Schwanengesang - Edmund Crispin - E-Book

Schwanengesang E-Book

Edmund Crispin

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Beschreibung

»Es wäre zu schön«, sagte Joan verträumt, »wenn wir ihn nur ein ganz kleines bisschen vergiften könnten – nur so, dass er nicht mehr singen kann.«

England in den 40er Jahren. Beim Oxforder Opernensemble steht die erste Aufführung von Wagners Meistersingern nach dem 2. Weltkrieg auf dem Plan. Eine der Hauptrollen übernimmt der überaus begabte, aber ebenso unbeliebte Sänger Edwin Shorthouse. Jedenfalls, bis man ihn nach einer Probe erhängt in seiner Garderobe findet. Selbstmord? Wohl kaum. Schon bald danach kommt es zu einem zweiten Mord. Der Tote war ein junger Chorsänger und aufstrebender Opernkomponist. Oxford Professor und Amateurdetektiv Gervase Fen ist ratlos und steht vor einem Rätsel: Kann eine Leiche einen Mord begehen? Was als Opera buffa begann, wird bald zur Opera seria …

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Über Edmund Crispin

Edmund Crispin (eigentlich Bruce Montgomery) wurde 1921 geboren. Er studierte an der Merchant Taylors School und am St. Johns College Oxford moderne Sprachen und war dort zwei Jahre als Organist und Chorleiter tätig. Nach kurzer Lehrtätigkeit widmete sich Crispin ganz dem Komponieren - hauptsächlich von Filmmusik - und dem Schreiben. Einige Jahre war er Krimi-Kritiker bei der Sunday Times in London. Bis zu seinem Tod im Jahre 1978 lebte Crispin in Devon.

Informationen zum Buch

»Es wäre zu schön«, sagte Joan verträumt, »wenn wir ihn nur eng ganz kleines bisschen vergiften könnten – nur so, dass er nicht mehr singen kann.«

Kann eine Leiche einen Mord begehen? Gervase Fen ist ratlos – er hat nichts als zwei Todesfälle, die miteinander verbunden zu sein scheinen. Da ist der aufgedunsene Leichnam von Edwin Shorthouse, dem meistgehassten Mitglied des Oxforder Opernensembles: begabt, aber dem Gin ergeben. Der zweite Tote ist ein junger Chorsänger und aufstrebender Opernkomponist. Was als Opera buffa beginnt, wird zu Opera seria.

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Edmund Crispin

Schwanengesang

Roman

Aus dem Englischenvon Eva Sobottka

Inhaltsübersicht

Über Edmund Crispin

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Impressum

Kapitel 1

Es gibt nur wenige Geschöpfe, die noch einfältiger sind als der durchschnittliche Sänger. Es scheint, als ginge die zur Erzeugung schöner Klänge notwendige Feinabstimmung von Kehlkopf, Stimmbändern und Nebenhöhlen zwangsläufig – so ungerecht kann das Schicksal sein – mit der Dummheit eines Geflügelviehs vom Hühnerhof einher. Vielleicht ist dieses Phänomen jedoch weniger angeboren als vielmehr eine Folge von Umgang und Ausbildung. Denn die gleiche Empfindlichkeit und Reizbarkeit, die gleichen beängstigenden intellektuellen Aussetzer sind ebenso bei Schauspielern zu beobachten – und es ist eine seit langem bekannte Tatsache, dass von allen Sängern diejenigen am begriffsstutzigsten und unerträglichsten sind, die am Theater arbeiten. Man wäre in der Tat geneigt, für ihre Unzulänglichkeiten ausschließlich die gewohnheitsmäßige Zurschaustellung der eigenen Person verantwortlich zu machen – wären da nicht die Balletttänzerinnen, die (von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen) zumeist naiv und schüchtern sind. Offensichtlich gibt es für dieses Problem keine einfache und allgemein gültige Lösung. Über den Umstand an sich herrscht jedoch generelles Einverständnis.

Zweifellos war sich Elizabeth Harding darüber im Klaren – zunächst vielleicht nur in theoretischer Hinsicht, die jedoch mit dem Fortgang der Proben zum Rosenkavalier zunehmend praktische Bestätigung erfuhr. Deswegen war sie überaus erleichtert herauszufinden, dass Adam Langley nicht nur erheblich kultivierter und intelligenter, sondern auch gebildeter und sympathischer war als die Mehrzahl der Operntenöre. Sie hatte vor, ihn zu heiraten, und so war die Beschaffenheit seines Geistes ganz offensichtlich ein nicht zu vernachlässigender Faktor.

Natürlich war Elizabeth auf keinen Fall ein kaltherziger oder berechnender Mensch. Aber die meisten Frauen sind – trotz der romantischen Vorstellungen, die die gesamte Heiratsproblematik so undurchsichtig machen – realistisch genug, die Vorzüge und Fehler ihrer zukünftigen Ehemänner genauer zu untersuchen, bevor sie sich endgültig binden. Mehr noch, Elizabeth hatte sich aus eigener Kraft eine gesicherte und unabhängige Stellung im Leben erarbeitet, und sie hatte entschieden, dass diese nicht völlig gedankenlos und aus reinem Gefühl heraus geopfert werden dürfe, sei dieses Gefühl auch noch so stark. Deswegen überdachte sie ihre Lage mit der für sie typischen Gründlichkeit und mit charakteristischem Scharfsinn.

Und die Lage war die, dass sie sich verständlicher- und ziemlich unerwarteterweise in einen Operntenor verliebt hatte. In nüchterneren Momenten kam ihr der Ausdruck »vernarrt« treffender vor als »verliebt«. Die Symptome ließen ihr keine Zweifel, was ihren Zustand anging. In der Tat glichen sie den Klischees und Plattitüden aus Trivialromanen so sehr, dass es geradezu beunruhigend war. Sie dachte an Adam, bevor sie abends einschlief; sie dachte immer noch an ihn, wenn sie morgens aufwachte; sie träumte sogar von ihm, was die äußerste Form der Erniedrigung war; und sie rannte mit einer Vorfreude, die für eine reservierte und gebildete junge Frau von sechsundzwanzig Jahren vollkommen unangemessen war, zum Opernhaus, um ihn zu treffen. Auf der einen Seite war es demütigend; auf der anderen Seite war es zweifellos die entzückendste und erhebendste Form der Demütigung, die sie jemals erfahren hatte – und das, obwohl sie in der Liebe ausreichend Erfahrungen gesammelt und noch mehr zu diesem Thema gelesen hatte.

Sie konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wie es dazu gekommen war, aber es schien ganz plötzlich passiert zu sein, ohne Vorbereitung oder Warnung. An einem Tag war Adam Langley noch ein angenehmes, aber unauffälliges Mitglied des Opernensembles gewesen; am nächsten stand er wie ein strahlender Stern über allen erhaben, und der Rest der Welt, geisterhaft und unreal, umkreiste ihn satellitengleich. Angesichts dieses Phänomens verspürte Elizabeth etwas von der Ehrfurcht eines Klostermönches, dem ein Erzengel erscheint, und sie war erschrocken über die unvermittelte und neue Sicht auf vertraute Dinge, die so eine Erfahrung mit sich bringt. »Von uns Fallendes, Verschwindendes …« Sie hätte sich über diesen Umsturz ihrer Lebenspläne, um den sie niemanden gebeten hatte, sicherlich geärgert, wäre er nicht mit einem bis dahin unbekannten Gefühl von Ruhe und Frieden einhergegangen. »Adam, mein Liebling«, murmelte sie in jener Nacht in ihr heißes und teilnahmsloses Kissen, »Adam, mein hässlicher Liebling« – ein Kosename, den ihr das Objekt ihrer Zuneigung sehr übel genommen hätte, wäre er ihm zu Ohren gekommen. Es gab noch mehr Ausbrüche in dieser Richtung, aber von solchen Augenblicken der Ekstase ist in dem Moment, in dem sie beim Setzer in der Druckerei ankommen, für gewöhnlich nicht mehr viel übrig; deswegen wird der Leser sich mit dem Erwähnten begnügen oder sich die weiteren Einzelheiten selbst vorstellen müssen.

Das Beiwort »hässlich« war in der Tat verleumderisch. Adam Langley war mit seinen fünfunddreißig Jahren, seinen freundlichen, regelmäßigen, unauffälligen Gesichtszügen und seinen nachdenklichen braunen Augen durchaus vorzeigbar; seine Höflichkeit diente vortrefflich dazu, seine angeborene Schüchternheit zu kaschieren. Sein größter Charakterfehler war eine gewisse Unentschlossenheit, die ihm manchmal den Anschein von Ziellosigkeit gab. Er war vertrauensselig, bescheiden und leicht zu erschrecken, und seine Sünden waren von der äußerst verzeihlichen Art; und auch wenn er sich dann und wann zu zarten und – um ehrlich zu sein – ziemlich ungeschickten amourösen Abenteuern hatte hinreißen lassen, so hatten Frauen in seinem friedvollen und erfolgreichen Leben bislang keine große Rolle gespielt. Vielleicht war dies der Grund, weshalb er von den Gefühlen, die Elizabeth für ihn hegte, so lange rein gar nichts bemerkte. Für ihn war sie in erster Linie einfach nur eine Schriftstellerin, die sich Zugang zu den Proben zum Rosenkavalier verschafft hatte, weil sie sich für ein Kapitel ihres neuen Romans mit dem Opernmilieu vertraut machen wollte.

»Aber schön!«, zischelte Karl Wolzogen ihm während der Pause in einer der Klavierproben zu. »Wenn sie doch nur singen könnte – ach, mein Freund, was für ein Oktavian!« Und mehr aus Höflichkeit und nicht, weil Karls Begeisterung ihn angesteckt hätte – Karl war, um bei der Wahrheit zu bleiben, nicht besonders wählerisch –, warf Adam zum ersten Mal einen genaueren Blick auf Elizabeth. Wie er sehen konnte, war sie klein, äußerst schlank, hatte weiches, brünettes Haar, blaue Augen, eine kleine Stupsnase und Augenbrauen, die gebogen waren und deswegen ein wenig sardonisch wirkten. Ihre Stimme – gerade in diesem Moment unterhielt sie sich mit Joan Davis – war tief, lebhaft, ruhig und von einer nicht unattraktiven Heiserkeit. Ihren Lippenstift hatte sie mit außergewöhnlicher Kunstfertigkeit aufgetragen, was Adam überaus beeindruckte, hatte er doch den Eindruck, die meisten Frauen vollzögen dieses Ritual vor einem Zerrspiegel oder während eines epileptischen Anfalls. Ihre Kleidung war schlicht und teuer, wenn auch für Adams Geschmack einen Hauch zu maskulin. Und ihr Charakter? An dieser Stelle geriet Adam ins Stocken. Jedoch mochte er ihre beherrschte Munterkeit und ihr sicheres Auftreten – umso mehr, als dass keine Spur von Arroganz darin lag.

Im Nachhinein schrieb er ihre Heirat für gewöhnlich den völlig unbeteiligten Herren Strauss und Hofmannsthal zu. Die zentralen Partien im Rosenkavalier sind für drei Soprane und einen Bass geschrieben. Den Tenor Adam hatte man mit der kleinen und uninteressanten Rolle des Valzacchi abgespeist, was ihn während der Proben die meiste Zeit untätig herumstehen ließ. Es war unvermeidlich, dass er und Elizabeth einander näher kommen würden – und so weit, so gut. Aber an dieser Stelle kam ein Hindernis ins Spiel, da es Adam nicht für einen Moment in den Sinn gekommen war, dass Elizabeth sich erhoffen könnte, ihre Bekanntschaft würde die freundschaftliche, unverbindliche Basis verlassen, auf der sie begonnen hatte. Und auf dieser Basis verblieb er hartnäckig, blind für Liebreiz und Zuneigung, taub für Andeutungen und Anspielungen. Sein paradiesisch unschuldiger Zustand der Geschlechtslosigkeit machte Elizabeth umso wütender, als dass er ganz offensichtlich ungekünstelt und unbewusst war. Eine Zeitlang war sie ratlos. Hätte sie sich offen erklärt, es hätte ihn, das spürte sie, eher misstrauisch gemacht als ermutigt – und darüber hinaus hätte die ihr eigene Reserviertheit ein Übriges dazu beigetragen, eine solche Erklärung unglaubwürdig und gekünstelt wirken zu lassen. Es ist bezeichnend für den halbwegs hypnotisierten Zustand, in dem sich ihr vernebeltes Hirn befand, dass ihr die nahe liegende Lösung erst nach einer ganzen Weile einfiel: Es musste ganz offensichtlich ein Dritter gefunden werden, um zwischen ihnen zu vermitteln.

Außerhalb des Opernhauses hatten sie keine gemeinsamen Bekannten, und innerhalb desselben kam für eine dermaßen heikle Mission nur eine Person in Frage. Eine Frau war angezeigt – mehr noch, eine Frau, die reif, weltgewandt, empfindsam und mit Adam befreundet war. Deswegen machte sich Elizabeth eines Abends nach den Proben auf, um Joan Davis (die die Rolle der Marschallin sang) in ihrer Wohnung in Maida Vale zu besuchen.

Das Zimmer, in das ein ältliches, schwerfälliges Dienstmädchen sie geleitete, war unordentlich – so unordentlich, dass es einen erst kürzlich verübten Einbruch vermuten ließ. Bald jedoch stellte sich heraus, dass dies der normale Zustand von Miss Davis’ Habseligkeiten war. Das Dienstmädchen meldete Elizabeths Ankunft, schnalzte missbilligend, startete einen halbherzigen Angriff auf einen Berg von Gegenständen, die sich auf einer Anrichte häuften, und zog sich dann heftig aufstampfend und leise vor sich hin murmelnd zurück.

»Arme Elsie.« Joan schüttelte den Kopf. »Sie wird sich nie an meine schlampige Art gewöhnen. Setzen Sie sich, meine Liebe, und nehmen Sie einen Drink.«

»Sind Sie nicht zu beschäftigt?«

»Wie Sie sehen« – Joan schwenkte eine Nadel, einen kümmerlichen Rest Seidenfaden und einen kleinen hölzernen Pilz – »bin ich beim Stopfen. Aber ich kann damit auch weitermachen, während Sie mit mir reden … Gin und etwas dazu?«

Während sie dasaßen und ihre Zigaretten rauchten, plauderten sie über dieses und jenes. Dann rückte Elizabeth, der nicht ganz wohl in ihrer Haut war, mit dem Grund für ihren Besuch heraus.

»Sie kennen doch Adam«, begann sie und war im selben Moment entsetzt darüber, etwas so Dummes gesagt zu haben. »Ich meine …«

»Sie meinen«, warf Joan ein, »dass er es Ihnen ziemlich angetan hat.«

Sie grinste verunsichernd. Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau von etwa fünfunddreißig Jahren mit Gesichtszügen, die, wenn auch zu unregelmäßig, um schön zu sein, bemerkenswert ausdrucksvoll waren. In ihrem Lächeln mischte sich Cleverness mit einer spöttischen, koboldhaften Aufgewecktheit.

Elizabeth war aufrichtig bestürzt. »Ist es denn so offensichtlich?«

»Natürlich – für jeden außer Adam. Ich habe schon einige Male darüber nachgedacht, auch ihn in dieses Geheimnis einzuweihen, aber für eine Außenstehende schickt es sich nicht, sich in solche Angelegenheiten einzumischen.«

»Um ehrlich zu sein« – ein Hauch von Röte huschte unwillkürlich über Elizabeths Gesicht – »bin ich hergekommen, um Sie genau darum zu bitten.«

»Meine Liebe, was für ein Spaß! Aber mit dem größten Vergnügen …« Joan hielt inne und überlegte. »Ja, ich verstehe, das ist wohl der einzige Weg. Adam hat, wenn ich diese Redensart benutzen darf, eine ›ziemlich lange Leitung‹. Aber er hat trotzdem ein gutes Herz. Meine Glückwünsche euch beiden. Ich werde ihn mir gleich morgen vorknöpfen.«

Und das tat sie dann auch, indem sie Adam in einem passenden Moment des Müßiggangs ins grüne Zimmer schleppte. Was sie ihm zu berichten hatte, traf ihn vollkommen unvorbereitet. Er protestierte schwach und wenig überzeugend. Dann ließ Joan ihn allein, um über ihre Worte nachzudenken, und kehrte zu den Proben zurück.

Sein anfängliches Erstaunen wich fast augenblicklich einer überwältigenden Dankbarkeit – und dies keinesfalls aus Gründen der Eitelkeit, sondern weil sich nun ein vages Gefühl des Unbefriedigtseins, unter dem er in letzter Zeit gelitten hatte, in Nichts auflöste. Auch ihm erschienen die Dinge plötzlich in einem neuen Licht, so als ob sich die Teile eines Puzzles endlich zusammenfügten – in ihrer korrekten Anordnung wirkten sie plötzlich so selbstverständlich, dass ihm ihre frühere Unordnung vollkommen absurd erschien. Glückseligkeit und Scham verlangten gleichlaut nach Anerkennung. Noch vor zehn Minuten war Elizabeth für ihn nicht mehr als eine nette Bekannte gewesen; nun hegte er nicht die geringsten Zweifel daran, dass er sie heiraten würde.

Er wurde wieder auf die Bühne gerufen, wo er sich ausgesprochen begeistert an der Bloßstellung des Baron Ochs von Lerchenau beteiligte.

Doch als er Elizabeth tatsächlich gegenüberstand, konnte er seine Schüchternheit nicht überwinden. In der folgenden Woche ging er sogar so weit, sie zu meiden – ein Umstand, der Elizabeth insgeheim in Verzweiflung stürzte. Während die Tage vergingen, gelangte sie zu der Einsicht, dass die Nachricht von ihren Gefühlen ihn beleidigt haben musste; dabei lag der wahre Grund für seine Ungeselligkeit in einer Art Scheu, für die er sich die heftigsten Vorwürfe machte, die er jedoch für lange Zeit schlicht nicht bezwingen konnte. Am Ende war es die Unzufriedenheit mit seinem eigenen jungenhaften Gebaren, die ihn zum Handeln trieb. Es geschah gegen Ende der ersten Kostümprobe. Indem er all seinen Mut zusammennahm – in einer Art und Weise, die eher zu einer so monströsen Aufgabe gepasst hätte wie der Erstürmung einer belagerten Stadt als zur Umwerbung einer jungen Frau, von der er genau wusste, dass sie verliebt in ihn war – ging er in den Zuschauerraum hinunter, um mit Elizabeth zu sprechen.

Zierlich, zurückhaltend, kühl und selbstbeherrscht saß sie in einem roten Plüschsessel mitten in der ersten Reihe des Parketts, vom herrlichen Rokoko-Stuckwerk des Opernhauses eingerahmt wie ein kostbares Juwel in einer antiken Fassung. Sitzreihe um vergoldete Sitzreihe türmten sich die Logen und Galerien, die zu beiden Seiten der königlichen Loge erstrahlten, bis ins Dunkel hinauf. Kallipygische Boucher-Cherubim und Putten umklammerten schlanke, kannelierte Säulen in leidenschaftlicher Umarmung. Sachte schwang der riesige Kronleuchter in der Zugluft hin und her, während seine Kristalle im von der Bühne reflektierten Licht aufglimmten wie Glühwürmchen. Und Adam hielt verschüchtert inne. Dieses Szenario entsprach keinesfalls den intimen Dingen, die er sich zu sagen vorgenommen hatte. Er warf erst einen Blick auf seine Uhr und dann einen auf das Geschehen auf der Bühne, sah, dass die Probe in spätestens einer halben Stunde vorüber wäre, und lud Elizabeth zu einem späten Dinner ein.

Sie gingen zu einem Restaurant in der Dean Street und setzten sich in einem überfüllten Raum im Untergeschoss an einen Tisch, auf dem eine Lampe mit rotem Schirm stand. Ein kleiner, geschwätziger Kellner aus Zypern, den sie kaum verstanden, bediente sie. Würdevoll und bedächtig bestellte Adam eine Flasche teuren Bordeaux, und Elizabeths Laune besserte sich spürbar. Da die gut gemeinte Aufdringlichkeit ihres Kellners intimen Geständnissen ganz offensichtlich abträglich war, schob Adam die entscheidende Angelegenheit des Abends bis zum Kaffee auf, nach dessen Kredenzen der Kellner endlich gezwungen war, sich zu entfernen. Dann ging er das Thema überstürzt und ohne die nötige Einleitung an.

»Elizabeth«, sagte er, »wie ich hörte … ich wollte sagen, ich fühle … ich wollte sagen, dass meine Gefühle … was ich sagen will, ist …«

Er hielt abrupt inne, sprachlos angesichts der eigenen Feigheit und Wirrnis, und kippte den Inhalt seines Likörglases mit einem Schluck hinunter. Er fühlte sich wie jemand, der unbegreiflicherweise während eines Drahtseilaktes die Nerven verliert. Elizabeth verspürte einen Hauch von Wut darüber, so lange im Unklaren gelassen zu werden; ganz sicher standen die Zeichen gut, aber man konnte nicht vollkommen sicher sein …

»Lieber Adam«, gab sie sanft zurück, »was, in aller Welt, wollen Sie mir sagen?«

»Ich will Ihnen sagen«, fuhr Adam ernst fort, »dass … dass ich Sie liebe. Und dass ich möchte, dass Sie mich heiraten. Mich heiraten«, wiederholte er mit unangebrachter Heftigkeit, lehnte sich abrupt zurück und starrte sie herausfordernd an.

Also wirklich, dachte Elizabeth, man könnte meinen, er fordert mich zu einem Duell heraus. Aber, oh, Adam, mein Liebling, mein unsagbar schüchterner, geliebter alter Idiot … Mit der allergrößten Selbstbeherrschung widerstand sie der Versuchung, sich in seine Arme zu werfen. Dann bemerkte sie jedoch, dass der zypriotische Kellner, ein Pferdegrinsen im Gesicht, wieder in der Nähe ihres Tisches herumlungerte, und sie entschied, dass die Situation so schnell wie möglich geklärt werden müsse.

»Adam«, sagte sie mit einem Ernst in der Stimme, von dem sie nicht die Spur empfand, »ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, wie dankbar ich bin. Aber wissen Sie, so eine Entscheidung sollte man nicht übers Knie brechen … Darf ich darüber nachdenken?«

»Noch einen Likör, hm?«, fragte der Kellner, der plötzlich neben ihnen stand. »Drambuie, Cointreau, Crème-de-Menthe, einen schönen Brandy?«

Adam ignorierte ihn. Nun, da das Schlimmste vorüber war, hatte er zu seiner Selbstsicherheit zurückgefunden.

»Elizabeth«, sagte er, »du bist scheinheilig. Du weißt ganz genau, dass du mich heiraten wirst.«

»Grüne Chartreuse, einen schönen Vodka …«

»Scheren Sie sich bitte weg. Elizabeth, meine Liebe …«

»Sie möchten wohl zahlen, was?«, fragte der Kellner.

»Nein. Scheren Sie sich sofort weg. Wie ich eben sagte …«

»Oh, bezahl die Rechnung, Liebster«, sagte Elizabeth. »Und dann kannst du mich nach draußen begleiten und küssen.«

»Küssen Sie sie doch hier«, schlug der Kellner interessiert vor.

»Oh, Adam, ich bete dich an«, sagte Elizabeth. »Natürlich werde ich dich heiraten.«

»Eine schöne Magnumflasche Champagner, hm?«, fragte der Kellner. »Glückwünsche, Sir und Madam. Glückwünsche.« Adam gab ihm ein übertrieben großzügiges Trinkgeld, und sie gingen.

Ihre Hochzeitsreise führte sie nach Brunnen. Die Zimmer ihres Hotels gingen auf den See hinaus. Sie besuchten das Wagner-Museum in Triebschen, und allen Vorschriften zum Trotz spielte Adam die ersten Takte des Tristan auf Wagners Erard-Flügel. Sie erstanden eine ganze Reihe pikanter Postkarten, die sie an ihre Freunde verschickten. Beide waren unbeschreiblich glücklich.

Sie standen auf dem Balkon und blickten verträumt übers Wasser, das im schwindenden Licht violett schimmerte.

»Wie schön«, urteilte Elizabeth, »all die Freuden des sündigen Lebens genießen zu dürfen, ohne sich mit den Nachteilen herumschlagen zu müssen.«

Kapitel 2

Die Ehe wäre nicht bemerkenswerter gewesen als zehntausende andere, wäre nicht noch ein Dritter mittelbar an ihr beteiligt gewesen.

Edwin Shorthouse sang den Ochs im Rosenkavalier. Ebenso wie Adam machte er während der Proben Elizabeths Bekanntschaft. Und auch er verliebte sich in sie.

In diesem Zusammenhang das Wort »Liebe« zu benutzen ist größtenteils ein Euphemismus für körperliches Begehren. Wie alle genau wussten, war Edwin Shorthouse in seinen Beziehungen zu Frauen über diese Ebene nie hinausgekommen. Seine Gepflogenheiten ließen in der Tat vermuten, er mache sich für eine späte Wiedereinführung des droit de seigneur stark, und seine Ähnlichkeit mit dem feisten, ältlichen Lebemann aus Strauss’ Oper war verblüffend genug, um in Opernkreisen für fortgesetztes Erstaunen darüber zu sorgen, dass er die Rolle so ungenügend interpretierte. Möglicherweise war ihm die Ähnlichkeit dunkel bewusst, und vielleicht empfand er die durch und durch gehende Dummheit dieser Hofmannsthalschen Figur als Karikatur seines eigenen Lebenswandels. Empfindsamkeit war jedoch keine von Edwin Shorthouses Stärken, und es ist wahrscheinlich, dass seine Abneigung gegen die Rolle rein instinktiver Natur war.

Sein Interesse an Elizabeth mag jedoch durch mehr hervorgerufen worden sein als durch bloße Sinnlichkeit. Ansonsten wäre es ziemlich schwierig, die rege Boshaftigkeit, die Elizabeths Heirat mit Adam in ihm weckte, zu erklären. Joan Davis war der Ansicht, dass er hauptsächlich in seiner Eitelkeit getroffen sei. Auf der einen Seite war da Edwin (sagte sie); ungehobelt, im mittleren Alter, hässlich, eingebildet und fast immer betrunken; und auf der anderen Adam. Für jeden Menschen – außer Shorthouse selbst – war die zu treffende Wahl eine ausgemachte Sache; ihn muss sie zweifellos überrascht haben wie ein verheerender Schlag.

»Aber zerbrecht euch nicht den Kopf, meine Lieben«, fügte Joan hinzu. »Edwin lockt das Weib als solches – nicht eine bestimmte Frau. Sobald das nächste gut gebaute Mädchen vorbeikommt – und die Welt ist voll davon – wird seine Wut verraucht sein.«

Elizabeth selbst brachte Frustration als Grund für Edwins ungerechtfertigten Ärger ins Gespräch. Sie hatte ihn bei den Proben nicht oft gesehen, obwohl er bei jeder ihrer Begegnungen ausgesprochen aufmerksam gewesen war.

»Das ist mir nicht entgangen«, sagte Joan. »Er hat dich immer ›mit den Augen ausgezogen‹, wie man so schön sagt.«

Elizabeth musste zustimmen. Aber, so fügte sie hinzu, es sei ihr schwer gefallen, mit seinem Verhalten zurechtzukommen – bis zu jenem Abend, als Shorthouse einen Versuch wagte, diesen freudlosen, seiner Fantasie vorbehaltenen Zeitvertreib in die Tat umzusetzen.

»Natürlich«, schloss Elizabeth sittsam, »habe ich ihm keine Hoffnungen gemacht … Deswegen ist er, wie ich schon sagte, frustriert. Das ist die Erklärung.«

Adam hatte aber noch eine andere Theorie. Seiner Meinung nach war Shorthouse wirklich verliebt; tief im Innern seiner feisten und wenig anziehenden Gestalt, behauptete Adam, brannte dieselbe Flamme, die Ilium zerstört und Antonius als Gefangenen seiner eigenen Genusssucht am Nil festgehalten hatte. »Mit anderen Worten, l’amour«, sagte Adam. »Eher von der sinnlichen als von der spirituellen Sorte, das gebe ich zu, aber nichtsdestoweniger das echte Gefühl.«

Wie es schien, gab es keine wirklich befriedigende Erklärung, und für eine Weile beobachteten sie das Phänomen mit einem Gefühl, das über schwaches Interesse nicht hinausging. Langsam wurde es jedoch lästig, und zum Schluss ein echtes Ärgernis. Adam war gezwungen, relativ viel Zeit in Shorthouses Gesellschaft zu verbringen. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als ein Verhalten tolerieren zu müssen, das zum Großteil aus Hohn und Spott besteht – in diesem Fall war das Verhalten umso beunruhigender, da sich dahinter echter Hass verbarg. In der ersten Zeit nach der Verlobung musste Adam zudem feststellen, dass in seinem Bekanntenkreis diverse dunkle und schändliche Gerüchte über ihn kursierten. In einem Fall fielen sie auf dermaßen fruchtbaren Boden, dass sich eine Familie, mit der er seit vielen Jahren auf das Engste befreundet war, ohne eine Erklärung von ihm abwandte. In seiner Naivität brachte Adam Shorthouse mit diesen neuen Kümmernissen zunächst gar nicht in Verbindung, und es bedurfte eines zufällig fallen gelassenen Kommentars, um ihn aufzuklären. Und selbst dann hielt er sich im Zaum und tat so, als sei nichts vorgefallen. Adam liebte seine Arbeit und war entschlossen, sie, wenn möglich, nicht durch einen offenen Bruch mit Shorthouse zu verkomplizieren.

Die Hochzeitsreise, die sich an die Aufführung des Rosenkavalier anschloss, bot ihm die Möglichkeit, sich zu erholen, und als er und Elizabeth aus der Schweiz zurückkehrten, um sich in Turnbridge Wells häuslich niederzulassen, waren sie zu sehr mit der Einrichtung ihres gemeinsamen Haushaltes beschäftigt, um sich um andere Dinge zu kümmern. Vermutlich hatte Shorthouse sich mittlerweile abgekühlt; und glücklicherweise wurden die beiden Männer durch verschiedene Engagements bis November getrennt, als beide für den Don Pasquale verpflichtet wurden. Adam besuchte die erste Probe mit einem leichten Widerwillen und kam verblüfft nach Hause zurück.

»Und?«, fragte Elizabeth, als sie ihm aus dem Mantel half.

»Die Antwort fällt positiv aus. Edwin scheint geheilt. Und doch …« Adam setzte sich geistesabwesend den Hut wieder auf, den er eben erst abgenommen hatte. »Und doch …«

»Liebling, was tust du da? War er nett zu dir? Du hörst dich nicht besonders überzeugend an.« Sie gingen ins Wohnzimmer hinüber, wo ein riesiges Kaminfeuer loderte. Elizabeth schenkte für sie beide Sherry ein.

»Er war schon nett«, erklärte Adam, »auf vollkommen übertriebene Art und Weise. Das gefällt mir nicht. Früher bestand Edwins Auffassung von Freundschaft darin, einen andauernd mit verworrenen, sinnlosen Anekdoten über seine Karriere zu langweilen. Das tut er nicht mehr – jedenfalls nicht mit mir.«

»Vielleicht schämt er sich.«

»Das ist ziemlich unwahrscheinlich.«

»Wieso denn? Auch er muss menschliche Gefühle haben. Vermutlich hatte er einmal eine Mutter.«

»Auch Heliogabal hatte eine Mutter. Wir alle hatten eine … Ich wollte damit nur sagen, dass mir irgendetwas an Edwins Veränderung aufgesetzt vorkommt. Er meint es ganz sicher nicht ehrlich.«

»Aber lieber das, sollte man meinen, als offener Krieg.«

»Ich weiß nicht«, sagte Adam betrübt. »Ich bin mir da nicht so sicher. Es ist ein Judaskuss, wenn du mich fragst.«

»Jetzt sei nicht theatralisch, mein Liebling, und vor allem: Verschütte deinen Sherry bitte nicht auf den Teppich.«

»Das habe ich gar nicht gemerkt«, sagte Adam.

»Jedenfalls«, redete Elizabeth weiter, »kann ich mir nicht vorstellen, an welche Hohepriester Edwin dich verraten haben sollte.«

»Vielleicht an Levi.«

»Seine Rasse wäre das einzige, was Levi für diese Rolle qualifiziert. Außerdem würde er Edwin ebenso gern loswerden wie du.«

»Natürlich hast du vollkommen Recht.« Adam runzelte die Stirn. »Tja, ich werde im Auge behalten, wie die Dinge sich entwickeln. Irgendetwas Neues?«

»Ein Auftrag, mein Liebling, und ein sehr lukrativer noch dazu. Kam heute mit der Post.«

»Oh! Glückwunsch. Ein neuer Roman?«

»Nein, eine Interviewreihe in einer Sonntagszeitung.«

»Interviews mit wem?«

»Privatdetektiven.«

»Detektiven?« Adam war verdutzt.

Elizabeth gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Nasenspitze. »Mein Schatz, du musst immer noch viel über mich lernen. Wusstest du nicht, dass ich mich in meinen ersten Büchern mit Populärkriminologie beschäftigt habe? Die Leute sind der Ansicht, dass ich davon eine Menge verstehe.«

»Und tust du das?«

»Ja«, sagte Elizabeth. »Das tue ich … Leider bedeutet es, dass ich eine Unzahl von Türklinken putzen muss, und ich werde mich gleich morgen früh mit dem Who’s Who hinsetzen und eine Menge langweiliger Briefe schreiben müssen. Kennst du nicht irgendwelche Privatdetektive?«

»Nur einen.« Adam schien unschlüssig. »Einen Mann namens Fen.«

»Ich erinnere mich. Da gab es einmal so eine Geschichte mit einem Spielzeugladen, das war noch vor dem Krieg. Wo lebt er?«

»In Oxford. Er arbeitet dort als Dozent für Englische Literatur.«

»Du musst mich ihm vorstellen.«

»Er ist ziemlich unberechenbar«, sagte Adam, »in mancherlei Hinsicht jedenfalls. Hast du es mit diesen Artikeln sehr eilig?«

»Nicht besonders.«

»Na ja«, sagte Adam, »im neuen Jahr sollen die Meistersinger in Oxford gegeben werden. Wenn es dir Recht ist, werden wir ihn dann besuchen.«

Die Proben zu Don Pasquale schritten ohne weitere Zwischenfälle voran. Ohne Adams Nähe ausdrücklich zu suchen, behielt Shorthouse seine seltsam liebenswürdige Art bei, sobald die Umstände ein Zusammentreffen unvermeidlich machten. Und es kam der Zeitpunkt, an dem er sich sogar für sein früheres Verhalten entschuldigen sollte.

Es war direkt nach der zweiten Vorstellung. Adam hatte sich für eine Weile hinter den Kulissen aufgehalten und mit dem Spielleiter über eine kleine Meinungsverschiedenheit diskutiert, die im Laufe des Abends aufgekommen war. Als er in seine Garderobe kam, stieß er zu seiner Überraschung auf Shorthouse, der gerade dabei war, einen halbvollen Tiegel mit Abschminkcreme zu untersuchen oder vielleicht sogar einzustecken. Er stellte ihn jedoch schnell an seinen Platz zurück, als Adam hereinkam. Er trug einen ausladenden Morgenmantel, war immer noch für die Titelrolle der Oper gepudert und geschminkt und hatte eine Perücke auf dem Kopf; Adam dachte bei sich, dass ihm wohl die Abschminkcreme ausgegangen und, da ihre Garderoben nebeneinander lagen, ihm dies als der einfachste Weg erschienen sei, seine Vorräte aufzustocken. Es stellte sich aber schon bald heraus, dass es bei diesem Besuch, wenn überhaupt, nur in zweiter Linie um Abschminkcreme ging.

»Langley«, sagte Shorthouse (und sofort roch es im ganzen Zimmer nach Gin), »leider haben Sie keinen Grund, mich zu mögen. Um die Wahrheit zu sagen, ich habe mich nach Ihrer Heirat nicht besonders anständig verhalten.«

Adam, peinlich berührt, machte ein dumpfes, grunzendes Geräusch. Shorthouse schien sich davon ermutigt zu fühlen, denn er redete weiter, und das mit zunehmender Selbstsicherheit:

»Ich bin hergekommen, um mich zu entschuldigen. Mich zu entschuldigen«, wiederholte er, vielleicht, weil ihm der Satz irgendwie zu knapp vorkam. »Für mein schlechtes Benehmen«, fügte er nach einer kurzen Denkpause erklärend hinzu.

»Schwamm drüber«, murmelte Adam. »Schwamm drüber, ich bitte Sie. Ich bin heilfroh …«

»Ich hoffe, wir können Freunde sein?«

»Freunde?« Adam klang wenig begeistert. »Ja, selbstverständlich.«

»Es ist äußerst großzügig von Ihnen, so wenig nachtragend zu sein.«

»Schwamm drüber«, sagte Adam wieder.

Schweigen machte sich breit. Shorthouse trat von einem Bein aufs andere. Adam nahm seine Perücke ab und hängte sie mit übertriebener Sorgfalt an eine Stuhllehne.

»Gutes Publikum heute Abend«, sagte Shorthouse.

»Ja, wirklich. Scheinbar haben sie sich prächtig amüsiert. Sie haben«, bemerkte Adam, »ziemlich viel gelacht.«

»Natürlich ist es ein glänzendes Stück.«

»Glänzend.«

»Aber von Ihrer Warte aus gesehen … ich meine, es gibt natürlich viel bessere Partien als den Ernesto.«

»Ach, ich weiß nicht. Ich habe ja mein Cercherò lontana terra im zweiten Akt.«

»Ja, das stimmt wohl … Tja«, sagte Shorthouse, »ich werde dann mal rübergehen und mir das Zeugs aus dem Gesicht kratzen.«

»Brauchen Sie Creme? Sie haben doch eben …«

»Nein, nein, vielen Dank. Ich wollte nur mal nachsehen, was für eine Marke Sie benutzen. Na dann, bis morgen.«

»Ja«, sagte Adam hilflos. »Bis morgen.«

Und Shorthouse stiefelte aus dem Zimmer und ließ Adam sehr erleichtert zurück. Während er sich umzog, dachte Adam über Shorthouses plötzlichen Sinneswandel nach. Er dachte auch während der gesamten Rückfahrt nach Turnbridge Wells noch daran. Als er zu Hause angekommen war, berichtete er Elizabeth von den Geschehnissen des Abends.

»Abschminkcreme?«, fragte Elizabeth entrüstet. »Er wollte doch nicht etwas den neuen Tiegel klauen, den ich für dich gekauft habe?«

»Nein«, beruhigte Adam sie. »Den alten. Deiner steckte noch in meiner Manteltasche. Wie dem auch sei, in Zukunft werde ich meine Garderobe abschließen.«

»Nun, dann hat diese lächerliche Angelegenheit jetzt ein Ende.«

»Das nehme ich an. Aber weißt du, mein Liebling, ich traue diesem Mann trotzdem nicht über den Weg. Falls es ihm in den Kram passt, ist er doch glatt in der Lage, sich in einen regelrechten Tartuffe zu verwandeln. Ich bin mir sicher, dass er sogar über Leichen gehen würde.«

Adam hatte unüberlegt gesprochen. Doch er sollte bald herausfinden, dass Edwin Shorthouse, was Leichen betraf, keineswegs ein Einzelfall war.

Kapitel 3

An einem stürmischen, tristen Morgen Ende Januar reisten Adam und Elizabeth nach Oxford. Der Himmel war taubengrau und der Wind blies eiskalt. Aus Furcht davor, heiser zu werden, hatte Adam sich in dicke Schals gehüllt; glücklicherweise waren ihre Züge jedoch anständig geheizt. Vom Oxforder Hauptbahnhof nahmen sie ein Taxi zum »Mace and Sceptre«, wo sie Zimmer reserviert hatten. Adam stand herum und rauchte, während Elizabeth die Koffer auspackte und ihre Sachen in die Schränke einräumte. Später gingen sie hinunter in die Bar, wo sie zu ihrer großen Freude Joan Davis begegneten, die an einem der mit Glasplatten bedeckten Tische saß und an einem Martini nippte.

Von ihr erfuhr Adam verschiedene Einzelheiten der Meistersinger-Produktion.

Edwin Shorthouse sollte den Sachs singen; Walther und Eva waren natürlich Adam und Joan; Fritz Adelheim, ein junger Deutscher, hatte die Partie des David bekommen und John Barfield die des Kothner.

»Und dieser Peacock, der Dirigent«, fragte Adam, »hast du den kennen gelernt?«

»Ja, mein Lieber. Sehr jung, aber überaus charmant. Das hier ist seine erste große Chance, also musst du alles vergessen, was du unter Bruno und Tommy gemacht hast, und voll und ganz kooperieren.«

»Ist er denn gut?«

»Das wird sich noch herausstellen. Aber ich glaube nicht, dass Levi ihn engagiert hätte, wenn es nicht so wäre. Levi hat ein untrügliches Gespür für Operndirigenten.«

»Wer ist der Spielleiter?«

»Daniel Rutherston.«

»So melancholisch wie immer, da bin ich mir sicher. Und Karl inszeniert?«

»Ja. Ist vor Freude darüber ganz aus dem Häuschen. Du weißt, was für ein fanatischer Wagnerianer er ist. Wenn ich so darüber nachdenke«, sagte Joan, »soll es mir ganz Recht sein, dass das Wagner-Verbot aufgehoben wurde, jetzt wo der Krieg vorüber ist … Wieso gab es denn überhaupt ein Verbot?

»Es ist einer der Grundsätze unserer Gelehrten«, erklärte Adam, »dass Wagner für den Aufstieg des Nazismus mitverantwortlich war. Wenn du mitreden willst, musst du vage Anspielungen auf die bösen Einflüsse machen, die der Ring auf die teutonische Mentalität gehabt hat – da jedoch der gesamte Opernzyklus aufzeigen möchte, dass selbst die Götter eine Vereinbarung nicht brechen können, ohne dass ihnen die Welt um die Ohren fliegt, konnte ich nie verstehen, wieso ausgerechnet Hitler sich davon angespornt fühlen sollte … Aber du solltest mich gar nicht erst auf dieses Thema ansprechen. Es ist eines meiner Steckenpferde. Du warst im Ausland, Joan, nicht wahr?«

»In Amerika. Habe in der Boheme gesungen und bin fünfmal die Woche an Schwindsucht gestorben. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin vor lauter Essen fast geplatzt. Du solltest nach Amerika fahren, Adam. Die haben da drüben jede Menge zu Essen.«

Die drei verbrachten gemeinsam einen angenehmen Abend und gingen früh zu Bett. Um zehn Uhr am nächsten Morgen begannen die Klavierproben. Unter einem hartnäckig aschgrauen Himmel liefen Adam und Joan zum Opernhaus in die Beaumont Street hinüber.

Während die Engländer es vermeiden, Opernhäuser zu bauen, wenn sie nicht unbedingt müssen (und im Allgemeinen die geistreiche und erhebende Beschäftigung mit Betty Grable und Fußballtoto bevorzugen), hat sich Oxford in letzter Zeit als lobenswerte Ausnahme erwiesen. Die Ausnahme steht an der Ecke Beaumont Street und St. John Street, ganz in der Nähe des Worcester College, erbaut aus Kalkstein aus dem Bezirk Headington. Das mit grünem Teppichboden ausgelegte Foyer erstrahlt in gedämpfter Opulenz. Überall sind Büsten der großen Opernkomponisten aufgestellt – Wagner, Verdi, Mozart, Gluck, Mussorgskij. Es gibt auch eine von Brahms – aus unerfindlichem Grund, allerdings mag sie ein Tribut an seinen eigenwilligen und glücklicherweise aufgegebenen Plan zu einer Oper über Goldgräber am Yukon sein. Der Zuschauerraum ist vergleichsweise klein, aber die Bühne und der Orchestergraben sind groß genug für die größten aller Opern. Die Bühnentechnik steckt voller komplizierter und fehleranfälliger Details, und die Requisitenkammern quellen über vor mechanischer Fauna. Auch sind die Garderoben großzügiger als gewöhnlich; zu den beiden Etagen, über die sie verteilt liegen, geht sogar ein kleiner Fahrstuhl hinauf.

Für solche Annehmlichkeiten hatten Adam und Joan im Moment jedoch keine Zeit. Sie erreichten den Bühneneingang, von wo aus ihnen ein älterer Hausmeister den Weg zu den Proberäumen wies.

Die meisten anderen waren schon da und hatten sich um den Flügel herum gruppiert. Abgesehen von diesem und einigen aus Chromrohren gebogenen Stühlen war das Zimmer fast leer. Sein einziges Zugeständnis an zusätzliche Dekoration bestand in einem schief hängenden Porträt Puccinis, der auf dem Foto eindeutig aussah wie der Betreiber einer Eisbude aus der Zeit König Eduards.