Seelenverflucht - Roukeiya Peters - E-Book

Seelenverflucht E-Book

Roukeiya Peters

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Beschreibung

Hexenseelen schweigen nicht Nach Jahren der Flucht will Lexi ihrem Wunsch folgen und das magische Café Spellman's übernehmen. Dies liegt nicht zuletzt an dem Hexer Heliot, der sich klammheimlich in ihr Herz geschlichen hat. Doch ihr Frieden wird erschüttert, als sie erfährt, dass ihr Vater Adrian Falkenstein vorzeitig aus dem Kerker entlassen wird. Sie beide verbindet ein düsteres Geheimnis, über jenes Lexi schweigen muss, um zu leben. Adrian zögert nicht, seine Rückkehr als Dämonenbändiger zu feiern, und fordert, dass Lexi ihren rechtmäßigen Platz an seiner Seite einnimmt. Als sich die Hexe weigert, ist ihm jedes Mittel recht, sie umzustimmen. Während die Dunkelheit über Lexi hereinbricht, kämpft sie verzweifelt um ihren Platz in der Welt. Reiheninfo: Seelenverflucht ist die Geschichte von Lexi - der Cousine von Felicity aus Seelenverrat. Man trifft Altbekannte wieder, wenn man Seelenverrat gelesen hat, aber es gibt keine Spoiler und man braucht kein Vorwissen, um Seelenverflucht lesen zu können.

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Seitenzahl: 570

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Seelenverflucht

Roukeiya Peters

Copyright © 2024 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Sarah Nierwitzki – Wortkosmos

Korrektorat: Isabel Dinies

Layout Ebook: Stephan Bellem

Umschlag- und Farbschnittdesign: Marie Graßhoff

Bildmaterial: Shutterstock

Druck: Booksfactory

ISBN 978-3-95991-789-6

Alle Rechte vorbehalten

Contentwarnung:

Blut, physische & psychische Gewalt, Trauer

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Wörterbuch Alte Sprache

Danksagung

Drachenpost

Für jene,

die darum kämpfen, zu bleiben

&

Für Micky, mein kämpferischer Kewani

Prolog

Fahrig glitten seine Finger über die vergilbten Buchseiten und säten mit jedem Buchstaben mehr Angst in seinem Herzen.

Ein Fluch. Es war nicht der bloße Stolz, der die Männer dazu bewegte, das Geschlecht der Nachkommen mittels dunkler Magie zu beeinflussen, sodass keine Mädchen in die Familie hineingeboren wurden.

Der Hexer hatte sich nie damit beschäftigt, da es ihn nicht interessiert hatte. Doch jetzt, wo ihm offenbart worden war, schon bald Vater zu werden, war da ein Gefühl in ihm, das er seit Jahren nicht gespürt hatte. Eine Emotion, die er nicht fühlen durfte.

Er dachte nicht lange über Maßnahmen nach, denn eines war offensichtlich: Er müsste seine Tochter verstecken, sobald sie das Licht der Welt erblickte.

Als sich der Hexer umdrehte, bewegten sich Schatten über die Wände. Mehrere Dämonen streiften unruhig umher, spürten, dass ihr Meister Nahrung für sie hatte. Sie lechzten nach seiner Angst. Ehe sie gierig danach griffen, ersetzte er sie durch Kälte.

Kälte, die er brauchte, um seinen Plan auszuführen.

Kapitel1

Mit ausgebreiteten Schwingen flog der Rabe über die Gebäude Kölns.

Normalerweise saß Lexi auf ihrem Besen, wenn sie die Stadt mit ihren tänzelnden Lichtern in der Dunkelheit betrachtete. Sie liebte die Stille, die sich in der Nacht wie eine warme Decke über Köln legte. Eine Stille, die Sicherheit vorgaukelte. Lexi hatte allerdings früh gelernt, dass Sicherheit nur ein Trugbild war.

Heute war alles anders, vielleicht fühlte sie sich deshalb so benommen und merkwürdig fremd. Lexi schob dieses Gefühl beiseite und griff in die Federn des Raben. Der laue Wind traf auf ihr Gesicht, viel zu warm für einen Herbsttag, dennoch versuchte sie, diesen friedlichen Moment zu genießen.

Die Sonne versank hinter den Fassaden, doch die warmgelben Strahlen hatten sich an der Stadt noch nicht sattgesehen. Nur wenige Häuser protzten mit kleinen Verzierungen und verschnörkelten Hauswänden. Die meisten Bauten hier waren zwischen den Trümmern neu entstanden und hatten unterschiedliche Zeitalter der Baukunst erlebt. Alt neben neu, neu neben alt – die Vielfalt gehörte zu Köln wie die Heinzelmännchen, von denen die Bewohner dachten, es gäbe sie nicht. Nun, vielleicht nicht in der Form, wie es in den alten Erzählungen vermittelt wurde, aber das spielte für die Normalsterblichen keine Rolle. Die Magie war ein Witz für Nomster. Höchstens eine besonders geglückte Illusion. Doch hier saß Lexi auf den dunklen Schwingen eines Raben und thronte über Köln, als gehörte ihr die Stadt.

Durch das Krächzen des Raben riss sie ihren Blick vom Sonnenuntergang und bemerkte, dass der Vogel geradewegs auf ein Haus zuflog, das sie nie wieder betreten wollte. Sie griff fester in das schwarze Federkleid, doch trotzdem vorsichtig genug, um ihm nicht wehzutun. Der Rabe blieb stur, und Lexi stieß einen verzweifelten Laut aus.

»Nicht dorthin!«

Er schlug mit seinen Flügeln, und die Hexe strich fahrig über seinen Hals, als wollte sie ihn beruhigen. Dieser Rabe … Sie sah den riesigen Schatten, den der Vogel warf. Er war groß … viel zu groß, um real zu sein.

Lexi runzelte die Stirn und sah auf die Straßen Kölns hinunter.

Niemals würde sie es so früh wagen, in die Lüfte aufzusteigen. Jeder Nomster könnte sie entdecken.

Hier stimmte etwas nicht. Das hier war nicht die Realität.

Rasant näherten sie sich dem Haus, und Lexi erstarrte in dem Wissen, machtlos dagegen zu sein. Doch ehe der Rabe die Mauern erreichte, flog er steil gen Himmel, sodass sie den Halt verlor. Lexi schrie auf, versuchte, nach dem Vogel zu greifen, vergeblich.

Ein heftiges Stechen durchfuhr ihre Hand, sie rutschte ab, spürte dabei Nässe an ihren Fingern. Blut. Ihr Blick fiel auf ihre schmerzende Handfläche, wo ein gerader Schnitt erkennbar war, bevor sie lautlos in die Tiefe stürzte.

Lexi schreckte auf. Der Regen prasselte gegen das Fenster und beruhigte ihr Herz. Nur ein Traum.

Langsam sank sie wieder auf die Matratze, blickte an die Decke. Schwere legte sich über sie. Der akkurate Schnitt, das Blut …

»So ein Blödsinn.« Lexi drehte sich auf die Seite.

Sie seufzte und beschloss, aufzustehen. Schnell strich sie sich die losen braunen Strähnen aus dem Gesicht, als würde das etwas an ihrem wirren Haar ändern.

Im Bad griff sie nach ihrer Zahnbürste. Wieder betrachtete sie sich im Spiegel und lächelte ihrem Spiegelbild entgegen.

Lexi strengte sich an, ihre Lippen zu einem breiten Grinsen zu heben, bis sie aufgab und grimmig dreinblickte.

Nein. Sie wollte diese Last abwerfen, die sie schon so lange trug und drohte, sie in die Tiefe zu ziehen. Mit dieser Dunkelheit würde Lexi nicht in den Tag starten.

Wieder zwang sie sich zu einem Lächeln.

Wieder und wieder. Bis die Maske saß.

Lexi liebte das Geräusch des Regens, der auf dem Schaufenster des Cafés Spellman’s seine neuste Melodie spielte. Im Hintergrund lief das Radio, während sie sich vergewisserte, dass im Kühlschrank genügend Elixiere bereitstanden.

»Frieden, Liebe, Sehnsucht, Trauer, Hoffnung, Leichtigkeit«, flüsterte sie und schob die Fläschchen beim Zählen zur Seite. Es war alles da.

Stolz dachte sie daran, dass all die Elixiere von ihr persönlich stammten. Seit einer Weile kümmerte sich Lexi selbst um die Zusätze für die Getränke, die sich die Gäste im Spellman’s bestellen konnten. Die Nomster glaubten, dass die Elixiere ein witziges Gimmick waren. Sie hatten keinen Schimmer von der Hexengemeinschaft direkt unter ihnen, und nahmen die Beigaben dementsprechend nicht ernst. Je nachdem, welche Tropfen die Normalsterblichen orderten, gab Lexi etwas des gewünschten Gefühls in das Getränk oder sie mischte passende Kräuter zusammen, wenn sie glaubte, die Sicherheit des Menschen durch die achtlose Nutzung der Essenz in Gefahr zu wissen.

Seit jeher war das Spellman’s bekannt für seinen herausragenden Kaffee und Tee, die durch die feinen Gewürzmischungen der Gefühle zu einem besonderen Erlebnis wurden.

Lexis Mutter Darcy hatte trotz aller Widrigkeiten, die ihr Leben zu bieten hatte, dafür gesorgt, dass das Spellman’s diesen Bekanntheitsgrad erlangte. Umso größer war Darcys Enttäuschung gewesen, als sich Lexi bei ihrem Abschied aus dem Café geweigert hatte, die Leitung zu übernehmen. Ihre Cousine Felicity war für sie eingesprungen, obwohl sie bereits das Seelenarchiv unter dem Spellman’s übernommen hatte. Immer in der leisen Hoffnung, Lexi würde es sich anders überlegen.

Bis heute weiß sie nicht, wie Feli überhaupt ein Auge zubekommen hatte, weshalb sie in der Vergangenheit immer ausgeholfen hatte, sobald es ihr möglich gewesen war. Doch die Arbeit im Spellman’s hatte ihr damals schon gezeigt, was ihre Leidenschaft war. Dennoch wollte sie es sich nicht eingestehen, weil sie wusste, es war ihr nicht vergönnt, an einem Ort zu bleiben.

Oft genug hatte Lexi Köln verlassen und sich an anderen Orten ein neues vorübergehendes Zuhause gesucht. Sie liebte es, in Gesellschaft zu sein, doch sie war immer einsam gewesen. Einsam und rastlos.

Diese Einsamkeit hatte Lexi seit bald zwei Jahren hinter sich gelassen. So lange war sie nun hier in Köln, in ihrer Heimat. Zweiundzwanzig Monate an einem Ort. Selbst als es vor einiger Zeit schwierig gewesen war und Felicity Probleme mit dem Seelenarchiv gehabt hatte, war sie nicht geflohen. Ja, sie hatte darüber nachgedacht und im ersten Moment ihre Koffer gepackt, aber sie war geblieben. An Felis Seite.

Und nun war sie bereit. Sie war bereit, das alles hier mit ihrer Cousine gemeinsam durchzuziehen, Seite an Seite.

»Hey, alles klar?«

Lexi stieß sich beim zügigen Schließen ihren Ellbogen an den Flaschen im Kühlschrankrand. »Scheiße.« Sie rieb sich über die Stelle.

»Alles klar?«, wiederholte ihre Cousine und zog ihre Augenbrauen hoch. Feli stand in der Küchentür und musterte sie besorgt. Ihr rotes Haar glänzte genauso wie ihre grünen Augen. Sie wirkte nach so langer Zeit, in der ihre Welt in Scherben gelegen hatte, glücklich. Lexi gönnte ihr dieses Glück aus tiefstem Herzen.

»Ja, alles bestens! Ist bei dir alles in Ordnung? Brauchst du Hilfe bei einem Seelentransport?« Früher waren die Beisetzungen von zwei Angestellten des Seelenarchivs bezeugt worden, allerdings war es überholt und immer mehr Seelentransporteure führten die Transporte allein durch. Seit dem Vorfall mit Kaspar Eisenmann ließ Feli das Archiv sowieso überwachen, als wäre es ein Staatsgefängnis.

Lexi war inzwischen selten bei Beisetzungen dabei, und irgendwie war sie auch froh darum. Sie mochte das Archiv, die Ruhe, die es ausstrahlte. Aber noch lieber war sie hier oben bei den Lebenden.

»Alles okay. Ich habe heute drei Transporte vor mir. Ist Valerie da? Ansonsten könnte ich dir helfen«, schlug Feli vor. Sie verlor sich noch immer gern in Arbeit, obwohl sie das längst nicht mehr musste. Aber es hatte ihr geholfen, die Geschäfte der Familie Goldfang am Laufen zu halten, als sie damit allein gewesen war.

»Geh einfach nach Hause, wenn du fertig bist, okay? Ich mach das hier schon«, erwiderte Lexi sanft.

Felicity lächelte, und in ihrem Blick lag etwas, das Lexi verriet, dass Feli ahnte, was in ihr vorging. Ihre Cousine hatte sie nie unter Druck gesetzt. Ihr nie das Gefühl vermittelt, enttäuscht von ihr zu sein, weil sie ihren Part des Spellman’s nicht übernahm, oder gar von ihr verlangt, es jemals zu tun. Und Lexi wusste, dass Feli es liebte, neben ihrem Job als Seelentransporteurin im Café zu arbeiten, und das würde sich nicht ändern, wenn sie das Spellman’s leitete. Ihre Cousine wäre immer ein Teil dessen.

Auch wenn sie es in der Vergangenheit häufiger nicht einfach gehabt hatten, waren sie wie Schwestern. Nachdem sich ihre Mütter aus Köln verabschiedet hatten, blieben sie und gaben einander Halt. Natürlich waren die beiden immer erreichbar. Lexi telefonierte häufig mit Darcy, die versuchte, sich ein Leben im Norden aufzubauen. Weit weg von Köln, in einem Café, das dem Spellman’s so ähnlich, jedoch von salziger Meeresluft erfüllt war.

Lexi strich eine verirrte Haarsträhne aus ihrem Gesicht. »Vielleicht sollten wir uns bald mal zusammensetzen?«

Feli nickte. »Komm heute Abend einfach vorbei. Asher freut sich bestimmt auch, dich zu sehen.«

Sie runzelte die Stirn. Lexi war sich nicht sicher, ob sich Felicitys Seelentier über sie freute. Von Zuneigung waren sie Welten entfernt. Sowieso mochte Asher gefühlt niemanden außer Feli. »Ich werde da sein.«

Nachdem ihre Cousine nach unten in das Seelenarchiv verschwand, backte Lexi einen saftigen Marmorkuchen und verfeinerte ihn mit einem Schuss Liebe und Leichtigkeit. Seit sie einige Speisen mit den magischen Zusätzen zubereitete, erfreuten sie sich an weiterer Kundschaft.

Während Lexi die Tische eindeckte und den Geruch von Gebäck in der Nase hatte, fiel ihr noch einmal mehr auf, wie sehr sie die innere Ruhe genoss.

Eine Ruhe, die sie lange nicht zugelassen hatte.

Kapitel2

Bei Mutter Alwina! Hendrik«, sagte Lexi und wischte über die Theke, »ich werde dir mit Sicherheit nicht die dreifache Portion Liebe in den Kaffee tun.« Misstrauisch betrachtete sie ihren jungen Stammkunden, der sie mit einem missglückten Hundeblick ansah. Der zog bei ihr nicht. Und seinem Urteil nach ebenso nicht bei seiner Herzensdame. »Du hast doch keine Magie nötig, um sie von dir zu überzeugen.«

»Aber schaden kann es auch nicht, oder?«, fragte er fast flehend.

Lexi seufzte leise. »Hör zu. Deine Freundin ist nach der Schule mit dir hierhergekommen, und wenn ich sie mir so ansehe, dann scheint sie ziemlich aufgeregt zu sein. Du hast keinen dreifachen Schuss nötig, und das wäre Betrug, findest du nicht?«

Hendriks ließ seine Schultern hängen. Er triefte vor Unsicherheit.

Lexi lächelte aufmunternd. »Sei einfach du. Sie mag dich. Und versuch es nicht mit so einer Scheiße, okay?«

Der Junge sah wieder zu seiner Angebeteten, atmete tief durch. Schließlich nickte er. »Das war dumm von mir, oder?«

»Ziemlich. Außerdem hätte es nichts gebracht, außer dass sie dich ein paar Stunden lang angehimmelt hätte. Glaub mir, das wäre auf Dauer sehr nervig geworden. Geh jetzt zu ihr rüber und verhalte dich wie ein Gentleman.«

»Kriege ich dann ein paar Tropfen Leichtigkeit?«, fragte er verzweifelt.

»Du bekommst heute gar keine magische Substanz von mir, Mister.«

»Morgen?«

»Wenn du dich benommen hast, und nun hau ab«, erwiderte Lexi und beobachtete, wie ihre Kollegin jemanden bediente, der mit seiner bloßen Existenz ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie versuchte, sich mit aller Macht dagegen zu wehren.

Hendrik stiefelte wieder zu seinem Schwarm, während Valerie mit den neuen Bestellungen hinter den Tresen trat.

»Was hat der da bestellt?«, fragte Lexi und deutete auf den Kerl mit blondem Schopf. Seine langen Haare steckten in einem Man Bun. Bei Mutter Alwina, seine Erscheinung allein war eine Unverschämtheit. Wie sollte sie ihm widerstehen, wenn er immerzu hier auftauchte? Sie musste nur noch ein paar Monate aushalten, dann hätte sie die Gewissheit, dass die Sicherheit nicht nur ein Trugschluss war. Zumindest hoffte sie das inständig.

»Der da?«, hakte Valerie mit hochgezogenen Brauen nach. »Der Mann hat einen Milchkaffee bestellt. Extra groß, damit genug Platz für Milchschaum ist. Er hätte gern eine Prise Kakao darauf.«

»Extra Milchschaum und eine Prise Kakaopulver, soso.« Misstrauisch musterte sie ihn. Er saß da und tippte vertieft auf seinem Laptop. Auf seiner Stirn war diese eine zarte Falte, die sich immer bildete, während er hochkonzentriert arbeitete. Möglicherweise hatte Lexi ihn dabei schon viel zu oft beobachtet.

Warum musste er ihre Geduld derart auf die Probe stellen? Wieso tauchte er nicht einfach auf, wenn ihre eigens gesetzte Deadline vorbei war? Sie hatte einen guten Grund, diese einzuhalten.

Mürrisch riss sie Valerie Heliots Bestellung aus der Hand und bereitete sie noch mürrischer zu.

»Bei Mutter Alwina«, erwiderte ihre Kollegin, und Lexi schäumte die Milch auf, um Valerie zu ignorieren.

Wenn Heliot Milchschaum wollte, bekam er den verdammten Milchschaum. Den besten überhaupt. Weil er es verdiente. Weil er ihnen in einer ausweglosen Situation aus der Patsche geholfen hatte.

»Wieso regt er dich so auf?«, fragte Valerie, als Lexi den Milchkaffee auf das Tablett stellte.

»Wie kommst du darauf, dass er mich aufregt? Er regt michnicht auf.«

»Ah ja, sicher«, erwiderte ihr Gegenüber, die den Wasserkocher einschaltete und sie dann wieder ansah. Unsicherheit lag in ihrem Blick.

Lexi zog die Augenbrauen zusammen. »Was ist los?«

»Nun … ich habe mich gefragt, ob du etwas von Yannik gehört hast.«

»Ach so! Du machst dir Gedanken, natürlich. Entschuldige.« Yannik war ihr ehemaliger Kollege und Valerie hatte ihn vor nicht allzu langer Zeit ersetzt. »Soviel ich von Feli weiß, ist er auf Reisen. Dein Job ist dir sicher.«

Erleichtert atmete Valerie aus. »Danke, ich glaube, ich musste das mal hören.«

Lexi lächelte und drückte kurz ihre Schulter. »Gut, dass du gefragt hast. Wir freuen uns über deine Unterstützung hier.«

Sie nahm das Tablett und steuerte auf den Tisch zu.

»Hallo, Heliot«, begrüßte sie ihn und stellte den Kaffee in sicherer Entfernung zum Laptop ab. »Dein Milchkaffee mit extra viel Milchschaum und einer Prise Kakao.«

Er sah auf und sie ihm in die Augen. Ein Fehler. Was hatte sich Lexi dabei gedacht, ihn zu bedienen? Seine besondere Augenfarbe konnten nur Hexen und Hexer sehen. Es war ein warmes Orange, das sie an einen Sonnenuntergang erinnerte.

»Lexi«, begrüßte er sie lächelnd. Sein Lächeln sollte verboten werden. »Schön, dich zu sehen. Danke für den Kaffee.«

»Bitte schön.« Sie wandte sich ab, doch Heliot hielt sie sanft am Arm fest, sodass sie in der Bewegung innehielt.

»Geht es dir gut?«, fragte er.

Lexi zögerte, nickte jedoch schließlich. »Sehr sogar«, antwortete sie und lächelte unweigerlich, weil es nie mehr der Wahrheit entsprach als in diesem Augenblick. Ein warmes Gefühl durchströmte sie und plötzlich störte es sie nicht, dass Heliot so unverschämt nett war.

Sie sah zu ihm und es war, als hielten sie den Blick des anderen fest. Nur für diesen Moment.

Heliot lächelte. »Du bist nun schon seit einigen Monaten in Köln.« Er warf einen kurzen Blick auf seinen Laptop. »Glaub mir, dass ich genau weiß, dass in drei Monaten und zwei Tagen der fünfundzwanzigste Monat beginnt, in dem du hier bist.«

Sie riss die Augen auf. »Das weißt du noch?«

»Natürlich. Du hast gesagt, wenn du länger als fünfundzwanzig Monate da bist, dann würdest du uns eine Chance geben.«

»Eine Chance auf ein richtiges Date. Eine einzige! Mehr nicht«, korrigierte sie ihn.

Heliot grinste. »Ich nehme jedes Fitzelchen Chance, das es gibt, Lexi Goldfang.«

»Schön«, erwiderte sie und konnte nicht verhindern, dass ihre Wangen heiß wurden. Sie sah weg und entdeckte einen Gast, der zahlen wollte. »Ich muss weiter. Lass dir den Kaffee schmecken.«

»Das werde ich.« Er wandte sich wieder seinem Bildschirm zu, und Lexi ging zum nächsten Tisch, um die Gäste abzukassieren.

Heliot hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er sie mochte. Ganz im Gegenteil. Er hatte sie schon mehrmals nach einem Date gefragt. Aber Lexi wusste, dass es nicht gut enden konnte, wenn sie ihn in ihr Herz ließe. Dass sie beide verletzt werden würden und sie ihm nie erklären könnte, warum sie gehen musste.

Liebe war Lexi Goldfang nicht vergönnt.

Kapitel3

Ein Jahr zuvor

Die Schwere, die in dieser Umgebung auf Lexi drückte, war ungewöhnlich. Eine feiernde Gesellschaft, das Lachen der Leute, die Instrumente, die eine ausgelassene Atmosphäre verbreiteten. All das liebte sie normalerweise. Sie mochte es, sich der Stimmung hinzugeben. Aber heute ging es ihr nicht sonderlich gut, was vermutlich an der derzeitigen Lage des Seelenarchivs lag.

Es glich einem Wunder, dass Lexi überhaupt noch in Köln war. Oft hatte sie darüber nachgedacht, das Weite zu suchen, doch diesmal war es etwas anderes. Wenn sie jetzt ginge, ließe sie Felicity im Stich, und das hatte sie bisher nicht getan. Sie hatte vielleicht schlechte Entscheidungen getroffen, aber niemals hatte sie jemanden wissentlich in einer üblen Situation zurückgelassen.

Lexi genoss den Wind auf ihrer Haut. Ihr weißes Kleid schmiegte sich eng an ihren Körper, doch jenes war für die herbstlichen Temperaturen nicht wirklich geeignet. Die Löwenburg im Siebengebirge war heute jedoch verzaubert, was für ein angenehmes Klima für die feiernde Meute sorgte.

Anlass für die Feier war der Blutmond, der hinter ihr aufragte und dem sie bislang keine Beachtung geschenkt hatte. Es war an diesem Tag Tradition, jemandem seinen Blutmondblick zu schenken, sodass diese Person einem für das folgende Jahr Glück brachte.

Lexi probierte es immer wieder aufs Neue, aber bisher war keiner dabei gewesen, den sie überhaupt dauerhaft in ihrer Nähe wissen wollte.

Ihr Blick glitt durch die Menge und blieb schließlich an einer Frau hängen, die wie sie ganz traditionell ein weißes Kleid trug. Felicity hatte ihr schulterlanges Haar geflochten. Sie sah schön aus, und Lexi bemerkte, dass sie in Begleitung zweier Männer war. Einer davon Niclas Eisenmann. Lexi verdrehte die Augen. Sie war nicht sonderlich begeistert von diesem Kerl, aber … Sie blickte zu Felicity. Die beiden verband mehr als nur Kaspar Eisenmann. Auch wenn sich Lexi selbst dieses Gefühl verweigerte, so freute sie sich umso mehr für Feli, die ihr Glück noch nicht erkannte.

Lexi griff in ihren Leinenbeutel um ihre Taille und betrachtete den zweiten, ihr fremden Mann. Sein schwarzer Anzug saß maßgeschneidert an seinem Körper. Sein wasserstoffblondes Haar hatte er zu einem Dutt gebunden, wodurch sein kantiges Kinn hervorstach. Und wenn das Licht des Feuers auf ihn fiel, sah sie die hellen Stoppeln an eben diesem. Ein Kribbeln durchfuhr sie, als er mit Niclas über etwas lachte. Es war so frei, er bebte vor Leben.

Sie blickte nach unten und fand das Fläschchen in ihrem Beutel, das sie versucht hatte, zu erwischen, ohne hinzusehen. Ein kläglicher Versuch.

»Heute ein wenig Leichtigkeit im Sinn, Lexi?«

Überrascht sah sie auf und bemerkte, dass Felicity sie fast erreicht hatte. Sie achtete gar nicht mehr auf ihre Cousine, nachdem sie den blonden Mann so ungeniert beobachtet hatte.

Lexi hielt ihr die Phiole hin. »In der Tat. Möchtest du auch etwas?«

Felicity winkte ab. »Nein, danke.«

Sie sah über die Schulter ihrer Cousine. »Wer ist dieser Typ, mit dem Niclas spricht?«

Ihre Cousine folgte ihrem Blick. »Ruben von Heliot.«

Es waren so viele Leute da, doch dieser Hexer, der sie noch nicht einmal bemerkt hatte, zog sie in seinen Bann.

»Er sieht gut aus«, sagte Lexi, ohne den Blick von Niclas’ Freund abzuwenden. Sie trank das Elixier in einem Zug aus.

»Er wirkt nett.« Ihr entging nicht, dass Feli sie dabei musterte und vermutlich ahnte, was sie vorhatte.

»Haben du und Asher bereits euren Blutmondblick ausgetauscht?«, fragte sie, um abzulenken. Es war Felis Ritual.

»Du kennst uns doch. Und du? Hast du jemanden erwählt?«

Lexi sah bedeutend in die Richtung von Ruben.

Ihre Cousine seufzte. »Ich hoffe für dich, dass er seinen Blick noch nicht vergeben hat.«

Lexi schüttelte den Kopf, irgendwie hatte sie einen guten Riecher dafür, ob jemand seinen Blick bereits geteilt hatte oder nicht. »Ich glaube nicht. Hast du etwas dagegen, wenn ich mal rübergehe?«

»Tu, was du nicht lassen kannst. Viel Glück.«

Lexi umarmte sie. Sie hatten zuletzt eine Menge durchgemacht und Feli brauchte Zeit, um ihr wieder zu vertrauen. Das musste sie aushalten, aber sie war da. Lexi war hier in Köln und hoffte, dass Felicity wusste, dass es ihr alles abverlangte. »Du weißt, dass ich dich lieb hab, oder?«

Ein Schleier der Trauer legte sich über Felis Blick, und Lexi wünschte, ihn herunterreißen zu können. »Sicher, ja. Ich dich auch.«

Sie lösten sich voneinander, und Lexi straffte ihre Schultern. Auf dem Weg dorthin schnappte sie sich zwei Sektgläser von einem der Stehtische und steuerte auf die beiden Männer zu, die sich noch immer amüsiert unterhielten.

»Darf ich die Herren stören?«, fragte Lexi mit einem Lächeln an Ruben.

Er erwiderte es sofort, und ein Stein fiel ihr vom Herzen. Und das, obwohl sie bereits eine Portion Leichtigkeit intus hatte.

»Natürlich«, antwortete er. Seine Stimme hatte ein wunderschönes Timbre.

Lexi ignorierte das Ziehen in ihrer Brust, die Sorge, die sie vor tieferen Gefühlen warnte. Sie wollte nur einen Moment, diesen einen, mit diesem fremden, gut aussehenden Mann. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich diesen Spaß gönnte; sie hatte nichts anderes, außer diesen oberflächlichen Momenten. Genau diese wollte sie sich nicht ebenfalls von den Schatten ihrer Vergangenheit nehmen lassen.

»Darf ich vorstellen: Das ist Lexi, Felicitys Cousine. Sie ist mit besonderer Vorsicht zu genießen«, zerstörte Niclas den Moment.

Sein Freund Ruben sah mit hochgezogenen Brauen zu ihm.

Wütend starrte Lexi den Hexer nieder, der nur mit den Schultern zuckte. »Du hast Feli angegriffen.«

»Du vergisst den Fakt, dass ich verzaubert wurde«, fauchte sie.

»Und du, dass du danach weggelaufen bist.«

Das traf sie mitten ins Herz. Sie war weggelaufen, das entsprach der Wahrheit. Und es stimmte auch, dass es nicht okay war, sondern ein unverzeihlicher Fehler. Dass Niclas darüber wütend war, konnte sie in Anbetracht dessen, dass er mehr für Feli empfand, als er zugab, verstehen, aber sie war geblieben. Sie war geblieben.

Ruben musterte sie. Neugier lag in seinen Augen. »Mein Name ist Ruben, oder wie die meisten mich nennen: Heliot. Ist der Sekt für mich?«

Lexi sah auf ihre Hände und nickte. Jetzt, wo sein bester Freund ihn gewarnt hatte, wollte er den Sekt mit Sicherheit nicht mehr mit ihr gemeinsam trinken.

Sein leises Lachen ließ sie aufblicken. »Willst du ihn mir auch geben? Ich würde sehr gern mit dir auf den Mond anstoßen.«

»Wie bitte?«, fragte Niclas. »Hast du ni-«

Ruben winkte ab. »Ich hab’s gehört. Ich weiß, warum du so reagierst.« Er sah in die Richtung des Torbogens, in dessen Nähe sich Felicity befand. »Und ich würde es an deiner Stelle auch. Aber ich höre ebenso, dass diese Situation nicht unbedingt mit rechten Dingen zuging. Also, ich würde wirklich liebend gern mit ihr anstoßen.«

Niclas seufzte. »Sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«

Grinsend nahm Ruben das Glas entgegen. »Niemals, du kennst mich.«

»Einen schönen Abend euch«, verabschiedete sich Niclas, und die beiden sahen ihm hinterher.

»Er ist eigentlich gar nicht so fies«, verriet Ruben.

Lexi lachte trocken. »Ich kann es ihm nicht verdenken, aber er macht mich trotzdem wütend.«

Immer wieder war Niclas darauf herumgeritten, dass sie Felicity nicht geholfen hatte. Bei der Erinnerung daran, wie sie am Boden gelegen hatte, drehte sich ihr Magen um. Lexi war schwach gewesen. Die Überforderung hatte gesiegt und sie war geflüchtet, so wie sie es immer tat. Insgeheim war sie Niclas dankbar, dass er da gewesen war. Dass Feli das nicht hatte allein durchmachen müssen. Aber zeigen würde sie ihm das niemals.

»Eine wütende Frau, ohne dass ich dafür verantwortlich bin«, erwiderte er grinsend.

Er holte sie mit seiner Bemerkung wieder zurück in die Gegenwart. Lexi lächelte. »Ist das sonst üblich?«

Ruben zuckte mit den Schultern. »Tatsächlich selten.«

Lexi sah zum Blutmond hinauf. Die schillernde kirschrote Kugel. Vanellice Mondschatten, die Veranstalterin dieses Abends, hatte wirklich alles gegeben, um ihn kräftig wirken zu lassen.

»Hast du deinen Blick schon vergeben?«, fragte er, und Lexi spürte seine Wärme nah an ihrem nackten Arm.

»Nein, aber ich würde gern. Und du?«

»Ich würde auch gern«, sagte er leise.

Sie sahen sich an und ein Prickeln durchzog ihren Körper, während eine Welle des Glücks sie erfasste. Seine Augen waren in einem kräftigen Orange, nur einen Augenblick länger und sie würde darin versinken.

Lächelnd hob Ruben sein Glas. »Auf uns.«

»Auf uns.« Sie stießen an und tranken, ohne sich aus den Augen zu lassen. »Deine Augenfarbe ist … Die Nomster können sie nicht sehen, oder?«

»Nein, das ist etwas, was nur der Hexengemeinschaft vorbehalten ist. Den Normalsterblichen bleibt sie verborgen.«

Die Hexen und Hexer hatten eine höhere Lebenserwartung als Menschen, weshalb sie als Normalsterbliche bezeichnet wurden. Kleine Alltagsspielereien entgingen ihrer Aufmerksamkeit. Die Nomster taten sie als Zufall, mechanische Spielerei oder Tricks ab. Manches nahmen sie gar nicht erst wahr. So wie Rubens Augen.

»Was für eine Schande«, sagte Lexi leise.

Er lachte. »Vielleicht.« Sein Blick wanderte über ihr Gesicht, während er noch einen Schluck des Sekts nahm. »Aber sie brauchen sie wohl nicht, wenn jemand wie du sie verzaubern kann.«

Mit einem Lächeln nippte Lexi am Sekt. »Möchtest du vielleicht tanzen?«

Die Band aus schwebenden Instrumenten spielte ein langsames Lied. Es war perfekt.

Ruben streckte wortlos seine Hand nach ihrem Sektglas aus und stellte ihres und seines auf einem der Stehtische ab. »Ich bin ein ziemlich guter Tänzer«, sagte er stolz.

»Das ist ausgezeichnet, ich bin nämlich auch gut«, stichelte sie zurück.

Er lächelte, und sie wollte noch mehr von dieser Lebensfreude, die er versprühte. Er hatte genug für sie beide.

Heliot zog Lexi auf die Tanzfläche und legte seine Hände auf ihre Hüften, während sie seinen Hals umschlang. Sie spürte seinen kratzigen Bart an ihrer Kopfhaut und schloss für einen Augenblick die Lider.

Seine warmen Hände an ihrem Körper sendeten ein Kribbeln durch ihre Lenden. Er roch nach Sandelholz und einem Hauch Orange. Sein Atem traf auf ihr Ohr, und sie sah zu ihm hoch.

Ruben musterte ihr Gesicht und sein Blick fiel auf ihre Lippen, ehe er Lexi wieder in die Augen sah. Die Musik war längst zu einem schnelleren Song übergegangen, dessen Abfolge nicht mehr zu Lexis und Rubens Rhythmus passte, aber sie behielten ihren eigenen bei. Lexi atmete diesen kostbaren Moment ein, die Leichtigkeit mit diesem Fremden, der ihr so nah war. Mehr als das würde es für sie nie geben.

Plötzlich spürte sie ein Beben in ihren Füßen. Ein Zauber. Die Meute lachte, und Lexi beobachtete, wie sich zwei Reihen bildeten.

Sie lächelte und deutete mit dem Kopf Richtung Wald. »Wollen wir spazieren gehen, bevor uns der Tanzzauber erreicht?«

In wenigen Sekunden würden sie sonst einem Volkstanz beiwohnen. Sie konnte sich mit Heliot gerade etwas Besseres vorstellen.

Ruben folgte ihrem Blick. »Wenn du mir versprichst, dass du da kein Haus aus Süßigkeiten hast und keinen Ofen, der schon vorheizt.«

»Das kann ich nicht versprechen. Ich bin schließlich eine Hexe.«

Er lächelte süffisant. »Allerdings. Das Risiko muss ich wohl eingehen.«

Sie verschwanden in den dunklen Wald. Das einzige Licht spendete der Blutmond.

»Wenn wir keine Kreaturen der Nacht wären, würde ich vielleicht Angst bekommen«, gestand der Hexer.

Lexi lachte. »Wir müssen nicht so weit laufen, es wird sich lohnen, versprochen.«

»Was mich betrifft, hat es sich bereits gelohnt.«

Ehe Lexi antwortete, ließ ein lautes Miauen sie zurückschrecken, sodass sie mit dem Rücken gegen Ruben prallte. Ihre Augen hatten sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt und sie erkannte den großen schwarzen Kater, dessen blitzende Iriden auf sie gerichtet waren.

»Asher! Geh zurück zu Feli. Sie vermisst dich sicher schon.« Neben ihm erkannte Lexi eine weiße Katze. »Deine Freundin nimmst du am besten direkt mit.«

Ash fauchte, vermutlich einfach nur aus Prinzip, und stapfte erhobenen Schwanzes davon.

»Der Kewani meiner Cousine. Entschuldige«, erklärte Lexi.

Der Hexer sah dem Kater hinterher. »Verstehe. Mal sehen, wie vielen Geschöpfen wir hier noch begegnen. Bist du öfter zu solchen Nachtzeiten im Wald unterwegs?«

Lexi überlegte. »Ich gehe regelmäßig auf Einhornjagd und die kann man leider nur in der Dunkelheit suchen.«

»Sicher. Einhornjagd. Es gibt nichts, was es nicht gibt.« Lexi merkte, dass er sich zusammenriss, um nicht zu lachen.

»Die Wahrheit ist, dass ich in der Dunkelheit gern spazieren gehe.« Sie liebte die Einsamkeit und Stille der Nacht. Verwundert über sich selbst musterte sie den Hexer von der Seite. Sie hatte keine Ahnung, warum sie es ihm überhaupt erzählte. Normalerweise war sie darauf bedacht, oberflächlich zu bleiben. Doch Ruben hatte etwas an sich, dem sie sich nicht entziehen konnte.

»Ganz ohne Einhörner?«, fragte er.

»Ganz ohne Einhörner.«

»Ein wenig enttäuschend«, gab Ruben zu, und Lexi lachte.

»Was treibst du so im Alltag oder beruflich, Ruben von Heliot?«

Er lachte. Das tat er oft, und sie mochte es, weil es so echt war. Nicht nur das Geräusch oder die Art, wie er seine Lippen dabei verzog, sondern auch seine Augen. Wenn er lachte, wurden sie wärmer.

Das Ziehen in ihrer Brust wurde stärker. Ihr System zeigte bereits rot. Diese Kleinigkeiten hätten ihr nicht auffallen dürfen. Das hier würde nur ein kurzer Spaß werden. Nicht mehr, nicht weniger. Lexi wusste, dass sie sich zusammenreißen sollte, aber heute übersah sie alle Warnungen, nur um diesen Abend mit jemandem zu genießen, der ihr wirklich gefiel. So sehr, dass es vielleicht am Ende schmerzen würde, ihn gehen zu lassen. Aber sie würde. Sie musste.

»Ruben oder Heliot reicht«, erklärte er. »Ich bin Anwalt für magische Strafverfolgung.«

»O wow.« Lexi schluckte. Sie hatte in ihrer Vergangenheit schon oft mit Anwälten, den Abarumi oder dem Hexagon zu tun und es hatte meistens nichts Gutes zu bedeuten. »Ruben oder Heliot, was ist dir lieber?«

»Das ist schwierig. Irgendwie hat es sich eingebürgert, dass mich alle mit meinem Nachnamen ansprechen und … was soll ich sagen? Ich fühle mich mehr wie Heliot. Ich wollte es ausprobieren, bei meinem Vornamen genannt zu werden, aber es fühlt sich falsch an«, erklärte er.

»Beides klingt toll.« Sie wichen den riesigen Baumwurzeln aus. Die Bäume lichteten sich allmählich, sodass mehr Licht zu ihnen drang.

»Nenn mich, wie du willst.« Ruben betrachtete sie mit einem Blick, der ihr ein warmes Schaudern bescherte. Der sanfte Ton seiner Stimme, der weiche Blick, der ihr das Gefühl gab, dass er versuchte, ihre Wahrheit zu sehen, eine, die sie selbst nicht kannte, sorgten für Herzklopfen.

Dieser Abend würde ein schmerzhaftschöner werden. Lexi war bereit für diesen Moment, dieses Gefühl, das er in ihr hinterließ, zu zahlen.

»Darf ich beides ausprobieren?«, fragte sie lächelnd.

»Natürlich. Arbeitest du auch als Seelentransporteurin?«

Lexi schüttelte den Kopf, während sie das Licht, das vom Waldrand zu ihnen Drang, ansteuerten. »Nein. Ich bin zwar eine Goldfang, aber arbeite nicht mit Seelen. Ich studiere Betriebswirtschaftslehre.«

Ein Fach, dank dem sie auch bei zahlreichen Umzügen schnell Fuß fassen konnte.

»Etwas Solides also.« Ruben musterte sie von der Seite. »Ist es das, was du dir wünschst?«

Sie traten aus dem Wald heraus und überquerten ein Stück Wiese, bis sie am Rand des Berges ankamen und sich eine gefährliche Tiefe vor ihnen auftat.

Ruben ging einen Schritt zurück. »Das geht ganz schön tief runter.«

Und doch war es wunderschön. Lexi sah den Abgrund vor ihren Füßen kaum, war sich dessen aber bewusst. Stattdessen sah sie auf den dunklen Rhein hinunter, der vom Mond angestrahlt wurde, und überblickte die dunklen Konturen des Siebengebirges, das mit seiner bloßen Existenz für Geschichten gesorgt hatte und es immer noch tat. So viele Märchen hatten hier ihren Ursprung gefunden. Wie auch nicht? Beim Anblick spürte Lexi die Magie in der Atmosphäre.

»Es ist nicht der sicherste Ort und doch einer der wunderschönsten«, erklärte sie Ruben, der nun einen Schritt näher kam. »Du musst dich auf den Horizont konzentrieren und nicht auf das, was vor dir liegt.«

»Ein ganz furchtbarer Tipp für Wanderer, ein umso besserer fürs Leben«, sagte er. »Aber du hast recht. Es ist wirklich schön.«

Lexi drehte sich zu ihm. »Hast du Angst?«

Er musterte sie. »Wir kennen uns kaum und du schleppst mich an einen Abgrund.« Ein süffisantes Lächeln trat auf sein Gesicht. »Aber möglicherweise suche ich gern die Gefahr.«

»Ist das so?«, fragte sie und ging einen Schritt auf ihn zu. Die Blätter raschelten im Wind, der die leise Melodie des Festes zu ihnen herüberwehte. »Das sah eben überhaupt nicht danach aus.«

Er kam näher und lächelte. »Du bist ganz schön …« Er sah auf ihre Lippen hinunter. »Frech.«

Lexi sah zu ihm auf. »Das bin ich wirklich gern.« Sie legte ihre Hände auf seinen Oberkörper und spürte seine Muskeln unter seinem Hemd.

»Das glaube ich dir sofort«, antwortete er rau.

Ihr Herz klopfte wild in ihrer Brust, als er sich zu ihr hinunterbeugte und sie den letzten Zentimeter überbrückte. Seine Hände berührten ihre erhitzten Wangen, als sie sich küssten. Erst zart und forschend, bis er mit seinen Fingern über ihren Körper glitt und sie mit einem Ruck hochhob und gegen einen Baum drückte.

Lexi umschlang ihn mit ihren Beinen und fuhr sanft durch seine Haare, während ihr Kuss fordernder wurde und er ihrem Befehl folgte.

Atemlos lösten sie sich und sahen sich an.

»Du bist wunderschön«, sagte er leise.

Lexi lächelte. »Gleichfalls.« Wieder küsste sie ihn, diesmal langsam und zärtlich. Lexi inhalierte diesen Moment, genoss die Sicherheit in seinen Armen, während sie die Angst vor der Enttäuschung des Abschieds von sich schob. Später war immer noch Zeit, zu bereuen.

Sie hielten inne und atmeten die klare Luft ein.

Langsam ließ Ruben sie herunter und fuhr sich durch die Haare. »Ich habe das Gefühl, es klingt billig, wenn ich sage, dass ich das sonst nicht mache.« Er musterte sie lächelnd. »Aber … ich konnte nicht anders. Du bist hinreißend.«

»Würdest du dich noch mal hinreißen lassen?«, fragte Lexi und griff nach seiner Hand.

Mit überraschtem Blick strich er über ihren Handrücken. »Absolut.«

»Gut«, sagte Lexi. »Ich mich auch.« Sie zog ihn zu einem umgekippten Baum, der die schönste Sicht auf den Horizont für sie bereit hielt. Sie setzte sich ins Gras und lehnte sich gegen den Stamm. Ruben tat es ihr gleich.

»Es ist wirklich atemberaubend«, sagte er nach einer Weile, die sie schweigend nebeneinandersaßen und die Sterne beobachteten.

»Ich bin oft hier.«

»Nachts?«, fragte er unbeeindruckt.

Lexi lachte. »Nein, ich wohne in Köln. Wenn ich nachts spazieren gehe, dann dort. Ich mag die Stille. Ich habe das Gefühl, in der Nacht kann ich sie mehr in mich aufnehmen und etwas für den Tag mitnehmen.« Sie hielt inne. »Das mag vielleicht blöd klingen, aber es ist so.«

Ruben strich über ihre Hand. »Das klingt ganz und gar nicht blöd.«

Lexi spürte seinen Blick auf ihr ruhen.

»Mein Leben ist nicht sonderlich ruhig, aber ich mag das. Ich bin gern mittendrin«, erzählte der Hexer. »In meinem Job sehe ich nicht nur schöne Dinge. Tatsächlich ist es meistens eher hässlich. Da brauche ich einfach einen Ausgleich. Etwas, das mich glücklich macht.«

»Und hast du das gefunden?«, fragte Lexi und drehte den Kopf zu ihm.

Er lächelte. »Ich bin dem auf der Spur.«

»Sag Bescheid, wenn du es gefunden hast.«

»Das verspreche ich dir.« Er streckte seine Hand aus und lud sie ein.

Lexi zögerte nicht und legte ihre hinein, nahm seine Wärme in sich auf. Sie lehnte sich an ihn, und sie starrten in die Nacht.

»Darf ich dich irgendwann auf ein Date ausführen?«, fragte er leise. »Das würde ich nämlich wirklich gern.«

Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Herzen aus. Lexi wollte es auch. Aber sie konnte nie lange an einem Ort bleiben. Und Liebe war nicht für sie bestimmt. Sie zögerte.

Minuten, in denen Ruben sanft über ihre Finger fuhr, vergingen.

»Du bist für mich auch eher ein Heliot«, sagte sie schließlich.

Er lachte. »Wirklich?«

»Es passt besser zu dir. Ich würde dich so nennen, denke ich. Bei unserem ersten Date, das wir haben werden, wenn ich fünfundzwanzig Monate in Köln bin.« Kein Abschied. Lexi entschloss sich dazu, den Abschiedsschmerz zu verschieben und es zu wagen, zu hoffen.

»Wie lange bist du jetzt da?«

»Dreizehn.«

»Das ist ein ganzes Jahr«, erwiderte er und schluckte.

Lexi nickte. »Du musst nicht warten.«

»Nein, das ist es nicht. Aber … warum?« Sanft stupste er ihre Schulter mit seiner an, und seine Wärme war so schön, dass sie darin baden wollte.

Sie wollte ihn so gern näher kennenlernen, aber sie musste vorsichtig sein. »Weil es so besser ist.«

Er musterte sie. »Besteht die Chance, dass du nicht mehr da sein wirst?«

»Ja. Und wenn ich weggehe, dann ist es besser, wenn wir kein Date hatten.«

»Darf ich dich zwischendurch kontaktieren?«, fragte er.

Sie lachte. »Darfst du.«

Heliot straffte die Schultern. »Zwölf Monate. Das kriege ich hin.«

Lexi wusste aber nicht, ob sie es schaffen würde.

Oder ob sie fliehen musste.

Kapitel4

Über das Café hatte sich eine wohlige Ruhe gelegt. Lexi summte vor sich hin und stellte die Spülmaschine an.

Sie liebte die Stille nach dem Trubel, wenngleich auch nur für maximal eine Stunde. Danach mochte sie es gern wieder laut, um sich darin zu verlieren.

Valerie hatte sie schon längst in den Feierabend geschickt, um ihre Ruhe zu haben. Zugegeben … möglicherweise auch, um ihren unangenehmen Fragen bezüglich Heliot aus dem Weg zu gehen. Unten im Seelenarchiv, wo sich ihre Cousine Felicity darum kümmerte, die Seelen in Bücher zu transportieren, war kein Betrieb mehr. Feli hatte sich verabschiedet, nachdem sie die angekündigten Hexen und Hexer ins Jenseits überführt hatte.

Lexi kreiste ihre verspannten Schultern und lehnte sich gegen die Theke. Im Spellman’s stand alles an Ort und Stelle. Nichts erweckte den Eindruck des belebten Cafés, das es tagsüber war. Rechts an den Holzpaneelen hatte Lexi LED-Lämpchen und künstlichen Efeu aufgehangen. Die runden Tische glänzten vom neuen Wachs, während Lexi dabei war, ein Event zu organisieren. Sie war derzeit in Kontakt mit einem recht unbekannten Comedian und wollte ihm die Bühne geben, die er verdiente. Schon immer träumte sie davon, kleine Künstler zu unterstützen und mit dem Spellman’s damit noch eine andere Richtung einzuschlagen.

Als die Türglocke erklang, sah Lexi auf und erstarrte.

Die Tür schlug hinter dem Mann im feinen Mantel zu. Das Gesicht war ihr nicht vertraut, doch sie wusste sofort, um wen es sich handelte. Sie erkannte die Wahrheit in seinen Augen. Es waren Jahre seit ihrem letzten Treffen vergangen.

Sie löste sich aus ihrer Starre, trat einen Schritt vor, um sich an der gegenüberliegenden Küchenzeile abzustützen.

»Schön dich zu sehen, Kewana«, sagte er leise. Kewana. Das war stets sein Spitzname für sie gewesen. Es bedeutete Seelenkind. Dieser Mann war nicht ihr Vater, dennoch war er es mehr, als ihr Erzeuger es je gewesen war. Rémi Dechand war Staatsanwalt und hatte als Einziger den Mut gehabt, gegen ihren Vater vorzugehen. Er hatte Köln verlassen, nachdem er den Fall gewonnen hatte, aber abgeschlossen hatte er ihn nie.

Lexi und ihre Mutter pflegten regelmäßig Kontakt zu dem Mann mit den vielen Gesichtern, die er wahrhaftig hatte, da er sich verschiedene Gestalten zu eigen machte, um unentdeckt zu bleiben. Einzig seine Augen und eine bestimmte Aura, die Lexi wahrnahm, verrieten ihn.

Er hatte sich stets um ihr Wohlergehen gesorgt. Dennoch hatte es Darcy nie davon abgehalten, mit Lexi auf Wanderschaft zu gehen, um ihre Spuren zu verwischen.

Heute wusste Lexi, dass die Kreaturen ihres Vaters sie vermutlich überall gefunden hätten, wenn sie gewollt hätten, doch die Umzüge hatten ihrer Mutter das subjektive Gefühl von Sicherheit vermittelt.

Lexi umrundete die Theke und schloss den Mann in die Arme. »Hallo, Rémi.« Sie freute sich, ihn zu sehen, auch wenn er sie an etwas erinnerte, das sie am liebsten weit von sich schob.

An den Tag, an dem die leuchtenden Farben dem Grau gewichen waren.

Er griff nach ihren Schultern, um sie etwas von sich zu schieben. »Lass dich ansehen. Geht’s dir gut? Darcy hat mir erzählt, dass ihr letztes Jahr Probleme mit dem Seelenarchiv hattet.«

»Wir haben es überstanden. Möchtest du einen Kaffee?« Sie deutete zur Maschine.

Er winkte ab. »Du hast schon alles saubergemacht. Ich wäre mit einem Wasser zufrieden.«

»Möchtest du Tropfen dazu? Ich hätte noch alles da. Hoffnung, Liebe, Frieden oder etwas anderes? Traurigkeit, Sehnsu-«

»Einfach nur Wasser, danke«, unterbrach er sie sanft.

Lexi zuckte mit den Schultern. »Du bist derjenige, der etwas verpasst«, erwiderte sie lächelnd. Sie griff nach einem Glas aus dem Schrank, während sich Rémi einen Platz suchte.

Normalerweise waren die Tropfen ein absoluter Hit unter den Gästen und das Café lebte davon.

Feli hatte sich vor ein paar Monaten aus dem Spellman’s zurückgezogen und Lexi hatte den Verdacht, dass sie das nur ihr zuliebe tat. Sie war sich sicher, dass Felicity bereits ahnte, was in ihr vorging.

Lexi hatte selten lange an einem Ort verweilt, war immer aufgebrochen, wenn ihr etwas komisch vorkam, irgendwelche Anzeichen auf ihren Vater deuteten. So hatte sie es schließlich von ihrer Mutter gelernt. Doch dann hatte sie versucht, zu bleiben, selbst wenn sie sich zunächst unwohl fühlte. War den Spuren gefolgt, die sie normalerweise dazu bewegt hätten zu fliehen, und hatte erkannt, dass sie ins Nichts führten. Keine Spur von ihrem Vater.

Als dann Felicity in Schwierigkeiten gewesen war und sie ihrem ersten Impuls nicht nachgegeben hatte, wollte sie ihre Cousine nicht mehr allein lassen. Nach und nach schlich sich das Gefühl ein, dass es vorbei war. Dass sie bleiben konnte.

Das war der Grund dafür, dass sie sich vorstellen konnte, das Café zu übernehmen. Auch wenn ihr dieser Gedanke Angst bereitete. Sie und Sesshaftigkeit? Allein das Wort wollte sie laut auflachen lassen.

Lexi kannte keine Sesshaftigkeit, wo sie doch stets gewandert und heimatlos war. Die Beziehung zu ihrem Besen Venia war die stabilste in Lexis Leben.

Und doch stand sie hier und feierte, dass sie bald seit zwei Jahren in Köln wohnte und bereit war, Verantwortung für das Spellman’s zu übernehmen.

Es war der Hohn ihres Lebens, dass Rémi nun an einem der Tische saß und mit ihm ein unsichtbarer Stein, der in ihren Rucksack wandern würde. Lexi setzte sich zu dem Mann, der die dunkle Straße betrachtete.

»Hast du die Stadt vermisst?« Sie schob ihm sein Glas zu.

»Manche Leute«, gab er zu und sah wieder zu ihr. Musterte Lexis Gesicht, als wollte er die letzten Jahre von ihr ablesen.

»Ich freue mich, dich zu sehen, aber ich weiß, dass es nichts Gutes bedeuten kann«, gab sie zu. Lexi versuchte, den Gedanken beiseitezuschieben, dass der Stein, den er dabei hatte, ihre neugewonnene Sicherheit zerschmettern würde.

Rémi seufzte. Er nickte schließlich und strich sich über seine ergrauten Haare. Einen Moment lang zögerte er, griff nach dem Glas und nahm einen großen Schluck. »Vielleicht hätte ich doch einen der Zusätze nehmen sollen. Aber das bringt uns beiden nichts.« Rémi faltete seine Hände. »Es tut mir so leid, mit schlechten Nachrichten hier auftauchen zu müssen, Kewana. Ich wünschte, ich würde dich nur besuchen, um zu sehen, was du hier geschaffen hast.« Er sah sich im Café um. »Es sieht wirklich toll aus.«

»Danke«, erwiderte Lexi leise. »Aber es sieht wohl danach aus, als würde ich bald gehen müssen, stimmt’s?«

Gequält sah Rémi drein und setzte sich aufrecht hin. Er brauchte nicht lange, um seine Miene wieder in den Griff zu bekommen. Als Anwalt hatte er bereits einigen Personen schlechte Neuigkeiten überbringen müssen.

Lexi knetete ihre Knie. Erneut würde alles von vorn losgehen. Nichts hatte sich geändert. Wieder würde ihr alles entrissen werden. Wo würde sie diesmal hingehen? Spanien? Oder Italien?

»Sprich es aus. Ich weiß, warum du hier bist. Ich muss es nur von dir hören, um es zu realisieren.« Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich in ihrem Bauch aus. Fort waren die Gedanken von Alltag, Sesshaftigkeit, von einem Leben, das in geordneten Bahnen verlief. So etwas war ihr nicht vergönnt. Das Schicksal verspottete sie – immer und immer wieder.

»Er wird entlassen, Lexi.«

Die Stille, die auf diese Worte folgte, war ohrenbetäubend.

Er wird entlassen.

Sie schloss die Augen.Ein leises »Warum?« kam Lexi über die Lippen. Wieso wollten die Abarumi, die Polizei der Hexengemeinschaft, das Böse auf die Straßen lassen?

Lexi spürte eine warme Hand auf ihrem Arm. »Es tut mir leid.«

Wohin würde sie gehen? Definitiv weiter weg. Ihr Besen hing an ihrer Haustür. Ihre Sachen zu packen, würde schnell gehen, sie hatte Übung darin.

»Er wird wegen guter Führung vorzeitig entlassen.«

Lexi starrte Rémi ungläubig an. Wegen guter Führung. Hatten sie denn nicht gesehen, was für ein Hexer ihr Vater in Wirklichkeit war? »Wann?«

»In zwei Tagen.«

Lexi verbarg ihr Gesicht in den Händen. Keine Tränen, keine Verzweiflung. In ihr war bloß Bitterkeit. Sie hatte sich lächerlich gemacht. Wie hatte sie überhaupt daran denken können, das Spellman’s zu übernehmen?

Sie ließ ihre Arme sinken. »Ich verstehe das nicht. Wie können sie so eine Art von Hexer freilassen?«

Rémi ergriff ihre Hand. »Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, dass da mehr ist, weshalb er noch nicht belangt wurde, etwas, von dem du vermutlich weißt.« Um seiner aufmerksamen Musterung zu entgehen, wandte sie den Blick ab.

Sie ignorierte seine Worte. Wenn sie darüber sprechen könnte, würde sie es. »Er wird nicht ruhen. Adrian weiß nicht einmal, wie das funktioniert, Rémi. Er wird alles genauso machen wie vorher. Wie können sie das zulassen?« In ihr brodelte ein Hexenkessel. Sie sprang auf und ballte die Hände zu Fäusten. »Und sag mir nicht, ich müsste ihm eine Chance geben! Das muss ich nicht! Ich weiß, dass er ein schlimmer und gefährlicher Mann ist.« Lexi schnaubte.

Seine Entlassung ging nicht mit rechten Dingen zu. Sie würde die Hand dafür ins Feuer legen, dass ihr Vater dafür gesorgt hatte, dass sein Fall von den richtigen Leuten bearbeitet worden war. Niemand, der bei Verstand war, würde ihn vorzeitig aus der Haft entlassen. Wie konnte das Hexagon das zulassen?

Rémi stand auf und hob beschwichtigend seine Hände. »Ich weiß, dass das viel ist.«

Lexi lachte laut. »Es ist nicht viel. Weißt du, was das bedeutet, Rémi?« Sie blickte ins Café. All das wurde ihr entrissen. Aber so war Adrian Falkenstein: Er riss alles an sich. »Ich habe mich gerade mit dem Gedanken angefreundet, das Spellman’s zu übernehmen. Das erste Mal wollte ich bleiben. Dieser Mann hat dafür gesorgt, dass ich heimatlos bin. Und jetzt kommt er zurück, um mich abermals zu berauben.«

»Ich weiß.« Rémi rieb sich über das Gesicht. »Du bist hier nicht sicher, wenn er wieder auf freiem Fuß ist.«

Lexi nickte. »Er wird mich aufsuchen.«

»Und das nicht nur aus reiner Vaterliebe, nicht wahr?« Sein Blick lag bedeutungsvoll auf ihr, doch sie reagierte nicht darauf. Es war ein schmaler Grat, auf dem sie wandelte, ohne sich zu gefährden. »Du ignorierst meine Worte nie, außer ich stelle dir eine Frage in diese Richtung. Was er dir angetan hat, muss tief sitzen.«

Lexi spürte den verräterischen Druck hinter ihren Augen. Gab dem jedoch nicht nach. »Ich muss verschwinden.« Sie räumte das Glas ab. Flüchten war das Einzige, was sie tun konnte.

Ihr Blick glitt über die Theke, sie sammelte ihre Gedanken.

»Hey«, sagte Rémi und legte eine Hand auf ihre Schulter. In seinem Blick lag Bedauern.

Ihr Herz pumpte schnell und in ihrem Nacken prickelte es, als wäre ihr bereits jemand auf den Fersen.

»Atme, Lexi«, forderte Rémi sie auf. »Er ist noch im Kerker. Du bist sicher.«

»Die Sicherheit täuscht.« Ein Gefühl, das sie sehnlichst kennenlernen wollte. Wieder rückte es in die Ferne. Ein Leben, ohne sich beobachtet zu fühlen, war für Lexi etwas, das so unwirklich schien. Ihr Vater war unberechenbar, selbst wenn er im Kerker unter dem Drachenfels festsaß, aber Adrian auf freiem Fuß?

Er würde die Welt in Dunkelheit tränken, so wie er seine eigene Tochter in die Schwärze gezogen hatte.

Kapitel5

Lexi lehnte sich gegen die Straßenlaterne und sah zum Fenster im oberen Stockwerk hinauf.

Felicitys Kater Asher starrte sie vom Fensterbrett aus an. Es würde nicht lange dauern, bis er ihrer Cousine stecken würde, dass sie draußen stand, nicht mutig genug, dieses Gespräch zu führen. Normalerweise verschwand Lexi wortlos. Doch diesmal konnte sie es nicht. Ihr Herz klopfte wild und hinter ihrer Stirn pochte es unangenehm. Ihr gesamter Körper wehrte sich gegen ihr Vorhaben.

Die Dunkelheit umhüllte sie wie ein ungemütlicher Kokon, dem Lexi nicht länger vertraute. Ihr Vertrauen in die Justiz war erschüttert. Wenn sie eine Person wie ihren Vater freiließen, wollte sie gar nicht wissen, wer noch auf freiem Fuße war und es nicht sein sollte.

Der schwarze Kater legte eine Pfote auf die Fensterscheibe, und Lexi sah, wie er seine kleine Schnauze bewegte, um sie zu verraten.

Sie verdrehte die Augen. Jetzt musste sie sich bewegen. Diese verdammte Petze! Lexi hatte gedacht, dass er ihr nach seinem Zwangsaufenthalt vielleicht wohlgesonnener war, doch sie hatte sich getäuscht. Asher war Felis Kewani. Ihr Seelentier, das von ihrer Magie zehrte und eng mit ihr verbunden war. Er würde alles für sie tun. Und Feli für ihn.

Ein unbehagliches Gefühl beschlich sie und sie rieb sich über ihren Unterarm. Als sie zum Baum blickte, der neben Felicitys Wohnblock emporragte, meinte sie, zwei Augen aufblitzen zu sehen. Ein unangenehmer Schauder überkam sie. Beobachtete ihr Vater sie etwa schon?

Sie musste Köln so schnell wie möglich verlassen.

Dieser Gedanke wog so schwer, dass Lexi drohte, unter der Last zu ersticken. Ihr ganzes Leben war sie geflüchtet, doch jetzt hatte sie sich das erste Mal getraut, zu bleiben. Zu bleiben und das zu tun, was sie liebte. Etwas, das sie lange nicht zugegeben hatte, weil sie wusste, dass sie es nicht ausleben konnte. Sie wollte dieses Café führen und die Gäste mit den wunderbaren Zusätzen erfreuen. Kuchen backen und gute Laune verbreiten. Sie wollte dafür verantwortlich sein, dass es im Spellman’s den besten Kaffee und Tee Kölns gab.

Und sie wusste, dass sie mit Felicity die tollste Partnerin an ihrer Seite hatte. Trotz der Energie, die ihre Cousine in den Laden gesteckt hatte, würde sie Lexi das Spellman’s sofort übergeben, wenn sie dafür bereit war. Feli war die geduldigste und gnädigste Person, die Lexi kannte. Und für einen Augenblick hatte sie gedacht, sie könnte ihr endlich etwas zurückgeben. Vor allem nach der heftigen Zeit im letzten Jahr. Dass Lexi in der Lage war, für Entlastung zu sorgen.

Abermals hatte sie sich getäuscht.

Abermals musste sie fliehen.

Als Lexi die Etage betrat, wartete Asher bereits an der offenen Wohnungstür. Seine gelben Augen blitzten sie an, während sein buschiger Schwanz hin und her peitschte. Er dachte nicht einmal daran, aus der Zarge zu treten, um ihr Platz zu machen.

Feli eilte zur Tür und lächelte, als sie Lexi erblickte. »Wie schön, dass du da bist. Komm rein.«

Erst jetzt machte der Maine-Coon-Kater Platz und sprang elegant auf seinen Kratzbaum, um über ihren Köpfen zu thronen und über sie zu urteilen. Sie mochte Asher, aber sie hassten sich auch ein wenig.

»Störe ich?«, fragte Lexi zaghaft.

»Natürlich nicht. Möchtest du einen Tee?« Feli band sich ihre roten Haare zu einem Zopf.

»Nein …« Sie zögerte. »Ich werde nicht lange bleiben.«

Ihre Cousine hielt ihre Gefühle oft zurück, doch in ihrem Blick meinte Lexi Enttäuschung zu sehen. Enttäuschen konnte sie gut. Bei Mutter Alwina, sie war fabelhaft darin, alle Leute zu enttäuschen. Inklusive sich selbst.

Die beiden Hexen setzten sich stumm auf die Couch.

Feli strich mit ihren Fingerspitzen über die Sofakante. Lexi war sich sicher, ihre Cousine war davon ausgegangen, dass sie heute darüber sprächen, wie es mit dem Café weiterginge. Ohne Zweifel spürte Felicity, dass dem nicht mehr so war. »Was möchtet du mir sagen?«

»Ich muss gehen.«

Ihre Cousine war nicht überrascht. Sie nickte einfach nur und starrte auf das Sofa. »Danke, dass du dich diesmal verabschiedest. Wirst du mir verraten, wieso du gehst?«

»Ich … Mein …« Lexi rieb sich über das Gesicht. »Ich kann nicht, Feli. Ich muss einfach gehen.«

Ihre Cousine nickte abermals und atmete laut aus. »Du musst tun, was du tun musst.« Als sie aufsah, war da keine Enttäuschung mehr, sondern Traurigkeit. »Es war schön, dass du es hier eine Weile länger ausgehalten hast. Ich habe dich gern hier. Wirklich, Lexi.«

Sie schluckte und nickte. Wollte antworten, konnte jedoch nicht. Sie wollte weinen, sie wollte es wirklich. Wollte etwas fühlen, doch in ihr war nur Leere. Ein Loch, das wuchs und durch das Lexi in eine Unendlichkeit fiel, aus der es kein Zurück gab. Ein Zittern durchfuhr sie.

Auch wenn Feli selbst Schwierigkeiten mit ihren Gefühlen hatte, war sie anderen gegenüber empathisch. Ihre Cousine setzte sich zu ihr und legte zögerlich eine Hand auf ihren Oberschenkel. »Bitte. Sag mir, wie ich dir helfen kann. Du musst das nicht allein durchmachen.«

Lexi stützte ihre Ellbogen auf den Knien ab und verdeckte ihr Gesicht. »Ich will nicht, dass es dunkel wird.«

»Dass es dunkel wird?«, flüsterte Feli verwirrt. »Sprich bitte mit mir.«

»Rémi war im Spellman’s«, presste sie hervor. »Du weißt, was das bedeutet.« Lexi richtete sich auf.

»Adrian«, erwiderte Feli, und Asher fauchte augenblicklich. »Ash«, tadelte sie.

Lexi und Ash waren selten der gleichen Meinung, doch jetzt hatte der verdammte Kater recht. »Er wird mich nicht in Ruhe lassen.«

»Er wird dich nirgendwo in Ruhe lassen«, stimmte Feli zu.

»Deshalb muss ich gehen.« Lexi rieb sich über die Oberschenkel, als könnte sie die Wärme damit zurückholen, die ihr seit Rémis Besuch aus den Gliedern gewichen war.

»Damit du ihm allein entgegentreten musst?«, fragte Feli mit hochgezogenen Brauen. »Soll er doch kommen. Du bist nicht allein, Lexi.«

»Er ist gefährlich. Ich will nicht, dass seine Dunkelheit dich oder irgendjemanden berührt.«

Heliot berührt.

»Vor der Dunkelheit fürchte ich mich nicht«, sagte Feli. »Ich bin Seelentransporteurin. Ich beherrsche die alte Sprache, wir beide tun es. Wenn Adrian es mit uns aufnehmen will, bin ich bereit, zu kämpfen. Doch die wesentliche Frage ist eine andere: Willst du bleiben?«

Bei den Worten ihrer Cousine kamen ihr die Tränen. Schnell strich sie diese fort. In einer anderen Situation hätte sie gelacht, denn Felicity wusste genau, dass sie die alte Sprache noch lange nicht so gut beherrschte. Feli gebrauchte sie jeden Tag für ihre Rituale, während Lexi nur ein paar auswendig gelernte Phrasen kannte, um die Elixiere zu brauen. Sie verstand zwar mehr, aber damit hausieren gehen würde sie nicht.

Abgesehen davon verdiente sie diesen Rückhalt nicht, denn Feli hatte ihn nie von ihr erhalten.

»Ich habe Angst davor«, offenbarte sie.

Felicity drückte ihre Hand. »Das kann ich verstehen, es ist dennoch nicht die Antwort auf meine Frage.«

Lexi spürte in sich hinein. Noch immer fühlte sie sich hohl. Aber sie wollte sich ihr Leben nicht von diesem Mann vorschreiben lassen. Die Angst, ihm entgegenzutreten, übermannte sie. Was wäre, wenn sie mehr Ähnlichkeiten, mehr gemeinsame Dunkelheit entdeckte? Vielleicht würde er sie auch gar nicht aufsuchen, weil er wusste, dass er Wunden aufreißen würde. Möglicherweise hatte er sich geändert.

Lexi schüttelte den Kopf. Natürlich hatte er das nicht. Er würde nicht ruhen, bevor er das bekam, was er wollte. Dennoch hatte Feli recht: Er würde sie überall finden. Sie würde ihn in jedem Fall treffen. Doch diesmal würde Lexi entscheiden, wo.

Diesmal würde sie bleiben, wo sie war. Wo sie hingehörte.

Sie blickte hoch und fand den Blick ihrer Cousine. »Ich werde bleiben.«

Kapitel6

Ich habe mich entschieden, hierzubleiben«, erklärte Lexi vier Tage später und sah auf ihr Handydisplay, auf dem ihre Mutter zu sehen war.

Eine tiefe Furche bildete sich auf Darcys Stirn. Eine ihrer roten Strähnen fiel ihr ins Gesicht und sie strich sie sich fahrig weg. »Aber warum, Schatz? Komm zu mir. Hier sind wir weit genug von ihm weg.«

»Er wird mich überall finden und dann wäre es dumm, ihn auch noch zu dir zu führen«, entgegnete Lexi hart. Seit zwei Tagen war ihr Vater bereits auf freiem Fuß. Im Spellman’s stand sie permanent unter Spannung. Jedes Mal, wenn die Türglocke läutete, sah sie erschrocken auf. Lexi hoffte, es normalisierte sich bald wieder.

»Und trotzdem musst du ihm nicht direkt in die Arme laufen!« Ihre Mutter war selten wütend. Sie versuchte, Lexis Welt bunt zu malen, seitdem sie selbst die Fähigkeit dazu verloren hatte.

Darcy hatte gemerkt, dass sie sich verändert hatte; dass damals an jenem Wochenende etwas geschehen war, das Lexi ihre Kindheit geraubt hatte. Oft genug hatte sie ihr entlocken wollen, was passiert war, aber Lexi hatte bis heute mit niemandem darüber gesprochen, weil sie dazu nicht in der Lage war.

Irgendwann hatte ihre Mutter verstanden, dass sie nicht erfahren würde, was geschehen war, stattdessen versuchte sie seitdem, sie vor Adrian zu beschützen. Leider war ihr das nicht immer gelungen.

Darcy hatte schon mit ihm gebrochen, bevor sie gewusst hatte, dass sie schwanger war. Lexi zuliebe hatte sie den Kontakt einige Jahre aufrechterhalten, in der Hoffnung, er bekäme die Kurve.

Und eine Zeit lang sah es sogar danach aus. Die Erinnerung an den Vater, den Lexi gehabt hatte, bevor sie in der Nacht von Geräuschen geweckt worden war und ihr Zimmer verlassen hatte, schmerzten wie eine entzündete Wunde.

»Hier ist das Spellman’s«, erklärte Lexi und sah ihre Mutter bedeutungsvoll an. »Ich will hier sein.«

»Ich mache mir Sorgen, Lexi. Große Sorgen. Erst heute Morgen hat mich Rémi angerufen und erzählt, dass einer der Abarumi, Bent Fedderer, der mit Adrian zu tun hatte und unter anderem dafür zuständig war, dass er entlassen wurde, seit gestern verschwunden ist.«

Lexi erstarrte. »Aber das kann doch nichts mit ihm zu tun haben, oder? Er hat ihm schließlich geholfen.«

»Das sieht Rémi anders. Es gab mehrere, die an dem Fall deines Vaters dran waren. Er glaubt, dass der Tod des Abarumi die anderen, die seine Entlassung unterstützt haben, einschüchtern soll.«

Damit sie nicht auf dumme Gedanken kamen. Lexi verstand, warum Rémi das dachte. Es war die Handschrift ihres Vaters.

»Aber er ist verschwunden, nicht tot«, erwiderte sie leise.

Das Schweigen, das folgte, war schwer. Natürlich war er tot. Der Abarumi hatte schließlich etwas mit ihrem Vater zu tun.

Darcy legte das Handy auf den Tisch und sah von oben auf das Display. »Rémi hat mir versprochen, er würde Leute schicken, die nach dir sehen. Das beruhigt mich ein wenig, auch wenn ich weiß, dass dein Vater da andere Wege kennt. Versprichst du mir, auf dich aufzupassen? Und dich zu melden, wenn etwas passiert? Sobald du Hilfe brauchst? Nicht wie letztes Jahr!«

Feli und sie hatten ihre Mütter nicht informiert, als alles drunter und drüber ging. Ihre Cousine wollte Tante Cathina nicht verunsichern und sie nur im Notfall um Hilfe bitten. Lexi hatte das gut nachvollziehen können. Sicherlich konnte man darüber streiten, was man als Notfall bezeichnete, und Felis Lage war … Nun, im Nachhinein waren sie schlauer.

»Ich verspreche es dir. Wirklich, Nani.« Statt Mama nannten die meisten in der Hexengesellschaft ihre Mutter Nani und ihren Vater Nano.

Die Sorge wich nicht aus den Augen ihrer Mutter, doch Lexi konnte nichts dagegen tun. Jetzt musste sie für sich einstehen, auch wenn es schmerzte.

»Danke, dass du immer für mich da bist«, fügte sie hinzu. »Und meine Entscheidung akzeptierst.«