Schwarz-Indien - Jules Verne - E-Book

Schwarz-Indien E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Dieses eBook: "Schwarz-Indien" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Nein! Die geologischen Schichten allein hatten diese Galerien "ausgespart" zu jener Zeit, als sich die secundären Ablagerungen bildeten. Vielleicht brauste hier in der Urzeit einmal ein mächtiger Strom, als die Wasser von oben sich mit den in den Abgründen verschlungenen Pflanzen mischten; jetzt aber erschienen sie so trocken, als wäre sie einige tausend Fuß tiefer, durch die Granite des Urgebirges getrieben." Jules Verne (1828-1905) war ein französischer Schriftsteller.

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Jules Verne

Schwarz-Indien

Die Stadt unter der Erde

e-artnow, 2017 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-8101-8

Inhaltsverzeichnis

Erstes Capitel.
Zweites Capitel.
Drittes Capitel.
Viertes Capitel.
Fünftes Capitel.
Sechstes Capitel.
Siebentes Capitel.
Achtes Capitel.
Neuntes Capitel.
Zehntes Capitel.
Elftes Capitel.
Zwölftes Capitel.
Dreizehntes Capitel.
Vierzehntes Capitel.
Fünfzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel.
Siebzehntes Capitel.
Achtzehntes Capitel.
Neunzehntes Capitel.
Zwanzigstes Capitel.
Einundzwanzigstes Capitel.
Zweiundzwanzigstes Capitel.

Erstes Capitel.

Zwei sich widersprechende Briefe.

Inhaltsverzeichnis

Mr. J. R. Starr, Ingenieur, 30, Canongate. Edinburgh.

»Wenn Herr James Starr so gütig sein will, sich morgen nach den Kohlenwerken von Aberfoyle, Grube Dochart, Yarow-Schacht, zu begeben, so wird er dort eine ihn sehr interessirende Nachricht erhalten.

Herr James Starr wird im Laufe des Tages am Bahnhofe von Callander von Harry Ford, dem Sohne des früheren Obersteigers Simon Ford, erwartet werden.

Man bittet um Discretion!«

So lautete ein Brief, den James Starr frühzeitig am 3. December 18.., mit dem Poststempel Aberfoyle, Grafschaft Stirling, Schottland, zugestellt erhielt.

Seine Neugierde ward mächtig erregt. Der Gedanke an eine Mystification kam ihm gar nicht in den Sinn. Seit langen Jahren schon kannte er Simon Ford, einen der alten Werkführer in den Minen von Aberfoyle, denen er als technischer Director – oder »viewer«, wie die Engländer sagen, – während eines Zeitraumes von zwanzig Jahren selbst vorgestanden hatte.

James Starr war ein Mann von guter, kräftiger Constitution, den man trotz seiner fünfundfünfzig Jahre recht wohl für einen Vierziger halten konnte. Er entstammte als eines der hervorragendsten Mitglieder einer alten, angesehenen Familie Edinburghs. Seine Arbeiten gereichten jener ehrenwerthen Corporation der Ingenieure zur Ehre, welche das kohlenreiche Unterirdische des Vereinigten Königreiches in Cardiff wie bei Newcastle und in den niederen Grafschaften Schottlands ausbeuteten. In der Tiefe der geheimnißvollen Kohlenwerke von Aberfoyle, welche an die Gruben von Alloa grenzend einen Theil der Grafschaft Stirling einnehmen, hatte sich James Starr seinen überall mit Achtung genannten Namen erworben und daselbst einen großen Theil seines Lebens verbracht. Außerdem gehörte er als Vorsitzender der »Alterthumsforschenden Gesellschaft Schottlands« an, war eines der thätigsten Mitglieder der Royal-Institution und lieferte der Edinburgh Review ziemlich häufig sehr beachtenswerthe Beiträge. Mit einem Wort, er zählte zu jenen praktischen Gelehrten, denen England sein Emporblühen, seinen Reichthum verdankt, und er nahm auch einen hohen Rang ein in der alten Hauptstadt Schottlands, welche in materieller und geistiger Beziehung den ihr beigelegten Namen »das nordische Athen« unzweifelhaft verdient.

Bekanntlich haben die Engländer für ihre ausgedehnten Kohlendistricte einen sehr bezeichnenden Namen erfunden. Sie nennen dieselben »Schwarz-Indien«, und sicherlich hat dieses Indien noch weit mehr als Ostindien zu dem überraschenden Reichthume Großbritanniens beigesteuert. Tag und Tag arbeitet dort ein ganzes Volk von Bergleuten daran, aus dem Untergrunde Britanniens die Kohle, die schwarzen Diamanten, zu gewinnen, jenen hochwichtigen Brennstoff, der für die Industrie zur unentbehrlichen Lebensbedingung geworden ist.

Damals lag jener Zeitpunkt, der von Sachverständigen für die Erschöpfung der Kohlenlager berechnet war, noch in ferner Zukunft, und Niemand dachte an einen eintretenden Mangel, wo die Kohlenvorräthe zweier Welten ihrer Ausnutzung harrten. Den Fabriken zu verschiedensten Zwecken, den Locomotiven, Locomobilen, Dampfschiffen, Gasanstalten u.s.w. drohte kein Mangel an mineralischem Brennmaterial. Der Verbrauch in den letzten Jahren hatte freilich mit solchen Riesenschritten zugenommen, daß einzelne Lagerstätten bis zu ihren schwächsten Adern ausgebeutet waren. Nutzlos durchbohrten und unterminirten jetzt diese aufgelassenen Schächte und verwaisten Stollen den früher ergiebigen Boden.

Ganz so lagen die Verhältnisse bei den Gruben von Aberfoyle.

Zehn Jahre vorher hatte der letzte Hund die letzte Tonne Kohlen aus dieser Lagerstätte zu Tage gefördert. Das gesammte Material der »Teufe«1, die Maschinen zur mechanischen Förderung auf den Geleisen der Stollen, die »Hunde« (kleinen Wagen) der unterirdischen Bahnanlagen, die Förderkästen und Körbe, die Vorrichtungen zur Lufterneuerung – kurz Alles, was zur bergmännischen Thätigkeit im Schooße der Erde gedient hatte, war herausgeschafft und außerhalb der Gruben aufgespeichert worden. Das erschöpfte Kohlenwerk glich dem Cadaver eines Mastodons von ungeheuerlicher Größe, dem man alle lebenswichtigen Organe entnommen und nur das Knochengerüst übrig gelassen hatte.

Von jenem Material waren nur einige lange Holzleitern, welche den Zugang zur Grube durch den Yarow-Schacht vermittelten, zurückgeblieben. Durch diesen letzteren gelangte man jetzt seit Einstellung der Arbeiten ausschließlich nach den Stollen der Grube Dochart.

Äußerlich verriethen noch die Gebäude, welche ehedem zum Schutze der Tagarbeiten errichtet wurden, die Stellen der Schächte genannter Grube, welche jetzt völlig öde und ebenso verlassen war wie die benachbarten Gruben, die zusammen die Kohlenwerke von Aberfoyle bildeten.

Es war ein trauriger Tag, als die Bergleute damals zum letzten Male die Schächte verließen, in welchen sie so viele Jahre gelebt und gearbeitet hatten.

Der Ingenieur James Starr hatte die Tausende von Arbeitern, die thätige und muthige Bevölkerung des Kohlenwerkes, um sich versammelt. Häuer, Wagentreiber, Steiger, Zufüller, Zimmerer, Wegarbeiter, Schaffner, Sortirer, Schmiede, Schlosser, Männer, Frauen und Greise, Werkleute von unten und oben, alle traten in dem großen Hofe der Grube Dochart zusammen, den vormals die Kohlenvorräthe des Werkes füllten.

Die braven Leute, welche jetzt die Sorge um das tägliche Brot zerstreuen sollte – sie, welche so lange Jahre, ein Geschlecht nach dem anderen, in dem alten Aberfoyle verlebt, warteten, bevor sie den Ort verließen, nur noch auf einige Abschiedsworte ihres Ingenieurs. Die Gesellschaft hatte ihnen als Gratification die Erträgnisse des laufenden Jahres zukommen lassen. Im Grunde war das nicht viel, denn die Betriebskosten erreichten nahezu den Ertrag der Ausbeute, es gewährte ihnen aber doch die Möglichkeit, sich so lange fortzuhelfen, bis sie entweder an den Kohlenwerken der Nachbarschaft, bei der Landwirthschaft oder in den Werkstätten der Grafschaft eine neue Stellung fanden.

James Starr stand vor der Thür des geräumigen Schuppens, unter welchem die mächtigen Fördermaschinen so lange Zeit hindurch gearbeitet hatten.

Simon Ford, der Obersteiger der Grube Dochart, der damals fünfundfünfzig Jahre zählte, und noch mehrere andere Werkführer bildeten einen Halbkreis um ihn.

James Starr entblößte das Haupt, die Bergleute beobachteten, die Mützen in der Hand, das tiefste Schweigen.

Diese Abschiedsscene trug einen rührenden und doch gleichzeitig großartigen Charakter.

»Meine Freunde,« begann der Ingenieur, »die Stunde der Trennung hat für uns geschlagen. Die Gruben von Aberfoyle, welche uns so lange Zeit zu gemeinschaftlicher Thätigkeit vereinigten, sind erschöpft. Die sorgsamsten Nachforschungen haben nicht die kleinste neue Ader mehr ergeben, und das letzte Stückchen Steinkohle ist aus der Grube Dochart gefördert worden!«

Zur Erläuterung seiner Worte zeigte James Starr den Bergleuten ein Stück Kohle, das in einem Förderwagen zurückgelassen worden war.

»Dieses Kohlenstück, meine Freunde,« fuhr der Ingenieur fort, »gleicht dem letzten Blutkörperchen, das ehemals in den Adern von Aberfoyle circulirte! Wir werden dasselbe aufbewahren, ebenso wie das erste Stück Kohle, welches vor nun einhundertfünfzig Jahren aus den Lagerstätten von Aberfoyle zu Tage gebracht wurde. Zwischen diesen beiden Stücken Kohle hat sich so manche Generation von Arbeitskräften in unseren Gruben abgelöst! Jetzt ist Alles zu Ende! Die letzten Worte, welche Euer Ingenieur an Euch richtet, sind Worte des Abschieds. Ihr habt Euer Leben gefristet von der Grube, die sich unter Euren Händen entleert hat. Die Arbeit war wohl hart, aber nicht ohne Vortheil auch für Euch. Unsere große Familie steht im Begriff, auseinander zu gehen, und kaum ist es denkbar, daß sich die zerstreuten Mitglieder derselben jemals wieder zusammenfinden wie heute. Vergeßt deshalb aber niemals, daß wir so lange Jahre mit einander gelebt haben, und daß es den Bergleuten von Aberfoyle eine Ehrenpflicht bleibt, sich gegenseitig zu unterstützen. Auch Eure früheren Vorgesetzten werden sich dieser Pflicht immerfort erinnern. Die miteinander gearbeitet haben, die können einander nie ganz fremd werden. Wir werden auch ferner über Euch wachen, und wohin Ihr als ehrenhafte Leute Euch wendet, werden Euch unsere Empfehlungen begleiten. So lebt wohl, meine Freunde, Gott sei bei Euch!«

Nach diesen Worten umarmte James Starr den ältesten Arbeiter der Grube, dessen Augen sich mit Thränen gefüllt hatten. Dann traten die Steiger der verschiedenen Gruben herzu, um dem Ingenieur noch einmal die Hand zu drücken, während die Bergleute alle die Hüte schwenkten und ihre Empfindungen in den Worten: »Adieu, James Starr, unser Chef und unser Freund!« Luft machten.

Tief grub sich dieses Lebewohl in den Herzen der wackeren Leute ein. Nur nach und nach, als folgten sie ungern dem eisernen Zwange, verließen sie den weiten Hof. Um James Starr ward es still und stiller. Der schwarze Weg nach der Grube Dochart erschallte noch einmal von den Schritten der Bergleute, dann folgte das Schweigen dem geschäftigen Leben, das früher an den Kohlenwerken von Aberfoyle geherrscht hatte.

Nur ein einziger Mann war neben James Starr zurückgeblieben.

Es war der Obersteiger Simon Ford. Neben ihm stand ein junger Mensch von fünfzehn Jahren, sein Sohn Harry, der schon seit mehreren Jahren in dem Schachte thätig gewesen war.

James Starr und Simon Ford kannten einander und achteten sich gegenseitig eben so lange.

»Adieu, Simon,« sagte der Ingenieur.

»Adieu, Herr James,« antwortete der Obersteiger, »oder lassen Sie mich lieber sagen: Auf Wiedersehen!«

»Ja, ja, Simon,« wiederholte James Starr, »Sie wissen, daß ich stets erfreut sein werde, Sie wieder zu treffen und mit Ihnen von den alten schöneren Zeiten Aberfoyles zu plaudern.«

»Ich weiß es, Herr James.«

»Mein Haus in Edinburgh steht Ihnen allezeit offen.«

»O, das ist weit, Edinburgh!« erwiderte der Obersteiger kopfschüttelnd; »ja sehr weit von der Grube Dochart!«

»Weit, Simon, wo denken Sie denn zu wohnen?«

»Hier auf dieser Stelle. Herr James; wir werden das Werk, unsere alte Ernährerin, nicht verlassen, weil dessen Hilfsquellen jetzt versiegt sind. Meine Frau, mein Sohn und ich, wir werden uns einzurichten wissen, um der Grube treu zu bleiben.«

»Leben Sie wohl, Simon,« antwortete der Ingenieur, der seiner Erregung nur schwer Meister wurde.

»Nein, ich sag’ es noch einmal, nicht leben Sie wohl, sondern auf Wiedersehen, Herr James. Auf Simon Ford’s Wort, wir werden uns in Aberfoyle wiederfinden!«

Der Ingenieur wollte dem Obersteiger diese letzte Hoffnung nicht rauben. Er umarmte den jungen Harry, der ihn mit großen, seine Erregung verrathenden Augen ansah. Zum letzten Male drückte er Simon Ford die Hand und verließ den Hof des Kohlenwerkes.

Das hier Erzählte spielte vor nun zehn Jahren; aber trotz des vom Obersteiger geäußerten Wunsches, ihn einmal wiederzusehen, hatte James Starr niemals wieder etwas von ihm gehört.

Nach sehr langer Trennung erhielt er jetzt jenen Brief von Simon Ford, der ihn aufforderte, ohne Verzug den Weg nach den alten Kohlenwerken von Aberfoyle einzuschlagen.

Eine Mittheilung von besonderem Interesse für ihn? Was konnte diese betreffen? Die Grube Dochart, der Yarow-Schacht! Welche Erinnerungen erweckte das noch einmal in seinem Geiste! O, das war doch eine schöne Zeit gewesen, jene Zeit der Arbeit und des Kampfes, die schönste Zeit seines Lebens als Ingenieur!

James Starr durchflog das Schreiben immer und immer wieder. Er bedauerte, daß Simon Ford nicht eine Zeile mehr hinzu gefügt habe; er zürnte ihm fast wegen dieser lakonischen Kürze.

War es denn möglich, daß der alte Obersteiger vielleicht doch noch eine neue abbauwürdige Kohlenader entdeckt hätte? Nein, gewiß nicht!

James Starr entsann sich, wie sorgfältig die ganzen Gruben von Aberfoyle untersucht worden waren, bevor man die Arbeiten definitiv einstellte. Er selbst hatte die letzten Bohrversuche geleitet, ohne eine neue Lagerstätte in dem durch die intensivste Ausbeutung entwertheten Boden zu finden. Man hatte sogar den Anfang gemacht, die Tiefe unter jenen Gesteinschichten, welche gewöhnlich unter der Steinkohle getroffen werden, wie der rothe devonische Sandstein, aufzuschließen, aber leider ohne Erfolg. James Starr hatte das Bergwerk also mit der festen Überzeugung verlassen, daß es nicht mehr ein Stückchen Brennmaterial enthalte.

»Nein,« wiederholte er sich öfters, »nein! Wie wäre anzunehmen, daß Simon Ford das aufgefunden hätte, was sich damals meinen genauesten Nachforschungen entzog? Doch muß der alte Obersteiger ja wissen, daß mich nur eine Sache interessiren könnte, und nun diese geheimzuhaltende Einladung nach der Grube Dochart zu kommen! …

James Starr kam immer wieder hierauf zurück.

Andererseits kannte der Ingenieur Simon Ford als einen geschickten Bergmann, dem unleugbar ein gewisser Geschäftsinstinct eigen war. Seit der Zeit, wo Aberfoyle aufgelassen worden war, hatte er ihn nicht wieder gesehen, und hatte keinerlei Nachricht darüber, was aus dem alten Obersteiger geworden sei. Er hätte nicht zu sagen vermocht, womit Jener sich beschäftige, oder wo er mit seiner Frau und seinem Sohne wohne. Alles was er wußte, beschränkte sich auf diese Einladung nach dem Yarow-Schachte und auf die Mittheilung, daß Harry, Simon Ford’s Sohn, ihn im Laufe des morgenden Tages am Bahnhofe in Callander erwarten werde. Es handelt sich hier also offenbar darum, die Grube Dochart zu besuchen.

»Ich gehe, ich gehe!« sagte James Starr, der seine Aufregung mehr und mehr zunehmen fühlte.

Der würdige Ingenieur gehörte nämlich zu jener Kategorie leidenschaftlicher Leute, deren Hirn fortwährend ebenso im Sieden ist wie ein Kessel über einer Flamme. Es giebt derlei Köpfe, in welchen die Ideen immer im heftigsten Aufwallen sind, andere, in denen sie nur langsam kochen. Heute gehörte James Starr unbestritten zu den ersteren.

Da ereignete sich plötzlich ein sehr unerwarteter Zwischenfall. Er glich dem Tropfen kalten Wassers, der für den Augenblick alle aufsteigenden Dämpfe in seinem Gehirne niederschlug.

Gegen sechs Uhr Abends überreichte der Diener James Starr’s diesem einen zweiten Brief.

Derselbe befand sich in einem ziemlich groben Couvert, an dessen Aufschrift man eine des Schreibens nicht besonders gewohnte Hand erkannte.

James Starr zerriß den Umschlag. Er enthielt nur ein Stück durch die Zeit vergilbtes Papier, das einem schon seit langem nicht in Gebrauch gewesenen Notizbuch entnommen schien.

Auf diesem Papier stand nur allein der folgende Satz zu lesen:

»Es ist unnöthig für den Ingenieur Starr, sich zu bemühen, da der Brief Simon Ford’s inzwischen gegenstandslos geworden ist.«

Eine Unterschrift war nicht vorhanden.

Fußnoten

1Der Betrieb eines Schachtes zerfällt in die Arbeiten in der Teufe (Tiefe) und die Tagesarbeiten, die ersten im Innern der Grube, die letzteren außerhalb derselben.

Zweites Capitel.

Unterwegs.

Inhaltsverzeichnis

Der Gedankengang James Starr’s wurde plötzlich unterbrochen, als er diesen zweiten, dem erstempfangenen widersprechenden Brief gelesen hatte.

»Was soll das heißen?« fragte er sich.

James Starr nahm den halbzerrissenen Umschlag wieder auf, der ebenso wie der andere den Poststempel von Aberfoyle zeigte, also jedenfalls aus demselben Theile der Grafschaft Stirling gekommen war. Daß der alte Bergmann ihn nicht geschrieben habe, lag auf der Hand. Dagegen kannte der Verfasser dieses zweiten Briefes das Geheimniß des Obersteigers, da er die dem Ingenieur zugegangene Einladung, nach dem Yarow-Schachte zu kommen, ausdrücklich aufhob.

Sollte es denn wahr sein, daß jene erste Mittheilung gegenstandslos geworden sei? Wollte man nur verhindern, daß James Starr sich mit oder ohne Zweck dahin bemühe? Oder lag hier vielleicht die böse Absicht zu Grunde, Simon Ford’s Vorhaben zu durchkreuzen?

Diese Gedanken stiegen in James Starr, als er sich die Sache überlegte, auf. Der Widerspruch zwischen den beiden Briefen aber reizte ihn nur um so mehr, sich nach der Grube Dochart zu begeben. Selbst wenn die ganze Einladung nur auf eine Mystification hinausliefe, hielt er es für besser, sich darüber Gewißheit zu verschaffen. Dabei war er immer geneigt, dem ersten Schreiben mehr Glauben beizumessen als dem nachfolgenden – d. h. der Einladung eines Mannes wie Simon Ford mehr, als der Absagung seines namenlosen Gegners.

»Gerade da man meinen Entschluß zu beeinflussen sucht,« sagte er sich, »muß wohl die Mittheilung Simon Ford’s von ganz besonderem Interesse sein! Ich werde morgen zu gelegener Zeit an dem bestimmten Orte sein!«

Gegen Abend traf James Starr die nöthigen Vorbereitungen zur Abreise. Da seine Abwesenheit sich leicht auf einige Tage ausdehnen konnte, benachrichtigte er Sir W. Elphiston, den Präsidenten der Royal-Institution, brieflich, daß er der nächsten Sitzung der Gesellschaft beizuwohnen verhindert sei. Er befreite sich auch von zwei oder drei anderen Geschäften, die ihn noch diese Woche in Anspruch genommen hätten. Nachdem er endlich seinem Diener Auftrag gegeben, seine Reisetasche in Ordnung zu bringen, legte er sich, von der ganzen Angelegenheit vielleicht mehr als nöthig aufgeregt, zur Ruhe.

Am anderen Morgen um fünf Uhr stand James Starr schon auf, kleidete sich warm an, denn es fiel ein kalter Regen, und verließ das Haus in der Canongate, um vom Granton-pier aus das Dampfboot zu benutzen, das in drei Stunden den Forth bis nach Stirling hinauffährt.

Als James Starr die Canongate1 durchschritt, sah er sich vielleicht zum ersten Male nicht nach Holyrood, dem Palaste der früheren Regenten von Schottland, um. Er bemerkte vor dessen Thoren die Wache nicht, welche davor stand in dem alten schottischen Kostüme, dem grünen kurzen Rock, carrirten Shawl und mit dem langhaarigen bis auf die Schenkel herabhängenden Ziegenfelle. Obwohl ein großer Verehrer von Walter Scott, wie ein jeder echte Sohn des alten Caledoniens, würdigte er heute das Gasthaus doch keines Blickes, in welchem Waverbey abstieg und woselbst ihm der Schneider das berühmte Kriegskleid brachte, das die Witwe Flock so naiv bewunderte. Er begrüßte auch den kleinen Platz nicht, auf dem die Bergschotten nach dem Siege des Prätendenten und auf die Gefahr hin, Flora Mac Tvor zu erschießen, ihre Gewehre abfeuerten. In der Mitte der Straße zeigte die Uhr des Gefängnisses ihr trauriges Zifferblatt; er sah nur darnach, um sich zu überzeugen, daß er die Zeit der Abfahrt nicht versäume. Auch in Nelher-Bow richtete er den Blick nicht nach dem Hause des großen Reformators John Knox, des einzigen Mannes, den das Lächeln Maria Stuart’s nicht verführte. Durch die High-street, die weitbekannte Straße, deren genaue Beschreibung man in dem Roman des Abbé findet, wendete er sich nach der gigantischen Brücke der Bridge-street, welche die drei Hügel Edinburghs mit einander verbindet.

Wenige Minuten später langte er bei dem Bahnhof des »General railway« an, und eine halbe Stunde später erreichte er mit dem Zug Newhaven, ein hübsches Fischerdorf, eine Meile von Leith, das den Hafen Edinburghs bildet. Die steigende Fluth bedeckte daselbst den schwärzlichen, steinichten Strand. Die Wellen bespülten dort einen auf Pfählen errichteten und von Ketten gehaltenen Hafendamm. Zur linken desselben lag eines der Boote, welche den Verkehr auf dem Forth, zwischen Edinburgh und Stirling vermitteln, am Granton-pier-(pfeiler) gekettet.

In diesem Augenblicke wirbelten aus dem Schornstein der »Prince de Galles« schwarze Rauchwolken auf und zischend blies der Kessel überflüssigen Dampf ab. Bei dem Tone der Glocke, welche nur wenige Male anschlug, beeilten sich die letzten Passagiere, noch das Schiff zu erreichen. Da tummelten sich untereinander eine Menge Kaufleute, Pächter, nebst einer Anzahl Diener, welche Letztere man an den kurzen Kniehosen, langen Überröcken und einem schmalen weißen Streifen rings um den Hals erkannte.

James Starr war nicht der Letzte, der sich einschiffte. Er sprang leicht auf’s Verdeck der »Prince de Galles«. Obwohl es heftig regnete, dachte doch keiner der Passagiere daran, im Salon des Dampfers Schutz zu suchen. Alle blieben unbeweglich und in Reisedecken und Mäntel eingehüllt sitzen; einige stärkten sich dann und wann durch einen Schluck Gin oder Whisky aus der Feldflasche, was man dort »sich inwendig anziehen« zu nennen pflegt. Ein letztes Läuten der Glocke ertönte, die Taue wurden gelöst und der »Prince de Galles« wand sich durch einige vorsichtige Bewegungen aus dem kleinen Bassin heraus, das ihn vor den Wogen des Meeres schützte.

Der »Firth of Forth« ist der Name des Golfes, der sich zwischen den Grafschaften Fife im Norden und Linlithgow, Edinburgh und Haddington im Süden ausbreitet. Er bildet den Ausfluß des Forth, eines unbedeutenden Flusses, der ähnlich der Themse oder Mersey sehr tief ist und von den westlichen Abhängen des Ben-Lomond herabfallend, sich in das Meer von Kincardine ergießt.

Vom Granton-pier bis zum Ende des Golfes wäre nur eine geringe Strecke, wenn nicht die Nothwendigkeit, wiederholt an beiden Ufern anzulegen, große Umwege veranlaßte. Städte, Dörfer und einzelne Landsitze schimmern an den Ufern des Forth aus den üppigen Baumgruppen der fruchtbaren Landschaft hervor.

James Starr stand geschützt unter der Kapitänsbrücke, welche von dem einen Radkasten zu dem anderen führt, und gab sich offenbar gar keine Mühe, etwas von der Umgebung zu sehen, welche die schrägen

Striche des Regens ohnehin halb verhüllten. Er achtete vielmehr darauf, nicht die Aufmerksamkeit irgend eines Passagiers zu erregen. Vielleicht befand sich der Urheber des zweiten Briefes jetzt mit auf dem Dampfer, obgleich der Ingenieur nirgends einen verdächtigen Blick bemerkte.

Nachdem die »Prince de Galles« Granton-pier verlassen, wendete er sich nach der engen Durchfahrt zwischen den beiden weit hervorspringenden Landspitzen von South-und North-Queensferry, jenseits welcher der Forth eine Art See bildet, den noch Schiffe von hundert Tonnen befahren können. Zwischen den Nebeln des Hintergrundes zeigten sich durch einige offene Stellen des Horizontes die schneeigen Gipfel der Grampianberge.

Bald ließ das Dampfboot das Dorf Aberdour hinter sich, ebenso wie die von den Ruinen eines Klosters aus dem 12. Jahrhundert gekrönte Insel Colm, die Überreste des Schlosses von Barnbougie, ferner Dombristle, wo der Schwiegersohn des Regenten Murray ermordet ward, und das befestigte Eiland Garvin. Es durchschnitt die schmale Wasserstraße bei Queensferry, ließ das Schloß von Rosyth, in dem ehemals ein Zweig der Stuarts, dem sich die Mutter Cromwells anschloß, residirte, zur Linken, passirte Blacknesscastle, das gemäß einem Artikel der Verfassung stets in Vertheidigungszustand ist, und berührte die Quais des kleinen Hafens Charleston, den Exportplatz für den Kalkstein aus den Brüchen des Lord Elgin. Endlich signalisirte die Glocke der »Prince de Galles« die Station Crombie-point.

Das Wetter war sehr schlecht. Der von einem heftigen Wind gepeitschte Regen zerstäubte sich zu nassen Wolken, welche trombenähnlich vorüberflogen.

James Starr ward etwas unruhig. Würde der Sohn Simon Ford’s wie versprochen zur Stelle sein? Er wußte aus Erfahrung, daß die an die gleichmäßige Ruhe der tiefen Kohlengruben gewöhnten Bergleute sich weniger gern der Unbill der Atmosphäre aussetzen als die Tagarbeiter und die Landleute. Von Callander bis zur Grube Dochart und dem Yarow-Schacht rechnete man eine Entfernung von reichlich vier Meilen. Möglicherweise hatte sich der Sohn des alten Obersteigers doch abhalten lassen oder durch die üble Witterung verspätet. Dazu kam noch der Gedanke, daß der zweite Brief ja überhaupt die erste Einladung aufhob, ein Umstand, der seine Sorge nur noch vermehren mußte.

Immerhin hielt er an dem Entschlusse fest, für den Fall, daß Harry Simon bei Ankunft des Zuges in Callander nicht da sein sollte, sich allein nach der Grube Dochart und, wenn es nöthig erschien, selbst bis Aberfoyle zu begeben. Dort durfte er hoffen, Nachrichten von Simon Ford zu erhalten, und auch zu erfahren, wo der alte Obersteiger jetzt wohl hauste.

Inzwischen wühlte die »Prince de Galles« fortwährend große Wellen unter dem Schlage ihrer Schaufeln auf. Jetzt sah man von beiden Ufern gar nichts mehr, weder das Dorf Crombie, noch Torrybourn oder Torryhouse, weder Newmills noch Carridenhouse, ebenso wie Kirkyrange und Salt-Pans, der unbedeutende Hafen von Bowneß und der von Grangemouth, welcher an der Mündung des Canals von Clyde liegt, in dem feuchten Nebel verschwanden. Ganz ebenso blieben Cubroß, die alte Burg und die Ruinen seiner Abtei, Citeaux, Kincardine mit seinen Werften, woselbst der Steamer anlief, Ayrth-castle sammt seinem viereckigen Thurme aus dem 13. Jahrhundert, Clarkmann nebst seinem für Robert Bouee gebauten Schlosse, wegen des fortdauernden Regens so gut wie unsichtbar.

Die »Prince de Galles« hielt am Hafendamme von Alloa an, um einige Passagiere abzusetzen. James Starr empfand einen Druck im Herzen, als er nach zehn Jahren wieder an dieser kleinen Stadt vorbeikam, die als Mittelpunkt eines wichtigen Kohlenwerkbetriebes noch heute eine zahlreiche Arbeiterschaar ernährte. Seine Phantasie führte ihn hinab unter die Erde, wo die Spitzhaue der Bergleute noch immer mit bestem Erfolge den Bodenschätzen nachging. Diese Minen von Alloa, die nächsten Nachbarn derer von Aberfoyle, bereicherten noch immer die Grafschaft, während die angrenzenden, schon seit so vielen Jahren erschöpften Werke keinen einzigen Arbeiter zählten.

Als der Dampfer Alloa verließ, mußte er sich mühsam durch die vielen Bogen winden, welche der Forth in seinem Verlaufe von neunzehn Meilen macht. Für einen Augenblick erschienen durch eine Lichtung die Ruinen der Abtei von Cambuskenneth, welche auf das 12. Jahrhundert zurückreichen. Dann kam man nach dem Schlosse von Stirling und der königlichen Burg dieses Namens; von wo aus der von zwei Brücken überspannte Forth für bemastete Schiffe nicht weiter fahrbar ist.

Kaum hatte die »Prince de Galles« angelegt, als der Ingenieur leichten Fußes auf den Quai hinübersprang. Fünf Minuten später erreichte er den Bahnhof von Stirling und eine Stunde darauf verließ er den Zug in Callander einem großen Dorf auf dem linken Ufer des Leith.

Dort vor dem Bahnhofe wartete ein junger Mann, der sogleich auf den Ingenieur zukam.

Es war Harry, der Sohn Simon Ford’s.

Fußnoten

1Eine berühmte Hauptstraße des alten Edinburgh.

Drittes Capitel.

Der Untergrund des Vereinigten Königreiches.

Inhaltsverzeichnis

Für das Verständniß des Folgenden empfiehlt es sich, die Geschichte der Steinkohlenformation hier auszugsweise darzulegen.

Während der geologischen Epoche, als das Erdsphäroid noch in der Bildung begriffen war, umhüllte es eine dichte Atmosphäre, welche neben reichlichen Wasserdünsten vorzüglich auch eine große Menge Kohlensäure enthielt. Allmälig schlugen sich diese Dunstmassen als diluvianische Regen nieder und strömten mit einer Gewalt herab, als sprängen sie aus Millionen Milliarden Selterswasser-Flaschen hervor. Jedenfalls war es eine sehr kohlensäurereiche Flüssigkeit, die sich damals über den halbweichen Erdboden ergoß, welcher fortwährend noch stürmischer oder langsamer verlaufende Umwälzungen erlitt, und in diesem kaum consolidirten Zustande ebenso durch die äußere Sonnenwärme, wie durch das Centralfeuer des Planeten erhalten wurde. Die Wärme des Innern hatte sich damals noch nicht so entschieden in dem Mittelpunkte der Erdkugel aufgespeichert. Die minder dicke und unvollkommen erhärtete Erdkruste ließ sie noch durch ihre Poren ausströmen, daher erklärt sich jene riesenmäßig wuchernde Vegetation der Vorzeit, wie sie jetzt noch auf der Venus und dem Merkur als Folge ihrer geringeren Entfernung von der Sonne vorhanden sein mag.

Der jener Zeit noch nicht bestimmt umgrenzte Boden der Continente bedeckte sich mit ungeheuren Wäldern. Die für die Ernährung der Pflanzenwelt so nothwendige Kohlensäure war im Überfluß vorhanden. Alle Gewächse sproßten in Gestalt von Bäumen auf, kraut-und grasartige Pflanzen gab es noch nicht. Überall drängten sich die ziemlich monotonen Baumriesen, ohne Blüthen oder Früchte, zusammen, welche noch keinem lebenden Wesen hätten Nahrung bieten können. Die Erde mußte erst reifer werden, um die Entwickelung des Thierreiches zu ermöglichen.

In den antediluvianischen Wäldern herrschte die Klasse der Gefäßkryptogamen beiweitem vor. Calamiten, Varietäten baumartiger Schachtelhalme, Lepidodendrons, riesenhafte, fünfundzwanzig bis dreißig Meter hohe und am Grunde des Stammes ein Meter dicke Lycopodien, Farrnkräuter, Sigillarien von erstaunlicher Größe, von denen man Muster-Exemplare in den Gruben von St. Etiennes auffand – lauter ungeheure Pflanzen, deren verwandte Nachkommen wir jetzt nur in den niedrigsten Classen der Pflanzenwelt unserer bewohnten Erde wieder erkennen – das waren, zwar arm an Arten, aber gewaltig in ihrer Entwickelung, die Repräsentanten des Pflanzenreiches, welche ausschließlich die Urwälder jener Epoche bildeten.

Diese Bäume wurzelten überdies in einer Art grenzenloser Lagune, einer Mischung aus süßem und salzigem Wasser. Gierig assimilirten sie die Kohlensäure der zur Athmung noch untauglichen Atmosphäre, so daß man sagen kann, sie waren dazu bestimmt, dieselbe unter der Form der Steinkohle in den Eingeweiden der Erde unschädlich zu machen.

Damals war die Zeit der Erdbeben, der furchtbarsten Erschütterungen des Bodens, eine Folge der Revolutionen des Innern und der plutonischen Arbeit, welche oft plötzlich die noch unsicheren Linien der Erdoberfläche veränderten. Hier wuchsen Bodenerhebungen auf, welche später zu Bergen wurden; dort öffneten sich Schlünde, Abgründe und Senkungen, die Betten der späteren Meere und Oceane. Dabei sanken ganze Waldstrecken in den Erdboden ein, bis sie entweder auf dem schon härteren Urgebirgsgranit eine Lagerstätte fanden oder durch ihre Anhäufung sich selbst zu einem schwerer beweglichen Ganzen verdichteten.

Der geologische Bau des Erdinnern zeigt nämlich folgende Anordnung: Zu unterst treffen wir die paläozoische oder primäre Formation (mit Gneis, Granit u.s.w.), in deren oberen Schichten, unter dem sogenannten Rothliegenden, die Steinkohle eingebettet ist. Darauf folgt die mesozoische oder secundäre Formation (mit Buntsandstein, Muschelkalk u.s.w.); über dieser lagert die känozoische oder tertiäre Formation und endlich die quaternäre, das Gebiet der älteren und neueren Alluvien.

In jener Kindeszeit der Erde stürzte sich das noch von keinem Bette eingedämmte und durch die reichliche Verdunstung überall hingeführte Wasser von den kaum gebildeten, Felsen herab und riß abgewaschene Schiefer-, Sand-und Kalkgesteine mit sich fort. Diese lagerten sich über den Torfmoorwäldern ab und bildeten die Elemente, welche die Steinkohlenschichten überdeckten. Mit der Zeit – aber freilich handelt es sich hier stets um Millionen von Jahren – erhärteten diese Schichten und verschlossen die ganze Masse der gesunkenen Wälder mit einem dichten Panzer von Puddingsteinen, Schiefern, festem oder zerreiblichem Sandstein, Sand und Kies.

Was ging nun in jenem Riesenkolben vor, in dem sich das vegetabilische Grundmaterial in verschiedenen Tiefen zusammengehäuft hatte? Es vollzog sich ein wirklicher chemischer Proceß, eine Art Destillation. Aller Kohlenstoff jener Pflanzenmassen sammelte sich darin, und nach und nach entstand daraus die Steinkohle unter dem zweifachen Einflusse eines enormen Druckes und einer sehr hohen Temperatur, welche von dem jener Zeit noch so benachbarten Feuer des Erdinnern herrührte.

So trat in Folge dieser langsamen, aber unwiderstehlichen Reaction ein Reich an die Stelle des anderen. Die Pflanzen bildeten sich zu Mineralien um. Alles, was sein vegetatives Leben dem Nahrungsüberfluß der ersten Tage verdankte, versteinerte jetzt. Verschiedene, in jenen ungeheuren, noch unvollkommen veränderten Pflanzenmassen eingeschlossene Substanzen hinterließen ihren Abdruck auf anderen, schneller erhärteten Producten, welche sie wie eine hydraulische Presse mit unberechenbar großer Gewalt zusammendrückten. Zu gleicher Zeit entstanden auf der noch weicheren Steinkohle jene zarten, »wunderbar fein gezeichneten« Abdrücke von Muschelthieren, Zoophyten, Seesternen, Polypen, Spiriferen, ja selbst von mit dem Wasser hinabgeführten Fischen und Eidechsen1.

Bei der Bildung von Kohlenlagern scheint vorzüglich der darauf lastende Druck eine einflußreiche Rolle gespielt zu haben. Höchst wahrscheinlich bestimmte der Grad desselben die Bildung der mannigfachen Steinkohlensorten, die wir jetzt verbrauchen. So erscheint in den tiefsten Schichten der Erde der Anthracit, dem fast jede flüchtige Substanz abgeht und der dafür am reichsten an Kohlenstoff ist. In den höheren Lagern tritt dagegen der Lignit und das fossile Holz auf, Substanzen, welche weit weniger Procente Kohlenstoff enthalten. Zwischen diesen beiden äußersten Schichten trifft man, je nach dem Grade des Druckes, der auf den Ablagerungen lastete, den Graphit, die fetten und die mageren Steinkohlen. Man ist auch zu der Annahme berechtigt, daß die Torfmoore nur wegen Mangels an Druck sich nicht weiter umbildeten.

Der Ursprung der Steinkohlen, an welcher Stelle der Erde man sie auch immer finden mag, dürfte also kurz folgender sein: Versenkung ausgedehnter Wälder der geologischen Epoche in die Erdrinde, dann Mineralisation der Pflanzensubstanz durch die Wirkung des Druckes und der Wärme und unter gleichzeitigem Einfluß der Kohlensäure.

Die sonst so freigebige Natur hat aber nicht genug Wälder untergehen lassen, um einen mehrtausendjährigen Verbrauch zu sichern – die Steinkohle wird einmal zu Ende gehen, das unterliegt keinem Zweifel. Die Maschinen der ganzen Welt werden einst zu feiern gezwungen sein, wenn es nicht gelingen sollte, die Kohle durch ein anderes Heizmaterial zu ersetzen. In mehr oder weniger entfernter Zeit wird es keine weiteren Lager geben als diejenigen, welche vielleicht in Grönland oder in der Nachbarschaft des Bassinsmeeres eine ewige Eisdecke begräbt und an deren Ausbeutung selbstverständlich kaum zu denken ist. Das ist das unvermeidliche Loos. Die jetzt noch so ergiebigen Kohlenlager Amerikas am Großen Salzsee, am Oregon, in Californien, werden dereinst nur eine ungenügende Ausbeute liefern. Dasselbe wird mit den Lagerstätten des Cap Breton, von St. Laurent, Alleghani, Pennsylvanien, Virginien, Illinois, Indiana und Missouri der Fall sein. Obwohl der Kohlenreichthum Amerikas den der gesammten anderen Erde um das Zehnfache übertrifft, die Jahrhunderte werden nicht verrinnen, ohne daß das tausendschlündige Ungeheuer Industrie auch das letzte Stückchen Steinkohle der Erde verschlungen haben wird.

Ein Mangel wird nach dem Vorhergehenden sich also zuerst in der Alten Welt fühlbar machen. Wohl existiren in Abessinien, Natal, am Zambesi, in Mozambique, auf Madagascar noch sehr reiche Vorräthe des mineralischen Brennstoffes; ihre geordnete Ausbeutung aber stößt auf die größten Schwierigkeiten. Die von China, Cochinchina, Birmanien, Japan und Centralasien dürften schnell genug erschöpft werden. Die Engländer werden Australien mit seinem an Kohlenadern so reichen Boden gewiß vollständig ausgeraubt haben, bevor es dem Vereinigten Königreiche an Brennmaterial gebricht. Zu dieser Zeit aber werden die bis in ihre feinsten Ausläufer erschöpften Kohlenminen Europas schon längst aufgelassen worden sein.