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Mehrere ehemalige Seeleute berichten in diesem Band 47 über ihre Fahrzeiten in den ersten Nachkriegsjahrzehnten auf ihren Schiffen und über Erlebnisse in vielen Häfen in verschiedenen Fahrtgebieten, als wegen der längeren Liegezeiten erlebnisreicher Landgang noch möglich war. Erinnerungen an längst vergangene Zeiten werden dabei beim Leser wieder wach. Ein Autor erzählt auch über seine Reisen als Kind auf den Schiffen seines Vaters, aus seiner Dienstzeit bei der Bundesmarine und als Passagier auf einem heutigen Frachtschiff. Außerdem werden zwei Kapitäne aus Delve an der Eider vorgestellt, die um 1900 herum auf Segelschiffen oder Dampfern teilweise weltweit unterwegs waren.
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Seitenzahl: 308
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Jürgen Ruszkowski
Seefahrtserinnerungen – Anthologie
Ehemalige Seeleute erzählen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort des Herausgebers
Frerich Schüler aus Emden
Hans-Gerorg Eurich – Seefahrtserinnerungen
Plötzlich waren wir uns der Gefahr bewusst...
Jürgen Gerber, Aurich - Seefahrtserinnerungen
„PROTEUS“ – ein Kühlschiff
„ERNST SCHRÖDER“ – Stückgutfrachter
Angel-Sturmfahrt mit Gustav
Auf Schiffen der Handels- und Bundesmarine
Urlaub auf einem Frachtschiff
Seefahrt als erste Berufserfahrung
Vom „Moses“ zum Kapitän
Seit über 40 Jahren mit Tieren auf hoher See
Schiffsmechanikerin Andrea Wahl
Kapitän Johann Hinrichs aus Delve
Kapitän Adolf Coltzau aus Delve
Seemännische Umgangssprache und Fachausdrücke
Personenregister: erwähnt in den Bänden:
Weitere Informationen
Maritime gelbe Buchreihe „Zeitzeugen des Alltags“
Impressum neobooks
Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.
Im Februar 1992 begann ich, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.
Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften zu meinem Buch.
Ein Schifffahrtsjournalist urteilte über Band 1: „...heute kam Ihr Buch per Post an - und ich habe es gleich in einem Rutsch komplett durchgelesen. Einfach toll! In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und engagiert. Storys von der Backschaftskiste und voll von Lebenslust, Leid und Tragik. Dieses Buch sollte man den Politikern und Reedern um die Ohren klatschen. Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs. Ich hoffe, dass das Buch eine große Verbreitung findet und mit Vorurteilen aufräumt. Da ich in der Schifffahrtsjournalistikbranche ganz gut engagiert bin, ...werde ich gerne dazu beitragen, dass Ihr Buch eine große Verbreitung findet... Ich bestelle hiermit noch fünf weitere Exemplare... Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Buch, das wirklich Seinesgleichen sucht...“ Uwe V.
Über diese Rezension habe ich mich sehr gefreut: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke, Herr Ruszkowski.
Diese positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Diese Zeitzeugen-Buchreihe umfasst inzwischen fast drei Dutzend maritime Bände.
In diesem Band 47 können Sie wieder in einer Anthologie Erlebnisberichte, Erinnerungen und Reflexionen mehrerer Seeleute kennen lernen, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten die schönsten Jahre deutscher Seefahrt erlebten, als noch ausreichend Landgang möglich war. Darunter sind mehrere in den 1990er Jahren in der Emder Zeitung veröffentlichte Beiträge. Zwei Kapitäne aus dem an der Eider gelegenen Dorf Delve, die um 1900 herum wirkten, werden vorgestellt.
Hamburg, im Juni 2010 / 2014 Jürgen Ruszkowski
Frerich (Fritz) Schüler, Geburtsjahrgang 1932 aus Emden wollte noch selbst soviel über seine Seefahrt schreiben, dass es für einen eigenständigen Band in dieser maritimen gelben Buchreihe gereicht hätte. Darüber wurde er jedoch sehr krank und verstarb. Hier seine eigenen fragmentarischen Aufzeichnungen:
Aller Anfang ist schwer
Mein erstes Seefahrtsabenteuer
Ich hatte mir in den Kopf gesetzt zur See zu fahren, und nun konnte ich es tatsächlich verwirklichen. Mein Seefahrtbuch und meine Gesundheitskarte hatte ich bereits in der Tasche und die seemännische Ausrüstung schon fast zusammen. Mir fehlten nur noch ein Paar Gummistiefel und ein Seesack. Eingetragen war ich schon bei der seemännischen Heuerstelle. Eines Morgens bekam ich dann den erwarteten Bescheid, dass ich mich melden sollte, denn man hatte ein Schiff für mich. Ich packte meinen Seesack und einen Pappkarton und fuhr nach Norddeich, wo das Schiff liegen sollte, auf welches ich angeheuert hatte. Ich konnte das Schiff aber nicht gleich finden. So fragte ich einen Fischer, der gerade in der Nähe zu tun hatte. Er gab mir zu verstehen, ich sollte mich einmal genau umschauen, dann würde ich das Schiff schon finden. Ich tat dies dann auch, und da entdeckte ich ein kleines Schiff mit dem Namen „SEEHUND", welches hinter einem Fischkutter lag.
Ich war sehr erschrocken, denn mit so einem kleinen Schiff hatte ich nicht gerechnet. Der Matrose, der an Deck stand, schmiss mir eine Leine zu, und so konnte ich meine sieben Sachen an der Kaimauer runter lassen. Es war gerade Niedrigwasser, und ich hatte einige Schwierigkeiten an Bord zu kommen. Als ich dann an Deck war, stellte sich heraus, dass sich der Kapitän nicht an Bord befand und der Matrose allein auf dem Schiff war. Nachdem ich meine Sachen in der Kajüte verstaut hatte, stellte ich mich dem Matrosen vor. Er hieß Gerd und kam aus Thüringen. Danach zeigte er mir erst mal das ganze Schiff und erklärte mir meine zukünftigen Aufgaben. Anschließend musste ich Tee aufbrühen.
Die SEEHUND hatte Libby-Milch-Dosen geladen, in große Kisten verpackt und für Hamburg bestimmt. Es waren ca. 125 Tonnen. Der Kapitän kam am nächsten Morgen an Bord. Ich musste mich vorstellen und mein Seefahrtbuch abgeben. Er erklärte mir, dass ich 25,- DM Heuer pro Monat bekäme plus Essen und Logis. Ein Matrose bekam etwa 200,- DM.
Dann ging es auch gleich zur Sache. Ich musste vorne die Leinen loswerfen, und dann fuhren wir auf die offene Nordsee. Das Wetter war nicht besonders freundlich, es regnete, wir hatten Windstärke 6 bis 7, und so sollte es auch bleiben bis Hamburg. Nach etwa einer Stunde erreichten wir den Normeyer Seegat. Unsere SEEHUND fing heftig an zu schaukeln, so dass mir schlecht wurde und ich ziemlich blass war. Der Kapitän sagte, ich sei wohl seekrank. Ich musste mich dann auch mehrmals übergeben. An Essen war erst gar nicht zu denken. Dieser Zustand hat insgesamt zwei Tage gedauert. Der Matrose Gerd musste mich bei meiner Arbeit unterstützen. Nachdem ich wieder einigermaßen zu mir gekommen war, lagen wir bereits auf der Elbe bei Krautsand vor Anker. Es war Nebel aufgekommen, der sich erst am nächsten Morgen wieder auflöste, so dass wir danach unsere Fahrt fortsetzen konnten. Am Nachmittag legten wir dann im Hamburger Hafen am Bestimmungskai an. Als unser Schiff entladen war, bekamen wir sofort eine Ladung Getreide für Duisburg. Es lagen sehr viele Kleinschiffe längsseits eines großen Getreidedampfers. Ich habe mich gewundert und mich gefragt, wo die alle herkamen. Den Hamburger Hafen hatte ich mir anders vorgestellt. Ich war ziemlich überrascht, dass der Hafen und die Stadt so schlimm zerstört waren. Die Elbbrücken sowie der Elbtunnel waren noch gut passierbar.
Bis nach Duisburg war es eine lange See-, Fluss- und Kanalfahrt. Das heißt, wir fuhren die Ems hoch, und zwischendurch passierten wir viele Kanäle. In Duisburg sah es auch nicht viel besser aus als in Hamburg.
Unsere SEEHUND mit ihrem runden Steven war sehr schlecht zu steuern. Ich habe das Steuern schnell gelernt, musste teilweise aber auch mal sechs bis acht Stunden am Steuer stehen. Viele Kleinschiffe lagen in Cuxhaven und warteten darauf, wer die Führung übernehmen würde auf dem Weg durch die Außenelbe in die Nordsee Richtung Borkum und dann wieder in die Ems. Die meisten Schiffe kamen aus Haren an der Ems. Alle Schiffe, egal ob groß oder klein, mussten den so genannten Zwangsweg einhalten, da noch immer viele Treibminen gesichtet wurden. Ab und zu kam es auch vor, dass ein Schiff auf solch eine Treibmine auflief. Man konnte die Explosion weit entfernt noch gut hören.
Wir transportierten auf unserem Schiff viele verschiedene Güter, zum Beispiel Kohle von Emden nach Hamburg, Milch von Leer nach Hamburg, Getreide von Hamburg nach Duisburg sowie Steine von Ditzum für den Wiederaufbau nach Hamburg.
Wir hatten mal wieder Steine in Ditzum geladen, um sie nach Hamburg zu bringen, als wir in schlechtes Wetter kamen. Plötzlich befanden wir uns zwischen dem Weser-Feuerschiff und der „ELBE 1" in einem Meer von Apfelsinen, welche einem anderem Schiff bei dem schlechten Wetter über Bord gegangen waren. Diese einmalige Gelegenheit haben wir uns nicht entgehen lassen und die damals so begehrten Früchte stundenlang aus der kalten Elbe gefischt, an Bord verstaut und anschließend in den Seemannskneipen „Große Freiheit“, „Leuchtturm“ und „Oberbayern“ für 20 Pfennig pro Stück verkauft. Die Nachfrage war so groß, dass ich sogar zu bescheidenem Reichtum gelangte. Allerdings war ich anschließend ein halbes Jahr arbeitsunfähig, denn ich hatte mir beim Bergen der „Ware“ eine Unterkühlung zugezogen, die schlimme Folgen hatte.
Unerwartetes Nachspiel
Die 130 Tonnen Ziegelsteine, welche wir in Ditzum (Ostfriesland) geladen hatten, wurden im Hamburger Hafen gelöscht. Sie wurden auf Pferdewagen verladen und dann weiter zu den Baustellen in Altona gebracht. In Hamburg-Altona waren während des Krieges viele Häuser zerstört worden, die nun wieder aufgebaut wurden.
Nach der kompletten Entladung des Schiffes, fuhren wir weiter zum Hamburger Fischmarkt, um dort auf neue Order zu warten. In Hamburg wurde zu damals auch viel Getreide verladen, so ließ die Order nicht lange auf sich warten. In Hamburg lagen zu dieser Zeit ca. 20 bis 30 Kleinschiffe, die auf Ladung warteten, die allermeisten hatten Haren an der Ems als Heimathafen.
Es war Samstag, und nach Freitagmittag wurden keine Ladungen mehr durchgeführt. Aus diesem Grund mussten wir bis zum Montag warten. Damit wir am Montag ladebereit waren, musste der Laderaum gefegt und gereinigt werden. Normalerweise hatte ich erst so gegen 19:00 Uhr Feierabend, da ich auch für das Kochen, Abwaschen und das Sauberhalten der Kajüten zuständig war. Der Matrose Gerd war für das Deck zuständig, während der Skipper, der in der Stadt Norden wohnte, nach Hause fuhr.
In dieser Zeit besaß keiner von uns ein Radio, so dass wir auch keinen Wetterbericht hören konnten. Wir bemerkten nur, dass der Wind auffrischte und sich zu einem Sturm entwickelte. Uns konnte er jedoch nichts anhaben, da wir ja geschützt im Hafen lagen. In der Nacht wurde ich mehrmals wach, da die Elbe ziemlich unruhig war und die Schiffe gegeneinander stießen. Daraufhin weckte ich den Matrosen, und wir holten die Leinen durch und befestigten Fender an der Bordwand. Da Vollmond war, konnten wir die Umgebung deutlich erkennen. In der Zwischenzeit waren noch ein paar Schiffe hinzugekommen. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Kleinschiffe zwischen 150 und 250 Tonnen, die noch mit Kies und Sand beladen waren.
Das Wetter beruhigte sich während der ganzen Nacht nicht mehr, und am nächsten Morgen herrschte Windstärke 10 und in Böen sogar bis 11 aus südwestlicher Richtung. Das Wetter hatte zu einer Sturmflut geführt, und der gesamte Altonaer Fischmarkt war bereits überschwemmt. Der Weg an Land war uns versperrt. Einige der anderen Schiffe hatten Ihre Beiboote ausgesetzt und konnten so ihre Leute an Land bringen.
Ich war am Montag mit einem Landgang an der Reihe, da sich meine Infektion verschlimmert hatte. Der Kapitän hatte die Adresse eines Arztes in der Nähe besorgt, zu dem ich unbedingt gehen musste. Es war aber erst Sonntag, und ich musste Fleisch anbraten und das Gemüse vorbereiten, während der Matrose Gerd die Kartoffeln schälte. Den Pudding hatte ich schon am Morgen zubereitet und kalt gestellt. Das Kochen hatte ich hauptsächlich von meiner Großmutter abgeschaut, bei der ich mehrere Jahre meiner Kindheit verbracht hatte.
In der Zwischenzeit kamen wir mit anderen Seeleuten in Kontakt, um zu erfahren, wie sich die Wetterlage entwickelte. Alles in allem sah es nicht gut aus. Der Sturm war auf Nordwest gedreht und sollte sich noch verstärken. Damit bestand weiter die Sturmflutsituation. Da es noch keinen Sprechfunk und an Bord keinen Rundfunkempfänger gab, hatten die Hafenbehörde und die Wasserschutzpolizei alle Hände voll zu tun. Alle Schiffsführer und Kapitäne mussten mit Hilfe eines Megaphons gewarnt werden.
Am Montagmorgen flaute der Sturm endlich etwas ab. Die Elbe war immer noch stark aufgewühlt, die Kaimauer und die Hafenanlagen standen teilweise noch unter Wasser. Ich hatte leichtes Fieber, und somit wurde es Zeit für mich, zum Arzt zu gehen. Ich wurde mit einem Beiboot an Land gebracht.
Der Arzt hatte seine Praxis in St. Pauli. Als ich dort ankam, herrschte im Wartezimmer bereits Hochbetrieb. Nach einer etwa eineinhalbstündigen Wartezeit war ich dann endlich dran. Nachdem ich dem Arzt alles geschildert hatte und von ihm gründlich untersucht worden war, erklärte er mir, dass ich an einer schweren Blasenentzündung leide und diese nur zu Hause in Ruhe auskurieren könne. Daraufhin gab er mir ein Rezept für die Apotheke und eine Bescheinigung für den Kapitän. Er ermahnte mich, sofort von Hamburg direkt nach Emden zu fahren, um mich richtig auszukurieren. Das bedeutete für mich nur eines: ausmustern.
Nachdem ich in der Apotheke drei verschiedene Medikamente erhalten hatte, machte ich mich auf den Rückweg zum Schiff. Am Schiff angekommen, unterrichtete ich den Kapitän von meiner Lage. Er war darüber sehr traurig, da er mich gerne an Bord behalten hätte. Nun musste er zur Heuerstelle, um einen anderen Schiffsjungen anzuheuern.
Ich packte in der Zwischenzeit meine Sachen zusammen, um dann mit dem Kapitän zusammen zum Seemannsamt zu gehen, um die Abmusterung im Seemannsbuch eintragen zu lassen. Ich bekam noch einen Rest meiner Heuer und das Fahrtgeld für die Reise nach Emden mit auf den Weg.
Als ich in Emden ankam, war meine Mutter zwar froh, dass ich wieder zu Hause war, aber auch traurig darüber, dass ich krank war. Ich blieb ca. 14 Tage zu Hause, bis mich ein anderer Arzt wieder gesund schrieb. Gleich am nächsten Tag ging ich wieder zur Heuerstelle und ließ mich als Schiffsjungen eintragen. Dort sagte man mir gleich, dass die Chancen für Schiffsjungen derzeit sehr schlecht seien. Viele Jungen wollten zur See fahren, und es gebe nur wenige Lehrstellen, die an Bord Verfügung stünden. Mittlerweile war in Juni 1948 die neue Währung eingeführt worden, und alle Menschen, ob jung oder alt, wollten Geld verdienen und suchten nach Arbeit.
Ich fand dann eine andere Arbeitsstelle bei einer Schiffsreinigungs-Firma auf den Nordseewerken. Dort wurden alte Fischdampfer, welche im Krieg als Vorpostenboote gedient hatten, wieder zu Fangschiffen umgerüstet. Ich hatte einen Stundenlohn von 60 Pfennigen plus einen Zuschlag von 10 Pfennigen als so genanntes Schmutzgeld. Die älteren Kollegen bekamen etwas mehr. Freitags war Zahltag. Ich war mit meiner Arbeitsstelle zufrieden. Netto bekam ich ca. 36 DM ausgezahlt. Davon gab ich meiner Mutter Kostgeld, aber für mich blieb auch immer noch was übrig.
Nach einem halben Jahr gab es für uns immer weniger Arbeit, da sich noch zwei weitere Reinigungsfirmen niedergelassen hatten. Daraufhin wurden einige jüngere, unverheiratete Kollegen, zu denen ich auch gehörte, entlassen.
Ich suchte also wieder nach Arbeit. Eines Tages traf ich einen meiner Vettern in der Stadt, der einen Karton auf dem Fahrrad befestigt hatte, in dem er Korb- und Schwarzbrot transportierte. Ich erfuhr von ihm, dass er eine Arbeitsstelle als Laufbursche bei dem Kaufmann Folkerts, dessen Geschäft am Appelmarkt lag, gefunden hatte. Falls ich auch an einer Stelle als Laufbursche interessiert wäre, könnte er mir eine besorgen, denn die Bäckerei Hermann & Martin Meyer in der Nordertorstraße würde jemanden suchen. Ich ging gleich am nächsten Morgen dorthin und stellte mich vor. Einer der Meister erklärte mir, was ich tun sollte, und schon am nächsten Tag um 7:30 Uhr konnte ich anfangen. Meine erste Aufgabe war es, einen großen Beutel mit Brötchen, ein paar Weiß- und Korbbrote zu Herrn Joseph Roden an der Ecke Auricher- / Eggena-Straße zu bringen.
Von nun an lieferte ich jeden Tag von 7:30 Uhr bis 18:30 Uhr Brot, Brötchen oder Kuchen aus. Ich belieferte auch Privatkunden mit allerlei Torten, welche im Karton verpackt waren oder Backbleche mit Teekuchen. Bei den Kunden gab es für mich auch hin und wieder ein Trinkgeld. Die meisten der Kunden wohnten in einem zentralen Gebiet der Straßen Zwischen-beiden-Bleichen und der Neutorstraße. In diesem Bereich waren während des Krieges nicht so viele Häuser bombardiert worden, wie in anderen Teilen der Stadt. Zum Transport standen uns zwei Fahrräder mit Anhänger und ein Kastenwagen, der mit zwei Rädern aus einem alten Flugzeug bestückt war, zur Verfügung.
Der Umgang mit diesem Wagen war ein sehr schwieriges Unterfangen. In den Wagen passten ca. 100 Brote. Eine solche Ladung wurde jede Woche einmal nach Borssum gebracht - unabhängig vom Wetter.
Mein Arbeitslohn betrug 15 DM, dazu freies Mittagessen. Zusätzlich bekamen wir zwei Korbbrote und ein Rosinenbrot am Samstag. Bei Hochbetrieb vor Feiertagen kam es schon mal vor, dass ich erst um 20:00 Uhr Feierabend machen konnte. Dann bekam ich immer ein Abendessen beim Bäcker und noch 5 DM extra.
Vor Weihnachten half auch mein Bruder mit, der sich ebenfalls ganz gut auskannte. Er arbeitete zwar auf den Nordseewerken, hatte aber Samstagmittag und natürlich am Heiligabend frei. Wir bekamen immer genug Brot und Kuchen mit nach Hause, so dass die Haushaltskasse meiner Mutter entlastet wurde.
Leider gab es auch ab und zu mal Unfälle. Mir passierte es in der Mittagsstunde, als ich noch schnell einen großen Beutel mit ca. 100 Brötchen und ein paar Weißbrote ausliefern musste. Die Weißbrote waren in einem Korb auf dem Gepäckträger platziert, und die Brötchen befanden sich in einem Sack am Lenker, den ich mit der linken Hand festhalten musste. Der Empfänger war Friedrich Jansen, die Lieferung sollte schnell erfolgen. Ich fuhr gerade am Delft entlang, und vor mir fuhr eine Straßenbahn. Überholen war da zwecklos. Plötzlich kam ich mit dem Vorderreifen in die Schienenspur, dies brachte mich aus dem Gleichgewicht und ich stürzte. Mein Brötchensack platze auf, der Inhalt der Tüte und die Brote auf dem Gepäckträger wurden auf der Straße verteilt. Im Nu stürzten sich die größeren Jungs, die zufälligerweise gerade aus der Berufsschule kamen, auf die Backwaren und nahmen sie mit. Ich habe mir dabei am ganzen Körper üble Verletzungen zugezogen und konnte drei Wochen lang nicht arbeiten. In der Zwischenzeit haben zwei Lehrlinge meine Aufgaben übernommen und die Backwaren ausgetragen.
Durch eine Verletzung am linken Arm hatte ich oft Schwierigkeiten beim Auf- und Absteigen vom Fahrrad, sowie beim Tragen von Backblechen.
Es wurde nun langsam Frühling, die Tage wieder länger und wärmer. Eines Tages beschloss ich, mal bei der Seemännischen Heuerstelle vorbei zu schauen, um zu sehen, ob es vielleicht wieder ein Schiff gab, und siehe da, es klappte. Man hatte tatsächlich etwas für mich. Da ich meine Infektion nun schon gut ein halbes Jahr auskuriert hatte, konnte ich endlich wieder auf einem Schiff anheuern.
Kohle nichts als Kohle – Auf der ELISE SCHULTE
Laut Potsdamer Vertrag war es Deutschland erlaubt, Schiffe bis 3.500 Tonnen zu bauen oder zu kaufen. Viele der Reedereien kauften hauptsächlich ältere Schiffe von den Engländern. Ich konnte dann auf solch einem Schiff anmustern, das „ELISE SCHULTE“ getauft war. Es gehörte der Reederei Schulte und Bruns aus Emden.
Nachdem das Schiff aus England geholt worden war, wurde es zur Einhaltung der deutschen Vorschriften auf der Werft von Schulte & Bruns umgerüstet.
Zuerst unternahm die ELISE SCHULTE zwei Reisen mit Schlammkohle für verschiedene Gaswerke in Hamburg. Erst dann wurde die volle Mannschaft in Emden angeheuert. Ich gehörte ebenfalls dazu. Angemustert wurde ich als Decksjunge, sollte aber auch den Heizern in der Messe helfen, bis in Hamburg ein Messejunge dazu stoßen würde. Ich kündigte also meine Stelle bei dem Bäcker, und mit dem Restlohn und etwas Urlaubsgeld konnte ich mich dann für die Reise mit Seife, Waschmitteln und anderen Toilettenartikeln ausrüsten.
Da ich bereits im Aufwaschen von Tellern und Tassen, sowie im Backen Erfahrung hatte, konnte ich leicht am ersten Morgen an Bord mithelfen. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, und direkt seekrank bin ich auch nicht mehr geworden. Wenn ich gegessen hatte, wurde mir zwar ab und zu noch mal etwas übel, aber das ging schnell vorbei.
Wir hatten bereits drei Reisen von Emden nach Hamburg, genauer gesagt, nach Waltershof, nach Altona und zum India-Hafen hinter uns gebracht. Der neue Messejunge, der aus Kiel kam, war inzwischen auch an Bord. Da bekamen wir die Order für zwei Ladungen nach England. Wir sollten Kohle von Blyth in England nach Hamburg bringen. Dies war meine erste Auslandsreise, und ich war sehr neugierig, was mich nun erwarten würde.
Blyth stellte sich als typische Bergarbeiterstadt an der Ostküste Englands heraus. Dort wurde die Kohle direkt aus der Nordsee gefördert. Das Beladen dauerte etwa drei bis vier Stunden. Zusätzlich zu meinen Arbeiten in der Messe und den Kajüten musste ich auch an Deck Arbeiten verrichten. An den Wachen an Bord durfte ich jedoch noch nicht teilnehmen. Durchschnittlich machten wir ca. zwei Fahrten in der Woche von Emden nach Hamburg. Wenn es gut lief und die Kohle aus dem Ruhrgebiet pünktlich in Emden eintraf, konnten es auch drei Fahrten in der Woche werden.
Unser Schiff lag direkt vorne am Erzkai und zwar so, dass ein mit Erz oder Kohle beladener Kahn zwischen unserem Schiff und der Kaimauer Platz hatte. Zur Vorsicht wurde unser Schiff durch zwei Baumstämme an der Kaimauer abgestützt. Die Beladung erfolgte dann mit zwei Kränen von Land aus, und ein Schwimmkran übernahm die Beladung der Außenbordseite. Durchschnittlich wurden für den gesamten Vorgang vier Stunden benötigt.
Meine Bordkameraden und ich natürlich auch gingen gern einmal ins Kino. Leider waren viele der Kinos in Emden im Krieg zerstört worden. 1950 waren bereits zwei davon, die Lichtspiele und das Apollotheater, wieder in Betrieb, und drei weitere wurden gerade wieder aufgebaut. Bis 1949 waren das Apollotheater in der Herrentorschule und die Lichtspiele in der Gaststätte Sternburg untergebracht gewesen. Wenn unser Schiff am Donnerstag in Emden einlief und noch beladen wurde, dann waren wir garantiert am Samstag wieder in Emden. Falls dies eintraf, richtete ich mich darauf ein und fuhr mit dem Fahrrad in die Stadt und kaufte gleich vier oder fünf Kinokarten für eines der beiden Kinos. Lagen wir in Hamburg, war es immer schwierig, samstags ins Kino zugehen, da im Hamburger Hafen auch am Sonntag gearbeitet wurde.
Hatten wir Schlammkohle oder Bunkerkohle für den Eigenbedarf geladen, waren wir immer sehr schmutzig. Wir hatten Glück, dass wir auf unserem Schiff einen Baderaum für die Deckbesatzung und einen zweiten für die Heizer hatten. Dieser Luxus war nicht auf jedem Schiff zu finden. Da Deutschland auf Grund des verlorenen Krieges die gut ausgerüsteten neuen Schiffe hatte abgeben müssen, waren zumeist ältere Schiffe wieder an die Reeder verkauft worden. Auf den meisten Schiffen bestand die Waschgelegenheit nur aus so genannten Pützen (Eimer). In diesen Pützen wusch man sich selbst und auch die Arbeitskleidung.
Bei den kurzen Reisen war es nicht möglich, die nötigen Instandhaltungsmaßnahmen durchzuführen. Musste das Schiff gestrichen werden, dann unternahm man Zwischenreisen nach Schweden, um in Oxelsund oder Gävle Eisenerz zu laden. Während dieser Fahrten hieß es dann: „Alle Mann an Deck!", und auch die Freiwachen mussten nach der Wache mit an Deck, um den nötigen Anstrich aufzubringen. Dadurch gab es viele Überstunden, und auch die Hilfe von uns Jüngeren wurde benötigt. Für eine geleistete Überstunde bekam ich 1,25 DM. Eine Stange Zigaretten kostete an Bord 5 DM, welche ich dann für 10 bzw. 11 Kronen oder 10 DM an Land verkaufte. Eine Flasche Schnaps kostete am Bord ebenfalls 5 DM. Man konnte sie aber an Land für 35 bis 40 Kronen verkaufen. Unser Kapitän Fritz Brinkmann, der ein rauer Geselle, aber guter Mensch aus Westrhauderfehn war, warnte mich immer vor dieser Art von Geschäft. Er sagte, falls er mich beim Schmuggeln erwischen würde, könnte ich sofort nach Hause gehen, und er lachte dann schelmisch dazu. Ich wurde jedoch während meiner gesamten Seefahrtszeit nie erwischt.
Die „HERMANN SSCHULTE“, ein weiteres von der Reederei Schulte eingesetztes Schiff, war in der Lage, ein paar Tausend Tonnen Ladung mehr aufzunehmen als unser Schiff. Als es uns bei Brunsbüttel einmal überholen wollte, da fragte unser Kapitän unseren Leichtmatrosen und mich, ob wir die Heizer für ein bis zwei Stunden unterstützen könnten, um die Bunkerkohle näher an die Öfen zu schaufeln. Wir taten es, und gemeinsam schafften wir es, dass die HERMANN SCHULTE uns nicht überholte und wir noch zwei Stunden eher in Hamburg waren. Jeder von uns bekam dafür acht Überstunden bezahlt.
Ich wollte nicht mehr länger auf einem Kohlefrachter fahren, da mir die Fahrten von Emden nach Hamburg zu langweilig wurden. Außerdem konnte man durch den Kohlestaub nichts richtig sauber halten. So kündigte ich meinen Dienst auf der ELISE SCHULTE und heuerte auf der „PERGAMON" an.
Hier musste Frerich Schüler krankheitsbedingt seine Schilderung seiner Seefahrtserlebnisse abbrechen. Er verstarb bald darauf.
Ab hier ein Bericht der Emder Zeitung:
In der Emder Zeitung berichtete EZ-Mitarbeiter GERD REDENIUS im Rahmen einer Serie über Ereignisse aus der Seefahrt von Begebenheiten, die sich mit Menschen verbinden, die in Emden ihre Heimat haben, hier am 14. Dezember 1996 und 25. Januar 1997: Aus dem Leben von Frerich Schüler
Schon als Kind zog es mich in den Emder Hafen
In der Emsmauerstraße, gegenüber dem Luftschutzbunker wurde ich im Mai 1932 geboren. Nachdem wir im Krieg ausgebombt wurden, wohnten wir in den Olympia-Baracken an der Nesserlander Straße.
Obwohl es nach dem Krieg an fast allem mangelte, verbrachten wir eine unbeschwerte Jugendzeit. Mit dem Wenigen, was wir hatten, waren wir zufrieden. Nach der Schule zog es mich und meine Freunde in den Hafen, wo wir uns bald gut auskannten. Wir gingen an Bord ausländischer Schiffe, wo wir als Abwäscher in der Kombüse mithalfen und dafür mit reichlich gutem Essen belohnt wurden. Des Öfteren halfen wir auch beim Festmacher Janssen aus.
Damals lagen auch viele Schiffe an der West- und Ostseite im Freihafen. Auf einem amerikanischen Schiff, das Zucker löschte, wurden mein Freund Fritz van Lengen und ich eines Tages mit einem Hafenarbeiter einig, zwei Säcke mit Schmuggelgut aus dem Hafen zu bringen. In diesen Säcken befanden sich Tee, Kaffee und Zigaretten. Mit einem geliehenen Ruderboot starteten wir bei Dunkelheit in Richtung Delft, wurden aber in Höhe der Teufelsinsel von der deutschen Dockpolizei aufgegriffen und zur Wache in die Eichstraße gebracht. Von einem englischen Militärgericht wurden wir zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe verdonnert, die wir in einem Jugendheim der evangelischen Kirche in Hannover verbrachten. Ich war damals 15 Jahre alt.
Nach der Währungsreform im Jahre 1948 heuerte ich auf der 130-Tonnen-Tjalk „SEEHUND“ (Kapitänseigner Hermann Janssen, Norden) für 25 Mark Heuer als Schiffsjunge an. Während einer Reise von Ditzum nach Hamburg-Altona – das Schiff war mit Steinen beladen – befanden wir uns plötzlich zwischen Weserfeuerschiff und „ELBE 1“ in einem Meer von Apfelsinen, die einem anderen Dampfer bei Schlechtwetter über Bord gegangen waren.
Diese einmalige Gelegenheit haben wir uns nicht entgehen lassen und die damals begehrten Früchte stundenlang aus der kalten Nordsee gefischt, an Bord verstaut und anschließend auf St. Pauli in den Seemannskneipen „Große Freiheit“, „Leuchtturm“ und „Oberbayern“ für 20 Pfennig das Stück verkauft. Die Nachfrage war so groß, dass ich sogar zu bescheidenem Reichtum gelangte. Allerdings war ich anschließend ein halbes Jahr arbeitsunfähig, denn ich hatte mir beim Bergen der „Ware“ eine Unterkühlung zugezogen, die schlimme Folgen hatte.
Als dann im Jahre 1950 die deutsche Seefahrt langsam wieder aufblühte, heuerte ich auf dem von Kapitän Fritz Brinkmann (Westrhauderfehn) geführten Dampfer „ELISE SCHULTE“ an, der Schlammkohle von Blyth (England) nach Hamburg brachte.
Danach folgte eine für mich sehr lehrreiche Fahrzeit als Jungmann auf der „PERGAMON“ der Deutschen Levante-Linie. Da sowohl die Offiziere (allesamt ehemalige Kapitäne) als auch die Matrosen (alles frühere Bootsmänner) über langjährige Erfahrungen verfügten, habe ich dort das seemännische Know-how gelernt.
Im Sommer 1951stieg ich auf dem in Costa Rica beheimateten Holzschoner „RANNA“ ein, musste jedoch das fast ausschließlich mit Esten bemannte Schiff bereits nach kurzer Zeit wieder verlassen, weil ich aufgrund eines Arbeitsunfalls in Rotterdam wieder abmustern musste. Diesem Umstand verdanke ich wohl mein Leben, denn kurz darauf kollidierte die RANNA bei dichtem Nebel in der Ostsee mit einem großen Pott. Das Schiff sank, und lediglich der Steuermann konnte lebend gerettet werden. Unter den Opfern war auch mein Freund Helmut Gindera aus Borkum.
Nach meiner Genesung heuerte ich mit dem Emder Matrosen Fritz Djuren auf dem unter belgischer Flagge fahrenden 11.000-Tonner „ANVERS“ an. Als Leichtmatrose verdiente ich 50 Prozent mehr als auf einem deutschen Schiff. Mit der ANVERS waren wir in der Erzfahrt von Narvik oder Lulea nach Emden, Rotterdam oder Antwerpen eingesetzt.
Aufgrund meiner zwischenzeitlich erlangten Englischkenntnisse folgte dann ab Ende 1951 eine lange Fahrzeit als Matrose auf der mit 36 Seeleuten aus acht Nationen bemannten „SAINT ANDRE“ der schwedischen Reederei O. Wallenius. Ich blieb eineinhalb Jahre auf dem Schiff.
Viele Seeleute wollten auf diesem Schiff nicht gerne anmustern, da das Schiff in Ballast bis zu 35 Grad überholte. Wir nahmen immer wenig Bunkerkohle an Bord, um mehr Erz laden zu können. Das führte dazu, dass auf einer Reise von Narvik nach Emden wegen Schlechtwetter die Kohle nur bis Borkum reichte und wir alle Lukendeckel aus dem Zwischendeck verfeuern mussten, um in Emden anzukommen.
Die SAINT ANDRE war in den Jahren 1952/53 Stammgast im Emder Hafen. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass allein 24 Besatzungsmitglieder in Emden oder Umgebung ihr Zuhause hatten. Fast alle hatten eine gemeinsam: Es waren nicht nur Seeleute, sondern auch gute Fußballspieler.
Viele Emder Seeleute fuhren damals auf schwedischen Schiffen aufgrund höherer Verdienstmöglichkeiten gegenüber deutschen Schiffen. Ich erhalte übrigens heute noch eine monatliche Rente von 177 schwedischen Kronen.
Da Ende 1951 längere Wartezeiten im Emder Hafen anstanden, dirigierte die Reederei das Schiff zu Weihnachten kurzfristig nach Glasgow um. Dort wurden wir von einem Sturmtief überrascht. Am Morgen des Heiligabends waren noch rund 700 Tonnen Erz im Schiff, die bis Mittag gelöscht werden sollten. An diesem Vormittag hatte ich Bordwache und war damit beschäftigt, die Leinen zu kontrollieren. Der Sturm nahm stetig zu, und plötzlich flog mir die erste Vorleine um die Ohren, eine zweite folgte. Auch die Manilaleinen, die etwas durchhingen, rissen. Mehrere Matrosen kamen mir zur Hilfe, und wir ließen den Steuerbordanker fallen, der über Grund schlidderte, aber nicht hielt. Als das Schiff dann über Steuerbord wegdrehte, rissen sämtliche Achterleinen. Nun trieben wir im Hafenbecken und rammten zwei Schiffe auf der gegenüberliegenden Seite. Als der Anker endlich gefasst hatte, lagen wir achtern bereits „auf Schiet“.
Wir haben Heiligabend und am 1. Weihnachtstag nur Leinen gespleißt, und da der Sturm zwischenzeitlich abgeflaut hatte, verholten wir das Schiff mit Hilfe von Winschen und sechs aneinander geschäkelten Leinen zum ursprünglichen Liegeplatz. Bei der Kollision war unser Schiff noch relativ glimpflich davongekommen; so konnten wir noch eine Ladung in Narvik übernehmen, bevor das Schiff für drei Wochen bei der AG Weser eindockte.
An Bord gab’s eine überaus erfolgreiche Fußballmannschaft.
Anschließend verkehrten wir wieder zwischen Narvik und Emden, und wenn das Wetter und die Zeit es erlaubten, spielten wir auf den Ballastreisen nach Narvik Fußball in Luke III. Der schwedische 1. Offizier, Jonas Häglöv, war ein Fußballfanatiker und beauftragte meinen Freund Hinni Rinderhagen und mich, eine Bordmannschaft zu gründen. So entstand die später überaus erfolgreiche Fußballmannschaft der SAINT ANDRE.
Zur damaligen Zeit waren 24 der 36 Besatzungsmitglieder aus Emden und Umgebung. Wir spielten gegen skandinavische Schiffe und gewannen auch ein Freundschaftsspiel gegen Frisia Emden mit 4:1 Toren. Unsere Turnierspiele fanden in Narvik, Emden und Antwerpen statt, und wir holten den 1. Preis der schwedischen Handelsmarine. Im Oktober 1952 fand eine Abschlussfeier im „Lindenhof“ in Emden statt.
Auf der nächsten Reise kam es in Narvik zu einem Zwischenfall, der jedoch glücklicherweise glimpflich endete: Bei Ausbesserungsarbeiten am Heck waren vier Besatzungsmitglieder auf Stellagen heruntergelassen worden. Weil es nachmittags gegen 15 Uhr bereits dunkel wurde, holte ich Sonnenbrenner. Plötzlich machte eine Winsch sich selbständig, ein Jolltau riss, und die Stellagen baumelten wie Schiffsschaukeln hin und her. Dabei fiel mein Freund Jonny Düpree ins kalte Wasser. Geistesgegenwärtig warf ich ihm eine Schmeißleine zu, mit deren Hilfe wir ihn bis zur Gangway zogen. Auch heute noch, nach nunmehr 44 Jahren, heißt es, wenn wir uns treffen: „Weißt du noch?“
An jenem Heiligen Abend griff niemand zum Punsch-Glas
Am 22. Dezember 1952 lagen wir mit dem schwedischen Dampfschiff SAINT ANDRE von derReederei Wallenius Stockholm unter Kapitän S. Ekwall in der Emder Großen Seeschleuse. Wir waren auf dem Weg nach Narvik in Norwegen, um eine Ladung Eisenerz nach Baltimore in den USA zu bringen. Das Wetter war sehr schlecht, und die Stimmung an Bord war auch nicht sehr viel besser.
Wir hatten bereits fast 25 Reisen mit Eisenerz von Narvik nach Emden und einmal davon noch Glasgow hinter uns gebracht. Der Vertrag mit der schwedischen Gesellschaft für Erzförderung war ausgelaufen, und nun ging es auf große Fahrt in die Vereinigten Staaten. Einige meiner Kollegen und ich freuten uns sehr auf diese Fahrt, obwohl ich die letzten vier Jahre Weihnachten nicht zu Hause gewesen war. Dies fiel mir jedoch nicht schwer, da ich ja alle zwei Wochen in Emden einlief.
Wir standen gerade mit mehreren Leuten an Deck, als plötzlich der Kapitän zu uns kam, um uns etwas Wichtiges mitzuteilen. Etwas aufgeregt berichtete er uns, der Funker hätte gerade eben mitgeteilt, dass das neue Frachtschiff „MELANIE SCHULTE“ aus Emden mit einer Ladung Eisenerz auf der Fahrt von Narvik nach Mobile in den USA verschollen sei. Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen. Keiner von uns konnte das so richtig fassen. Die MELANIE war ein nagelneues Schiff und gerade mal vier Monate alt. Der Kapitän sagte noch, dass wir die Nachricht vorerst noch nicht weiterverbreiten sollten, da noch viele Familienangehörige von der Besatzung an Bord waren, darunter 15 Seeleute aus Emden, sechs Schweden, drei Lettländer, ein Holländer und mehrere Seeleute aus dem Bremer Raum.
Am Heiligen Abend waren wir etwa auf der Höhe von Bergen. Eine weihnachtliche Stimmung wollte aber nicht so richtig aufkommen, denn das Hauptthema war das Unglück, welches die MELANIE SCHULTE ereilt hatte. Auf einer der Bunkerluken in der Nähe der Kombüse stand ein großer Topf mit Punsch. Jeder konnte sich daraus so viel nehmen, wie er wollte. Doch an diesem Tag blieb der Topf fast voll und wurde kalt. Dafür wurde mehr gegessen.
Weihnachten wird in Schweden traditionell groß gefeiert, und dabei wird zwei Tage lang ausgiebig geschlemmt. An Heiligabend gab es Stockfisch, Fischsuppe und Knäckebrot. Dabei wurden wir immer von unserem Funkoffizier mit den neuesten Nachrichten versorgt, doch es gab keine Neuigkeiten über die MELANIE SCHULTE.
Falsch beladen? – Diese Zeichnung von Frerich Schüler verdeutlicht, dass die Luke 1 der MELANIE SCHULTE nicht mit Erz gefüllt worden war
Wir wussten nur, dass das Schiff 9.307 Tonnen Eisenerz für Mobile geladen hatte und am 17. Dezember 1952 in See gestochen war. Das Wetter war schlecht gewesen, wie es zu dieser Jahreszeit üblich war, aber das Schiff war so solide gebaut, dass ihm ein solches Wetter nichts anhaben sollte.
Dieser Rettungsring der MELANIE SCHULTE wurde im Februar 1953 an der schottischen Westküste angespült. Er hängt heute im Emder Seemannsheim
Vier Monate auf der „HERTA ENGELINE FRITZEN“
Ein Teil der Deckscrew der HERTA ENGELINE FRITZEN im Jahre 1953.
Von links nach rechts: Erich Remmers (Leer), Leichtmatrose Wolfgang, Matrose Hans aus Leer, Matrose Egon Honefeld (Emden) sowie ein Jungmann. Im Rettungsring unten: Matrose Karl Scheel (Emden)
Mein nächstes Schiff, die „HERTA ENGELINE FRITZEN“, war ein 10.000-Tonner der „Emden“-Klasse. Im August 1953 musterte ich auf den Nordseewerken an, wo das Schiff damals zu Garantiearbeiten lag. Weil der eigentliche Kapitän Urlaub hatte, führte Reederei-Inspektor Heinrich Looft das Kommando.
Von Emden ging die Reise in Ballast (leeres Schiff) nach Norfolk (USA), wo wir in Charter einer amerikanischen Firma Kohle für Japan an Bord nahmen. Zum ersten Mal fuhr ich durch den Panama-Kanal, der den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Ich kann mich noch daran erinnern, dass das Schiff in den Gatunschleusen durch drei Kammern 26 Meter hoch geschleust wurde. Dabei wurden wir von drei Dieselloks gezogen, die über Zahnradantrieb verfügten, weil es ziemlich steil bergauf ging.
Auf der anderen Seite des Kanals angekommen, nahmen wir Kurs auf Hawaii. In einem kleinen Hafen mit dem schönen Namen Navillivilli wurde Öl nachgebunkert.
Danach ging es nonstop weiter nach Moji auf der japanischen Insel Kiushu. Dort löschten wir einen Teil der Ladung in Schuten. In den Laderäumen schaufelten an die hundert Männer und Frauen die Kohle in Netbrooks, mit Segeltuch ausgekleidete Netze. Diese wurden dann mit unseren Ladebäumen außenbords gehievt. Alle Hafenarbeiter trugen eine Art Turnschuhe, die wie Fausthandschuhe aussahen, weil die große Zehe seinen extra Platz hatte. Ob dieses eigenartige Schuhwerk dafür verantwortlich war, dass einer der japanischen Arbeiter in den Laderaum stürzte und sofort tot war, vermag ich nicht zu sagen.
Japanisches Bier schmeckte nach Chemie
In der Nähe der damals noch völlig zerstörten Stadt Nagasaki löschte die HERTA ENGELINE FRITZEN die restliche Ladung. Yawata hieß der Hafen. Abends gingen wir mit vier Mann an Land; meine Handharmonika nahm ich mit. Wir steuerten die erstbeste Kneipe an. Zuerst wollte man uns gar nicht reinlassen, weil man uns für Amis hielt. Als sie aber merkten, dass wir Deutsche waren, wurden wir herzlich willkommen geheißen und mit allem bewirtet. Am besten schmeckte uns noch der „Sake“, ein Reiswein. Das japanische Bier dagegen, egal ob „Sapporor“, „Asahi“ oder „Kirin“, schmeckte irgendwie nach Chemie. Später kamen noch einige Gäste, die ganz gut deutsch sprachen. Es waren frühere Geheimdienstoffiziere der Marine, für die ich immer wieder das Volkslied „Am Brunnen vor dem Tore“ spielen musste. Dieses Lied machte die Japaner ganz sentimental.