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Dieses eBook: "Seeabenteuer und Schiffbrüche" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Alexandre Dumas der Ältere (1802-1870) war ein französischer Schriftsteller. Ein Markenzeichen von Dumas' Romanen sind fiktive oder pseudohistorische Protagonisten (zum Beispiel der Musketier d'Artagnan), deren Abenteuer in einen Kontext historischer Ereignisse und historischer Persönlichkeiten gestellt werden. Die bekanntesten, immer wieder aufgelegten und nicht nur von Jugendlichen gelesenen Romane sind: Die drei Musketiere, Zwanzig Jahre danach, Königin Margot, Der Graf von Monte Christo und Der Mann mit der eisernen Maske, Das Halsband der Königin. Aus dem Buch: "Diese Untersuchung fiel nicht zum Vortheil des Schiffes aus. Die "Juno" war alt, in jeder Beziehung in schlechtem Zustande, und die aus dreiundfünfzig Köpfen bestehende Mannschaft, mit Ausnahme von acht bis zehn Europäern, lauter Lascars, erweckte in dem erfahrenen John Mackay keineswegs hinlängliches Vertrauen, um die Besorgnisse aufzuwiegen, welche das Alter, der schlechte Zustand und die mangelhafte Ausrüstung des Dreimasters in ihm rege gemacht hatten." Inhalt: Die Juno Bontekoe Die Mörderbai Der Kent
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Wahre Geschichten der Geretteten
Als Byron in seiner Jugend Aberdeen in Schottland verließ, um nach Newstead Abbey in England überzusiedeln, kam er in Nottingham zu einem braven Manne, Namens Drury, in Pension, dessen Zuneigung er sich erwarb, und der ihm, während seine Mitschüler einen Spaziergang machten, welcher ihn wegen seines hinkenden Fußes zu sehr angestrengt haben würde, zuweilen erlaubte, seine Bibliothek zu besuchen. Diese an ernsten Büchern reiche Bibliothek hatte eine Abteilung, welche ausschließlich Reisewerke enthielt, und diese Abteilung besuchte der zukünftige Dichter am Liebsten.
Eines Tages fiel ihm die Geschichte von dem Schiffbruche des englischen Schiffes »Juno«, von John Mackay, dem zweiten Hochbootsmanne, in die Hände, und in dieser Erzählung machte die Stelle, welche vom Tode eines jungen Mannes von der Equipage und von dem Schmerze handelte, den dieser Todesfall dem Vater des jungen Mannes vermachte, einen so lebhaften Eindruck auf ihn wie Thomas Moore bei Anführung der erwähnten Stelle sagt, daß man zwanzig Jahre später in seinem »Don Juan« noch Anklänge davon findet.
Diese von Thomas Moore citirte Erinnerung Byrons hatte auch in uns schon längst den Wunsch rege gemacht, John Mackay's ganze Erzählung zu lesen. Da wir jetzt damit beschäftigt sind, einige solcher Schreckenscenen aufzuzeichnen, haben wir uns bemüht, diese Erzählung ausfindig zu machen, und es ist uns gelungen.
An der äußersten Spitze des indischen Reiches Birma liegt an der Mündung des Urawaddi, die einen prächtigen Hafen bildet, die Stadt Ranguhn, einer der bedeutendsten Handelsplätze von Pegu.
Zu Anfange Mai des Jahres 1705 lag in ihrem Hafen ein altes englisches Schiff von 450 Tonnen Gehalt, Namens »Juno,« Kapitain Alexander Bremner, welches eine Ladung Teckholz einnahm, um damit nach Madras abzugehen.
Kurz vor der Abreise wurde der zweite Hochbootsmann des Schiffes krank, und es zeigte sich bald, daß er nicht im Stande war, die Seereife mitzumachen.
Da diese Reise, eine Fahrt über den Meerbusen von Bengalen an seiner breitesten Stelle, nicht ohne Gefahr war, besonders während des bevorstehenden Südostpassatwindes, so hielt man es für nöthig, den kranken Hochbootsmann durch einen andern zu diesem Posten befähigten Mann zu ersetzen.
Der Kapitain Bremner hatte nicht nöthig, lange zu suchen. Es meldete sich ein im kräftigsten Alter, das heißt, in den letzten dreißiger Jahren stehender erfahrener Seemann, dessen vorzügliche Zeugnisse bewiesen, daß er die Gewässer, in denen man sich befand, nach allen Richtungen hin befahren hatte. Sein Name war John Mackay.
Der Kapitain Bremner prüfte diesen Mann, untersuchte seine Papiere, und als er die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß er dem in Rede stehenden Posten vollkommen gewachsen sein werde, engagierte er ihn auf ein Jahr.
Da das Fahrzeug, auf dem ein Seemann sich einschifft, für ihn ein Gegenstand von Wichtigkeit ist, weil er demselben sein Leben anvertraut, so untersuchte John Mackay, als er sich an Bord befand, die »Juno« in allen ihren Theilen.
Diese Untersuchung fiel nicht zum Vortheil des Schiffes aus. Die »Juno« war alt, in jeder Beziehung in schlechtem Zustande, und die aus dreiundfünfzig Köpfen bestehende Mannschaft, mit Ausnahme von acht bis zehn Europäern, lauter Lascars, erweckte in dem erfahrenen John Mackay keineswegs hinlängliches Vertrauen, um die Besorgnisse aufzuwiegen, welche das Alter, der schlechte Zustand und die mangelhafte Ausrüstung des Dreimasters in ihm rege gemacht hatten.
Er hielt es daher für nöthig, dem Kapitain ganz offen seine Meinung darüber zu sagen und ihm den üblen Eindruck zu gestehen, den sein Schiff nach genauer Untersuchung auf ihn gemacht hatte.
Der Kapitain Bremner aber war einer von den sorglosen Seeleuten, die auf dem Ozean alt geworden sind, und welche die Vergangenheit als eine Garantie für die Zukunft betrachten. Er antwortete seinem Hochbootsmann, daß er bereits seit zwanzig Jahren auf der »Juno« fahre, daß ihm noch nie ein Unglück begegnet sei, und daß das Schiff, wenn es zwanzig Jahre gut gegangen sei, auch noch eins gut gehen werde, das heißt bis zum Ablaufe des Engagements, das er mit seinem Hochbootsmann abgeschlossen habe.
John Mackay erwiderte darauf, daß die Bemerkung, die er sich erlaubt, durchaus keinen egoistischen Grund habe, sondern daß er sie nur im Interesse der ganzen Mannschaft äußere; daß er, Gott sei Dank, mit dem Meere hinreichend vertraut sei, um nöthigenfalls in einer Schaluppe über den bengalischen Meerbusen zu fahren, daß aber jeder Kommandoposten an Bord eines Schiffes mit einer größeren oder geringeren Verantwortlichkeit verbunden sei, und daß er es demnach für seine Pflicht gehalten habe, ihn auf die Mängel des Schiffes aufmerksam zu machen.
Der Kapitain dankte ihm in einem ziemlich ironischen Tone, und indem er ihm seine Gattin zeigte, die eben an Bord kam, um ihn auf der Fahrt zu begleiten, fragte er ihn, ob er nicht glaube, daß ihm selbst am Meisten an einer glücklichen Reise gelegen sein müsse.
Und in der That, ein flüchtiger Blick auf Madame Bremner war hinreichend, um einzusehen, daß das Wohl einer solchen Frau ihrem Gatten am Herzen liegen mußte.
Madame Bremner, die erst seit kaum einem halben Jahre mit dem Kapitain vermählt war, war wirklich ein reizendes Weibchen. Sie war in Ostindien von europäischen Eltern geboren worden und besaß außer ihrer nicht gewöhnlichen Schönheit die ganze Liebenswürdigkeit und Anmuth der Creolinnen, die in ihrem ganzen Wesen Etwas von der üppigen Natur haben, in deren Schooße sie das Licht der Welt erblickt haben, aufgewachsen sind und sterben sollen.
Ein malayisch er Sklave in seiner malerischen Tracht begleitete sie und vervollständigte das reizende Bild, dessen Hauptfigur sie war.
John Mackay sah daher ein, daß es unschicklich gewesen wäre, wenn er, der nur sein eigenes Leben auf's Spiel setzte, noch länger von den Gefahren gesprochen hätte, in die ein Schiff gerathen konnte, dem sein Kapitain ein so liebenswürdiges Geschöpf anvertraute.
Die letzten Vorbereitungen wurden demnach getroffen, ohne daß sich der Hochbootsmann neue Bemerkungen erlaubte, und am 29. Mai 1795 ging der Dreimaster mit dem Eintritte der Fluth bei einer Wassertiefe von fünfundzwanzig bis dreißig Fuß und schlammigem Grunde, unter Segel.
Sogleich im Anfange glaubte jedoch der Hochbootsmann zu bemerken, daß man das Schiff von der Richtung abweichen ließ, die es einhalten sollte; aber der Kapitain Bremner befuhr schon zu lange diese Gewässer, um annehmen zu können, daß er sich irre. John Mackay bemerkte indessen dem ersten Hochbootsmanne, Namens Wade, daß es ihm scheine, als ob das Schiff weiter nach rechts abhalte, als es sollte, und da dieser die Richtigkeit dieser Bemerkung erkannte, befahl er, daß das Senkblei ausgeworfen werden sollte.
Man hatte in der That noch nicht zwanzig Fuß Wasser.
Die Sache war sehr kritisch. Man benachrichtigte den Kapitain davon, der es nicht glauben wollte; als er sich aber selbst davon überzeugt hatte, befahl er sogleich, den Cours des Schiffes zu ändern.
Noch ehe aber der Steuermann den Helmstock hatte unter den Wind bringen können, verkündete ein heftiger Stoß, daß das Schiff aufgefahren war.
Es war keine Sekunde zu verlieren. Der Kapitain gab auf der Stelle Befehl, daß gebraßt werden sollte, um das Schiff wieder flott zu machen, allein dieser Befehl war unnütz, da es sich lediglich nur noch darum handelte, zu verhindern, daß es abgetrieben wurde.
Es wurden unverzüglich zwei Gabelanker ausgeworfen und man bemerkte zur großen Freude der ganzen Mannschaft, daß das Schiff still lag.
Man hatte nun Zeit, die Sache näher zu untersuchen.
Die »Juno« war auf eine fast steinharte Sandbank gestoßen, ohne jedoch eine Verletzung davon zu tragen, denn es hatte sich noch nirgends ein Leck gezeigt. Die Sache war daher noch nicht so schlimm, als sie Anfangs geschienen hatte. Da verlor plötzlich der eine von den beiden Ankern den Grund und in Folge dessen schleppte alsbald auch der andere.
Sogleich wurde der Befehl zum Auswerfen des Hauptankers gegeben und ausgeführt.
Das schon mit den Wellen treibende Schiff spannte die Ankerkette straff an, aber sie hielt und das Schiff lag wieder still.
Man hatte einen Augenblick in Angst geschwebt, die Unbeweglichkeit des Schiffes aber beruhigte Jedermann wieder.
Der Kapitain Bremner begann jetzt im Stillen die Richtigkeit der Bemerkungen seines zweiten Hochbootsmannes einzusehen; anstatt ihm aber dankbar dafür zu sein, daß er die Gefahr vorausgesehen und darauf aufmerksam gemacht hatte, grollte er ihm fast deshalb.
Uebrigens war, wie gesagt, noch Nichts verloren; wenn man während der Dauer der Ebbe das Scheitern glücklich verhinderte, so konnte man so ziemlich gewiß sein, daß das Schiff mit dem Eintritt der Fluth wieder flott wurde, und da der Unfall keine erheblichen Beschädigungen verursacht hatte, konnte man ohne Aufenthalt die Reise fortsetzen.
Die Hauptsache war für jetzt, daß das Schiff leichter gemacht wurde.
Man zog alle Segel ein. Während 'der Ebbe legte sich das Schiff furchtbar auf die Seite. Man hatte dies erwartet, und einige Augenblicke herrschte Todesangst an Bord, aber der kritische Moment ging ohne neuen Unfall vorüber.
Als der Kapitain bei John Mackay vorbeiging, sagte er mit Stolz zu ihm:
»Nun, ich dächte, die Juno benähme sich für ein altes Schiff nicht ganz schlecht!«
John Mackay schüttelte den Kopf.
Die »Juno« zeigte sich in der That bis jetzt sehr gut; es fragte sich nur, ob sie dies auch fernerhin thun würde.
Die nächsten Augenblicke schienen übrigens die Meinung des Kapitains rechtfertigen zu wollen; mit dem Eintritt der Fluth wurde das Schiff wieder flott, und kaum hatte man dies bemerkt, so wurde der Befehl gegeben, den Anker aufzuziehen. Es wurden nun sogleich alle Segel beigesetzt, und bald befand man sich in so tiefem Wasser, daß ein nochmaliges Auffahren nicht zu befürchten war.
Am ersten Juni sprang der Wind um und blies heftig aus Südwest; fast in dem nämlichen Augenblicke begann die See hoch zu gehen und das Schiff arbeitete mit großer Anstrengung.
John Mackay hatte einen Mann in den Kielraum gestellt; nach Verlauf von etwa vier Stunden kam dieser herauf und meldete, daß das Schiff leck sei.
Dies hatte der Hochbootsmann schon längst befürchtet.
Der Kapitain ging sogleich selbst hinunter und überzeugte sich daß das Wasser wirklich einzudringen begann; leider aber befand sich nicht einmal ein Zimmermann und fast gar kein Handwerkszeug an Bord.
Das Wasser mußte daher ausgepumpt werden. Jedermann ohne Unterschied ging zu dem Ende an die Pumpen und arbeitete tüchtig; aber es war, als ob sich Alles zum Untergange der »Juno« verschworen hätte. Der Ballast des Schiffes bestand aus Sand, und dieser mit Wasser vermischte Sand verstopfte sehr bald die Pumpen. Das Wasser verminderte sich daher nicht, sondern es stieg im Gegentheil, wenn auch langsam, doch fortwährend.
Das stürmische Wetter dauerte acht Tage, während deren das Schiff übermäßig angestrengt wurde.
Es wurde nun berathen, ob man nicht lieber nach Ranguhn zurückkehren sollte, da aber der Kapitain dadurch eingestanden haben würde, daß der zweite Hochbootsmann Recht gehabt, ein Schiffskapitain aber nie Unrecht haben darf, so bemerkte Bremner. Daß die Küste bei Ranguhn so niedrig sei, daß man sie erst ln einer Entfernung von wenigen Meilen sehen könne; daß man, wenn man mit einem leicht zu regierenden Schiffe den richtigen Weg einhalten wolle, man in einer Art von Kanal bleiben müsse, der nicht mehr als dreißig Fuß Tiefe habe, daß sich zu beiden Seiten dieses Kanals Sandbänke befänden, auf die man eben schon aufgefahren sei, und welche bei nochmaligem Auffahren das Schiff spalten würden, daß es demnach gerathener sei, die Fahrt auf jede Gefahr hin fortzusetzen, daß überdies das stürmische Wetter bereits acht Tage gedauert habe und es daher wahrscheinlich sei', daß die See sich bald beruhigen und daß es in diesem Falle wohl bald gelingen werde, das Leck zu verstopfen.
Der Kapitain war der Gebieter, seine Meinungsäußerung war ein Befehl, und man segelte daher so gut es bei dem stürmischen Wetter anging, weiter nach Madras.
Die Ereignisse schienen dem Kapitain Anfangs Recht zu geben. Am 6. Juli legte sich der Sturm, die See wurde ruhiger und das Leck verminderte sich so bedeutend, daß eine einzige Pumpe genügte, um seine Wirkung zu neutralisieren.
Das Schiff wurde nun genau untersucht, und man entdeckte bald, daß sich das Leck am Hintersteven, nicht weit unter dem Wasserspiegel, befand. An dieser Stelle war der Schaden leicht zu reparieren. An dem ersten vollkommen ruhigen Tage wurde das Boot ausgesetzt, und da man, wie gesagt, nicht nur keinen Zimmermann, sondern auch kein Handwerkszeug hatte, mußte man sich damit begnügen, das Leck mit Werg zu verstopfen und darüber zuerst ein Stück getheertes Segeltuch, dann eine Tafel Blattblei zu nageln.
Dies allerdings mangelhafte Aushilfsmittel genügte Anfangs vollkommen, und so lange das Wetter schön war, brauchte man täglich nur kurze Zeit zu pumpen, woraus natürlich Jedermann schloß, daß das Leck verstopft war.
Alle freuten sich, daß man der Gefahr glücklich entronnen war, und Jedermann war heiter, nur John Mackay nicht, der mitten in der allgemeinen Heiterkeit noch immer den Kopf schüttelte und ein englisch es Sprichwort vor sich hin murmelte, dessen Sinn ungefähr lautete; »Wer's erlebt, wird's sehen!«
Der Besanmastkorb.
Leider sollte man bald die traurige Erfahrung machen, daß der zweite Hochbootsmann auf dem ganzen Schiffe der Einzige war, welcher Recht hatte, und daß die »Juno« weit besser gethan haben würde, wenn sie nach Ranguhn zurückgekehrt wäre, so gefährlich auch die Küste von Pegu sein mochte, anstatt ihre Fahrt über den bengalischen Meerbusen, in welchem der Südostpassatwind es erwartete, fortzusetzen.
Als am 12. Juni der Wind stärker wurde und man aus dem schauerlichen knarren in den Fugen der »Juno« ersah, daß sie mit großer Anstrengung arbeitete, ertönte zum zweiten Male der Ruf, der die Mannschaft schon einmal in Angst versetzt hatte:
»Wir sind leck, Herr Kapitän!«
Man eilte sogleich hinunter ins Zwischendeck; das nämliche Leck hatte sich wieder geöffnet, Die schwache Verstopfung, welche bei ruhiger See genügt hatte, erwies sich bei stürmischem Wetter als unzureichend.
Dies Mal war jedoch die Oeffnung viel größer, als das erste Mal, und da die durch den Ballastsand verursachten Uebelstände dadurch vermehrt wurden, erwiesen sich die Pumpen als ungenügend, obgleich fortwährend drei im Gange waren und man das Wasser noch außerdem mit Eimern ausschöpfte.
Am 16. war die Mannschaft, welche seit vier Tagen unausgesetzt arbeitete, durch die Anstrengung und den Mangel an Schlaf fast erschöpft.
Ueberhaupt hatte man alle Ursache zu sehr ernsten Besorgnissen.
Leider war es jetzt zu spät, um noch umzukehren, denn man war von Ranguhn mindestens eben so weit entfernt, als von Madras. Man entschloß sich daher, das Aeußerste zu wagen, alle Segel beizusetzen und so vielleicht den nächsten Punkt der Küste Koromandel zu erreichen.
Hatte man sie erreicht, so wollte man entweder längs derselben hinsegeln oder landen, je nachdem die »Juno« noch die See halten konnte oder außer Stande war, weiter zu segeln.
Das Schiff ging jetzt sehr schnell,sogar schneller, als man gehofft hatte; im Verhältniß seiner Schnelligkeit mußte es sich aber auch anstrengen, und da Jedermann an den Pumpen beschäftigt war, hatte Niemand Zeit, an die Takelage zu denken. Nach Verlauf von; zwei Tagen hatte der Wind alle Segel, mit Ausnahme der Focksegel, zerrissen; man sah sich daher am 18. genöthigt, bis zum 19. Mittags beizulegen, an welchem Tage zu gleicher Zeit die Höhe aufgenommen und dadurch ermittelt wurde, daß man sich unter 17 0 10 1 nördlicher Breite befand.
Trotz der fast übermenschlichen Anstrengung, mit der Jedermann, an den Pumpen arbeitete, bemerkte man dennoch, daß das Wasser immer höher stieg und das Schiff zu sinken begann. In dem Maße aber, als es sank, wurde es zugleich so schwer, daß man zu zweifeln begann, ob es sich je wieder zu dem gewöhnlichen Tiefgange werde heben können.
Von diesem Augenblicke an verbreitete sich eine finstere Entmuthigung an Bord,' und da Jedermann verloren zu sein glaubte und alle ferneren Anstrengungen für nutzlos hielt, wurde es sehr schwer, die Leute auf ihrem Posten zu erhalten.
Gegen Mittag indessen ging man auf Befehl des Kapitains und auf Bitten seiner Gattin wieder an die einen Augenblick unterbrochene Arbeit.
Es wurde der Befehl' gegeben, das Focksegel zu stellen; der Befehl wurde ausgeführt und das Schiff ging jetzt nur noch unter diesem einen Segel.
Zu gleicher Zeit arbeitete man mit verdoppelter Anstrengung an den Pumpen und mit den Eimern; nach Verlauf von zwei Stunden aber bemerkte man, daß man damit nur den Todeskampf der »Juno« um einige Stunden verlängere, daß aber das Schiff unrettbar verloren sei.
Die unten arbeitenden Matrosen kamen in der That um acht Uhr Abends herauf und sagten, daß das Wasser bereits das erste Verdeck erreicht habe.
Nachdem John Mackay's Prophezeiungen bezüglich des Schiffes in Erfüllung gegangen waren, bestätigte sich jetzt auch seine Meinung von der Mannschaft; die Lascars, welche drei Viertel derselben bildeten, weigerten sich zuerst, noch länger zu arbeiten, gaben sich der Verzweiflung hin und zogen einige auf dem Schiffe befindliche malayische Matrosen mit in den Abgrund der Entmuthigung. Die Europäer ließen den Muth noch nicht sinken, aber an dem finsteren Ausdrucke ihrer Gesichter war deutlich zu erkennen, daß nur eine moralische Kraft sie noch aufrecht erhielt und daß sie sich über das ihnen bevorstehende Schicksal keine Illusionen machten.
Mochte Madame Bremner die Größe der Gefahr nicht kennen oder war es wirklicher Muth, kurz, dieses schwache Weib, von der man hätte glauben sollen, daß ein Windstoß sie niederwerfen würde, tröstete und ermuthigte alle Anderen.
Am Abend gegen sieben Uhr empfand man einige Stöße und hörte ein eigenthümliches Rauschen.
Das Schiff sank immer tiefer. Die Schiffe haben ihren Todeskampf wie die Menschen; nur klagend und widerstrebender geben sie sich in ihr Schicksal.
Als die Mannschaft sah, daß die Wellen bald über das Schiff zusammenschlagen mußten, verlangte sie mit tumultuarischem Geschrei, daß die Bote ausgesetzt werden sollten; allein es bedurfte nur eines Blickes auf diese beiden Fahrzeuge, um die Gewißheit zu erlangen, daß sie unter den obwaltenden Umständen von keinem Nutzen sein konnten. Man hatte nur die Schaluppe, welche so alt war, daß sie fast unbrauchbar war, und ein kleines Boot mit sechs Rudern.
Nachdem die Mannschaft die beiden Fahrzeuge untersucht hatte, gab sie von selbst den Gedanken auf, sich ihrer zu bedienen.
Um neun Uhr rief der Kapitain den ersten und zweiten Hochbootsmann zu sich, um sich mit ihnen zu berathen, und es wurde verabredet, daß man den Hauptmast kappen wolle, um das Schiff zu erleichtern; durch diese Maßregel durfte man hoffen, es noch vierundzwanzig Stunden über dem Wasser zu halten.
Man ging sogleich an's Werk. Nach wenigen Augenblicken krachte der Mastbaum, neigte sich und fiel.
Unglücklicher Weise aber fiel er nicht über Bord, sondern auf's Verdeck.
Man kann sich denken, welche Verwirrung dieser Sturz verursachte.
Die Leute am Steuerruder konnten das Schiff nicht mehr regieren, es bot den Wellen die Breitseite dar, und im nächsten Augenblicke wurde es von einer Sturzwelle überfluthet, so daß das Wasser von allen Seiteneindrang.
Man hatte die Katastrophe hinausschieben wollen und hatte im Gegentheil ihren Eintritt beschleunigt.
Der Ruf: »Wir sinken! Das Schiff geht unter!« Ertönte von allen Seiten.
Madame Bremner, welche glaubte, daß das Schiff sich noch einige Stunden halten werde und der ihr Gatte wahrscheinlich die wirkliche Größe im Gefahr verschwiegen hatte, war in ihr Zimmer gegangen.
Als der Kapitain fühlte, daß das Schiff mit reißender Schnelligkeit sank, stieß er einen Angstschrei aus und wollte in's Zwischendeck hinunter eilen; er verwickelte sich aber im Tauwerk und hatte nur noch Zeit, dem nicht weit von ihm entfernt stehenden Mackay zuzurufen:
»John, John! Meine Frau!«
Dieser eilte nach der Luke und fand auf der Treppe bereits den ersten Hochbootsmann Wade, der Madame Bremner die Hand reichte. Die junge Frau war sogleich aus dem Bette gesprungen, als sie den Mast hatte niederfallen hören. Beide halfen ihr beim Hinaufsteigen; zu ihrem großen Erstaunen aber hatte sie in der entsetzlichen Verwirrung keineswegs den Kopf verloren. Sie hatte zwar nicht Zeit gehabt, sich vollständig anzukleiden, aber dennoch einen Unterrock über das Hemd gezogen und etwa dreißig Rupien mitgenommen, die in ihrem Zimmer auf dem Tisch e gelegen hatten.
Man wundere sich nicht, daß wir uns bei solchen Nebenumständen aufhalten; man wird bald sehen, daß diese dreißig Rupien dazu bestimmt waren, eine wichtige Rolle in dem grauenvollen Drama zu spielen.
Als die Mannschaft bemerkte, daß das Schiff unter sank, klammerte sich Jedermann an den ersten besten Gegenstand an, der ihm in die Hände kam, und versuchte es, sich über dem immer höher steigenden Wasser zu erhalten.
Wade und John Makay, die sich bei der Luke der Kapitainskajüte befanden, ergriffen die Barkhölzer des Hintertheils und kletterten mit Madame Bremner an den Wandtauen des Besanmastes hinauf.
Iu dem nämlichen Augenblicke ließ sich ein Knall vernehmen, der einem Kanonenschusse glich, und auf den ein fürchterlicher Stoß folgte; die im Schiffsraume komprimierte Luft hatte das Verdeck gesprengt.
Jetzt glaubte Jedermann, daß Alles verloren sei, und dachte nur noch daran, seine Seele Gott zu empfehlen; kaum aber war das Wasser über dem Verdeck zusammengeschlagen, so hörte die sinkende Bewegung des Schiffes zwar nicht ganz auf, wurde aber so langsam, daß das untere Tauwerk nur allmählig unter sank, so daß die Unglücklichen Zeit hatten, nach und nach die oberen Partieen der Takelage zu erreichen.
Der Kapitain, der zu seiner Gattin gekommen war, welche von den beiden Hochbootsmännern unterstützt wurde, sah indessen so gut wie diese ein, daß sie nicht so in den Strickleitern hängen bleiben konnten und daß sie einen sichereren Zufluchtsort suchen mußten. Der Mastkorb des Besanmastes befand sich etwa zehn Fuß über ihnen; sie stiegen hinauf und waren die Ersten, welche darin ankamen.
Im nächsten Augenblicke fand ihr Beispiel Nachahmer, und der Mastkorb war bald gefüllt. Die übrige Mannschaft setzte sich im Tau- und Segelwerk des nämlichen Mastes fest.
Ein einziger Matrose, der sich am Vordertheil des Schiffes befand, kletterte in den Fockmastkorb hinauf.
Man erwartete nun in ängstlicher Spannung, was Gott, der über das Schicksal der »Juno« entschieden hatte, über die Passagiere verhängen würde.
Das Schiff sank langsam noch etwa zehn Fuß tiefer; dann kam es den unglücklichen Schiffbrüchigen vor, als ob es stationär bliebe und unter Wasser schwebte.
Die beiden Mastkörbe des Fock- und Besanmastes waren noch ungefähr zwölf Fuß über dem Wasser, und Diejenigen, welche der Besankorb nicht mehr hatte aufnehmen können, befanden sich, wie schon erwähnt, mit Ausnahme eines Matrosen, der in den Fockmastkorb gestiegen war, in der Takelage des Besanmastes.
Jetzt bemerkte man, daß dieser schwer beladene Mast zu brechen drohte. Er mußte durchaus erleichtert werden; da aber diese Erleichterung einigen Menschen das Leben kosten konnte, so wurde beschlossen, lieber einen Theil des Takelwerks zu opfern.
In Folge dessen wurde die große Segelstange mit Messern abgeschnitten und in's Meer geworfen.
Obgleich der mit Wasser gefüllte Rumpf des Schiffes gewissermaßen einen Schwerpunkt für die noch aus dem Wasser hervorragenden beiden Maste bildete; so wurden die Unglücklichen, die sich auf dieselben geflüchtet hatten, doch so heftig hin und her geschaukelt, daß sie sich kaum erhalten konnten. Die Meisten von ihnen waren indessen so ermüdet, daß sie trotz der prekären Lage, nachdem sie. sich mit ihren Taschentüchern festgebunden oder auch sich nur mit den Armen umklammert hatten, eingeschlafen waren.
Der zweite Hochbootsmann, John Mackay, gehörte jedoch nicht zu diesen.
Da er eine kräftigere Konstitution und vielleicht auch eine größere moralische Kraft besaß als die Andern, blieben seine Augen offen, um das grauenhafte Schauspiel zu betrachten, bei dem er selbst eine Rolle spielte.
Neben ihm befand sich Madame Bremner in den Armen ihres Gatten. Es war Nacht. Obgleich es im Monat Juli war, blies der Nachtwind doch empfindlich kalt. Der brave John, der wärmer gekleidet war als der Kapitain, zog seine Jacke aus und gab sie Madame Bremner. Sie dankte ihm durch einen Blick welcher sagen wollte: »Ach, warum hat man Ihren Rath nicht befolgt!«
John hätte sie gern getröstet; da er aber selbst keine Hoffnung mehr hatte, wollte er im Herzen Anderer den Muth nicht heben, der in seinem eigenen völlig gesunken war.
Als er jedoch nach einigen Stunden angstvollen Zweifels sich überzeugt hatte, daß das Schiff unter Wasser schwebend blieb, ohne noch tiefer zu sinken, stieg die Hoffnung in ihm auf, daß sich vielleicht in den vier oder fünf Tagen, während denen der Mensch den Hunger ertragen kann, ein Schiff zeigen und sie aufnehmen könne.
An diesen schwachen Strohhalm klammerte sich der Hochbootsmann fest und der Gedanke an den Tod, in den er sich schon fast ergeben hatte, war ihm wieder gräßlicher als zuvor.
Plötzlich erschrak er; er hatte den Knall eines Kanonenschusses zu hören geglaubt.
Drei Mal glaubte er den nämlichen Knall zu vernehmen; er machte Diejenigen von seinen Unglücksgefährten, welche nicht schliefen, darauf aufmerksam, und sie glaubten ihn ebenfalls zu hören.
Gegen Ende der Nacht erkannten sie jedoch ihren Irrthum.
Von der Ermüdung überwältigt, hatte John Mackay ebenfalls die Augen geschlossen, als einer der Matrosen beim ersten Scheine der Morgenröthe ein Schiff zu sehen glaubte und daher ausrief:
»Ein Segel!«
Es läßt sich denken, welchen Eindruck dieser Ruf auf die Unglücklichen machte.
Die Lascars, welche Muselmänner sind, riefen alsbald mit lauter Stimme ihren Propheten an und auch die Christen sandten ein Dankgebet zum Himmel.
Leider aber war es mit dem Segel wie mit den Kanonenschüssen in der vergangenen Nacht, und als Jedermann den Blick auf den bezeichneten Punkt gerichtet hatte, überzeugte man sich, daß dieser Punkt eben so einsam war wie die ganze unabsehbare Wasserfläche.
Das Floß.
Nachdem so die Hoffnung auf Rettung zwei Mal getäuscht worden war, bemächtigte sich der Schiffbrüchigen eine namenlose Verzweiflung.
Der Wind blies fortwährend mit Heftigkeit, die See ging ungeheuer hoch, das Verdeck und die oberen Theile des Schiffes zerbrachen, die Taue, welche den Mast hielten, andren sich zweiundsiebzig Menschen anklammerten, drohten jeden Augenblick zu zerreißen und ließen den entsetzlichsten Ausgang der Katastrophe befürchten.
Schon an diesem ersten Tage stürzten sich Einige, welche jede Hoffnung auf Rettung aufgegeben hatten und der langen Qual einen raschen Tod vorzogen, in's Meer und kamen nicht wieder zum Vorschein, während Andere, die noch gern am Leben geblieben wären, von den Wellen mit fortgerissen wurden und mit übermenschlichen Anstrengungen unter lautem Jammergeschrei vergebens versuchten, durch Schwimmen die verlorene Stütze wieder zu erreichen.
Jetzt erst bemerkte man, daß das Schiff, obgleich der Rumpf sich tief unter dem Wasser befand, noch immer fortschwamm, denn die in's Meer Gefallenen konnten es nicht wieder einholen und man sah Einen nach dem Anderen in den Wellen verschwinden.
Das entsetzliche Schauspiel hatte indessen auch seine gute Seite. Während der ersten drei Tage, wo der Sturm unausgesetzt mit Heftigkeit blies und das Meer in beständiger Aufregung war, dachte man beim Anblick des tobenden Elementes und der nach und nach Umkommenden weniger an den Hunger. Als jedoch der Wind nachließ und die See sich beruhigte, als man hoffen durfte, daß das Schiff nicht tiefer sinken und der Mast sich noch über dem Wasser halten werde, ohne zu brechen, da erschien das bleiche Gespenst des Hungers mit seinem Gefolge entsetzlicher Leiden.
In diesem Augenblicke versuchten es mehrere Männer, denen es im Besanmastkorbe zu eng wurde, den Fockmastkorb zu erreichen, wohin der eine Matrose, der sich darin befand und der sich in seiner Einsamkeit noch unglücklicher fühlte als die Anderen, sie rief.
Von den sechs Mann aber, welche in's Meer sprangen, um den kurzen Zwischenraum zu durchschwimmen, erreichten nur zwei das Ziel; die vier anderen ertranken.
Da John Mackay der Einzige ist, der nicht nur bei der entsetzlichen Katastrophe bis zu Ende die Geistesgegenwart behielt, sondern sie auch ausführlich niedergeschrieben hat, so begleiten wir besonders ihn durch die Angst, die Leiden und die Hoffnungen, die er uns mit der glaubwürdigen Einfachheit eines Seemannes berichtet hat.
Auf die erste Aufregung, in die ihn anfangs die Größe und dann die Fortdauer der Gefahr versetzt hatte, folgte am vierten Tage bei ihm eine finstre Gleichgültigkeit, in der seine Hauptsorge immer die war, so lange und so fest als möglich zu schlafen, damit die Zeit ohne zu große Qualen verging. In Folge dessen wurde ihm das Wehgeschrei und die Klagen seiner Unglücksgefährten deshalb lästig, weil sie ihn aus der Betäubung weckten, in der er seine Leiden weniger fühlte.