Schweineheimat - Heike Sellhorn - E-Book

Schweineheimat E-Book

Heike Sellhorn

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Beschreibung

Hannes Delft, Kommissar in Tangstedt, wagt mit seiner Frau Marlies den Neubeginn ihrer Ehe und hat damit alle Hände voll zu tun. Auf dem Lindenhof im Nachbardorf Wilstedt taucht plötzlich ein Fremder auf. Und dann wird der verhasste Altbauer des Hofes, Heinrich Pörksen, ermordet in seinem Schweinestall gefunden. Wohl gehütete Geheimnisse kommen ans Licht und kaum etwas ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Ein neuer Fall für Hannes Delft.

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SCHWEINEHEIMAT

Hannes Delft, Kommissar in Tangstedt, wagt mit seiner Frau Marlies den Neubeginn ihrer Ehe und hat damit alle Hände voll zu tun.

Auf dem Lindenhof im Nachbardorf Wilstedt taucht plötzlich ein Fremder auf.

Und dann wird der verhasste Altbauer des Hofes, Heinrich Pörksen, ermordet in seinem Schweinestall gefunden.

Wohl gehütete Geheimnisse kommen ans Licht, und kaum etwas ist so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Ein neuer Fall für Hannes Delft.

DIE AUTORIN

Heike Sellhorn, Jahrgang 1962, wuchs in Tangstedt auf.

Seit ihrem achten Lebensjahr ist sie schriftstellerisch aktiv und hat Gedichte, Kinderbücher, Kurzgeschichten, Autobiographisches und Fantasy verfasst.

Sie lebt, schreibt und arbeitet als Kinderkrankenschwester in Hamburg.

Nach „Schwestern des Schweigens“, erschienen 2019 bei BoD, ist „Schweineheimat“ nun der zweite Fall, in dem Kommissar Hannes Delft ermitteln muss.

Diese Geschichte ist fiktiv.

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind ungewollt und rein zufällig.

IN MEMORIAM CARMEN FRIEDRICH 1958 - 2023

Nun hast du mir den ersten Schmerz getan, der aber traf.

Du schläfst, du harter, unbarmherz`ger Mann den Todesschlaf.

Adelbert von Chamisso

Inhaltsverzeichnis

Bendigo, Australien, Oktober 2014

11 Monate zuvor

Wilstedt, 10. September 2015

Bendigo, Australien, Oktober 2014

11 Monate zuvor

Wilstedt, 10. September 2015

Bendigo, Australien, Mai 2015

4 Monate zuvor

Wilstedt, 10. September 2015

Bendigo, Australien August 2015

1 Monat zuvor

Wilstedt, 10. September 2015

Australien, August 2015

1 Monat zuvor

Wilstedt, 10. September 2015

Hamburg, 3. September 2015

6 Tage zuvor

Wilstedt, 10. September 2015

Hamburg, 4. September 2015

5 Tage zuvor

Kiel, 11. September 2015

Hamburg, 5. September 2015

4 Tage zuvor

Wilstedt, 11. September 2015

Hamburg, 6. September 2015

3 Tage zuvor

Wilstedt 11. September 2015

Wilstedt, 6. September 2015

3 Tage zuvor

Wilstedt, 11. September 2015

Wilstedt, 8. September 2015

1 Tag zuvor

Wilstedt, 11. September 2015

Wilstedt, 8. September 2015

1 Tag zuvor

Wilstedt, 11. September 2015

Wilstedt, 9. September 2015

Der Tag

Wilstedt, 12. September 2015

Wilstedt, 9. September 2015

Der Tag

Wilstedt, 12. September 2015

Wilstedt, 9. September 2015

Der Tag

Wilstedt, 12. September 2015

Wilstedt, 9. September 2015

Der Tag

Wilstedt, 12. September 2015

Wilstedt, 9. September 2015

Der Tag

Wilstedt, 12. September 2015

Wilstedt, 9. September 2015

Der Tag

Wilstedt, 12. September 2015

Wilstedt, 13. September 2015

Wilstedt, 13. September 2015

Wilstedt, 13. September 2015

Wilstedt, 9. September 2015

Nachmittags

Wilstedt, 13. September 2015

Wilstedt, zwei Monate später

Bendigo, Australien

Sechs Monate später

Bendigo, Australien, Oktober 2014

11 Monate zuvor

Seit vielen Jahren lebe ich im Bundesstaat Victoria, im Süden Australiens, nahe Melbourne.

Hier in Bendigo, einem verschlafenen Örtchen, blühen rings um mich her mächtige exotische Blumen in prächtigen Farben. Dieser Ort war einst das Zentrum des Goldrausches, bevölkert von Chinesen, Engländern, Abenteurern und Habenichtsen aus aller Welt auf der Jagd nach dem verheißungsvollen Metall. Magisch angezogen von der Aussicht, mit ein wenig Glück kiloschwere Goldnuggets zu schürfen, und im Handumdrehen unermesslich reich zu werden. Nur wenigen ist das gelungen.

Inzwischen ist Bendigo ein geruhsames Fleckchen Erde. Manche Gebäude erinnern noch an die glorreiche Zeit, Touristen strömen in das örtliche Museum, werden 86 Meter tief in eine Mine hinabgelassen, um die Reste der ehemals größten Goldader zu bestaunen. Atmen die Gier, das Abenteuer, die Hoffnung ein und schauen sich verlegen um, ob nicht doch noch irgendwo etwas in der rauen Felswand funkelt und glitzert.

Statt Gold findet man in dieser Gegend blühende Vegetation. Üppige Stauden, mannshohe Farne, Blüten im Farbenrausch.

Ich lebe abseits des Ortskernes. Dort haben vielleicht einst nachkommende Siedler ihr Pferd angepflockt, ein Lagerfeuer entfacht und ebenso auf ein glücklicheres Leben gehofft. Außer der überschwänglichen Natur mit ihren Bewohnern und viel Ruhe gibt es hier nicht viel. Und das reicht mir, ich liebe es so, wie es ist.

Ich genieße die Schönheit dieses Kontinents.

Der leuchtend rote Fuchsschwanz, eine der imposantesten Gewächse hier, strahlt in der grellen Sonne und sein Blattgrün krallt sich an die Holzwände meines kleinen Hauses, rankt die Verandasäulen hinauf und bedeckt alles mit Leben. Die drei breiten Holzstufen, die von der Veranda in meinen Garten hinabführen, werden von zwei Tonkübeln mit mannshohen Aloe-vera Stauden flankiert. Sie werfen Schatten auf das saftige Gras. In wenigen Wochen wird der kochendheiße australische Sommer das Gras ausbleichen und zu stacheligen Halmen vertrocknen lassen.

Hier auf meiner Veranda stehe ich gerne, oft schon lange vor Tagesanbruch, denn ich schlafe schlecht in letzter Zeit. Ich öffne beide Flügel der Verandatür weit. Blütenduftende Morgenluft weht mir sanft entgegen und ich atme tief ein. Meine nackten Füße berühren taufeuchtes Gras. Die Erde darunter ist in der Nacht kaum abgekühlt. Bevor ich hinaustrete, koche ich mir den ersten Tee des Tages. Earl Grey. Der heiße Tee dampft aromatisch, ich umfange die bauchige Tasse mit beiden Händen und hebe sie an meine Lippen. Puste und nehme einen Schluck. Mein Ritual.

So unausgeschlafen ich auch bin, müde Glieder, die man mit neunundvierzig Jahren schon mal haben darf, so wach ist mein Kopf, sind meine Gedanken, meine Sinne.

In einem der üppigen Eukalyptusbäume, die mein Grundstück vor der Außenwelt abschirmen, gackert der Kookaburra, der lachende Hans, ein gedrungener, braun-grauer Eisvogel, den es nur hier in Australien gibt. Dieser hier begrüßt mich seit einigen Monaten in berührender Treue jeden Morgen, sobald ich auf die Veranda trete.

Ich habe ihn Hans getauft. Schon längst erschrickt er sich nicht mehr, wenn ich im Pyjama mit verstrubbelten Haaren auftauche, doch er zeigt sich auch nicht. Verborgen unter den matten Blättern des Eukalyptus lässt er nur sein unverwechselbares Schnarren und Gackern hören. Wahrscheinlich erfreut es ihn, mich so zum Narren halten zu können.

„Guten Morgen, Hans!“, rufe ich ihm trotzdem zu. Er schweigt, wahrscheinlich kann er kein Deutsch?

Er bleibt fern, unsichtbar hinter den Blättern verborgen, rührt sich nicht. Dennoch spüre ich ihn wachsam seine Umgebung beäugen. Wir sind uns in manchen Dingen sehr ähnlich.

Mit dem letzten Schluck Tee rinnt meine bedrückte Stimmung die Kehle hinab und ich wünschte, mein Magen könnte sie einfach verdauen, zersetzen, zu etwas verarbeiten, das ich am Ende ebenso einfach ausscheiden kann wie den Tee. Der schlechte Schlaf macht mich sentimental, angreifbar, wehrlos gegen deprimierende Gedanken.

Alles Wesentliche in meinem Leben scheint fern, unsichtbar, stumm und unerreichbar für mich.

Auch nach zweiunddreißig Jahren auf diesem wunderschönen Kontinent packt mich regelmäßig schmerzliche Sehnsucht nach meiner Heimat. So wie in diesem Augenblick. Manchmal staune ich, wie lange es schon her ist, seit ich mich in Bendigo niedergelassen habe. Ich habe nichts von damals vergessen; Geräusche, Gerüche, Menschen, das Dorf, Bilder, ganze Szenen. Alles ist verankert, verwurzelt, archiviert in meiner Seele. So jedenfalls fühlt es sich an. Und dann ist mir, als wäre es gestern erst gewesen, mein damaliges Leben. Nur eine Nacht entfernt. Wie ein Ausflug, von dem man glücklich aber müde zurückkehrt.

Alles Schöne hier, mein Haus mit dem Garten, die monatelang scheinende Sonne, das strahlend blaue Meer und das unkomplizierte australische Leben im Freien, der beinahe immerwährende Sommer; all diese Dinge sind kein Ersatz für das, was in mir als verlorene Heimat verankert ist.

Am schmerzlichsten vermisse ich den Duft der Dahlien im Garten meiner Mutter. Immerzu musste ich als kleiner Junge schon meine Stupsnase in die zumeist roten Blüten versenken, um zu schnuppern. Nichts war schöner als dieser unverwechselbare erdige, balsamische Duft, der diesen Blumen entströmte. Er löste in mir ein Feuerwerk an guten Gefühlen aus. Lebensfreude, Zuhause, Freude, Abenteuerlust. Sogar noch als Teenager habe ich es so gehalten. Der Duft von Dahlien hatte auf mich die Wirkung einer berauschenden, starkmachenden Droge.

Ich reiße mich von diesen Gedanken los. Es wartet ein langer Arbeitstag in der Anwaltskanzlei auf mich. Bevor ich zurück ins Haus gehe, lege ich wie üblich meinem Hans eine Handvoll morgendliche Nüsse und Beeren in die Schale unter dem Eukalyptus. Er schweigt.

Außerdem habe ich anschließend noch einen Termin bei Dr. Johns. Weil ich eben schlecht schlafe.

Weil ich vor einigen Tagen plötzlich nicht mehr wusste, wo ich mein Auto geparkt hatte. Leer gähnte das Carport vor meinen Augen, als ich, die Aktentasche in der Hand, zur Arbeit aufbrechen wollte. Wie jeden Tag. Zuerst dachte ich an Diebstahl. Doch wer sollte hier etwas stehlen wollen? Mein kleiner Toyota war weiß Gott nicht mehr viel wert mit seinen neun Jahren. Hier gibt es doch nichts außer mir…und Hans.

Ich bin inzwischen der einzige Bewohner in der

„Flowerlane“. Das winzige Holzhaus nebenan zerfällt. George und Alice, meine amerikanischen Nachbarn, sind seit drei Jahren tot. Sie hatten keine Kinder. Hier gibt es weit und breit nichts zu holen. Niemand möchte hier leben.

Und schließlich entdeckte ich meinen silbernen Toyota. Mitten auf der Straße stand er ganz am Ende der Flowerlane, als hätte ihn ein Betrunkener einfach stehen lassen, um sich am Straßenrand zu übergeben und dann einfach geradeaus heimwärts zu torkeln.

Die Fahrertür stand sperrangelweit offen, der Schlüssel steckte noch im Zündschloss, ich hatte ihn noch nicht einmal vermisst.

Wilstedt, 10. September 2015

Ein harter, ohrenbetäubender Knall riss Kommissar Hannes Delft aus dem Tiefschlaf.

Augenblicklich schreckte er hoch, ewig in Alarmbereitschaft, und wusste im ersten Moment dennoch nicht, wo er war.

Hatte er geträumt? Oder befand er sich schon mitten in einem neuen Fall, in dem geschossen wurde?

Irritiert und vollkommen verschlafen setzte er sich auf, rieb seine brennenden Augen, die sich partout nicht öffnen wollten und schwang missmutig knurrend die Beine aus dem Bett. Blieb benommen sitzen. Fluchte leise.

Sein Blick fiel auf den orangefarbenen 70er Jahre Kugelwecker auf dem Nachtschrank, dessen schwarze Zeiger auf 8:20 zeigten. Was?!

Schlagartig von Stresshormonen geflutet, sprang Kommissar Delft auf, wusste nicht, was und wohin zuerst und ließ ein lautes „Sch …“ hören.

Verschlafen, er hatte verschlafen! Sein Gehirn wummerte, er stürzte förmlich zum Fenster, zog die Vorhänge beiseite. Eine Herbstsonne blendete ihn. Kein Zweifel, der Tag war im vollen Gang … und der Knall?

Seine Sinne waren jetzt hellwach und registrierten die dicke Kastanie auf dem Blechdach der Garage. Kein Schuss also! Immerhin. „Entwarnung!“ verkündete sein Polizistengehirn zuerst, doch …

Seit zwanzig Minuten hätte er bereits im Dienst sein müssen. Im Büro der Tangstedter Polizeiwache, direkt neben dem Park der Kirche. Kommissar Hannes Delft hatte noch niemals verschlafen. Ein

wahrer Albtraum für ihn, den stets korrekten, dienstbeflissenen Perfektionisten. Was würde er sich anhören müssen von seinem Kollegen Cornelius Fuchs? Der hatte sicherlich schon seine erste Rennradstrecke von zwanzig Kilometern hinter sich gebracht und saß frischgeduscht vor dem PC, wie immer bestens gelaunt. Und schon gesunde zwei Liter Mineralwasser im Körper.

Aber nein!

Allmählich kehrten seine Lebensgeister zurück.

Kommissar Delft stöhnte. Nein, fiel es ihm ein! Es war doch heute ganz anders! Fuchs hatte ihm, seinem Chef, doch „erlaubt“, heute später zum Dienst zu erscheinen. Kollegenbonus. Schließlich hatten er und Marlies gestern gefeiert. Einjähriges!

Genau vor einem Jahr hatten Kommissar Delft und seine Frau Marlies wieder zueinander gefunden, nachdem sie endlose dreizehn Monate getrennt gelebt hatten. Doch der damalige Fall, an dem er gearbeitet hatte, hatte ihm die Augen geöffnet. Eine harte Lektion war das gewesen für ihn, den kompetenten Kommissar, der im alltäglichen Leben, in Beziehungsdingen, ein `unsicherer Jammerlappen` war. So bezeichnete er sich im Stillen selbst. Schließlich hatte er allen Mut zusammengenommen, seine Gefühle auf eine Postkarte gekritzelt, und diese an seine Frau geschickt.

Ja, mutig! Kein Wunder, dachte Delft noch immer, fast zwei Liter vom besten Rotwein hatten ihn angefeuert, diese fünf Sätze auf die Karte zu schreiben und sie tatsächlich in den Amrumer Briefkasten zu schmeißen. Nur so war es ihm gelungen, beschämend!

Marlies hingegen hatte diese Karte als „sein bestes Werk“ bezeichnet, einen wunderschönen altmodischen Goldrahmen gekauft und sie in ihr wieder gemeinsames Schlafzimmer neben ihr Bett gehängt. Jeden Tag nach dem Aufstehen warf seine Frau zuerst ihm und dann dem Bild der Amrumer Küste einen Luftkuss zu.

Seit einem Jahr lebten er und Marlies wieder in ihrem Haus, das für Hannes Delft der Inbegriff von Heimat und Oase war. Frisch verheiratet hatten sie sich dieses Kleinod in Waldnähe gekauft. Hier war ihr Sohn Jonas aufgewachsen. Alles Bedeutende in seinem Leben hatte unter diesem Dach stattgefunden.

Glücklicher, als er zugeben mochte, war er vor einem Jahr hierher zurückgekehrt. Hatte seine Singlewohnung im Tangstedter Ortskern in Windeseile verlassen, in der er so unglücklich und einsam gewesen war.

Nun war er zurück. Angetreten, seine Ehe zu retten, besser zu machen, selbst besser zu werden. Offener, mutiger, ehrlicher mit sich selbst vor allem.

Noch immer plagten ihn Ängste, ob er dieser Herausforderung gewachsen war. Oder womöglich wieder dieselben Fehler begehen würde? Schließlich hatte er mit seinen Macken das „Ende“ ihrer Ehe ausgelöst: nicht enden wollende Dienste sowohl in Hamburg, seiner früheren Dienststelle als auch hier auf der Tangstedter Polizeiwache. Geplatzte Konzertbesuche und Ausflüge, ja ganze Urlaube fielen seiner Arbeitswut zum Opfer. Es folgten immer wortkargere Mahlzeiten, Abende, Wochenenden, bis Marlies am Ende die Tür öffnete, weil sie so nicht leben wollte. „Mit einem autistischen Workaholic“, so lauteten ihre Worte und ihn in die Einsamkeit entließ.

In Selbstmitleid badend war er in diese kleine Wohnung gezogen, hatte sich im Dorfkrug bei Margitta eine Frikadellenwampe angefuttert und seine Wunden geleckt.

„Liebe ist ganz einfach!“ hatte sein 17jähriger Sohn Jonas ihm damals den Kopf gewaschen. Für ihn, den alten Zausel in Gefühlsdingen, der immer mit allem haderte, nichts falschmachen wollte und doch am Ende schlicht zu ängstlich und feige war, um sich zu zeigen, wie er war, galt das nicht. Er erstarrte im Schreck, wenn sich Auseinandersetzungen ankündigten, und gleichzeitig wuchs sein Argwohn, sobald sich eine schweigende Harmonie einstellte. Wenn es einfach mal leicht und schön war.

Freu dich bloß nicht zu früh, hatte man ihm als Kind oft eingetrichtert. Und genau das befolgte er unbewusst auch jetzt noch. Es dauerte immer eine ganze Weile, bis er sich von Herzen freuen konnte. Er war einer, der sich mit grollendem Ärger sicherer fühlte und besser klarkam als mit purer Lebensfreude und Entspannung.

Doch nun waren sie wieder „Marlies und Hannes“ in ihrem Haus ´Am Seebarg 84´.

Er war glücklich und zufrieden.

Und deshalb rumorte in ihm eine Stimme. Seine innere Stimme. Sie hob den Zeigefinger, mahnte ihn vor allzu selbstzufriedener Passivität und Schönfärberei. Allein aus diesem Grund hatte Hannes Delft seine kleine Wohnung im Koppelweg nicht gekündigt: als das Türchen, das er sich offenhielt, um notfalls den Rückzug antreten zu können. Falls er ein zweites Mal als Ehemann versagen sollte. Getarnt als glückliche Gelegenheit, seinem Sohn mit seiner Freundin Antonia das Zusammenziehen zu ermöglichen. Beide fühlten sich mit ihren achtzehn Jahren bereit, sich dem Leben mit all seinen Herausforderungen zu stellen. Und wie günstig, dass gerade jetzt diese Wohnung zur Verfügung stand.

Für ihn, den pessimistischen Vater mit all seiner Angst, schien es viel zu früh für diesen Schritt. So jung und mit einer so unglaublichen Portion Selbstvertrauen und Neugier in die eigene Verantwortung zu starten, erfüllte ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Zweifel. Ein Haufen absurder Vorstellungen, wie es scheitern könnte, tobte in seinem Kopf. Niemals hätte er selbst sich das mit achtzehn Jahren getraut. Allerdings gab es damals auch noch keine Beziehung in seinem Leben. Die kam erst viel später mit Marlies, und sie war seine erste und bislang einzige Liebe. In besonders sentimentalen Momenten schämte er sich beinahe dafür, so unerfahren zu sein.

Kommissar Delft war bewusst, schon diese Gedanken sollte er mit Marlies teilen! Seine Gedanken, seine Bedenken und sein Unvermögen, entspannt und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Nein, das gelang ihm noch immer viel zu selten.

Im Gegenzug erspürte Marlies jedoch stets den richtigen Moment, ihn aus der Reserve zu locken und mit sanfter Beharrlichkeit darauf zu bestehen, sich ihr mitzuteilen. Ohne zu drängen und letztendlich öffnete ihn genau das.

Was waren sie doch für ein perfektes Paar. Kommissar Delft seufzte wohlig in seine Gedanken hinein.

Sofort meldete sich seine innere Stimme: „Wuäh, Zuckersirup auf den Pinsel! Freu dich nicht zu früh, Commissario, und glaub ja nicht, dass dir alles in den Schoß fällt! Überlege gut, was du tust und lässt! Vor allem, was du lässt! Jetzt bist du glücklich, tjahaha, aber warte mal ab…Liebe ist harte Arbeit! Und was ist schon perfekt, hä?“ Im Handumdrehen war Kommissar Delft hellwach.

Er strubbelte sich durch seine wenigen Borsten auf dem Kopf und stöhnte. Eindeutig zu viel Durcheinander heute morgen!

Unbedingt brauchte er jetzt seinen Kaffee, brühend heiß und stark, bevor er irgendetwas anderes in Angriff nehmen konnte.

Barfuß tapste er die Treppe hinunter in die Küche. An der edlen Kaffeemaschine lehnte ein blauer Notizzettel. „Guten Morgen mein Schatz...alles fertig, drück auf Start … war soooo schön gestern, besonders das … Danach!!!!! Bis später M.“ Unter den Zeilen ein Herz mit lächelndem Mund.

Delft schmunzelte, ihm wurde warm von diesen Worten und er betätigte gutgelaunt den Startknopf. Niemand kannte ihn so gut wie Marlies. Manchmal konnte er es noch immer nicht glauben, dass sie wieder ein Ehepaar waren. Und die vergangene Nacht war wunderbar gewesen. Zuerst das leckere Essen im Dorfkrug mit Jonas und Antonia, und dann … wie unbefangen und vertraut es gewesen war, wie gut sie sich auch körperlich verstanden. Noch vor einem Jahr hätte er geschworen, dass diese Zeiten ein für alle Mal vorbei wären.

Nie wieder wollte er dieses Leben mit Marlies in Gefahr bringen durch sein Schweigen, durch Verschlossenheit und Unachtsamkeit. Nie wieder! Hoffentlich gelingt mir das? seufzte er in Gedanken.

„Bemüh dich einfach!“, flötete die Stimme, aber Delft ließ sie links liegen, um zu duschen. „Ja, Hauptsache abhauen!“ rief sie ihm hinterher.

Kaum betrat er anschließend die Küche, lediglich mit einem Handtuch um die weichen Hüften bekleidet, stieß die Kaffeemaschine brodelnd einen letzten zischenden Dampfstrahl aus und Delft griff sich seinen Lieblingsbe-cher vom Regal. „Die Waage: gesellig, ausgeglichen, harmoniebedürftig“, dazu das Bild eines Polizisten auf einer Waageschale, pausbäckig lächelnd…sein Konterfei, photoshop-bearbeitet, eine lächerliche Karikatur und doch unverkennbar er.

Ein Geschenk seines Sohnes zu seinem fünfzigsten Geburtstag vor drei Jahren. Dieser Becher hatte Gott sei Dank alle Umzüge schadlos überstanden.

Delft goss Kaffee und reichlich fette Milch in den Becher, schloss genüsslich die Augen und schlürfte den ersten, den besten Schluck, der ihm Tür und Tor zum neuen Tag öffnen würde.

Da schrillte sein Handy.

Ein kurzer Blick auf das Display: Cornelius Fuchs. Delft nahm ab.

„Chef?“ Kollege Fuchs klang ungewohnt ernst. „Ich stör dich ungern, aber …“, er machte eine Pause, nur Delfts Schlucken war zu hören. „Wir haben eine Leiche!“

Bendigo, Australien, Oktober 2014

11 Monate zuvor

Ich kenne Dr. Johns seit fünfundzwanzig Jahren. Seine etwas altmodische Praxis liegt am nördlichen Rande Melbournes und es kennt mich niemand besser als er, und natürlich Brenda, seine langjährige Sprechstundenhilfe.

Aber auch sie wissen nicht alles.

Ich sitze ihm am wuchtigen Schreibtisch in seinem Behandlungszimmer gegenüber. Ich starre auf den rostroten Stein neben seiner Stifteschale, den er von einer Wandertour durchs Outback mitgebracht hat. Ayers Rock.

Draußen geht bereits die Sonne glutrot unter. Ich muss an Hans denken. Wartet er auch heute auf mich? Um diese Zeit lege ich ihm üblicherweise seine Abendration Obst auf den Rasen. Er ist ein Gourmet und Gentleman und ziert sich, ungehemmt und gierig über diese Gaben herzufallen. Das wäre unhöflich und würde aussehen, als ob er es nötig hätte. Doch kaum drehe ich ihm den Rücken zu, raschelt es und er schnappt sich das Futter und verschwindet in den dichten Ästen des Eukalyptus.

Meine Höflichkeit dem Vogel gegenüber gebietet es, mich in diesem Moment keinesfalls zu ihm umzudrehen, was mir außerordentlich schwerfällt. Aber es wäre so, als würde ich einer Dame am Strand ohne Scham beim Auskleiden zusehen. Sowohl Hans als auch ich wissen, wie unser alltägliches Ritual auszusehen hat. Heute bin ich zu spät dran, er wird tagelang schmollen.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, weil mein Arzt seine Stirn in Sorgenfalten legt.

„Ich will ehrlich sein, Andrew.“ Dr. Johns hebt seinen Blick von den Papieren voller Zahlen und lateinischer Ausdrücke und ich erkenne es in seinen Augen: schlechte Nachrichten!

Stumm nicke ich. Ich habe Dinge erlebt und gesehen, die dem, was jetzt vielleicht kommt, in nichts nachstehen. Das denke ich zuerst und mein Angstknoten löst sich auf wie eine Schlange, die sich in Zeitlupe entrollt, als wäre er froh, sich nicht mehr länger verstecken zu müssen. Ich hatte ja selbst eine Ahnung.

Auto, Tür, Schlüssel!

„Was ist es?“, fordere ich Dr. Johns auf. „Phil, sag es mir ehrlich. Kein Geschwafel und Drumherumgerede. Ich kann mit schlechten Nachrichten umgehen.“ Wir sind seit langer Zeit per du. Nervös nestele ich an den Knöpfen meines Hemdes, ich hatte es schief zugeknöpft nach der Untersuchung und korrigiere es jetzt. Peinliche Hitze steigt mir am Rückgrat hoch.

„Demenz.“ Phil legt seine Pranken auf meine Patientenunterlagen, die noch dünn sind. Sie werden zu einer dicken Akte wachsen, während ich verschwinden werde. Paradox!

Er sieht mich an. „Noch am Beginn, aber es gibt keinen Zweifel. Die Bilder vom CT …“ Er atmete tief ein. “Andrew, wir können …“

„Wie lange bin ich noch Herr meiner Sinne?“, unterbreche ich ihn. Er seufzt. Ich will seine Hoffnungsillusionen schon jetzt nicht mehr hören. Phil ist eine ehrliche Haut. Er weiß das.

„Schwer zu sagen. Zwei, drei Jahre, vielleicht fünf.“ Phil macht eine Pause. „Eher drei als fünf, Andrew.“

Ich atme keuchend aus, obwohl mir der Atem stockt. Draußen höre ich Brenda mit einer Patientin lachen. Die Patientin klingt so alt, wie ich nicht mehr werde. Mir wird die Kehle eng.

„Das ist nicht viel.“ Plötzlich möchte ich aufspringen und weglaufen. So wie damals.

„Andrew, es tut mir leid!“ Phil steht auf, er kommt um den Schreibtisch auf mich zu. Sicher will er mich umarmen.

Dr. Phil Johns ist nicht nur mein Arzt, er ist auch mein Freund. Mein einziger Freund, außer Brenda.

Hin und wieder grillen wir in meinem Garten. Phil bringt seine Frau Nellie mit, Brenda ihren 15jährigen Sohn Steve. Ich kenne Steve, seit er geboren ist. Steve hatte stets eine Spielecke hinter dem Tresen der Praxis, während Brenda arbeitete. Jetzt jobbt er bei Brits Rentals und reinigt die Camper der Touristen nach den Touren durchs Outback.

Sie alle sind meine Familie, ohne dass sie auch nur ansatzweise ahnen, was wirklich hinter diesen Worten steckt. Und wie viel es mir bedeutet.

„Danke Phil.“ Auch ich erhebe mich, will Phil meine zitternde Hand geben, doch er zieht mich an seinen Brustkorb, ehe ich mich wehren kann. Vor diesem Hünen und seinem Herz ist niemand sicher.

Ich meine, Phil leise schluchzen zu hören und wie auf Kommando murmeln wir beide „Shit!“ in unsere Haar-schöpfe. Mehr Nähe ist mir gerade nicht möglich und dann verlasse ich die Praxis.

Brenda sieht mir mit ihrem typischen Brenda-Blick nach, als ich an ihrem Tresen vorbeieile. Ich bin mir sicher, sie weiß Bescheid.

Wilstedt, 10. September 2015

Dreißig Minuten nach dem Anruf seines Kollegen Fuchs brauste der tannengrüne VW Käfer, Delfts Liebling seit über zwanzig Jahren, die Garagenauffahrt hinab und knatterte Richtung Wilstedt. Schnurgerade führte der Glashütter Weg von seinem Zuhause aus quer durch den Tangstedter Forst bis Wilstedt.

Der Wald, je nach Standort, umfing, verband oder trennte die beiden Ortsteile Tangstedt und Wilstedt. Links und rechts der Straße säumten herbstlich gefärbte Eichen und Kastanien die Strecke, Delft bewunderte die Farbenpracht, während er dem Ortsschild Wilstedt immer näher-kam. Diese Strecke war ihm vertraut, seit er im vergangenen Jahr den Fall Münch gelöst hatte.

Kurze Zeit später bog er links auf den Dorfring ab, und nach zwei sanften Rechtskurven steuerte er seinen Wagen in den schmalen Loheweg hinein, wo der Tatort lag, der Lindenhof. Eine schmale Wohnstraße, früher lediglich ein holpriger Wirtschaftsweg für die Landwirte im Dorf.

Auch nach Dutzenden von Dienstjahren bei der Polizei verwunderte es Kommissar Delft noch immer, dass es in einem beschaulichen Dorf mit seinem doch eher friedlichen, gesellschaftlichen Leben kapitale Verbrechen geben sollte. Ein seltsamer, beinahe naiver Gedanke, das wusste er. Gewalt kannte schließlich keine Grenzen oder Tabuzonen. Dennoch …

Sein Kollege Cornelius Fuchs war bereits vor Ort und erwartete ihn. Erst viel später würden sie in ihrer Polizei-wache gegenüber der Tangstedter Kirche am Kornmühlenweg sitzen und erste Fakten wie schmutzige Wäsche sortieren. Erst einmal musste der Tatort gesichtet werden.

Wilstedt, diesem eingemeindeten Ortsteil der Großgemeinde Tangstedt, wurde früher einmal nachgesagt, die reichsten Bauern zu beheimaten. Hin und wieder wurden noch immer Geschichten darüber erzählt, und zum Besten gegeben, welche Dramen sich zwischen Wilstedt und Tangstedt abgespielt haben sollten, als es noch zwei eigenständige und durchaus auch eigenwillige Dörfer waren. Am Tresen im Dorfkrug, vor dem wogenden Busen der Wirtin Margitta, die sich das Lachen nicht verkneifen konnte, wurden Bilder von verfeindeten Familien, gestohlenen Kühen und bierseligen Schlägereien auf den Dorf-festen zum Leben erweckt.

`De dümmste Buer hett de dicksten Kartüffels, und jümmers kümmt de ut Wilstedt`… so lautete ein Satz, den zumindest die Alten im Dorf noch im Ohr hatten. `Und de Tangstedter Buern sünd man blots lütt mückers`…

Kommissar Delft konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Vorurteile heutzutage noch das tägliche Miteinander bestimmten. Viel zu aufgeschlossen und modern erlebte er das Leben in dieser wachsenden Gemeinde, unabhängig vom Ortsteil. Viele Städter aus Hamburg siedelten sich hier an. Die letzte Schlägerei war Jahre her, lange vor seiner Zeit als Kommissar hier in der Tangstedter Gemeinde.

Das Leben im Dorf legte inzwischen gesteigerten Wert auf Kultur, Sport, Vereinsleben und Aktionen für das Gemeinwohl und die Attraktivität der Gemeinde.

Tangstedter und Wilstedter Bürger beispielsweise schauspielerten gemeinsam bei der „Plattdütschen Bühn` Tangstedt“ und alle anderen Vereine und Initiativen funktionierten ebenso in friedlicher Eintracht. Sicherlich gab es auch hier und da die üblichen Konflikte, doch über Generationen liebevoll gepflegte und gedeihende Missgunst und Feindseligkeiten starben allmählich aus. Zumeist wusste sowieso schon niemand mehr, worum es ursprünglich einmal gegangen war.

„Der Lindenhof“, hatte Fuchs ihn informiert. Dort war die Leiche entdeckt worden. Jeder kannte das Anwesen am Ende des Loheweges, dem Lieblingsweg vieler Hundehalter, Möchte-gern-Naturexperten mit Ferngläsern und passionierten Sonntagsspaziergängern. Nach dem letzten Gehöft, dem „Lindenhof“, tauchte man kilometerweit in die pure Natur ein. Kuhweiden, Feuchtbiotope, Äcker, Felder und Wiesen, Hecken und Gräben. Stille, Menschenleere, unberührte Natur.

Der Lindenhof war weit über Wilstedts Grenzen hinaus bekannt, ein ursprünglicher Dreiseithof, einer der größten Höfe in der Gesamtgemeinde Tangstedt und wohlhabend geworden durch seine Schweinezucht. Seit vier Generationen im Besitz der Familie Pörksen, wirkte das weitläufige Gehöft wie ein historisches Bollwerk am Rande des Dorfes. In seiner Größe schien es inzwischen nicht mehr recht zu den Wohnhäusern ringsumher zu passen.

Als Kommissar Delft gegenüber dem Lindenhof sein Auto parkte, war er unmittelbar erschüttert, wie heruntergekommen Haupthaus, Hof und Nebengebäude waren. Lange war er nicht mehr an dieser Stelle des Dorfes gewesen. Er stieg aus, blieb am Fahrzeug stehen und ließ seinen Blick über das Anwesen gleiten.

Die Linden, die dem Anwesen einst seinen Namen gegeben hatten, waren längst verschwunden. Zwei mächtige Kastanien rahmten stattdessen die breite Hofeinfahrt ein, ihre Kronen schienen wie Finger ineinander verschränkt zu sein und bildeten so einen überdimensionalen Torbogen aus knorrigen Ästen. Eine in die linke Baumrinde geschnitzte Zahl, 59, die Hausnummer, war mit Abstand das Neuzeitlichste an diesem Platz. Mit Teer hatte man die Zahl kenntlich gemacht, was auf Kommissar Delft ein wenig seltsam wirkte, mittelalterlich, grob, hässlich.

Das Anwesen der Pörksens war unüberschaubar groß. Entlang der Grundstücksgrenze zum Loheweg verlief hüfthoch eine teils bröckelige, bemooste Mauer aus geschichtetem Naturstein. Die Steine verschwanden an den Grundstücksseiten in wuchernden Gebüschen. Sicherlich waren für diese Mauer einst die vom Acker gesammelten Steine hergenommen worden, wie es allerorten üblich war, als Baumaterial nicht zu kriegen war.

Kommissar Delft lehnte sich an sein Auto, ließ den Eindruck des Lindenhofes lange auf sich wirken, bis sein Blick schließlich an der Fassade des Haupthauses hängen blieb, das in seiner Größe redlich Zeugnis über die einstige Herrschaftlichkeit abgab.

Ein mächtiges, verwittertes Backsteingebäude, eingerahmt von den ebenso heruntergekommenen Stallungen und Holzschuppen links und rechts des Hofplatzes. Für einen Dreiseithof waren diese Gebäude ungewöhnlich groß. So mancher Gutshof würde neben diesem Anwesen wie ein kleines Gehöft aussehen. Überall wucherte Unkraut. Seitliche Hecken und Sträucher, seit unzähligen Jahreszeiten unbeschnitten, ließen in alle Richtungen ihre schweren Äste wuchern oder emporranken. In einem der offenen Schuppen stand ein rostiger Trecker, die spröden Reifen tief in explodierenden Brennnesseln versunken. Hier war die Zeit stehengeblieben.

Selbst von hier, von der Straße aus, konnte Delft die schmutzigen Fenster des Haupthauses mit der abgeplatzten Farbe an den Fensterrahmen erkennen. Auf dem quadratischen Hofplatz war das Kopfsteinpflaster kaum noch als solches zu sehen, so verwittert und mit wildem Wuchs behaftet war es. Inmitten dieses Verfalls ragte aus dem Grün ein Brunnen hervor. Ebenso verwahrlost wie alles, was seine Augen erblickten.

Wie alt mochte der jetzige Besitzer, Heinrich Pörksen, inzwischen sein? Dieser Hof wurde mit Sicherheit nicht mehr bewirtschaftet. War dieser Hof überhaupt noch bewohnt?

Kaum vorstellbar in diesem Zustand. Seit Jahren war hier nichts gemacht worden. Verfallen und leblos, diese Worte gingen Kommissar Delft durch den Kopf, als er seufzend hinüber zur Hofeinfahrt ging.

An dieser Stelle des Loheweges, am Beginn der Mauereinfassung, endete der asphaltierte Straßenabschnitt abrupt, und er ging über in einen festgetretenen Sandweg voller Schlaglöcher, der zu den weit entfernten Wiesen und Feldern führte.

Pörksen wurde nachgesagt, ein Geizhals zu sein, erinnerte sich Delft, vielleicht hatte er sich seinerzeit geweigert, sich dem Fortschritt und der Modernisierung des Dorfes anzuschließen, und seinen Pflichtanteil als Anwohner für die Straßenasphaltierung zu zahlen. Würde zu allem passen, was man sich über ihn erzählte.

Je näher der Kommissar dem Haupthaus kam, desto deutlicher wurde das wahre Ausmaß des Verfalls.

Gesprungene, blinde Fenster in dem einst stattlichen Herrenhaus, vergilbte Gardinen mit Löchern. Wie aus einer anderen Welt wirkten die Blumenkästen mit blühenden Geranien an dieser trostlosen Fassade. Ein seltsamer Kontrast, registrierte Delft, also doch noch Leben im Haus?

Der altertümliche Brunnen mitten auf dem Hofplatz verbreitete eine beinahe verwunschene Atmosphäre, wäre nicht dieses Meer aus Unkraut gewesen, dieser Verfall und die Leiche, die auf ihn wartete. Im Vorbeigehen lugte der Kommissar hinab. Trockene Innenwände bis hinab in die schwarze Tiefe. Der Holzeimer, der an einer Kette über der Kurbel baumelte, sah allerdings funktionstüchtig aus und schien vor kurzem benutzt worden zu sein. Nass glänzten die Holzfasern rund um die Bottichnägel.

„Moin Chef!“ Delft blickte auf und sah seinen Kollegen Cornelius Fuchs aus dem rechten Stall auf sich zukommen.

Fuchs, dem fast nichts die gute Laune verderben konnte, machte einen angeschlagenen Eindruck. „Sie liegt hier im alten Schweinestall.“ Er deutete mit dem Kopf hinter sich. „Sieht nicht schön aus, Hannes.“

„Sie?“ Delft holte tief Luft. „Die Tote ist eine Frau?“

“ Sie…die Leiche“, verbesserte sich Fuchs mit gerunzelter Stirn. „Es handelt sich um den Hofbesitzer, Heinrich Pörksen. Ziemlich…naja!“

Kommissar Delft ging an Fuchs vorbei und betrat den stickigen Stall.

Verwaiste, gekalkte Schweinekoben links und rechts des steinernen Mittelganges. Delft registrierte insgesamt acht großräumige Schweinebuchten. In einem davon lagerten ausrangierte, angenagte Futtertröge voller Staub und Spinnweben. Durch die verdreckten Fenster fiel trübes Licht ins Stallinnere. Delft konnte förmlich die Hunderte von quiekenden Schweinen hören, die hier auf ihr Ende hin gemästet worden waren. Rosige, borstige Rücken, Ohren wie Lederlappen flatternd, feuchte, schnüffelnde Schnauzen. Grunzen, Quieken, gieriges Warten auf das Futter. Der Geruch nach gekochten Kartoffeln, verstampft mit Getreide, urinfeuchtem Stroh schien noch im Stall zu schweben. All das kannte er zur Genüge von den Bauernhöfen seiner Kindheit.

Cornelius Fuchs ging an seinem Chef vorbei zum letzten Schweinekoben an der rechten Seite, direkt neben dem Hinterausgang. “Hier ist er.“

Delft trat näher, beugte sich über die Bretter der Kobenwand und pfiff durch die Zähne.

Damit hatte er nicht gerechnet.

Bendigo, Australien, Mai 2015

4 Monate zuvor

Alles bekommt eine neue und andere Bedeutung, wenn man weiß, dass man es nicht mehr lange hat. Beziehungsweise, wenn man weiß, dass man irgendwann nicht mehr wissen wird, dass man es hat.

Solche Sätze ringe ich mir im Stillen ab, weil ich hoffe, ihr komplizierter Satzbau hält meine zugrunde gehenden Gehirnzellen noch ein wenig länger am Leben. Weil ich mich noch nicht dumm fühlen will.

Ich erbitte Aufschub beim lieben Gott, verspreche ein guter Mensch zu werden, trete in irrsinnige Verhandlungen mit allem, was es an Gottheiten gibt. Was würde ich nicht alles tun, um dem Schicksal, meinem Schicksal zu entkommen?

Nachts werde ich panisch wach, renne in den Garten und schreie unsinnige Dinge in den sternenklaren Himmel. Ich mache alles, ALLES!? Wenn nur nicht …

Niemals erhalte ich Antworten. Mein Dasein besteht aus Bangen, Warten, Hoffen, Verzweifeln. Mein Dasein besteht zunehmend aus dem Seilakt, NIEMANDEN merken zu lassen, wie es mir geht und was ich denke. Ich bin Andrew.

Seit sieben Monaten laufe ich mit der Diagnose, dessen Namen ich nicht aussprechen mag, herum. Wie ein eingebrannter Stempel auf meiner Haut. Das Wort erscheint mir sogar morgens auf der Trennwand der Dusche, von Wasserdampf beschlagen.

Noch spüre ich es kaum. Ich beäuge jeden Tag meine Schritte, ob ich schwanke, meine Fehltritte und das Zittern, ob ich zu fallen drohe, ich beobachte mich wie unter einem Mikroskop, und das gefällt mir nicht.

Jedes vergessene Ding beim Einkaufen, und sei es nur der Liter Milch, könnte mich in Panik versetzen, wäre ich nicht ein so selbstdisziplinierter, beherrschter Mensch. Ich schimpfe mich leise selber aus, dass ein vergessener Liter Vollmilch kein Beinbruch ist. Millionen Menschen geschieht das zu jeder Sekunde, gerade jetzt, weltweit ebenso. Es ist nichts dabei! Trotzdem löst es bei mir panisches Herzrasen und Schweißausbrüche aus, denn vielleicht ist es heute, hier, in meinem Fall, der Startschuss ins Vergessen. Wie eine Wunderkerze, die unweigerlich abbrennt, sobald sie Feuer gefangen hat. Man weiß es schon, wenn man sie kauft, dass das ihr Ende sein wird. In voller Schönheit sterben. Es gibt kein Zurück.

Mein Leben ist schon jetzt gewichen, weil sich alles Denken und Tun nur noch um meine Diagnose dreht. Ich meine damit nicht die regelmäßigen Untersuchungen bei Phil, der noch immer mit meinem Zustand zufrieden ist und sogar schon scherzte, er hätte sich in der Diagnose geirrt, was, wie wir beide wissen, nicht der Fall ist, wenn man die CT- Aufnahmen meines Gehirns genau betrachtet. Selbst ich kann die veränderten Areale erkennen, Nebelwolken. Schwarze Löcher.

Mein Leben hat an Freude und Leichtigkeit verloren. Sogar die morgendliche Begrüßung von Hans fällt oft barsch aus, weil ich so wütend bin. Ich bin wütend, weil mir das Leben diese Bürde auferlegt. Weil ich sterben werde, obwohl ich es nicht will! Nicht jetzt und nicht auf diese Art. Ich liebe mein Leben.

Selbstverständlich habe ich mich informiert. Ich wollte das Schlimmste nicht aus Phils Mund hören. Ich habe andere Quellen gefunden. Ich weiß, was mir bevorsteht.

Eine unwürdige, elende Reise in das Nichts. Aus mir wird langsam eine leere Hülle werden, jeglichen Lebens beraubt, sabbernd mit dumpfem Blick. Schließlich werde ich beerdigt, lange nachdem ich schon gegangen bin.

Hans lacht mich aus, wie es seine Art nun mal ist. Jeden Morgen. Diesem Vogel ist es einerlei, wie ich gelaunt bin. Meine Wut kümmert ihn nicht. Gestern habe ich meine Teetasse nach seinem lachenden Gegacker geworfen, er ist heute trotzdem wiedergekommen. Ich schäme mich ob seiner Treue. Wer lacht und spricht mit ihm, wenn ich es nicht mehr kann, wer legt ihm Nüsse und Beeren an seinen Platz?

Gerade er soll nicht schlecht von mir denken!

Ich bin so hilflos. Und ich liebe das Leben so sehr. Selbst meines, in dem so einiges nicht zum Lieben ist.

Als Hans, mein treuer Hans … ich werde außerdem sentimental, mehr als gut für mich ist … heute kurz nach Sonnenaufgang bereits auf mich wartet und sich bemerkbar macht, hat sein Gegacker plötzlich etwas in mir ausgelöst. Müde und frierend stand ich barfuß auf der taufeuchten Veranda, die heiße Teetasse in Händen und blickte auf die Pracht in meinem Garten.

Wippende Fuchsschwänze in vollster Blüte, rote Waratah, die schönste Blume Australiens und eine sonnen-gelbe Akazie, umringt von Farnen und Büschen. Am Rande Eukalyptusbäume, es duftet hier wie in einem Teeladen. Belinda behauptet, mein Garten sei ein Paradies.

Ich puste über meinen heißen Tee, starre ins Leere und treffe eine Entscheidung.

Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Und mich quält eine Sehnsucht.

Schon seit Jahren. Ich lebe mit ihr wie mit einem Herzschrittmacher. Immer da, manchmal nicht zu spüren.

Ich möchte noch einmal im Dahliengarten meiner Mutter stehen.

Wenn es ihn noch gibt. Ihren erdigen Duft einatmen.

Ich möchte auch die beiden Menschen noch einmal wiedersehen, die mir das Liebste auf der Welt sind, wenn es sie noch gibt: meine Mutter und meinen kleinen Bruder. Ich weiß es nicht.

Die wertvollsten und wichtigsten Menschen in meinem Leben.

In meinem anderen Leben!

Meine Wünsche, vielleicht meine letzten Wünsche, könnten banaler nicht sein. Aber sie entsprechen der Wahrheit. Keine Weltreise, keinen waghalsigen Sprung aus einem Helikopter. Das hätte ich auch niemals gewollt, wenn ich Hundert werden dürfte.

Einfach der Dahliengarten, Mutter, Bruder. Der Duft meiner ersten Jahre, mit dem ich alles, was schön ist, auf ewig verbinde. Hier in Australien gibt es Dahlien nicht. Aber ich erinnere mich noch an diesen unverwechselbaren Duft. Bald erlischt diese Erinnerung.

Ich habe nichts mehr zu verlieren, ich kann nun tun, was ich will, solange es mir noch möglich ist, zu wollen.

Egal, was es ist!

Ich werde sterben. Zuerst mein Geist, mein Verstand, dann mein Körper. Und es wird nicht mehr lange dauern. Wofür also soll ich noch bestraft werden können? Das alles hier ist Strafe genug. Denn es gibt da auch noch etwas vollkommen anderes in mir.

Neben meiner Sehnsucht ist da auch er: der Hass.

Nach all den langen Jahren steigt mein Hass, meine Wut empor, als wäre nicht ein einziger Tag vergangen seit meiner Flucht.

Mitten in der Nacht damals. Aus dem tiefsten Schwarz meines Daseins hinein ins sonnenhelle Australien.

Soll ich zurückkehren in dieses Dunkel?

Soll ich den letzten Rest Leben und Mut zusammenkratzen und versuchen, endlich die zu retten, die möglicherweise noch immer in diesem Dunkel leben? Meine Zeit ist knapp. Aber das Wichtigste ist:

Ich habe nichts mehr zu verlieren.

Denn wenn ich vergehe, wofür, in Teufels Namen, soll ich dann noch zur Rechenschaft gezogen werden können?

Wilstedt, 10. September 2015

Kommissar Delft bewegte sich keinen Zentimeter von der Kobenwand weg. Neben sich spürte er seinen Kollegen. Der hatte Vorsprung vor diesem Anblick. Er selbst sog erst jetzt das Bild in sich ein.

Ausgestreckt im Schweinekoben lag der alte Schweinebauer Heinrich Pörksen inmitten einer Lache erkalteten Blutes. Wie ein Fächer hatte es sich unter seinem Rücken hervor um ihn ausgebreitet. Als wäre es Puderzucker, schwammen Staub und Strohreste auf dem dunklen See aus Blut und nahmen ihm den Glanz des Lebens. Ein Surren schwebte durch die Stille des Stalles. Schillernde dicke Fliegen schwirrten über das geronnene Blut und ließen sich nieder. Schreckten hoch, zogen weiter, wussten nicht, wo zuerst das Festmahl beginnen.

Aus der blutigen Brust des Toten ragte eine angerostete Mistforke mit glattgewetztem Holzstiel. Die Zinken waren bis zum Anschlag in den Leib getrieben worden und hatten die Stoffränder des karierten Hemdes an den Eintrittsstellen mit sich in den Körper hineingerissen. Ungläubig starrten die leeren Augen des Schweinebauern zur Decke. Fliegen umrundeten sie in wilder Hektik. Ebenso weit aufgerissen, wie zu einem stummen Schrei, klaffte der Mund des Toten. Schaumiger, blutiger Speichel trocknete in den Mundwinkeln, bedeckte die rissigen, bläulichen Lippen der Leiche. In einem letzten Versuch, sich zu wehren, hatten die bleichen Hände des Alten nach dem Holzstiel gegriffen und waren dort im Todeskampf erstarrt.

„Teufel nochmal!“, entfuhr es Kommissar Delft. „Wer war denn hier am Werk? Kein Zweifel, dass es der alte Pörksen ist, oder?“ Er blickte kurz zu Cornelius Fuchs, der den Kopf schüttelte.

„Kein Zweifel!“ Fuchs trat einen Schritt zurück und öffnete sein Notizheft. „Das ist Heinrich Pörksen, letzter Bauer vom Lindenhof, fünfundachtzig Jahre alt und, wie wir alle wissen, der meistgehasste Zeitgenosse der Gemeinde!“

Noch immer heftete Kommissar Delft seinen Blick auf die grauenvoll zugerichtete Leiche, und nickte. Präziser und kürzer hätte auch er den alten Schweinebauern nicht beschreiben können.

Heinrich Pörksen war in jungen Jahren ein stattlicher Mann gewesen. Jetzt, im hohen Alter, war aus seiner ehemals kräftigen Statur ein ausgezehrter Körper geworden. Seine schwieligen Hände wirkten immer noch riesenhaft von der jahrelangen Arbeit auf dem Hof, doch die Arme waren mager und kraftlos. Sein kariertes Arbeitshemd und die verschlissene Cordhose waren blutgetränkt, dennoch war zu erkennen, wie alt und abgetragen die Kleidung des Bauern war. Mit Flicken versehen und an vielen Stellen durchscheinend. Arm. Schmutzig.

Delft registrierte, wie ungepflegt der alte Mann aussah. Nicht nur mager und knochig. Graue Bartstoppeln umrahmten den aufgerissenen Mund, das schüttere Haar war fettig und von einer Länge, die sofort an Vernachlässigung denken ließ. Die Haut gelblich-bleich, nicht erst seit der Todesstunde.

Delft riss sich von dem erschütternden Anblick der Leiche los und trat seitlich durch die hüfthohe Stalltür in den Schweinekoben. Er bewegte sich vorsichtig so nahe wie es die Spurensicherung zulassen würde, an den Toten heran und verzog schmerzhaft sein Gesicht, als er in die Hocke ging. Verfluchte Kniegelenke, dachte er mit einem Stöhnen.

In diesem Moment betraten zwei Mitarbeiter der Spurensicherung den Stall, und durchbrachen die morbide Stille mit ihrer Geschäftigkeit.

Große Kerle in weißen Schutzanzügen. Sie stellten ihre Utensilien an den Rand des Tatortes und streiften sich Latexhandschuhe über.

Delft blickte zu seinem Kollegen Fuchs empor.

„Wo ist Max?“

Max Wasserstein, Studienfreund von Hannes Delft und seit einigen Jahren Chef der Spurensicherung am Kriminaltechnischen Institut in Kiel, kurz KTI, war immer sofort zur Stelle, wenn es Leichen zu begutachten gab. Mit einem Feuereifer, der an Besessenheit grenzte, untersuchte er jeden Zentimeter Tatortboden, pflückte Haare und Staubkörner auf, um sie unter dem Mikroskop zu betrachten, und fand am Ende oft die entscheidende Spur. Zusätzlich betätigte er sich als forensischer Pathologe. „Weil, auf einem Bein kann man schlecht stehen!“ Das waren seine Worte. Und der Ruf seiner Expertise eilte ihm inzwischen weit voraus. Delft schüttelte oft über die Ambitionen seines Freundes den Kopf, wenn der Sachen sagte, wie: “Mal so eine hammermäßige Katastrophe. Flugzeugabsturz in den Anden oder so. Da würde ich mich gerne einsetzen…ehrlich!“ Trotz dieser ungekünstelten Offenheit, die einen nach Luft schnappen ließ, schätzte Delft seinen Freund und war froh, ihn seit dem Fall Münch wieder an seiner Seite zu haben, wenn es harte Fälle zu bearbeiten gab. So wie dieser womöglich einer sein würde.

„Max“, erklärte Fuchs in nachsichtigem Ton, „der hockt drinnen bei der Witwe in der guten Stube und kümmert sich um sie. Du weißt: Fingerabdrücke und tröstende Worte! Die alte Frau Pörksen hat ihren Mann heute Morgen hier gefunden und die Nachbarn alarmiert.“

„Warum die Nachbarn alarmiert?“ Kommissar Delft runzelte die Stirn. „Warum nicht gleich uns?“

Fuchs zog Luft durch die Zähne. „Du glaubst es nicht, es gibt hier kein Telefon.“

In Delfts Kopf schwirrten Satzfetzen um Satzfetzen durcheinander.