Seltsame Zuflucht - F. Scott Fitzgerald - E-Book

Seltsame Zuflucht E-Book

F.Scott Fitzgerald

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Beschreibung

Der permanente amerikanische Traum von Ruhm, Macht und Geld, das ständige Streben nach persönlichem Erfolg, die Mystifikation des Lebens, rauschende Feste und Geldsorgen, Höhenflüge und Abstürze ins Bodenlose – das waren die wichtigesten Themen seines Lebens und seines Werks. Bei F. Scott Fitzgerald nimmt die exaltierte Welt der Reichen und Schönen und der Emporkömmlinge mitunter bizarre Formen an, das zeigen aufs Unterhaltsamste die hier versammelten Kurzgeschichten. Es sind zehn kleine Meisterwerke aus der Feder eines Hauptvertreters der amerikanischen Moderne, sie fangen die Stimmung der ›Roaring Twenties‹ ein, gipfeln schließlich in der Depression der 30er Jahre und bestechen stets durch ihre sprachliche Ausdruckskraft.

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F. Scott Fitzgerald

Seltsame Zuflucht

10 Erzählungen (1925-1939)

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Impressum

Impressum

F.Scott Fitzgerald: Seltsame Zuflucht / 10 Erzählungen (1925-1939)

Neu übersetzt aus dem Amerikanischen von Peter Eckhart Reichel nach den Veröffentlichungen der rechtefreien Originaltexte des Project Gutenberg of Australia.

Titelgestaltung: ebuchedition words&music

unter Verwendung einer Vecotorgrafik von shutterstock_274304018

Coverschrift gesetzt aus der Dusty Rose NF

 

© 2022 hoerbuchedition words & music

Alle Rechte vorbehalten.

www.words-and-music.de

 

ebuchedition words & music

Inhaber: Peter Eckhart Reichel

Hohenzollernstrasse 31

D-14163 Berlin

Germany

 

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten. Das Werk in dieser deutschsprachigen Übersetzung einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung, Aufführung, Vertonung,

kommerzielles Filesharing und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Für Anfragen, Anregungen oder Kritiken haben wir immer ein offenes Ohr.

 

Schreiben Sie bitte an:

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Kennwort: F.Scott Fitzgerald: 10 Erzählungen

Der Ins-Gesicht-Schläger

 Der Ins-Gesicht-Schläger

 

Der letzte Angeklagte war ein Mann - seine Männlichkeit war nicht gerade stark ausgeprägt, es ist wahr; er hätte vielleicht besser als "Person" beschrieben werden sollen, aber er war dennoch zweifelsfrei männlich und wurde allgemein auch so in der Gerichtsakte klassifiziert. Er war ein kleiner, etwas verschrumpelt wirkender, ziemlich runzliger Amerikaner, der wahrscheinlich schon seit fünfunddreißig Jahren so dahinlebte.

Seine ganze Gestalt sah aus, als hätte man ihn beim letzten Schneiderbesuch versehentlich in einem schlecht sitzenden Anzug stecken lassen und ihn mit einem heißen, schweren Bügeleisen in seine jetzige Form gepresst. Sein Gesicht war ein Gesicht wie das vieler anderer auch. Es war genau von jener Art, aus dem die Gesichter der Menschenmengen bestehen: grauer Teint, und mit Ohren, die sich dicht an den Kopf schmiegen, als fürchteten sie den Lärm der Stadt. Seine Augen wirkten sehr müde. Es waren die Augen eines Menschen, dessen Vorfahren bereits schon seit fünftausend Jahren zu den Zukurzgekommenen zählten.

Als er zwischen zwei hoch gewachsenen Kelten in blauen Uniformen hin zur Anklagebank geführt wurde, wirkte er wie ein Vertreter einer längst ausgestorbenen Rasse, ein ausgemergelter und verschrumpelter Kobold, der zufällig beim verbotenen Pflücken einer Butterblume im Central Park erwischt worden war.

"Wie lautet Ihr Name?"

"Stuart."

"Stuart und wie noch?"

"Charles David Stuart."

Der Protokollführer trug ihn kommentarlos in das Journal der kleinen Vergehen und großen Fehler ein.

"Alter?"

"Dreißig."

"Beruf?"

"Nachtkassierer."

Der Protokollführer hielt inne und sah den Richter an. Der Richter gähnte.

"Und wie lautet die Anklage?", fragte er.

"Die Anklage lautet" - der Protokollführer warf einen Blick auf den Zettel in seiner Hand - "die Anklage lautet, dass er einer Dame einen Schlag ins Gesicht verpasst hat."

"Bekennen Sie sich schuldig?"

"Ja."

Damit waren die Formalitäten der Vorverhandlung abgeschlossen. Charles David Stuart, der sehr harmlos wirkte und unruhig aussah, war nun wegen eines tätlichen Angriffs mit Körperverletzung angeklagt.

Die Beweisaufnahme ergab zur Überraschung des Richters, dass es sich bei der Dame, der man ins Gesicht geschlagen hatte, nicht um die Ehefrau des Angeklagten handelte.

Im Gegenteil, das Opfer war eine völlig Fremde - der Angeklagte hatte sie noch nie zuvor in seinem Leben gesehen. Er gab zwei Gründe für seine Tat an: erstens, dass sie während einer Theatervorführung gesprochen hatte, und zweitens, dass sie mit ihren Knien immer wieder die Rückenlehne seines Stuhls traktiert habe. Als dies nun eine Weile so passiert sei, habe er sich umgedreht und ihr ohne Vorwarnung einen heftigen Schlag ins Gesicht versetzt.

"Rufen Sie die Klägerin auf", sagte der Richter und richtete sich in seinem Stuhl ein wenig auf. "Wir wollen hören, was sie zu sagen hat."

Im Gerichtssaal, der an diesem heißen Nachmittag nur spärlich besucht war und die darin Anwesenden bisher ungewöhnlich träge wirkten, kam plötzlich Bewegung auf. Mehrere Männer im hinteren Teil des Saals nahmen auf den Bänken in der Nähe des Richterpults Platz. Auch ein junger Reporter beugte sich über die Schulter des Protokollführers, um sich anschließend den Namen des Beklagten auf der Rückseite eines Briefumschlags zu notieren.

Die Klägerin erhob sich. Sie war eine Frau jenseits der fünfzig mit einem entschlossenen, etwas herb wirkenden Gesichtsausdruck. Ihr Kleid war von gediegenem Schwarz, und sie erweckte den Eindruck, eine Brille tragen zu müssen; tatsächlich hatte der junge Reporter, der an seine scharfsinnige Beobachtungsgabe glaubte, sie im Geist bereits so beschrieben, noch bevor er bemerkte, dass auf ihrer dünnen, schnabelartigen Nase gar kein Brillengestell saß.

Es wurde amtlich festgestellt, dass sie Mrs. George D. Robinson aus 1219 Riverside Drive war. Sie hatte schon immer eine Vorliebe für das Theater und ging manchmal in die Matinee. Gestern war sie in Begleitung zweier Damen in die Nachmittagsvorstellung gegangen, zusammen mit ihrer Cousine, die bei ihr wohnte, und mit Miss Ingles - beide Damen waren auch im Gerichtssaal anwesend.

Folgendes hatte sich zugetragen:

Als sich der Vorhang für den ersten Akt öffnete, hatte eine Frau, die hinter ihr saß, sie gebeten, ihren Hut abzunehmen. Mrs. Robinson hatte dies ohnehin vorgehabt und war daher etwas verärgert über die Aufforderung. Sie hatte dies auch gegenüber Miss Ingles und ihrer Cousine geäußert. In diesem Moment hatte sie den Mann, der direkt vor ihr saß, zum ersten Mal wahrgenommen, denn er hatte sich umgedreht und ihr einen unverschämten Blick zugeworfen. Dann hatte sie ihn nicht weiter beachtet, bis sie kurz vor Ende des Aktes eine Bemerkung zu Miss Ingles machte - als er plötzlich aufstand, sich umdrehte und ihr ins Gesicht schlug.

"War es ein kräftiger Schlag?", fragte der Richter.

"Ein harter Schlag", sagte Mrs. Robinson entrüstet, "ich würde sagen, ja das war er allerdings. Ich hatte die ganze Nacht über heiße und kalte Umschläge auf meiner Nase."

"- auf ihrer Nase, die ganze Nacht."

Dieses Echo kam von der Zeugenbank, wo sich zwei ältere Damen eifrig vorbeugten und zur Bestätigung mit dem Kopf nickten.

"War die Saalbeleuchtung schon eingeschaltet?", fragte der Richter.

„Nein, aber alle Anwesenden in der näheren Umgebung hatten den Vorfall gesehen, und einige Leute hielten sogar den Mann in diesem Moment fest.“

Damit war die Erklärung des Vorfalls seitens der Klägerin abgeschlossen. Ihre beiden Begleiterinnen sagten ähnlich aus, und in den Köpfen der Prozessbeobachter im Gerichtssaal war der Fall klar. Es war ein grundloser und daher unentschuldbarer Akt von Brutalität.

Das Einzige, das nicht zu dieser Interpretation passte, war die Physiognomie des Angeklagten selbst. Für jedes beliebige geringfügige Vergehen hätte er als schuldig erscheinen können - Taschendiebe waren zum Beispiel notorisch sanftmütig -, aber für diese spezielle Art von übergriffiger Tätlichkeit, noch dazu in einem überfüllten Theater, schien er körperlich außerstande zu sein. Er hatte weder die richtige Stimme noch die dazu passende Kleidung, noch trug er den richtigen Schnurrbart, die alle zu einer solchen aggressiven Tat passen würden.

"Charles David Stuart", sagte der Richter, "Sie haben die Anschuldigungen gegen Sie gehört?"

"Ja."

"Und Sie plädieren auf schuldig?"

"Ja."

"Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor ich Sie verurteile?"

"Nein." Der Angeklagte schüttelte verzweifelt den Kopf. Seine kleinen Hände zitterten.

"Kein einziges Wort zur Erklärung dieses ungerechtfertigten tätlichen Angriffs?"

Der Angeklagte schien zu zögern.

"Nur zu - fahren Sie fort", sagte der Richter. "Sprechen Sie - es ist Ihre letzte Chance."

"Nun ja", sagte Stuart etwas zaghaft, "sie fing auf einmal an, über den Bauch des Klempners zu reden."

Im Gerichtssaal kam Unruhe auf. Der Richter beugte sich vor.

"Was meinen Sie damit?"

"Nun, zuerst hat sie nur mit den beiden Damen dort" - er deutete auf die Cousine und Miss Ingles - "über ihren eigenen Magen gesprochen, und das war nicht so schlimm. Aber als sie anfing, über den Magen des Klempners zu sprechen, wurde es anders."

"Wie mein Sie das - anders?"

Charles Stuart sah sich hilflos um.

"Ich kann es nicht erklären", sagte er, wobei sein Schnurrbart ein wenig wackelte, "aber als sie anfing, über den Magen des Klempners zu reden, da musste man – da musste man einfach zuhören."

Ein Kichern ging durch den Gerichtssaal. Mrs. Robinson und ihre Begleiterinnen auf der Zeugenbank waren sichtlich entsetzt. Der Wachmann trat einen Schritt näher an Charles Stuart heran, als würde er den Angeklagten auf einen Wink des Richters hin in den schäbigsten Kerker Manhattans verfrachten wollen.

Doch zu seiner großen Überraschung lehnte sich der Richter bequem in seinen Stuhl zurück.

"Berichten Sie uns davon, Stuart", sagte er nicht unfreundlich. "Erzählen Sie uns die ganze Geschichte von Anfang an."

Diese Aufforderung war ein Schock für den Angeklagten, und einen Moment lang sah er so aus, als hätte er die vorgezogene Verkündigung seiner Verurteilung vernommen. Doch, nachdem er einen nervösen Blick in den Gerichtssaal geworfen hatte, legte er seine Hände auf die Tischkante. Es wirkte so, als wären es die Pfoten eines Foxterriers, der zum Männchenmachen abgerichtet wurde, dann begann er mit zitternder Stimme zu sprechen.

"Nun, ich bin Nachtkassierer, Euer Ehren, im Restaurant von T. Cushmael in der Third Avenue. Ich bin nicht verheiratet" - er lächelte ein wenig, als ahnte er, dass sich das alle im Saal bereits so gedacht haben würden - "und deshalb gehe ich mittwochs und samstags nachmittags gewöhnlich in die Matinee. Das hilft mir, die Zeit bis zum Abendessen zu überbrücken. Es gibt einen Drugstore, vielleicht kennen Sie den, in dem man Karten für einen Dollar fünfundsechzig für einige der Vorstellungen bekommt, und ich gehe normalerweise dorthin und suche mir etwas Passendes aus. Die Preise an der Abendkasse sind ja jetzt viel zu teuer." Er stieß einen langen, leisen Pfiff aus und sah den Richter treuherzig an. "Vier oder fünf Dollar für einen einfachen Sitzplatz -"

Der Richter nickte.

"Nun", fuhr Charles Stuart fort, "auch wenn ich nur einen Dollar fünfundsechzig bezahle, erwarte ich dennoch, dass mir auch etwas für mein Geld geboten wird. Vor etwa zwei Wochen war ich in einem dieser Kriminalstücke, in denen es einen Schurken gibt, von dem aber niemand ahnt, ob er am Ende das Verbrechen tatsächlich begangen hat oder nicht. Nun, der Spaß bei so einer Sache liegt ja darin, herauszubekommen, wer es getan hat. Hinter mir saß aber eine Dame, die dieses Stück schon kannte, und sie verriet alles lauthals dem Kerl, der neben ihr saß. Meine Güte" - sein Gesicht verfinsterte sich und er schüttelte den Kopf hin und her - "ich wäre am liebsten gestorben auf meinem Platz. Als ich nach Hause in mein Zimmer kam, war ich immer noch so wütend, dass jemand kommen musste und mich darum bat, nicht mehr auf und ab zu gehen. Einen Dollar fünfundsechzig von meinem Geld war nutzlos verplempert.

"Nun, bald war es wieder Mittwoch, und diese Vorstellung wollte ich mir unbedingt ansehen. Schon seit Monaten wollte ich sie sehen, und jedes Mal, wenn ich in den Drugstore ging, fragte ich, ob sie noch Karten dafür hätten. Aber sie hatten nie welche." Er zögerte. "Also bin ich am Dienstag zur Theaterkasse gegangen und habe mir einen Platz gesichert. Zweifünfundsiebzig hat es mich gekostet." Er nickte bedeutungsschwer. "Zwei Dollar fünfundsiebzig. Als ob unsereins zu viel Geld hätte. Aber ich wollte unbedingt diese Show sehen."

Mrs. Robinson, die in der ersten Reihe saß, richtete sich plötzlich auf.

"Ich verstehe nicht, was diese Geschichte damit zu tun hat", platzte sie etwas schrill hervor. "Ich bin mir jedoch sicher, dass es mich nicht im Geringsten interessiert..."

Der Richter ließ seinen Hammer lautstark auf das Pult fallen.

"Setzen Sie sich bitte", sagte er. "Dies ist ein Gericht, keine Theatervorstellung."

Mrs. Robinson setzte sich, zog ihren Mund zu einer dünnen Linie zusammen und schniefte ein wenig verächtlich, als wolle sie damit andeuten, dass sie sich die Sache nur noch eine kurze Zeit mit anhören wolle. Der Richter zog seine Uhr hervor.

"Fahren Sie fort", sagte er zu Stuart. "Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie wollen."

"Ich war der Erste im Theatersaal", fuhr Stuart mit aufgeregter Stimme fort. "Es war niemand drin außer mir und dem Kerl, der dort aufräumte. Nach einer Weile kamen die Zuschauer herein, es wurde dunkel und das Stück begann, aber gerade als ich es mir auf meinem Platz bequem gemacht hatte und mich amüsieren wollte, hörte ich direkt hinter mir einen furchtbaren Krach. Jemand hatte diese Dame" - er zeigte direkt auf Mrs. Robinson - "gebeten, ihren Hut abzunehmen, wie sie es ohnehin hätte tun sollen, und sie war sauer darüber. Sie erzählte den beiden Damen, die neben ihr saßen, dass sie schon einmal im Theater gewesen war und wusste, dass sie ihren Hut abnehmen musste. Sie echauffierte sich darüber eine ganze Weile, vielleicht fünf Minuten lang, und dann fiel ihr immer wieder noch was Neues ein, das sie mit lauter Stimme unbedingt ihren Begleiterinnen mitteilen musste. Schließlich drehte ich mich um und blickte sie an, weil ich unbedingt wissen wollte, wie eine Frau aussieht, die so rücksichtslos sein kann. Kaum hatte ich mich umgedreht, fing sie an, mich zu beschimpfen. Sie sagte, ich sei unverschämt, und dann schnalzte sie 'Tchk! Tchk! Tchk!' mit ihrer Zunge, und die beiden Damen, die bei ihr waren, schnalzten ebenfalls 'Tchk! Tchk! Tchk!', bis man sich selbst kaum noch verstehen konnte, geschweige denn das Stück zu verfolgen. Jeder Anwesende im Zuschauerraum musste einfach glauben, ich hätte etwas Schreckliches oder Unschickliches getan.

"Nachdem sie sich wieder beruhigt hatten und ich mich endlich wieder auf das Geschehen auf der Bühne konzentrieren wollte, spürte ich, wie mein Sitz irgendwie nach vorne und dann wieder zurück gestoßen wurde. Ich wusste, dass die Dame ihre Füße gegen meine Rückenlehne gestemmt hatte und ich einen ordentlichen Schlag abbekommen würde. Meine Güte!", er wischte sich über die blasse, schmale Stirn, auf der sich etwas Schweiß gesammelt hatte, "es war furchtbar. Ich wünschte, ich wäre gar nicht erst in diese Vorstellung gegangen. Einmal habe ich mich bei einer anderen Vorstellung so aufgeregt und den Stuhl eines Mannes vor mir in der Sitzreihe unbeabsichtigt derart traktiert, dass ich war froh, als er mich bat, damit aufzuhören. Aber ich wusste, dass diese Dame nicht froh sein würde, wenn ich sie darum bitten würde. Sie hätte sich nur noch mehr dagegengestemmt.

Inzwischen richteten die Anwesenden im Gerichtssaal ihre neugierigen Blicke auf die Dame mittleren Alters mit dem gelblich-weißem Haar. Vor Wut hatte ihr Gesicht den Farbton eines Hummers angenommen.

"Es war kurz vor dem Ende der Vorstellung", fuhr der kleine blasse Mann fort, "und ich genoss es so gut ich konnte, denn manchmal drückte sie meine Rückenlehne in Richtung Bühne, und manchmal ließ sie mich plötzlich wieder los, so dass mein Sitz und ich zurückschnellten. Aber auf einmal begann sie wieder zu sprechen. Sie erzählte, dass sie eine Operation oder so etwas hatte - ich erinnere mich, dass sie dem Arzt mitgeteilt hätte, dass sie wohl mehr über ihren eigenen Magen wisse als er. Das Stück war gerade in vollem Gange - die Leute neben mir hatten ihre Taschentücher hervorgeholt und weinten - und ich fühlte mich auch irgendwie ergriffen. Doch nun hörte ich, wie diese Dame ihren Freundinnen erzählte, was sie dem Klempner wegen seiner Verdauungsstörungen geraten hatte. Donnerwetter!" Wieder drehte er den Kopf hin und her; seine blassen Augen wanderten unwillkürlich zu Mrs. Robinson - und dann schaute er schnell wieder weg. "Man konnte gar nicht umhin, der Dame zu zuhören, und ich fing an, Dinge auf der Bühne zu verpassen und dann noch mehr, und dann fingen alle an zu lachen, und ich wusste nicht, worüber sie lachten, und sobald sie aufhörten, fing ihre Stimme wieder an. Dann gab es ein großes Gelächter, das lange anhielt, und alle krümmten sich vor Lachen, und ich hatte kein Wort von dem kapiert, was die Schauspieler oben auf der Bühne gesagt hatten. Dann fiel der Vorhang, und ich weiß nicht, was danach geschah. Ich muss wohl ein bisschen verrückt gewesen sein, denn ich stand auf, klappte meinen Sitz hoch, drehte mich um und schlug der Dame ins Gesicht."

Als er geendet hatte, ging ein langes Seufzen durch den Gerichtssaal, als hätten alle den Atem angehalten und auf den Höhepunkt gewartet. Sogar der Richter schnappte ein wenig nach Luft und die drei Damen auf der Zeugenbank brachen in ein grässliches Geschnatter aus, das immer lauter und schriller wurde, bis der Hammer des Richters erneut auf das Pult krachte.

"Charles Stuart", sagte der Richter mit leicht erhobener Stimme, "ist das die einzige Entschuldigung, die Sie vorbringen können, um Ihre Hand gegen eine Dame erhoben zu haben?"

Charles Stuarts Kopf versank ein wenig zwischen seine Schultern. Er schien sich so weit wie möglich in den armseligen Schutz seines Körpers zurückzuziehen.

"Ja, Sir", sagte er mit leiser Stimme.

Mrs. Robinson sprang auf.

"Ja, Herr Richter", kreischte sie schrill, "und es ist noch mehr als das. Er ist auch ein Lügner, ein dreckiger kleiner Lügner. Er hat sich soeben selbst als dreckigen kleinen..."

"Schweigen Sie!", rief der Richter mit zorniger Stimme. "Ich sitze diesem Gericht vor, und ich bin sehr wohl in der Lage, meine eigenen Entscheidungen zu treffen!" Er hielt inne. "Ich werde nun das Urteil über Charles Stuart", er warf einen flüchtigen Blick auf das Protokoll, "über Charles David Stuart, 212½ West 22nd St. verkünden."

Im Gerichtssaal war es still. Der Reporter beugte sich nach vorn - er hoffte, dass das Urteil mild ausfallen würde, vielleicht nur ein paar Tage auf der Insel anstelle einer Geldstrafe.

Der Richter lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verbarg seine Daumen irgendwo unter seiner schwarzen Robe.

"Der tätliche Angriff war gerechtfertigt", sagte er. "Die Klage wird hiermit abgewiesen."

Der kleine Mann Charles Stuart verließ das Gerichtsgebäude und trat blinzelnd in den Sonnenschein hinaus. Er hielt noch einen Moment an der Tür inne und schaute verstohlen hinter sich, als ob er damit rechnete, dass es sich doch um einen Justizirrtum handelte. Dann schniefte er ein- oder zweimal, nicht weil er erkältet war, sondern aus jenen unerklärlichen psychologischen Gründen, die Menschen dazu bringen, grundlos zu schniefen. Anschließend ging er langsam in südliche Richtung und suchte nach einer U-Bahn-Station.

An einem Zeitungskiosk blieb er stehen, um sich eine Morgenzeitung zu kaufen; dann stieg er in die U-Bahn ein und fuhr bis zur 18th Street, wo er ausstieg und weiter nach Osten zur Third Avenue ging. Hier war er in einem Restaurant angestellt, das die ganze Nacht hindurch geöffnet war und aus Glas und weißen Kacheln gebaut war. Hier saß er von der Sperrstunde bis zum Morgengrauen an einem Tresen, nahm die Einnahmen entgegen und führte die Geschäftsbücher des Restaurantbesitzers T. Cushmael. Und hier, in den endlosen Nächten, konnten er seine Augen, wenn er sich ein wenig nach rechts oder links drehte, auf der gestärkten Leinenkleidung von Miss Edna Schaeffer ruhen lassen.

Miss Edna Schaeffer war dreiundzwanzig Jahre alt, hatte ein süßes, mildes Gesicht und Haare, die ein lebendes Beispiel dafür waren, wie Henna nicht aufgetragen werden sollte. Letzteres war ihr nicht bewusst, denn alle Mädchen, die sie kannte, trugen Henna auf diese Weise auf, weshalb die seltsame zinnoberrote Färbung ihrer Frisur vielleicht nicht weiter auffiel.

Charles Stuart hatte die ursprüngliche Farbe ihres Haares längst vergessen - wenn er überhaupt jemals darauf geachtet hatte. Er interessierte sich viel mehr für ihre Augen und für ihre weißen Hände, die, wenn sie sich geschickt zwischen den Stapeln von Tellern und Tassen bewegten, immer so aussahen, als sollten sie Klavier spielen. Einmal hätte er sie fast gefragt, ob sie nicht mit ihm in eine der Matineen gehen wolle, aber als sie ihm mit einem müden, heiteren Lächeln auf den Lippen gegenüberstand, war sie ihm so schön erschienen, dass er auf der Stelle den Mut verlor und stattdessen etwas anderes murmelte.

Er war jedoch nicht in das Restaurant gekommen, um Edna Schaeffer zu sehen. Er wollte mit T. Cushmael, seinem Arbeitgeber, sprechen und herausfinden, ob er während der Nacht im Gefängnis seinen Job verloren hatte. T. Cushmael stand im vorderen Teil des Restaurants und schaute düster aus dem Glasfenster, und Charles Stuart näherte sich ihm mit einem unguten Gefühl.

"Wo waren Sie gestern?", fragte T. Cushmael.

"Nirgends", antwortete Charles Stuart diskret.

"Nun, Sie sind gefeuert."

Stuart zuckte zusammen.

"Jetzt sofort?"

Cushmael winkte gleichgültig ab.

"Meinetwegen können Sie noch zwei oder drei Tage bleiben, wenn Sie wollen, bis ich jemanden gefunden habe. Dann" - er machte eine Geste und warf einen abfälligen Blick zur Restauranttür - "sind Sie draußen."

Charles Stuart willigte mit einem müden Nicken ein. Er willigte in alles ein. Um neun Uhr meldete er sich pünktlich zur Arbeit, nachdem er ein paar bedrückende Stunden über die unfreiwillig verbrachte Nacht bei der Polizei nachgedacht hatte.

"Hallo, Mr. Stuart", sagte Edna Schaeffer und schlenderte neugierig auf ihn zu, als er seinen Platz hinter dem Tresen einnahm. "Wo waren Sie denn gestern Abend? Haben Sie sich von den Cops erwischen lassen?"

Sie lachte über ihren eigenen Witz und wirkte dabei fröhlich, heiser, charmant, wie er fand.

"Ja", antwortete er aus einem plötzlichen Impuls heraus, "ich habe letzte Nacht in einer Gefängniszelle der Polizeiwache an der 35th Street verbracht."

"Ach, das waren Sie", spottete sie.

"Das ist die Wahrheit", beharrte er, "ich wurde verhaftet."

Ihr Gesicht wurde sofort ernst.

"Erzählen Sie. Was haben Sie getan?"

Er zögerte.

"Ich habe jemanden ins Gesicht geschlagen."

Plötzlich begann sie zu lachen, erst amüsiert, dann hemmungslos.

"Es ist die Wahrheit", murmelte Stuart, "ich wäre dafür fast ins Gefängnis gekommen."

Edna hielt sich die Hand vor den Mund, wandte sich von ihm ab und zog sich in die Küche zurück. Wenig später, als er so tat, als sei er mit der Buchführung beschäftigt, sah er, wie sie die Geschichte den beiden anderen Küchenmädchen weitererzählte.

Der Abend nahm seinen gewohnten Verlauf. Der kleine Mann im grauen Anzug mit dem fahlen Gesicht erregte bei den Kunden nicht mehr Aufmerksamkeit als der surrende elektrische Ventilator über seinem Kopf. Sie gaben ihm ihr Geld, und seine Hand schob das Wechselgeld in den kleinen Schlitz des Marmortresens. Aber für Charles Stuart begannen die Stunden dieser Nacht, dieser letzten Nacht, eine romantische Stimmung anzufachen. Der langsame routinierte Ablauf hunderter anderer Nächte zuvor entfaltete vor seinen Augen einen ganz eigenen Zauber. Mitternacht war schon immer eine Art von Scheidepunkt des Abends gewesen - danach begann der intime Teil der Nacht. Es kamen weniger Leute, und die, die kamen, schienen deprimiert und müde zu sein: da war ein lässiger, zerlumpter Mann, der sich einen Kaffee bestellte, der heruntergekommene Bettler von der Straßenecke, der eine deftige Mahlzeit aus Kuchen und einem Beefsteak zu sich nahm, ein paar nächtliche Straßenmädchen und ein Wachmann mit rotem Gesicht, der mit ihm ein paar Worte über seine schlechte Gesundheit mit ihm wechselte.

Heute schien es früher als sonst Mitternacht zu werden, und bis nach ein Uhr herrschte reges Treiben. Als Edna an einem Tisch in der Nähe begann, Servietten zu falten, kam es ihm in den Sinn, sie zu fragen, ob ihr die Nacht nicht auch kürzer als sonst vorgekommen sei. Vergeblich wünschte er sich, er könnte sie auf irgendeine Weise beeindrucken, mit einer Bemerkung, einem Zeichen seiner Hingabe, das für sie immer in Erinnerung bleiben würde.

Jetzt hatte sie den riesigen Stapel Servietten fertiggefaltet, packte diesen auf einen Rollwagen und schob ihn weg, während sie vor sich hin summte. Ein paar Minuten später öffnete sich die Restauranttür und zwei neue Gäste kamen herein. Er erkannte sie sofort, und dabei überkam ihn ein Anflug von Eifersucht. Einer von ihnen, ein junger Mann in einem hübschen braunen Anzug, der ziemlich elegant geschnitten war, war in den letzten zehn Tagen bereits häufig Besucher des Restaurants gewesen. Er kam immer um diese Zeit herein, setzte sich an einen von Ednas Tischen und trank in aller Ruhe zwei Tassen Kaffee. Bei seinen letzten beiden Besuchen war er immer in Begleitung seines auch jetzigen Begleiters gekommen, einem dunkelhäutigen Griechen mit griesgrämigen Augen, der mit lauter Stimme bestellte und auch sonst lautstark und sarkastisch reagierte, wenn ihm irgendetwas nicht passte.

Doch es war vor allem der junge Mann, der Charles Stuart ärgerte. Die Augen des jungen Kerls folgten Edna auf Schritt und Tritt, und bei seinen letzten beiden Besuchen hatte er unnötige Wünsche geäußert, um sie öfter an seinen Tisch zu locken.

"Guten Abend, meine Süße", hörte Stuart ihn heute Abend sagen. "Wie geht's denn so?"

"O.K.", antwortete Edna förmlich. "Was darf's denn sein?"

"Was haben Sie denn?", fragte lächelnd der junge Mann. "Alles, wie? Aber, was würden Sie mir heute empfehlen?"

Edna antwortete nicht. Ihre Augen starrten direkt über seinen Kopf hinweg in eine unsichtbare Ferne.

Auf das Drängen seines Begleiters hin bestellte er schließlich irgendwas. Edna zog sich zurück, und Stuart sah, wie der junge Mann sich umdrehte, seinem Freund etwas zuflüsterte und mit dem Kopf auf Edna deutete.

Stuart rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er hasste diesen jungen Mann und wünschte sich leidenschaftlich, dass er bald wieder verschwinden würde. Es erschien ihm, als ob sein letzter Abend hier, seine letzte Chance, Edna zu beobachten und vielleicht sogar im richtigen Moment mit ihr ins Gespräch zu kommen, durch jede Sekunde der Anwesenheit dieses Mannes hier im Restaurant, absolut unmöglich würde.

Ein halbes Dutzend weiterer Gäste hatte sich in das Restaurant verirrt - zwei oder drei Arbeiter, der Zeitungshändler von gegenüber - und Edna war für ein paar Minuten zu beschäftigt, um mit Gesprächen abgelenkt zu werden. Plötzlich bemerkte Charles Stuart, dass der griesgrämige Grieche die Hand gehoben hatte und ihm zuwinkte. Etwas verwirrt verließ er seinen Platz und trat an den Tisch heran.

"Sagen Sie mal, Kumpel", sagte der Grieche, "wann kommt der Boss in den Laden?"

"Na ja – gewöhnlich um zwei Uhr. Also in ein paar Minuten."

"Gut. Das ist alles. Ich wollte nur etwas mit ihm besprechen."

Stuart bemerkte, dass Edna neben dem Tisch stand; beide Männer wandten sich ihr zu.

"Sag mal, Kleine", sagte der junge Mann, "ich möchte mit dir reden. Setz dich hin."

"Ich kann nicht."

"Klar kannst du. Der Chef hat nichts dagegen." Er wandte sich bedrohlich an Stuart.

"Sie kann sich doch hinsetzen, oder?"

Stuart antwortete nicht.

"Ich sagte, sie kann sich setzen, nicht wahr?", wiederholte der junge Mann mit mehr Nachdruck und fügte noch hinzu: "Antworte gefälligst, du kleiner Dummkopf."

Doch Stuart antwortete nicht. Seltsame Blutströme zirkulierten durch seinen ganzen Körper. Er hatte Angst; immer, wenn jemand so entschieden auftrat, überfiel ihn dieses  Angstgefühl. Aber er bewegte sich nicht.

"Pst!", zischte der Grieche zu seinem Begleiter. Doch der jüngere Mann war verärgert. "Sag mal", brach er hervor, "irgendwann wird Sie jemand anpöbeln, wenn Sie nicht tun, was er sagt. Gehen Sie zurück an Ihren Arbeitsplatz!"

Doch Stuart rührte sich nicht.

"Ziehen Sie Leine!", wiederholte der junge Mann mit drohender Stimme. "Na, mach schon! Lauf endlich!"

Dann ging Stuart fort. Er rannte so schnell er konnte. Aber anstatt vor dem jungen Mann zu fliehen, steuerte er direkt auf ihn zu. Er streckte beide Arme in gerader Linie aus und schleuderte seine beiden Fäuste mit der ganzen Kraft seiner hundertdreißig Pfund gegen das Gesicht seines Opfers. Mit dem Aufprall und dem Getöse von zerschlagenem Porzellan kippte der junge Mann samt Stuhl nach hinten und blieb regungslos auf dem Boden liegen.

Im Restaurant brach ein kleiner Tumult los. Edna stieß einen entsetzten Schrei aus, der Grieche protestierte empört, und die Gäste erhoben sich mit lautem Geschrei von ihren Plätzen. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Mr. Cushmael kam herein.

"Sie Dummkopf, Sie!", rief Edna wütend. "Möchten Sie, dass ich meinen Job verliere?"

"Was ist hier los?", rief Mr. Cushmael und eilte herbei. "Was soll das?"

"Mr. Stuart hat einem Gast ins Gesicht geschlagen!", rief eine Kellnerin und nahm Ednas Hinweis auf. "Ohne jeglichen Grund!"

Die meisten Gäste des Restaurants hatten sich inzwischen um das am Boden liegende Opfer versammelt. Der junge Mann wurde gründlich mit Wasser übergossen und ein gefaltetes Tischtuch wurde unter seinen Kopf geschoben.

"Ach, tatsächlich, das haben Sie getan, nicht wahr?", rief Mr. Cushmael mit aufgebrachter Stimme. Er packte Stuart am Revers seines Jacketts.

"Er ist wahnsinnig!", schluchzte Edna. "Er war gestern Nacht im Gefängnis, weil er einer Dame ins Gesicht geschlagen hat. Er hat es mir selbst erzählt!"

Ein großer Arbeiter ergriff Stuarts kleinen, zitternden Arm. Stuart blickte sich stumm um. Sein Mund bebte.

"Sehen Sie nur, was Sie angerichtet haben!", rief Mr. Cushmael. "Wollten Sie diesen Menschen umbringen?"

Stuart zitterte heftig. Sein Mund öffnete sich und er rang einen Moment lang nach Luft. Dann stieß er einen halb artikulierten Satz aus:

"Wollte ihm nur eine Abreibung verpassen."

"Ihm ins Gesicht schlagen?", rief Cushmael entrüstet. "Sind Sie nun zum Gesichtseinschläger mutiert, was? Nun, wir werden Sie direkt in den Knast prügeln!"

"Ich konnte nicht anders", keuchte Stuart. "Manchmal kann ich einfach nicht anders." Seine Stimme erhob sich schwankend. "Ich schätze, ich bin ein gefährlicher Mann und ihr solltet mich besser festnehmen und einsperren!" Er wandte sich wild entschlossen zu Mr. Cushmael um: "Und Ihnen würde ich auch gern einen Faustschlag ins Gesicht verpassen, wenn nur dieser Kerl meinen Arm loslassen würde. Ja, das würde ich! Ich würde Ihnen direkt ins Gesicht schlagen!"

Einen Moment lang herrschte verblüfftes Schweigen, bis die Stimme einer Kellnerin die Stille unterbrach, die unter einem Tisch herumgekrochen war.

"Diesem Kerl ist etwas aus der Gesäßtasche gerutscht, als er zu Boden ging", erklärte sie und stand jetzt auf. "Es ist ein Revolver und..."

Sie hatte eigentlich ‚Taschentuch‘ sagen wollen, aber als sie sah, was sie da in der Hand hielt, blieb ihr der Mund offen stehen und sie ließ das Ding schnell auf den Tisch fallen. Es war eine kleine schwarze Maske, etwa so groß wie ihre Hand.

Gleichzeitig schien sich der Grieche, der seit dem Vorfall sehr unruhig war, sich an eine wichtige Verabredung zu erinnern, die ihm plötzlich wieder einfiel. Er rannte um den Tisch herum und steuerte auf die Eingangstür zu, die sich jedoch gerade in diesem Moment öffnete, um mehreren Gästen Einlass zu gewähren. Diese hatten sofort reagiert, als sie auf den Ruf "Haltet ihn auf!" hörten und stoppten den Flüchtenden. Daraufhin sprang er über einen umgestürzten Stuhl, machte einen Satz über die Feinkosttheke und floh in die Küche, wo er aber durch den festen Griff des Kochs schon vor der Schwingtür zusammenbrach.

"Haltet ihn! Haltet ihn fest!", schrie Mr. Cushmael, als er begriff, dass die Situation eine völlig neue Wendung genommen hatte. "Sie sind hinter meinen Tageseinnahmen her!"

Bereitwillige Hände halfen dem Griechen über den Tresen zu klettern, wo er keuchend und japsend von zwei Dutzend aufgeregten Augen angestarrt wurde.

"Sie sind hinter meinem Geld her, was?", rief der Restaurantbesitzer und drohte dem Griechen mit seiner Faust.

Der kräftige Mann nickte keuchend.

"Und wir hätten es auch hingekriegt", japste er, "wenn nicht dieser verdammte kleine Nachtkassierer gewesen wäre."

Zwei Dutzend Augen blickten sich gespannt um. Aber der kleine Mann war verschwunden.