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Jules Verne bei Null Papier Komplett neu überarbeitet; reichhaltig illustriert und kommentiert Wo liegt Schwarz-Indien? Liebe Leser, sie werden dieses Land vergebens auf Karten suchen. Denn dieses Land liegt unter der Erde, genauer, unter der Erde Schottlands. "Schwarz-Indien" wird das weitverzweigte Bergwerksystem genannt, das über Generationen von unzähligen Kumpels angelegt wurde. Aber die einstmals ergiebigen Flöze sind ausgebeutet; es droht die Aufgabe von "Schwanz-Indien". Nur der alte Oberhauer Simon Ford und sein Sohn Harry sind davon überzeugt, dass es immer noch ausbeutbare, unentdeckte Vorkommen geben muss. Die Entdeckung eines neuen, unermesslichen Flözes wird die Grundlage einer gänzlich unter der Erde angelegten Industriestadt. Aber die "Stadt unter der Erde" ist bedroht durch einen geheimnisvollen Feind, der in den Schächten sein Unwesen treibt. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 273
Jules Verne
Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde
Illustrierte Fassung
Jules Verne
Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde
Illustrierte Fassung
(Les Indes noires)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Jules-Descartes FératÜbersetzung und Fußnoten: Jürgen Schulze EV: A. Hartleben Verlag, Wien, Pest, Leipzig, 1878 2. Auflage, ISBN 978-3-962814-77-9
null-papier.de/angebote
Inhaltsverzeichnis
Jules Verne – Leben und Werk
Erstes Kapitel – Zwei sich widersprechende Briefe
Zweites Kapitel – Unterwegs
Drittes Kapitel – Der Untergrund des Vereinigten Königreichs
Viertes Kapitel – Die Grube Dochart
Fünftes Kapitel – Die Familie Ford
Sechstes Kapitel – Einige unerklärliche Erscheinungen
Siebtes Kapitel – Eine Erfahrung Simon Fords
Achtes Kapitel – Eine Dynamit-Explosion
Neuntes Kapitel – New-Aberfoyle
Zehntes Kapitel – Hin und zurück
Elftes Kapitel – Die Feuerhexen
Zwölftes Kapitel – Jack Ryans Nachforschungen
Dreizehntes Kapitel – Coal-City
Vierzehntes Kapitel – Am letzten Fädchen hängend
Fünfzehntes Kapitel – Nell in der Cottage
Sechzehntes Kapitel – Auf der auf- und absteigenden Leiter
Siebzehntes Kapitel – Ein Sonnenaufgang
Achtzehntes Kapitel – Vom Lomondsee zum Katrinesee
Neunzehntes Kapitel – Eine letzte Bedrohung
Zwanzigstes Kapitel – Der Büßer
Einundzwanzigstes Kapitel – Nells Vermählung
Zweiundzwanzigstes Kapitel – Die Legende vom alten Silfax
Ein Nachwort
Danke, dass Sie dieses E-Book aus meinem Verlag erworben haben.
Jules Verne gehört zu den Autoren, die jeder schon einmal gelesen hat. Eine Behauptung, die man nicht über viele Schriftsteller aufstellen kann. Die Geschichten von Verne sind unterhaltend, lehrreich und immer sehr atmosphärisch.
In unregelmäßiger Folge wird mein Verlag die Werke von Verne veröffentlichen – die bekannten wie die unbekannten. Immer in der überarbeiteten Erstübersetzung, um den (sprachlichen) Charme der Zeit beizubehalten.
Korrigiert und kommentiert werden Orts- und Personennamen oder offensichtlich falsche Angaben. Sie finden die Erläuterungen in Fußnoten.
Ich habe es mir auch nicht nehmen lassen, die ursprünglichen Namen zu verwenden: Aus dem Johann wird so wieder der ursprüngliche Jean, aus Ludwig wieder Louis und aus Marianne wieder Marie. Ich denke, das tut den Geschichten nur gut.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze null-papier.de/kontakt
Reise um die Erde in 80 Tagen
Michael Strogoff - Der Kurier des Zaren
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Eine Idee des Doktor Ox
Eine Überwinterung im Eis
Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde
Fünf Wochen im Ballon
Robur der Eroberer
Der Herr der Welt
Von der Erde zum Mond
und weitere …
Beinahe wäre Klein-Jules als Schiffsjunge nach Indien gefahren, hätte eine Laufbahn als Seemann eingeschlagen und später unterhaltsames Seemannsgarn gesponnen, das vermutlich nie die Druckerpresse erreicht hätte.
Jules Verne
Verliebt in die abenteuerliche Literatur
Glücklicherweise für uns Leser hindert man ihn daran: Der Elfjährige wird von Bord geholt und verlebt weiterhin eine behütete Kindheit vor bürgerlichem Hintergrund. Geboren am 8. Februar 1828 in Nantes, wächst Jules-Gabriel Verne in gut situierten Verhältnissen auf. Als ältester von fünf Sprösslingen soll er die väterliche Anwaltspraxis übernehmen, weshalb er ab 1846 in Paris Jura studiert.
Viel spannender findet er schon zu dieser Zeit allerdings die Literatur. Verne freundet sich sowohl mit Alexandre Dumas als auch mit seinem gleichnamigen Sohn an. Gemeinsam mit Vater Dumas verfasst er Opernlibretti und erste dramatische Werke. Nach dem Abschluss seines Studiums beschließt er, nicht nach Nantes zurückzukehren, sondern sich völlig der Dramatik zu widmen.
Zwar schreibt er nicht ganz erfolglos – drei seiner Erzählungen erscheinen in einer literarischen Zeitschrift. Doch zum Leben reicht es nicht, weshalb der junge Autor 1852 den Posten eines Intendanz-Sekretärs am Théâtre lyrique annimmt. Immerhin wird diese Arbeit zuverlässig vergütet und Verne darf sich als Dramatiker betätigen. In seiner Freizeit verfasst er weiterhin Erzählungen, wobei ihn abenteuerliche Reisen am meisten interessieren.
Als er 1857 eine Witwe heiratet, die zwei Töchter in die Ehe mitbringt, muss sich der Literat nach einer besser bezahlten Einkommensquelle umsehen. Während der nächsten zwei Jahre schlägt er sich als Börsenmakler durch, wobei er genug Zeit findet, längere Schiffsreisen zu unternehmen, bevor 1861 sein Sohn Michel geboren wird.
Verliebt ins literarische Abenteuer
Letztlich ist es einer besonderen Begegnung im Jahr 1862 geschuldet, dass alles, was der Autor bisher »geistig angesammelt« hat, in seinen künftigen Romanen kulminieren darf: Der Jugendbuch-Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht Vernes utopischen Reiseroman »Fünf Wochen im Ballon«. Dieses von ihm ohnehin bevorzugte Sujet wird den Schriftsteller nie wieder loslassen – die abenteuerlichen Reisen, auf welcher Route auch immer sie absolviert werden. Hetzel verlegt Vernes noch heute beliebteste Schriften: 1864 »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, im folgenden Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Reise um den Mond« und »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer«. Mit »Reise um die Erde in 80 Tagen« erscheint 1872 Jules Vernes erfolgreichster Roman überhaupt.
Die Zusammenarbeit mit Hetzel, der gleichzeitig als sein Mentor fungiert, sorgt in den späten 1860er Jahren dafür, dass der höchst produktive Schriftsteller seiner Familie einigen Wohlstand bieten und sich selbst »jugendtraumhafte« Reisewünsche erfüllen kann. Sein Verleger stellt ihn namhaften Wissenschaftlern vor – in Kombination mit den erwähnten Reisen entsteht auf diese Weise ein ungeheurer Fundus der Inspiration: Jules Vernes Zettelkasten enthält angeblich 25.000 Notizen!
Zwar ist er seit »Reise um den Mond« gleichermaßen wohlhabend und geachtet; er engagiert sich seit den späten 1880er Jahren sogar als Stadtrat in Amiens, wohin er 1871 mit seiner Familie übergesiedelt war. Der »Ritterschlag« aber bleibt aus: In der Académie française möchte man den Jugendbuchautor nicht haben, er gilt als nicht seriös genug.
Den Zenit seines Schaffens hat der Literat bereits überschritten, als er 1888 bleibende Verletzungen durch den Schusswaffen-Angriff eines geistesgestörten Verwandten davonträgt. Dennoch arbeitet der Autor ununterbrochen weiter. Als Jules Verne im März 1905 stirbt, hinterlässt er ein gewaltiges Gesamtwerk: 54 zu Lebzeiten erschienene Romane, weitere elf Manuskripte bearbeitet sein Sohn Michel nach dem Tod des Vaters. Ergänzt wird Vernes Œuvre durch Erzählungen, Bühnenstücke und geografische Veröffentlichungen.
Geliebt und missachtet
Jenes zwiespältige Verhältnis, das sich bereits in der Ablehnung der Akademiemitglieder äußert, kennzeichnet die akademische Rezeption bis heute: Jules Verne ist eben »nur ein Jugendbuchautor«. Weniger befangene Rezipienten freilich schreiben ihm eine ganz andere Bedeutung zu, die dem Visionär und leidenschaftlichen Erzähler besser gerecht wird.
Wenngleich der alternde Literat zum Ende seines Schaffens durchaus nicht mehr in gläubiger Technikbegeisterung aufgeht, bleiben uns doch genau jene Werke in liebevoller Erinnerung, in denen technische und menschliche Großtaten die Handlung bestimmen: »Reise um die Erde in 80 Tagen« oder »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer« beispielsweise. Wer als Kind von Nemo und seiner Nautilus liest, wird unweigerlich gefangen von diesem technischen Wunderwerk und dessen Kapitän. Vernes Romane gehören zu jenen Jugendbüchern, die man als Erwachsener gerne nochmals zur Hand nimmt – und man staunt erneut, erinnert sich, lässt sich wiederum einfangen und fragt sich, warum man eigentlich so selten Verne liest…
So wie der Autor sich selbst durch Reisen und Wissenschaft inspirieren lässt, dienen seine Werke seit jeher der Inspiration seiner Leserschaft. Wie präsent dieser exzellente Unterhalter in den Köpfen seiner Leser bleibt, belegen Benennungen in See- und Raumfahrt: Das erste Atom-U-Boot der Geschichte ist die amerikanische USS Nautilus. Ein Raumtransporter der Europäischen Raumfahrtagentur heißt »Jules Verne«, ein Asteroid und ein Mondkrater tragen ebenfalls den Namen des Schriftstellers. Die »Jules Verne Trophy« wird seit 1990 für die schnellste Weltumsegelung verliehen, was dem begeisterten Jachtbesitzer Verne gewiss gefallen hätte.
Der kommerzielle Literaturbetrieb sowie die Filmwirtschaft betrachten den französischen Vater der Science-Fiction-Literatur ebenfalls mit Wohlwollen: Unzählige Neuauflagen der Romanklassiker, Hörbücher und Verfilmungen der rasanten, stets mitreißenden Handlungen sprechen Bände. Mittlerweile gelten die ältesten Verfilmungen selbst als kulturelle Meilensteine, die keineswegs nur ein junges Publikum erfreuen.
Jules Vernes Bedeutung für die Literatur
Der Einfluss Vernes auf nachfolgende Science-Fiction-Autoren ist gar nicht hoch genug einzuschätzen: Aus heutiger Sicht ist er einer der Vorreiter der utopischen Literatur Europas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Welten«) und Kurd Laßwitz (»Auf zwei Planeten«) das neue Genre begründet. Seinerzeit gibt es diesen Begriff noch nicht, weshalb Hetzel die Romane seines Erfolgsschriftstellers als »Außergewöhnliche Reisen« vermarktet
Der Franzose sieht, anders als Wells und ähnlich wie Laßwitz, im technischen Fortschritt das künftige Wohl der Menschheit begründet. Trotzdem ist Jules Verne vor allem Erzähler: Er will weder warnen wie Wells noch belehren wie Laßwitz, sondern in erster Linie unterhalten. Im Vergleich zum spröden Realismus eines Wells wirken seine Romane für moderne Leser ausufernd, vielleicht sogar geschwätzig. Dennoch sind sie leichter zugänglich als das stilistisch ähnliche Schaffen des Deutschen Laßwitz, weil sie Utopie und Technikbegeisterung nicht zum Zweck ihres Inhalts machen, sondern lediglich zu dessen Träger: Schließlich ist es einfach aufregend, in einem Ballon eine Weltreise anzutreten oder Kapitän Nemo in sein geheimes Reich zu folgen.
Schwarz-Indien
Mr. J. R. Starr, Ingenieur, 30, Canongate. Edinburgh.
Wenn Herr James Starr so gütig sein will, sich morgen nach den Kohlenwerken von Aberfoyle, Grube Dochart, Yarow-Schacht, zu begeben, so wird er dort eine ihn sehr interessierende Nachricht erhalten.
Herr James Starr wird im Laufe des Tages am Bahnhofe von Callander von Harry Ford, dem Sohne des früheren Obersteigers Simon Ford, erwartet werden.
Man bittet um Diskretion!
So lautete ein Brief, den James Starr frühzeitig am 3. Dezember 18.., mit dem Poststempel Aberfoyle, Grafschaft Stirling, Schottland, zugestellt erhielt.
Seine Neugierde ward mächtig erregt. Der Gedanke an eine Mystifikation kam ihm gar nicht in den Sinn. Seit langen Jahren schon kannte er Simon Ford, einen der alten Werkführer in den Minen von Aberfoyle, denen er als technischer Direktor – oder »viewer«, wie die Engländer sagen, – während eines Zeitraumes von zwanzig Jahren selbst vorgestanden hatte.
James Starr war ein Mann von guter, kräftiger Konstitution, den man trotz seiner fünfundfünfzig Jahre recht wohl für einen Vierziger halten konnte. Er entstammte als eines der hervorragendsten Mitglieder einer alten, angesehenen Familie Edinburghs. Seine Arbeiten gereichten jener ehrenwerten Korporation der Ingenieure zur Ehre, welche das kohlenreiche Unterirdische des Vereinigten Königreiches in Cardiff wie bei Newcastle und in den niederen Grafschaften Schottlands ausbeuteten. In der Tiefe der geheimnisvollen Kohlenwerke von Aberfoyle, welche an die Gruben von Alloa grenzend einen Teil der Grafschaft Stirling einnehmen, hatte sich James Starr seinen überall mit Achtung genannten Namen erworben und daselbst einen großen Teil seines Lebens verbracht. Außerdem gehörte er als Vorsitzender der »Altertumsforschenden Gesellschaft Schottlands« an, war eines der tätigsten Mitglieder der Royal-Institution, und lieferte der Edinburgh Review ziemlich häufig sehr beachtenswerte Beiträge. Mit einem Wort, er zählte zu jenen praktischen Gelehrten, denen England sein Emporblühen, seinen Reichtum verdankt, und er nahm auch einen hohen Rang ein in der alten Hauptstadt Schottlands, welche in materieller und geistiger Beziehung den ihr beigelegten Namen »das nordische Athen« unzweifelhaft verdient.
Bekanntlich haben die Engländer für ihre ausgedehnten Kohlendistrikte einen sehr bezeichnenden Namen erfunden. Sie nennen dieselben »Schwarz-Indien«, und sicherlich hat dieses Indien noch weit mehr als Ostindien zu dem überraschenden Reichtume Großbritanniens beigesteuert. Tag und Tag arbeitet dort ein ganzes Volk von Bergleuten daran, aus dem Untergrunde Britanniens die Kohle, die schwarzen Diamanten, zu gewinnen, jenen hochwichtigen Brennstoff, der für die Industrie zur unentbehrlichen Lebensbedingung geworden ist.
Damals lag jener Zeitpunkt, der von Sachverständigen für die Erschöpfung der Kohlenlager berechnet war, noch in ferner Zukunft, und niemand dachte an einen eintretenden Mangel, wo die Kohlenvorräte zweier Welten ihrer Ausnutzung harrten. Den Fabriken zu verschiedensten Zwecken, den Lokomotiven, Lokomobilen, Dampfschiffen, Gasanstalten usw. drohte kein Mangel an mineralischem Brennmaterial. Der Verbrauch in den letzten Jahren hatte freilich mit solchen Riesenschritten zugenommen, dass einzelne Lagerstätten bis zu ihren schwächsten Adern ausgebeutet waren. Nutzlos durchbohrten und unterminierten jetzt diese aufgelassenen Schächte und verwaisten Stollen den früher ergiebigen Boden.
Ganz so lagen die Verhältnisse bei den Gruben von Aberfoyle.
Zehn Jahre vorher hatte der letzte Hund die letzte Tonne Kohlen aus dieser Lagerstätte zu Tage gefördert. Das gesamte Material der »Teufe«,1 die Maschinen zur mechanischen Förderung auf den Geleisen der Stollen, die »Hunde« (kleine Wagen) der unterirdischen Bahnanlagen, die Förderkästen und Körbe, die Vorrichtungen zur Lufterneuerung – kurz alles, was zur bergmännischen Tätigkeit im Schoße der Erde gedient hatte, war herausgeschafft und außerhalb der Gruben aufgespeichert worden. Das erschöpfte Kohlenwerk glich dem Kadaver eines Mastodons von ungeheuerlicher Größe, dem man alle lebenswichtigen Organe entnommen und nur das Knochengerüst übriggelassen hatte.
Von jenem Material waren nur einige lange Holzleitern, welche den Zugang zur Grube durch den Yarow-Schacht vermittelten, zurückgeblieben. Durch diesen letzteren gelangte man jetzt seit Einstellung der Arbeiten ausschließlich nach den Stollen der Grube Dochart.
Äußerlich verrieten noch die Gebäude, welche ehedem zum Schutze der Tagarbeiten errichtet wurden, die Stellen der Schächte genannter Grube, welche jetzt völlig öde und ebenso verlassen war, wie die benachbarten Gruben, die zusammen die Kohlenwerke von Aberfoyle bildeten.
Es war ein trauriger Tag, als die Bergleute damals zum letzten Male die Schächte verließen, in welchen sie so viele Jahre gelebt und gearbeitet hatten.
James Starr
Der Ingenieur James Starr hatte die Tausende von Arbeitern, die tätige und mutige Bevölkerung des Kohlenwerkes, um sich versammelt. Hauer, Wagentreiber, Steiger, Zufüller, Zimmerer, Wegarbeiter, Schaffner, Sortierer, Schmiede, Schlosser, Männer, Frauen und Greise, Werkleute von unten und oben, alle traten in dem großen Hofe der Grube Dochart zusammen, den vormals die Kohlenvorräte des Werkes füllten.
Harry Ford
Die braven Leute, welche jetzt die Sorge um das tägliche Brot zerstreuen sollte – sie, welche so lange Jahre, ein Geschlecht nach dem anderen, in dem alten Aberfoyle verlebt, warteten, bevor sie den Ort verließen, nur noch auf einige Abschiedsworte ihres Ingenieurs. Die Gesellschaft hatte ihnen als Gratifikation die Erträgnisse des laufenden Jahres zukommen lassen. Im Grunde war das nicht viel, denn die Betriebskosten erreichten nahezu den Ertrag der Ausbeute, es gewährte ihnen aber doch die Möglichkeit, sich so lange fortzuhelfen, bis sie entweder an den Kohlenwerken der Nachbarschaft, bei der Landwirtschaft oder in den Werkstätten der Grafschaft eine neue Stellung fanden.
James Starr stand vor der Tür des geräumigen Schuppens, unter welchem die mächtigen Fördermaschinen so lange Zeit hindurch gearbeitet hatten.
Simon Ford, der Obersteiger der Grube Dochart, der damals fünfundfünfzig Jahre zählte, und noch mehrere andere Werkführer bildeten einen Halbkreis um ihn.
James Starr entblößte das Haupt, die Bergleute beobachteten, die Mützen in der Hand, das tiefste Schweigen.
Diese Abschiedsszene trug einen rührenden und doch gleichzeitig großartigen Charakter.
»Meine Freunde«, begann der Ingenieur, »die Stunde der Trennung hat für uns geschlagen. Die Gruben von Aberfoyle, welche uns so lange Zeit zu gemeinschaftlicher Tätigkeit vereinigten, sind erschöpft. Die sorgsamsten Nachforschungen haben nicht die kleinste neue Ader mehr ergeben, und das letzte Stückchen Steinkohle ist aus der Grube Dochart gefördert worden!«
Zur Erläuterung seiner Worte zeigte James Starr den Bergleuten ein Stück Kohle, das in einem Förderwagen zurückgelassen worden war.
»Dieses Kohlenstück, meine Freunde«, fuhr der Ingenieur fort, »gleicht dem letzten Blutkörperchen, das ehemals in den Adern von Aberfoyle zirkulierte! Wir werden dasselbe aufbewahren, ebenso wie das erste Stück Kohle, welches vor nun einhundertfünfzig Jahren aus den Lagerstätten von Aberfoyle zu Tage gebracht wurde. Zwischen diesen beiden Stücken Kohle hat sich so manche Generation von Arbeitskräften in unseren Gruben abgelöst! Jetzt ist alles zu Ende! Die letzten Worte, welche euer Ingenieur an euch richtet, sind Worte des Abschieds. Ihr habt euer Leben gefristet von der Grube, die sich unter euren Händen entleert hat. Die Arbeit war wohl hart, aber nicht ohne Vorteil auch für euch. Unsere große Familie steht im Begriff, auseinanderzugehen, und kaum ist es denkbar, dass sich die zerstreuten Mitglieder derselben jemals wieder zusammenfinden wie heute. Vergesst deshalb aber niemals, dass wir so lange Jahre miteinander gelebt haben, und dass es den Bergleuten von Aberfoyle eine Ehrenpflicht bleibt, sich gegenseitig zu unterstützen. Auch eure früheren Vorgesetzten werden sich dieser Pflicht immerfort erinnern. Die miteinander gearbeitet haben, die können einander nie ganz fremd werden. Wir werden auch ferner über euch wachen, und wohin ihr als ehrenhafte Leute euch wendet, werden euch unsere Empfehlungen begleiten. So lebt wohl, meine Freunde, Gott sei bei euch!«
Nach diesen Worten umarmte James Starr den ältesten Arbeiter der Grube, dessen Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Dann traten die Steiger der verschiedenen Gruben herzu, um dem Ingenieur noch einmal die Hand zu drücken, während die Bergleute alle die Hüte schwenkten und ihre Empfindungen in den Worten: »Adieu, James Starr, unser Chef und unser Freund!« Luft machten.
Tief grub sich dieses Lebewohl in den Herzen der wackeren Leute ein. Nur nach und nach, als folgten sie ungern dem eisernen Zwange, verließen sie den weiten Hof. Um James Starr ward es still und stiller. Der schwarze Weg nach der Grube Dochart erschallte noch einmal von den Schritten der Bergleute, dann folgte das Schweigen dem geschäftigen Leben, das früher an den Kohlenwerken von Aberfoyle geherrscht hatte.
Nur ein einziger Mann war neben James Starr zurückgeblieben.
Es war der Obersteiger Simon Ford. Neben ihm stand ein junger Mensch von fünfzehn Jahren, sein Sohn Harry, der schon seit mehreren Jahren in dem Schachte tätig gewesen war.
James Starr und Simon Ford kannten einander und achteten sich gegenseitig ebenso lange.
»Adieu, Simon«, sagte der Ingenieur.
»Adieu, Herr James«, antwortete der Obersteiger, »oder lassen Sie mich lieber sagen: Auf Wiedersehen!«
»Ja, ja, Simon«, wiederholte James Starr, »Sie wissen, dass ich stets erfreut sein werde, Sie wiederzutreffen und mit Ihnen von den alten schöneren Zeiten Aberfoyles zu plaudern.«
»Ich weiß es, Herr James.«
»Mein Haus in Edinburgh steht Ihnen allezeit offen.«
»Oh, das ist weit, Edinburgh!« erwiderte der Obersteiger kopfschüttelnd; »ja sehr weit von der Grube Dochart!«
»Weit, Simon, wo denken Sie denn zu wohnen?«
»Hier, auf dieser Stelle, Herr James; wir werden das Werk, unsere alte Ernährerin, nicht verlassen, weil dessen Hilfsquellen jetzt versiegt sind. Meine Frau, mein Sohn und ich, wir werden uns einzurichten wissen, um der Grube treu zu bleiben.«
»Leben Sie wohl, Simon«, antwortete der Ingenieur, der seiner Erregung nur schwer Meister wurde.
»Nein, ich sag’ es noch einmal, nicht leben Sie wohl, sondern auf Wiedersehen, Herr James. Auf Simon Fords Wort, wir werden uns in Aberfoyle wiederfinden!«
Der Ingenieur wollte dem Obersteiger diese letzte Hoffnung nicht rauben. Er umarmte den jungen Harry, der ihn mit großen, seine Erregung verratenden Augen ansah. Zum letzten Male drückte er Simon Ford die Hand und verließ den Hof des Kohlenwerkes.
Das hier Erzählte spielte vor nun zehn Jahren; aber trotz des vom Obersteiger geäußerten Wunsches, ihn einmal wiederzusehen, hatte James Starr niemals wieder etwas von ihm gehört.
Nach sehr langer Trennung erhielt er jetzt jenen Brief von Simon Ford, der ihn aufforderte, ohne Verzug den Weg nach den alten Kohlenwerken von Aberfoyle einzuschlagen.
Eine Mitteilung von besonderem Interesse für ihn? Was konnte diese betreffen? Die Grube Dochart, der Yarow-Schacht! Welche Erinnerungen erweckte das noch einmal in seinem Geiste! Oh, das war doch eine schöne Zeit gewesen, jene Zeit der Arbeit und des Kampfes, die schönste Zeit seines Lebens als Ingenieur!
James Starr durchflog das Schreiben immer und immer wieder. Er bedauerte, dass Simon Ford nicht eine Zeile mehr hinzugefügt habe; er zürnte ihm fast wegen dieser lakonischen Kürze.
War es denn möglich, dass der alte Obersteiger vielleicht doch noch eine neue abbauwürdige Kohlenader entdeckt hätte? Nein, gewiss nicht!
James Starr entsann sich, wie sorgfältig die ganzen Gruben von Aberfoyle untersucht worden waren, bevor man die Arbeiten definitiv einstellte. Er selbst hatte die letzten Bohrversuche geleitet, ohne eine neue Lagerstätte in dem durch die intensivste Ausbeutung entwerteten Boden zu finden. Man hatte sogar den Anfang gemacht, die Tiefe unter jenen Gesteinsschichten, welche gewöhnlich unter der Steinkohle getroffen werden, wie der rote devonische Sandstein, aufzuschließen, aber leider ohne Erfolg. James Starr hatte das Bergwerk also mit der festen Überzeugung verlassen, dass es nicht mehr ein Stückchen Brennmaterial enthalte.
»Nein«, wiederholte er sich öfters, »nein! Wie wäre anzunehmen, dass Simon Ford das aufgefunden hätte, was sich damals meinen genauesten Nachforschungen entzog? Doch muss der alte Obersteiger ja wissen, dass mich nur eine Sache interessieren könnte, und nun diese geheimzuhaltende Einladung, nach der Grube Dochart zu kommen!«
James Starr kam immer wieder hierauf zurück.
Andererseits kannte der Ingenieur Simon Ford als einen geschickten Bergmann, dem unleugbar ein gewisser Geschäftsinstinkt eigen war. Seit der Zeit, wo Aberfoyle aufgelassen worden war, hatte er ihn nicht wiedergesehen und hatte keinerlei Nachricht darüber, was aus dem alten Obersteiger geworden sei. Er hätte nicht zu sagen vermocht, womit jener sich beschäftige, oder wo er mit seiner Frau und seinem Sohne wohne. Alles was er wusste, beschränkte sich auf diese Einladung nach dem Yarow-Schachte und auf die Mitteilung, dass Harry, Simon Fords Sohn, ihn im Laufe des morgenden Tages am Bahnhofe in Callander erwarten werde. Es handelte sich hier also offenbar darum, die Grube Dochart zu besuchen.
»Ich gehe, ich gehe!« sagte James Starr, der seine Aufregung mehr und mehr zunehmen fühlte.
Der würdige Ingenieur gehörte nämlich zu jener Kategorie leidenschaftlicher Leute, deren Hirn fortwährend ebenso im Sieden ist wie ein Kessel über einer Flamme. Es gibt derlei Köpfe, in welchen die Ideen immer im heftigsten Aufwallen sind, andere, in denen sie nur langsam kochen. Heute gehörte James Starr unbestritten zu den ersteren.
Da ereignete sich plötzlich ein sehr unerwarteter Zwischenfall. Er glich dem Tropfen kalten Wassers, der für den Augenblick alle aufsteigenden Dämpfe in seinem Gehirne niederschlug.
Gegen sechs Uhr abends überreichte der Diener James Starrs diesem einen zweiten Brief.
Derselbe befand sich in einem ziemlich groben Couvert, an dessen Aufschrift man eine des Schreibens nicht besonders gewohnte Hand erkannte.
James Starr zerriss den Umschlag. Er enthielt nur ein Stück durch die Zeit vergilbtes Papier, das einem schon seit langem nicht in Gebrauch gewesenen Notizbuch entnommen schien.
Auf diesem Papier stand nur allein der folgende Satz zu lesen:
»Es ist unnötig für den Ingenieur Starr, sich zu bemühen, da der Brief Simon Fords inzwischen gegenstandslos geworden ist.«
Eine Unterschrift war nicht vorhanden.
Der Betrieb eines Schachtes zerfällt in die Arbeiten in der Teufe (Tiefe) und die Tagesarbeiten, die ersten im Innern der Grube, die letzteren außerhalb derselben. <<<
Der Gedankengang James Starrs wurde plötzlich unterbrochen, als er diesen zweiten, dem erstempfangenen widersprechenden Brief gelesen hatte.
»Was soll das heißen?« fragte er sich.
James Starr nahm den halbzerrissenen Umschlag wieder auf, der ebenso wie der andere den Poststempel von Aberfoyle zeigte, also jedenfalls aus demselben Teile der Grafschaft Stirling gekommen war. Dass der alte Bergmann ihn nicht geschrieben habe, lag auf der Hand. Dagegen kannte der Verfasser dieses zweiten Briefes das Geheimnis des Obersteigers, da er die dem Ingenieur zugegangene Einladung, nach dem Yarow-Schachte zu kommen, ausdrücklich aufhob.
Sollte es denn wahr sein, dass jene erste Mitteilung gegenstandslos geworden sei? Wollte man nur verhindern, dass James Starr sich mit oder ohne Zweck dahin bemühe? Oder lag hier vielleicht die böse Absicht zugrunde, Simon Fords Vorhaben zu durchkreuzen?
Diese Gedanken stiegen in James Starr, als er sich die Sache überlegte, auf. Der Widerspruch zwischen den beiden Briefen aber reizte ihn nur umso mehr, sich nach der Grube Dochart zu begeben. Selbst wenn die ganze Einladung nur auf eine Mystifikation hinausliefe, hielt er es für besser, sich darüber Gewissheit zu verschaffen. Dabei war er immer geneigt, dem ersten Schreiben mehr Glauben beizumessen als dem nachfolgenden – d.h. der Einladung eines Mannes wie Simon Ford mehr, als der Absagung seines namenlosen Gegners.
»Gerade da man meinen Entschluss zu beeinflussen sucht«, sagte er sich, »muss wohl die Mitteilung Simon Fords von ganz besonderem Interesse sein! Ich werde morgen zu gelegener Zeit an dem bestimmten Orte sein!«
Gegen Abend traf James Starr die nötigen Vorbereitungen zur Abreise. Da seine Abwesenheit sich leicht auf einige Tage ausdehnen konnte, benachrichtigte er Sir W. Elphiston, den Präsidenten der Royal-Institution, brieflich, dass er der nächsten Sitzung der Gesellschaft beizuwohnen verhindert sei. Er befreite sich auch von zwei oder drei anderen Geschäften, die ihn noch diese Woche in Anspruch genommen hätten. Nachdem er endlich seinem Diener Auftrag gegeben, seine Reisetasche in Ordnung zu bringen, legte er sich, von der ganzen Angelegenheit vielleicht mehr als nötig aufgeregt, zur Ruhe.
Am anderen Morgen um fünf Uhr stand James Starr schon auf, kleidete sich warm an, denn es fiel ein kalter Regen, und verließ das Haus in der Canongate, um vom Grantonpier aus das Dampfboot zu benutzen, das in drei Stunden den Forth bis nach Stirling hinauffährt.
Als James Starr die Canongate1 durchschritt, sah er sich vielleicht zum ersten Male nicht nach Holyrood, dem Palaste der früheren Regenten von Schottland, um. Er bemerkte vor dessen Toren die Wache nicht, welche davorstand in dem alten schottischen Kostüme, dem grünen kurzen Rock, karierten Schal und mit dem langhaarigen bis auf die Schenkel herabhängenden Ziegenfelle. Obwohl ein großer Verehrer von Walter Scott, wie ein jeder echte Sohn des alten Kaledoniens, würdigte er heute das Gasthaus doch keines Blickes, in welchem Waverley abstieg und woselbst ihm der Schneider das berühmte Kriegskleid brachte, das die Witwe Flock so naiv bewunderte. Er begrüßte auch den kleinen Platz nicht, auf dem die Bergschotten nach dem Siege des Prätendenten und auf die Gefahr hin, Flora Mac Tvor zu erschießen, ihre Gewehre abfeuerten. In der Mitte der Straße zeigte die Uhr des Gefängnisses ihr trauriges Zifferblatt; er sah nur danach, um sich zu überzeugen, dass er die Zeit der Abfahrt nicht versäume. Auch in Nelher-Bow richtete er den Blick nicht nach dem Hause des großen Reformators John Knox, des einzigen Mannes, den das Lächeln Maria Stuarts nicht verführte. Durch die Highstreet, die weitbekannte Straße, deren genaue Beschreibung man in dem Roman des Abbé findet, wendete er sich nach der gigantischen Brücke, der Bridgestreet, welche die drei Hügel Edinburghs miteinander verbindet.
Wenige Minuten später langte er bei dem Bahnhof des »General railway« an, und eine halbe Stunde später erreichte er mit dem Zug Newhaven, ein hübsches Fischerdorf, eine Meile von Leith, das den Hafen Edinburghs bildet. Die steigende Flut bedeckte daselbst den schwärzlichen, steinigen Strand. Die Wellen bespülten dort einen auf Pfählen errichteten und von Ketten gehaltenen Hafendamm. Zur Linken desselben lag eines der Boote, welche den Verkehr auf dem Forth, zwischen Edinburgh und Stirling vermitteln, am Grantonpier(-pfeiler) gekettet.
In diesem Augenblicke wirbelten aus dem Schornstein der »Prince de Galles« schwarze Rauchwolken auf, und zischend blies der Kessel überflüssigen Dampf ab. Bei dem Tone der Glocke, welche nur wenige Male anschlug, beeilten sich die letzten Passagiere, noch das Schiff zu erreichen. Da tummelten sich untereinander eine Menge Kaufleute, Pächter, nebst einer Anzahl Diener, welche letztere man an den kurzen Kniehosen, langen Überröcken und einem schmalen weißen Streifen rings um den Hals erkannte.
James Starr war nicht der letzte, der sich einschiffte. Er sprang leicht aufs Verdeck der »Prince de Galles«. Obwohl es heftig regnete, dachte doch keiner der Passagiere daran, im Salon des Dampfers Schutz zu suchen. Alle blieben unbeweglich und in Reisedecken und Mäntel eingehüllt sitzen; einige stärkten sich dann und wann durch einen Schluck Gin oder Whisky aus der Feldflasche, was man dort »sich inwendig anziehen« zu nennen pflegt. Ein letztes Läuten der Glocke ertönte, die Taue wurden gelöst und der »Prince de Galles« wand sich durch einige vorsichtige Bewegungen aus dem kleinen Bassin heraus, das ihn vor den Wogen des Meeres schützte.
Der »Firth of Forth« ist der Name des Golfes, der sich zwischen den Grafschaften Fife im Norden und Linlithgow, Edinburgh und Haddington im Süden ausbreitet. Er bildet den Ausfluss des Forth, eines unbedeutenden Flusses, der ähnlich der Themse oder Mersey sehr tief ist und, von den westlichen Abhängen des Ben-Lomond herabfallend, sich in das Meer von Kincardine ergießt.
Vom Granton-pier bis zum Ende des Golfes wäre nur eine geringe Strecke, wenn nicht die Notwendigkeit, wiederholt an beiden Ufern anzulegen, große Umwege veranlasste. Städte, Dörfer und einzelne Landsitze schimmern an den Ufern des Forth aus den üppigen Baumgruppen der fruchtbaren Landschaft hervor.
Antediluvianische Baumriesen
James Starr stand geschützt unter der Kapitänsbrücke, welche von dem einen Radkasten zu dem anderen führt, und gab sich offenbar gar keine Mühe, etwas von der Umgebung zu sehen, welche die schrägen Striche des Regens ohnehin halb verhüllten. Er achtete vielmehr darauf, nicht die Aufmerksamkeit irgendeines Passagiers zu erregen. Vielleicht befand sich der Urheber des zweiten Briefes jetzt mit auf dem Dampfer, obgleich der Ingenieur nirgends einen verdächtigen Blick bemerkte.
Nachdem die »Prince de Galles« Granton-pier verlassen, wendete er sich nach der engen Durchfahrt zwischen den beiden weit hervorspringenden Landspitzen von South- und North-Queensferry, jenseits welcher der Forth eine Art See bildet, den noch Schiffe von hundert Tonnen befahren können. Zwischen den Nebeln des Hintergrundes zeigten sich durch einige offene Stellen des Horizontes die schneeigen Gipfel der Grampianberge.
Bald ließ das Dampfboot das Dorf Aberdour hinter sich, ebenso wie die von den Ruinen eines Klosters aus dem 12. Jahrhundert gekrönte Insel Colm, die Überreste des Schlosses von Barnbougle, ferner Donibristle,2 wo der Schwiegersohn des Regenten Murray ermordet ward, und das befestigte Eiland Garvin. Es durchschnitt die schmale Wasserstraße bei Queensferry, ließ das Schloss von Rosyth, in dem ehemals ein Zweig der Stuarts, dem sich die Mutter Cromwells anschloss, residierte, zur Linken, passierte Blackness Castle, das gemäß einem Artikel der Verfassung stets in Verteidigungszustand ist, und berührte die Quais des kleinen Hafens Charleston, den Exportplatz für den Kalkstein aus den Brüchen des Lord Elgin. Endlich signalisierte die Glocke der »Prince de Galles« die Station Crombie-point.
Das Wetter war sehr schlecht. Der von einem heftigen Wind gepeitschte Regen zerstäubte sich zu nassen Wolken, welche trombenähnlich vorüberflogen.
James Starr ward etwas unruhig. Würde der Sohn Simon Fords wie versprochen zur Stelle sein? Er wusste aus Erfahrung, dass die an die gleichmäßige Ruhe der tiefen Kohlengruben gewöhnten Bergleute sich weniger gern der Unbill der Atmosphäre aussetzen als die Tagarbeiter und die Landleute. Von Callander bis zur Grube Dochart und dem Yarow-Schacht rechnete man eine Entfernung von reichlich vier Meilen. Möglicherweise hatte sich der Sohn des alten Obersteigers doch abhalten lassen oder durch die üble Witterung verspätet. Dazu kam noch der Gedanke, dass der zweite Brief ja überhaupt die erste Einladung aufhob, ein Umstand, der seine Sorge nur noch vermehren musste.
Immerhin hielt er an dem Entschlusse fest, für den Fall, dass Harry Simon bei Ankunft des Zuges in Callander nicht da sein sollte, sich allein nach der Grube Dochart, und wenn es nötig erschien, selbst bis Aberfoyle zu begeben. Dort durfte er hoffen, Nachrichten von Simon Ford zu erhalten, und auch zu erfahren, wo der alte Obersteiger jetzt wohl hauste.
Inzwischen wühlte die »Prince de Galles« fortwährend große Wellen unter dem Schlage ihrer Schaufeln auf. Jetzt sah man von beiden Ufern gar nichts mehr, weder das Dorf Crombie, noch Torrybourn oder Torryhouse, weder Newmills noch Carridenhouse, ebenso wie Kirkyrange und Salt-Pans, der unbedeutende Hafen von Bowneß und der von Grangemouth, welcher an der Mündung des Kanals von Clyde liegt, in dem feuchten Nebel verschwanden. Ganz ebenso blieben Cubroß, die alte Burg und die Ruinen seiner Abtei, Citeaux, Kincardine mit seinen Werften, woselbst der Steamer anlief, Ayrth-castle samt seinem viereckigen Turme aus dem 13. Jahrhundert, Clarkmann nebst seinem für Robert Bouee gebauten Schlosse, wegen des fortdauernden Regens so gut wie unsichtbar.
Die »Prince de Galles« hielt am Hafendamme von Alloa an, um einige Passagiere abzusetzen. James Starr empfand einen Druck im Herzen, als er nach zehn Jahren wieder an dieser kleinen Stadt vorbeikam, die als Mittelpunkt eines wichtigen Kohlenwerkbetriebes noch heute eine zahlreiche Arbeiterschar ernährte. Seine Fantasie führte ihn hinab unter die Erde, wo die Spitzhaue der Bergleute noch immer mit bestem Erfolge den Bodenschätzen nachging. Diese Minen von Alloa, die nächsten Nachbarn derer von Aberfoyle, bereicherten noch immer die Grafschaft, während die angrenzenden, schon seit so vielen Jahren erschöpften Werke keinen einzigen Arbeiter zählten.
Als der Dampfer Alloa verließ, musste er sich mühsam durch die vielen Bogen winden, welche der Forth in seinem Verlaufe von neunzehn Meilen macht. Für einen Augenblick erschienen durch eine Lichtung die Ruinen der Abtei von Cambuskenneth, welche auf das 12. Jahrhundert zurückreichen. Dann kam man nach dem Schlosse von Stirling und der königlichen Burg dieses Namens; von wo aus der von zwei Brücken überspannte Forth für bemastete Schiffe nicht weiter fahrbar ist.
Kaum hatte die »Prince de Galles« angelegt, als der Ingenieur leichten Fußes auf den Quai hinübersprang. Fünf Minuten später erreichte er den Bahnhof von Stirling, und eine Stunde darauf verließ er den Zug in Callander, einem großen Dorf auf dem linken Ufer des Leith.
Dort vor dem Bahnhofe wartete ein junger Mann, der sogleich auf den Ingenieur zukam.
Es war Harry, der Sohn Simon Fords.
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Für das Verständnis des Folgenden empfiehlt es sich, die Geschichte der Steinkohlenformation hier auszugsweise darzulegen.