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Selbstfürsorge ist in aller Munde. Überall liest man, dass man für sich selbst sorgen solle – und bekommt dazu oft entspannende Schaumbäder empfohlen. Selbstfürsorge ist jedoch viel mehr als ein Lifestyle-Trend! Die psychologische Psychotherapeutin Anke Glaßmeyer erklärt, wie man seine eigenen Bedürfnisse erkennt, bewusst mit seinen Ressourcen umgeht und eine wertschätzende Haltung sich selbst gegenüber einnimmt. Sie zeigt, was Selbstfürsorge mit Selbstwert und Selbstvertrauen zu tun hat, weshalb sie nicht egoistisch ist und wie sie sich sogar trainieren lässt. Dazu liefert sie konkrete Impulse und Techniken, um Selbstfürsorge für Körper und Geist sowie im sozialen Umfeld zu leben – und damit Herausforderungen im Alltag zu meistern und in schwierigen Lebensphasen Halt zu finden.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Vorwort
Wieso schreibe ich dieses Buch?
Mein Weg zur Selbstfürsorge
Übernimm Verantwortung für dich
Wie du mit diesem Buch arbeitest
Teil 1: Selbstfürsorge – was ist das?
Das Prinzip Selbstfürsorge
Selbstfürsorge ist kümmern um sich selbst
Darum ist Selbstfürsorge heute wichtig
Darum sorgen wir uns lieber um andere
Die Folgen fehlender Selbstfürsorge
Gute Gründe, für dich zu sorgen
Selbstfürsorge ist guter Egoismus
Was ist Egoismus überhaupt?
Selbstfürsorge ist nicht egoistisch, sondern logisch
Die richtige Dosis Selbstfürsorge
Selbstfürsorge kannst du trainieren
Selbstfürsorge ist erlernbar
Kenne dein Warum und Wozu
Werde dir über deine Ziele klar
Schaffe eine Basis für deine Selbstfürsorge
Wie du Schwierigkeiten überwindest
Teil 2: Auf dem Weg zu dir selbst
1 Sorge dich gut um deinen Körper
Darum ist körperliche Gesundheit wichtig
Bewegung
Regeneration und Pausen
Gesunde Ernährung
Gesunder Schlaf
Bewusste Atmung
Aufrechte Körperhaltung
2 Sorge dich gut um deine Gefühle
Darum ist der Umgang mit deinen Gefühlen wichtig
Gedanken und Gefühle richtig bewerten
Selbstmitgefühl: Begegne dir liebevoll
3 Sorge dich gut um deine Seele
Darum ist es wichtig, dass du auf dich achtest
Konstruktiv mit Stress umgehen
Einen Sinn sehen
Mit Vergleichen aufhören
Kenne deine Bedürfnisse
Dankbarkeit empfinden
Social Media und Nachrichten einschränken
4 Sorge dich um ein gutes Umfeld
Darum sind Beziehungen so wichtig
Kenne deinen Bindungsstil
Pflege dein soziales Netz
Plädoyer für Zeit allein
Beziehungen und Selbstfürsorge
Gute Kommunikation ist essenziell
Schlusswort
Danksagung
Literatur
Liebe Leser:innen,
noch ein Buch über Selbstfürsorge? Gibt es da nicht schon genug? Und wieso überhaupt Selbstfürsorge? Ist das nicht total egoistisch? Das sind vielleicht Fragen, die du dir stellst.
Erst einmal kann es meiner Meinung nach nicht genug Bücher über Selbstfürsorge geben, denn nicht jede:r Autor:in spricht jeden Menschen an. Dabei ist es so wichtig, dass wir alle verstehen, weshalb es essenziell ist, dass wir uns um uns selbst sorgen und lernen, wie wir dies bewerkstelligen. Deshalb hoffe ich, dass ich viele mit meinen Worten erreichen werde.
Im ersten Teil wirst du erfahren, was Selbstfürsorge ist, wieso sie wichtig ist, woran du merkst, dass du sie zu wenig praktizierst und wie du mit Hindernissen umgehen kannst.
Im zweiten Teil werden wir konkret. Du bekommst Einblicke in die verschiedenen Bereiche, die meiner Meinung nach wichtig für eine gute Selbstfürsorge sind. Hierfür stelle ich dir unterschiedliche Übungen vor, die du nach und nach testen und, wenn du sie als hilfreich erachtest, in deinen Alltag integrieren kannst.
Dabei werde ich immer wieder Patient:innenbeispiele einfließen lassen, um das Konzept der Selbstfürsorge besser zu veranschaulichen. Diese Fallbeispiele sind so verändert, dass sich niemand darin wiedererkennen wird. Auch wirst du Einblicke in meinen eigenen Weg heraus aus der Essstörung und zu mehr Selbstfürsorge erhalten, die dir Mut machen sollen, besser für dich zu sorgen. Denn Selbstfürsorge ist eine Art Superkraft, die dich dabei unterstützt, den Herausforderungen und Widrigkeiten des Lebens kraftvoll entgegenzutreten.
Ich habe mich bewusst entschieden, hier von Patient:innen, Freund:innen etc. zu sprechen und deshalb zu gendern, denn ich möchte alle Personen, egal mit welchen Geschlecht sie sich identifizieren, einbeziehen.
Das hat zur Folge, dass sich das Buch möglicherweise an manchen Stellen etwas umständlich liest. Ich denke jedoch, dass der Mensch ein Wesen ist, das sich an diese Schreibweise gewöhnen wird, wenn immer mehr Autor:innen sie übernehmen.
Auch habe ich mich entschlossen, dich, liebe:r Leser:in, in diesem Buch zu duzen, um dich mit meinen Worten besser zu erreichen. Wenn ich dir das, was du auf den kommenden Seiten lesen wirst, persönlich erzählen würde, so wäre das „Sie“ auch kein Problem. So sieze ich meine Patient:innen, die ich in der Praxis behandle, um eine professionelle Distanz zu bewahren, denn eine Psychotherapie ist eine Arbeitsbeziehung und keine Freundschaft. In meinen Online-Beratungen duze ich die Menschen jedoch trotz Arbeitsbeziehung, um ein Gefühl der Nähe zu schaffen, das aufgrund der räumlichen Distanz etwas schwerer herzustellen ist. Und Nähe möchte ich in diesem Buch auch zu dir aufbauen.
Ich habe mich zudem dazu entschlossen, nicht von Eltern, sondern von Erziehungsberechtigten, Bezugspersonen oder Fürsorgepersonen zu sprechen, denn vielleicht hattest du nicht das Privileg, bei deinen Eltern aufwachsen zu können.
Ich bin psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie. Das Thema Selbstfürsorge begegnet mir auf unterschiedliche Weise in jeder Therapie. Einiges habe ich in meinem Studium und meiner Weiterbildung darüber gelernt, aber das Leben ist doch der beste Lehrmeister.
Statistisch gesehen leidet jeder vierte Mensch ein Mal in seinem Leben an einer psychischen Erkrankung. Zudem zeigen Studien, dass jedes Jahr 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung davon betroffen sind. Das sind 17,8 Millionen Menschen. 2019 waren 20 % der Fehltage bei Frauen durch psychische Erkrankungen verursachet, bei Männern waren es 14,2 %. Ich finde, das sind ungeheuerlich hohe Zahlen, und ich bin überzeugt, dass diese Zahl deutlich geringer wäre, wenn die Menschen eine bessere Selbstfürsorge betreiben würden.
Wenn ich meine Patient:innen frage, wie sie ihren eigenen Akku aufladen, dann staunen einige erst einmal Bauklötze. Akku aufladen? Wie und wozu? Habe ich überhaupt einen Akku?
Jeder von uns hat einen Akku. Auch du. Genauso wie dein Smartphone. Wenn dein Handy jedoch morgens, bevor du die Wohnung verlässt, nur noch 3 % Akku anzeigt, dann lädst du es wahrscheinlich vorher noch kurz auf, nimmst ein Ladekabel oder eine Powerbank mit. Die wenigsten würden denken: „Ach, 3 % Akku, das reicht locker für den gesamten Tag.“ Bei dir selbst bist du da oft nachlässiger, gehst über deine Grenzen, bist für alle anderen da, nur nicht für dich selbst.
Oft höre ich auch als Antwort, dass man ja zweimal im Jahr in den Urlaub fahre oder am Wochenende länger ausschlafe. Das ist schon einmal sehr gut und ein Anfang, doch reicht das nicht aus. Selbstfürsorge sollte im besten Fall täglich stattfinden.
Ich bin durch eine psychische Erkrankung vor einiger Zeit in eine Situation gekommen, in der ich selbst erfahren und erleben durfte, wie wichtig und heilsam Selbstfürsorge ist. Ich bin also einerseits Psychotherapeutin, doch habe ich auch eine eigene Geschichte und kenne auch die Patient:innenseite sehr gut.
Im Alter von elf Jahren erkrankte ich an Magersucht, mit 12 Jahren war ich das erste Mal stationär in einer Klinik. Damals machte ich mit Ärzt:innen und Therapeut:innen sehr negative Erfahrungen, sodass ich mir sagte: „Ich werde mal Psychotherapeutin – ich mache es anders.“ Vieles wurde über meinen Kopf hinweg entschieden, ich musste funktionieren und meine Gefühle und Gedanken bekamen keinen Raum, da ich kaum psychotherapeutische Gespräche hatte. Das einzige Ziel war zuzunehmen, egal um welchen Preis.
Der Preis, den ich zahlte, war, dass aus Magersucht eine Bulimie wurde. Aus einem Klinikaufenthalt wurden insgesamt sechs und bis ich wirklich sagen konnte, dass es mir gut geht, mussten über 20 Jahre vergehen. Doch ich hatte immer ein Ziel vor Augen, und Aufgeben war keine Option: Ich will Psychotherapeutin werden.
Vor einigen Jahren ging es mir sehr schlecht, ich hatte einen schlimmen Rückfall, der auf der Intensivstation im Koma endete. Lange war unklar, ob ich überlebe oder irgendwelche Langzeitschäden behalte. Ich musste wieder neu Sprechen und Laufen lernen, doch ich habe mich zurück ins Leben gekämpft. Aufgeben war für mich eben keine Option.
Diese Krise war damals ein Wendepunkt für mich, denn ich verstand, dass ich auf der Welt noch eine Aufgabe habe, und fing aus tiefster Überzeugung an zu kämpfen. Ich kann also sagen, dass diese Krise eine Chance war. Vorher hatte ich es eher halbherzig getan, für meine Familie und mein Umfeld. Damals erkannte ich, dass nur ich es in der Hand habe, dass es mir besser geht, und ich mich dafür gut um mich sorgen darf. Eigenverantwortung ist hier der zentrale Begriff.
Du musst nicht auch an so einen Wendepunkt kommen, um dir mit Selbstfürsorge zu begegnen, denn der Mensch kann auch aus den Fehlern anderer lernen. Wenn du dich bewusst dafür entscheidest, dich um dich selbst zu kümmern, wird es dir jedoch deutlich leichter fallen, denn du weißt, wofür du es tust. Und das ganz ohne so einen krassen Wendepunkt.
Immer wieder spreche ich mit meinen Patient:innen über das Thema Eigenverantwortung, denn diese ist für eine Psychotherapie unabdingbar. Bei vielen Betroffenen erlebe ich, dass sie vor allem zu Beginn ambivalent sind. Einerseits ist da der große Wunsch nach einer Veränderung, denn oft ist der Leidensdruck sehr hoch und so soll es nicht weitergehen. Andererseits ist da das Bedürfnis nach Sicherheit und Gewohnheiten, und die vorhandenen Einstellungen und Verhaltensweisen können nur schwer aufgegeben werden. So ist es auch bei der Selbstfürsorge. Viele wollen, dass es ihnen besser geht, doch etwas zu ändern ist meist erst einmal anstrengend. Und genau das kann es zu Beginn sein: anstrengend, ungewohnt, eine Überwindung. Doch mit der Zeit wird es dir leichterfallen.
Heute geht es mir so gut wie noch nie. Ich führe ein zufriedenes Leben und fühle mich erstmals wohl in meinem Körper. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl, für das ich hart gekämpft habe – wenn man bedenkt, dass ich mich schon im Kindergarten zu dick fühlte.
Jetzt wirst du vielleicht denken: „Ach, das schaffe ich doch eh nicht, ich habe doch schon so oft versucht, mich um mich selbst zu kümmern. Wenn es wirklich so anstrengend ist, dann lass ich es besser.“ Das kann ich verstehen, doch ich habe all mein Wissen, das auch mir geholfen hat, in dieses Buch gesteckt. Außerdem muss dieser Weg für dich gar nicht hart und anstrengend sein, nur, weil er es bei mir war. Er kann auch leicht und beschwingt verlaufen. Probier es aus. Es lohnt sich.
Ohne Eigenverantwortung gibt es selten Fortschritt. Eigenverantwortung zu übernehmen bedeutet, zu verstehen, dass das eigene Verhalten und die eigenen Handlungen Konsequenzen haben, die du selbst beeinflussen kannst. Verantwortung zu übernehmen ist nicht leicht und kann schmerzhaft und herausfordernd sein.
Vielen Menschen fällt es schwer, Eigenverantwortung zu übernehmen. Es ist leichter, den Partner:innen, Kolleg:innen, Chef:innen, Politiker:innen etc. die Schuld zu geben. Dies ist eine Art Abwehrmechanismus, und so wird die eigentliche Ursache auf andere Menschen projiziert.
Bei vielen Menschen löst die Erkenntnis, dass sie für sich und ihr Leben verantwortlich sind, erst einmal Widerstand und Ängste aus. Einige fühlen sich unter Druck gesetzt oder als Versager:in. Es passieren schlimme Dinge in deinem Leben und der Welt, für die du keine Verantwortung trägst. Wofür du jedoch verantwortlich bist, ist, wie du auf die Umstände reagierst und mit ihnen umgehst.
Eigenverantwortung bedeutet, zu lernen und zu verstehen, wie du mit dir selbst umgehen solltest, damit du zufrieden bist und ein gutes Leben führst. Das umfasst auch, nicht andere Menschen für deine Situation verantwortlich zu machen und selbst die Schritte zu gehen, die nötig sind.
Eigenverantwortung beinhaltet, die eigenen Schwächen anzunehmen und sich Fehler einzugestehen, jedoch auch die Stärken und Ressourcen zu sehen. Außerdem bedeutet sie, gut für dich zu sorgen.
Eigenverantwortung hat jedoch auch ihre Grenzen, denn es gibt Themen, die nicht durch die einzelne Person gelöst werden können, sondern auf gesellschaftlicher Ebene in der Gemeinschaft verändert werden müssen. Dazu zählen Themen wie soziale Ungerechtigkeiten und Rassismus. Es geht also nicht darum, dass du dir nun selbst die Schuld zuschiebst oder dich für etwas verantwortlich fühlst, für das du vielleicht gar nicht verantwortlich bist, sondern darum, die Verantwortung für dich und deine Selbstfürsorge im Rahmen deiner Möglichkeiten und Grenzen so gut es geht zu übernehmen.
Ich habe mich in den letzten drei Jahren intensiv mit dem Thema Selbstfürsorge auseinandergesetzt, vieles am eigenen Leib getestet und ausprobiert. Ich habe für mich erkannt, dass Selbstfürsorge das Fundament für ein gutes Wohlbefinden ist. Nicht alles, was ich getestet habe, lädt meinen Akku auf, deshalb möchte ich dich dazu anregen, alles einige Male auszuprobieren, bevor du überzeugt sagen kannst, dass es nichts für dich ist.
So erging es mir z. B. beim Yoga. Nach dem ersten Mal dachte ich: „Oh nein, das ist nichts für mich, lieber mache ich Kraftsport, da weiß ich, dass er mir guttut.“ Nur ist ausschließlich Kraftsport ohne Regeneration auch keine gute Idee, und so ging ich weiter, wenn auch widerwillig, zur Yogastunde. Mit der Zeit fielen mir die Übungen immer leichter, ich konnte mich dabei entspannen und irgendwann machte es sogar Spaß. Wenn ich es mal nicht in die Stunde schaffe, mache ich alleine eine Online-Yogastunde. Wäre ich nach dem ersten Mal nicht mehr hingegangen, wäre mir eine große Kraftquelle verwehrt geblieben.
Anders geht es mir mit Meditation. Ich testete einige Apps und schaute mir YouTube-Videos an, doch zu diesem Bereich habe ich noch keinen Zugang gefunden – ich sage ganz bewusst noch, denn nichts ist absolut und Selbstfürsorge darf sich ändern, wir dürfen sie anpassen. Sie ist quasi eine Art Experiment. Wichtig ist nur, dass du beginnst, sie in deinen Alltag zu integrieren.
Das geht natürlich nicht von heute auf morgen und braucht Zeit. Deshalb möchte ich betonen, dass du dich nicht unter Druck setzen solltest. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Neue Verhaltensweisen kosten erst einmal Kraft und Überwindung. Wenn du also am Anfang Schwierigkeiten mit der Umsetzung hast, dich gut um dich selbst zu kümmern, dann ist das vollkommen normal und kein Grund, gleich alles hinzuschmeißen. Fang klein an und geh mitfühlend mit dir um. Wenn sich etwas nicht gut anfühlt, darfst du deinem Gefühl vertrauen – auch das gehört zur Selbstfürsorge.
Mit uns selbst gehen wir häufig sehr hart ins Gericht, kritisieren uns und machen uns runter. Wenn ich meine Patient:innen dann aber frage, ob sie genauso mit ihren besten Freund:innen sprechen würden, werden die meisten ganz leise.
Mit anderen Menschen sind wir meist viel mitfühlender und wertschätzender. Viele gehen darin auf, sich um andere zu kümmern, sich selbst vergessen sie dabei, denn es gilt immer noch als egoistisch, wenn wir uns um uns selbst kümmern. Doch Selbstfürsorge ist eben alles andere als egoistisch, denn nur wenn es uns gut geht, können wir auch für andere da sein.
Selbstfürsorge ist zudem höchst individuell. Was mir guttut, das kann dir eher Energie rauben. Ich bin ein sehr aktiver Mensch, brauche Struktur und Routinen. Für dich kann es jedoch wie ein Gefängnis wirken, jeden Tag einen ähnlichen geplanten Ablauf zu haben. Wichtig ist, dass du ausprobierst und in dich hineinspürst, was dir guttut und Kraft gibt. Selbstfürsorge ist wandelbar und nicht statisch. Wenn es dich vor einem halben Jahr entspannt hat, ein Puzzle zu machen, so kann es heute bei dir zu Anspannung führen. Was also vor einiger Zeit für dich gut geklappt hat, muss heute nicht mehr unbedingt funktionieren.
Wichtig ist, dass du die Dinge auch ausprobierst und anwendest, denn nur angewandtes Wissen bringt dich in die Handlung und zu mehr Selbstfürsorge.
Ich habe also in den letzten Jahren gelernt, gut für mich zu sorgen, weshalb dieses Buch nicht schon früher erschienen ist. Als der humboldt Verlag bei mir anfragte, wusste ich, dass ich umziehen werde und somit keine Zeit haben würde, ein Buch zu schreiben, wenn ich weiterhin für mich sorgen und gut auf mich achtgeben wollte. Die frühere Anke hätte große Angst gehabt, dies dem Verlag mitzuteilen, weil sie eine komplette Absage befürchtete. Ich wusste aber, dass ich meinen Patient:innen nicht etwas von Grenzen setzen und Neinsagen erzählen konnte, wenn ich es selbst nicht tue und lebe, denn Authentizität, also Echtheit und nach meinen Werten und Bedürfnissen zu leben, ist ein wichtiger Wert für mich.
Also nahm ich meinen Mut zusammen und sagte dem Verlag, dass ich sehr gerne ein Buch über Selbstfürsorge schreiben würde, gleichzeitig aber auf meine Grenzen achtgeben wolle und es für mich essenziell sei, gut für mich zu sorgen. Der Verlag fasste das Ganze sehr positiv auf: Das sei gar kein Problem, das Buch könnte einfach später erscheinen.
Doch auch der Prozess des Schreibens war eine große Herausforderung für mich. Denn neben dem Buch hatte ich mich noch entschieden, meine Praxis zu vergrößern, mit ihr umzuziehen und mir eine:n Psychotherapeut:in als Unterstützung zu suchen. Immer wieder kam ich an meine Grenzen und wollte hinschmeißen. Selbstzweifel kamen hoch und ich fühlte mich klein. Doch auch in dieser Zeit vernachlässigte ich meine Routinen nicht, ging zum Sport und spazieren, achtete auf meine Ernährung und genug Schlaf, sagte Anfragen ab und sprach mit Freund:innen, meinen Supervisor:innen und meiner Therapeutin. Ich lernte noch einmal intensiv, wie wichtig es ist, liebevoll mit mir selbst umzugehen.
Im ersten Teil des Buches werde ich dir erklären, was Selbstfürsorge eigentlich bedeutet, was sie mit dem Selbstwert und Selbstvertrauen zu tun hat und weshalb sie eben nicht egoistisch ist. Wir werden uns auch anschauen, wie du das Ganze trainieren kannst. Du lernst einige Hindernisse kennen und erfährst, wie dir Struktur und Routinen helfen können.
Im zweiten Teil kommst du ins Handeln. Ich zeige dir, wie du an deiner Selbstfürsorge arbeiten kannst. Dazu werde ich dir die unterschiedlichen Bereiche der Selbstfürsorge erläutern und dir Übungen und praktische Beispiele vorstellen. Immer wieder werde ich auch meine eigenen Erfahrungen mit einfließen lassen, damit dir deutlich wird, dass das Ganze an mir erprobt ist und funktioniert.
Mit einigen Ideen wirst du möglicherweise nichts anfangen können. Das ist in Ordnung, denn was für die eine Person hilfreich ist, kann für eine andere eher das Gegenteil sein. Versteh meine Tipps eher als Impulse und bediene dich an ihnen wie an einem Buffet. Wenn dir eine Speise besonders gut schmeckt, nimm einen Nachschlag. Wenn du kein Nachspeisentyp bist, ist das vollkommen fein. Stell dir dein individuelles Selbstfürsorgemenü zusammen und verzichte auf das, was dir nicht guttut. Probiere vieles einige Male aus, bevor du dich dagegen entscheidest, denn manchmal braucht es einige Zeit, bis du von einer Sache profitierst. Der Weg zu mehr Selbstfürsorge ist kein Sprint, sondern ein Marathon, bei dem jeder Schritt dich deinem Ziel näherbringt.
Ich werde dir am Ende eines Abschnitts immer wieder Reflexionsfragen stellen, die dazu dienen, dass du dich selbst hinterfragst. Nimm dir für diese Fragen regelmäßig ein paar Minuten Zeit. Deine Antworten kannst du am besten handschriftlich festhalten, denn durch das Aufschreiben werden mehr Sinne aktiviert und du speicherst deine Antworten besser ab. Zudem kannst du dir deine Notizen auch Monate später noch einmal durchlesen.
Sollten bei den Fragen unangenehme (alte) Gefühle hochkommen, mit denen du dich überfordert fühlst, dann spreche bitte mit nahestehenden Personen oder in der Psychotherapie darüber, falls du gerade eine machst. Über die Terminservicestelle unter 116117 bekommst du auch zeitnah einen Sprechstundentermin bei einer:m Psychotherapeut:in. Hilfreich kann es zudem sein, dass du dir die Fragen regelmäßig wieder stellst, um so Veränderungen wahrzunehmen und ein anderes Bewusstsein für dich zu bekommen.
Wichtig ist, dass du dir das rausnimmst, was sich für dich gut und stimmig anfühlt. Nicht alles wird passen, und das ist okay.
Jetzt wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen!
Deine
Im ersten Teil des Buches erfährst du, was Selbstfürsorge eigentlich bedeutet, was sie mit dem Selbstwert und Selbstvertrauen zu tun hat und weshalb sie nicht egoistisch ist. Du lernst, wie du Selbstfürsorge trainieren kannst, Hindernissen und Schwierigkeiten begegnest und erfährst, wie dir Struktur und Routinen dabei helfen können.
Wer keine Zeit für seine Gesundheit hat, wird später viel Zeit für seine Krankheiten brauchen.
Sebastian Kneipp (1821–1897), Priester und Naturheilkundler
Die Begriffe Selbstfürsorge oder auch Selfcare sind gefühlt in aller Munde. Überall liest man, dass man für sich selbst sorgen solle, illustriert mit Personen, die mit einer Gesichtsmaske in der Badewanne liegen. Viele Menschen reagieren erst einmal genervt oder frustriert, wenn sie hören, dass man sich besser um sich kümmern solle. Ich vermute, dass die Abneigung gegen Selbstfürsorge daher rührt, dass man nicht jeden Trend mitmachen möchte oder Druck verspürt und deshalb automatisch erst einmal dagegen ist. Kommen wir also zur wichtigsten Frage: Was genau ist denn nun diese Selbstfürsorge?
Im Duden sucht man das Wort vergeblich. Lediglich das Wort „Fürsorge“ ist dort genannt als „aktives Bemühen um jemanden, der dessen bedarf“. Selbstfürsorge könnte somit als das aktive Bemühen um sich selbst verstanden werden, weil man dessen bedarf.
Eine einheitliche Definition gibt es zu dem Wort tatsächlich nicht, obwohl dieses Konzept für uns Menschen so essenziell ist.
Eine sehr treffende Beschreibung des Begriffes findet sich bei der Psychotherapeutin Luise Reddemann. Für sie ist Selbstfürsorge der liebevolle, wertschätzende, achtsame und mitfühlende Umgang mit sich selbst und das Ernstnehmen der eigenen Bedürfnisse.
Das Internet hat unterschiedliche Beschreibungen des Begriffs parat. Da ist die Rede davon, sich Zeit für Dinge zu nehmen, die einem dabei helfen, gut zu leben und die körperliche und mentale Gesundheit zu verbessern. Man liest von einer inneren Haltung und Handlungen, mit denen man Verantwortung für sich selbst, sein körperliches und psychisches Wohlbefinden übernimmt. Anderen Quellen zufolge beinhaltet der Begriff Selbstfürsorge den sorgsamen Umgang mit den eigenen Bedürfnissen, Gefühlen und Ressourcen. Wieder eine andere Quelle redet von Aktivitäten, die dem physischen und psychischen Wohlbefinden dienen und uns helfen, Belastungen und Stress auszugleichen. Selbstfürsorge umfasst zum einen Dinge, die einem guttun, die einen verwöhnen und die man sich gönnt, andererseits kann sie aber auch Verzicht oder Beschränkungen (z. B. bestimmte Nahrungsmittel, Arbeitszeit, Social-Media-Konsum) bedeuten.
Es gibt also nicht die eine Definition und somit auch nicht die eine Selbstfürsorge. Selbstfürsorge ist individuell und du darfst deine eigene Beschreibung finden. Sie ist vielschichtig und beinhaltet nicht nur das Schaumbad oder die Gesichtsmaske, wie es in den Medien häufig suggeriert wird.
REFLEXIONSFRAGE
Wenn dich jemand zum jetzigen Zeitpunkt fragen würde, was Selbstfürsorge für dich bedeutet, was würdest du antworten?
Für mich bedeutet Selbstfürsorge, sich gut um sich selbst zu kümmern. Das beinhaltet: die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, diese so gut wie gerade möglich zu befriedigen und sich selbst eine gute Bezugsperson zu sein. Als wir auf die Welt gekommen sind, haben sich unsere Bezugspersonen um uns und unsere Bedürfnisse gekümmert. Heute sind wir erwachsen und dürfen diese Aufgabe selbst übernehmen. So dürfen wir nun selbst für genug Schlaf, eine gesunde Ernährung, genügend Flüssigkeit, ausreichend Bewegung und soziale Kontakte sorgen. Auch Grenzen setzen und Nein sagen fällt für mich darunter. Früher haben deine Fürsorgepersonen dir in den meisten Fällen Anerkennung, Aufmerksamkeit und fürsorgliche Zuwendung gegeben. Heute darfst du das selbst übernehmen.
Selbstfürsorge ist auch die Fähigkeit, achtsam und bewusst mit deinen Ressourcen umzugehen, sodass du keinen Raubbau an dir betreibst. So sorgst du dafür, dass du ausreichend Energie für die Bewältigung des Lebens im Hier und Jetzt und in der Zukunft zur Verfügung hast.
Selbstfürsorge ist außerdem eine innere, wertschätzende Haltung sich selbst gegenüber, in der man sich mit Güte, Nachsicht, Selbstachtung und Realismus begegnet. Es ist die Fähigkeit, gut für sich zu sorgen, liebevoll mit sich umzugehen und Zeit für sich einzuplanen. Wie du mit dir selbst sprichst, ob du liebevoll mit dir umgehst oder ob du dich abwertest, kritisierst und niedermachst, macht einen großen Unterschied. Du solltest dir selbst ein:e gut:e Freund:in sein und dich so behandeln, wie du es mit deinem Umfeld tun würdest.
Selbstfürsorge bedeutet auch, Grenzen zu setzen und Nein zu sagen. Wenn du auf Anfragen von Freund:innen, Kolleg:innen, Familie oder sonstigen Menschen immer mit Ja antwortest, wird das irgendwann nicht mehr geschätzt und frisst ganz viel deiner Energie. So kann es hilfreich sein, immer mal wieder innezuhalten und zu überprüfen, wie es dir gerade geht, wenn du dich zu sehr um dein Umfeld kümmerst, immerzu gibst und hilfst. Denn sonst läufst du Gefahr, dass dein Akku sich komplett entleert und du ausbrennst. Dich selbst nicht zu vergessen und zu vernachlässigen, ist essenziell, um eine gute Selbstfürsorge zu betreiben.
Ich frage meine Patient:innen häufig, ob sie gut Nein sagen können. In den meisten Fällen sehe ich ein Kopfschütteln. Wenn ich dann sage, dass das ja gar nicht stimme, denn sie können sehr gut Nein sagen, nämlich zu sich selbst, dann kommen viele ins Nachdenken. Denn ein Ja zu jemand anderem ist auch immer ein Nein zu sich selbst oder, anders formuliert, ein Nein zu jemand anderem ist ein Ja zu sich selbst.
Damit meine ich nicht, dass du jede Anfrage ablehnen solltest, sondern, dass du, bevor du zu- oder absagst, kurz in dich hineinhorchst, ob du etwa einer Verabredung wirklich zustimmen möchtest. Da kann es beispielsweise hilfreich sein, sich etwas Bedenkzeit zu nehmen. Sätze wie „Lass mich kurz darüber nachdenken, ich melde mich in 30 Minuten zurück“ oder „Das muss ich kurz mit meiner Familie abklären“ geben dir die Möglichkeit, wirklich in dich hineinzuhorchen, statt aus Gewohnheit Ja zu sagen.
Selbstfürsorge sollte regelmäßig betrieben werden, denn sie ist, um in einem Bild zu sprechen, wie das Pflegen einer Pflanze, die man regelmäßig gießen und düngen muss. Erledigt man dies nur zweimal im Jahr (vergleichbar damit, zweimal im Jahr in den Urlaub zu fahren), so geht sie ein. Dasselbe passiert dir als Mensch, wenn du deine Selbstfürsorge langfristig vernachlässigst. Welche Folgen dies haben kann, werde ich später erläutern.
Nun weißt du in etwa, was Selbstfürsorge ist. Ich möchte aber auch noch darauf eingehen, was Selbstfürsorge eben nicht ist. Sie ist keine Selbstoptimierung, kein „höher, schneller, weiter“. In unserer Leistungsgesellschaft geht es häufig nur darum, noch produktiver, noch effektiver oder noch leistungsfähiger zu werden. Vielen steht kaum Zeit für Regeneration oder Erholung zur Verfügung und sie haben Sorge, aus dem Rennen zu fallen, wenn sie nicht 100 % geben.
Das meine ich nicht mit dem Begriff Selbstfürsorge. Für mich bedeutet gut für sich selbst zu sorgen, eine mentale und körperliche Gesundheit entweder wiederherzustellen oder beizubehalten. Es geht dabei nicht um Effizienz, sondern um Zufriedenheit, Gesundheit und Wohlbefinden.
Die Grundvoraussetzung dafür, eine gute Selbstfürsorge zu erlernen, ist, dass du dir deiner Bedürfnisse und Energiequellen bewusst wirst. Was gibt dir Kraft? Was hat dir vielleicht in deiner Kindheit und Jugend Freude bereitet und dir Energie gegeben? Wenn du dich darin üben möchtest, besser für dich zu sorgen, so wirst du dich intensiv mit dir selbst auseinandersetzen und reflektieren dürfen. Ich schreibe extra „dürfen“, denn es ist deine freie Entscheidung, ob du etwas verändern möchtest. Wie sagte jemand mal so schön? „Müssen tust du gar nichts, außer auf den Pott, atmen und irgendwann sterben.“
Vielleicht bist du jetzt etwas verwirrt: „Wie? Ich muss gar nichts ändern?“ Nein, selbstverständlich nicht. Der Mensch ist ein freies Wesen, und niemand kann und wird dich zu deinem Glück zwingen. So mache ich meinen Patient:innen auch immer wieder deutlich, dass sie sich nicht verändern müssen, denn sie haben ein Recht auf ihre Erkrankung. Der Großteil möchte natürlich nicht, dass alles so bleibt, wie es ist, und doch macht diese Bewusstwerdung für viele noch einmal deutlich, dass sie es in der Hand haben, und das vermittelt ein Gefühl von Kontrolle. Und so, wie man das Recht auf eine psychische Erkrankung hat, so hast auch du das Recht, keine Selbstfürsorge zu betreiben.
REFLEXIONSFRAGEN
• Was bedeutet Selbstfürsorge für dich?
• Wie gehst du mit dir um?
• Was machst du, um deinen Akku aufzuladen?
• Mit welchen Mitteln und Methoden kümmerst du dich um dich selbst?
• Wie sollte deine Selbstfürsorge aussehen?
• Möchtest du etwas verändern?
• Was ist deine konkrete Motivation, das Thema Selbstfürsorge anzugehen?
Immer wieder berichten Patient:innen mir, dass sie sich wünschen würden, mehr Selbstvertrauen zu haben. Menschen mit wenig Selbstvertrauen machen sich oft Sorgen um die Zukunft, erinnern sich häufig nur an Misserfolge und Fehler und trauen sich wenig zu.
Doch was ist Selbstvertrauen überhaupt und was hat das mit Selbstfürsorge zu tun?
SELBSTVERTRAUEN
Unter Selbstvertrauen versteht man, sich selbst und den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Menschen mit einem guten Selbstvertrauen glauben an sich, stellen sich Herausforderungen, sind seltener unsicher, gehen offen mit Fehlern und Schwächen um, haben größtenteils ein positives Selbstbild und glauben daran, dass sie die Herausforderungen des Alltags gut meistern können.
Menschen mit einem guten Selbstvertrauen kennen ihre Stärken und Schwächen und lassen sich nicht von hinderlichen Gedanken ausbremsen. Sie nehmen ihre Gefühle ernst, lassen sie zu, vertrauen jedoch auf die eigenen Fähigkeiten und stellen sich Herausforderungen. Diese Menschen kennen ihre Werte und Bedürfnisse, nehmen sie wahr, kommen ins aktive Handeln und lernen z. B. Fertigkeiten, die sie benötigen, um Hürden im Leben zu meistern.
Viele wünschen sich ein gutes Selbstvertrauen, kümmern sich oft aber nicht gut um den eigenen Körper und die Psyche und wundern sich dann, dass der Körper ihnen kein Vertrauen schenkt und ihnen nicht zutraut, dass sie sich gut um sich kümmern. Wenn du eine gute Selbstfürsorge betreibst, deinem Körper und deiner Psyche das gibst, was sie brauchen, um gesund zu werden oder zu bleiben, dann wird dein Körper dir auch vertrauen. Und dies beeinflusst auch dein Vertrauen in dich selbst – dein Selbstvertrauen. Denn Vertrauen ist wechselseitig. Oder würdest du jemandem vertrauen, der sich nicht gut um sich kümmert, Raubbau am eigenen Leib betreibt, keine Grenzen setzt und sich für andere aufopfert?
Je besser deine Selbstfürsorge ist, desto größer kann auch dein Selbstvertrauen werden. Zudem kann auch dein Selbstbewusstsein wachsen.
SELBSTBEWUSSTSEIN
Unter dem Selbstbewusstsein versteht man das Wissen um das eigene Bewusstsein und die Überzeugung von den eigenen Fähigkeiten. Es beinhaltet, dass du den Wert deiner Persönlichkeit erkennst, dich und deine Stärken und Schwächen wertschätzt. Im Alltag wird Selbstbewusstsein oft mit einem selbstbewussten Auftreten gleichgesetzt.
Wenn du dich also in deiner Selbstfürsorge trainierst, hat das Einfluss auf dein Selbstvertrauen. Sorgst du dich gut um dich selbst und kennst du deine Bedürfnisse, dann bist du dir deiner selbst mehr bewusst. Befriedigst du diese Bedürfnisse, fühlst du dich meist besser und das führt zu mehr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Selbstfürsorge, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein hängen also eng miteinander zusammen.
REFLEXIONSFRAGEN
• Wie schätzt du dein Selbstvertrauen ein?
• Kann dein Körper sich auf dich verlassen?
• Was müsstest du ändern, damit dein Körper dir mehr vertrauen kann und umgekehrt du auch ihm?
Vielleicht hast du das Gefühl, dass das Thema Selbstfürsorge eine Modeerscheinung ist. Das kann ich gut verstehen, denn es gibt eine Vielzahl von Büchern und Seminaren, aber auch Tees und Duschbäder, die mit dem Begriff Selfcare werben. Da gibt es Duftkerzen, Superfoods oder Nahrungsergänzungsmittel, die den Stress reduzieren oder die Stimmung steigern sollen. Unter dem Hashtag #selfcare findet man auf Instagram 73 Millionen Beiträge, #selbstfürsorge bringt es auf 466.000 Beiträge (Stand Mai 2023). Hier finden sich Bilder von Yogaposen, Smoothies, Gesichtsmasken und Badewannen. Du hast ja schon gelesen, dass das allein eben keine nachhaltige Selbstfürsorge ist, sondern eher wie ein Pflaster wirkt, das du dir schnell auf eine Wunde klebst, die jedoch eine nachhaltigere Versorgung bräuchte. Von einem Bad oder einer Maske erhoffst du dir schnelle Linderung, die oft aber nicht nachhaltig ist, denn dass dir alles zu viel wird, liegt wahrscheinlich nicht daran, dass du zu selten eine Gesichtsmaske aufträgst oder zu wenig badest. Natürlich kann aber auch das guttun und Selbstfürsorge bedeuten.
Es kann also der Eindruck entstehen, dass Selbstfürsorge ein Zeichen unserer Zeit ist. Manche behaupten auch, dass das doch alles Quatsch sei, denn unsere Großeltern hätten das ja auch nicht gebraucht.
Dass frühere Generationen es nicht gebraucht hätten, sich gut um sich selbst zu kümmern, wage ich zu bezweifeln. Sie hatten jedoch kaum eine Möglichkeit dazu. Die Generation, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, stand vor einem vom Krieg zerstörten Land. Menschen wurden vertrieben, mussten flüchten, den Verlust geliebter Menschen, Hunger und Kälte ertragen und traumatische Erfahrungen machen, Soldaten wie Zivilbevölkerung.
Dass diese Menschen in der Zeit einfach nur funktioniert haben, kannst du dir sicher gut ausmalen. Sie hatten keine andere Wahl, wie auch aktuell die Menschen in der Ukraine und anderen Kriegs- und Krisenregionen. Wenn es um das reine Überleben geht, dann ist so etwas wie gute Selbstfürsorge erst einmal nebensächlich. Wie soll man gut schlafen, wenn nachts die Flieger Bomben abwerfen oder die Sirenen Alarm schlagen? Wie soll man sich ausgewogen und gesund ernähren, wenn Nahrungsmittel immer knapper werden? Die Menschen damals hatten kaum eine andere Wahl, sie waren mit Überleben beschäftigt. Gebraucht hätten sie Selbstfürsorge jedoch umso mehr.
In der heutigen Zeit haben wir jedoch sehr wohl die Wahl. Natürlich ist das Leben heute auch nicht immer leicht und wird immer komplexer. Du hast unzählige Optionen und bist möglicherweise schon davon gestresst, da du dich nicht entscheiden kannst. Die Anforderungen der Gesellschaft, aber auch deine eigenen, steigen immer weiter. Wie sollst du deine berufliche Tätigkeit, soziale Kontakte, Familienleben, Haushalt, Einkaufen, Verabredungen, Ärzt:innentermine oder Ähnliches mit genug Schlaf, gesunder Ernährung, ausreichend Bewegung, positiven Aktivitäten, Grenzen setzen etc. vereinbaren?
Vielleicht hast du auch das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen. Das fördert den Stress und eine unterbewusste Unruhe. Häufig erscheint es wie eine Mammutaufgabe, Privatleben und Arbeitsleben zu vereinen, sodass für beides genug Raum da ist. Du möchtest deinem Umfeld gerecht werden, deine:n Chef:in zufriedenstellen, und und und. Wer bleibt da meist auf der Strecke? Genau: du selbst. Denn das erscheint auf den ersten Blick als die einfachste Lösung. So vermeidest du Konflikte in deinen Beziehungen oder auf der Arbeit, mit dem Preis, dass du dich selbst vernachlässigst.
Als Säugling und in der Kindheit sind wir darauf angewiesen, dass unsere Bezugspersonen sich um uns kümmern, unsere Bedürfnisse erkennen und diese befriedigen. So weinen Babys, wenn sie Hunger, Schmerzen oder eine volle Windel haben. Auch wenn die ersten Milchzähne durchkommen, schreien sie. Sie können sich noch nicht mitteilen, sich selbst etwas zum Essen holen oder aufs Klo gehen, sie sind hilflos und abhängig. In der gesamten Kindheit sind wir darauf angewiesen, dass die erwachsenen Personen, die die Verantwortung tragen, unsere Bedürfnisse befriedigen. Geschieht dies in einem ausreichenden Maß, so versteht das Kind mit der Zeit immer mehr die Signale des eigenen Körpers und kann sich immer besser selbst regulieren. So entsteht schon ganz früh ein fürsorglicher Teil. Passiert dies nicht in einem ausreichenden Maß, so werden eigene Bedürfnisse mit der Zeit immer mehr unterdrückt, ignoriert oder ausgehalten.
REFLEXIONSFRAGEN
• Wie sind deine Bezugspersonen in Bezug auf Selbstfürsorge aufgewachsen? (Wenn du magst, suche das Gespräch mit ihnen.)
• Wie wurden deine Bedürfnisse in der Kindheit und Jugend angemessen befriedigt?
• Welche Gründe fallen dir ein, weshalb Selbstfürsorge für dich persönlich wichtig ist?
Die Menschen der Nachkriegszeit, die wahrscheinlich deine Großeltern oder Urgroßeltern, vielleicht auch deine Bezugspersonen sind, hatten also kaum die Möglichkeit, eine gute Selbstfürsorge zu erlernen und zu praktizieren, denn sie waren mit Wiederaufbau, Trauer, der Verdrängung von Schuld und schlicht mit der eigenen Existenz beschäftigt. Sie konnten also selten Vorbild sein. Vorbilder sind in der Erziehung jedoch sehr wichtig, denn Kinder lernen sehr viel am Modell – am Vorbild.
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