Herz klopfen. Laut und aufgeregt, gegen meine Rippen. Wahrscheinlich fängt es an zu hoffen, mein Herz. Genau, was ich nicht brauche.

Ich werde bis 30 zählen, dann bin ich raus. Ich bin ein Hochhaus. Ich brauche nichts und niemanden und ALLEIN ist ein perfekter Zustand. Bei 28 schiele ich durch eins der gewölbten Glaselemente in der Haustür. Eine absolute Scheußlichkeit aus Mahagoni, die Zierleisten mit Diamantrelief. Wer macht bitte so was!? Hoffentlich ist das ein Imitat, denke ich. Fake-Dekor statt Tropenholz. Ich erahne einen Garderobenspiegel, drinnen im Flur. Darüber ein gerahmtes Hand Lettering. Ich lese:

Dass einmal das Wort »Tierschutz« geschaffen werden musste, ist eine der blamabelsten Angelegenheiten der menschlichen Entwicklung. Theodor Heuss.

Jemand hat mich gesehen. Die Tür wird geöffnet. Das Hundegebrüll brandet auf. Und ich werde überrannt.

Eine Meute katapultiert sich aus dieser unsäglichsten aller Haustüren. Die Hälfte rast an mir vorbei, in den Garten. Ein paar Terrier kläffen mich an. Ein zottliger junger Hirtenhund macht neben mir Sitz und schleckt meine Hand ab, und zwei Bärentatzen landen auf meiner Schulter. Ein Berner Sennenhund.

Im Dunst seines Leberwurstatems verstehe ich Menschen, die Angst vor Hunden haben. Ich schiebe das Fellkalb weg. Die Terrier haben auch genug von mir und flitzen zur Rosenhecke, um dort geschäftig alle halbe Meter ins Gezweig zu pinkeln. Nur ein Hund, ein wunderschöner Setter, bleibt neben der Frau stehen, die als Letzte in der Tür erscheint. Blauschwarze Föhnmähne, Kunstfellpashmina, Leopardenleggins, orangefarbener Lippenstift. »Ich bin Gabriele«, lächelt sie. »Wir haben telefoniert.«

Ich nicke. Strecke ihr die Hand hin. Von meinem Unterarm baumelt ein Sabberfaden. Aber da drückt mich Gabriele schon an ihre Brust: »Kommen Sie rein, dann erklär ich Ihnen alles.«

Ich zögere. Suche eine Lösung für den Sabberfaden in meinen Hosentaschen. Und in meinem latent panischen Kopf eine Ausflucht. Eine höfliche Erklärung, warum das jetzt doch nichts für mich ist mit einem Hund.

Der junge Hirtenhund lehnt sich treu schnaufend an mich. »Das ist Samson«, gurrt Gabriele. »Den lieben wir alle, gell, Samson.«

Gleichzeitig streift mich ein Windhauch. Unmerklich. Nur ein Luftzug. Etwas wischt aus der Tür. Schwarz und geschmeidig.

Ah. Den hätte ich beinah übersehen. In federnden Sprüngen zieht er seinen Kreis, als wären wir alle nicht existent. Gabriele nicht. Ich nicht. Oder die anderen Hunde. Nach gut 40 Metern dreht er den Kopf. Mit einem Blick direkt in meine Augen. Bernstein. Ein Blick, den ich mehr fühle als sehe. Und dann verschwindet er hinter den Sträuchern. Vom Erdboden verschluckt.

Das ist er.

Meine Augen bleiben an den Sträuchern hängen. Als wüssten sie nicht, wohin sie jetzt schauen sollten, ohne den schwarzen Hund. Es sind viele Sträucher. Stachelbeeren, größtenteils. Solche hatte meine Oma, hinter ihrem Gasthaus.

Stachelbeeren.

Es ist wie ein Stolpern in ein Luftloch. Diese Sträucher, wie bei meiner Oma. Und der dazugehörige Opa. Wie er mich jedes Mal gefunden hat, bei den Sträuchern, an dem Holzzaun hinter dem Gasthaus, an das ich endlich nicht mehr denke. Hör mir bloß auf mit Stachelbeeren.

Alles klar. Ich werde mich jetzt bei Gabriele entschuldigen, weitere 60 Kilometer auf meinen geschundenen Tacho brummen und die Sache vergessen. Ich bin ein Hochhaus.

Stattdessen höre ich mich fragen: »Der schwarze Hund kann aber nicht abhauen, oder?« Ich spähe um das Haus herum. Das Grundstück hat einen Palisadenzaun. 1,60 m hoch. Sinnvoll, mitten in Grünwald, Villa neben Villa, mit 15 Hunden, die ohne so einen Zaun hemmungslos den Kompost vom Nachbarn leer fressen und dann auf den gelandscapeten Rasen kacken würden. Nein, der schwarze Hund kann sicher nicht abhauen. Nicht zu den Nachbarn. Nicht auf die Straße. Außerdem ist er Gabrieles Problem. Nicht meins. Nicht meins. Weil ich jetzt nämlich wieder heimfahre.

»Ach, unser Freigeist«, trällert Gabriele neben meinem Ohr. »Der muss zuerst seine Runden drehen.« Sie lächelt. »Er ist sehr besonders. Unser Billy-Joe.« Gabriele klingt, als könnte sie in seine Seele schauen. Als würde er mit seiner innersten Wahrheit eben nicht sagen, wir können ihn alle mal …

Trotzdem. Ihr Problem. Nicht meins. »Freigeister sind schwer zu vermitteln«, murmle ich und will gehen.

Aber Gabriele lacht mich direkt an: »Ja, nur an Gleichgesinnte.« Sie streift dabei meine Schulter mit ihrer gebräunten Hand. »Kaffee?«

Sie ist wirklich herzlich. Das weiß ich vom Telefon. Ich weiß aber auch, dass das hier ihr Geschäft ist. Jeder vermittelte Hund bedeutet Business. Tierschutz hin oder her.

Aber Gabriele ist ein Profi. Sie sagt, sie erkennt, wenn zwei Seelen zusammengehören … Überzeugend. Oder sie spielt es so gut, dass man’s ihr abnimmt. Genauso wie ihre Haustür.

Sie hat mich, denkt sie.

Aber sie hat mich nicht.

Exakt 158 Minuten später hockt er auf der Rückbank meines Passats.

Billy-Joe. Elf Monate alt. Groß. Schwarz. Schneeweiße Zähne. Ich bin 280 Euro los und habe einen Schutzvertrag unterschrieben, mit Ausschluss- und Haftungsklauseln, vor denen ich fast Angst kriege.

Aber zu spät. Wir fahren auf die Autobahn.

Ich bereue zutiefst, dass ich Gabriele nicht nach einer Toilette gefragt habe. Während Billy-Joe mit halb geschlossenen Augen aus dem Fenster linst. Draußen läuft eine Naturdoku, nur für ihn. Wiesen. Kühe. Ein Bach. Mein iPod spielt Pearl Jam. Und er sieht aus, als könnte er das komplette Album mitsingen. Als wär’s immer schon so gewesen. Ich fahre. Mein Hund lehnt lässig an der Rückbank. Und wir lieben Pearl Jam.

Wir.

Ich und mein Hund.

So viel zu Konsequenz, Klugheit und Vernunft.

Die Erkenntnis trifft mich mit der Durchschlagskraft eines Kometen. Kurz vor Holzkirchen.

Ich habe einen Hund. Krass. Ich brauch Luft. Ich muss die Scheiben runterkurbeln. Mit der Hand. Mein Passat hat noch Fensterkurbler. Es ist mitten im Juli, aber kalt wie im Winter. Meine Haare fangen sich im Fahrtwind und Billy-Joe macht dieses Hundeding mit seiner Nase. Dieses In-der-Luft-Schnuppern. Dann niest er. Und schnuppert noch mal. Seine Lefzen verziehen sich zu einem Hundegrinsen. Er ist wie einer dieser Surfertypen mit ihren zerschundenen Rucksäcken, die am Irschenberg Autostopp machen. Destination Südfrankreich. Atlantik. Ich hab mir oft vorgestellt, wie das ist. So frei zu sein. Egal, was die Welt von dir will, keine Kohle, nur eine Blues Harp in der Tasche und die Sonne.

Nur irgendwie … ist das Maximum an Tramperfreiheit in meinem Leben der blaue Daunenschlafsack in meinem Kofferraum. So gut wie unbenutzt. Mittlerweile riecht er wie ein toter Hase, wenn man ihn entstülpt. Aber dabei hab ich ihn immer. Und eine Stirnlampe.

Ich merke, dass ich länger in den Rückspiegel schaue als auf die Straße. Ich habe einen Hund! Sein samtglänzendes Fell. Seine goldenen Augen. Seine muskelbepackte Brust mit dem weißen Fleck drauf und die schwarzen Pfoten. Wenn ich wegschaue, fehlt mir was. Innerlich. Als ob Billy-Joe … mein Herz füllt. Er füllt mein Herz.

»WhFF«, macht er. Von draußen tönt es: »QUAAA, QUAAA, QUAAA!« Und ein Schwarm mittelgroßer Vögel rudert sich mit viel Anlauf in den Himmel.

»WHOFFF!«

»Enten«, erkläre ich. Sein Blick studiert mich. Hellwach. Wie ein Radar ist er. Dann lehnt er sich wieder zum Fenster. Fast stößt sein Kopf an die Decke. Ja, er ist ziemlich groß. Größer, als er in Gabrieles dunkelgrünem Park ausgesehen hat.

Ba-damm. Ba-damm. Macht mein Herz.

Der kann auf dich aufpassen.

Ich habe keine Ahnung, wo der Gedanke auf einmal herkommt. Ein Gedanke, als ob sich vor mir ein Tor öffnet, so groß und schwarz, wie mir sonst die ganze Welt vorkommt. Ächz, knarz … Und alles dahinter ist himmelblau. Wunderschön und endlos weit. Das – DAS ist der Ort, an dem man leben sollte. Denke ich. Ohne großes schwarzes Tor.

Manchmal wünsche ich mir einen anderen Kopf. Der andere Dinge denkt. Ich bin ein Freiheitsmensch. Man kann mich unmöglich einsperren. Ich bin nicht Reihenhaus-kompatibel – das hab ich ausprobiert – und zu viele nette Grillabende lassen mich die Flucht ergreifen.

Ich würde immer davonlaufen.

Ich könnte nie bleiben.

Nicht einmal bei jemandem, den ich … liebe.

Nein.

Er heißt Kilian, wenn Sie’s interessiert, und ich kenne ihn schon länger. Ich war Sennerin auf einer Alm, damals. Und er der Revierjäger. Der Hirschflüsterer. Ein Rockstar im Alpenglühen.

Kitschig?

Für eine kurze Zeit, ja.

Aber dann habe ich ihm erklärt, mit absoluter Überzeugung und brechender Stimme, dass ich nicht in seine Welt passe.

Seine Welt aus Tradition. Brauchtum. Pflicht und Ehre. Jahrhundertealtes Gerüst. Das würde ich niederreißen. Und dann würde es uns unter Schutt und Asche begraben.

Tragisch. Die Liebe würde ein tragisches Ende nehmen mit mir. Also bin ich ab nach Indien.

Es hätte besser werden sollen in Indien. Zumindest wieder so, wie’s vorher war. Eher neutral. Eher seltsam. Eher einsam. Aber ohne dieses ständige … Herzbeben.

Tja.

Es ist nicht besser geworden.

Aber ich bin eisern geblieben. In dem verdammten Ashram. So lange, bis ich nicht mehr an ihm hänge, habe ich mir gesagt. Jedes Gefühl hört auf, wenn genug Zeit vergeht, habe ich mir gesagt. Genug Zeit jedenfalls, dass er’s mir geglaubt hat. Und eine neue Beziehung angefangen. Hervorragend.

Das war genau, was ich wollte. Genau, was ich wollte. Weil ich ein Freiheitsmensch bin. Eine Freie Frau! Die hinter einem großen schwarzen Tor lebt. Weil sie sich fürchtet vor der himmelblauen Welt da draußen. Genial.

Aber jetzt habe ich einen großen schwarzen Hund.

Wir sind da. Mit einem routinierten Schlenker lasse ich den Passat in den provisorischen Stellplatz zwischen Kieferngebüsch und Gartenzaun rollen.

Meine Wohnung ist im Dachgeschoss. Klein. Niedrig. Aber wenn ich im Bett liege, kann ich durch das zugige Fenster unter der Dachrinne zum See hinunterspähen. Das Haus gehört Frau Hörndl. Sie ist 83. Ich sehe sie nicht, aber ich weiß, dass sie hinter einem ihrer gardinenverhangenen Fenster lauert. Billy-Joe wird ihr nicht geheuer sein. Es wird Regeln geben. Kein Hund im Garten, wegen der Blumen und der Hundehaufen. Keine Pfotenabdrücke im Treppenhaus. Das sowieso ich wische. Weil Frau Hörndl 83 ist und ich 30. Kein Bellen und keine nächtliche Störung wegen Gassigehen.

Frau Hörndl entgeht nichts. Wenn ich in meine Wohnung will oder das Haus verlasse, muss ich an ihrer Tür vorbei. So leise kann ich gar nicht schleichen. Zack, steht sie da. Will mir alte Fotos oder eine Chronik zeigen. Mir die Ski-Wachs-Station ihres 1974 verstorbenen Ehemanns Otto vermachen oder seine ledernen Eishockeyschlittschuhe. Frau Hörndls Otto war bayerischer Meister im Skispringen seinerzeit, das will was heißen, und ich bewundere die Zeitungsartikel über ihn, weil das Frau Hörndl von ihrer Einsamkeit ablenkt.

Aber ein Hund war nicht im Miet- und Lebenspaket.

Keine Ahnung, wie ich ihr das erkläre.

Und natürlich habe ich keine Leine dabei. Halsband auch nicht. Ich bin heute Vormittag schließlich nicht losgefahren, um mir einen Hund zu holen. Sondern, um zu beweisen, dass ALLEIN der beste Zustand ist. Ohne Mann. Ohne Kinder. Ohne Hund. Einfach ohne.

»WHOU«, sagt er auf dem Rücksitz.

Ich schiele in den Spiegel. »Hier wohnen wir.«

Ich weiß nicht so genau, was als Nächstes kommt. Was passiert, wenn ich seine Tür aufmache. Ich brauche einen Plan.

Manchmal wünsche ich mir ein Paralleluniversum. Keins im Sinne eines zweiten Ichs auf einem zweiten Planeten … aber vielleicht einen Zustand, eine Realität mit einer komplett anderen Schwingung. In der die anderen Entscheidungen zum Tragen kommen. Die verpassten. Die nicht gewagten. Die mich vielleicht glücklich gemacht hätten. Ich hätte Indien nie gesehen. Ich hätte längst einen Golden Retriever, so einen wie Tilo, und weder die Annonce noch Billy-Joe selbst hätte sich jemals auch nur zur Idee geformt.

So ein Paralleluniversum wird wahrscheinlich nicht existieren. Aber dann will ich wenigstens zurück in meinen lila Fernsehstuhl, ins herzklopfenfreie Vakuum der Tour de France.

»WHOOU! WHOOU!«

Okay. Wir können nicht ewig im Auto hocken bleiben. Billy hechelt alle Scheiben neblig. Also. Der Plan ist: Tür auf. Hund am Fell greifen, in den Garten und von dort ins Haus führen. »Billy, komm.«

Er springt raus. 32 Kilo Hund. Weicht meiner Hand aus wie eine Schlange und trabt davon.

Uuuups.

In meiner Euphorie bin ich davon ausgegangen, dass er weiß, dass er mein Hund ist und ich sein Mensch. Aber woher soll er. Er ist ein Straßenhund. Ein großer schwarzer Straßenhund, der in diesem Moment federnd und um einiges schneller als ich Richtung Kurpark trabt. Dabei schnüffelt er nicht völlig versunken am Wegrand, wie’s alle anderen Hunde tun. Sondern schaut. Späht. Mit einem Blick wie ein Adler, über den ganzen Kurpark, hinaus auf den See, und weiß der Geier, wohin noch. Er wittert. Alle Fasern startbereit, wie ein Athlet.

Ich laufe ihm nach. Das realisiert er, ohne sich zu mir umzudrehen, und trabt etwas schneller.

»Billy!«, säusle ich. »Komm!« und pfeife, ohne jedes Talent.

Trab, trab, trab.

Was hat mich nur geritten, dass ich nicht Samson, den jungen Hirtenhund, mitgenommen habe?

Mein Gefühl schwappt in das Gegenteil von Sicherheit. Mein Hund läuft mir davon. Ohne Leine, ohne Geschirr, in der Einflugschneise zur Seepromenade eines oberbayerischen Luftkurorts.

Doch auf einen Schlag bleibt er stehen. Wie eine Statue. Reglos, unter Hochspannung. Ein Mann in einem zartrosa Hemd kommt vom Spielplatz herauf. Er schiebt mit einer Hand einen Kinderwagen. Mit der anderen telefoniert er. Er achtet nicht auf den Hund vor ihm. Den großen schwarzen Hund, dessen Rückenfell sich aufstellt wie ein Irokese.

Nicht die ideale Situation. Nicht ideal.

Hund. Zurückholen. Jetzt.

»Billy.«

Wahrscheinlich müsste ich autoritärer klingen.

Oder interessanter.

»Billy!«

Keine Reaktion. Er sieht aus wie ein schwarzer Besen. Ein Besen, dem ich nicht unbedingt allein in einer dunklen Gasse begegnen wollen würde. Wie gut, dass wir nicht in einer dunklen Gasse sind, sondern im luftigen Kurpark. Mit vielen unbedarften Menschen, Kindern und Hunden. Sieht der Mann mit dem rosa Hemd nicht, dass er sein Kind gleich in ein gefletschtes Gebiss schiebt?

Wahrscheinlich nicht. Wichtiges Gespräch.

»Bil-ly …«

Okay. Was mach ich. Handzeichen. Ich strecke beide Arme weit vor und suggeriere dem Mann, dem Kinderwagen, mit maximaler mentaler Kraft: stopp. Nicht weitergehen. Ich würde gern zuerst meinen Hund einfangen. Ja, den mit Ganzkörper-Irokesen!

Der Mann muss mich in seiner Peripherie wahrgenommen haben. Ein kurzer, verwirrter Blick streift mich. Bevor er stehen bleibt, mir den Rücken zudreht und intensiv etwas in sein Telefon erklärt, untermalt von weit ausholenden Gesten seines freien Armes.

Billy duckt sich zur Seite. Schreckhaft. »WHFFF.«

Der Mann. Der Arm.

Ich sage »Hey! Billy!«, laufe hin und schnappe ihn am Fell. Sein Herz rast. Das spüre ich, als ich ihn zurück zum Haus schieben will. Tak-Tak-Tak-Tak-Tak. Er duckt sich auch vor mir. Will weg. Aber dieses Mal bin ich drauf gefasst und lenke ihn zu Frau Hörndls handtuchschmalem Gartentor: »Da rein!«

Mit eingekringeltem Schwanz trabt er vor mir her und ist drin. Im Garten.

Puh. Garten mit Zaun. Zwar nur ein alter Bretterzaun, morsch, wacklig und mehr eine Metapher als eine tatsächliche Barriere. Aber ich setze auf die symbolische Bedeutung und mache schnell: Haustür auf. Zeige in den dunklen, 83 Jahre alten Treppenmief. »Da rauf, komm!«

So. Hund in der Wohnung. Aufatmen.

Er dagegen atmet nicht auf. Sondern durchkreuzt nervös meine 50 Quadratmeter unter der Dachschräge. Wahrscheinlich sucht er einen Fluchtweg. »Hey, komm mal her, Billy …«, sage ich. Seine Krallen tappeln unaufhörlich auf dem billigen PVC. Er schnüffelt alles an, systematisch und schnell. Mein Bett, meinen Schrank, meinen Fernseher, meine Rucksäcke, meine Schuhe, meine Ski. Die hängen platzsparend gleich neben der Wohnungstür.

Frau Hörndls Haus hat keinen Keller und ihr Schuppen ist besetzt von Gartengeräten und Memorabilia von Otto-hab-ihn-selig. Da ist kein Zentimeter Platz mehr für mein Zeug. Nicht, dass ich nennenswert Zeug hätte, außer Ski. Ein Mountainbike noch. Einen alten Stahlesel. Aber die Laufnaben und die Schaltung sind XT. Im Prinzip ein geiles Teil. Das parkt, seit Indien unberührt, hinter Tilos Mülltonnen.

»Billy … Na komm …« Vielleicht will er was fressen. Ich habe … Cornflakes. Milch. Ein Rührei. Hundefutter kauf ich noch.

»Willst du Spaghetti?«

Er kriegt meine wunderschöne pink schimmernde Salatschüssel, alle anderen sind zu klein. Aber bevor ich auch nur die erste Nudel drinhabe, hebt Billy-Joe ein Bein und … pinkelt an meine Gastherme. Von der Gastherme schlängelt sich das gelbe Rinnsal zur Küchenzeile. Geistesgegenwärtig werfe ich ein Geschirrtuch drauf, bevor’s unter der Spüle verschwindet.

Alles gut. Ich hab eh so viele Geschirrtücher. Braucht kein Mensch. Und Zeit zum Pinkeln war ja nicht. Armer Hund, denke ich. Ich muss sofort noch mal raus mit ihm. Was nehm ich denn als Leine … und noch während ich in meiner Werkzeugschublade nach einem Spanngurt suche, höre ich aus dem Schlafzimmer ein Geräusch. Knurps, knack.

Billy zerkaut ein Stück Treibholz.

Wie süß.

Oh, nein!

»Billy, aus!!« Das Treibholz ist ein Andenken an den Tag, an dem ich endgültig meine Zigaretten weggeschmissen habe. Das war am Ufer der wilden Isar. Um mich herum das klare rauschende Wasser. Unter meinen Füßen die glatt geschliffenen Steine. Ich habe Luft geatmet anstatt Rauch. Kraft eingeatmet. Und da war mir klar: Ich kann das Rauchen der Isar überlassen. Bis Bad Tölz, bis München, in die Donau, bis Passau und ins Schwarze Meer soll sie meine Sucht spülen. Alle Suchten, idealerweise. Ich will nichts mehr haben davon. Und damit ich das nie vergesse, hab ich ein Stück Holz mitgenommen. Ein Treibholz, wie ich eins bin.

Es war ein Ritual.

»Billy, das ist meins«, sage ich. Aber er legt entschieden seine Tatze drauf und gibt’s nicht her. Dabei schaut er mich frontal an. Territorial.

Ich greife trotzdem danach.

Oh. Hundezähne auf meiner Haut. Okay … Ein Gefühl kriecht über meinen Arm, wie eine Spinne.

»Meins!«, sage ich leicht zittrig und nehme ihm das Treibholz weg. Schnell, bevor sich die Hundezähne fester in meine Haut bohren. Das Holz ist voller Beißlöcher und Spucke. »Pfui.«

Billy klappt seine Ohren nach vorn und schielt das Treibholz sehnsüchtig an. Hundesehnsucht. Füllt das komplette Zimmer.

Und irgendwie … denke ich auf einmal: »Es ist ja bloß ein Stück Holz. Viel zu viel Symbolik für einen alten Ast.«

Ich seufze und geb’s ihm zurück. »Da.«

Knurps, knack, knack, knurps.

Ohne rechte Alternative bleibe ich neben ihm sitzen. Schaue ihm zu, wie er mein Treibholz zerkaut und schlonzige Späne ausspuckt. Seine Ohren wackeln samtig. Sein Ausdruck babyweich. Der Rockstar.

Mein Herz zerfließt und das Wort »Schlamassel« sucht Zugang zu meinem Gehirn. Und dann macht es pflopp. Sein Kopf landet auf meinem Knie. Wenn er ausgestreckt daliegt, ist er fast so lang wie ich. Ich denke über optische Täuschungen nach und darüber, wie viel von einem Menschenleben aus Einbildung besteht …

Da schielt er mich an: »Streicheln?«, sagt er. Also, er sagt das nicht. Aber ich … mach’s. Sitze neben ihm auf dem welligen PVC-Boden, berühre vorsichtig das Samtfell an seiner Stirn. Fühle sein Herz klopfen.

Und ich schwöre, davon bebt der Boden in meiner Wohnung.

Ich wache auf, weil’s mich friert. Über Nacht drehe ich die Heizkörper ab. Sonst ruckelt und faucht die Gastherme wie ein Güterzug. Außerdem ist Heizen in dieser Wohnung ein Witz. Neulich hat mich im Schlafzimmer ein Windhauch gestreift. Wenn ich Tilo solche Dinge erzähle, sagt sie: »Das gibt’s nicht. Dann hast du ein Fenster offen gelassen.«

Hab ich nicht. Ich habe sogar einen Beweis geführt: Wenn ich alle Fenster und alle Türen schließe, der Reihe nach, sorgfältig und bewusst. Und ein Teelicht auf den Boden stelle. Dann bläst die Zugluft es aus. Durch meine Wohnung weht der Wind. Wissenschaftlich bewiesen.

Das ist gut. Mir ist es lieber, ich spüre Dinge, die wirklich da sind. Fakten. Früher war ich anders. Dünnhäutig. Nur Gefühl. Schwingungen spüren.

So was kann schwierig werden. Einmal, in meiner ersten ernsthaften Beziehung, habe ich behauptet, sein Kleiderschrank fühlt sich feindselig an, ich tu meine Unterhosen lieber in einen Wollkorb. Was soll er denken von mir. Ich spüre noch seinen nachsichtigen Blick, sein Lächeln wie eine Wand: »Jetzt spinn halt nicht.«

Deswegen bin ich froh, dass tatsächlich der Wind in meiner Wohnung ein Teelicht ausbläst. Der Wind ist ein Fakt. Ganz normal. Mir ist eh immer zu heiß.

Außer heute.

Heute ist mir eiskalt in meinem Bett. In meinen Hüftknochen bohrt sich etwas Hartes. Ich taste. Kantig. Holz. Und auch ein Fakt. Das ist das Bettgestell. Ich klebe quasi am Rand des Abgrunds. Und warum bin ich nicht zugedeckt?

Wieder taste ich. Erst weit hinter meinen Knien erwische ich einen Zipfel meiner göttlichen Daunenbettdecke. Ein Geschenk von meiner Oma. Wenn meine Oma eines konnte, dann mich zudecken. So dick und so warm zudecken, bis nichts, was war, mehr an mich herankommen konnte. Ich zerre an dem Daunenzipfel in meiner Hand. Aber irgendwie … steckt die Decke fest.

Ein großer schwarzer Hund liegt darauf. Eingekringelt wie ein Donut. Er schläft tief und fest. Seine Ohren klappen samtig weich über seine Pfoten und seine Neoprennase hat er wohlig in ein Daunental gebohrt.

»Billy.« Ich zerre mit der Hand und schiebe mit den Füßen. »Rutsch rüber!«

Nichts zu machen. Er wiegt 32 Kilo. Und direkt aufwecken will ich ihn jetzt auch nicht.

Er macht einen wohligen kleinen Schnarcher. Ich robbe so weit unter die Decke, wie’s geht. Mit einem halben Arm und einer Hüfte. Ich bibbere. Und bin zum ersten Mal seit 479 Tagen nicht mehr einsam.

Ich habe ein Polaroid von Billy gemacht und werf’s in Tilos Briefkasten. Das wird sie freuen. »Ich hab’s ja gewusst!«, wird sie sagen. Und »Ihr passt perfekt zusammen!«

Frau Hörndl dagegen hat sich schockiert ans Herz gefasst, dem Kollaps nahe, weil ich jetzt einen Hund habe. Aber gleichzeitig hat sie gesehen, dass Billy oder nicht Billy keine Debatte ist. Frau Hörndl erkennt eine Pro-und-contra-Situation, wenn sie eine sieht. Und einen guten Deal.

Deswegen schleppe ich jetzt ein 50-Liter-Fass mit Effektiven Mikroorganismen, für das ich 100 Kilometer an den Chiemsee und zurück gefahren bin, an ihren Seerosenteich. Sowie Käscher, Rechen und Eimer. Zum Entalgen.

Billy-Joe liegt schläfrig und dekorativ im Schatten der haushohen Bergkiefer, die den ganzen Garten überspannt. Über so einen braven Hund kann man sich wirklich nicht beschweren. Sagt sogar Frau Hörndl. Der Baum allerdings, die Kiefer, die macht Ärger, seufzt sie geplagt. Alles dunkel macht die Kiefer und die Nachbarn haben jahrein, jahraus Nadeln und Zapfen im Grundstück liegen. So ein Baum macht einfach einen Dreck. Ich notiere in meinem Kopf »Kiefernzapfen zusammenrechen« und murmle, »aber schön ist er, und den Schatten brauchen wir …«. Dann wate ich ans tiefe Ende des Teichs. Mit Algenkäscher und Eimer. Was ist die Definition von Dreck in diesem Dorf, überlege ich. Durch das 4000 Autos am Tag fahren. Und das eine Kläranlage aus dem Jahr 1967 unterhält. Die Menschheit ist mir ein Rätsel.

Und auf einmal ist Billy weg.

Weg.

Nicht mehr im Schatten der Kiefer, nicht mehr am Teich und auch nicht im Blumenbeet, einen Maulwurf ausgraben.

Kurze Panikaktion. Ich schmeiße den Algenkäscher hin und renne los.

Ich renne durchs Dorf. An der Hauptstraße auf und ab. Halte Autos an. Rufe. Suche. Oh Gott, die ganzen Leute. Vielleicht hat er Angst und traut sich nicht mehr heim. Wenn er überhaupt heim will. Er ist ein Straßenhund. Er hatte nie ein Zuhause, warum soll er jetzt eins brauchen …

Eineinhalb Stunden später war ich überall. Kein Mensch im ganzen Ort hat einen großen schwarzen Hund gesehen. Die meisten schütteln nur den Kopf und gehen schnell weiter. Aber ich frage sie alle. Bis mir schwindlig wird. »Entschuldigung. Haben Sie einen großen schwarzen Hund gesehen? Er hat so ein Geschirr an.« Dabei halte ich ihnen Billys nagelneue Camouflage-Leine vors Gesicht. Denn ausgerüstet bin ich mittlerweile. Leine. Geschirr. Futternapf. Kauknochen. Hundebett. Mein Leben als Hundebesitzerin hat total Fahrt aufgenommen. Vorausgesetzt, ich finde ihn wieder.

»Entschuldigung, haben Sie einen großen schwarzen Hund gesehen?«

Die Frau mit der geblümten Bluse unter ihrer Übergangsjacke weicht entsetzt zurück: »Um Gottes willen, läuft der frei rum?« Sie schlägt einen Bogen um mich. Eilt angstvoll weiter. Zum Metzger Mair. Sie kauft vier Paar Weißwürste. Das sehe ich durch das blank geputzte Schaufenster und die gläserne Fleischtheke dahinter. Ihre Angst sehe ich auch. Angst vor dem bösen schwarzen Hund.

Menschen sind auch Fleischfresser, denke ich. Genauso ein Raubtier wie Billy, also … und dann sehe ich mein Spiegelbild in der Scheibe.

Oje.

Kann sein, dass die Frau nicht vor meinem großen schwarzen Hund Angst hatte … sondern vor mir. Seiner tropfnassen, algenbehangenen, aufgelösten Besitzerin.

Ich könnte warten, bis die Frau wieder rauskommt. Derweil die Algen aus meiner Jacke zupfen. Mich entschuldigen. Ihr erklären, dass Billy bestimmt keine Frauen in geblümten Blusen beißt – bei Männern mit rosa Hemden bin ich mir noch nicht ganz sicher, aber unter die Kategorie fällt sie ja nicht.

Oder vielleicht geh ich einfach weiter. Meinen Hund suchen.

Außer Tilo und Frau Hörndl weiß in diesem Ort niemand, wo Billy hingehört.

Anika, denke ich. Der einzige Mensch, mit dem ich seit Indien mehr als ein paar Floskeln austausche … Aber Anika lebt zur Zeit in Brooklyn. Kunststipendium. Sie ist mit einem Musikproduzenten zusammen. Ein Typ, der eine Wikipedia-Seite hat. In Brooklyn ist es jetzt drei Uhr nachts.

Ich bin allein und einer Panikattacke nahe …

Da kommt er angetrabt. Zwischen Apotheke und Schreibwarenladen läuft er, fröhlich und von oben bis unten vollgeschlonzt.

»Ich hab ihn!«, rufe ich in die Metzgerei. Die Frau mit der geblümten Bluse presst besorgt ihre fettfeste Tüte an sich. Ich winke ihr zu.

Erleichterung. Ein haushoher Felsbrocken fliegt von meinen Schultern. Surreale Leichtigkeit. Meine Arme scheinen zu schweben.

Ich hab ihn.

Als er mich sieht, trabt er auf mich zu und rubbelt seinen Schlonz an mir ab. »Billy, pfui Teufel!«, nuschle ich. Mein Herz macht Ba-damm. Kann sein, dass der Asphalt von der Druckwelle vibriert.

Wo Billy sich knapp zwei Stunden rumgetrieben hat, weiß ich nicht. Aber seit diesem Tag treffen wir auf unserer Seerunde ab und zu einen schokobraunen Labrador. Paul. Paul flippt jedes Mal total aus, wenn er Billy sieht. Rennt auf uns zu, mit allem, was er hat. Überschlägt sich beim Versuch, Billy zu umkreisen, krabbelt unter ihm durch und hebt ihn dabei hoch. Das machen sie, bis sie beide von oben bis unten voll Labrador-Glücksschlonz sind.

Pauls Herrchen und ich finden’s jedes Mal herzzerreißend. Wir sprechen kaum miteinander, tauschen weder Namen noch Telefonnummern aus, weil wir vollauf davon erfüllt sind, unseren Hunden zuzuschauen. Uns einig im Glück.

Affenliebe, nennt Tilo das.

Blinde, unkritische, jegliche Vernunft über Bord werfende Emotion. Und damit wird sie recht haben. Tilo befasst sich viel mit inneren Dynamiken.

Vor mir schnappt Billy vor Übermut in die Luft – »HAFF! HAFF!« Mit Hundegrinsen. Er ist so witzig. So klug. So elegant und so schnell und so toll.

Kennen Sie das? Ist Ihr Hund genauso?

Ach … seufz.

Bei der Aktion ist mein Algenkäscher im Teich versunken und bleibt trotz aller Bergungsversuche bis zum heutigen Tag verschwunden. Ich habe die Algen dann mit der Hand ans Ufer geschlenzt. Drei Stunden lang. Billy hat die ganze Zeit vor der sonnigen Hauswand gedöst. So ein braver Hund.

Nein, wirklich. So ein braver Hund.

2021, 4. Mai, 21:00 Uhr

Ich bin noch unten, in der Küche. Ich bin so müde, dass ich Leuchtpunkte vor meinen Augen tanzen sehe. Diese Leuchtpunkte, in Pink, Gelb, Neonblau und Hellgrün, die sich bewegen, unabhängig davon, wo ich hinschaue. Wie unsichtbare Wesen. Lichtwesen …

Ich reibe meine Augen, damit die Punkte weggehen. Ganz normale Lichtpunkte sind’s. Schlafmangel. Sonst nichts.

Ich höre den Hundekorb knarzen. Er blinzelt, halb im Schlaf, halb in diesem Wach-Traum-Zustand, in den er jetzt so oft fällt. Ich könnte einfach ins Bett gehen. Aber ich bring’s nicht übers Herz. Ich würde doch nur ins Dunkel starren, irgendeinen Schund lesen, damit ich meine Gedanken nicht mehr höre. Gedanken wie Flugzeuge. Wirbel. Strudel. Zweifel, die einen Sog in meinem Kopf erzeugen, der alles an sich reißt.

Ich hab noch Wäsche in der Maschine. Man ahnt ja nicht, wie viel Wäsche man hat. Zwei Tage, und Wäsche türmt sich überall. Keiner hat mehr Socken. Beide Einhornpullis sind tomatenverbatzt. Die Eulensocken voller Sand.

Ich lächle meine Waschmaschine an. Wäsche ist gut. Aufhängen. Noch unten bleiben, bei Billy.