Secret Elements 8: Im Zeichen des Zorns - Johanna Danninger - E-Book

Secret Elements 8: Im Zeichen des Zorns E-Book

Johanna Danninger

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Beschreibung

**Stell dich deinem schlimmsten Gegner und finde den Weg zur Rettung**  Jay bräuchte dringend Zeit, um die Scherben aufzusammeln, die einmal ihr perfektes Leben waren. Doch der Weltenfresser erlaubt ihr keine Verschnaufpause. Dass sie in diesem Kampf auch noch ständig mit Lee aneinandergerät, der ihr sehr viel tiefer unter die Haut geht, als sie wahrhaben will, treibt sie bis an ihre Grenzen. Besonders als sich der Konflikt auf eine unerwartete Ebene verlagert. Wenn Jay die Kontrolle behalten will, braucht sie schleunigst wieder festen Boden unter den Füßen. Oder hat sie die Kontrolle vielleicht bereits verloren? Leser*innen über »Secret Elements«, eine der erfolgreichsten Fantasy-Reihen in der Geschichte von Carlsen Impress:   »Diese Reihe ist seit Langem das Beste, was ich gelesen habe.«   »Ich liebe es!!! Wirklich. Ein fantastisches Buch!«   »Eine Story, die einen auch über sich selbst und seine Umwelt nachdenken lässt.«  Dein Fantasy-Lese-Highlight 2023 ist nur wenige Seiten entfernt.   //Alle Bände der »Secret Elements«-Reihe:   -- Secret Elements 0: Secret Darkness: Im Spiegel der Schatten (Die Vorgeschichte)   -- Secret Elements 1: Im Dunkel der See   -- Secret Elements 2: Im Bann der Erde   -- Secret Elements 3: Im Auge des Orkans   -- Secret Elements 4: Im Spiel der Flammen   -- Secret Elements 5: Im Schatten endloser Welten   -- Secret Elements 6: Im Hunger der Zerstörung   -- Secret Elements 7: Im Rätsel vergangener Zeiten  -- Secret Elements 8: Im Zeichen des Zorns   -- Secret Elements 9: Im Licht göttlicher Mächte -- Die E-Box mit den Bänden 0-4 der magischen Bestseller-Reihe -- Die E-Box mit den Bänden 5-9 der magischen Bestseller-Reihe//

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Johanna Danninger

Secret Elements 8: Im Zeichen des Zorns

**Stell dich deinem schlimmsten Gegner und finde den Weg zur Rettung.**

Jay bräuchte dringend Zeit, um die Scherben aufzusammeln, die einmal ihr perfektes Leben waren. Doch der Weltenfresser erlaubt ihr keine Verschnaufpause. Dass sie in diesem Kampf auch noch ständig mit Lee aneinandergerät, der ihr sehr viel tiefer unter die Haut geht, als sie wahrhaben will, treibt sie bis an ihre Grenzen. Besonders als sich der Konflikt auf eine unerwartete Ebene verlagert. Wenn Jay die Kontrolle behalten will, braucht sie schleunigst wieder festen Boden unter den Füßen.

Oder hat sie die Kontrolle vielleicht bereits verloren?

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Vita

© privat

Johanna Danninger, geboren 1985, lebt als Krankenschwester mit ihrem Mann, einem Hund und zwei Katzen umringt von Wiesen und Feldern im schönen Niederbayern. Schon als Kind dachte sie sich in ihre eigenen Geschichten hinein. Seit sie 2013 den Schritt in das Autorenleben wagte, kann sie sich ein Dasein ohne Tastatur und Textprogramm gar nicht mehr vorstellen. Und in ihrem Kopf schwirren noch zahlreiche weitere Ideen, die nur darauf warten, endlich aufgeschrieben zu werden!

KAPITEL 1

Zwischen mir und Lee war es aus. Einfach so. Zack! Beziehung beendet, Herz aus der Brust gerissen, Jay kaputt.

Was für eine verfluchte Scheiße …

Ich saß in meiner Wohnung auf der Couch, den Kopf in den Nacken gelegt und einen eiskalten Waschlappen auf dem Gesicht, um meine geschwollenen Augen wieder in den Griff zu kriegen. Es war etwa sechs Stunden her, seit ich im angekokelten Ballkleid mein Apartment betreten hatte und heulend auf dem Boden zusammengebrochen war. Irgendwann hatte ich mich aufgerappelt, um zu duschen. Dabei waren mir wieder die Tränen gekommen. Dann hatte ich auf das Einstein-Kissen eingedroschen. Natürlich heulend. Zwischenzeitlich mal nur schniefend und hicksend, bis meine Tränentanks wieder aufgefüllt waren. Zusammengefasst hatte ich den totalen Heulmarathon hinter mir und alles war einfach bloß zum Kotzen.

Inzwischen war ich körperlich so am Ende, dass ich ohne Probleme hätte einschlafen können. Was auch bitter notwendig gewesen wäre. Aber in einer halben Stunde sollte ich im Mannschaftsraum antanzen. Mein Dad hatte dort ein Treffen anberaumt, um die aktuelle Sarlak-Lage zu besprechen. Weil es den Weltenfresser freilich einen Scheißdreck kümmerte, ob ich am Rumheulen war oder ob Team 8 heute eigentlich einen freien Tag hatte. Globale Bedrohungen hielten sich eben selten an private Befindlichkeiten und Dienstpläne.

Ich wollte nicht zu dieser Besprechung, weil Lee natürlich auch da sein würde. Ich wollte weder ihn noch sonst jemanden sehen. Und vor allem wollte ich nicht, dass jemand mich und mein verquollenes Gesicht sah, darum ja auch der kalte Waschlappen. Zum einen hatte ich keine Lust, es zu erklären, und zum anderen war es mir einfach bloß peinlich.

Früher hatte ich mich immer darüber lustig gemacht, wenn meine Mitschülerinnen und Mitbewohnerinnen wieder mal einem Herzschmerzdrama erlagen und wegen irgendeines Kerls rumflennten, während Schnulzen liefen und kiloweise Schokolade verdrückt wurde. Jetzt war ich plötzlich auch so eine?

Nein. Nein, nein, nein. Das kam überhaupt nicht infrage. Ich würde nicht zulassen, dass Lee mich zerstörte. Das gönnte ich ihm nicht!

Wütend drehte ich den lauwarmen Waschlappen um und patschte mir die noch kalte Seite auf die Augen.

Eigentlich brauchte ich gar nicht so schockiert zu tun. Ich hätte wissen müssen, dass Lee mir früher oder später wehtun würde. Ich war oft genug bitter von meinen Mitmenschen enttäuscht worden und hatte mich lange nur noch auf mich selbst verlassen. Dann war ich in die Anderswelt geschleudert worden und hatte zu meiner eigenen Überraschung gelernt, wieder zu vertrauen. Ich hatte erfahren, wie wundervoll der Rückhalt von Freunden sein konnte und wie ungemein stärker es machte, sich der Unterstützung anderer zu öffnen. Sich auch mal anzulehnen. Vielleicht sogar schwach zu sein.

Vor Lee war ich schwächer gewesen als vor sonst jemandem. Weil ich aus tiefstem Herzen gewusst hatte, dass er mich auffangen würde. Dass ich bei ihm in Sicherheit war.

Tja, da hatte mein Herz mich aber schön verarscht …

Lee hatte mich weggeschickt. Er brauchte eine Pause, weil es ihm zu viel war. Also, weil ihm alles zu viel war, was mit mir zu tun hatte. Ich war zu viel. Zu anstrengend. Darum weg damit. Er hatte da keinen Bock mehr drauf. Sollte sich doch jemand anders mit dieser Belastung namens Jay herumschlagen.

Die alte Leier halt. Jay war schon immer zu viel gewesen. Zu laut, zu aufmüpfig, zu rabiat, zu eigensinnig … insgesamt eine einzige Zumutung, darum entweder zurück zum Absender oder direkt weiter ins nächste Heim, wo man vielleicht besser mit diesem Störfaktor klarkam.

Ich schnaubte frustriert gegen den Waschlappen. Bei dem ganzen Lee-Desaster schwang noch ein Part mit, der mich leider schwer an meine Vergangenheit erinnerte. Auch da hatte es viele Situationen gegeben, in denen man mir vorurteilsbedingt meine Unschuld nicht glauben wollte. Genau wie bei meinem vermeintlichen Angriff auf die Signora.

Die Finte der Venetura-Weiber war voll aufgegangen. Da hatte ich mich noch gezwungen, Chiara aus anderen Augen zu betrachten, und versucht, aus ihrem teils widersprüchlichen Verhalten schlau zu werden, nur um jetzt festzustellen, dass mich mein inneres Zickenbiest überhaupt nicht getäuscht hatte. Hinter ihrer vordergründigen Unschuldslamm-Fassade hatte Chiara die ganze Zeit subtil gegen mich gearbeitet. Und der finale Schlag würde vor Raffinesse selbst die krasseste Superschurkin vor Neid erblassen lassen.

Erst noch einen auf gute Freundin machen und Lee davon überzeugen, mich zu dem Ball mitzunehmen, damit mir Mama am Käsebuffet den gesellschaftlichen Todesstoß verpassen konnte … Das war schon echt die High-End-Version von Intrige. Alle Achtung, Miss Mortadella!

Für meine Zukunft mit Lee hatte ich mich an diesem Abend verbogen wie wahrscheinlich nie zuvor, um Erwartungen zu entsprechen, die ich selbst total lächerlich fand. Dramatisch gesprochen hatte ich mich selbst verraten. Und wofür? Nur um letztendlich für genauso gesellschaftsunfähig befunden zu werden, als hätte ich mir gar nicht erst die Mühe gemacht.

Beim Hochadel war ich jetzt endgültig unten durch. Den Versuch, die privilegierten Zeugen des angeblichen Angriffs von der Wahrheit zu überzeugen, konnte ich mir sparen. Aus ihrer Sicht hatte ich nur bestätigt, was sie doch schon die ganze Zeit über mich gewusst hatten. Nämlich, dass ich eine aggressive Wilde aus der Gosse war, die in ihrer Welt nichts verloren hatte.

Bei Letzterem waren wir uns übrigens einig, denn was ich an diesem Abend an Verlogenheit und falschem Getue erlebt hatte, war einfach nur furchtbar. Definitiv eine Welt, in der ich überhaupt nichts verloren haben wollte, darum war es mir scheißegal, was diese Schnösel über mich dachten.

Aber bei Lee war es mir nicht egal. Es war absolut nicht egal, ob er mir glaubte oder nicht. Er hätte nicht den geringsten Zweifel an meiner Version der Geschichte haben dürfen. Stattdessen glaubte er mir – Zitat: »Keine Ahnung, wahrscheinlich schon.«

Das tat unfassbar weh. Einfach alles tat unfassbar weh. Ich bestand praktisch aus Schmerz und ich hasste es, dass ich Lee überhaupt die Macht gegeben hatte, mich dermaßen zu verletzen.

Und ich hasste es, dass Chiara gewonnen hatte. Wenn auch eher zufällig, denn letztlich war die Käsemesser-Intrige nicht das eigentliche Problem. Die Situation hatte bloß in einen Konflikt hineingeschossen, der überhaupt nichts mit Chiara zu tun hatte. Tatsächlich war die italienische Schönheit nie ein bedeutendes Problem zwischen Lee und mir gewesen. Sicher, wir hatten uns ein paarmal ihretwegen gestritten, doch bei genauerer Betrachtung war es selbst da eigentlich nicht direkt um sie gegangen, sondern um etwas anderes. Man könnte sagen, Chiara war von Beginn an unser personifizierter Trigger für folgende zwei Punkte gewesen:

Erstens hatte Lee mich so penibel von seiner Familie fernhalten wollen, dass er alles, was man irgendwie mit Hochadel verknüpfen könnte, totgeschwiegen hatte, weil ich – zweitens – aufgrund meines eigensinnigen Charakters sowieso nicht in diese Welt passte.

Dabei lag die Betonung auf eigensinniger Charakter. Der war es nämlich, von dem Lee die Nase voll gehabt hatte. Nicht zwingend bezogen auf seine Familie oder irgendwelche Hochadelsstatuten, sondern im Allgemeinen. Es war meine kämpferische Persönlichkeit, die Lee zu viel geworden war. Weder Chiara noch die Signora hatten uns auseinandergebracht, sondern die Jaypower. Salopp gesagt.

Lee war der Meinung gewesen, er könnte es nicht mehr ertragen, dass ich mich ständig komplett hirnlos in Gefahr stürzte. Zum einen stimmte das überhaupt nicht und zum anderen war der Vorwurf reichlich unfair. Ich hatte mein Bestes gegeben, um es für Lee irgendwie leichter zu machen. Er wiederum hatte mir versprochen, sich mit seinen Verlustängsten und Kontrollzwängen auseinanderzusetzen. Weil er mich in meiner Entscheidung, wieder Trägerin zu sein, hatte unterstützen wollen.

Zu meinem Job als Trägerin gehörte es aber eben auch, dem Sarlak durch ein Portal hinterherzuspringen. Wie hätte ich Lee denn in diese sekundenschnelle Handlung einbeziehen sollen? Ich war meinem Kampfreflex gefolgt, nicht mehr und nicht weniger. In diesem Moment war ich durch und durch Trägerin gewesen.

Und im Anschluss daran hatte mir Lee erklärt, dass er jetzt endgültig die Schnauze voll davon hätte.

Ich hab genug davon …

Ich halte das nicht mehr aus …

Ich brauche eine Pause …

Diese drei Sätze hallten am lautesten in mir nach und der finale Paukenschlag war folgender Dialog gewesen:

Eine Pause wovon?, hatte ich gefragt. Von mir?

Ja.

Ja …

Ein tiefes Schluchzen wollte sich meine Kehle hinaufbahnen, doch dann ballten sich meine Hände zu Fäusten und ein willkommenes Gefühl legte sich über meinen Schmerz. Hallo, innere Kriegerin! Was war ich froh, dass sie sich endlich meldete und die Heulsuse mit einem Arschtritt davonjagte. Ich brauchte Lee nicht. Ich kam hervorragend ohne ihn zurecht. Mein ganzes Leben lang war ich hervorragend zurechtgekommen, weil ich eine verdammte Kämpferin war!

Ja, das gefiel mir schon besser. Mit dieser kriegerischen Grundstimmung war ich gegen die Begegnung mit Lee und Chiara gewappnet. So aufgeladen war ich praktisch für alles gewappnet. Von mir aus tauchte der Sarlak auch gleich bei der Besprechung auf. Dann hätte ich wenigstens ein tolles Ziel, auf das ich die sengende Hitze des Zorns in mir loslassen konnte.

Aber solange er sich nicht blicken ließ, musste ich meine Aggressionen bei mir behalten. Auch wenn es mich nach wie vor arg in den Fingern juckte, Chiara das Gesicht zu zerkratzen, durfte ich die Kontrolle nicht verlieren.

Dass ich sie angegriffen hatte, ärgerte mich im Nachhinein. Nicht, weil ein tätlicher Angriff auf Teamkollegen natürlich grundsätzlich ein No-Go war, sondern weil ich damit erst recht bewiesen hatte, wie schwer sie mich getroffen hatte. Ebenso wie meine verheulten Augen nun beweisen würden, wie sehr Lee mich verletzt hatte.

Das brauchten sie nicht zu wissen. Niemand. Die Tegress-Taktik war nun angesagt. Würdevolle Ruhe, nach außen hin kein Verteidigungsmodus notwendig, da mir ohnehin niemand etwas konnte, weil ich halt einfach krass war.

O ja, ich war so was von krass. Wenn ich eine draufbekam, wurde ich bloß noch größer. So war es schon immer gewesen. Ich war tough, ich war mutig, ich war feurig …

Scheiß auf Lee!

Die Wut brodelte munter in mir weiter. Je mehr ich mich hineinsteigerte, desto tosender wurden sie, diese Flammen, denen sich niemand in den Weg stellen sollte. Sie loderten in meinem Brustkorb, züngelten durch meine Adern und wurden heißer und heißer … bis mein Körper von einem brennenden Schmerz erfasst wurde.

Ich keuchte auf und krümmte mich zusammen. Dabei rutschte mir der Waschlappen vom Gesicht. Er fiel in meinen Schoß und dampfte sichtlich.

Hastig tastete ich mir über die Wangen. Meine Haut fühlte sich glühend heiß an, wie bei einem heftigen Fieberschub. Scheinbar hatte die Magie des Feuers gerade ordentlich bei meinen Emotionen mitgemischt. Darüber sollte ich mich eigentlich freuen, aber dass ich gerade haarscharf an einer spontanen Selbstentzündung entlanggeschrammt war, machte mir doch ein wenig Sorgen.

Könnte es denn passieren, dass ich mich versehentlich selbst von innen heraus verbrannte? Unwillkürlich erinnerte ich mich daran, wie ich den Golem gesprengt hatte, indem ich die Flamme des Lebens überlud, bis seine Hülle dem Druck nicht mehr standhalten konnte. Ganz so weit hergeholt war meine Befürchtung vielleicht nicht.

Prüfend hob ich eine Hand an, verband mich mit der Feuermagie und versuchte eine Flamme zu erzeugen. Die Kraft sammelte sich spürbar in meinen Fingerspitzen. Nur um erneut darin heißer und heißer zu werden, weil sie sich in mir staute, anstatt nach außen zu fließen. Zischelnd schüttelte ich mir das schmerzhafte Brennen aus der Hand.

Der Zugang fiel mir so leicht, also warum bekam ich die Feuerenergie nicht nach außen? Sehr merkwürdig. Ich war schon gespannt, was Colin dazu sagte.

Ich faltete fahrig den Waschlappen zusammen. Mein Gesicht fühlte sich immer noch geschwollen an. Vielleicht sollte ich ins Bad gehen, um mal einen Blick in den Spiegel zu werfen. Ja, das sollte ich. Trotzdem blieb ich auf der Couch sitzen und starrte das zusammengefaltete Frottee in meinen Händen an. Weil ich plötzlich wieder so unendlich müde war, dass ich am liebsten einfach umgekippt wäre, um auf der Stelle einzuschlafen.

Mein Verstand war vermutlich bereits eingepennt. Darum dauerte es ziemlich lange, bis ich auf die Bewegung neben mir reagierte. Ich nahm eine große Gestalt aus dem Augenwinkel heraus wahr, schrie auf und bewarf den Hünen in Rüstung und Cape unsinnigerweise mit dem Waschlappen.

Rytario fing ihn problemlos auf und schaute sich verwundert um. »Soll die Besprechung hier stattfinden?«

Schnaufend presste ich mir eine Hand auf mein klopfendes Herz. »Nein, du Hirni! Das ist meine Wohnung und wir waren uns doch einig, dass du nie wieder ohne Ankündigung reinschneist. Ich hätte nackt sein können, Mann!«

»Na ja, da unser Treffen für zehn Uhr vereinbart war, bin ich einfach davon ausgegangen, dass du zu dieser Zeit angemessen gekleidet sein wirst.«

»Aber es ist noch nicht …!« Ich verstummte, weil mir ein schneller Blick auf mein Armband verriet, dass es durchaus Punkt zehn Uhr war. »Verdammt!«

Ich sprang auf, rupfte Rytario meine ineffiziente Verteidigungswaffe aus der Hand und huschte ins Bad. Als ich in den Spiegel schaute, brummte ich unwirsch. Meine Augen waren immer noch leicht gerötet, was durch die tiefen Schatten darunter ganz wunderbar zur Geltung kam. Das einzig Gute war, dass ich diesen Auftritt auch auf eine zu kurz geratene Nacht schieben konnte. War ja nicht mal gelogen.

Wie aufs Stichwort hörte ich Rytario durch die offene Badezimmertür fragen: »Bist du gerade erst aufgewacht?«

»Ja«, flunkerte ich, während ich mir eilig die Haare kämmte.

»Wo ist Aherra?«

»Schon vorgegangen.«

»Hm. Bist du am Morgen immer so brummig?«

Ich visierte finster mein eigenes Spiegelbild an. »Bloß wenn man mich fast zu Tode erschreckt.«

»Verstehe. Bitte entschuldige.«

Mit gezwungener Ruhe atmete ich durch. Es war nicht fair, meine schlechte Laune an Rytario auszulassen.

Als ich zurück in den Wohnbereich trat, lächelte ich ihn reumütig an. »Schon gut, war ja mein eigener Fehler, dass ich verschlafen habe. Komm mit, wir müssen in den Mannschaftsraum.«

Ich ging an ihm vorbei zur Wohnungstür, doch Rytario räusperte sich ausführlich, anstatt mir zu folgen. Vielsagend winkte er mit seinem Portalkristall.

»Okay«, meinte ich schulterzuckend. »So geht’s natürlich auch.«

***

Rytario überließ mir den Vortritt. Ich wappnete mich durch eine Aura der Unantastbarkeit, die sofort ins Wanken geriet, weil es das Schicksal so wollte, dass ich im Mannschaftsraum direkt vor Lee aus dem Portal stieg.

Er lehnte mit verschränkten Armen an der Wand. Sein Haar war zerzaust, das Gesicht blass und dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Mein gehässiges Ich freute sich darüber, dass er total fertig aussah. Mein verliebtes Ich fragte sich, was es zu bedeuten hatte, dass er offenkundig keinen Schlaf gefunden hatte. Und die Heulsuse wollte bei seinem Anblick direkt loslegen.

Da kreuzten sich unsere Blicke. Für einen winzigen Moment glaubte ich, einen schmerzhaften Schimmer in seinen Augen zu erkennen, bevor auch schon ein merklicher Ruck durch ihn hindurchging. In der nächsten Sekunde war seine Miene absolut nichtssagend. Das war wunderbar, denn somit stand der klassische Captain Aherra vor mir, der mich mal kreuzweise konnte.

Ich war richtig stolz auf mich, dass ich ihn sogar unverbindlich anlächelte, bevor ich mich dem Projektionstisch zuwandte, um den sich Team 8 mit dem General versammelt hatte. Mein unverbindliches Lächeln richtete ich auch umgehend auf Chiara, die ich schon allein dafür ohrfeigen wollte, dass sie ausschaute wie das blühende Leben. Sie hatte also gut geschlafen, ja? Nicht einmal die Tatsache, dass ich sie noch vor wenigen Stunden verprügeln wollte, hatte sie wach gehalten?

Wenigstens hatte sie den Anstand, von meinem Lächeln leicht irritiert zu sein. Ich wertete das als kleinen Sieg.

»Guten Morgen«, begrüßte Joe uns fröhlich. »Auch mal wach, Jay? Normalerweise bin ich der Langschläfer in dieser Runde.«

»Du hast vermutlich keine ähnlich ereignisreiche Nacht hinter dir«, konterte ich lässig, sehr darauf bedacht, weder Lee noch Chiara dabei anzusehen. Es war wohl eh am klügsten, die beiden einfach komplett aus meiner Wahrnehmung auszublenden.

Joe verschränkte seufzend die Arme hinter dem Kopf. »Nein, meine Nacht war ziemlich öde und ich betone nochmals, dass es nicht in Ordnung war, uns einfach schlafen zu lassen, während bei euch die Post abging.«

»Da gebe ich Joe recht«, sagte Ivan, der es sich auf der Ecke des Tisches bequem gemacht hatte. »Wir hätten helfen können. Zumal dieser Portalkristall ein Fortbewegungsmittel ganz nach meinem Geschmack ist. Geräuschlos, bodennah, absolut perfekt.«

Rytario trat an den Tisch. »Euer Missmut spricht für eure Tapferkeit, doch die Situation erforderte schnelles Handeln. Ich denke, ihr werdet schon bald aktiv werden können. Darum sind wir jetzt hier, nicht wahr?«

Ivan nickte dem Krieger wohlwollend zu. »Gewiss.«

Der Kater hatte bekanntlich eine Schwäche für königliche Gepflogenheiten, die Rytario praktisch mit seinem gesamten Wesen verkörperte. Es war ziemlich witzig, mit anzusehen, wie sich Ivan in Gegenwart des Hünen majestätischer denn je gab. Der setzte sich dann auch noch neben ihn und ich hätte schwören können, dass dem Kater in Sekundenschnelle zwei zusätzliche Halswirbel wuchsen, damit er den Kopf dermaßen erhaben recken konnte.

Nun war noch ein Stuhl frei. Da Lee an der Wand zu kleben schien, nahm ich ihn in Beschlag. Obwohl er direkt neben Chiara war, die merklich ihren Ellbogen einzog, damit ich sie ja nicht touchierte. Hatte sie Angst vor mir?

Na hoffentlich.

Und dann landete ich in Samiras Blick. Sie saß mir gegenüber und sah mich einfach nur an. Ich wusste sofort, dass sie sofort wusste, dass Lee und ich mitnichten wegen des Sarlaks mit Augenringen hier aufschlugen. Weil an Samira bekanntlich eine waschechte Wahrheitsfinderin verloren gegangen war.

Hastig sah ich weg, bevor Mitgefühl in ihrem Gesicht auftauchen konnte. Mitgefühl konnte ich jetzt so gar nicht gebrauchen. Das würde mir nur spiegeln, wie bedauernswert ich war, und wenn ich etwas nicht leiden konnte, dann war es, bedauernswert zu sein.

Ich überflog die aufgerufenen Dokumente auf dem Tisch und runzelte die Stirn. »Habt ihr schon ohne uns angefangen?«

»Nur so weit, dass alle auf dem gleichen Stand sind«, antwortete Dad. »Nun zum Update.«

Er tippte über den Tisch, wischte einmal darüber und verlagerte somit die aktuelle Ansicht auf die Projektionswand. Mehrere Dokumente und eine Bildergalerie waren zu sehen. Sie zeigten eine mir unbekannte Wohnung, mit Schwerpunkt auf dem Badezimmer. Die Badewanne war gefüllt mit braunem Dreckwasser, in dem Klamotten eingeweicht … Oh … nein, nicht nur Klamotten. In der Kleidung steckte noch ein Körper, der sich allerdings schon beträchtlich zersetzt hatte.

»Oookay«, machte Joe lang gezogen. »Zum Glück ist mein Frühstück schon eine Weile her. Eine Vorwarnung wäre nett gewesen, Chief.«

Dad überging den Vorwurf und richtete das Wort an uns alle. »Das sind die Überreste von Dan Rubick. Dem echten Dan Rubick. Wohnhaft in Meskina, östliche Anderswelt. Freier Fotograf mit eher mäßigem Erfolg, daher sehr unbekannt in der Branche und auch privat ein Einzelgänger, weshalb sein Verschwinden nicht bemerkt wurde. Insgesamt die perfekte Identität für den Sarlak. Die Obduktion ist noch nicht abgeschlossen, aber der Todeszeitpunkt dürfte sich auf wenige Tage nach Ankunft des Sarlaks in unserer Welt festlegen lassen. Dan Rubick wurde inzwischen zur globalen Fahndung ausgerufen, inklusive Gesichtserkennung. Innerhalb der Agency ist bekannt, dass er der gesuchte Gestaltwandler ist. Für die Öffentlichkeit wird nach dem echten Dan Rubick gesucht.«

»Die Fahndung wird nichts bringen«, meinte Rytario. »Wenn er in die Öffentlichkeit tritt, dann sicher nicht mehr mit diesem Gesicht.«

»Davon ist natürlich auszugehen«, erwiderte der General nüchtern. »Darum befindet sich die Akte zum Mordfall auch unzensiert im Agency-System, obwohl wir wissen, dass er mitlesen kann. Das Sicherheitsleck wurde im Übrigen entdeckt. Die IT-Abteilung hat gefälschte Berichte angelegt, in denen behauptet wird, keinen unerlaubten Zugriff gefunden zu haben. Die Server wurden für sicher erklärt und der Verdacht eines Hacks nicht bestätigt. Bleibt zu hoffen, dass der Sarlak das glaubt und sich von unseren gezielt platzierten Informationen in die Irre führen lässt.«

Ich presste die Lippen zusammen, weil mir fast herausgerutscht wäre, dass bei der IT-Überprüfung etwas nicht stimmen konnte, wenn bloß ein Leck gefunden worden war. Es müssten nämlich zwei sein. Der Sarlak war nicht der Einzige, der sich unentdeckten Zugang verschafft hatte. Tatsächlich könnten die Techniker aktuell auch über den Hack der Lorafoten gestolpert sein.

Wenn es wirklich der Zugang der Lorafoten war und die IT-Abteilung die Daten irgendwie zu ihnen zurückverfolgen konnte, drohte ein politischer Skandal. Ich musste sie dringend informieren. Leider hatte ich keine Möglichkeit, mit Kitorian Kontakt aufzunehmen. Der Einzige, den ich bitten könnte, mich heimlich auf die verborgene Insel zu fliegen, war Lee. Was natürlich eine mittlere Katastrophe für mich war.

Da fiel mein Blick zufällig auf Rytario und ich atmete innerlich auf. Ich brauchte Lees Hilfe nicht. Ich hatte immerhin einen äußerst fähigen Krieger mit sehr komfortabler Reisemöglichkeit an der Hand. Mit dem würde ich gar nicht erst diskutieren müssen, ob es klug war, die Lorafoten aufzusuchen. Rytario würde sich dort auch sicherlich nicht so aufführen wie Captain Aherra.

»Kann man über den Hack einen Standort zurückverfolgen?«, fragte Lee.

Der Chief verneinte. Lee nickte knapp und klebte wieder wortlos an der Wand. Ich musterte ihn heimlich und rätselte, ob er sich ebenfalls Gedanken über die Lorafoten gemacht hatte. Dabei stellte ich erneut fest, dass er ziemlich fertig aussah. Sollte er nicht eher erleichtert sein? Immerhin hatte er doch jetzt, was er wollte. Er hatte seine Ruhe vor mir.

Ich wurde abgelenkt, weil mein Dad eine Reihe anderer Bilder aufrief. Zweifellos aus dem Luftschutzbunker, in dem ich das nette Pläuschchen mit dem Sarlak abgehalten hatte. In den Fluren waren ein paar Scherbenhaufen einstiger Golems zu sehen. Als Fotos des Rechercheraums folgten, legte ich erstaunt den Kopf schief. Die Betonwände waren rußverfärbt. Der Fernseher in der Ecke war geschmolzen und das Sofa davor angekokelt. Von der Pinnwand war bloß ein unförmiger verkohlter Haufen übrig und die drei Computer schmiegten sich geschmolzen aneinander wie auf einem Gemälde von Salvador Dalí.

Unser Gefecht um die Oberhand des Feuers hatte eindeutig heftigere Auswirkungen auf die Umgebung gehabt, als mir klar gewesen war. Ein Mensch hätte jedenfalls nicht in der Nähe sein dürfen.

»Meine Güte«, machte Samira und betrachtete mich erstaunt. »Und du hast dich bei dieser Feuerschlacht nicht verletzt?«

»Eigentlich war es mehr ein Feuer-Tauziehen«, erklärte ich gelassen. »Und währenddessen hat mich die Feuermagie nicht angegriffen. Die kleinen Blessuren von vorher hat Rytarios Wundermittel geheilt.«

»Wo du es gerade erwähnst«, sagte er und löste ein schmales Täschchen von seinem Gürtel. Er schob es über den Tisch zu mir. »Hier, pack eine Dosis zu deiner Ausrüstung. Nur für den Fall, dass ich mal nicht in deiner Nähe sein sollte.«

Erfreut nahm ich das Serum an mich. »Danke! Das ist sehr großzügig.«

»Bei deinem Verbrauch ist es wohl eher eine Unabdingbarkeit«, antwortete Rytario mit schiefem Grinsen. »Wenn das so weitergeht, muss ich noch nach Hause reisen, um meinen Vorrat wieder aufzustocken.«

Joe horchte auf. »Sollte doch kein großer Aufwand für deinen Zauberstab sein.«

»Interdimensionale Brücken sind ein Klacks, aber eine Verbindung zwischen zwei Universen zu erstellen, erfordert einiges an Energie. Bei voller Ladung schafft der Kristall zwei Universaltore, bevor er komplett erschöpft ist und mindestens einen Tag lang aufgeladen werden muss. Das Risiko, ihn einen ganzen Tag nicht benutzen zu können, sollte ich nur aus gutem Grund eingehen.«

»Welche Art von Energie?«, fragte ich.

»Sonnenlicht.«

Ivan nickte erkennend. »Solarbetrieben. Sehr vorbildlich.«

Ich hingegen schaute Rytario skeptisch an. »Umgewandelte Solarenergie, noch dazu in so einem kleinen Speicher, reicht niemals aus, um dermaßen hohe Energieladungen zu erzeugen, die für eine Raumbrücke nötig sind.«

»Was soll ich sagen«, erwiderte er schulterzuckend. »Offensichtlich reicht es doch.«

Mein Dad machte mit einem Hüsteln auf sich aufmerksam. »Könnten wir uns bitte wieder auf das eigentliche Thema konzentrieren? Die Instanz wartet nämlich auf einen Vorschlag, der rechtfertigt, weshalb ich die Sicherheitslücke im IT-System nicht umgehend habe schließen lassen.«

»Konnten bei der Beweismittelsicherung brauchbare Informationen gesammelt werden, General?«, fragte Rytario.

»Nichts, was wir nicht schon wussten.«

Dad wartete zweifellos auf einen Kommentar à la »Hab ich doch gleich gesagt«, aber Rytario betrachtete die Projektion an der Wand und war mit den Gedanken bereits woanders. Was mein Vater sichtlich zu schätzen wusste. Sein Argwohn dem fremden Krieger gegenüber war spürbar, trotzdem merkte man auch, dass er sich auf die Zusammenarbeit einlassen wollte.

»Wir wissen also, was er weiß«, überlegte Rytario laut. »Und wir wissen, was er haben will. Ich habe zu Testzwecken versucht, das Buch der Worte mit dem Portalkristall anzupeilen. Es lässt sich ebenso wenig erfassen wie ein Naturgeist. Dass es sich irgendwo auf Feya befindet, ist dem Sarlak klar, doch er kennt die genaue Stelle nicht und ich glaube kaum, dass er einfach auf gut Glück das Gebiet von seinen Golems durchkämmen lassen wird, weil ihm ebenso klar sein dürfte, wie gut die Agency inzwischen gegen diese Tonkrieger gewappnet ist. Das Risiko, dass seine komplette Armee als Scherbenhaufen endet, bevor sie auch nur eine Spur zum Buch findet, ist viel zu hoch. Trotzdem schlage ich vor, ein paar Einheiten der Golem-Taskforce fest auf der Insel zu stationieren und darüber hinaus einen Notfallstrategieplan vorzubereiten. Denn sollte der Sarlak doch dort auftauchen, kann uns das letztlich ja bloß recht sein.«

»Ist bereits erledigt«, antwortete der Chief. »Das mit den stationierten Einheiten, meine ich. Der Strategieplan steht noch auf meiner heutigen Agenda.«

Rytario nickte mit deutlicher Anerkennung. Die Arbeitsweise meines Vaters schien ihm ziemlich gut zu gefallen. »Nun, General, dann zu meinem Vorschlag, wie wir den Sarlak in eine Falle locken könnten. Eine fingierte Bergung des Buches wäre eine Möglichkeit. Aber um freie Wahl der Umgebung und somit mehr Kontrolle zu erhalten, bietet sich eindeutig das Wasser als Lockvogel an. Mit einem gefälschten Hinweis auf den Naturgeist dürften wir seine Aufmerksamkeit problemlos erregen können. Wenn wir vorgeben, einem sehr verlässlichen Hinweis nachzugehen, wird der Sarlak aktiv werden, um den Wassergeist vor uns zu erreichen.«

»Genau das tun wir!«, sagte ich sofort.

Joe knackte voller Vorfreude mit den Fingerknöcheln. »Da bin ich so was von mit dabei.«

Samira, Ivan und auch Chiara stimmten zu.

»Wann legen wir los?«, wollte Joe wissen.

»So bald wie möglich«, antwortete ich. »Die Erde ist zwar in Sicherheit, aber der Wassergeist ist schutzlos. Außerdem will der Sarlak die Koordinaten des Buches. Bei mir wird der Feigling es wahrscheinlich nicht mehr so schnell versuchen, nachdem ich ihm gestern ordentlich eingeheizt habe. Darum hat er jetzt meine Mutter im Fokus.«

»Unser Haus ist geschützt«, erwiderte Dad. »Der Sarlak kann die magischen Barrieren nicht übertreten.«

»Aber wir wissen nicht sicher, ob die Schutzzauber auch Golems abhalten«, entgegnete ich laut. »Und verschlossene Türen halten die Tonkrieger ganz bestimmt nicht auf!«

Mein Vater blieb bei seiner Ruhe. »Darum wird das Haus von einer Abstellung der Golem-Taskforce überwacht und deine Mutter verfügt nun über Multifunktionsarmband und ein Preskaschwert. Vergiss nicht, dass Louisa ausgebildete Agentin ist. Eine hervorragende noch dazu. Deine Mum ist aktuell nicht in Gefahr.«

Ich sog aufgebracht die Luft ein. »Natürlich ist sie in Gefahr! Alle sind in Gefahr, solange der Sarlak frei herumläuft! Wir müssen ihn so schnell wie möglich aufhalten. Worauf sollen wir denn bitte warten?«

Mein Dad sah mich unschlüssig an.

Er wollte etwas sagen, da kam ihm aber Lee zuvor. »Jay?« Obwohl seine Stimme neutral geklungen hatte, zuckte ich zusammen, als hätte er meinen Namen eben geschrien. So unverbindlich, wie es mir möglich war, blickte ich zu ihm hinüber.

Seine Miene war todernst. »Da das Orinion nicht zurück ist, sind deine Kräfte vermutlich noch nicht komplett wiederhergestellt. Das Feuer konntest du benutzen, aber gilt das für die Luft auch?«

»Meine Verbindung zum Feuer hat sich während des Kampfes aktiviert«, erwiderte ich. »Das wird bei der Luft bestimmt auch so sein.«

»Das kannst du nicht wissen. Es ist viel zu riskant, diese einmalige Chance eines Hinterhalts bloß mit einem vagen Verdacht umzusetzen. Du solltest bestmöglich gerüstet sein, bevor du dem Sarlak gegenübertrittst.«

Nach meiner Beinahe-Selbstentzündung vorhin war sein Argument eventuell nicht ganz unberechtigt. Gleichzeitig glaubte ich meiner eigenen Behauptung aber wirklich. Den Beweis, dem Sarlak auch ohne Orinion etwas entgegensetzen zu können, hatte ich erst vor wenigen Stunden geliefert.

»Vielleicht brauche ich keine Vorbereitung, sondern den Druck der Spontaneität«, sagte ich. Das wollte ich eigentlich ganz lässig so stehen lassen. Allerdings zogen sich da Lees Brauen missbilligend zusammen und ich konnte gar nicht anders, als noch einen provokanten Kommentar draufzusetzen. »Scheinbar funktioniere ich im Chaos am besten, während andere sich lieber an Kontrolle klammern und überfordert sind, wenn mal etwas vom strikten Plan abweicht.«

Lees Augen wurden eine Spur schmaler. Im ersten Moment schien er etwas Saftiges darauf antworten zu wollen, doch dann presste er die Lippen zusammen und sah zu Boden.

Was? Er gab einfach so auf? Das war … verstörend. War es ihm jetzt auch schon zu anstrengend, mit mir zu diskutieren?

Bei dem Gedanken spürte ich sofort Tränen in mir hochsteigen. Eilig wandte ich mich ab und tat so, als würde ich intensiv die Fotos an der Wand studieren, während ich innerlich um Fassung rang.

»Ich sehe es wie Leannán«, sagte mein Dad. »Wir dürfen die Sache keinesfalls überstürzen, denn eine solche Chance werden wir nicht noch einmal bekommen.«

Rytario pflichtete ihm bei und lächelte mich zuversichtlich an. »Jay, du meintest selbst, dass du nahe daran bist, wieder vollständig zur Trägerin zu werden. Lassen wir uns ein paar Tage Zeit. Deine Verbindung zu den Elementen dieser Welt ist sehr viel stärker als meine, darum hast du die besten Chancen, die Naturgeister zu befreien. Inzwischen glaube ich sogar, dass ich es allein gar nicht schaffen könnte. Du jedoch schon. Ich kann dich dabei wahrscheinlich bloß unterstützen, darum ist es enorm wichtig, möglichst in deine volle Kraft zu gelangen.«

Ich starrte die Projektion an der Wand an, bis sie mehr und mehr verschwamm. Mir wurde leicht schwummrig. Außerdem fühlte sich mein Brustkorb auf einmal merkwürdig eng an. Mein Herz pochte wie verrückt und meine Hände wurden schwitzig.

Was war das jetzt? Ein Kreislaufkollaps?

»Jay?«, fragte mein Vater. »Alles in Ordnung?«

»Ich weiß nicht«, murmelte ich. »Mir ist gar nicht gut.«

Obwohl ich mich ungemein schwach fühlte, konnte ich gleichzeitig nicht ruhig bleiben. Ich sprang auf, machte ein paar Schritte in den Raum hinein, schloss die Augen und zwang mich zu einigen tiefen Atemzügen.

Als ich die Lider wieder öffnete, stand Lee neben mir. Er berührte mich nicht, hatte aber einen Arm leicht zu mir ausgestreckt, vermutlich um mich aufzufangen, sollte ich umkippen. Mir war schwindlig und einfach bloß elend. Es war verlockend, einen winzigen Schritt zur Seite zu machen und mich an Lee zu lehnen. Mich von ihm halten zu lassen. Mich an seine Brust zu kuscheln, an der ich doch stets so behütet gewesen war …

Lee musterte mich ausführlich. Die Sorge in seinem Gesicht rüttelte mich schließlich auf. Wie er mich ansah, kam mir wie der blanke Hohn vor. Er hatte mir vor wenigen Stunden den Boden unter den Füßen weggerissen und nun tat er so, als würde er mich auffangen wollen. Was erlaubte er sich eigentlich?

Im Nu stand ich kerzengerade da. Der pure Trotz verlieh mir erstaunliche Kräfte, denn unter gar keinen Umständen würde ich kreislaufbedingt in seinen Armen landen. Ich brauchte seinen Halt nicht. Ich konnte auf eigenen Beinen stehen.

Das versuchte ich ihm mit einem scharfen Blick mitzuteilen, bevor ich mich zum Tisch wandte und übertrieben auflachte. »Ich hätte wohl lieber frühstücken sollen. Offenbar bin ich unterzuckert. Übernächtigt auch. Eine denkbar schlechte Kombination.«

Bei den meisten zog diese Erklärung. Joe vermutete zudem, dass ich auf dem Sommerball eine Weile an der Bar verbracht hatte. Da zeigte vor allem Ivan Verständnis, denn mit Katern kannte der Kater sich aus.

Rytario schaute mich eher analytisch an. Was er dabei dachte, war mir nicht klar. Dagegen waren Samiras Gedanken offensichtlich. Ihre Augen wanderten von mir zu Lee und wieder zu mir. Spätestens jetzt wusste sie, dass weit mehr zwischen uns vorgefallen war als eine unserer üblichen Streitereien.

Betont gelassen schlenderte ich zum Kühlschrank, um mir eine Cola zu holen. Dad stand auf und beobachtete mich ausführlich, während ich den flüssigen Zucker in mich hineinschüttete. »Du wirst dir heute freinehmen.«

Ich verschluckte mich leicht und hustete ein »Was?« hervor.

»Kein Training, keine Recherche«, sagte er streng. »Und keine Widerrede. Das ist ein Befehl, Agent Winter.«

»Das kannst du nicht machen, Dad!« Ich senkte hastig die Stimme, weil ich mich gerade wie ein empörter Teenie angehört hatte, der gegen ein Handyverbot protestierte. Deutlich erwachsener sagte ich: »Ich habe schon genug Zeit verschwendet.«

»Das ist nicht wahr. Außerdem ist Erholung niemals Zeitverschwendung, sondern eine Notwendigkeit für höchste Effizienz. Zeitverschwendung wäre es, in dieser Verfassung zu trainieren.«

»Aber ich muss doch etwas unternehmen. Mum kann sich nicht ewig zu Hause einsperren.«

Dad seufzte leise. »Ziva, ein Tag ist keine Ewigkeit. Außerdem geht es Mum wirklich gut. Ich habe vorgeschlagen, sie in der Agency einzuquartieren, aber sie fühlt sich zu Hause sicher. Sie ist inzwischen stark genug, um mit dieser Situation umgehen zu können. Okay?«

Ich knirschte mit den Zähnen. Mein Kreislaufabsturz war verklungen. Trotzdem war nicht von der Hand zu weisen, dass ich dringend Schlaf brauchte.

»Okay«, sagte ich schließlich. »Ich werde mich jetzt ausruhen und abends mit …«

»Agent Winter, ich wiederhole, dass das ein Befehl und keine Diskussionsgrundlage war. Verstanden?«

Ein hingebungsvolles Augenrollen konnte ich mir nicht verkneifen, bevor ich artig antwortete: »Verstanden, Chief.«

***

Am Abend tigerte ich unruhig in meinem Apartment herum. Nach ein paar Stunden Schlaf war das eingetreten, was ich befürchtet hatte: Die befohlene Ruhepause trieb mich zunehmend in den Wahnsinn.

Ich wollte etwas tun. Aktiv sein. Natürlich hatte ich trotzdem versucht, meine Fähigkeiten zu trainieren, aber in meinem Kopf herrschte das blanke Chaos, darum konnte ich mich überhaupt nicht konzentrieren. Die Feuermagie blieb im Vordergrund, während ich auf die anderen drei Elemente nach wie vor keinen Zugriff hatte. Zumindest keinen, der mich nicht vor Schmerz jaulen ließ, weil die Magie sich vehement gegen mich wehrte. Oder ich mich gegen sie. Wie auch immer.

Meine Haare standen mir zu Berge, weil ich ständig die Finger darin verkrallte, während ich sinnlos herummarschierte. Draußen herrschte perfektes Sommerwetter. Auf den Balkon traute ich mich nicht, um ja nicht zufällig Lee zu begegnen. Dann ärgerte ich mich wieder darüber, dass ich mich nicht traute. Weil das total lächerlich war. Wovor hatte ich Angst? Vor ihm? Pah!

Mein Blick blieb an der roten Rose hängen, die Lee mir gestern geschenkt hatte und die noch genau dort in dem hohen Glas auf dem Frühstückstresen vor sich hin blühte, wo ich sie schnell abgestellt hatte, bevor wir uns auf den Weg zum Ball machten. Sie stand eigentlich total ungünstig mitten auf der Theke, doch irgendwie brachte ich es nicht über mich, sie anzufassen. Dabei bräuchte ich bloß das Glas zur Seite zu schieben. Trotzdem hielt ich dauerhaft einen Sicherheitsabstand zu ihr ein, weil irgendein verquerer Teil in mir wohl glaubte, die Rose könnte mich einfach anspringen und mir in die Nase beißen.

Ich blieb ein Stück vor ihr stehen und stierte sie an. Meine Fingerspitzen zuckten. Die Rose strahlte mir unschuldig ihre Schönheit entgegen. Ich senkte das Kinn und machte mich bereit zum Angriff. Dann unterbrach das Schrillen der Türglocke das anbahnende Duell.

Ein Blick durch den Türspion zeigte mir Samira. Sie wollte bestimmt wissen, was los war, und anschließend würde sie mich trösten. Aber ich hatte keine Lust auf Trost. Oder auf reden. Oder auf Menschen im Allgemeinen.

Samys Gesicht wurde riesig, als sie sich dem Türspion entgegenneigte. Gedämpft konnte ich ihre drohende Stimme hören. »Wag es ja nicht, so zu tun, als wärst du nicht da drin. Ich kann dein Armband tracken.«

Gezwungenermaßen öffnete ich die Tür. »Ich wollte gar nicht so tun.«

»Schon klar.« Sie ging an mir vorbei und nahm schnurstracks einen Barhocker in Beschlag. »Was ist passiert?«

»Ich will nicht darüber reden.«

»Auch klar. Normalerweise würde ich das akzeptieren, wie du weißt. Allerdings sagt mir mein Gefühl, dass ich dich in diesem Fall dazu zwingen sollte.«

Ich verharrte mit verschränkten Armen am Kühlschrank, kaute auf meiner Unterlippe herum und wusste, dass ich mich gerade blöd benahm. Doch selbst, als ich mich umentschieden hatte, brauchte ich einen Moment, bis mir meine Zunge gehorchte. Die Worte schienen meinen Mund einfach nicht verlassen zu wollen. Dementsprechend gepresst kamen sie schließlich heraus. »Wir haben uns getrennt.«

»Oh.« Samira verzog das Gesicht. »Es ist also noch schlimmer, als ich dachte.«

Sie holte ihr Handy hervor und tippte eilig eine Nachricht. Ich zog die Nase kraus. »Postest du das jetzt auf Flashcom, oder was?«

»Du weißt hoffentlich, dass ich so was niemals tun würde.«

»Tja.« Ich schnaufte zynisch. »Menschen tun viele Dinge, die man niemals von ihnen erwartet hätte.«

Samira rutschte vom Barhocker. »Alles klar. Komm, setzen wir uns auf die Couch.«

Sie hakte sich bei mir unter und führte mich umsichtig zum Sofa, als wäre ich ein tattriges Großmütterchen. Stirnrunzelnd ließ ich mich von ihr auf das Polster niederdrücken. Obwohl es sommerlich warm im Apartment war, legte sie mir fürsorglich eine Decke um die Schultern. Zudem packte sie das Einstein-Kissen in meinen Schoß und drapierte meine Arme darum. Anschließend eilte sie kurz zurück zur Küchenzeile, um eine Rolle Papiertücher zu holen, die sie vor uns auf den Tisch stellte. Erst dann setzte sie sich neben mich und schaute mich erwartungsvoll an.

»Okaay?«, meinte ich gedehnt. »Was genau wird das jetzt hier?«

»Du bist jetzt optimal darauf vorbereitet, mir alles zu erzählen.«

Abwertend wies ich auf das Küchenkrepp. »Keine Sorge, ich hab schon genug geheult. Ich bin inzwischen bloß noch sauer.«

Samy lächelte wissend, während ich mir die Decke von den Schultern schüttelte und nachdrücklich das Kissen neben mir ablegte. Das Problem an diesem Kissen war nämlich, dass es immer noch nach Lee roch. Ich hätte die Einparfümierung mit seinem Aftershave besser dosieren sollen.

»Also«, sagte Samy auffordernd. »Ich will alles wissen. Ist auf dem Sommerball irgendwas vorgefallen?«

Ich nickte düster. »Man könnte sagen, dort nahm alles seinen Lauf.«

Mit grimmiger Miene erstattete ich Bericht. Dabei kotzte ich mich zunächst mal sehr ausführlich darüber aus, wie viele Arschlöcher auf dem Sommerball zugegen gewesen waren und dass die Familie Aherra praktisch ausschließlich aus versnobten Deppen bestand. Danach schilderte ich mit geballten Fäusten den Ablauf der Käsemesser-Verschwörung.

Weil Samira einfach großartig war, ballte sie ebenfalls ihre Fäuste und rief: »Was für eine Bitch!«

»Ja, oder?« Vorsichtig musterte ich sie. »Und du glaubst mir?«

»Was? Natürlich! Dass Chiara darin involviert war, will ich offen gestanden anzweifeln. Wahrscheinlich wusste sie wirklich nichts davon. Aber dass ihre Mutter dich reingelegt hat, glaube ich sofort. Du würdest so etwas niemals erfinden.«

Mein Herz zog sich zusammen und zu meinem Leidwesen wandelte sich meine Wut rasant zu dem Schmerz, den ich doch überhaupt nicht spüren wollte. Tränen sammelten sich in meinen Augen, darum blinzelte ich hektisch.

»Ach, Jay«, sagte Samira sanft. »Lass es raus, Süße. Denkst du, ich hätte noch nie der Liebe wegen geweint? Meine Güte, ich glaube, ich habe wegen Joe mal eine ganze Woche durchgeflennt.«

»Wegen Joe?« Ich zog geräuschvoll die Nase hoch. »Das kann ich mir kaum vorstellen.«

»Verständlich, denn was wir jetzt haben, steht in keinem Vergleich zu unseren Anfangszeiten. Du hast ja keine Ahnung, wie idiotisch wir beide uns oft benommen haben. Wir konnten irgendwie nicht richtig miteinander und erst recht nicht ohneeinander. Im Nachhinein denke ich, dass wir schlicht nicht bereit für diese intensiven Gefühle waren. Wir mussten da beide hineinwachsen, verstehst du?«

Meine Unterlippe zitterte, doch ich kämpfte immer noch hartnäckig gegen die Tränen an und murmelte bitter: »Wenn das so ist, dann hat Lee ziemlich deutlich gemacht, dass er nicht hineinwachsen will. Dafür bin ich ihm zu anstrengend.«

Ich schrak zusammen, weil die Türglocke erneut schrillte. Hektisch wischte ich mir über die Augen, obwohl gar keine Tränenspuren zu erkennen waren.

»Entspann dich«, sagte Samy und stand auf. »Das ist bloß der Lieferservice.«

»Hä?«

Sie ignorierte meine Ratlosigkeit und öffnete die Wohnungstür, hinter der niemand zu sehen war. Stattdessen hob Samira irgendetwas vom Boden auf und machte die Tür gleich wieder zu. Als sie hinter dem Eck des Küchentresens hervorkam, sah ich, dass es ein prall gefüllter Korb voller Süßigkeiten und Limonade war.

Samy wuchtete ihn auf den Couchtisch. »Aus dienstlichen Gründen müssen wir leider auf Alkohol verzichten, aber wir können uns getrost in einen Zuckerrausch fressen.« Sie kramte kurz darin herum. »Ah, gute Auswahl, Gallahad.«

»Joe hat den gebracht? Hast du ihm vorhin geschrieben?«

»Jap.«

»Wie lieb von ihm«, schniefte ich. Meine Schultern bebten und ich schaute mit glasigen Augen zu Samira auf. »Ich glaube, ich werde jetzt doch heulen.«

Meine Freundin setzte sich zu mir, drapierte mir erneut die Decke um die Schultern und reichte mir das Kissen, an das ich mich umgehend klammerte.

»Alles klar, dann leg mal los.«

Und so startete der erste Mädchen-Kummerabend meines Lebens.

KAPITEL 2

Jahrelang hatte ich mich über Mädels lustig gemacht, die ihren Freundinnen die Ohren volljammerten und dabei Schokolade in sich reinstopften. Jetzt verstand ich, dass sie alles richtig gemacht hatten. Samira ausführlich mein Leid zu klagen war viel heilsamer gewesen als gedacht. Am nächsten Morgen erwachte ich mit neuer Kraft und positiver Einstellung. Mir ging es hervorragend!

Bis ich aus meinem Badezimmer trat, die rote Rose auf dem Tresen sah und mir direkt wieder Tränen in die Augen stiegen. Toll. Langsam bekam ich einen richtigen Hass auf diese Blume. Ich sollte sie wegschmeißen. Dann dachte ich mir aber wieder, dass sie ja auch nichts dafür konnte. Außerdem waren ihre Tage ohnehin schon gezählt, da wollte ich ihre letzten strahlenden Stunden nicht noch verkürzen.

Ob Lees Begabung auf mich abgefärbt hatte? Definitiv.

Ich machte mir einen Cappuccino und nahm all meinen Mut zusammen, um das Glas mit der Rose wenigstens ans Eck des Tresens zu schieben, damit sie nicht mehr das Zentrum der Küche vereinnahmte. Nachdenklich saß ich auf meinem Barhocker, das Kinn in die Hände gestützt, und starrte die Fliesen über dem Spülbecken an, während mir der Kaffeeduft in die Nase stieg. Ich fühlte mich erschöpft und auf gewisse Weise verloren. Mein unverhofft perfektes Leben in der Anderswelt schien Stück für Stück zu zerbrechen. Was kam als Nächstes?

Mein Handy piepte. Eine Nachricht von Mum, die mir einen guten Morgen wünschte und dabei verdächtig viele Emojis verwendete. Gestern hatten wir kurz telefoniert und so überzogen, wie sie mir ständig versicherte, dass es ihr in der Schutzhaft zu Hause ganz wunderbar ging, wagte ich doch sehr daran zu zweifeln. Es stimmte schon, was Dad gesagt hatte, nämlich dass sie inzwischen stark genug war, um die Situation bewältigen zu können. Noch vor wenigen Monaten wäre dem nicht so gewesen. Trotzdem litt sie zweifellos mehr, als sie mir zeigen wollte.

Von Sina war auch eine Nachricht drauf. Sie wollte wissen, wie es mir nach dem Angriff auf dem Sommerball ging. Ich dachte sofort an die Venetura-Intrige, verstand dann aber, dass Sina den Zwischenfall mit dem Sarlak meinte, von dem sie vermutlich durch ihre Tätigkeit bei der Agency wusste. An die Öffentlichkeit war nämlich trotz anwesender Reporter nichts gedrungen. Dafür hatte die Agency gerade so noch sorgen können.

Ich antwortete kurz auf Sinas Nachricht und versprach ihr sie zeitnah anzurufen, um ausführlich zu quatschen. Das hatte ich ihr eigentlich schon versprochen, nachdem ich das Studium geschmissen hatte. Genau wie ich es Lucy und Steve versprochen hatte, die bereits mehrmals nachgehakt hatten, was denn bitte bei mir los sei. Irgendwann würde ich mein Versprechen auch sicher einhalten, aber aktuell hatte ich schlicht keinen Nerv dazu.

Einen Moment schaute ich unschlüssig mein Handydisplay an. Das Auftauchen des Sarlaks auf dem Ball hatte es dank der Agency nicht an die Öffentlichkeit geschafft, doch dafür vielleicht ein anderer Aufreißer? Eigentlich hielt ich bewusst Abstand von jeglichen Nachrichten, die meinen Namen beinhalteten. In diesem Fall war meine Neugier allerdings größer als die Vernunft, darum tippte ich schließlich die Schlagworte Pietrón-Sommerball und Jessica Winter ein.

Keine Skandalmeldungen. Kein Liveticker zum Käsemesser-Attentat. Kein Newsflash zum Liebes-Aus. Die Ergebnisse zeigten ausschließlich Fotos vom roten Teppich. Ich, gestylt wie eine moderne Prinzessin, am Arm des Märchenprinzen schlechthin. Dafür, dass ich diesen Weg in einer Art Schocknebel hinter mich gebracht hatte, sah mein Gesicht gar nicht so angespannt aus wie befürchtet. Das konnte man schon durchgehen lassen.

Lee hingegen … Tja, das smarte Lächeln saß perfekt. Jede einzelne Regung, jede Bewegung war in Vollendung einstudiert. Er war wie geschaffen für den roten Teppich, dieser Show-Lee.

Oder war das gar der echte? Eigentlich wollte ich das nicht glauben. Gleichzeitig kam ich nicht umhin, mich zu fragen, wie gut ich Lee tatsächlich kannte. Denn ich hätte nie gedacht, dass er mich jemals …

Stopp! Harsch wischte ich mir über die Augen, in denen sich schon wieder Tränen stauten. Ich packte mein Handy weg und entschied, dass ich dringend den Arsch hochkriegen musste. Ein Tag ausführliches Geheule war genug. Für mehr hatte ich keine Zeit.

Punkt eins auf meiner heutigen Agenda war eine Reise zu den Lorafoten. Durch die Zeitverschiebung von zwölf Stunden sollte das schnell in Angriff genommen werden. Hunger hatte ich auch keinen, darum zückte ich umgehend den Pager und bat Rytario, sobald wie möglich zu mir zu kommen, weil ich seine Hilfe brauchen konnte.

Es dauerte allenfalls Sekunden, bis die Luft vor mir zu flimmern begann. Das Portal öffnete sich komplett geräuschlos. Mit einem großen Schritt trat Rytario heraus, richtete sich neben meinem Sessel zur vollen Größe auf und wirkte wie stets absolut fehl am Platz inmitten der modernen Einrichtung.

»Guten Morgen«, begrüßte er mich. Er schnupperte kurz. »Mmh, hier duftet es ganz herrlich nach frischem Kaffee. Ich begnüge mich schon seit Wochen mit diesem Instantzeug.«

Das ging ja mal gar nicht, darum wies ich Dora an, schleunigst ein Tässchen für den armen Krieger zuzubereiten. Ich lehnte neben der fleißigen Maschine an der Küchenzeile und musterte Rytario abwägend. »Die Agency könnte dir ein Apartment zur Verfügung stellen. Allerdings wird das vermutlich bloß genehmigt, wenn du dem ordentlichen Verfahren der Instanz beiwohnst.«

»Ich mag meinen Unterschlupf im Wald. Was dieses Verfahren angeht … Mit einer einzigen Anhörung wird es nicht getan sein, oder?«

»Das wird es leider sicher nicht. Sobald sie dich in der juristischen Mühle haben, werden sie dich ordentlich durchdrehen.« Ich grinste schief. »Allein deine Identität ist eine bürokratische Katastrophe. Zumal unsere Forschungsabteilung weiterhin vehement bezweifelt, dass du aus einem anderen Universum stammst.«

Rytario schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie kann das sein? Die Existenz eines anderen Trägers ist an sich schon Beweis genug. Außerdem hast du mal Aufzeichnungen erwähnt, die vom Multiversum handeln. Wurden die nicht berücksichtigt?«

»Wir haben sogar eine DNA-Probe von dir, aber der leitende Wissenschaftler der Agency hält es für naheliegender, dass du ein genetisch optimierter Supersoldat bist, als dass unsere bisherige Anschauung des feinstofflichen Felds inkorrekt ist.«

»Verstehe.« Er seufzte schwer. »Dieses Problem besteht wohl in so ziemlich jeder Welt. Oftmals hält man lieber verbissen an einer Lüge fest, um den Konsequenzen der Wahrheit zu entgehen.«

»Zubereitung - Kaffee - beendet«, sagte Dora dazu. »Bitte entnehmen Sie nun Ihr Getränk. Vorsicht, heiß.«

Ich stellte Rytario die Tasse hin. Er stützte sich mit einem Ellbogen auf den erhöhten Tresen und sog genießerisch den aromatischen Dampf ein, bevor er hineinpustete. Es war irritierend, ihn bei einer an sich gewöhnlichen Alltagssituation zu beobachten. Man konnte sich schlicht kaum vorstellen, dass dieser Hüne in Rüstung vielleicht so was wie ein Privatleben hatte. Eventuell verfügte er gar über Freizeitkleidung.

Er betrachtete mich über seine Tasse hinweg. »Warum guckst du mich so zweifelnd an?«

»Oh!« Ich lachte ertappt. »Also ehrlich gesagt habe ich mich gerade gefragt, wie du in normalen Klamotten aussiehst.«

»Nicht ganz so beeindruckend«, erwiderte er schmunzelnd. »Aber ich kann mich durchaus auch in kurzen Hosen blicken lassen.«

Meine Fantasie kreierte umgehend ein Bildnis von Rytario in Jeanshorts und Hawaiihemd, das ich mir hastig wieder aus dem Kopf schlug, weil es einfach zu schräg war.

Nachdem er einen Schluck Kaffee geschlürft hatte, kam er ohnehin zu einem wichtigeren Thema: »Also, womit kann ich dir helfen?«

Ich musste ein wenig ausholen, um ihm die politische Problematik der Situation klarzumachen. Mit knappen Worten umriss ich, wie ich unerlaubt mit Lee wegen Whites Aufzeichnungen zu den Lorafoten gereist war und welche Lügengeschichte wir ersponnen hatten. Nachdem Rytario mir seine Verschwiegenheit garantiert hatte, kam ich zu der Herkunftsgeschichte dieses Volkes.

»Lorafara, sagst du?«, fragte Rytario erstaunt. »Wir stehen nicht in Kontakt mit ihrer Welt, aber die Göttin ist dafür bekannt, großes Wissen mit ihrer Schöpfung zu teilen. Damit meine ich vor allem Magie. Vielleicht besitzen die Lorafoten einen Zauberspruch, der es uns ermöglicht, den Wassergeist aufzuspüren.«

»Glaube ich nicht. Den hätten sie mir ansonsten bestimmt mitgeteilt. Sie sind über alle Geschehnisse auf dem Laufenden und wollen mich bestmöglich unterstützen. Von ihnen habe ich auch das Serrotaschwert bekommen.«

»Dann haben sie wahrscheinlich keinen vollständigen Spruch, der nützlich wäre, aber eventuell einen Zauber, den ich mit meinen eigenen Formeln kombinieren kann.« Er trank eilig seinen Kaffee aus. »Dann mal los!«

Er reichte mir den Portalkristall. Ich schloss die Augen, um mich zu konzentrieren, bevor ich sie gleich wieder aufriss. »Hätte ich fast vergessen.« Ich nahm mein Armband ab und legte es zu meinem Handy auf den Tresen. »Offiziell habe ich die Wohnung nicht verlassen, okay? Es darf niemand erfahren, dass wir bei den Lorafoten waren.«

Rytario zog skeptisch eine Braue hoch. »Aber Aherra weiß es.«

»Niemand«, betonte ich schlicht.

Ich streckte den Kristall vor, doch Rytario drückte meinen Arm hinunter und schaute mich ernst an. »Du solltest ihn informieren. Nicht nur, weil er dein Teamleader, sondern auch, weil er dein Freund ist, der sich sonst …«

»Er ist nicht mehr mein Freund.«

»Was? Warum nicht?«

»Belassen wir es dabei, dass er es nicht mehr ist«, antwortete ich energisch. »Und auch für Captain Aherra ist es besser, wenn er gar nichts von der Aktion erfährt.«

Rytario sah mich lange an und schien mit sich zu hadern, ob er weiter nachhaken sollte. Meine Miene war dann aber letztlich abweisend genug, denn er nickte schweigend und deutete mit einer Handbewegung an, ich möge mit der Portalöffnung fortfahren.

Was ich auch tat. Oder tun wollte, besser gesagt. Ich peilte den Vorplatz des Palastes an. Ganz deutlich konnte ich ihn vor mir sehen. In jedem Detail. Trotzdem blieb der Kristall eiskalt. Also versuchte ich es mit der Eingangshalle, dann mit dem Waldweg und zuletzt mit dem Hügel, auf dem wir gelandet waren.

»Merkwürdig«, murmelte ich angestrengt. »Es funktioniert nicht.«

»Innen- oder Außenbereich?«, fragte Rytario knapp.

»Beides. Meinst du, sie benutzen den Zauber, der mich oder auch dich vor Lokalisierung schützt?«

»Wenn sie es schaffen, damit eine ganze Insel abzuschirmen, muss es ein Zauber sein, den ich nicht kenne. Allerdings erfordert das Verbergen eines Ortes grundsätzlich einen anderen Spruch als das Verschleiern einer Person. Versuch doch mal, einen Lorafoten anzupeilen, den du gut kennst.«

Da fiel mir natürlich bloß einer ein, den ich praktisch nicht verfehlen konnte. Ich wusste, wie Kitorian aussah, wie er sprach, wie er sich bewegte und wie sich seine Faust auf meinem Kinn anfühlte. Man könnte getrost sagen, der liebe Kitty hatte einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen und der ließ den Portalkristall in Sekundenschnelle einsatzbereit in meiner Hand vibrieren.

»Funktioniert«, teilte ich Rytario mit und zeichnete einen geraden Schnitt in die Luft. »Hoffen wir mal, dass wir meinen Kumpel nicht bei irgendwas Peinlichem überraschen.«

***

Es war schon ziemlich spannend, in eine wabernde Sphäre zu steigen, wenn man nicht den blassesten Schimmer hatte, wo genau man seinen Fuß auf der anderen Seite aufsetzen würde. In diesem Fall versank mein Schuh beim ersten Schritt in einer Schicht aus hellem Sand. Da dachte ich zunächst gleich an den malerischen Strand der Insel, doch Meeresrauschen blieb aus.

Die pralle Abendsonne des Südpazifiks blendete mich. Während ich noch blinzelte, schrie jemand alarmiert auf. Fast im selben Moment schlang sich eines dieser erstaunlichen Nanotech-Seile um meine Beine und zog sich rasant zusammen. Ich kippte rudernd nach vorn um, und obwohl ich mich einigermaßen abfangen konnte, landete ich mit der Nase im Sand. Ein Teil davon landete wiederum in meinem Mund.

Klasse. Wahrscheinlich war es Kitorian gewesen, der mich wie einen Baum gefällt hatte. Da konnte ich mich gleich mal auf einige spöttische Sprüche gefasst machen.

Während ich spuckte und mich aus meinem wenig spektakulären Auftritt hochstemmte, trafen mich ein paar Wassertröpfchen. Weil Rytario einen definitiv spektakuläreren Auftritt hinlegte, indem er meinen Angreifer mit einer Wasserfontäne von den Füßen riss. Es war allerdings nicht Kit, sondern irgendein anderer Lorafote, der durch den Sand kugelte und ordentlich paniert gleich wieder aufsprang, um noch in der gleichen Bewegung das Seil von meinen Beinen mit einem Wink seines Handschuhs als Partikelwolke zu sich zurückzuholen. Mehrere andere Krieger umzingelten uns mit drohend erhobenen Silberstöcken, bereit, sich auf Rytario zu stürzen, der nicht minder kampflustig neben mich trat.

Da sprang Kitorian mit ausgebreiteten Armen vor uns und redete hastig in der melodischen Lorafotensprache auf seine Kameraden ein.

Ich blieb noch sitzen, weil ich mich zuerst mal neugierig umsehen musste. Wir befanden uns auf einem großzügigen Innenhof, umgeben von einem flachen, arkadengesäumten Gebäude. Ich entdeckte einige Zielscheiben, eine Halterung, in der Holzstöcke unterschiedlichster Längen steckten, und mehrere torsoähnliche Gebilde, an denen man Schlagabfolgen einstudieren konnte. Zweifellos waren wir in einem Stützpunkt des Lorafotenheers gelandet.

Kitorian konnte seine Leute von unserer Gesinnung überzeugen. Die Kriegerinnen und Krieger zogen sich ein Stück zurück, um uns von dort ausführlich zu betrachten. Vor allem Rytario wurde neugierig beäugt. Das mit dem Blicke-auf-sich-Ziehen hatte er halt einfach drauf.

»Was ist los, Hündchen?«, fragte Kitorian mich mit altbekannter Überheblichkeit. »Willst du noch länger im Sand herumwühlen?«

Ich verdrehte die Augen und stand betont langsam auf, um ja keine Verlegenheit zu präsentieren. Gelassen klopfte ich mir den Sand von der Uniform, während Rytario und Kitorian sich gegenseitig musterten. Kit war noch ein Stückchen größer als der Hüne, der ihn allerdings reichlich an Breite überbot. Darüber, wer von den beiden nun beeindruckender aussah, ließe sich streiten. Ich ging neben ihnen jedenfalls ziemlich unter und kam mir schrecklich klein vor. Wenigstens sorgte das für eine sehr aufrechte Haltung meinerseits, denn so kerzengerade stand ich normalerweise nicht da.