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Vorstellungen von Heimat haben nicht selten mit Gefühlen und Gerüchen zu tun – mitunter beziehen sich diese Sinneseindrücke auch auf das heimatliche Essen. Jürgen Dollase jedoch beobachtet in seinem Beitrag in Kursbuch 198 eine frappierend unpräzise, volkstümelnde Verkleisterung der Verbindung aus Heimat und Essen und ruft dazu auf, das enorme Potential kulinarischer Traditionen vom Ballast platter heimatlicher Instrumentalisierung zu befreien.
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Seitenzahl: 23
Inhalt
Jürgen Dollase Schweinshaxe im 3-Sterne-RestaurantÜber das Verschwinden der »Heimatküchen«
Der Autor
Impressum
Jürgen Dollase Schweinshaxe im 3-Sterne-RestaurantÜber das Verschwinden der »Heimatküchen«
Kann man »Heimat« und Kulinarisches wirklich so einfach zusammenbringen, wie dies in letzter Zeit von den Medien und populären TV-Köchen immer wieder getan wird? Haben wir wirklich alle die gleichen prägenden Kindheitserinnerungen an die gleichen Knödel oder Klopse? Und – was ist, wenn Pizza, Pasta und Hamburger die kulinarische Sozialisation geprägt haben? Hier ein Blick auf ein Thema voller hochinteressanter Komplexität.
Das Szenario: Von der Regionalküche zur Heimatküche
Die Begriffe »Heimat« oder »Heimatküche« wurden im kulinarischen Bereich lange Zeit eher selten oder gar nicht bemüht. Die Tatsache, dass die Küchen in den verschiedenen deutschen Landesteilen, vom Labskaus im Norden bis zur Schweinshaxe mit Knödel und Sauerkraut im Süden, sehr unterschiedliche Gerichte hervorgebracht haben, führte erst einmal zu einer gewissen Distanz und einer sachlich-deskriptiven Neutralität der Begriffe. Der frühe Blick »von außen« im Band Die Küche in Deutschland aus der berühmten Time-Life-Serie von 1969/1970 nähert sich dem Land mit einer Art kulinarisch-ethnologischem Interesse, und das Buch enthält Kapitel wie »Alte und neue Formen der Geselligkeit«, »Eine Küche mit alter Tradition« oder »Fünf Mahlzeiten am Tag«.1 Danach unterteilt man das Land in den »Norden«, einen »mittleren Gürtel« und den »Süden«. In Unvergessene Küche von 1979 geht es um die »schönsten Rezepte aus den deutschen Landschaften«.2 Am Ende sind es 470 Rezepte aus 18 Regionen, verbunden mit dem Hinweis der Essen & Trinken-Redaktion, man sei in den »langwierigen Vorarbeiten auf keine vergleichbare Darstellung der Vielfalt deutscher landsmannschaftlicher Küchen gestoßen«.3 Wenig später erschien Aus Deutschlands Küchen. Überlieferte Rezepte aus 17 Regionen.4 Das Thema ist also die Küche der Regionen, die Regionalküche. So auch bei den Kulinarischen Streifzügen durch sechs Regionen von 1982, oder den Kulinarischen Freuden der herzhaften Landküche aus dem Jahre 1996, in dem Nord- und Süddeutschland parallel zu europäischen Regionen wie Elsass, Toskana oder Andalusien vorgestellt werden.5 Im Laufe der Jahre wurden die Veröffentlichungen zur Küche deutscher Regionen immer zahlreicher und immer detaillierter, wie etwa der Band Norddeutsche Küche. Rezepte, Bräuche und Geschichten im Jahreslauf aus dem Jahr 2006.6 Heute sind für quasi jede deutsche Region eine ganze Reihe von Rezeptsammlungen verfügbar – mehr oder weniger umfangreich durch weitere Informationen zur Kultur der jeweiligen Region ergänzt. Allen diesen Büchern ist gemeinsam, dass sie sich weitgehend mit typischen Rezepten befassen.
Die Konnotation von traditioneller und/oder regionaler Küche mit psychologischen Aspekten (im weitesten Sinne), die etwas mit dem Esser und weniger mit dem Essen selber zu tun haben, ist als weitverbreitete Erscheinung schwierig zu datieren. Sie hat aber eine Menge mit Trends in der Entwicklung der Küche wie mit gesamtgesellschaftlichen Trends zu tun (siehe dazu auch die Entwicklungen rund um das Landlust