Schwierige Rollenumkehr - Dorothee Döring - E-Book

Schwierige Rollenumkehr E-Book

Dorothee Döring

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Beschreibung

Die Generation der Babyboomer steht vor einer großen Herausforderung: Die eigenen Eltern werden alt und benötigen Hilfe. Diese neue Verantwortung bringt oft Unsicherheit und Konflikte mit sich, da sowohl Eltern als auch Kinder unvorbereitet in diese Rollenwechsel geraten.

Dieser Ratgeber unterstützt erwachsene Kinder dabei, die Balance zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu finden. Er bietet Denkanstöße und praktische Tipps, um die Angst vor Verantwortung sowie Tabus rund um Alter, Sterben und Tod abzubauen. Themen wie geistige und körperliche Einschränkungen, Demenz und die Belastungen der Langzeitpflege werden ebenso behandelt wie gesunde Abgrenzung und der Umgang mit dem Pflegenotstand.

Ein unverzichtbarer Begleiter für alle, die sich der Pflege und Unterstützung ihrer alternden Eltern stellen müssen und nach Wegen suchen, dies mit Empathie und ohne schlechtes Gewissen zu meistern.

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Seitenzahl: 201

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DOROTHEE DÖRING

 

SCHWIERIGE

ROLLENUMKEHR

 

Die Sandwich-Generation in der Pflicht

 

Ratgeber

Ein Buch aus dem FRANZIUS VERLAG

 

Cover: Simone C. Franzius

Bildlizenzen: shutterstock, Dorothee Döring

Korrektorat: Franzius Verlag

Verantwortlich für den Inhalt des Textes

ist die Autorin Dorothee Döring

Satz, Herstellung und Verlag: Franzius Verlag GmbH

Druck und Bindung: BoD, Norderstedt

 

ISBN 978-3-96050-252-4 (E-Book)

 

Alle Rechte liegen bei der Franzius Verlag GmbH

Hogen Kamp 33, 26160 Bad Zwischenahn

 

Copyright © 2024 Franzius Verlag GmbH

www.franzius-verlag.de

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden, wie zum Beispiel manuell oder mithilfe elektronischer und mechanischer Systeme inklusive Fotokopieren, Bandaufzeichnung und Datenspeicherung. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz. Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.

 

 

 

INHALT

Einführung

I. Familiäre Rollen und ihre Umkehr

II. Konflikte in der Rollenumkehr durch unbewusst übernommene Rollen

1. Erkennen unbewusst übernommener Rollen

1.1 Das Helfersyndrom

1.2 Die Co-Abhängigkeit

1.3 Perfektionismus - Überzogene Ansprüche

2. Konflikte durch erzwungene Rollen

3. Alte Eltern und erwachsene Kinder im Rollenkonflikt

III. Konflikte durch die Begleiterscheinungen des Alters

1. Altern und Hinfälligkeit - Ein Tabu

2. Altersbedingte Veränderungen

2.1 Das Altern der Eltern aus der Wahrnehmung der Kinder

2.2 Das Altern aus der Wahrnehmung der Eltern

IV. Konflikte durch Rollenveränderung

1. Das Dilemma der Sandwich-Generation im Spagat zwischen Erwerbstätigkeit, Kindererziehung und Pflege

2. Achterbahn der Gefühle - Mit der neuen Rolle überfordert

3. Sensible Gratwanderung zwischen Sorge, Fürsorgeund Selbstfürsorge

4. Verantwortung und die Angst vor Übergriffen

5. Organisieren und helfen aus der Ferne

6. Anpassungsprobleme dominanter Eltern

7. Der Umgang mit alt gewordenen Kriegskindern

8. Erschwerte Bedingungen im Rollenwechsel – Kindespflichtnach langen Jahren des Kontaktabbruchs

9. Wenn pflegebedürftige Eltern die Hilfe ihrer Kinder ablehnen

V. Konflikte im Umgang mit wesensveränderten Eltern

1. Alt und eigensinnig - Altersstarrsinn

2. Veränderung der Persönlichkeit durch eine Suchterkrankung

3. Altersdepression - erschwerter Umgang mit alten Eltern

4. Persönlichkeitsveränderung infolge eines Gehirntumors

5. Persönlichkeitsveränderung durch Altersdemenz

5.1 Das Erkennen der Altersdemenz

5.2 Der Umgang mit der Altersdemenz

5.3 Als Sohn im Rollenkonflikt mit einem demenzerkrankten Vater

5.4 Als Tochter im Rollenkonflikt mit einer demenzerkrankten Mutter

6. Überforderung, Übergriffe und ein permanent schlechtesGewissen

VI. Was kann Eltern und Kindern in der Phase der Rollenumkehr helfen?

1. Was kann alten Eltern helfen?

1.1 Rechtzeitig wichtige Fragen klären und Vollmachtenerteilen

1.2 Den Verlust der Autonomie anerkennen und betrauern

1.3 Empathie, Verständnis und Wertschätzung der Kinder

1.4 Loslassen der Vergangenheit und Akzeptanz derGegenwart

2. Was kann pflegenden Kindern helfen? - Überlebenstipps für Elternkümmerer

2.1 Eltern begleiten, Fallen vermeiden

2.2 Empathie für die Situation der Eltern

2.3 Unterstützung durch die Pflegeberatung

2.4 Der ökonomische Umgang mit eigenen Ressourcen - Hilfe, Unterstützung und Entlastung durch Delegieren

2.5 Entlastungsangebote zur Betreuung demenzerkrankter Eltern

2.6 Betreuungsrecht - Wer kümmert sich, wenn Angehörige nicht mehr können?

2.7 Gelassenheit und Geduld oder die Kunst der kleinen Schritte

2.8 Prävention - Selbstschutz und Selbstfürsorge

Abschließende Gedanken

Über die Autorin

Ihre bisherigen Publikationen

Quellen

 

 

Einführung

 

Die Sandwich-Generation erlebt gerade, wie es ist, wenn die eigenen Eltern alt, hilfe- und pflegebedürftig werden. Weder die alternden Eltern noch ihre erwachsenen Kinder sind auf diese Situation vorbereitet und durch die plötzliche Rollenumkehr zutiefst verunsichert.

Wenn die eigenen Eltern alt werden und aus verschiedensten Gründen nicht mehr allein leben können, findet ein Rollenwechsel zwischen den Generationen statt. Die Kinder kümmern sich und übernehmen dann die Verantwortung für ihre hilfebedürftigen Eltern. Doch diese unnatürliche Rollenumkehr, die Eltern- und Kindergeneration unvorbereitet trifft, wird meist von beiden Seiten als Zumutung, manchmal sogar als Krise erlebt, in der zusätzlich bisher verdeckte, ungelöste Konflikte aufbrechen können. Auch krankheitsbedingte Persönlichkeitsveränderungen durch Depressionen oder eine Demenz können in dieser Phase das Eltern-Kind-Verhältnis sehr belasten und immer wieder zu schmerzhaften Missverständnissen führen.

Neben der Herausforderung, Beruf, Erziehung der Kinder und Unterstützung der Eltern miteinander zu vereinbaren, kommt zusätzlich die emotionale Komponente dazu: Der Abschied vom eigenen Kindsein und das Bewusstwerden der Endlichkeit ist oft ein schmerzhafter Prozess.

Dieser Ratgeber lädt dazu ein, über den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit nachzudenken. Er gibt erwachsenen Kindern, die vom Rollenwechsel betroffen sind, hilfreiche Denkanstöße und verfolgt das Ziel, die Angst vor der Verantwortung, aber auch vor den Tabus um Alter, Sterben und Tod abzubauen. Neben den Fragen, die verantwortlichen erwachsenen Kindern auf den Nägeln brennen, steht unter anderem folgende an: Wie steht es mit gesunder Abgrenzung, um sich vor permanent schlechtem Gewissen und Burnout zu schützen?

 

 

 

I. Familiäre Rollen und ihre Umkehr

 

In jeder Familie kann man erkennen, dass die Familienmitglieder unterschiedliche Rollen haben. Einen großen Einfluss auf die Rollenverteilung hat bereits die Geburtenfolge: Das älteste Kind ist der Stammhalter und das »verantwortungsbewusste, loyale Kind«, das zweite das rebellische, das dritte entweder der Clown der Familie oder derjenige, der schnell »unsichtbar« wird und keine Probleme macht, oder es ist das »schwarze Schaf«, das zur Zielscheibe familiärer Aggression wird.

Erstaunlich ist, dass jeder seine Rolle schnell und in der Regel unbewusst einnimmt, sobald er sich in seiner Familie aufhält. Das zeigt sich besonders deutlich bei familiären Zusammenkünften zu Geburtstagen oder zu Weihnachten.

Je nach dem funktionalen Schwerpunkt kann man verschiedene familiäre Rollen unterscheiden. So gibt es die mütterliche und die väterliche Rolle sowie die geschwisterlichen und die kindlichen Rollen. Die erste ist jene, die zwischen Geschwistern eingenommen wird und die Funktion erfüllt, eine kooperative Beziehung zwischen Brüdern und Schwestern zu ermöglichen. Die kindlichen Rollen entsprechen der Bindung, die Kinder gegenüber ihren Eltern haben.

Bei den familiären Rollen kann es durch Veränderung der familiären Konstellation zur Rollenumkehr kommen. Dabei kommt es zwischen Elternteil und Kind zur Überschreitung der Generationsgrenzen. Das Kind übernimmt zum Beispiel »Eltern-Funktionen«. Dies kann sich in unterschiedlichen Bereichen zeigen, unter anderem, wenn ein Kind in der Folge von Trennung oder Scheidung seiner Eltern vom verlassenen Elternteil als Partnerersatz emotional überfordert und damit »missbraucht« wird. In eine unnatürliche Rollenumkehr geraten Kinder auch dann, wenn ihre Eltern depressiv oder suchtkrank sind und sie bereits als Kinder für ihre Eltern sorgen müssen.

Eine Rollenumkehr erlebten auch viele Kriegskinder, deren Väter vermisst oder gefallen waren. Sie wurden in eine erwachsene Rolle gedrängt, ihre Mütter und Geschwister zu trösten und zu beschützen und den nicht mehr vorhandenen Elternteil zu ersetzen.

Meist erfolgt die Rollenumkehr aber erst, wenn die Eltern alt und hilfebedürftig werden und sich ihre erwachsenen Kinder um sie kümmern und Verantwortung und Führung übernehmen müssen.

In der Folge der Rollenumkehr kann es zu unterschiedlichsten Rollenkonflikten kommen.

Ein familiärer Rollenkonflikt kann dadurch entstehen, dass sich Rollenerwartungen nicht mit den persönlichen Interessen und Bedürfnissen eines Familienmitglieds vereinbaren lassen.

Besondere Rollenkonflikte ergeben sich durch unbewusst oder erzwungen übernommene Rollen.

 

 

 

II. Konflikte in der Rollenumkehr durch unbewusst übernommene Rollen

 

1. Erkennen unbewusst übernommener Rollen

 

Häufig bemerken wir nicht, dass wir eine bestimmte Rolle in der Familie spielen. Wir bemerken allenfalls, dass wir uns irgendwie nicht wohlfühlen. Aber wer eine zugeschriebene oder »verordnete Rolle« spielt, ist Befehlsempfänger und nicht der Regisseur seines eigenen Lebensfilms.

 

Maja, 33:

»Ich selbst verstand lange Zeit nicht, was da vor sich ging, und schon gar nicht stellte ich das infrage. Ich akzeptierte, dass mein Bruder der Verantwortungsvollere von uns beiden war, der stets auf Ordnung achtete und seine Wohnung im höchsten Glanz hielt. Er hatte sein Leben immer wunderbar im Griff. Ich dagegen war eine Chaotin, die sich kaum Sorgen um die Zukunft machte. Als Jugendliche schwänzte ich häufig die Schule und genoss stattdessen die Stille in der Natur. Zu Hause war ständig etwas los und mir zu laut. Ich lernte sehr gerne, aber nicht für die Schule. Meine Noten schwankten zwischen einer Eins und einer Fünf, je nach Fach. Ich vermute, dass deshalb meine Rolle in der Familie wohl »die chaotische Faule« war. Ich selbst sah mich so nicht, sondern eher in der Rolle eines Freigeistes, als jemand, der gerne grenzenlos denkt.«

 

Das Beispiel zeigt, wie sehr Eigen- und Fremdwahrnehmung voneinander abweichen können und wie schnell man von seiner Familie eine Rolle zugewiesen bekommt, die oft nicht passt. Meist übernehmen wir sogar die uns zugeschriebenen Rollen in unser Erwachsenenleben, in unsere Partner- und Familienrolle, weil wir sie nicht als falsch erkennen. Aber ohne zugeteilte und unbewusst übernommene Rollen zu erkennen, hat die Familie Macht über uns und es ist kaum möglich, diesem Image zu entkommen. Das kann fatale Folgen haben.

 

Natascha, 56:

»Ich war ein Nachkömmling und das Nesthäkchen in der Familie mit großem Altersabstand zu meinen drei Geschwistern. Da ich die Letzte war, die noch zu Hause bei den Eltern lebte, übernahm ich unbewusst den familiären Auftrag, mich um meine alternden Eltern zu kümmern. Als mein Vater starb, hatten meine Geschwister schon lange ihre eigenen Familien, und so war es unausgesprochen klar, dass ich mich um Mama zu kümmern hatte. Ich habe funktioniert und meine Rolle nie hinterfragt, bedauere aber, dass dadurch eine eigene Lebensplanung auf der Strecke geblieben ist.«

 

Manchmal nehmen Kinder in einem Familiensystem Rollen oder Positionen ein, die sich aus den Interaktionen der Eltern und weiterer Familienmitglieder ergeben.

 

Thilo, 52:

»Ich war in meiner Familie der Symptomsprenger. Erst viel später ist mir im Rahmen einer Therapie klar geworden, dass diese unbewusst übernommene Rolle dazu diente, das System Familie über mein herausforderndes, aggressives Verhalten zusammenzuhalten. Für mich war es wichtig, diese Rolle zu verlassen, um nicht dauerhaft von ihr gesteuert zu werden.«

 

Unbewusst übernommene Rollen müssen nicht problematisch sein, wenn sie dem eigenen Wesen entsprechen. Tun sie es nicht, verhindern sie die Entwicklung einer eigenen Identität.

 

Mit jeder Rolle sind Anforderungen verbunden. Manche davon stimmen mit Ihren persönlichen Werten überein und Sie werden sie leicht ausfüllen. Andere Rollen haben vielleicht einmal zu Ihnen gepasst, aber jetzt sind Sie herausgewachsen wie aus einem Kleid aus Kindertagen und sie sind unbequem. Wenn Sie ständig in einer falschen Rolle stecken, dann leben Sie nicht authentisch, ignorieren Ihre Identität und berauben sich Ihrer Lebensfreude.

Wenn Sie sich von einer unbewusst übernommenen Rolle lösen möchten, ist es jederzeit möglich, auszusteigen. Voraussetzung ist aber, die unpassende Rolle zu erkennen. Seien Sie sich aber bewusst, dass die übrigen Familienmitglieder sich mit allen Mitteln gegen eine Veränderung wehren.

Zunächst geht es darum, zugeschriebene, unbewusst übernommene Rollen zu erkennen und zu hinterfragen, um für sich selbst Rollenklarheit zu gewinnen. Das ist in drei Schritten möglich:

Erwartungen bewusst machen: Machen Sie sich zuerst bewusst, welche Rolle Sie in Ihrer Familie einnehmen und warum das so ist. Werden Sie sich auch klar, welche Rollen die anderen Familienmitglieder spielen.

Erwartungen klären: Sprechen Sie mit Ihren Familienmitgliedern offen darüber, dass Sie sich in Ihrer Rolle unwohl fühlen und diese verlassen möchten. Rechnen Sie dabei aber eher nicht mit der Unterstützung Ihrer Familie.

Erwartungen anpassen: Klären Sie zunächst einmal ab, was für Sie wirklich wichtig ist und was Ihnen entspricht. Klären Sie Ihre eigene Erwartung und fragen Sie sich: »Welche Rolle passt zu mir?«

 

1.1 Das Helfersyndrom

 

Das Helfersyndrom kann eine unbewusst übernommene Rolle sein, um sich innerhalb der Familie unentbehrlich zu machen und seine Daseinsberechtigung zu beweisen. Oft sind diejenigen davon betroffen, die eine schwierige Position in der »Rangordnung der Liebe« innerhalb der Familie haben. Helfende versuchen, ihren Status innerhalb der Familie zu verbessern, insbesondere, wahrgenommen zu werden. Gebraucht zu werden, kann zur Sucht werden und zu Konflikten führen, besonders, wenn andere das ausnutzen.

 

Was versteht man unter einem Helfersyndrom?

 

Das Konzept des Helfersyndroms wurde zum ersten Mal 1977 vom Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer beschrieben. Er ging davon aus, dass Menschen mit einem Helfersyndrom in ihrer Kindheit nicht die Liebe, Akzeptanz und Unterstützung erhalten haben, die sie gebraucht hätten. Dadurch hätten sie ein geringes Selbstwertgefühl. Zudem hätten sie in ihrer Kindheit ein Verhaltensmuster gelernt, bei dem sie sich in Beziehungen überwiegend als Helfer anböten, um auf diese Weise Anerkennung, Dankbarkeit und Zuneigung zu bekommen.

Im Erwachsenenalter setzt sich dieses Verhalten fort. Die Betroffenen fühlen sich nur dann geliebt, fähig und wertvoll, wenn sie anderen ständig helfen bzw. sich für diese »aufopfern« und dabei das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Charakteristisch ist zum Beispiel, dass sie anderen im vorauseilenden Gehorsam - und oft sogar ungefragt - helfen oder Aufgaben übernehmen, ohne dass sie jemand darum gebeten hat.

Sie haben Schwierigkeiten, »nein« zu sagen und wenn sie anderen einmal nicht helfen oder wenn sie sich selbst etwas Gutes tun, haben sie schnell ein schlechtes Gewissen und fühlen sich egoistisch.

Weiterhin fällt es den Betroffenen häufig schwer, eigene Fehler und Schwächen einzugestehen und selbst Hilfe anzunehmen.

Typisch für das Helfersyndrom ist auch, dass der Betroffene unabhängig davon hilft, ob seine Hilfe überhaupt erwünscht oder sinnvoll ist. So kann es sein, dass Menschen mit Helfersyndrom anderen ihre Hilfe aufdrängen, dass die Hilfe dem Empfänger sogar schadet - z.B., weil sie verhindert, dass er Dinge in die Hand nimmt und seine Probleme selbst löst.

Durch ihr aufopferndes Verhalten befriedigen die Betroffenen unbewusst eigene Bedürfnisse, nämlich nach einem positiven Selbstwertgefühl, Zugehörigkeit und gesellschaftlicher Anerkennung. Außerdem ermöglicht dieses Verhalten dem Helfer, sich nicht mit eigenen psychischen oder sozialen Problemen und seinem eigenen Leben auseinanderzusetzen.

 

Ines, 42:

»Ich habe von meiner Mutter unbewusst das Helfersyndrom übernommen, mich um alles zu kümmern und alles dafür zu tun, dass andere sich wohlfühlen. Ich habe nie hinterfragt, ob es meine selbstgewählte Rolle ist oder eine, die zu mir passt. Natürlich hat es mir auch geschmeichelt, für mein ständiges Helfen gelobt zu werden. Wenn aber die erhoffte Anerkennung ausblieb und mein Einsatz als Selbstverständlichkeit hingenommen wurde, fühlte ich mich ausgenutzt. Meine Bilanz stimmte einfach nicht mehr und ich fühlte mich betrogen. Irgendwann erkannte ich, dass ich mich in einer Abhängigkeit befand und beschloss, mich daraus mit Hilfe einer Therapie zu befreien.«

 

Menschen wie Ines vernachlässigen ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse und körperlichen Grenzen. Dadurch schaden sie sich letztlich selbst. Mit der Zeit fühlen sie sich erschöpft und oft auch ausgenutzt und missbraucht. Manche Betroffenen helfen anderen auf eine Art, die für sie selbst riskant ist: Zum Beispiel leihen sie anderen größere Summen Geld, übernehmen für sie eine Bürgschaft oder melden deren Auto oder Handy auf ihren Namen an.

Besonders problematisch ist es, dass Menschen mit einem Helfersyndrom durch ihre ständige Hilfe Anerkennung und Dankbarkeit bekommen möchten. Es kann jedoch sein, dass der Empfänger die Hilfe gar nicht möchte oder sie irgendwann als selbstverständlich ansieht - und der Helfende dann nicht die Anerkennung und Dankbarkeit bekommt, die er sich wünscht. Wenn - wie bei Ines - der »Lohn« für ihre Verausgabung in Form von Anerkennung oder Lob ausblieb, fühlte sie sich betrogen. Ines hat erkannt, dass sie sich in einer von ihrer Mutter unbewusst übernommenen Rolle der Abhängigkeit befindet, der sie nur mit professioneller Hilfe entkommen kann.

 

1.2 Die Co-Abhängigkeit

 

Unter Co-Abhängigkeit versteht man suchtförderndes Verhalten gegenüber suchtkranken Menschen, das oft – wie das Helfersyndrom – eine unbewusst übernommene Rolle ist.

»Co-Abhängigkeit« beschreibt ein Verhalten beispielsweise von Angehörigen oder nahen Bezugspersonen, das dazu beiträgt, Symptome einer Suchterkrankung zu minimieren oder zu bagatellisieren: Zum Beispiel bezahlen sie suchtbedingte Schulden, entschuldigen suchtbedingtes Verhalten oder reden Konsequenzen klein. Angehörige leiden oft unter Schuld- und Schamgefühlen und tun alles, um den Schein zu wahren. Doch dieses Verhalten unterstützt eher die Betroffenen dabei, weiter mit der Sucht zu leben, als von ihr loszukommen. Am Ende bestimmt das Verhalten der/des Abhängigen das Leben der Angehörigen so stark, dass diese oftmals selbst professionelle Hilfe brauchen.

Sucht in der Familie - und in der Folge die Co-Abhängigkeit - ist ein transgenerationales Thema. Besonders gefährdet für eine Co-Abhängigkeit sind die Kinder suchtkranker Eltern, denn die Betroffenen haben oft schon in ihrer Kindheit co-abhängiges Verhalten gelernt. Sie haben zum Beispiel Aufgaben für den suchtkranken Vater oder die suchtkranke Mutter übernommen und die Sucht vor anderen verheimlicht. Dieses Verhalten setzt sich oft unbewusst im Erwachsenenleben fort: Sie suchen sich oder »geraten« an einen Partner, der ebenfalls eine Sucht hat.

Ein co-abhängiges Beziehungsverhältnis beginnt oft kaum wahrnehmbar und ist selten eine bewusste Entscheidung. Oft handelt es sich um unbewusst erlerntes Verhalten. Wachsen Kinder mit einem suchtkranken Elternteil auf, ist die Gefahr der Co-Abhängigkeit hoch: Sie tun alles für die Liebe und Aufmerksamkeit ihrer Bezugspersonen, verfallen automatisch in unterstützende und kontrollierende Verhaltensmuster und geben ihre erlernte Co-Abhängigkeit transgenerational weiter.

 

Miriam, 42:

»Eines Tages kamen wir in unserer Familie an den Punkt, an dem die Trinkerei meines Vaters außer Kontrolle geriet. Er hatte seinen Konsum nicht mehr im Griff. Meine Mutter hielt sich über viele Jahre hinweg für stark genug, mit dieser Krise fertig zu werden. Wir alle hatten Angst um unsere Familie und wollten nicht, dass sie zerbricht. Um jeden Preis versuchten wir, die Familie zusammenzuhalten und begannen, die Sucht meines Vaters zu kontrollieren. Die Wohnung wurde nach Weinverstecken abgesucht und die Flaschen im Anschluss ausgeschüttet. Seine Aufgaben im Haus haben sich wie selbstverständlich auf uns übertragen. Meinen Großeltern wurde bei Bedarf eine kleine Notlüge aufgetischt und vor Freunden das Alkoholproblem vertuscht. Nach außen hin taten wir immer so, als hätten wir alles im Griff. Ein verhängnisvoller Kreislauf der Co-Abhängigkeit entstand, der dazu führte, dass auch ich durch die Alkoholabhängigkeit meines Mannes nach dem erlernten Muster zur Co-Abhängigen wurde.«

 

Das Beispiel zeigt, dass die Rolle der Co-Abhängigkeit transgenerational von der Mutter auf die Tochter weitergegeben wurde. Miriam wurde bereits in ihrer Herkunftsfamilie auf ihre Rolle »Co-Abhängigkeit« konditioniert.

Co-Abhängige wollen helfen, verkennen dabei aber, dass sie durch ihr Engagement selbst in eine Abhängigkeit geraten. Darüber hinaus fördern sie das Suchtverhalten, indem sie:

das Suchtproblem verdrängen, verleugnen oder verharmlosen: Dieses Verhalten ist allerdings auch Teil eines Schutzverhaltens von Angehörigen,

das Suchtmittel besorgen bzw. den Zugang zu ihm fördern: Alkohol einkaufen oder Geld dafür »zustecken«,

jegliche Verantwortung für das Leben der/des Betroffenen übernehmen: z.B. Alltagsverpflichtungen sowie die Abnahme von Belastungen, die Verantwortung für negative Folgen des Suchtverhaltens im sozialen Leben,

das Suchtverhalten verheimlichen oder entschuldigen.

 

Diese Verhaltensweisen sind kontraproduktiv und suchtfördernd, da sie eine suchtkranke Person nicht dabei unterstützen, sich mit dem Suchtverhalten und dessen Folgen auseinanderzusetzen bzw. sich ihrem Problem zu stellen.

Der Wunsch, einem suchtkranken Familienmitglied helfen zu wollen, ist legitim und menschlich. Angehörige fühlen sich meist schuldig, wenn ihnen das nicht gelingt. Ein erster wichtiger Schritt aus einer Co-Abhängigkeit ist, sich einzugestehen, dass man allein nicht weiterweiß.

Manchmal gibt es bereits andere Angehörige von suchtkranken Menschen im näheren Umfeld oder Selbsthilfegruppen, mit denen Sie sich austauschen können. Oder holen Sie sich Hilfe bei einer Suchtberatungsstelle, um zu erfahren, wie Sie suchtförderndes Verhalten vermeiden können.

 

1.3 Perfektionismus - Überzogene Ansprüche

 

Auch Perfektionismus kann eine unbewusst übernommene Rolle sein, um seinen familiären Status zu verbessern und über außergewöhnliche Leistungen Anerkennung und Zuwendung zu bekommen. Perfektionismus ist oft die Folge autoritärer Erziehung. Unter Perfektionismus leiden vor allem Menschen, die von ihren Eltern streng und kontrollierend erzogen wurden. Sie beziehen ihren Selbstwert aus Leistung und stellen an sich und andere extrem hohe Ansprüche.

 

Marianne, 81:

»Ich bin ein Kriegskind und zudem ein Flüchtlingskind. Bei uns ging es darum, angepasst zu sein und nicht aufzufallen. Meine Eltern haben schwer geschuftet, um sich ein neues Leben aufzubauen. Sie waren gnadenlos sich selbst, aber auch uns Kindern gegenüber. Leistung war ganz wichtig, Mittelmaß gab es nicht. So wurden meine Geschwister und ich zu Perfektionisten erzogen, zu Vorzeigekindern, mit denen meine Eltern punkten konnten. Leider war das eine Hypothek fürs Leben, denn wir Kinder haben diese Prägung unbewusst an unsere Kinder weitergegeben.«

 

Mariannes Kriegseltern hatten – nach allem, was sie selbst erlebt hatten – nur wenig Verständnis für die »banalen« Probleme ihrer Kinder. Stattdessen erwarteten sie Leistung und Fleiß bis hin zum Perfektionismus und vor allem Dankbarkeit. Schließlich mussten die Eltern im Krieg und in der Nachkriegszeit viel entbehren und leisten, und das forderten sie auch von ihren Kindern.

 

Marianne erkennt, dass ihr durch die Erziehung zum Perfektionismus eine Rolle zugeteilt wurde, die sie unbewusst übernommen und an die nächste Generation weitergegeben hat.

 

Wie aber ist es möglich, sich aus dieser unfreiwilligen Rolle zu befreien?

Machen Sie sich bewusst, dass Perfektion nur eine Illusion ist, die nur in Ihrem Kopf existiert. Erwarten Sie keine 100%ige Lösung, sondern lernen Sie, Mut zur Lücke zu haben und mit 80% zufrieden zu sein (Pareto-Regel).

Sie können Ihren Perfektionismus ablegen, wenn Sie es lernen, großzügiger mit sich selbst zu sein. Anstatt sich immer nur auf Ihre Schwächen zu konzentrieren, sollten Sie sich auf Ihre Stärken fokussieren und sie ausbauen.

Lernen Sie, sich selbst so zu akzeptieren, wie Sie sind. Befreien Sie sich von der Vorstellung, anderen gefallen zu müssen.

Da die Ursache von Perfektionismus ein geringes Selbstwertgefühl ist, sollten Sie dieses stärken. Erst wenn Sie mit sich selbst im Reinen sind, werden Sie Ihren Selbstwert nicht mehr von Leistung abhängig machen.

Lernen Sie, sich selbst so zu behandeln, wie Ihren besten Freund bzw. Ihre beste Freundin.

 

Als ich mich selbst zu lieben begann,habe ich verstanden,dass ich immer und bei jeder Gelegenheitzur richtigen Zeit am richtigen Ort binund dass alles, was geschieht, richtig ist - von da an konnte ich ruhig sein.Heute weiß ich, das nennt man Vertrauen:Als ich mich selbst zu lieben begann,konnte ich erkennen,dass emotionaler Schmerz und Leidnur Warnung für mich sind,gegen meine eigene Wahrheit zu leben.Heute weiß ich, dass nennt man authentisch sein.Als ich mich selbst zu lieben begann,habe ich aufgehört,mich nach einem anderen Leben zu sehnenund konnte sehen, dass alles um mich herumeine Aufforderung zum Wachsen war.Heute weiß ich, dass nennt man Reife.Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen,Konflikten und Problemen mit uns selbstund anderen zu fürchten,denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinanderund es entstehen neue Welten.Heute weiß ich, das ist das Leben.

(Charlie Chaplin)

 

2. Konflikte durch erzwungene Rollen

 

Durch Erziehung und Prägung kann man durch Erwartungen in erzwungene Rollen geraten und damit oft sogar in ein moralisch-ethisches Dilemma.

Für diejenigen, die noch christlich sozialisiert wurden, gilt das vierte Gebot als moralischer Kompass (»Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das der Herr, dein Gott, dir geben wird.«). Es ruft den erwachsenen Kindern die Pflichten gegenüber den Eltern in Erinnerung, ihnen im Alter, in Krankheit, Einsamkeit oder Not beizustehen und sie zu unterstützen. Dieses Gebot kann erwachsene Kinder in erzwungene Rollen zwingen und moralischen Druck auslösen. Erzwungene Rollen nehmen Menschen ihren persönlichen Entwicklungsspielraum und ihre Entscheidungsfreiheit. Das ist besonders in totalitären Glaubensgemeinschaften zu beobachten. Über ihre Erfahrungen mit dem Sektenleben gibt das Selbsterfahrungsbuch von Monika Deppe Auskunft: »Die Zeugen Jehovas. Auch ich habe ihnen geglaubt/Sanfter Einstieg, harter Ausstieg.«1

 

Auch das Buch »Das eiskalte Paradies«2 von Jana Frey basiert auf einer wahren Begebenheit und erzählt sehr anschaulich, mit welchen emotionalen Tricks Sektenmitglieder gewonnen werden und wie die Zeugen Jehovas ein 15-jähriges Mädchen unter Druck setzen, in ihrer Sekte zu bleiben. Es wird deutlich, wie sehr sich das Mädchen als Zeugin Jehovas zunächst als »Auserwählte« betrachtete, in dieser Rolle gefiel und ihre Außenseiterrolle in der Schule eine Zeitlang scheinbar gut verkraftete.

Das Buch macht die »totalitären Mechanismen«, die durchorganisierte Kontrolle über das Individuum und die Isolation Betroffener deutlich. Der Schwerpunkt wird auf die psychische Abhängigkeit und Ausweglosigkeit gelenkt, die diese Gemeinschaft mit sich bringt und auf die Erkenntnis, wie wichtig persönliche Freiheit ist, über sich und sein eigenes Leben selbst zu entscheiden, es individuell zu gestalten und keinem Stundenplan folgen zu müssen, den andere erstellt haben.

 

Aber auch viele pflegende Kinder geraten in Konflikte durch erzwungene Rollen. Sie empfinden eine hohe moralische Verpflichtung und fühlen sich an ihr Versprechen gebunden, sich im Alter um ihre Eltern zu kümmern.

 

In einem Beratungsgespräch beginnt eine Frau bitterlich zu weinen. Sie sagt: