Schwarze Schatten am bunten Horizont - Julia Ney - E-Book

Schwarze Schatten am bunten Horizont E-Book

Julia Ney

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Beschreibung

Trotz einer unaufhaltsam fortschreitenden neurologischen Krankheit mit zunehmender Behinderung nimmt die Autorin den Kampf auf, schreibt ohne Wehleidigkeit von ihrem Schmerz, ihren Hoffnungen und Sehnsüchten. Man muss den Lebensmut, zu dem sie immer wieder zurückfindet und der in diesen Geschichten und Gedichten aufscheint, ebenso bewundern wie die sprachliche Sicherheit der Darstellung. Die Gedichte funkeln in Julia Neys Gesamtwerk mit besonderen Glanz. Sie sind filigran und transparent, manche Verse geradezu hellsichtig. Ihre Geschichten sind frisch und lebendig und werden nicht ohne Humor erzählt. Einige haben gleichnishaften Charakter, und manchmal lässt die Autorin sie in einer Märchenwelt spielen.

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Inhalt

Persönliche Vorbemerkung von Prof. Thomas Henke

Pseudonym

Aufwärts nach Volterra

Taktfest

Manchmal am Ende

Algorithmus

Festung

Morgen eine Ewigkeit

Ohne dich

Farben

Schätzchen

Naturgewalt

Schmarotze

Verlust der Wirklichkeit

Einfach nur so

Entschlossenheit

Karlsson vom Dach

Gleichmut

Seifenblasen

Labradoodle

Du

Zerrissenheit

Das tausendste Gesicht

Krankenhauszimmer

Tag X

Gedankenverloren

Verlust der Wirklichkeit

Hochmut kommt vor dem Fall

Luftschloss

Sandkastenliebe

Neujahr in Langendamm, Besuch an der Ostsee

Morgen eine Ewigkeit

Notaufnahme

Eine Ahnung im Winter

Einfach nur so

Tinitus oder Das lächelnde Insekt

Gänseblümchen

Das Wörtchen wenn

Über die Autorin

Persönliche Vorbemerkung

Julia Ney, die sich selbst den Künstlernamen Jule Blofeld gab, hat zwischen 1987 und 2016 zahlreiche Gedichte, Kurzgeschichten, Essays und Romane geschrieben. Veröffentlicht wurden 2007 ihre wissenschaftliche Abhandlung Die keine Rolle spielen - Menschen mit Behinderungen im Film sowie 2015 der Roman Morgen eine Ewigkeit. Zu ihrem Roman hatte ich damals diese Zeilen geschrieben:

»Ein unfassbar mutiges und wichtiges Buch. Eine Erzählerin, der es gelingt, die Bilder für ein Leben mit und ohne Behinderung aus den tiefsten Dimensionen der Wirklichkeit zu schöpfen. Ein Buch über die Liebe, das Sterben, den Schmerz, die Sehnsucht und den Abschied. Bei Jule Blofeld werden die Wörter zu Zeugen eines unsagbaren Lebensmutes.«

Fast zehn Jahre später sind mir Julias Mut, ihre Suche nach Wahrhaftigkeit und ihre unfassbare Tapferkeit noch präsenter, ihre Texte wirken noch eindringlicher. Wenn ich mich daran erinnere, dass sie im späten Stadium ihrer Erkrankung ihre hochkomplexen, virtuosen Texte ganz und gar »im Kopf geschrieben« hat (ohne die Hilfe des Mediums in einem Prozess von Schreiben, Streichen, Neu-Schreiben), um sie dann mühevoll ihren Assistentinnen zu diktieren, frage ich mich jedes Mal, wie das überhaupt möglich war? Wahrscheinlich, so meine Vermutung, kann das nur ein Mensch, dessen eigentliche Zuflucht das Schreiben geworden ist, dessen Worte, Sätze und Gedanken unmittelbar bei ihm wohnen, ein so besonderer Mensch wie Julia.

Ich freue mich sehr, dass nun auch ihre bisher unveröffentlichten Gedichte und Kurzgeschichten ihren Weg in die Öffentlichkeit finden.

Ihre Gedichte, so ist meine persönliche Empfindung, funkeln in Julia Neys strahlendem Gesamtwerk mit einem ganz besonderen Glanz, so filigran, transparent und zerbrechlich wie ein Bienenflügel, manche Zeilen geradezu hellsichtig in sprachlicher Vollkommenheit.

Manchmal, mitten im Alltag, nicht zuletzt in schwereren Stunden, denke ich plötzlich an Julia, richte ein paar Worte an sie - nur in meinem Kopf - und denke, was für ein Glück ich doch habe, dass ich Julia kennenlerne durfte - und was für ein Glück diejenigen haben, die Julias Texte jetzt lesen werden.

Thomas Henke im Juli 2024

Pseudonym

Sich hinter einem falschen Namen klein machen. Eine neue, körpertrunkene Identität aufbauen. Mit einer erfundenen Vergangenheit. Welche Freiheit, welcher ungeahnte Schatz – zum Todlachen. Und ganz viele verrückte Sachen machen.

Mein Pseudonym ist mal ganz leise und anonym, mal aber auch ein ungestümes Ungetüm.

Es filtert und es selektiert, so spaltet es Gedanken ab, die mein namenloses Ich konsumiert.

Mein Pseudonym ist quasi ein getarntes Verdauungsenzym und sollte in Apotheken verkauft werden.

Ich liebe mein Pseudonym. Es ist mir eine Maske, ein Kostüm.

Nicht nur zu Carnival bin ich verborgen, ich brauch mich auch nicht mehr um meinen Ruf zu sorgen.

Scheißegal. Deshalb denke ich mir jetzt ein Pseudonym aus, unter dem ich jeden Blödsinn veröffentlichen werde.

Es ist ja mein Pseudonym.

13.12.1999

Aufwärts nach Volterra

Gerade geht die Sonne unter. Sie ist in ein Wolkenloch gefallen. Ihre Strahlen aber wird niemand schlucken, sie scheinen hell und majestätisch aus ihrem Gefängnis. Im Kontrast zu den ungewöhnlich weißen Wolken wirken sie wie gelbe Schwerter, die den plastisch scheinenden Himmel durchschneiden. Der ganze Horizont verbreitet eine mystische und übernatürliche Atmosphäre, so als ob gleich muskulöse Götter den Wolkenvorhang beiseite reißen, sich Schwerter ergreifen und gegeneinander kämpfen!

Der Bus windet sich die kurvige Straße hinauf. Wenn das Schauspiel meine Fensterseite passiert, um dann nach der nächsten Kurve auf der anderen Seite vorbeizuziehen, habe ich das Gefühl, die Sonne verfolgt mich, will mir ihre Kraft, ihre Unbesiegbarket demonstrieren.

Ich verspüre ein ungeahntes Verlangen, mich in das Loch zu kugeln

versinken – erglühen – überglüht werden – verglühen.

Unter den steinernen Augen von Tina, Uni und Menrua tauche ich wieder auf, um gleich darauf in der Vorstellung wegzusinken, von einer heroischen Schlacht heimzureiten, um an einem etruskischen Bankett um die Ecke teilzunehmen – stattdessen zwängt sich unser 4-Sterne-Luxus-Reisebus mit lahmen, müden Historikern und durchgeknallten, grölenden Künstlern durch das steinerne Zeugnis eines versunkenen Volkes.

20.06.1996

Taktfest

eine Melodik der Lebenslust

ersinnen.

dem Rhythmus der Höhen und Tiefen

nachspüren

und sich im Gleichklang

bewegen.

die Einförmigkeit des Alltags

mit wippender Heiterkeit

und unbeugsamem Frohsinn

jauchzend durchbrechen,

deiner verletzenden Nähe

lachend entkommen.

sodann werden

dumpfe Angst und kalter Pessimismus

übertönt von

wogendem Wohlklang

ausgeglichenen Taktes.

tanzend

tosend

tröstlich vergessend

wiegendes und warmes Fallenlassen

in eine taktfeste

Melodie des Behagens.

März 2005

Manchmal am Ende

Zersplittert in Ignoranz und Stolz

zu Mut gezwungen

ja nichts zugeben.

Unausdrückliche Angst

überwältigt mich

manchmal.

meinen Mut

meinen Stolz.

Mut, der mir verbietet, zu denken, ich bin am Ende.

Stolz, der mir verbietet, zu sagen, ich bin am Ende.

Gehetzt zwischen Langeweile und Lebenslust

fiebre ich der Zeit entgegen

neugierig und arrogant.

Nichts wahrnehmen, was dich ernährt.

Das Wechselspiel stumm ertragend.

So tun,

als ob

ich

mitspiele.

13.12.1995

Algorithmus

Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems oder einer Klasse von Problemen. Algorithmen bestehen aus endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten. Somit können sie zur Ausführung in einem Computerprogramm implementiert, aber auch in menschlicher Sprache formuliert werden. Bei der Problemlösung wird eine bestimmte Eingabe in eine bestimmte Ausgabe überführt (Wikipedia).

Die Klasse meiner Probleme ist vordefiniert und somit unauflöslich bestimmt. Ich bin gespannt, wie sich die Ausgabe herauskristallisiert. Mein algorithmisches Ich ist abhängig von der Klasse seiner Probleme und somit ein undefinierter Raum in der Ein- und Ausgabe. Die Eingabe wird überlagert von

Ende

Festung

Voll Hohn

schaue ich zu,

wie ihr vor meinen Mauern steht

versucht,

eine Lücke zu finden

mich zu treffen

vergeblich.

Voll Genugtuung

schaue ich zu,

wie ihr Halt sucht

mich zu erklimmen

vergeblich.

Voll Zorn

schaue ich auf euch hinab

ihr seid so unterlegen

so klein und

manchmal

so verletzend,

wenn ihr trefft.

Aber jetzt

zielt ihr vergeblich

auf meine Festung.

Tropfen fallen und

zerstören

die Sandburg.

15.06.1996

Morgen eine Ewigkeit

Die Ewigkeit ist ein Bruchteil unendlicher Augenblicke.

Augenblicke voller Glück und Liebe geben sich ein Wechselspiel

mit Augenblicken voller Leid und Schmerz.

Keine Träne bleibt ewig warm.

Tränen des Triumphes, der Freude und auch der Entbehrung

rinnen durch die Ewigkeit

und bilden zusammen

den Strom der Empfindungen.

Rinnsale

schmücken so die Ewigkeit.

Morgen.

September 2008

Ohne dich

Unendliche Leere

unterbrochen von Wut

und Angst

und Trauer

und Zorn.

Was musste ich tun,

dass du mich so behandelst

respektlos

achtlos

lieblos.

Bin ich für dein Leben

verantwortlich,

muss ich dich

ernähren und gleichzeitig

ertragen?

Wo bin ich?

Wo hast du mich hingebracht?

Diesen Weg wollte ich nie gehen,

aber ohne dich komme ich

weder vor

noch zurück.

Zerrissen

zwischen zärtlichem Zorn

und

wütender Liebe

möchte ich

gehen und alles

hinter mir lassen.

Eintauchen in

Stille, Wärme, Leichtigkeit, Schwärze.

Da will ich hin.

Ohne dich.

27.10.1998

Farben

Manchmal banne ich

schimmernde Lebensfreude auf Leinwand.

Dann vibrieren Farben wie Stimmungen

und gleichen einem gedachten blühenden

Meer. Zerfließende gelbe, rote und grüne

Farbkleckse fügen sich zu meinem Horizont

zusammen,

der sich in der Wirklichkeit verläuft.

Manchmal ziehen sich durch

diese bunten Horizonte

vereinzelte schwarze

Spuren, diese bilden

jedoch ein gemeinsames

Gefüge,

denn ohne sie würden meine

Farben nicht so intensiv

leuchten.

April 2010