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“Schwere Zeiten” (engl. “Hard Times”) ist der zehnte Roman von Charles Dickens, der erstmals 1854 veröffentlicht wurde. Das Buch gibt einen Überblick über die englische Gesellschaft und persifliert die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der damaligen Zeit. Der Roman ist eine bittere Anklage gegen die Industrialisierung und ihre entmenschlichenden Auswirkungen auf Arbeiter und Gemeinden im England der Mitte des 19. Jahrhunderts. Louisa und Tom Gradgrind werden von ihrem Vater, einem Pädagogen, streng dazu erzogen, nur die sachlichsten und pragmatischsten Informationen zu kennen. Ihr Leben ist frei von Schönheit, Kultur und Fantasie, und die beiden haben wenig oder gar kein Einfühlungsvermögen für andere. Louisa heiratet Josiah Bounderby, einen vulgären Bankier und Fabrikbesitzer. Schließlich verlässt sie ihren Mann und kehrt in das Haus ihres Vaters zurück. Tom, skrupellos und geistlos, raubt die Bank seines Schwagers aus. Erst nach diesen und anderen Krisen erkennt ihr Vater, dass die Art und Weise, wie er seine Kinder erzogen hat, ihr Leben ruiniert hat. Dies ist der dritte von drei Bänden.
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CHARLES DICKENS
ROMAN
BAND DREI
SCHWERE ZEITEN wurde zuerst im englischen Original (Hard Times) als Fortsetzungsroman veröffentlicht von Bradbury & Evans, London 1854.
Diese Ausgabe in drei Bänden wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2022
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Band Drei
ISBN 978-3-96130-543-8
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Schwere Zeiten
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Inhaltsverzeichnis
SCHWERE ZEITEN. Band Drei
Impressum
DRITTER BAND
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
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Zu guter Letzt
Mr. James Harthouse widmete sich voller Hingebung seiner Partei und war bald bei ihr gut angeschrieben. Mit Hilfe von etwas vermehrtem Phrasengepäck für die politischen Kannegießer, von etwas vermehrter eleganter Lässigkeit gegen die allgemeine Gesellschaft und einem leidlichen Zurschautragen äußerer Ehrlichkeit bei innerer Unehrlichkeit – dieser höchst wirksamen und höchst begünstigten aller seinen Todsünden – wurde er bald als ein vielversprechender Mann betrachtet. Daß er nicht von Ernsthaftigkeit geplagt wurde, fiel nur als günstiger Umstand für ihn ins Gewicht; denn es ermöglichte ihm, sich unter die Herren der harten Tatsachen mit solchem Geschick zu mengen, als wäre er ein Eingeborener ihrer Sekte, und so konnte er dabei alle übrigen Sekten als bewußte Betrüger über Bord werfen.
»Lauter Leute, denen keiner von uns Glauben schenkt, meine teure Mrs. Bounderby, und die sich nicht einmal selbst Glauben schenken. Der einzige Unterschied, der zwischen uns und den Professoren der Tugendlehre, der Wohlfahrt und der Humanität – der Name tut nichts zur Sache – obwaltet, besteht darin, daß wir wohl wissen, alles ist Phrase, und es auch eingestehen, während sie es ebenfalls wissen, aber niemals das Geständnis davon ablegen wollen.«
Warum sollte ihr diese Lehre Ärgernis einflößen oder ihr als Abschreckungsmoment dienen? Solche Behauptungen waren den Grundsätzen ihres Vaters und ihrer ersten Erziehung recht verwandt, daß sie darob nicht zu erschrecken brauchte. Wo lag der Unterschied zwischen den beiden Schulen, da beide sie an die materielle Wirklichkeit schmiedeten und ihr für nichts sonst Glauben ließen? Was war in ihrer Seele für James Harthouse noch zu zerstören übriggeblieben, die Thomas Gradgrind im Zustand der Unschuld ehedem also großgezogen?
Diese Lage war aber um so schlimmer für sie, als in ihrem Geiste – in sie eingepflanzt, ehe ihr ausgezeichnet praktischer Vater ihn zu bilden begann – zwei Neigungen miteinander kämpften: ihre Ahnung von einer höheren und umfassenderen Menschlichkeit lag ständig im Kampf mit ihrer Skepsis und ihrem zweifelnden Groll. Mit Zweifeln, weil das Streben damit in ihrer Jugend erstickt worden. Mit grollenden Empfindungen, der Unbilden halber, die ihr zugefügt worden, als wären sie in der Tat Einflüsterungen der Wahrheit. Einer an Selbstunterdrückung seit langer Zeit gewöhnten Natur, die so zerrissen und mit sich selbst zerworfen war, erschien die Harthousische Philosophie als Trost und Rechtfertigung. Da doch alles hohl und wertlos war, so hatte sie nichts verloren und nichts aufgeopfert. ›Was liegt daran‹, sagte sie zu ihrem Vater, als er ihr ihren Gatten vorschlug. ›Was liegt daran‹, sagte sie noch immer. Mit »die Welt verachtender Bitterkeit« fragte sie sich selbst: ›Was ist überhaupt an allem gelegen‹, und blieb sie auf dem eingeschlagenen Wege.
Wohin? Schritt für Schritt, vorwärts und abwärts, einem Ziele zu, und doch so allmählich, daß sie selbst glaubte, still zu stehen. Was Harthouse anbelangt, so wußte er es weder, noch kümmerte er sich darum, wohin ihn seine Richtung führte. Vor ihm lag kein besonderer Entwurf, kein Plan; kein zielkräftig böses Tatverlangen störte ihn aus seiner Mattigkeit auf. Augenblicklich unterhielt und interessierte er sich gerade so viel, wie es für einen so feinen Gentleman schicklich war, vielleicht noch etwas mehr, als zu gestehen mit seinem Rufe sich vertragen hätte. Bald nach seiner Ankunft schrieb er einen lässigen Brief an seinen Bruder, das ehrenwerte und witzige Parlamentsmitglied, daß die Bounderby's ihm »viel Spaß« machten, und ferner, daß Frau Bounderby, anstatt die Gorgone zu sein, die er vermutet hatte, jung und auffallend hübsch sei. Später schrieb er nicht mehr von ihnen, und widmete seine freie Zeit vorzüglich ihrem Hause. Er fand sich während seiner Streifereien und Besuche im Coketowner Distrikt sehr oft bei ihnen ein, wozu er von Mr. Bounderby aufgemuntert worden. Es lag ganz in Mr. Bounderbys Windmanier, vor seinen sämtlichen Bekannten damit zu prahlen, daß er sich um vornehme Leute durchaus nicht schere, daß aber, wenn seine Frau, Tom Gradgrind's Tochter, es tue, sie in ihrem Kreise willkommen sei.
Mr. James Harthouse geriet auf den Gedanken, daß es für ihn einen neuen Reiz ausmachen müsse, wenn Luises Gesicht, das sich so schön für den Bengel veränderte, sich auch für ihn verändern würde.
Er war rasch genug im Beobachten, er besaß ein gutes Gedächtnis, und vergaß kein Wort von den Enthüllungen des Bruders. Er verwob die Worte mit allem, was er von der Schwester sah, und fing an, sie zu verstehen. Der bessere und tiefere Teil ihres Charakters lag wahrlich nicht im Bereich seiner Auffassung; denn die Naturen gleichen hierin dem Meer, in dessen Tiefen nur die Tiefe des Himmels sich abspiegelt – das übrige jedoch begann er bald mit dem Auge des Gelehrten zu lesen.
Mr. Bounderby hatte ein Haus mit Zubehör an Grund und Gelände in Besitz genommen, das ungefähr fünfzehn Meilen von der Stadt entfernt und in einer oder zwei Stunden von der nächsten Eisenbahnstation zu erreichen war. Die Eisenbahn rollte auf mehreren Schwibbogen über eine wüste Gegend hin, die von öden Kohlengruben unterminiert und des Nachts von Feuern und den dunklen Formen der Maschinen gefleckt war. Diese Gegend verlor nach Mr. Bounderby's Ruhesitz hin allmählich an Härte und nahm daselbst einigermaßen den Schmelz einer Landschaft an, die zur Frühlingszeit golden von Heidekraut und schneeig von Hagedorn, und zur Sommerszeit zitternd von Blattlaub und deren Schatten erschien. Die Bank hatte auf dem so lieblich gelegenen Landsitz eine Hypothek gehabt, die von einem Coketowner Magnaten aufgenommen worden war. Dieser hatte sich entschlossen, einen rascheren Sprung als gewöhnlich zur Erwerbung eines enormen Vermögens zu machen und sich daher mit ungefähr zweimal hunderttausend Pfund verspekuliert. Dergleichen Fälle trugen sich zuweilen in den bestregulierten Familien von Coketown zu, obgleich die Bankrotteure in gar keiner Verbindung mit sonst liederlichen Gesellschaftsklassen standen.
Es gewährte Mr. Bounderby die höchste Befriedigung, sich auf diesem eingefriedeten, kleinen Grundbesitz häuslich einzurichten und daselbst in dem Blumengarten Kohl anzubauen. Es ergötzte ihn, inmitten der eleganten Möbel ein Barackenleben zu führen, und er übertäubte selbst die Gemälde mit seiner Herkunft. »Nun, Sir«, pflegte er zu einem Gaste zu sagen, »man sagte mir, daß Nickit, der frühere Eigentümer, siebenhundert Pfund für jenes Strandgemälde zahlte. Um aufrichtig zu sagen, so wird es schon viel sein, wenn ich in meinem ganzen Leben es siebenmal anblicke, was hundert Pfund für den Blick macht. Nein, Donnerwetter! Ich will nicht vergessen, daß ich Josiah Bounderby von Coketown bin! Jahrelang waren die einzigen Bilder, die ich besaß, oder die ich bekommen konnte, ohne sie stehlen zu müssen, in dem Bilde von dem Mann, der sich im glänzend gewichsten Stiefel spiegelt, und in den Etiketten von Stiefelwichs-Büchsen. Ich war froh, wenn ich solche Etiketten beim Schuhwichsen bekam und verkaufte sie dann mit Vergnügen für ein Viertelpency.«
Dann sprach er Mr. Harthouse in ähnlicher Weise an: »Harthouse, Sie haben da unten ein paar Pferde. Bringen Sie noch ein halbes Dutzend und es wird sich Platz für sie finden. Hier gibt es Stallungen für ein Dutzend Pferde, und wenn man Nickit nicht verleumdet hat, so hielt er diese runde Zahl. Ein rundes Dutzend, Sir. Als Knabe besuchte jener Mann die Westminster Schule. Ging als königlicher Stipendiat in die Westminster Schule, während ich hauptsächlich von Wildbretgedärmen lebte und in Marktkörben schlief. Nun, wenn ich ein Dutzend Pferde halten müßte – was ich aber nicht zu tun brauche, eins ist genug für mich – so könnte ich ihren Anblick in den Ställen hier nicht ertragen, ohne dabei denken zu müssen, was meine eigene Wohnung zu sein pflegte. Ich könnte sie nicht ansehen, ohne sie gleich 'nauszuschmeißen. Aber so ändern sich die Dinge. Sie sehen diesen Ort. Sie wissen, was für ein Ort es ist. Sie wissen wohl, daß es keinen vollkommeneren Ort von seinem Umfange in diesem Königreiche oder anderwärts gibt – Es ist mir auch einerlei wo – und hier befindet sich in seiner Mitte, wie die Made im Speck – Josiah Bounderby. Während Nickits (wie ein Mann, der gestern in mein Büro kam, mir berichtete), der in den lateinischen Stücken der Westminster Schule mitzuspielen pflegte, wobei ihn die Hauptautoritäten und der Adel unseres Landes solange beklatschten, bis sie schwarz im Gesichte wurden – in diesem Augenblicke halb blödsinnig ist – halb blödsinnig, Sir, und das im fünften Stock in einer düsteren, engen Gasse in Antwerpen!
Es war in den langen schwülen Sommertagen unter den Blätterschatten dieses Ruhesitzes, wo Mr. Harthouse seine Experimente mit dem Gesicht begann, dessen erster Anblick ihn so außerordentlich berührte und versuchte, ob es sich nicht für ihn verändern würde.
»Mrs. Bounderby, ich halte es für einen sehr glücklichen Zufall, daß ich Sie hier allein finde. Ich hege seit einiger Zeit den besonderen Wunsch, Sie zu sprechen.«
Es war nicht durch einen wunderbaren Zufall, daß er sie gefunden, da es um jene Tageszeit war, wo sie sich immer allein befand und dieser Platz ihren Lieblingsaufenthalt bildete. Es war eine Lichtung im dunklen Hain, wo einige gefällte Bäume umherlagen, und wo sie zu sitzen pflegte, um das abgefallene Laub vom vergangenen Jahre zu beobachten, sowie sie im elterlichen Hause die fallende Asche beobachtete.
Er setzte sich neben sie, indem er einen flüchtigen Blick auf ihr Gesicht warf.
»Ihr Bruder, mein junger Freund Tom –«
Ihre Züge klärten sich auf, und sie wandte sich gegen ihn mit einem teilnahmsvollen Blick. »Nie in meinem Leben«, dachte er, »sah ich etwas so Merkwürdiges und Einnehmendes als das Aufstrahlen jener Züge!« Sein Gesicht verriet seine Gedanken – vielleicht ohne ihn zu verraten, denn es mochte wohl auf diese Wirkung eingeschult gewesen sein.
»Verzeihen Sie. Der Ausdruck Ihrer schwesterlichen Teilnahme ist so schön – Tom sollte stolz darauf sein. – Ich weiß, dies ist nicht zu entschuldigen – aber ich kann nicht umhin, Sie zu bewundern –«
»Bei Ihrer Empfänglichkeit?« sagte sie ruhig.
»Nein, Mrs. Bounderby, Sie wissen, ich heuchle nicht vor Ihnen. Sie wissen, ich bin ein grobes Stück von Menschennatur, bereit, mich zu jeder Zeit für jede vernünftige Summe zu verkaufen, und durchaus jedes arkadischen Benehmens unfähig.«
»Sie wollten mir wohl von meinem Bruder etwas sagen«, entgegnete sie.
»Sie sind sehr streng gegen mich, und ich verdiene es. Ich bin ein so unwürdiger Hund, wie man nur einen finden kann, mit der Ausnahme, daß ich nicht falsch bin – durchaus nicht falsch. Aber Sie überraschten mich und entfernten mich von einem Gegenstand, der Ihren Bruder betrifft. Ich fühle Interesse für ihn.«
»Fühlen Sie überhaupt für etwas Interesse, Mr. Harthouse?« fragte sie halb ungläubig und halb dankbar.
»Hätten Sie mich das bei meinem ersten Besuche gefragt, so würde ich Nein geantwortet haben. – Jetzt aber muß ich – selbst auf die Gefahr hin, anspruchsvoll zu erscheinen, und gerechterweise Ihre Ungläubigkeit zu erwecken – Ja antworten.«
Sie machte eine leichte Bewegung, als ob sie zu sprechen versuchte, und die Stimme ihr versagte. Endlich sagte sie: »Mr. Harthouse, ich traue es Ihnen zu, sich für meinen Bruder zu interessieren.«
»Ich danke Ihnen. Ich glaube dies zu verdienen. Sie wissen, auf wie wenig Verdienste ich Anspruch machen kann. Diese will ich aber behaupten. Sie haben so viel für ihn getan. Sie haben ihn so lieb. Ihr ganzes Leben – Mrs. Bounderby legt eine so reizende Selbstvergessenheit seinethalben an den Tag – bitte abermals um Verzeihung, ich entferne mich zu sehr von dem Gegenstände. Ich interessiere mich um seinetwillen für ihn.« Sie hatte eben eine ganz leise Bewegung gemacht, als wollte sie sich rasch erheben, um sich zu entfernen. Er aber änderte in demselben Augenblick den Ton des Gesprächs, und sie blieb.
»Mrs. Bounderby«, fuhr er in einer leichteren Weise fort, wobei man ihm jedoch die Mühe anmerkte, die er sich gab, und die noch ausdrucksvoller als jene Taktik war, die er soeben fallen ließ, »es ist bei einem jungen Mann, von dem Alter Ihres Bruders, kein unverzeihliches Vergehen, unbesonnen, unbedachtsam und verschwenderisch zu sein: ja selbst ein wenig liederlich, wie man so sagt. Das ist doch bei ihm der Fall, nicht wahr? Ist er's?«
»Ja.«
»Erlauben Sie mir offen zu reden. Glauben Sie, daß er überhaupt spielt?«
»Ich glaube, er pflegt zu wetten.«
Da Mr. Harthouse wartete, als ob dies nicht die ganze Antwort sei, fügte sie hinzu: »Ich weiß, er tut es.«
»Natürlich verliert er?«
»Ja.«
»Jedermann, der wettet, verliert. Darf ich auf die Wahrscheinlichkeit hindeuten, daß Sie ihn zu diesen Zwecken zuweilen mit Geld versehen?«
Sie saß mit niedergeschlagenen Augen da, erhob diese jetzt aber ein wenig forschend und beleidigt.
»Halten Sie meine Neugier nicht für zudringlich, meine teure Mrs. Bounderby. Ich meine, Tom müßte allmählich in Verlegenheit geraten, und ich möchte ihm aus der Tiefe meiner sündhaften Erfahrung eine helfende Hand entgegenstrecken. Muß ich abermals sagen, seinetwillen? Ist das notwendig?«
Sie schien eine Antwort zu suchen, konnte aber nichts hervorbringen.
»Um alles aufrichtig zu gestehen, was mir einfiel«, sagte James Harthouse, indem er abermals mit dem gleichen Anschein von Anstrengung in seine leichtere Weise überging, »so will ich Ihnen meine Zweifel mitteilen, daß er vielen Vorteil gehabt. Ob – entschuldigen Sie meine Geradheit – ob es wahrscheinlich ist, daß ein großes Vertrauen zwischen ihm und seinem höchst ehrenwerten Vater obwaltete.«
»Ich«, antwortete Luise errötend, »halte es nicht für wahrscheinlich.«
»Oder zwischen ihm – ich darf doch sicherlich Ihrem vollständigen Verständnis meiner Meinung vertrauen – und seinem hochgeschätzten Schwager?«
Sie errötete immer tiefer, und war glühend rot, als sie mit einer gedämpfteren Stimme antwortete: »Ich halte auch das nicht für wahrscheinlich.«
»Mrs. Bounderby«, sagte Harthouse nach kurzem Stillschweigen »darf ein besseres Vertrauen zwischen uns bestehen? Tom hat wohl eine beträchtliche Summe von Ihnen geliehen?«
»Sie werden wohl begreifen, Mr. Harthouse«, entgegnete sie nach einiger Unschlüssigkeit – sie war während des Gesprächs mehr oder weniger unsicher und verwirrt gewesen, hatte aber im ganzen ihre Selbstbeherrschung beibehalten – »Sie werden wohl begreifen, daß, wenn ich Ihnen sage, was Sie zu erfahren wünschen, dieses nicht auf dem Wege der Beschwerde oder des Bereuens geschieht. Ich würde mich nie über etwas beklagen, und was ich tat, das bereue ich nicht im geringsten.«
»So geistreich noch dazu«, dachte James Harthouse.
»Als ich heiratete, fand ich, daß mein Bruder eben damals schwer verschuldet war – schwer für ihn, meine ich, schwer genug, um mich zum Verkaufe einiger Schmucksachen zu zwingen. Das war für mich kein Opfer, ich verkaufte sie sehr gerne. Ich legte ihnen keinen Wert bei, sie waren ganz unnütz für mich.«
Entweder, sie sah es ihm am Gesichte an, daß er es wußte, oder sie fürchtete bloß in ihrem Gewissen, daß es ihm bekannt sei, sie habe von den Geschenken ihres Mannes gesprochen. Sie hielt inne und errötete abermals. Wenn er es nicht früher gewußt hätte, so würde es ihm nun klar geworden sein, selbst wenn er noch flacheren Geistes gewesen wäre, als er wirklich war.
»Inzwischen gab ich meinem Bruder zu verschiedenen Zeiten alles Geld, das ich entbehren konnte. Kurz, alles Geld, das ich besaß. Da ich Ihnen im Vertrauen auf das Interesse, das Sie für ihn äußern, volles Zutrauen schenke, so will ich es nicht halb tun. Seitdem Sie uns hier zu besuchen pflegen, brauchte er selbst die Summe von hundert Pfund. Ich bin nicht imstande gewesen, sie ihm zu geben. Ich fühlte mich unbehaglich wegen der Folgen seiner Verschuldung, ich habe diese Geheimnisse jedoch bis jetzt bewahrt, wo ich sie Ihrer Ehre anvertraue. Ich habe niemanden in mein Vertrauen eingeweiht, weil – Sie haben den Grund soeben angegeben.« – Hierauf brach sie rasch ab.
Er war ein gewandter Mann, nahm die Gelegenheit wahr und ergriff sie, ihr jetzt unter der leichten Verkleidung ihres Bruders ihr eigenes Bild vorzustellen.
»Mrs. Bounderby, obschon ich ein unwürdiger Mensch auf dieser irdischen Welt bin, so empfinde ich doch die aufrichtige Teilnahme – dessen versichere ich Sie – für Ihre Mitteilung. Ich kann unmöglich streng gegen Ihren Bruder urteilen. Ich begreife und teile die kluge Anschauung, mit der Sie seine Fehler betrachten. Bei allem möglichen Respekt, sowohl für Mr. Gradgrind als für Mr. Bounderby, glaube ich doch zu bemerken, daß seine Erziehung keine glückliche war. Zum Nachteil für die Gesellschaft erzogen, in der er eine Rolle zu spielen hat, stürzt er auf seine eigene Rechnung in diese Extreme aus entgegengesetzten Extremen, die man – ohne Zweifel mit den besten Absichten – seit langer Zeit ihm aufgedrungen. Mr. Bounderbys ausgezeichnet barsche, englische Geradheit, obwohl sie eine höchst anziehende Charakteristik gewährt, ist nicht geeignet – und darüber sind wir einverstanden – Vertrauen einzuflößen. Wenn ich wagen dürfte, zu bemerken, daß jener Mangel an Zartgefühl am wenigsten geeignet ist, einem verirrten Jüngling, einem schlechtverstandenen Charakter und übelgeleiteten Fähigkeiten Trost und Halt zu gewähren – so drücke ich ungefähr aus, was meine eigene Ansicht ist.«
Wie sie dasaß, gerade vor sich hinblickend, mitten durch das auf dem Grase spielende Licht in die Dunkelheit des Gehölzes hinein, nahm er in ihrem Gesicht die Wirkung seiner deutlich gesprochenen Worte und deren Anwendung auf ihre eigene Person wahr. »Man muß«, fuhr er fort, »jede Nachsicht walten lassen. Eines Fehlers muß ich jedoch Tom zeihen, den ich ihm nicht vergeben kann, und für welchen ich ihn schwer zur Rechenschaft ziehe.« – Luise sah ihn an und fragte, worin dieser Fehler bestünde?
»Vielleicht«, entgegnete er, »habe ich genug gesagt. Vielleicht wäre es im ganzen besser gewesen, wenn gar keine Anspielung darauf mir entwischt wäre.«
»Sie erschrecken mich, Mr. Harthouse, lassen Sie es mich wissen.«
»Um Sie von unnützer Furcht zu befreien – und da dieses Vertrauen hinsichtlich Ihres Bruders – das ich über alles in der Welt hochschätze, zwischen uns begründet werden – gehorche ich. Ich kann es ihm nicht vergeben, daß er nicht in jedem Worte, Blicke, in jeder Handlung seines Lebens sich empfänglicher für die Neigung seiner besten Freundin zeigt. Für die Ergebenheit seiner besten Freundin, für ihre Uneigennützigkeit, für ihre Aufopferung. Die Erkenntlichkeit, die er ihr, meiner Beobachtung gemäß, erweist, ist eine sehr armselige. Für das, was sie für ihn getan, sollte er ihr ewige Liebe und Dankbarkeit, nicht aber die üble Laune und Grillenhaftigkeit zuteil werden lassen. Ein so unbedachtsamer Mensch ich auch bin, so bin ich doch, Mrs. Bounderby, nicht so unempfindlich, daß ich diesen Fehler in Ihrem Bruder nicht beachten oder geneigt sein sollte, ihn als ein verzeihliches Unrecht anzusehen.«
Das Gehölz schwamm vor ihren Augen, die sich mit Tränen füllten. Sie entsprangen einer tiefen, lang verborgenen Quelle. Ihr Herz war vom stechenden Schmerz überfüllt, das keinen Trost in ihnen fand.
»Mit einem Worte, ich strebe hauptsächlich danach, Mrs. Bounderby, Ihren Bruder hierin zu bessern. Meine bessere Bekanntschaft mit seinen Verhältnissen, meine Leitung und meine Ratschläge, um ihn aus seinen Schwierigkeiten herauszuziehen – hoffentlich von einigem Wert, da dies alles von einem großzügigen Taugenichts kommt – wird mir einigen Einfluß über ihn verschaffen, und meinen ganzen Vorteil werde ich gewiß zu diesem Zweck benutzen. Ich habe genug gesagt und mehr als genug. Es scheint, ich wolle mich für einen guten Kerl ausgeben, da ich doch, bei meiner Ehre, nicht die geringste Absicht hege, dergleichen zu beteuern und offen erkläre, daß ich nichts dergleichen bin. Dort zwischen den Bäumen«, fügte er hinzu, nachdem er die Augen erhoben und um sich geblickt hatte; denn bis jetzt beobachtete er nur Luise, »ist Ihr Bruder selbst – der ohne Zweifel eben gekommen ist. Da er in dieser Richtung herzuschlendern scheint, so dürfte es wohl gut sein, ihm entgegenzugehen, um ihm in den Weg zu treten. Seit kurzem ist er still und düster geworden. Vielleicht ist sein brüderliches Gewissen erwacht, wenn es ein Ding wie ein Gewissen überhaupt gibt. Freilich, ich höre, bei meiner Ehre, ich höre zuviel davon, um daran zu glauben.« Er half ihr beim Aufstehen, worauf sie seinen Arm nahm und sie zusammen vorschritten, um ihrem Bruder zu begegnen. Dieser schlug trägerweise die Zweige, wie er so herschlenderte, oder blieb mißmutig stehen, um mit seinem Stock das Moos von den Bäumen zu reißen. Er schrak auf, als sie auf ihn zukamen, während er mit diesem Zeitvertreib beschäftigt war, und wechselte die Farbe.
»Hallo«, stammelte er, »ich wußte nicht, daß ihr da seid.«
»Tom«, sagte Mr. Harthouse, indem er die Hand auf seine Schulter legte und ihn herumzog, worauf sie alle drei dem Hause zugingen, »wessen Namen haben Sie in die Bäume geschnitten?«
»Wessen Namen?« erwiderte Tom. »Oh! Sie meinen was für einen Mädchennamen?«
»Sie haben das verdächtige Aussehen, den Namen eines holden Wesens in die Rinde geschnitten zu haben, Tom.«
»Schwerlich, Mr. Harthouse. Es sei denn, daß irgendein Engel mit einem namhaften Vermögen, das zu seiner eigenen Verfügung steht, mich auf einmal liebgewänne. Sie könnte auch ebenso häßlich wie reich sein, ohne meinen Verlust zu befürchten. Dann würde ich ihren Namen, so oft sie wollte, einschneiden.«
»Ich fürchte, Sie sind geldsüchtig, Tom.«
»Geldsüchtig?« erwiderte Tom, »wer ist nicht geldsüchtig? Fragen Sie meine Schwester.«
»Hast du einen Beweis, daß dies mein Fehler ist, Tom?« sagte Luise, die nichts weiter über seine Mißlaune und Bosheit äußerte.
»Du mußt am besten wissen, Lu, ob diese Anspielung auf dich paßt«, entgegnete ihr Bruder mürrisch, »wenn sie es tut, so kannst du sie hinnehmen.«
»Tom ist heute Menschenhasser, wie zuweilen alle Leute, wenn sie Sorgen haben«, sagte Mr. Harthouse. »Glauben Sie ihm nicht, Mrs. Bounderby, er weiß es viel besser. Ich werde einige von seinen Urteilen über Sie preisgeben, die er mir privatim mitgeteilt, wenn er nicht ein bißchen aufgeräumter wird.«
»Jedenfalls können Sie, Mr. Harthouse«, sagte Tom, indem er aus Respekt vor seinem Gönner milder ward, aber doch düster den Kopf schüttelte, »ihr nicht sagen, daß ich sie je deshalb gelobt, weil sie geldsüchtig ist. Ich mag sie des Gegenteils wegen gelobt haben, und ich würde es abermals tun, wenn ich guten Grund dazu hätte. Lassen wir aber das jetzt gut sein. Das ist für sie nicht sehr interessant, und mich ekelt die Sache an.«
Sie gingen dem Haus zu, wo Luise den Arm ihres Gastes losließ und hineintrat. Er stand da und betrachtete sie, als sie die Treppe hinaufging und im Dunkel der Tür verschwand. Dann legte er wieder die Hand auf die Schulter ihres Bruders und lud ihn mit einem vertraulichen Nicken zu einem Spaziergang in den Garten ein.
»Tom, mein lieber Junge, ich habe ein Wort mit Ihnen zu sprechen.«
Sie blieben in einer Wildnis von Rosen stehen – es machte einen Teil von Mr. Bounderby's Demut aus, Nickits Rosen in vernachlässigtem Zustande zu halten, und Tom setzte sich auf eine Rasenbank, pflückte Knospen ab und zerriß sie in Stücke, während sein gewaltiger Schutzgeist über ihm mit einem Fuße auf der Rasenbank stand und sein Körper leicht auf dem Arm ruhte, der von dem gebogenen Knie gestützt war. Sie waren just von ihrem Fenster aus sichtbar; vielleicht wurden sie von ihr gesehen.
»Tom, was gibt es?«
»Oh, Mr. Harthouse«, sagte Tom stöhnend, »mir geht's schlimm, und ich weiß nicht mehr aus noch ein.«
»Mein guter Junge, so geht's auch mir.«
»Ihnen?« entgegnete Tom. »Sie sind das leibhaftige Bild der Unabhängigkeit. Mr. Harthouse, ich befinde mich in einer schrecklichen Patsche. Sie haben keinen Begriff davon, in welche Lage ich mich gestürzt habe, – aus welcher Lage meine Schwester mich erretten könnte, wenn sie es nur tun wollte.«
Er fing jetzt an, die Rosenknospen zu zerbeißen, und er riß sie aus seinen Zähnen mit einer Hand, die wie die eines alten kranken Mannes zitterte. Nach einem scharf forschenden Blick auf ihn nahm sein Gesellschafter sein leichtestes Wesen an.
»Tom, Sie erwarten zu viel von Ihrer Schwester, Sie haben Geld von ihr erhalten, Sie Taugenichts, das wissen Sie wohl.«
»Gut, Mr. Harthouse, ich weiß es. Wo sollte ich es sonst hernehmen? Hier ist der alte Bounderby, der stets damit groß tut, daß er in meinem Alter mit zwei Pence monatlich, oder so etwas, gelebt hat. Da ist mein Vater, der, wie er's so zu nennen beliebt, eine Linie zieht und mich mit Kopf und Fuß von Kindheit an daran bindet. Dort ist meine Mutter, die nie etwas besitzt, außer ihren Beschwerden. Was soll man nun tun, um Geld zu erlangen, und wo soll ich's herkriegen, wenn nicht von meiner Schwester?«
Er weinte beinahe und warf die Knospen zu Dutzenden umher. Mr. Harthouse faßte ihn besänftigend bei seinem Rock.
»Aber, mein lieber Tom, wenn Ihre Schwester nichts mehr hat?«
»Nichts mehr hat, Mr. Harthouse? Ich sage ja nicht, daß sie welches hat. Ich dürfte wohl mehr brauchen, als sie wahrscheinlich besitzt. Aber dann sollte sie sich welches verschaffen. Sie könnte es sich verschaffen. Nach dem, was ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, ist es ganz unnütz, aus diesen Dingen ein Geheimnis machen zu wollen. Sie wissen, daß sie den alten Bounderby nicht ihret- oder seinetwegen, sondern meinetwegen geheiratet hat. Warum bemüht sie sich also nicht, meinetwegen das aus ihm herauszukriegen, was ich brauche? Sie ist nicht genötigt, anzugeben, was sie damit anfangen will. Sie ist gescheit genug. Sie könnte es leicht durch Liebkosungen von ihm erlangen, wenn sie nur wollte. Warum aber will sie nicht, wenn ich ihr sage, wie wichtig es für mich ist? Aber nein. Da sitzt sie wie ein Stein in seiner Gesellschaft, anstatt sich liebenswürdig zu zeigen und es leicht zu bekommen. Ich weiß nicht, was Sie davon halten, ich meinerseits halte es für ein unnatürliches Benehmen.«