Schoofseggl - Axel Ulrich - E-Book

Schoofseggl E-Book

Axel Ulrich

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Beschreibung

Heilandsack! Als publik wird, dass das Land Baden-Württemberg eine CD mit Daten von Steuersündern gekauft hat, die ihr Geld bei einer Schweizer Bank gebunkert haben, ist die Aufregung groß. Bei Ex-Anwalt Franz Walzer, der sich auf Geldwäsche spezialisiert hat, steht das Telefon nicht still. Es gelingt ihm zunächst, den Datendieb zu finden. Fürs Erste gibt’s Entwarnung. Auch für einen Stuttgarter Bordellbesitzer, der für rüde, schmerzhafte Methoden und Schlimmeres berüchtigt ist, dem man aber bisher nichts nachweisen kann. Doch dann meldet sich bei Walzer ein Klient, der Besuch von Steuerfahndern erhalten hat, obwohl sein Name angeblich gar nicht auf der CD gewesen sein soll. Sein Verdacht: Ein zweiter Datendieb ist unterwegs und treibt sein Unwesen im Schatten des ersten. Als im Bodensee die Leiche einer jungen Ukrainerin gefunden wird, die aus einem Stuttgarter Bordell verschwunden ist, geht es nicht länger nur um Schwarzgeld, Bestechung und sogar Erpressung. Der Vater der Ukrainerin sinnt auf Rache. Und er ist nicht der Einzige.

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Axel Ulrich

hat in den ersten Jahren seiner beruflichen Laufbahn als Wirtschaftsjournalist und Unternehmensberater gearbeitet und sich 1982 in der IT-Branche selbstständig gemacht. Eigentlich wollte er nur einmal ein Buch schreiben, um zu sehen, ob er das kann. Dieser Versuch hat ihn dann gepackt und er konnte nicht mehr aufhören.

Axel Ulrich

Schoofseggl

Ein Schwaben-Krimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel+Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2019Postfach 16 42 · 72706 ReutlingenAlle Rechte vorbehalten.Titelbild: Axel UlrichGestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, ReutlingenSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-96555-036-0

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

Heilandsack!

Am Ende des Tempolimits auf der A 81 von Stuttgart in Richtung Süden, genau bei dem schwarz-weißen Schild, das dem beherzten Fahrer Erlösung von der Qual der Langsamkeit signalisiert, senkt sich sein Fuß bleischwer auf das Gaspedal. 600 Newtonmeter Drehmoment und 457 PS fallen gnadenlos über die 255er-Hinterräder her. Der V8-Motor röhrt heiser, in den oberen Drehzahlregionen steigert sich das zu einem wilden Stakkato. Die Tachonadel zieht entfesselt an der 200 vorbei und strebt dynamisch in höhere Bereiche.

Im SWR3 läuft geile Musik, dann beginnen die Nachrichten und nach der ersten Meldung schreit er plötzlich »Heilandsack«, verreißt dabei das Lenkrad ein wenig und die Fuhre macht bei 220 Sachen einen Schlenker.

Heilandsack ist ein schwäbischer Fluch, die verkürzte Form für Heiland, Sakrament – wörtlich etwa »Gott verdamme mich«. Das Sakrament darin weist angeblich auf eine unsichtbare Wirklichkeit Gottes hin.

Es ist nicht gesichert, dass Franz Walzer in seinem schwarzen Mercedes diese Definition bei der Anwendung des Fluchs so ganz genau bedacht hat.

Der Lenkwinkelsensor des ESP seines C63 AMG T-Modells merkt sofort, dass da etwas gewaltig nicht stimmt, er erfasst die Gierrate, die Querbeschleunigung, die Drehzahlen der Räder – und weiß der Geier was noch alles –, etwa 150-mal pro Sekunde. Bits zischen mit Lichtgeschwindigkeit durch die Kabellage dieses Karrens, eine digitale Orgie ohnegleichen läuft ab. Netterweise schickt das schlaue kleine System einen Bremsimpuls an das linke Vorderrad und nimmt die Leistung ein wenig zurück. Mein Gott, bei 457 PS ist das zu verschmerzen. Dann sind es eben temporär nur noch 300 PS. Das Auto stabilisiert sich sofort ganz sanft. Es lebe die Elektronik, dieser Reparaturmechanismus für menschliche Dummheit und Unzulänglichkeit.

Ihr verdankt der ehemalige Rechtsanwalt Franz Walzer jetzt, dass nichts passiert ist. Sein Puls jagt, die Hände sind feucht, er schnauft, steigt in die Eisen und erwischt gerade noch die Ausfahrt zum nächsten Parkplatz.

Genau genommen sind es auch keine Eisen, sondern es ist die optionale Keramikbremsanlage. Die hält 1000 Grad aus, das braucht man ja. Kostet so um die 7000. Seine Freundin Lena hat ihn ja aus der großen S-Klasse in diesen Kleinwagen gezwungen.

»Ich schäme mich in dieser Protzkiste.«

Doch für seine geliebte Lena aus Konstanz tut er alles. Aber dann wenigstens mit Keramikbremsen, darauf hatte er beim Kauf bestanden.

Er steigt aus und geht ein paar Schritte hin und her. Ist ja immer sehr romantisch auf Autobahnparkplätzen.

Der Text in den Nachrichten auf SWR3 lautete:

Wie erst jetzt bekannt geworden ist, hat das Stuttgarter Landesfinanzministerium vor einigen Monaten eine Daten-CD des Schweizer Bankhauses Indermann angekauft. Darauf sollen sich Informationen über Schwarzgeldkonten von fast 1000 Steuerhinterziehern aus Baden-Württemberg befinden.

Er hat bis vor Kurzem so ein Konto bei genau dieser Bank gehabt. Eine schöne Bank. Er ist immer gern bei der Filiale in Kreuzlingen gewesen. Kreuzlingen ist der schweizerische Nachbarort von Konstanz am Bodensee. Biedere Schalterhalle unten, Lift in die erste Etage und dort alles vom Feinsten. Die Damen und Herren wie aus dem Ei gepellt. Er war mit seiner einen »Kiste«, wie die dort zu einer Million sagen, in Kreuzlingen ein mittelkleiner Fisch. Es gab ärmere aber auch reichere. In Zürich hätten die ihm bei einer »Kiste« gerade mal einen Kaffee spendiert, in Kreuzlingen gab es noch Gebäck und eine Champagnertrüffel dazu, aber nur eine. In Zürich ist man erst so ab zehn oder eher 20 »Kisten« jemand. Da gibt es dann Einladungen ins Grandhotel Dolder, das jetzt »Dolder Grand« heißt – warum auch immer –, oder zu Weekends in London.

Er ist lange nicht mehr bei der Bank in Kreuzlingen gewesen, denn er hat das Konto vor einem Jahr leer geräumt und gelöscht. Aber er weiß nicht hundertprozentig, ob auf der vom Finanzministerium angekauften CD seine Daten noch drauf sind. Man weiß nie genau, wie alt diese Daten sind.

Die Landesregierung in Baden-Württemberg hat immer gesagt, sie kaufe solche Daten nicht an, und jetzt machen sie es doch, empört er sich innerlich. Diese Lügner, diese dreckigen. Grüne und Sozis eben. Wollen das Geld von hart arbeitenden Leuten unter all den Faulen verteilen. Werden schon sehen, wer alles das Land verlässt. Dann haut er eben ab.

Ach so, er ist ja schon abgehauen. Lebt jetzt in der Schweiz in der Nähe von Konstanz. Aber als er das Konto eröffnet hat, da lebte er noch in Konstanz. Heilandsack!

Nach einer Weile steigt er wieder ein und fährt nach Hause. Jetzt aber in gemäßigtem Tempo. Er muss das Ganze in Ruhe anschauen. Natürlich hat er Schiss, dass die auf ihn kommen. Klar, er ist in die Schweiz gezogen, aber das nützt rückwirkend gar nichts. Wenn du in Deutschland wohnst und ein nicht deklariertes Konto bei Indermann hast, dann bist du dran. Das ist leider in seinem Fall bis vor etwa einem Jahr so gewesen. Er kann jegliche behördliche Aufforderung aus Deutschland ignorieren, aber dann kann er Deutschland nicht mehr betreten. Doch das will er auch wieder nicht.

Walzer ist knapp über 50, schwäbelt heftig mit einem nasalen Unterton. Er ist etwa 1,80 Meter groß, mit schütterem Haar und einer Hakennase. Er grinst immer so leicht verschmitzt. Selbst wenn er ernst schaut, grinst er irgendwie. Er kommt ursprünglich aus Reutlingen.

Dort spricht man den Ortsnamen nicht etwa wie Reutlingen aus, sondern wie »Reidlenga«. Das ist schon ein komplizierter Dialekt und er klingt so gar nicht gut, aber der badische ist auch nicht viel besser – alle Badener mögen verzeihen und die Schwaben gleich mit.

Er ist Jurist und hatte viele Jahre eine gut gehende Anwaltskanzlei in Konstanz.

Die ist seinem Temperament zum Opfer gefallen und einer gewissen Neigung, den Staat nicht allzu ernst zu nehmen. In so einer normalen Anwaltskanzlei hat man halt Scheidungen, Verkehrsunfälle oder sonstige Streitereien zu bearbeiten – alles nicht so aufregend. Walzer hat diese Standardfälle immer brav erledigt, aber wenn einer mit einer spannenden Geschichte zu ihm kam, ist er zur Hochform aufgelaufen. Bei Geschäftsleuten in ausweglosen Situationen schlug seine große Stunde.

Seine Spezialität waren Unternehmer, die sich von ihrer eigenen GmbH Geld geliehen haben. Das gab es oft. Wenn dann das Unternehmen überschuldet war, konnte der Inhaber keinen Konkurs anmelden, denn die Gläubiger hätten in diesem Fall auf sein privates Vermögen zugreifen können. Wirtschaftlich kommt man dann gar nicht mehr auf die Füße.

Also kaufte jemand für ihn das Unternehmen für einen Euro auf. Er setzte einen völlig besitzlosen Geschäftsführer ein, der gerade aus dem Knast gekommen war. Dem war alles wurscht, denn bei ihm war für niemanden irgendwas zu holen. Anschließend wurde die Bude dreimal umbenannt und der Sitz viermal verlegt. Wenn einer der Leute, denen die Firma Geld schuldete, sie doch fand, wurde ihm statt Geld die ganze Firma angeboten, die natürlich nur noch eine leere Hülle war und keinerlei Vermögensgegenstände mehr enthielt. Der neue Inhaber und der neue Geschäftsführer konnten ja ohne jedes Risiko für sich selbst Konkurs anmelden, denn sie haben sich bei der Firma kein Geld geliehen.

So ersparte er den Unternehmern den Konkurs und sie konnten schnell einen Neubeginn starten. Walzer führte diese Rettungsaktionen jedoch nur dann durch, wenn die Gläubiger der Unternehmen groß und mächtig waren, wie zum Beispiel Banken. Der Kampf gegen die Riesen machte dem selbst ernannten Robin Hood für kleine Unternehmer in Schwierigkeiten richtig Spaß, auch wenn er genau wusste, dass das Geschäft schon nicht mehr in einer sogenannten Grauzone angesiedelt, sondern wirklich kriminell war. Hatte aber ein Unternehmer, der ihn um Hilfe bat, seine Mitarbeiter oder kleine Lieferanten hängen gelassen, dann half der Walzer nicht. Moral hat er schon, aber eine sehr eigene.

Irgendwann haben Kollegen, die die mächtigen Gläubiger vertraten, das mitbekommen und ihn von da an sehr genau beobachtet. Dann ist er auch noch so unvorsichtig gewesen, auch selbst als kurzzeitiger Geschäftsführer so einer Firma aufzutreten und damit an einer sogenannten Konkursverschleppung aktiv mitzuwirken. Damit hatten sie ihn am Wickel. Er machte zwar rotzfrech weiter, aber irgendwann entzog man ihm die Zulassung als Rechtsanwalt. Ganz genau genommen hat er sie selbst zurückgegeben, aber nur um dem Entzug zu entgehen.

Der Schock bremste ihn eine Weile aus, aber irgendwann stellte er fest, dass er jetzt befreit von den Regeln des Berufsstandes der Rechtsanwälte lustig weitermachen konnte. Er ist allerdings etwas vorsichtiger geworden. Zum Glück hat ihm seine bisherige Praxis ziemlich viel Geld eingebracht, mit dem er sorgsam umgegangen ist und es gescheit angelegt hat. Jetzt musste er sich auch nicht mehr mit der langweiligen juristischen Aufarbeitung von Verkehrsunfällen befassen, sondern konnte sich exklusiv um verfahrene unternehmerische Situationen kümmern.

Nach seinem Beinahe-Abflug im Mercedes auf der Autobahn schüttet sich Walzer am Abend auf seinem Sofa leider einen Rotwein zu viel ein. So kann er nicht mehr ganz klar denken, aber es ist ihm klar, dass er etwas wegen seines ehemaligen Kontos bei Indermann unternehmen muss.

Er hat auch schon von einigen seiner Klienten, die früher Konten bei Indermann besaßen, Whatsapp-Nachrichten bekommen. Die wollen wissen, ob sie was machen müssen. Whatsapp – wie unvorsichtig. Er rätselt, warum es im Radio hieß, der CD-Ankauf sei schon ein paar Monate her, und er und andere noch keinen Besuch oder Post von der Steuerfahndung bekommen haben. Irgendwas stimmt da nicht. Im Normalfall wird das erst bekannt, nachdem die Steuerfahndung alle Leute abgeklappert hat, um ja keinen aufzuscheuchen. Macht ja auch Sinn.

Rotlicht

Wilfried Kneller ist sauer. Ihm fehlen etwa 40000 Euro. Sie haben die Puffkasse immer wieder kontrolliert, aber die sind einfach weg. Kneller legt großen Wert auf Abrechnung und Kontrolle. Er ist schließlich Geschäftsmann. Dazu passt auch sein seriöses Outfit. Immer alles vom Feinsten – von der Maßkleidung bis zu den Maßschuhen. Nur der Bentley ist ein wenig auffallend. Wo sind die verdammten 40000? Bei der letzten Kontrolle vor einem Monat stimmte es noch. Ihm ist klar, dass alle sich was abzweigen, aber so eine Summe geht nicht. Er hat vier Bordelle mit insgesamt über 100 Pferdchen. Sein Büro befindet sich im größten Puff. Er liegt in einem Industriegebiet. Das ist seiner Meinung nach für einen Puff ideal. Wichtig sind Parkplätze, die man nicht einsehen kann.

Kneller selbst ist eine furchterregende Erscheinung. 1,90 Meter groß, ein dicker Ranzen, wie man im alemannischen Sprachraum zu einem Bauch sagt, und Oberarme wie Schenkel von kräftigen Frauen. Den Schädel hat er kahl rasiert, weil eh kaum noch was darauf wächst. Hinzu kommen noch jede Menge Narben in der Visage und eine ausgeprägte Knollennase mit lauter so kleinen Kratern drauf. Sieht aus wie eine Vulkanlandschaft. Meist blutunterlaufene Augen vom übermäßigen Genuss von teurem Cognac komplettieren das Bild. Dass er diese feinen Klamotten trägt, passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.

Klar, er kann nicht ständig überall sein und seine »Gorillas«, wie er seine Leibwächter nennt, sind außer zum Verprügeln von Leuten zu allem zu blöd. Er weiht auch keinen von denen mehr als unbedingt nötig in seine Geschäfte ein, dafür ist er zu erfahren. Die Gorillas führen bloß seine Befehle aus. Im Gegenzug werden sie saumäßig gut bezahlt. Der Chef des Nord-Puffs, wie er genannt wird, ist ein Serbe. Der macht Ferien – angeblich.

Wilfried Kneller spürt die Wut in sich hochkriechen. Das kennt er aus seiner Kinderzeit. Nach der Sache mit seinem Stiefvater haben die Psychos versucht, mit ihm lange blödsinnige Gespräche zu führen. Alle werden irgendwann mal wütend, das weiß doch jeder. Er hat ihm halt einen Bierseidel über den Schädel gezogen, aber der hatte ihn auch verprügelt. Blöd war nur, dass er das Bierglas mit dem praktischen Henkel dran nicht nur über den Kopf von diesem Affen gezogen hat, sondern auch in denselben hinein, und zwar ziemlich tief. Danach saß der Stiefvater eben im Rollstuhl. Hätte er doch seine widerlichen Griffel von ihm gelassen. Mit denen hat er früher, als Wilfried noch kleiner war, auch schon an ihm rumgefummelt und leider nicht nur damit.

Jetzt ist er richtig sauer, dieser verdammte Zoran ist nicht greifbar, geht wieder nicht ans Handy. Kneller flucht, er schmeißt einen Briefbeschwerer an die Wand. Der hinterlässt ein hässliches Loch im Putz. Ist ihm scheißegal. Er greift in die Tasten seines PCs und schreibt eine E-Mail an Zoran:

Wenn du dich nicht bald meldest, geht es dir wie der blöden Russenschlampe.

Die E-Mail löscht er gleich wieder, er will sich ja nicht verraten. Doch er weiß nicht, was die Unterschiede zwischen einem IMAP- und einem POP-Konto sind. Manchmal wäre es aber gut, sich mit bestimmten Dingen auszukennen. Benutzt man nämlich IMAP für ein E-Mail-Konto, bleiben die abgerufenen E-Mails auf dem Server, beim POP-Konto werden sie nach dem Abrufen vom Server gelöscht.

Wilfried Kneller wird in Stuttgart auch »der Knaller« genannt. Er ist eine bedeutende Figur im Rotlichtgewerbe. Er hält sich an die Gesetze, nur ab und zu wird so ein blöder Bulle geschmiert. Er macht alles, was andere in dem Gewerbe auch machen. Sie haben in ihrer Branche ein Nachschubproblem und ein Preisproblem. Das große Angebot an Frischfleisch aus Afrika und Osteuropa hat einen Preisverfall ausgelöst. Heute bekommt der Kunde für 20 bis 40 Euro eine halbe Stunde mit allen Schikanen, da muss man eben mithalten. Die Leute wollen schlanke Mädchen mit großen Titten, und zwar immer neue.

Kneller tritt nur als Zimmervermieter in Erscheinung, er sorgt für das Ambiente und schaut auch nach den Mädels. Aber wenn man ihm blöd kommt, dann ist es aus. Der Nutte selbst bleiben etwa zehn Prozent vom Umsatz und die meisten finanzieren damit ihre Familien zu Hause. Die dürfen natürlich nicht wissen, was das Mädchen tut, das ist deren größte Sorge. Manchmal gibt es Ärger, wenn eine versucht abzuhauen. Dann muss man irgendwas machen, damit sie es lässt. Meistens reichen Prügel. Neulich musste er mal richtig zuschlagen. Da fiel sie gleich um. Das war nicht geplant. Da musste er sie endgültig verschwinden lassen. Von Zeit zu Zeit wird die Besatzung ausgetauscht. Das erledigen die Albaner, die die Mädchen anschleppen. So bekommt er neue Gesichter beziehungsweise – er grinst dreckig – Ärsche, Titten und Muschis.

Aber dieser Scheiß-Zoran. Dieser Dreckspatz hat anscheinend in die Kasse gegriffen und ist abgehauen. Wie kommt er jetzt an den ran? Er kann sich das nicht gefallen lassen, sonst kommt der Nächste und macht genau dasselbe. Kneller sinniert – dasselbe oder das Gleiche? Genau, das Gleiche.

Er hat aber noch ein ganz anderes Problem. Vermutlich ist er daher auch noch reizbarer als sonst. Er hat es in den Nachrichten gehört. Der Datendiebstahl bei der Bank in der Schweiz betrifft ihn. Einige seiner vielen sauer verdienten Millionen liegen auf dieser Scheißbank in Kreuzlingen. Wenn er selbst auf der Liste ist, die das Land bekommen hat, dann fährt er ein. Sein Steuerberater hat ihm neulich erzählt, dass die Selbstanzeige nicht mehr strafbefreiend ist, wenn die CD schon vom Land angekauft wurde und es in der Zeitung stand oder so. Irgendein blödes Urteil.

In seiner Luxuswohnung schläft er schon nicht mehr, er schläft meistens im Puff. Genau genommen schläft er neben dem Puff. Er hat vor Jahren über einen Strohmann ein Gebäude in der Nähe günstig kaufen können. Diese ehemalige Werkstatt hat er umgebaut. Wenn die Steuerfahndung in seine Wohnung kommt, ist er nicht da. Wenn sie in den Puff kommt, kriegt er das mit, denn er hat überall Kameras installieren lassen. Selbst wenn sie den Puff umstellen würden, wäre die Werkstatt noch frei zugänglich und er könnte unbehelligt abhauen.

Geld ist auch nicht sein Problem. Er hat seine Millionen außer in der Schweiz auch in Singapur und Dubai verteilt und in anderen Ländern angelegt. Er geht nicht in den Knast. Er hätte schon vor langer Zeit aufhören können zu arbeiten, aber er wüsste nicht, was er sonst machen sollte. Jetzt würde er was dafür geben, wenn er den Datendieb richtig zerlegen könnte. Er will wissen, ob seine Daten beim Finanzministerium sind.

Ihm fällt was ein, er greift zum Telefon, ruft den Berater seiner Bank in Kreuzlingen an, erreicht ihn nicht.

»Diese feinen Pinkel.«

Stattdessen wird er mit einer hochdeutsch säuselnden Schweizerin verbunden.

»Grüezi, Herr Kneller.« Was sie für ihn tun könne.

»Aufpassen, dass bei euch keine Lumpen meine Daten klauen.«

Er steigert sich, wird lauter. Sie versucht, ihn zu unterbrechen – erfolglos.

»Ihr spinnet ja wohl total, nichts im Griff, gar nichts, Sauladen.«

Sie versucht es wieder, der Herr Specht sei jetzt frei.

»Ja denn gebet Sie mir jetzt den Herrn Specht, nicht schlecht, Herr Specht.«

Bei ihm legt er mit der Tirade sofort wieder los, irgendwann hört er aber auch mal zu.

»Herr Kneller, sind Sie sicher, dass wir das am Telefon besprechen sollen?«

Da haut er den Hörer auf die Gabel. Leider hat in diesem Punkt der gute Herr Specht vollkommen recht. Aber dann denkt er, falls die meine Daten sowieso haben, ist es eh wurscht, da kann die NSA gern das abgehörte Gespräch an das Stuttgarter Finanzamt weiterleiten.

Kaufleuten

Walzer geht in sein Büro auf der Werft. Er ist vom Verlauf des vorigen Abends noch leicht im Denken behindert. Lässt sich auf den Bürostuhl rutschen. Während des Rutschvorgangs schießt so ein Gedanke oder vielmehr so eine Kette einzelner Gedanken durch sein Gehirn, die einzelnen Stücke nehmen Gestalt an, vereinigen sich.

»Das isch es, so einfach.«

Walzer sucht eine Telefonnummer in Zürich raus.

»Hier ist Franz Walzer, ich hätte gern den Herrn Nussbaumen. Ja, er kennt mich, ziemlich gut sogar.« Er wartet. »Hier ist Franz, Gregor, sag mal, da gab es doch bei dem Bankhaus Indermann einen Datendieb. Du kennst doch da einige Leute, könntest du für mich rausbekommen, wie der heißt? Und ich wollte mit dir nachher zum Essen gehen, ich lade dich auch ein. Geht klar, gut, bis in etwa einer Stunde.«

Mann, Glück gehabt, dass der Nussbaumen Zeit hat. Schön ist, dass der diese preußische deutsche Art, mit der Tür sozusagen direkt ins Haus zu fallen, so gut verträgt. Ist in der Schweiz eher nicht üblich. Immer erst ein bisschen Small Talk vorher. Er springt auf, geht raus.

»Ich bin mal weg«, sagt er zu einem seiner Bootsbauer. Steigt in sein Auto und macht sich auf den Weg nach Zürich.

Dort fährt er in ein Parkhaus, geht um zwei Straßenecken und betritt ein ziemlich luxuriöses Bürogebäude. Er denkt über die Preise hier nach. Das sind sicher mehr als 600 Franken für den Quadratmeter pro Jahr. Sein Kollege hat etwa 200 davon für seine Kanzlei, das sind also 120000 Franken Jahresmiete, wow. Die Dame am Empfang schickt ihn gleich rein.

»Hallo, Gregor.«

Sie verbringen zunächst ein Viertelstündchen mit Small Talk. Wie geht’s der Ehefrau, den Kindern. »Ach was, die studieren schon?« Wie es Lena geht? Was die Segelei und diverse andere Freizeitvergnügungen denn so machen. Die Geschäfte laufen vorzüglich. Als Walzer allmählich zum Thema kommen will, fragt Gregor nach der Werft. So werden aus dem einen Viertelstündchen eben drei Viertelstündchen Small Talk.

Aber jetzt kommen sie zum Thema. Gregor hat schon recherchiert.

»Du, ich habe da einen Freund in der IT der Bank, der wusste den Namen sofort. Simon Mittelmeier heißt der Typ, kommt aus München, hat die Daten geklaut und ist danach auf der Stelle abgehauen. Damit ist er zumindest schlauer als der letzte Datendieb in Zürich. Der ist geblieben. Hat sich gewundert, wie schnell sie ihm auf die Schliche gekommen sind. Ist doch klar, die Deutschen schicken sofort die Steuerfahnder los, und wenn dann der erste Bankkunde morgens um sieben so ein paar Herren im Haus hat, ruft er sobald wie möglich seinen Bankberater an. Als Nächstes kündigt er die Konten, checkt, ob er die Bank belangen kann, kurz – jede Menge Ärger. Spätestens jetzt sucht die Bank nach dem Loch im System. So blöd sind sie nun auch wieder nicht, dass sie ihn nicht finden. Dann wird Anklage erhoben, und wenn er noch greifbar ist, sitzt er, und zwar länger.«

»Und wenn er nicht mehr da ist, wird er in Deutschland gefeiert und kann ein Buch schreiben«, ergänzt Walzer. »Allerdings verdient er mit dem Buch lange nicht so viel, wie er sich erträumt, da diese IT-Fritzen als Autoren zumeist unterirdisch begabt sind. Weißt du übrigens, dass die deutschen Steuerfahnder genauso viele Befugnisse haben wie die Polizei?«

»Das habe ich schon gehört, ist sehr unangenehm.«

»Na klar, für einen Schweizer unvorstellbar.«

»Eben, Polizeistaat pur.«

»Lass uns zum Essen gehen.«

»Habe im ›Kaufleuten‹ reserviert.«

»Gregor, das kostet mich 300 Franken für uns zwei.«

»Ja, so etwa, aber ich bin mir sicher, die Information ist es wert. Ich habe auch noch seine Adresse in Fällanden, ich glaube, die brauchst du nicht mehr, die Polizei hat die Bude sicher durchsucht.«

»Nein, das langt mir, und ja, du hast vollkommen recht, die Information ist es wert, also los.«

Nach einem sauteuren Essen im »Kaufleuten« fährt Walzer wieder zurück auf seine Werft. In seinem Büro sucht er nach diesem Simon Mittelmeier. In München findet er einen, der so heißt, und den ruft er einfach an. Der nimmt auch gleich ab.

»Mittelmeier.«

»Hier spricht Franz Walzer. Herr Mittelmeier, Sie waren doch bis vor einiger Zeit bei der Indermann-Bank in Zürich.«

Pause am anderen Ende.

»Keine Angst, ich will nichts Böses. Ich bin Anwalt und habe einen Mandanten, der früher ein Konto bei Indermann hatte. Der will jetzt wissen, ob seine Daten beim Finanzministerium sind.«

»Na gut, ich hatte nur baden-württembergische Adressen. Genau 400 Stück. Die habe ich ans Finanzministerium in Stuttgart verkauft. Wie ist denn der Anfangsbuchstabe von Ihrem Mandanten?«

»Genau genommen sind es vier. Die fangen mit K, S, G und W an.«

Ihm ist gerade noch rechtzeitig eingefallen, auch nach W zu fragen. W wie Walzer. Er ist ja auch betroffen. Mensch, aufpassen.

»Dann kann nichts passiert sein, meine Adressen fangen mit A bis D an. Ich habe nur A bis D.«

Walzer muss lachen.

»Ist irgendwie komisch, wenn man mit dem A-bis-D-Datendieb spricht. Entschuldigen Sie, dass ich lache. Wann ist das Ganze abgelaufen?«

»So vor ein paar Monaten.«

Walzer bedankt sich für die Information und ist beruhigt. Er kann seine Kunden anrufen und Entwarnung geben. Und sich selbst auch.

Und jetzt kann er sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung hingeben, der Werft. Die Werft ist Walzers Schätzchen.

Nicht ganz richtig, sein Schätzchen ist eigentlich Lena, mit der er immer noch nicht verheiratet ist, ihr aber immer wieder Heiratsanträge macht. Bisher sind etwa 60 Stück zusammengekommen.

Sie sind seit 18 Jahren zusammen. Lena ist jetzt knapp 50, aber bei ihrem Anblick läuft ihm noch immer das Wasser im Munde zusammen. Sie ist gut 1,70 Meter groß und hat kurze dunkle Haare.

Wenn sie sich streiten, was auch passiert, nehmen sie beide es nicht so wirklich ernst. Es ist also kein Streit, bei dem man jederzeit befürchten muss, dass er eskaliert. Das bedeutet, dass auf beiden Seiten so ein Grundvertrauen existiert. Walzer sagt zwar immer, wenn es kracht, sie solle sich halt jemand anderen suchen, aber das ist nur so ein Spruch. Er war früher schon mal verheiratet und da hat es genau dieses Grundvertrauen nicht gegeben. Lena hat aus ihrer ersten Ehe eine erwachsene Tochter. Sie betreibt mit einer Freundin zusammen eine Kunstgalerie. Irgendwann hat sie Walzers Drängen nachgegeben, die betriebswirtschaftlichen Sachen auf der Werft auch noch zu übernehmen.

Er hat immer gedacht, sie sei nicht nur seine große Liebe, sondern auch sein bester Freund. Er hat wirklich gute Freunde, wenn auch nicht viele. Aber er hat diese Sache mit der Liebe und dem Freund immer kitschig gefunden. Erst als ein amerikanischer Präsident genau das Gleiche in einem Interview sagte, hat er sich endlich getraut, es auch so zu formulieren.

Die Werft war so ein Jugendtraum von ihm, der ihn seine gesamte Zeit als Rechtsanwalt begleitet oder vielmehr verfolgt hat. Immer wenn sein riesiger Schreibtisch aus Mahagoni komplett mit Ordnern, Akten, Papieren, Tastatur, Maus, Bildschirm zugedeckt war und er sein Gehirn im Intensiv-Modus plagen musste, um die Zusammenhänge nicht zu verlieren und das Wichtigste herauszufiltern, hat er sich danach gesehnt, ein Werkzeug in der Hand zu halten und ein Stück Holz zu bearbeiten.

Vor einigen Jahren hat er sich diesen Traum erfüllt. Damals gab es eine kleine Bootswerft am Schweizer Unterseeufer zu kaufen und da hat er zugeschlagen. Die Werft wirft zwar nicht viel Geld ab, aber das muss sie auch nicht. Er hat zwei Bootsbauer und die sind gut beschäftigt. Ein Vorteil ist, mit der Werft keinen Gewinn erwirtschaften zu müssen, es locker angehen zu können. Er hat seine Stammkunden, manchmal gibt es einen Neubau. Er liebt diesen Job.

Kotelett

Aber dennoch – auch der andere Teil seines Berufslebens macht ihm Spaß, einerseits wegen des Nervenkitzels, andererseits auch wegen des Geldes. Unser Franz Walzer ist schon so ein Materieller. Das weiß er auch.

Leute mit Schwarzgeld-Problemen kommen oft zu ihm. Schon die Lage an der deutsch-schweizerischen Grenze zieht sie magisch an. Das sind nicht immer böse Menschen, als die sich klein Fritzchen so einen Schwarzgeldbesitzer vorstellt, sondern solche wie sein Kunde Bernd Scheuffelmann, der eine Kette von Metzgereien in der Stuttgarter Gegend sein Eigen nennt.

Dessen Opa hat in den 60er-Jahren ein Konto für schwarzes Geld bei der Filiale von Indermann in Kreuzlingen eröffnet. Der hat immer gemosert, die Sozis wollten den Unternehmern das sauer verdiente Geld wegnehmen.

»Des sind alles Kommunischte.«

Es ist ja damals derart einfach gewesen, was abzuzweigen. Wenn der Opa an der Kasse der Metzgerei stand, verschwand das Geld für jedes fünfte Kotelett oder jede fünfte Wurst in der Hosentasche. Der Opa hat sogar schwarz eingekauft, damit das Finanzamt ihm nicht auf die Schliche kam, was für damalige Zeiten sehr vorausschauend war. Die meisten anderen haben sich nicht so viel Mühe gemacht. Beliebt waren Scheinrechnungen für Beratungen durch Schweizer Consulting-Firmen mit tollen Namen. Die wurden bezahlt und ein großer Teil von dem Geld wanderte direkt auf das eigene Schweizer Bankkonto. Ging alles.

Dann hat Scheuffelmanns Vater das Konto geerbt und danach er. Leider hat er das mit seinen 22 Jahren ziemlich gut gefunden und auch wieder neues Geld nach Kreuzlingen gebracht – und zwar nicht zu knapp. Als er das erste Mal was vom Ankauf einer Steuersünder-CD hörte, hat er einen gewaltigen Schrecken bekommen. Aber er hat gleichwohl weitergemacht.

Walzer fällt es schwer, Leute wie diesen Metzger mit dem Namen Bernd Scheuffelmann in die Schublade für Kriminelle zu stecken. Aber dennoch ist er für den Rechtsstaat ein solcher. Da er über eine Million Steuern hinterzogen hat, würde er mit Gefängnis bestraft, falls man ihn erwischte. Das will er eben nicht. Kann man ja verstehen.

Und so ist Scheuffelmann vor ein paar Monaten bei Walzer gelandet. Der hat ihm sein für solche Fälle vorgesehenes Programm angedeihen lassen.

»Du kannst dich selbst anzeigen. Du liegst bei über einer Million hinterzogene Steuern. Was musst du auch so reich sein.« Walzer duzte alle.

Scheuffelmann wollte sich nicht selbst anzeigen.

»Dann bin ich ja vorbestraft.«

»Wenn du es drauf ankommen lassen möchtest, würde ich dir zuerst empfehlen, das Konto verschwinden zu lassen.«

»Wie denn?«

»Das ist ganz einfach. Wir gehen hin, legen das Geld in ein Schließfach und lösen das Konto auf. Wenn dann einer der Mitarbeiter aktuelle Daten klaut, dann erscheinst du nicht mehr. Manchmal haben sie aber auch Daten von alten Datensicherungen. Dann tauchst du immer noch auf. Aber – egal wie – das Konto muss sofort weg. Dann hole ich das Zeug so peu à peu ab, bringe es her und wir fangen mit der Wäsche an, denn du willst es ja vermutlich auch irgendwie benutzen können – oder?«

»Natürlich, das wäre schön. Bisher haben wir höchstens im Urlaub was ausgegeben davon. Wann machen wir das?«

Walzer schaute ihn durchdringend an.

»Dir brennt der Kittel – oder? Also gleich morgen?« Dann nannte er noch seine Tarife.

»Ganz schön teuer«, hat Scheuffelmann gemault.

Mit Walzer zusammen fuhr er am nächsten Vormittag nach Kreuzlingen zur Bank. Sie parkten und wurden in eines der Besprechungszimmer im ersten Stock geleitet. Die Damen waren alle in Dunkelblau. Nylons und gemäßigte High Heels ergänzten das konservative Outfit. Bernd gab Walzer eine Vollmacht, sie eröffneten ein Schließfach, sie kauften Gold, sie kauften sichere Wertpapiere, Obligationen und Ähnliches. Alles wurde im Schließfach deponiert. Bernd staunte, in welchem Tempo sich drei Millionen verwandeln lassen. 100000 nahmen sie bar mit. Walzer stopfte sie in seinen Rucksack und sie verließen die Bank.

Sie fuhren zu Walzer nach Hause. Zu seiner Bootswerft am Schweizer Unterseeufer. Es gibt auf dem Gelände ein Haus mit dem Büro und einer traumhaft schönen großen Wohnung mit einer riesigen Terrasse über dem See. Sie bestellten zwei Pizzen und jetzt bekam Bernd Scheuffelmann auf dieser Terrasse gleichzeitig mit der hervorragenden Pizza noch ein Seminar in Geldwäsche.

»Früher konnte man eben schwarz eine Finca in Mallorca kaufen oder eine Segeljacht. Kannst du heute alles vergessen. Die Spanier liefern den deutschen Finanzbehörden die Daten der Finca-Besitzer und auf Bootsmessen laufen die vom Finanzamt rum, besorgen sich bei den Werften die Rechnungskopien und schwupps, schon haben sie dich. Alles vorbei. Diese Schulung ist übrigens im Pauschalpreis inbegriffen. Du hast sozusagen die Flatrate bei mir. Die leckere Pizza zusammen mit dem tollen Ausblick hier ist als das kleine Black Money Business Lunch in der Flatrate auch inbegriffen, all inclusive heute.«

Bernd Scheuffelmann grinste gequält.

»Mein lieber Freund«, dozierte Walzer weiter, »die erste Frage ist, was du mit der Kohle machen willst. Sie ist noch da, keiner behelligt dich bisher, aber sie muss weg. Du kannst, sehr vorsichtig und in kleinen Dosen, Geld aus der schwarzen Kasse in deinen Lebensunterhalt einstreuen. Du kannst nicht plötzlich große Mengen Bares ausgeben, das könnte auffallen, du kannst mal hier, mal da einen Tausender drunterschieben. Kauf deiner Frau was Schönes, kauf deinen Kindern was, wirf im Urlaub was raus, aber immer hübsch dosiert. Wem sage ich das, einem Schwaben! Und bloß keine Mitwisser, schon schlimm genug, dass deine Frau das weiß.«

»Aber Franz!«, warf Bernd empört ein.

»Weißt du, wie viele Leute das Finanzamt erwischt hat, weil der Ex-Partner geplaudert hat? Ich wünsche dir eine lange und schöne Ehe, aber wirklich verlassen kannst du dich auf niemanden außer dir selbst.«

Bernd nickte kleinlaut.

»Das stimmt wahrscheinlich schon.«

»Bernd, du kannst noch nicht mal sauer auf deinen Opa sein, denn damals war es kein Problem, mit 100000 im Sack zur Bank zu gehen und die einzuzahlen. Kein Schwein hat sich für die Herkunft interessiert. Das ist alles vorbei. Was kannst du mit dem Geld machen? Nichts. Selbst wenn du es spendest, kriegt das Finanzamt es irgendwann mit, und dann gibt es eine Kontrollmitteilung an dein Finanzamt und die fragen dich, woher das Geld kommt. Kannst du alles vergessen.«

Er holte tief Luft und setzte seine Lehrstunde fort.

»Beachte stets die Zehn-Prozent-Grenze. Nie mehr als zehn Prozent deines Einkommens aus schwarzen Beständen einfließen lassen, das fällt nicht auf. Gib Handwerkern nur Schwarzgeld, wenn die danach fragen. Wenn du es so machst, brauchst du allerdings 50 Jahre, bis das Geld weg ist. Wie alt bist du?« Er sah ihn kritisch an. »So alt wirst du nicht. Zu viel Rotwein.«

»Sag doch endlich mal, was ich machen kann, und nicht, was ich nicht machen kann. Des isch langweilig«, moserte Bernd dazwischen.

»Jetzt kommt er, der geniale Vorschlag. Hast du auch legales Geld?«

»Ja, schon.«

»Mann, wie viel, muss man dir jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen?«

»So etwa 800000.«

»Brauchst du davon dringend was?«

»Nein.«

»Pass auf, ich habe einen Kunden, der ist im Immobiliengeschäft. Der hat zwei kleine Mietshäuser für dich, jedes mit drei Wohnungen. Eins davon in Reutlingen, eins in Tübingen. Das in Tübingen ist aus den 60er-Jahren, aber sehr aufwendig renoviert, das in Reutlingen ist keine zehn Jahre alt. Beide sind gut vermietet und bringen eine vernünftige Rendite von über vier Prozent. Er will drei Millionen dafür. Die kaufst du!«

Er sah Bernd durchdringend an.

»Also weiter, jetzt kommt das Entscheidende, sozusagen die Quintessenz.«

»Hast du irgendwas genommen, Franz? Du redest ja wie ein Buch.«

»Ja, das kann ich eben auch. Hör zu. Du kaufsch die Buden offiziell für zwei Komma drei Millionen, die 700000 Differenz gibst du ihm schwarz, dann sind die schon mal weg.«

Bernds Miene veränderte sich, Walzer sah darin so etwas wie Widerstand.

»Widerschtand isch zwecklos, wenn du zicksch, machen wir ein geiles Schwarzgeschäft mit einem alten Ferrari!«

»Jetzt knallst du total durch, oder? Ich will keinen Ferrari, oder doch? Warum eigentlich nicht. Dann wecke ich die ganze Nachbarschaft auf, wenn ich angerast komme.«

»Ganz einfach, von deinem legalen Geld nimmst du 600000, das ist bei zwei Komma drei Millionen eine solide Finanzierung, den Rest gibt dir die Bank gern.«

Walzer ließ sich auf einen Stuhl sinken und seufzte. Bernd schoss plötzlich aus seinem Stuhl hoch.

»Das ist ja eine geile Idee. Wir haben noch mehr Häuser, da verkaufe ich eben eins und kaufe auf die Art was Neues, genial.«

»Das ist überhaupt nicht genial, aber es funktioniert immer noch, und es hat schon seit Jahrzehnten funktioniert. Und keiner plaudert, weil alle mit drin hängen.«

»Warum kann der Immobilientyp denn Schwarzgeld brauchen? Ich denke, du musst es für solche Leute entsorgen.«

»Nein, in diesem Fall ist es anders, er bezahlt seine Handwerker zum Teil damit, ich bin nur der Transporter. Kennst du übrigens diese ›Transporter‹-Filme? Könnte man auch mit mir einen drehen. Das wäre wenigstens spannend. Die Handwerker machen noch immer Teile ihrer Umsätze schwarz. Nur nicht mehr so frech wie früher. Aber das Prinzip hat sich nicht geändert. Es wird zum Teil ›BAT‹ bezahlt, ›bar auf Tatze‹. Aber das kennst du ja sicher.«

Bernd nickte zustimmend.

»Ich kann dir eins sagen, es gibt sogenannte offizielle Schätzungen über den schwarzen Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung. Da steht bei Deutschland zwölf Prozent, aber ich habe so meine Zweifel. Ich denke, es sind eher 20. In Ländern wie Griechenland dürften das nach meiner unmaßgeblichen Meinung eher 40 Prozent sein. Nur deshalb leben die noch einigermaßen.«

»Wahnsinn, aber wenn ich das ein paar Mal wiederhole, ist fast alles weg, das ist ja fantastisch, dass ich da nicht selbst draufgekommen bin.«

»Eben, und deswegen bin ich auch so teuer, aber man kann mich ja gottlob schwarz bezahlen. Wenn du was übrig hast, könntest du möglicherweise auch was mit Ferraris machen.«

»Was?«

»Ich bin mir nicht sicher, aber ich könnte mir vorstellen, dass das auch mit Oldtimern geht. Habe ich noch nie probiert.«

»Erzähl!«, sagte Bernd und sah ihn gespannt an.

»Es ist jede Menge unversteuertes Geld auf der Welt unterwegs. Auf den Schweizer und Luxemburger Banken muss es weg. Also, was passiert? Es wandert in Sachanlagen, Kunst, alte Autos, Gold und so weiter. Es gibt sogenannte Freihäfen, da lagern die Wertgegenstände. Zum Beispiel in Zürich oder in Genf. Diese Häfen haben mit Wasser nicht das Geringste zu tun. Wenn du also einen alten Ferrari kaufst, kannst du ihn eventuell auch mit schwarzem Geld bezahlen, zumindest zum Teil.«

»Wow«, entfuhr es Bernd.

»Und noch was, ich nehme dir von deinem Geld jetzt 10000 weg.«

»Aha, ja nimm nur, nimm, was du brauchst, ist ja genug da, bedient euch nur alle«, jammerte Bernd.

»Die bringe ich nach Indien.«

»Wird ja immer toller.«

»Die spendest du für ein Heim für behinderte Kinder. Weißt du, wie arm die Leute in Indien sind?«

»Mach, das ist gut so, hätte sogar mein Opa gut gefunden und mein Vater sowieso, der hat immer gespendet. Damals waren das SOS-Kinderdörfer. Ich spende viel zu wenig«, lenkte er ein.

»Gut, wenn du das so positiv aufnimmst, machen wir das in einem halben Jahr noch mal. Die werden sich freuen. Ich werde dir den Dank übermitteln, die sind an solche Summen nicht gewöhnt.«

Ja, so ist der Termin gelaufen mit dem Bernd. Anschließend hat er die 100000 genommen und sie mit seinem gut motorisierten Schlauchboot nach Radolfzell an den Hafen gebracht. Allerdings hat sich Walzer den ersten Teil seiner Gebühren und das Geld für Indien schon abgezogen. Bernd hat den Rest des Geldes in Empfang genommen.

»So einfach«, staunte Bernd und hat als Antwort ein »Genau« bekommen.