Sexy Rich Vampires - Königliches Begehren - Geneva Lee - E-Book

Sexy Rich Vampires - Königliches Begehren E-Book

Geneva Lee

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Beschreibung

Die Königin besteigt ihren Thron, der Unsterbliche an ihrer Seite: Band 4 der berauschenden Vampir-Romantasy-Reihe!

Thea nimmt ihren Platz als Königin ein – an der Seite des unwiderstehlichen Vampirs Julian. Doch der Kampf ist noch nicht vorüber! Weiterhin versuchen ihre Gegner, an die Macht zu kommen, und ein neues Spiel der Täuschung beginnt. Julian und Thea halten fest zusammen, aber wissen längst nicht mehr, wem sie noch trauen können. Sie müssen sich nicht nur gegen den Rat der Vampire durchsetzen, sondern auch gegen ihre eigenen Familien. Und das Schlimmste: Theas Vorgängerin auf dem Thron verlor ihr Leben nicht zufällig! Julian und sie müssen den Feind finden, bevor er auch die neue Königin erwischt …

Kennst du schon die anderen unwiderstehlichen Reihen von Geneva Lee? Zum Beispiel die »Royals«-Saga oder die »Rivals«-Serie!

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Seitenzahl: 711

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Buch

Thea nimmt ihren Platz als Königin ein – an der Seite des unwiderstehlichen Vampirs Julian. Doch der Kampf ist noch nicht vorüber! Weiterhin versuchen ihre Gegner, an die Macht zu kommen, und ein neues Spiel der Täuschung beginnt. Julian und Thea halten fest zusammen, aber wissen längst nicht mehr, wem sie noch trauen können. Sie müssen sich nicht nur gegen den Rat der Vampire durchsetzen, sondern auch gegen ihre eigenen Familien. Und das Schlimmste: Theas Vorgängerin auf dem Thron verlor ihr Leben nicht zufällig! Julian und sie müssen den Feind finden, bevor er auch die neue Königin erwischt …

Autorin

Geneva Lee ist eine hoffnungslose Romantikerin und liebt Geschichten mit starken, gefährlichen Helden. Mit der »Royals«-Saga, der Liebesgeschichte zwischen dem englischen Kronprinzen Alexander und der bürgerlichen Clara, eroberte sie die internationalen Bestsellerlisten. Auch die »Rivals«-Reihe traf mitten ins Herz ihrer Leser*innen. Mit ihrer neuen Saga, den »Sexy Rich Vampires«, begibt sich die SPIEGEL-Bestsellerautorin zum ersten Mal in die Welt der Fantastik – ohne dabei aber den großen Gefühlen, der Leidenschaft und dem Luxus untreu zu werden. Geneva Lee lebt zusammen mit ihrer Familie im Mittleren Westen der USA.

Von Geneva Lee bereits bei Blanvalet erschienen:

Die »Royals«-Saga:Clara und Alexander:Band 1 – Royal PassionBand 2 – Royal DesireBand 3 – Royal LoveBand 1 aus der Sicht des Prinzen – His Royal Passion

Belle und Smith:Band 4 – Royal DreamBand 5 – Royal KissBand 6 – Royal Forever

Clara und Alexander – Die große Liebesgeschichte geht weiter:Band 7 – Royal DestinyBand 8 – Royal GamesBand 9 – Royal LiesBand 10 – Royal Secrets

Die »Rivals«-Reihe:Band 1 – Black RosesBand 2 – Back DiamondsBand 3 – Black Hearts

Die »Sexy Rich Vampires«-Reihe:Band 1 – Blutige VersuchungBand 2 – Unsterbliche SehnsuchtBand 3 – Nächtliche Sünde

GENEVA LEE

SEXY RICH VAMPIRES

Königliches Begehren

Deutsch von Wolfgang Thon

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »FILTHYRICHVAMPIRES – FORETERNITY« bei Estate Publishing + Media.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2023 by Geneva Lee

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Susann Rehlein

Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Hamburg, nach einer Originalvorlage von Estate Publishing + Media

Coverdesign: © Estate Books

Umschlagmotiv: stock.adobe.com (Alexstar; James Steidl; Gluiki; HWWO Stock; Alena; Mauro Rodrigues)

JS · Herstellung: fe

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-32247-2V001

www.blanvalet.de

Für die Königinnen

PROLOG

THEA

»Neeein!«, stöhnte ich, streckte die Arme aus, warf mich nach vorne und wehrte mich gegen die zwei starken Arme, die mich zurück auf den Thron zogen. Ich sah mich entsetzt um. Es war Lysander! Geschockt von seinem Verrat, befreite ich mich aus seinem Griff. »Was tust du da? Lass mich los!«

»Noch nicht«, sagte er. Seine Lippen bildeten eine schmale, gerade Linie, und er nickte in die andere Richtung, wo eine vermummte Frau an meiner Seite kniete und mich beobachtete.

Ich wandte mich an sie, flehte: »Bitte. Sie müssen mich gehen lassen.« Meine Stimme brach. »Mein Gefährte«, schluchzte ich.

Ich musste zu ihm, und sei es auch nur, um ihn zu berühren. Sei es auch nur, um meine Sehnsucht nach seiner Nähe zu stillen. Nur so konnte ich meine aufgewühlte Seele beruhigen, die ihn in dieser seltsam stillen Welt aus Licht und Schatten nach mir rufen gehört hatte. Ich musste wissen, ob er noch da war. Ich musste wissen, ob ich ihn immer noch hören konnte.

Vor lauter Tränen drohte mir alles vor den Augen zu verschwimmen. Ich wandte mich mit meinem ganzen Schmerz an die Fremde, um ihn ihr zu offenbaren, und betete, dass sie einen Funken Mitgefühl in sich trug.

»Guiliano wird überleben«, sagte sie mit einem starken Akzent.

Guiliano. Es dauerte eine Sekunde, bis ich begriff, dass sie Julian meinte. Ich hatte noch nie gehört, dass er so genannt wurde, aber es war klar, dass er gemeint war. Der Name musste ein Überbleibsel aus einem früheren Leben sein. Aber das war mir jetzt, da mein Gefährte blutüberströmt vor meinen Füßen auf dem Boden lag, vollkommen gleichgültig.

»Ich muss zu ihm!«, flehte ich.

»Du brauchst Macht«, sagte sie leise. »Der Thron wird dir helfen. Durch ihn fließt die Magie des Rio Oscuro. Gib ihm noch ein paar Minuten, um dich zu heilen.«

»Wovon zum Teufel redest du?«, fragte ich. Sie taten ja gerade so, als hätten sie mich an eine magische Ladestation angeschlossen. Aber es ging jetzt überhaupt nicht um mich. Ich spürte, wie seine Stimme leiser wurde, mir immer mehr entglitt. »Ich muss zu Julian. Ich habe ihn gehört!«

»Du hast ihn gehört?«, fragte Lysander gedehnt. Ich drehte mich um und sah, wie sein Blick von der fremden Frau zum Körper seines Bruders wechselte.

»Ja«, sagte ich ungeduldig. Wie um alles in der Welt sollte ich es ihnen erklären? »Ich war irgendwo … irgendwo anders. Da waren Musik und Licht und Schatten. Ich konnte ihn hören. Und spüren. Er ist noch am Leben.«

Er musste am Leben sein. Ich hatte mich schon einmal geirrt, als ich – unter dem Einfluss von Willems Magie – nicht ganz bei Sinnen gewesen war. Ich wusste nicht genau, was vor sich ging, aber Julian war hier, da war ich sicher. Ganz in der Nähe. Ich spürte es in meinen Knochen und in meinem Blut.

»Licht und Schatten?«, murmelte Lysander, und ich machte mich auf seinen Spott gefasst. Stattdessen murmelte er nur etwas vor sich hin: »Wenn das Licht fällt und die Schatten erwachen, werden die Träumer den Sturm entfachen …«

»Wie oben, so unten, Magie zu Magie, Dunkelheit zu Dunkelheit, wahre Liebe zu wahrer Magie«, flüsterte die Frau.

»An den Rest kann ich mich nicht mehr erinnern«, sagte Lysander mit großen Augen. »Kennst du das Grimoire, aus dem es stammt? Weißt du, was es bedeutet?«

»Ich habe es ausgiebig studiert«, sagte sie und errötete.

Sie … flirteten miteinander. Ich hätte ihnen beiden den Hals umdrehen mögen. Ich hatte keine Zeit für so ein Theater oder für kryptische Gespräche. »Du sagtest, er wird überleben. Wie das?«

Die Frau besann sich kurz, bevor sie mir antwortete. »Du. Du kannst ihn heilen.«

»Das habe ich versucht. Ich habe versucht, ihm mein Blut zu geben, aber er wollte nicht trinken.« Ich kämpfte gegen das unangenehme Gefühl an, das in meiner Kehle aufstieg, und gegen den Schmerz, der in mir wuchs. Das konnte doch nicht sein. Ich konnte ihn nicht schon jetzt im Stich gelassen haben.

»Nicht mit deinem Blut. Mit deiner Magie«, sagte sie. »Du wirst Kraft brauchen, um das Lied der Lebenden zu beschwören und ihn aus der Vorhölle zurückzurufen.«

»Aus der Vorhölle?«, wiederholte ich. Das konnte nicht sein. Ich holte tief Luft. »Dann bin ich also dort gewesen?«

Sie nickte. »Hast du dort die Musik von Leben und Tod gehört?«

Aber Lysander ging ungläubig dazwischen: »Du warst in der Vorhölle?«

Ich ignorierte ihn und klammerte mich an die geschnitzten Armlehnen des Stuhls. Ich hatte dort Musik gehört, aber nicht geahnt, was es war. Und ich hatte definitiv keine Vorstellung davon, wie ich sie durch mich hindurchströmen lassen konnte.

»Doch, du hast die Musik gehört«, sagte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Es wird aber einfacher sein, wenn du zuerst deine Schwestern herbeirufst. Ihre Magie wird deine verstärken.«

»Meine Schwestern?« Ich schüttelte den Kopf.

»Le Regine sind deine Schwestern«, erklärte sie. »Sie haben …«

»Auf dich gewartet«, fiel ihr eine weibliche Stimme ins Wort.

Ich hob den Kopf und sah zwei Vampire auf mich zukommen. Die schwarzen Haare der Vampirin, die gerade gesprochen hatte, fielen in Kaskaden über ihren Rücken, das Licht der Laternen über ihr fing sich darin und ließ es glitzern wie Meerwasser. Die Frau neben ihr war stumm wie eine aus schwarzem Stein gemeißelte Statue. Platinblondes Haar wehte ihr über die Schultern. Beide Frauen trugen hochgeschlossene Kleider aus elfenbeinfarbenem Chiffon, und sie trugen Kronen.

»Ich verstehe jetzt, warum ich in den Visionen beschworen wurde, Guiliano wieder an unseren Hof zu laden«, fuhr sie fort. »Ich nahm an, dass ich Frieden mit seiner Mutter schließen und ihr unseren verwaisten Thron anbieten sollte. Erst heute Abend lüftete sich der Schleier, und ich habe die Wahrheit erkannt. Du bist es, auf die wir gewartet haben, Schwester.«

Schwester? Ich hob eine Augenbraue und blickte zu Julians Bruder, um zu sehen, was er von all dem hielt. Er starrte die Königinnen nur an.

»Eure Visionen gehen mir am Arsch vorbei!«, polterte ich. »Ich will nur meinen Gefährten retten.«

»Und welchen Preis willst du dafür zahlen?«, fragte die silberblonde Königin. Ihre Lippen bewegten sich beim Sprechen kaum.

Meine Antwort war so selbstverständlich wie das Herz, das in meiner Brust schlug. »Jeden.«

Es gab keinen Preis, den ich nicht zahlen würde, um ihn zu retten. Ich hätte meine Seele, mein Leben gegeben.

»Dein Gefährte hat den wahren Tod erfahren«, sagte die andere Königin zu mir, als sie die wenigen Stufen zum Podest hinaufstieg, auf dem die Throne standen. »Um ihn zu retten, musst du ihm dein eigenes Leben anbieten.«

»Das werde ich tun«, antwortete ich, ohne zu zögern – doch Lysander legte seine Hand um mein Handgelenk.

»Überleg dir, was du tust«, sagte er leise. »Julian würde ohne dich nicht leben wollen.«

»Und das wird er auch nicht«, unterbrach die Königin uns. »Sie muss ihr Leben anbieten, um ihn herbeizurufen. Vampire kommen nicht in die Unterwelt. Er schwebt in der Vorhölle. Er muss hier an etwas gebunden werden, das seine Seele in seinen Körper zurückruft.«

Ich schluckte. So einfach konnte es doch nicht sein. »Wir sind Gefährten«, sagte ich und fügte hinzu: »Und wir sind miteinander verbunden.«

»Ja, Gefährten seid ihr.« Sie neigte den Kopf, als sie sich vor mir aufbaute. »Aber ihr seid nicht mehr aneinander gebunden. Eine Bindung kann den Tod nicht überdauern.«

Ihre Worte trafen mich tief. Trauer schwoll in mir an, bis ich kaum noch Luft bekam. Auch wenn wir unser Band nie gewollt hatten, hatte es uns doch viel bedeutet. Und Julian hatte diese Macht über mich nie missbraucht. Aber diese Macht … diese Macht hatte ihn umgebracht.

»Sag es mir«, bat ich schließlich. »Was kann ich tun?«

»Um ihn zurückzuholen, wirst du das Lied der Lebenden heraufbeschwören und es ihm darbieten. Wenn er es annimmt, wird sein Leben an das deine gebunden sein.«

»Was meinst du mit gebunden?«, erkundigte sich Lysander misstrauisch.

»Solange sie lebt, wird er leben.«

»Und wenn sie stirbt?«, wollte er wissen.

»Dann stirbt Julian auch«, fuhr die silberblonde Königin fort. »Aber es gibt einiges zu bedenken. Du wirst ihm damit Zugang zu unserer Magie gewähren.« Sie hatte einen bitteren, angewiderten Unterton, und ich fragte mich, ob sie ihre Macht nicht teilen wollte oder ob Julian sie früher einmal gegen sich aufgebracht hatte. Wahrscheinlich beides.

»Ich werde jeden Preis zahlen«, sagte ich entschlossen und mit tränenfeuchten Augen. »Jeden.«

»Du bist zu schwach«, erwiderte sie, und ihre Lippen hoben sich zu einem höhnischen Grinsen. »Du wirst unsere Hilfe benötigen, und ich bin nicht überzeugt, ob er die verdient.«

»Zina«, warnte die Schwarzhaarige. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt.«

»Ich finde, es ist ein perfekter Zeitpunkt, Mariana. Wir kennen diese Sirene nicht. Sie ist nicht wie wir. Wird sie den Thron besteigen? Wird sie herrschen?« Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, aber ihre nächste Frage war wie ein Schlag in den Magen. »Würde sie für diesen Hof ihr Leben aufgeben?«

»Ich habe dir schon gesagt, dass ich es tun würde«, sagte ich wütend, weil wir wertvolle Zeit verschwendeten.

»Weißt du überhaupt, was das bedeutet?«, knurrte sie, und ihre versteinerten Gesichtszüge verzogen sich zu einer grausigen Fratze.

»Alles. Ich werde euch alles geben«, schwor ich erneut, und während ich sprach, spürte ich, dass etwas Schweres meinen Kopf umkreiste. Ich griff nach oben und fühlte eine Krone – die aus dem Nichts erschienen war und nun auf meinem Kopf ruhte.

Lysanders Augen weiteten sich, und Mariana lächelte mich an. »Die Magie hat dich auserwählt. Willkommen, Schwester. Jetzt lass uns deinen Gefährten wieder zum Leben erwecken.«

JULIAN

Der Tod war nicht friedlich. Nicht, dass ich Frieden verdient gehabt hätte. Ich hatte in meinem Leben schreckliche Dinge getan. Ich hatte Schlimmeres als die Schattenwelt verdient, in der ich mich jetzt befand. Vampire machen sich keine Gedanken über den Himmel, die Hölle oder die Unterwelt. Schließlich leben wir Jahrtausende. Aber insgeheim hatte ich mir den Tod immer friedlich vorgestellt – ganz anders als das Leben.

Das war vor ihrer Zeit gewesen … bevor ich einen Grund zu leben gehabt hatte, bevor ich wusste, was der Tod mich kosten würde. Und jetzt? Vor mir dehnte sich die Ewigkeit aus – ein Reich der Dunkelheit und der Schatten, ohne jedes Licht, auch ihr Licht fehlte.

Ich hätte ebenso gut in der Hölle sein können. Körperliche Schmerzen oder Folter hätte ich diesem Nichts vorgezogen. Denn ihre Abwesenheit – das Fehlen ihres Lichts, ihres Lächelns, ihrer Existenz –, das war die Hölle.

Ich ging weiter in die Schatten und suchte nach Anzeichen für irgendetwas oder irgendjemanden, aber ich war allein.

Und dann hörte ich eine sanfte Melodie in diesem Vakuum des Nichts und sah für einen kurzen Moment einen Lichtschein in der Ferne aufblitzen, bevor aufgetürmte schwarze Wolken ihn wieder verschluckten.

Ich öffnete den Mund, um ihren Namen zu rufen – jedenfalls versuchte ich das. Ich versuchte auch, nach unten zu schauen oder meine Hand zu heben. Ich war nicht wirklich hier. Mein Körper zumindest nicht. Ich war zu etwas anderem geworden. Zu einer Erinnerung vielleicht – aber das war mir egal. So etwas wie Hoffnung legte sich um mich.

Das Licht. Die Musik: Sie war am Leben.

Und wenn ich mich daran festhalten konnte, war nichts anderes mehr von Bedeutung. Ich konnte meinen Frieden in dieser Unendlichkeit finden, und vielleicht würde ich manchmal dieses Licht schimmern sehen oder ihre Musik hören, um mich daran zu erinnern, dass ich nicht völlig verloren war. Nicht, solange sie lebte.

Selbst wenn sie mich vergessen hatte. Auch wenn das Band, das uns zusammenhielt, zerrissen war.

Und so, wie ich zu Dunkelheit und Schatten wurde, verlor ich mich in den Erinnerungen an sie.

THEA

»Es funktioniert nicht.« Ich kämpfte mit den Tränen, als ich mich neben Julians Leiche kniete. Da war so viel Blut, selbst jetzt noch, nachdem es aufgehört hatte, aus ihm herauszusickern, weil sein Herz es nicht mehr durch seine Adern pumpte. Es überzog meine Hände und mein Kleid und vermischte sich mit meinem eigenen Blut.

»Konzentrier dich«, beschwichtigte mich Mariana. Sie stand neben mir, ihr Schatten fiel auf seinen Körper. Ihre Schwester Zina hatte ihren Thron nicht verlassen und kein Wort gesagt, seit die Krone mich erwählt hatte.

»Ich versuche es«, sagte ich durch zusammengebissene Zähne und bemühte mich, das Lied zu hören, von dem sie gesprochen hatte.

Jenes Lied, das ich in der Vorhölle gespürt hatte.

Lysander trat in mein Blickfeld, und ich hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Leider glaubte er nicht, dass es funktionieren würde, und mit jeder Minute, die verging, war ich mehr geneigt, ihm zuzustimmen.

»Thea«, sagte er leise, »wenn du nicht …«

»Raus!«, befahl Mariana ohne eine Spur von Sanftheit. »Sie muss sich konzentrieren.«

»Warum?«, rief Zina von ihrem Thron aus. »Er ist nicht der erste Vampir, der stirbt. Er wird auch nicht der letzte sein.«

Heißer Zorn kochte in mir hoch und drohte, sich an ihr zu entladen. Ich spürte, wie mir die Kontrolle entglitt, aber bevor ich explodierte, gab es irgendwo draußen einen Tumult.

»Aurelia.« Meine Gefährtin wandte sich an die Frau im Cape. »Pass auf, dass hier niemand hereinkommt. Und nimm ihn mit.«

Ich wechselte einen Blick mit Lysander, als Aurelia sich ihm näherte. Er nickte leicht, als wollte er versprechen, in der Nähe zu bleiben und notfalls zu helfen.

Aber er konnte mir nicht helfen. Anscheinend konnte das niemand.

Als sie weg waren, entspannte sich Mariana. »Jetzt wird es leichter sein.«

»Ich glaube kaum«, knurrte ich, denn ich verlor zusehends das, was ich brauchte, um es weiter zu versuchen. Es war nicht die Magie. Es war die Hoffnung. Jede Sekunde raubte mir mehr davon, und bald würde gar nichts mehr übrig sein.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte, wenn das geschah. Ich hatte versucht, ihm in den Tod zu folgen, und war dann hierher zurückgeschleift worden – in die wahre Hölle.

»Hör auf die Musik«, sagte sie zum hundertsten Mal.

Ich schloss die Augen und versuchte es, aber die Melodie, die ich in der Vorhölle hörte, war anders als alles gewesen, was ich je zuvor gehört hatte. Ich kannte das Lied nicht. Ich atmete tief ein und versuchte, in die Vorhölle zurückzukehren, aber jetzt war da nichts als Stille. Mit wachsender Enttäuschung sah ich sie wieder an. »Wie klingt sie denn?«

»Ich weiß es nicht. Nur Sirenen kennen diese Musik.«

Und ich war keine Sirene. Nicht wirklich. Am liebsten hätte ich geschrien, so frustriert war ich. Nur die Hälfte meines Blutes enthielt die Magie, die ich herbeirufen musste. Die andere Hälfte …

»Ich kann das nicht.« Meine Stimme klang sogar für meine eigenen Ohren hohl. Ich ließ mich zurückfallen und nahm meine blutigen Hände von Julian, als der letzte Hoffnungsschimmer zu verblassen begann und mich stattdessen der Kummer zu überwältigen drohte.

»Sie ist nicht stark genug«, verkündete Zina von ihrem Thron aus. »Was habe ich dir gesagt?«

»Die Krone hat sie erwählt«, sagte Mariana leise.

»Die Krone hat schlecht gewählt.«

Ich gab mir keine Mühe, ihr zu widersprechen. Sie hatte recht. Welche Macht auch immer die Krone zu mir gerufen hatte, sie war weg. Ausgelöscht.

»Ich möchte einen Moment allein sein«, flüsterte ich und schluckte die Worte hinunter, die eigentlich folgen wollten: um auf Wiedersehen zu sagen. Ein Wiedersehen konnte es für uns beide nicht geben.

»Ich weiß nicht recht.« Mariana zögerte, und ich sah den Zweifel in ihrem wilden Blick.

Aber Zina hatte sich bereits von ihrem Platz erhoben. Freude tanzte in ihren Augen, als sie auf mich zukam. »Komm«, sagte sie zu Mariana. »Lass ihr diesen letzten Moment.«

Diesen letzten Moment.

Falls sie recht hatte, war dies das Ende. Irgendwann würden sie Julian holen, und dann musste ich mich von ihm trennen. Aber dazu war ich nicht bereit. Nicht, wenn ich ihn nur eine Stunde zuvor so deutlich gespürt hatte. Nicht, solange ich ihn berühren konnte.

Sein Blut war abgekühlt. Es wärmte meine Hände nicht mehr. Jetzt fühlte es sich glitschig und ölig an, und ich war hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, es wegzuwischen, und dem Wunsch, es an meiner Haut haften zu lassen. Es war alles, was von ihm übrig war.

Ich merkte nicht, dass ich weinte, bis eine Träne auf meinen Handrücken fiel und sich mit seinem Blut vermischte. Es würde keine Hochzeit geben. Keine Kinder. Weitere Tränen fielen, bis ich kaum noch atmen konnte. Ich dachte an all die Orte, die wir gemeinsam besuchen wollten. Ich würde keinen von ihnen sehen. Warum auch, wenn er nicht an meiner Seite war? Ich keuchte auf. Nie wieder würde ich ihn dabei erwischen, wenn er mir aus dem Dunkel beim Cellospielen zusah. Wir würden niemals ein neues Haus in Paris bauen, um jenes zu ersetzen, das seine Schwester zerstört hatte. Es würde keine Berührungen geben. Wir würden uns nicht im Mondschein lieben.

Ich hatte in letzter Zeit so viel Energie darauf verwendet, mir Gedanken über die Zukunft zu machen und mir den Kopf darüber zu zerbrechen, was ich als Nächstes tun sollte, dass ich die Wahrheit aus den Augen verloren hatte. Die Zukunft war immer da gewesen. In seinem Lächeln. In den mürrischen Wortwechseln mit seinen Brüdern. In seinen Händen, die im Dunkel der Nacht meinen Körper fanden. Die Zukunft – die einzige Zukunft, in der ich leben wollte –, waren wir.

Er war es.

Und ohne ihn wollte ich nichts von alledem. Schon gar nicht einen blöden Thron oder eine dumme Krone. Ich versuchte, die Krone zu packen, um sie von mir wegzuschleudern, aber sie wehrte sich, als wäre sie nicht einfach ein Gegenstand, sondern ein Lebewesen, das sich nicht abweisen lässt.

»Ich will dich nicht!« Mein Schrei hallte durch den leeren Raum und dröhnte in meinen Ohren. Ich brach zusammen und wurde zu dem schwachen Wesen, von dem ich wusste, dass es in mir steckte. Wäre ich das, was sie sagten, hätte ich ihn retten können. Ich hätte dieses dumme Lied beschworen. Ich hätte heilen können, was ich zerbrochen hatte. Aber ich war nichts. Ich war keine Sirene und kein Vampir. Ich war nur ein Halbblut, das keinen Platz in dieser Welt hatte – und wenn ich ihn nicht retten konnte, wollte ich diese Welt sowieso nicht.

Also ließ ich mich gehen; ich weinte und schrie, bis meine Kehle wund war und keine Tränen mehr übrig waren und meine trockenen Augen pochten. Ich dachte an die Nacht, in der wir uns kennengelernt hatten – als er mich ansah, als ob er mich in Stücke reißen könnte –, und begann leise das »Andante Con Moto« zu summen. Das letzte Lied, das ich gespielt hatte, bevor er zu meiner Rettung herbeieilte und mein Leben für immer veränderte.

Es war nicht das Lied des Lebens, das von meinesgleichen erwartet wurde. Es war das genaue Gegenteil: Ein Lied über eine Jungfrau, die dem Tod begegnet. Und jetzt verstand ich es endlich. Ich hatte geglaubt, es wäre die Geschichte einer Unschuldigen, die den Fängen eines bösen Schicksals entflieht, aber das war es nicht. Es ging um Verlust und rasende Verzweiflung. Es ging um Angst und wilde Hoffnung und Panik … und darum, den Verlust schließlich anzunehmen. Ich konnte mich nur noch an den Abschnitt erinnern, den wir gespielt hatten – an nichts anderes mehr vom letzten Teil des Quartetts, nur noch an Schuberts Resignation. Hoffnung gab es nicht, denn es war zu bitter.

Und ich konnte nicht weitersummen, als ich ans Ende des »Andante« gelangte, ich wollte nicht, erfand stattdessen eine neue Melodie, die so süß war wie der Geschmack seines Kusses um Mitternacht. Sie spiegelte die Sehnsucht, die ich empfand, wenn er mich berührte, und die stille Zufriedenheit, die ich in der Geborgenheit seiner Arme fand. Meine Trauerrede – mein letzter Abschied – war eine Melodie, denn es gab keine Worte für das, was ich für ihn empfand.

Als ich die letzte schwebende Note erreichte, wusste ich, dass dieses Lied kein Ende haben würde. Wir hatten kein Ende. Wir waren die wahre Magie, und vielleicht war die Krone deshalb irrtümlicherweise von dieser Sinfonie, die unsere Verbindung geschrieben hatte, auf mein Haupt gerufen worden. Aber für den Moment hatte ich mein Werk beendet, und es wurde still.

Eine Hand strich über meine Schulter, und ich brauchte einen Moment, um sie zu spüren. Ihn zu spüren.

»Meine Liebste.« Die Worte klangen gequält und brüchig, aber er war es, der sie aussprach.

Ich richtete mich auf, und seine Hand rutschte herunter und landete auf den Steinen. Julian stöhnte auf: Es klang so schmerzerfüllt, dass ich zusammenzuckte. Ich hielt mich daran fest und wagte es endlich, ihn anzusehen. Blaue Augen starrten mich an, blitzten auf, als die Magie ihr Werk tat. Ich sah gebannt zu, als sich der Knochen zurückzog, der aus seiner Brust ragte. Seine blasse Haut bekam wieder Farbe.

»Thea«, stieß er mit gequälter Stimme aus.

Ich brachte ihn zum Schweigen. »Sprich nicht. Heile einfach.« Ich sank wieder auf die Knie, um eine blutige Haarsträhne aus seinen Augen zu streichen – den Augen, die voller Leben, Liebe und Zukunft waren.

Unserer Zukunft.

Minutenlang sahen wir uns nur an, bis ich nicht mehr wusste, wie viel Zeit vergangen war. Ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden – von meinem Gefährten.

Bis ein Lächeln seine Lippen umspielte. »Darf ich jetzt sprechen?«

Ich lachte unter Tränen und nickte.

»Gut«, sagte er. »Warum trägst du eine Krone?«

JULIAN

Meine Gefährtin streckte die Hand aus, um die Krone zu berühren, die ihr gesenktes Haupt zierte. Diamantsplitter ragten wie Sonnenstrahlen daraus hervor. In der Mitte des Strahlenkranzes hielt eine zarte Schlange, Le Regines ältestes Symbol, eine aus Mondstein geschnittene Mondsichel in ihrem Maul. Thea rümpfte die Nase, was ihre Sommersprossen tanzen ließ, und seufzte.

»Ach, das«, sagte sie nur. »Das spielt keine Rolle.«

Aber das stimmte nicht, denn ich kannte diese Krone. Ich wusste, wessen Kopf sie einst geziert hatte, und was es bedeutete, dass Thea sie jetzt trug. Ich hob den Kopf, sah mich im Raum um und war nicht überrascht, dass wir uns am Podest der Königinnen befanden. Der Thronsaal war leer, aber er war seit meinem letzten Besuch gereinigt und geschmückt worden, zweifellos, damit die Schwestern ihren Neuzugang willkommen heißen konnten. Eigentlich hatte es meine Mutter sein sollen. Aber wenn Thea die Krone trug, dann …

»Was ist passiert?«, fragte ich leise.

Sie zögerte zuerst und sagte schließlich mit brüchiger Stimme: »Du bist gestorben.«

Ich nickte, weil ich diese Tatsache gar nicht leugnen konnte. Aber es steckte mehr dahinter, und das wussten wir beide. »Jetzt bin ich hier.«

Sie zögerte einen kurzen Moment, bevor sie den Mund öffnete und die Geschichte aus ihr heraussprudelte. Ich hörte ruhig zu, als sie mir von Willem erzählte – davon, wer er für sie war – und dann zu den Ereignissen des heutigen Abends überging. Als sie fertig war, glitzerten Tränen in ihren smaragdgrünen Augen.

»Ich hatte keine andere Wahl.« Sie rang ihre Hände. »Ich hätte alles getan, um dich zu retten.«

»Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen.« Hätte sie mich überhaupt noch angesehen, wenn sie gewusst hätte, dass ich Vampire gefoltert hatte, um sie aufzuspüren?

»Es macht dir nichts aus?« Sie biss sich in die Unterlippe, was meine Aufmerksamkeit auf ihren Mund lenkte. Plötzlich fühlte sich meine Hose enger an. Wenigstens schien ich mich schnell zu erholen.

»Ob es mir etwas ausmacht?« Vorsichtig drückte ich mich hoch, bis ich neben ihr saß. Ich verspürte nicht den geringsten Schmerz. Es war fast so, als ob das alles nie geschehen wäre. Wenn da nicht ihre Krone gewesen wäre, hätte ich es für Einbildung halten können.

»Dass ich …« Sie deutete auf die Krone, wollte nicht eingestehen, wozu die Krone sie verpflichtete.

»Ich stelle mir gerade vor, wie du diese Krone trägst und sonst nichts.« Ich machte mir nicht die Mühe, den Rest des Bildes zu beschreiben – sie ritt auf mir, ihr Gesichtsausdruck voller leidenschaftlicher Glückseligkeit –, aber der Hitze nach zu urteilen, die ihre Wangen färbte, hatte sie sich das Gleiche vorgestellt.

»Ich weiß nicht, was sie von mir erwarten«, sagte sie. »Ich glaube, es war ein Fehler.«

»Thea«, ich kostete den Geschmack ihres Namens auf meiner Zunge aus und senkte die Stimme, da vermutlich andere in der Nähe waren. Ich nahm ihre Hand und strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. »Du hast mich ins Leben zurückgeholt. Es war kein Fehler. Die Krone hat dich auserwählt.«

Sie öffnete gerade den Mund, um zu protestieren, als die Türen zum Thronsaal aufsprangen. Meine Mutter stürmte gefolgt von einem Dutzend anderer in den Raum, und alle blieben wie vom Donner gerührt stehen, als sie uns dort sitzen sahen.

»Julian.« Sabines Lippen formten lautlos meinen Namen. Sie drückte sich die Hand auf ihre Brust. Mein Vater stand neben ihr, Verwirrung und Erleichterung im Gesicht.

»Es hat funktioniert.« Lysanders Stimme durchbrach endlich die Stille. »Es hat verdammt noch mal funktioniert.«

Die Frau neben ihm brachte ihn mit einem strengen Blick zum Schweigen.

»Wie ich es gesagt habe«, verkündete Mariana, als sie an ihnen vorbei auf uns zukam. Ihre Schwester, die mit starrer Miene neben ihr ging, schniefte, wahrscheinlich vor Enttäuschung.

Mariana lächelte uns zu, als die beiden Königinnen das Podest bestiegen und ihre jeweiligen Throne einnahmen. Sobald sie Platz genommen hatten, rief sie mit erhobener Stimme: »Setz dich zu uns, Schwester.«

Theas sah mir in die Augen und kaute wieder auf der Unterlippe, und ich wusste, es war das Letzte, was sie tun wollte.

»Mach schon«, drängte ich sie leise. »Besteig deinen Thron.«

»Aber …« Ihre Finger schlossen sich fest um meine. »Was ist mit dir?«

»Ich möchte der Erste sein, der sich vor dir als meiner Königin verneigt.« Ich beugte mich näher heran und strich mit dem Mund über ihr Ohr. Sie erschauerte, und ich lächelte. »Und später werde ich vor dir niederknien und dir meine Gefolgschaft gebührend bekunden.«

Mit einer geschmeidigen Bewegung stand ich unter den schockierten Blicken meines Publikums auf. Um ehrlich zu sein, war ich selbst von meiner schnellen Genesung überrascht. Der Rio Oscuro mochte Thea die Kraft gegeben haben, mich zu heilen, aber ich wunderte mich trotzdem, dass nicht ein Hauch von Schmerz zurückblieb.

Ich beugte mich zu ihr und reichte ihr meine unbehandschuhte Hand, die sie ergriff, woraufhin einer der Anwesenden schockiert aufstöhnte. Als sie auf den Beinen war, bewegte sie sich nicht mehr. Es kostete mich große Beherrschung, sie nicht hochzuheben, mir über die Schulter zu werfen und wegzutragen. Ich war kurz davor, mich zu vergessen, als Sabine aus ihrer Benommenheit aufschreckte.

»Was ist hier los?«, fragte sie. Ihre Augen blickten von Thea zu mir und wieder zurück zu meiner Gefährtin. »Was hast du getan?«

Ich ergriff Theas Hand und drückte sie einmal warnend. Sie will dich provozieren.

Thea lachte leise, als ob sie sagen wollte, dass sie das wisse. Aber sie wich der Frage meiner Mutter nicht aus. Stattdessen ließ sie meine Hand los und schlenderte auf Sabine zu, wiegte provozierend ihre Hüften in dem blutbefleckten Kleid. Als sie bei ihr ankam, hob Thea ihr Kinn, als wäre sie nicht einen Kopf kleiner als meine Mutter. Angesichts der Kraft, die von ihr ausging, spielte ihre Größe kaum eine Rolle. »Was ich getan habe?«, wiederholte sie deren Frage. »Ich habe deinem Sohn das Leben gerettet.«

Sabine blinzelte verblüfft, doch dann setzte sie wieder ihre hochmütige Miene auf. »Und die Krone gestohlen.«

»Die Krone wurde mir verliehen«, sagte Thea mit ruhiger Stimme, »und wenn dir das mehr Sorgen bereitet als das Leben deines Sohnes, dann solltest du verdammt noch mal deine Prioritäten in Ordnung bringen.«

Keine der beiden wich zurück, selbst als ein zustimmendes Gemurmel durch die Menge ging. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Bruder vergeblich sein Grinsen zu unterdrücken versuchte. Die Menge strömte in den Saal.

»Ist es wahr?« Sebastian drängte sich hindurch. Aber er blieb nicht wie die anderen stehen – er schien nicht vor Ehrfurcht zu erstarren, als er die Königin an meiner Seite sah. Stattdessen stürmte er vor und umarmte mich. »Ich bin froh, dass du nicht tot bist.«

»Ich auch«, sagte ich und lächelte trotz der Umstände. »Und keine Sorge, ich bin bewaffnet«, schickte er flüsternd hinterher.

Ich war wohl nicht der Einzige, der damit rechnete, dass die Dinge bald aus dem Ruder laufen würden.

»Will denn niemand meine Frage beantworten?« Sabine lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Warum trägt sie diese Krone?«

Die Antwort kam von hinten aus der Menge, als eine tiefe Stimme brüllte: »Weil sie mächtiger ist als ihr – ihr alle zusammen.«

Ich stellte mich vor meine Gefährtin, als sich die Menge teilte und Willem zum Vorschein kam. Er hatte seine Maske abgenommen und ließ sein arrogantes, aber auch grimmiges Lächeln sehen.

»Du bist hier nicht willkommen«, sagte ich. »Verschwinde.«

»Ich wurde eingeladen«, knurrte er. Ein paar der anderen Gäste zuckten zurück und wichen aus, aber kein einziges Mitglied meiner Familie blinzelte auch nur.

»Ein Versehen«, sagte Sabine zu ihm gewandt. »Und jetzt entschuldige uns bitte, während wir dieses Chaos beseitigen.«

Ich wusste genau, welches Chaos sie meinte, aber bevor ich sie an das erinnern konnte, was Thea über Prioritäten gesagt hatte, trat meine Gefährtin um mich herum.

»Verschwinde«, befahl Thea mit klarer und fester Stimme. Selbst mit dem getrockneten Blut, das ihr Kleid befleckte und ihre Hände und ihr Gesicht überzog, wirkte sie königlich.

Ich griff nach dem Band, das uns verknüpfte, um sie – falls nötig – zu schützen, aber es war weg. Stattdessen befand sich dort etwas anderes: Fäden aus Licht und Schatten, die in unser Inneres eingewoben zu sein schienen. Ich nahm mir vor, sie zu fragen, was sie außerdem noch getan hatte, um mich ins Leben zurückzuholen, aber bevor ich länger darüber nachdenken konnte, lachte Willem.

»Wie ich sehe, stehst du nicht mehr unter dem Bann«, sagte er. »Das heißt aber nicht, dass ich keinen Anspruch auf dich habe. Ich bin dein Vater. Du bist meine Tochter und …«

»Ich gehöre niemandem«, sagte Thea in einem bedrohlichen Flüsterton. »Ich weiß, was du mir angetan hast. Also betrachte dies als den einzigen Tribut meiner Tochterpflicht, den du von mir jemals bekommen wirst. Geh jetzt, und ich lasse dich am Leben.«

»Thea, es gibt Dinge …«

Thea hob die Hand, und ein Windstoß schnitt seine Antwort ab. Willem flog nach hinten, und sein Rücken knackte, als er gegen die Steinwand hinter ihm prallte. Eine Sekunde lang blieb er dort hängen, bevor Thea das Handgelenk drehte und er zu Boden sank, ohne sich vom Fleck rühren zu können. Sie hatte es geschafft, ihn mit echter Magie anzugreifen, erkannte ich leicht entsetzt, aber vor allem beeindruckt.

Um uns herum wich das Publikum raunend zurück und machte große, ängstliche Augen, bis Mariana rief: »Heute Abend seid ihr Zeugen der Geburt einer neuen Ära geworden! Die Magie ist erwacht! Könnt ihr sie spüren?«

Das Flüstern schwoll an. Einige der Vampire zogen ihre Handschuhe aus, als ob sie ihre Handflächen auf Anzeichen untersuchen wollten.

Ein paar Schritte weiter schüttelte mein Vater den Kopf. Er war blass. »Das kann nicht sein.«

Aber ich wusste bereits, dass es der Wahrheit entsprach. Ich begriff, dass es ihr gelungen war, mich ins Leben zurückzuholen. Trotzdem gab es noch so viel, was ich nicht wusste. Aber das hielt mich nicht davon ab, einen Blick auf meine Gefährtin zu werfen – meine Gefährtin, die mich nicht nur von den Toten zurückgeholt, sondern auch die Magie erweckt hatte. Sie pulsierte in meinen Adern, und ich fragte mich, ob sie sie auch spürte. Ich würde sie später fragen, aber ich wusste, was ich als Erstes zu tun hatte.

Ich drehte mich zu ihr und zwinkerte ihr zu. Theas Augenbrauen hoben sich, ihr Mund formte eine Frage. Bevor sie sie stellen konnte, sank ich auf die Knie und neigte den Kopf. »Königin«, sagte ich lächelnd. »Ich stelle mich mit Leib und Leben in deinen Dienst. Ich werde dich beschützen und dir dienen – bis in den Tod und darüber hinaus.«

Bei meinen Worten trat ein besorgter Blick in ihre Augen, und ich wusste, dass sie an vorhin dachte – und dass »bis in den Tod« für uns beide eine neue Bedeutung bekommen hatte.

Wir wurden aufmerksam beobachtet, die Zuschauer hatten ihre Masken abgenommen. Doch irgendwie spürte ich, dass hinter vielen der freundlichen Gesichter Feinde lauerten. Man durfte niemandem trauen. Nicht mit einer neuen Königin auf dem Thron. Nicht mit der Magie, die durch unsere Adern floss.

Ich streckte die Hand aus, meine dunkle Magie umhüllte ihr Licht, dann nahm ich ihre Hand und führte sie an meine Lippen. »Lang lebe die Königin.«

2. PROLOG

Meine Königin.

Trotz des Blutes, das ihr Kleid befleckte, und trotz ihrer starken Erschöpfung sah ich bestätigt, was ich schon immer gewusst hatte. Sie war eine Königin. Nicht mehr nur in meinen Augen, sondern in den Augen jedes magischen Wesens in unserer Welt. Sie glühte, als ob die Sonne in ihr brannte, als ob die Welt sich um ihr Wesen drehte. Ihre Finger schlossen sich um meine, und ich spürte ihre Magie unter ihrer Haut pulsieren.

Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie mich ansah und begriff, warum ich vor ihr kniete. Als ihr Gefährte. Ihr Beschützer. Ich gelobte ihr meine Treue und zeigte den anderen, dass ich ihr zu Füßen lag und eine Handlung gegen sie eine Handlung gegen mich war. Ich konnte die Macht spüren, die uns beiden durch die Adern strömte – ihr Licht und meine Dunkelheit, die sich gegenseitig nährten, und ich wusste, dass es nichts gab, was wir nicht gemeinsam bewältigen konnten. Die Krone auf Theas Kopf schimmerte im Licht. Sie war ein Symbol ihrer Macht, und ich wurde von Stolz übermannt.

»Lang lebe die Königin.« Ich ließ meine Stimme durch den Saal hallen.

Ein paar Geschöpfe hinter uns stimmten ein. »Steh auf«, sagte Thea durch zusammengebissene Zähne zu mir.

»Wie du willst.« Ich konnte mir ein neuerliches Grinsen nicht verkneifen. Ich stand auf, hielt unverwandt ihre Hand und wandte mich der Menge der Schaulustigen zu. Sie waren still, hatten ihre Augen auf uns beide gerichtet. Alle warteten auf unseren nächsten Schritt und darauf, wie die neue Königin und ihr Gefährte die Kontrolle übernehmen würden. Ein paar Vampire beobachteten uns abschätzend und mit wachen Augen; sie suchten nach einem Anflug von Schwäche bei ihrer neuen Königin. Aber Thea war alles andere als schwach, und sie würde sich beweisen.

Im Moment wollte ich sie einfach nur in die Arme schließen.

Meine Mutter näherte sich dem Podest; unbändige Wut verzerrte ihre Lippen. »Sie kann keine Königin sein.«

Es grollte tief in meiner Brust. Keiner sollte Thea anfassen. Nicht einmal mein eigenes Blut.

»Sie ist auserwählt«, rief Mariana als Antwort. »Wer damit nicht einverstanden ist, sollte jetzt gehen.« Niemals hätte ich mit dem leichten Seitenblick gerechnet, den sie Zina zuwarf, als ob sie ihre eigene Schwester auffordern würde, ihren Thron zu verlassen.

Alle blieben an ihrem Platz, bis meine Mutter schließlich tief durchatmete und aus dem Raum stürmte. Ich wartete darauf, dass meine Brüder und mein Vater ihr folgten. Sie schienen hin- und hergerissen zu sein, bis Thea sich ihnen zuwandte: »Geht ihr nach. Sie gehört zu unserer Familie.«

Das war mehr Respekt, als meine Mutter ihr entgegengebracht hätte, wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre. Mein Vater neigte den Kopf, Erleichterung löste die Anspannung in seinen Schultern. »Meine Königin.«

Meine Brüder taten es ihm nach. Lysander und Sebastian konnten kaum ihr Kichern unterdrücken, als sie sich verneigten. Nachdem sie gegangen waren, räusperte sich Mariana. »Es gibt viel zu besprechen.« Sie blickte zwischen uns hin und her, ihre Gesichtszüge wurden weicher. »Aber das kann auch bis morgen früh warten. Du solltest dich ausruhen und dir Zeit geben aufzutanken.«

In ihrer Handfläche bildete sich ein kleiner Lichtball. Sie tänzelte auf uns zu und seufzte zufrieden, weil ihre Magie funktionierte. »Das wird dich zu deinem neuen Quartier geleiten.«

Thea blinzelte überrascht, fing sich jedoch schnell wieder. »Danke.«

Sie schwankte leicht. Die Anrufung der mächtigen Magie hatte sie erschöpft. Mein Instinkt gewann die Oberhand, und ich vergaß die Krone und ihren neuen Status. Ich wollte mich jetzt nur noch um meine Gefährtin kümmern, alles andere interessierte mich nicht. Ich nahm sie auf die Arme und trug sie dem Lichtball hinterher, der uns tiefer in den Palast führte.

Thea schlang ihren Arm um meinen Hals und kuschelte sich an mich. »Wohin gehen wir?«

»Irgendwohin, wo man abschließen kann«, versprach ich ihr. »Und wo es ein Bad gibt.« Ich musste sie aus diesen blutgetränkten Klamotten herausholen. Mein Schwanz zuckte und meldete sein Interesse an.

Ich ignorierte es, bis sie sagte: »Und ein Bett?«

»Wie Ihr wünscht, Eure Majestät«, versprach ich.

Thea streckte mir die Zunge heraus, und in mir bäumte sich etwas Animalisches auf. »Das ist der Plan.«

Sie hielt inne, holte zitternd Luft, und als unsere Blicke sich begegneten, leuchteten ihre Augen vor Verlangen. »Hör auf zu reden und bring mich ins Bett.«

1 THEA

»Hier muss es sein.« Julian nickte in die Richtung der Tür, vor der der Lichtball wartend schwebte, und griff nach dem Türknauf. Sofort erlosch die magische Kugel, ihre Mission war erfüllt.

Ich starrte auf die Stelle, wo sie geschwebt hatte. »Ein Zauber?«

Er nickte. Er hielt die Hand an der Tür, öffnete sie aber nicht, als ob er auch noch nicht ganz begriffen hatte, was gerade geschehen war.

Die Tür war aus dicken Eichenbohlen gefertigt und mindestens drei Meter hoch. Abgesehen von ihrer beeindruckenden Größe war sie nicht das, was ich von einem Ort mit Thronen, magischen Lichtkugeln und Königinnen erwartet hatte.

Mir wurde ganz flau im Magen – schon beim Gedanken an die Königinnen war mir, als würde ich von innen nach außen gestülpt. Je weiter wir uns vom Thronsaal und allem, was geschehen war, entfernten, desto unwohler fühlte ich mich.

Magie.

Die Magie war erwacht. Sie war nicht mehr verflucht. Sie schlief nicht mehr in unseren Adern. Ich spürte sie nicht wie zuvor nur bei seltenen, gestohlenen Berührungen. Sie hatte sich verändert – aber inwieweit? Ging es nur um kleine Partytricks wie schwebende Nachtlichte, oder waren größere Überraschungen zu erwarten? Und warum war ich auserwählt worden? Warum wollte mich der Thron zur Königin salben?

Ich schob meine Sorgen beiseite, konzentrierte mich auf diesen Moment und den Mann, der vor mir stand, und schlang meinen Arm noch fester um seinen Hals.

Ich wollte mir jetzt keine Gedanken darüber machen – nicht, wenn meine Haut seine berührte, nicht, nachdem ich eine zweite Chance bekommen hatte. Aber die Wahrheit war, dass ich von Minute zu Minute müder wurde. Julians Auferstehung schien ihn gestärkt zu haben, aber mich hatte das alles erschöpft.

»Worauf wartest du noch?«, schnurrte ich und kämpfte gegen die Erschöpfung an, der ich nicht nachgeben wollte, bevor ich genug von ihm hatte.

»Es ist nur …«, er brach ab und schüttelte den Kopf. »Schon gut. Das kann warten.«

Bevor ich nachhaken konnte, schwang er die Tür auf und trug mich hinein. Wegen der Schlichtheit der Tür war ich nicht auf das vorbereitet, was wir drinnen vorfanden. Das Vestibül, in dem wir standen, war riesengroß und luxuriös. Im Gegensatz zur kalten Eleganz der steinernen Mauern des restlichen Hofes waren diese Wände verputzt. Auf Fresken waren die Bewegungen von Sonne und Mond dargestellt. Als wir eintraten, ging die Sonne an der Wand auf, und ihr Licht fiel auf Pflanzen und Tiere. Vögel flogen im gemalten Himmel und stiegen zur Mittagszeit auf. Im weiteren Verlauf des Wandgemäldes senkte sich die Sonne und traf in der Dämmerung auf die Sterne.

Der Korridor führte in einen Raum, den die Nacht völlig verschluckt hatte. Die Wände waren in dunklen Blautönen gestrichen, die an der Decke fast in Schwarz übergingen, und überall in der Dunkelheit waren Sterne zu sehen, die zu glitzern schienen, wenn wir uns bewegten. Ich hatte keine Ahnung, ob es sich um den Lichttrick eines geschickten Künstlers oder um Magie handelte, aber ich war total sprachlos, als ich das alles auf mich wirken ließ.

Doppelkugeln hingen wie Vollmonde von der Decke und tauchten den ganzen Raum in einen warmen Schein. Im Kamin war ein Feuer entfacht worden, dessen rauchiger Duft uns willkommen hieß. Auf beiden Seiten des steinernen Kamins standen tiefe Samtsofas mit juwelenfarbenen Kissen um eine Marmorplatte herum. Jemand hatte eine Flasche Wein und zwei Gläser für uns auf den Tisch gestellt, geradezu als ob man uns erwartet hätte. Einen Moment lang fragte ich mich, ob der Raum für Sabine vorbereitet worden war – Sabine, die damit gerechnet hatte, den Thron zu besteigen und die Krone zu tragen. Sabine, die sich wahrscheinlich an mir rächen wollte. Ich würde mich mit ihr befassen müssen. Später. Jetzt konzentrierte ich mich erst einmal auf Julians Umgebung.

Die drei Meter hohen Fenster wurden von schwarzen Vorhängen verhüllt, die auf der einen Seite mit einer strahlenden Sonne und auf der anderen mit einer silbernen Sichel verziert waren. Draußen vor den Fenstern glitzerte der Nachthimmel auf der Oberfläche eines Kanals. Das Wasser schimmerte im Mondlicht, sein kräuselnder Tanz rief mich zu sich.

»Ist das der Rio Oscuro?«

Julian nickte, als er mich auf den Boden stellte. Seine Hand wanderte an meinen Rücken. »Die Quelle aller Magie.«

»Aller Magie?«, wiederholte ich und begann zu verstehen. Dies war nicht nur ein weiterer magischer Knotenpunkt wie in Paris oder Griechenland. »Ist das der Grund …« Aber ich war mir nicht sicher, was ich fragen wollte. Ist das der Grund, warum wir hier sind? Heute Abend? Ist das der Grund, warum der Hof immer noch an diesem Ort existiert? War es ein Zufall, dass mein Vater mit der Entführung gewartet hat, bis wir in Venedig waren?

»Deshalb leben wir«, sagte er mit fester Stimme. Ich blickte auf, sah, wie sich sein Gesicht verfinsterte, und verstand, was er nicht ausgesprochen hatte. Es war auch der Grund, warum wir überhaupt gestorben waren. Es konnte kein Zufall sein, dass wir hierhergelockt worden waren – dass das Mordicum diesen Ort erwählt hatte. Dass Willem hierhergekommen war, um mich zu suchen. Und jetzt war ich genauso an die Magie gebunden, die vor dem Fenster strömte, wie an meinen eigenen Körper.

Die Krone auf meinem Kopf fühlte sich schwer an. Meine Glieder schmerzten, als ob die Magie, die ich vorhin heraufbeschworen hatte, meinen Körper verlassen und versuchen wollte, den Weg nach Hause – zum Wasser draußen – zu finden. Ich schwankte, und Julian stützte mich mit einer Hand ab.

»Hast du Hunger?«, fragte er.

Mein Magen knurrte als Antwort, aber ich schluckte, als die Erinnerungen auftauchten. Sie waren verschwommen, getrübt durch den Zauber, den Willem während meiner Gefangenschaft über mich gelegt hatte. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte, und soweit ich mich erinnerte …

Ich nickte und fügte im Flüsterton hinzu: »Ich habe heute Morgen Blut getrunken.«

Einen Herzschlag lang herrschte Schweigen zwischen uns. Ich sah Julian in die Augen und wartete auf seine Gedanken zu diesem Geständnis. Denn nichts anderes war es: ein Geständnis. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich unter Willems Kontrolle gestanden und wie lange ich mich von Blut ernährt hatte, während er versucht hatte, meine Vampirgene zu manipulieren.

Schließlich entledigte sich Julian seiner ruinierten Smokingjacke und begann, seinen Ärmel hochzukrempeln.

»Was tust du da?«, brach es aus mir hervor.

»Du musst Blut trinken«, sagte er leise und streckte sein Handgelenk aus. »Was auch immer da draußen passiert ist, es ist offensichtlich, dass du Kraft brauchst.«

Ich schüttelte den Kopf, mir stiegen Tränen in die Augen. »Das solltest du nicht tun … nicht nachdem …«

»Ich fühle mich fantastisch«, unterbrach er mich. »Ich fühle mich geradezu, als würde der Rio Oscuro durch meine Adern fließen.«

Aber es ging nicht nur um ihn, und das wussten wir beide. »Ich will kein Monstrum sein«, sagte ich, und meine Stimme brach.

»Du wirst nie ein Monstrum sein«, zischte er. »Die Krone hätte niemanden erwählt, der leicht zu verderben ist.«

Seine Worte riefen mir das Gewicht der Krone ins Gedächtnis. Ich riss sie mir vom Kopf und warf sie auf eines der Samtsofas.

Julian hob sie auf und trug sie zum Kaminsims. Er hielt sie einen kurzen Moment. »Thea, du trägst die Krone, und du entscheidest, wann du das tun willst.«

Ich wünschte, es wäre so einfach, aber etwas sagte mir, dass es das nicht war. Trotzdem wusste ich, was er meinte. »Ich will sie jetzt nicht tragen.« Er legte sie auf den Kaminsims und stellte sich davor. Ich war jetzt keine Königin mehr. Nicht, wenn wir beide allein waren. Nicht nach allem, was geschehen war. Es gab nur eines, was ich sein wollte: seine Gefährtin, in seinen Armen.

Er kam auf mich zu und hob sein Handgelenk, woraufhin ich ihm meinen Arm entgegenstreckte. Keiner von uns beiden sagte etwas, als wir das Angebot des anderen annahmen. Doch als meine Reißzähne in seine Vene eindrangen und Blut herausquoll, entrang sich ihm ein Stöhnen.

Ich erinnerte mich kaum noch an meine Zeit mit Willem. Aber ich wusste, dass das Blut, das ich dort gekostet hatte, niemals mit dem süßen Geschmack meines Freundes auf meiner Zunge zu vergleichen war.

Seine Augen verdunkelten sich völlig, aber sein Blick blieb auf mich gerichtet, während er langsam einen Schluck nach dem anderen trank. Er hatte es nicht eilig, obwohl ich sein Verlangen spürte. Vielleicht fürchtete er, dass ich noch nicht bereit war oder zu schwach – aber nach allem, was wir durchgemacht hatten, war das hier genau das, was ich brauchte. Sein Körper, sein Leben, stärkte mich. Magie floss durch seine Adern, vielleicht eine Nachwirkung seiner Auferstehung. Ich schmeckte Noten von Honig, und als sein Blut mich erfüllte, schienen Lichtströme unter meiner Haut zu pulsieren, bis ich das Gefühl hatte, so voller Magie wie das Wasser da draußen zu sein.

Als Julian schließlich von meinem Handgelenk abließ, hauchte er mir einen Kuss auf die Wunde. Meine Blicke verfolgten die Bewegung, mein Körper erinnerte sich daran, wie es sich anfühlte, seine Lippen an anderen Stellen meiner Haut zu haben.

»Hast du Blut getrunken, während …?« Ich beendete meine Frage nicht, aber Julian senkte verschämt den Kopf, und ich hatte meine Antwort. Ich legte eine Hand auf sein Herz – auf den blutigen Fleck im Hemd, wo es durchstochen worden war. Ein Schauer durchfuhr mich, und ich zwang mich zu einem knappen Lächeln. »Da bin ich froh. Ich hätte nicht gewollt, dass du nichts bekommst.«

Aber etwas anderes ließ ihn den Kopf senken – etwas Schwerwiegenderes, und ich fragte mich, welche Schuld ihn belastete.

»Es gibt keine Grenze, die ich nicht überschreiten würde – keine Grenze, die ich nicht überschritten habe«, stellte er mit rauer Stimme klar, was mir eine neue Welle von Schauern über den Rücken jagte. »Und ich werde mich nicht entschuldigen.«

»Das verlange ich auch nicht von dir.« Eines Tages würden wir uns gemeinsam den Erinnerungen an die Dunkelheit stellen. Wir waren beide gezwungen worden, Dinge zu tun, die sich falsch anfühlten. Aber in diesem Moment war ich nicht bereit, ihm auch nur das Geringste von meiner Schuld zu offenbaren.

»Du siehst echt fertig aus«, flüsterte ich ihm zu.

Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. »Ich habe schlechte Nachrichten für dich«, sagte er. »Du siehst noch schlimmer aus.«

»Vielleicht sollten wir etwas dagegen tun.«

Er sagte kein weiteres Wort, nahm einfach nur meine Hand und führte mich aus dem Wohnzimmer in das angrenzende Schlafzimmer, in dessen Mitte ein Kingsize-Bett mit einem kunstvoll geschnitzten Kopfteil stand, bedeckt mit so vielen weißen Kissen, dass ich das Gefühl hatte, zwischen Wolken zu wandeln. Ihre fluffige Weichheit bildete einen deutlichen Kontrast zu den tintenblauen Wänden. Es gab keine Sterne, die diese Dunkelheit unterbrachen. Sie verzehrte den Raum um mich herum und verlockte dazu, in das sternenlose Meer abzutauchen. Aber über dem großen Bett hing ein Halbmond, der in einem seltsamen Winkel nach oben zeigte und an dessen beiden spitzen Enden ein paar Sterne zu sehen waren. Ich sah ihn einen Moment lang an, bevor ich das Kopfteil darunter genauer betrachtete. Was sich am Rahmen entlangschlängelte, waren keine Ranken, sondern Schlangen, umeinandergewickelt und die Schwänze der Artgenossen im Maul. Nur eine Schlange stieg empor, ihr Kopf war ausgestreckt und ihr Maul aufgerichtet, als ob sie darauf wartete, den seltsamen Mond zu verschlingen.

»Es sieht aus wie der Thron«, sagte ich zu Julian, und er nickte. »Dein Sitz beruht auf der Magie der Veränderung – der Transformation. Er ändert sich mit dem Mond.«

Ich hob eine Augenbraue. »Das klingt kompliziert.«

»Das ist Magie immer.« Er führte mich am Bett vorbei in das angrenzende Badezimmer, in dessen Mitte eine runde Wanne stand, die so groß war, dass wir beide hineinpassten. Ein langer Wasserhahn ragte aus dem Boden und wölbte sich über den Rand. Ein Abfluss in der Ecke des Raumes erregte meine Aufmerksamkeit, und ich entdeckte zwei Duschköpfe darüber. An der gegenüberliegenden Wand befanden sich zwei Waschbecken, die anscheinend aus Mondstein gehauen waren, und ich vermutete, dass die andere Tür zu einer Toilette führte. Julian schaute zwischen der Dusche und der Wanne hin und her und dann wieder zu mir.

»Duschen«, sagte ich. Sein Blut hatte mich wiederbelebt, aber ich traute mir nicht zu, in dieser Badewanne nicht einzuschlafen – und Schlaf war das Letzte, was ich im Sinn hatte, zumal Julian begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Ich genoss den Anblick, als er es sich schließlich von den Schultern streifte. Das Erste, was mir auffiel, war mein Verlobungsring, der an einer Kette um seinen Hals hing. Doch als er das Hemd ganz auszog, blieb mein Blick an einem Zeichen auf seiner Brust über seinem Herzen hängen, das wie eine Tätowierung aussah.

»Was ist das?« Irgendwie ahnte ich es bereits – und war entsetzt.

Er blickte nach unten und legte die Stirn in Falten, als er die Schlange mit der Mondsichel im Maul betrachtete, die sich dort wand. »Das war Ginervas Symbol«, sagte er und grinste ein wenig. »Jetzt ist es deins. Anscheinend hast du bei mir deine Spuren hinterlassen.«

»Die Bindung«, murmelte ich, als ich begriff, was es war. »Sie sagten, dass ich mein Leben an deines binden muss. Ich wusste nicht, dass sie es wörtlich meinten.«

»Was hast du getan?« Jeder Anflug von Belustigung war verschwunden.

»Mein Leben – ich habe es hergegeben, um deines zu retten.« Ich biss mir auf die Lippe und spürte seinen durchdringenden, prüfenden Blick. »Dein Leben ist jetzt mit meinem verbunden. Es war die einzige Möglichkeit.« Ich wartete auf eine Antwort von ihm, aber er stand nur da. »Macht es dir etwas aus?«

Nach einem Moment des Schweigens, der ewig zu dauern schien, räusperte er sich. Seine Stimme klang ehrfürchtig, als er antwortete. »Ob es mir etwas ausmacht?«, wiederholte er. »Ich fühle mich geehrt, aber ich will nicht, dass du dieses Opfer für mich bringst. Ich will, dass du lebst.«

»Wie könnte ich ohne mein Herz leben?«, flüsterte ich. »Könntest du das etwa?«

Es folgte ein weiterer Moment der Stille, dann kam er zu mir. Als er bei mir war, legte er seine Hände um mein Gesicht. »Ich werde keinen Tag mehr ohne dich leben«, schwor er. »Ich bin kein perfekter Mann. Ich habe Fehler begangen.« Das Grinsen kehrte zurück, und ich entspannte mich, als er hinzufügte: »Es könnten sogar noch mehr werden.«

Könnten? Ich verdrehte die Augen, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen.

»Aber ich werde mich ihnen zusammen mit dir stellen«, sagte er. »Keine Geheimnisse zwischen uns. Du hast es nicht nötig, dass ich dich vor der Wahrheit schütze.«

Ich holte tief Luft, als mir die volle Bedeutung seiner Worte klar wurde. Er hatte mir Dinge verheimlicht, und ich hatte dasselbe getan. Wir hatten beide geglaubt, dass wir den anderen beschützten. Stattdessen wurden wir auseinandergerissen. Das war ein Risiko, das ich nicht mehr eingehen wollte.

»Keine Geheimnisse«, versprach ich. Aber wenn es keine Geheimnisse mehr geben sollte, musste ich ihm auch dies offenbaren: »Mein Vater ist ein Vampir.«

Sein Blick wurde so hart wie Saphir. »Ich weiß.«

»Dann weißt du, was ich werden könnte. Was ich vielleicht schon bin.« Entsetzen wallte in mir auf, als ich mir die Angst eingestand, die ich kaum noch unterdrücken konnte, seit ich mich auf dem Thron wiedergefunden hatte.

»Das ist mir egal.« Er wischte mir mit seinem rauen Daumen eine Träne von der Wange.

»Das sollte dir aber nicht egal sein. Was, wenn …« Ein erstickter Schluchzer unterbrach meine Worte, aber er schüttelte den Kopf.

»Ich liebe dich. Es ist mir egal, welches Blut in deinen Adern fließt. Es ist mir egal, wie mächtig deine Magie ist oder wie mächtig du durch sie wirst. Ich liebe dich – alles an dir. Die Macht und die Schwäche, den Menschen und die Kreatur. Daran wird nichts etwas ändern.«

»Was, wenn ich mich ändere?« Ich zwang mich, das zu fragen, obwohl mein Herz pochte.

»Wenn du dich änderst, werde ich dich nur noch mehr lieben, so wie sowieso schon mit jeder Minute, die vergeht«, murmelte er. Er hielt inne, dann lächelte er: »Darf ich dich jetzt aus diesen verdammten Klamotten herausholen?«

Ich nickte unter Tränen. Er ging zur Dusche und drehte das Wasser auf, bevor er sich wieder zu mir umdrehte. Mein Atem stockte, als er um mich herum ging und den Reißverschluss meines Kleides langsam herunterzog – so langsam, dass ich seinen bewundernden Blick auf meiner nackten Haut spürte. Erwartung durchströmte mich und sammelte sich in meinem Inneren, bis ich dahinschmolz. Seine langen Finger glitten unter die Träger und ließen das Kleid von meinen Schultern zu meinen Füßen gleiten.

Das Kleid war für einen BH zu tief ausgeschnitten gewesen, und so stand ich nur mit einem Stückchen Spitze, das als Höschen getarnt war, in Stay-ups und meinen High Heels vor ihm. Julian kniete sich hin, sein Mund streifte dabei an meiner Wirbelsäule entlang, und er hakte seine Daumen um das Gummiband an meiner Taille. Er nahm sich Zeit, mir den Slip herunterzustreifen, und ließ seinen Mund seine Spur erkunden. Jedes Züngeln seiner Zunge, jede Liebkosung seiner Lippen zog mich fester zusammen, bis ich schon glaubte, unter der Spannung zu explodieren.

Er zog mir die Pumps aus, dann die Strümpfe, fasste schließlich meine Hüften und drängte mich, mich ihm zuzuwenden. Ich schloss die Augen, mein ganzes Wesen konzentrierte sich auf die Stellen, an denen mich seine Fingerspitzen berührten. Als sein Griff fester wurde, spürte ich, wie etwas in der Luft zwischen uns knisterte. Ich öffnete die Augen und sah, wie er auf meine Brust starrte – auf das Blut, das dort getrocknet war. Das Blut, das ich vergossen hatte, als ich mit ihm starb. Als er schließlich zu mir aufsah, blickten seine blauen Augen gequält.

Er ließ mich los und griff hinter seinen Hals, um die Kette zu lösen, die er trug. Dann legte er den Smaragdring ab und nahm meine Hand. Keiner von uns beiden sagte etwas, als er ihn mir auf den Finger steckte, aber ich schwor mir im Stillen, ihn nie wieder abzulegen. Seine Handfläche legte sich an meine, und er verschränkte unsere Finger. Energie knisterte zwischen uns – ein Beweis für die neue Magie, die wir in uns trugen –, aber er zog sich nicht zurück und ich auch nicht. Und als Julian seinen Kopf auf meine Brust senkte, wusste ich, dass er meinen Herzschlägen lauschte, selbst dann noch, als die Magie zwischen uns aufflammte und Funken schlug.

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so dastanden und uns aneinander erfreuten. Ich wollte, dass es nie enden möge. Schließlich stand er auf und hob mich in seine Arme. Er trug mich in die Dusche. Dampf umwaberte mich, als er mich auf die Beine stellte und nach der Seife griff. Er schäumte sie zwischen seinen Handflächen ein und begann, mich zu waschen. Seine Berührung war so zart, dass ich kaum atmen konnte. Als er zwischen meinen Brüsten ankam, wurde er langsamer, und seine Augen verengten sich beim Anblick des rot gefärbten Wassers.

Er spannte einen Moment lang den Kiefer an, bevor er mich mit einem glühenden Blick ansah. »Du hättest nicht …«

»Ich bereue es nicht«, sagte ich mit Entschiedenheit, »und ich würde es wieder tun.«

Sein Lächeln, das er mir zur Antwort schenkte, war voll von traurigem Verständnis. »Du bist mein Gefährte«, flüsterte ich unter Tränen.

Julian knurrte, und ein animalisches Begehren verzerrte seine Züge. Mit einer raschen Bewegung riss er mich in seine Arme. Er hielt sich nicht damit auf, ein Handtuch zu holen, sondern trug mich ins Nebenzimmer. Er legte mich auf das Bett, aber er kam nicht zu mir.

»Ich habe dir vorhin gesagt, dass ich der Erste sein werde, der vor dir kniet. Ich biete dir meine Gefolgschaft an, meine Königin.« Er sagte es lächelnd, und doch verzog ich das Gesicht. »Aber du bist meine Königin. Das warst du schon immer. Nur muss ich dich jetzt leider mit anderen teilen.«

»Wirst du das tun?«, fragte ich schüchtern.

»Solange ich der Einzige bin, der das hier tun darf.« Seine heisere Stimme schickte einen Blitz der Lust durch mich. Er kniete sich vor das Bett, zwischen meine aufgestellten Beine. Seine Hände sandten Wellen von Magie über meine empfindlichen Schenkel, als er sie auseinanderdrückte. Ich hörte auf zu atmen, als er seinen Kopf dazwischen senkte und seine Hände mich weit spreizten. Ein heißer Zungenschlag brachte mich dazu, mich aufzubäumen. Er kicherte verrucht, als er mich mit einer Hand auf die Matratze drückte.

Diesmal ließ er sich Zeit, als er seine Zunge den ganzen Weg hinunterzog. Blitze durchzuckten mich, und ich spreizte die Finger und krallte mich in das Laken, während er mich mit langsamen, genüsslichen Berührungen verwöhnte. Er wurde nur langsamer, um die Lust zu umkreisen, die in meinem empfindlichsten Punkt pulsierte. Doch obwohl ich immer heißer, heißer und heißer wurde, erinnerte mich jeder Schauer der Lust nur an mein inneres Unausgefülltsein.