Shake it, Baby! - Lotte Römer - E-Book
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Lotte Römer

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Beschreibung

Langzeit-Single Jenny kann es kaum fassen: Sie hat eine Reise auf die Seychellen gewonnen, eine Reise, die sie sich als einfache Hutdesignerin niemals hätte leisten können. Auf der Trauminsel Desroches lernt sie ihren absoluten Traummann Max kennen und sie verleben im tropischen Paradies herrliche Tage miteinander. Kein Wunder, dass Jenny todunglücklich ist, als Max sie schließlich ohne Vorwarnung verlässt. War Jenny nur ein Flirt für ihn? Oder haben Max am Ende doch ihre überflüssigen Pfunde gestört? Zurück in London macht Jenny dann eine unfassbare Entdeckung: Maxwell ist der britische Thronfolger und damit für immer unerreichbar …

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SHAKE IT, BABY! KRONE, KUSS UND KOKOSNUSS

LOTTE RÖMER

INHALT

Kurzbeschreibung

Anmerkung

1. Fünfzehn Kilo Übergewicht - Jenny

2. Anmer Hall - Maxwell

3. „Der Hut steht Ihnen gut“ – Jenny

4. Wenn in Ascot die Pferde rennen – Maxwell

5. Hier kriegen Sie Ihr Fett weg – Jenny

6. Inkognito Island – Jenny

7. Tief im Meer – Maxwell

8. „Er ist so toll!“ - Jenny

9. Kerzenlicht und Korkenknallen – Maxwell

10. Wer hat die Kokosnuss geklaut? - Jenny

11. Erwischt! - Maxwell

12. Einsam Bahnen ziehen – Jenny

13. Home, unsweet Home – Maxwell

14. Positive Energie – Jenny

15. Verlobt ohne verliebt – Maxwell

16. Zwei Striche – Jenny

17. Nicht so frohe Weihnachten – Maxwell

18. Gegen den Willen – Jenny

19. Eine Chance auf mehr – Maxwell

20. Alles tut weh – Jenny

21. Ein Anruf – Maxwell

22. Große Neuigkeiten – Jenny

23. „Telefon, Sir!“ – Maxwell

24. Nicht im Park – Jenny

25. „Verlobt? Prinz Maxwell im Glück!!!“

KURZBESCHREIBUNG

Langzeit-Single Jenny kann es kaum fassen: Sie hat eine Reise auf die Seychellen gewonnen, eine Reise, die sie sich als einfache Hutdesignerin niemals hätte leisten können.

Auf der Trauminsel Desroches lernt sie ihren absoluten Traummann Max kennen und sie verleben im tropischen Paradies herrliche Tage miteinander.

Kein Wunder, dass Jenny todunglücklich ist, als Max sie schließlich ohne Vorwarnung verlässt. War Jenny nur ein Flirt für ihn? Oder haben Max am Ende doch ihre überflüssigen Pfunde gestört?

Zurück in London macht Jenny dann eine unfassbare Entdeckung: Maxwell ist der britische Thronfolger und damit für immer unerreichbar …

ANMERKUNG

Alle Personen in diesem Buch sind frei erfundene Charaktere, die es in der Realität nicht gibt. Natürlich gibt es die Diätfanatischen, die Fastenbegeisterten und die Shaketrinkerinnen. Aber Clever Fit Kate ist mir nie „persönlich“ auf Facebook oder in der realen Welt begegnet.

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um allen zu danken, die sich die Zeit für dieses Buch nehmen und auch bei denen, die mir bei der Entstehung immer so tatkräftig zur Seite stehen. Ihr wisst, wer ihr seid ☺.

Zum Schluss noch ein kurzer Hinweis: Es gibt mich bei Facebook und Instagram, besucht mich gerne!

Verantwortlich für die Inhalte ist die Autorin

Covergestaltung:

Sarah Buhr: www.Covermanufaktur.de

Bilder: www.shutterstock.com

Bildmaterial von AS Inc; Brian A

Copyright Text: @ Lotte Römer 2017

Alle Rechte vorbehalten

Kontakt:

Lotte Römer / Edith Senkel

Lärchenstr. 15

83233 Bernau

Erstellt mit Vellum

1

FÜNFZEHN KILO ÜBERGEWICHT - JENNY

„Oh mein Gott!“ Jenny starrte hinunter auf die Ziffernanzeige ihrer Waage. Sie hatte schon wieder zu viel gegessen, und das nicht erst seit gestern, sondern seit Tagen. Zwei Kilo mehr entstanden schließlich nicht über Nacht. Jenny hatte heute außerdem noch nichts getrunken und auch am Vorabend eher hausgehalten – ihr Abendbrot war ein Sandwich mit gegrilltem Käse gewesen. Zugegeben, das ging gesünder, aber mengenmäßig waren die zwei Toastscheiben nun nicht gerade die Welt. Dennoch: die rot leuchtende Zahl auf der Waage war sehr eindeutig. Außer ... aber nein, natürlich war die Waage nicht kaputt. #da machte sie sich keine Illusionen. Jenny seufzte. Sie ging zurück ins Schlafzimmer und machte ihren Kleiderschrank auf. Den Blick in den Spiegel auf ihren nackten Wanst vermied sie bewusst.

Ihre letzte Diät war so eine Obst-Diät gewesen. Man durfte so viele Früchte essen, wie man wollte. Allerdings hatte Jenny schnell einen Hang zu Bananen und Avocados entwickelt. Vermutlich war das auch nicht im Sinne der Diäterfinder. Außerdem hatte sie trotz dieser fabulösen Früchte nach kürzester Zeit kapituliert und war zu Schokolade und Chips zurückgekehrt.

Kein Wunder, dass ihre Hosen zwickten. An Silvester hatte sie sich noch vorgenommen, in diesem Jahr abzunehmen. Zwölf Kilo, das war ihr Ziel gewesen. Dann hätte sie Idealgewicht. Aber ihre guten Vorsätze hatten sich an Ostern mit den Hot Cross Buns von Bread Ahead sozusagen in Luft aufgelöst. Es gab das traditionelle Ostergebäck dort jetzt mit Vanillepuddingfüllung! Das musste man sich mal vorstellen! Derartigen Mächten hatte Jenny keinen Willen entgegenzusetzen. Sie hatte insgesamt drei Kilo abgenommen zwischen Neujahrsvorsatz und Ostersonntagsfrühstück mit Tante Kelly. Eigentlich war das gar nicht so schlecht. Aber jetzt war gerade Pfingsten, und die drei Kilo zurück zu fressen war eindeutig viel leichter gegangen, als sie sich davor weg zu hungern.

Jenny zog eine Hose mit Gummibund aus dem Schrank, eine dieser weiten Stoffhosen, und nahm dazu ein eher enges T-Shirt heraus, das die Brüste betonte. Ein guter Ausschnitt als Blickfang und eine weite Hose, die die Hüften kaschierte – das war doch ein guter Kompromiss? Als Jenny vollständig bekleidet war, drehte sie sich um und warf einen Blick in den Spiegel. Naja. Schöne Proportionen gingen anders. Sie musste sich echt wieder zusammenreißen!

Jenny dachte an die Cinnamon Roll, die sie gestern in weiser Voraussicht für das heutige Frühstück gekauft hatte, und ihr Magen knurrte energisch. Der schien sich wirklich nicht im Ansatz um die drei Kilo mehr zu scheren. Jenny seufzte. Nun war die Zimtschnecke schon mal im Haus – verderben lassen musste sie sie ja nicht. Und vermutlich kam es ohnehin nicht auf einen Tag mehr oder weniger an, wenn sie es sich recht überlegte.

„Jenny? Frühstückst du mit mir?“, rief Tante Kelly die Treppe herauf.

„Ich komme!“ Jenny strich sich die Haare aus dem Gesicht und band sich einen schnellen Pferdeschwanz. Dazu ein extravaganter Hut in Form eines kleinen Blümchens. Das würde gut für die Arbeit passen.

Ein letzter Blick in den Spiegel, eine Strähne aus dem dunklen, langen Haar gezupft, und schon war sie aus der Tür ihres Zimmers und lief die Treppe hinunter.

„Guten Morgen, Tante Kelly.“

„Jenny-Schatz.“ Die Tante schenkte ihrer Nichte das so typische, strahlende Lächeln und einen langen Blick. „Hast du schon wieder abgenommen?“

„I wish.“ Jenny verdrehte die Augen. „Aber eher das Gegenteil ist der Fall.“

„Ehrlich? Du siehst heute Morgen ganz zauberhaft aus.“ Tante Kelly, die gnadenlose Optimistin mit den fünfzig Kilo Übergewicht, die sich aufgrund ihrer Erscheinung in weite, kaftanartige Kleider hüllte, reichte Jenny ihre Kaffeetasse und dazu die Zimtrolle, die unerhört köstlich duftete und Jennys Magen zu weiteren Jubelschreien anstachelte.

„Ach, Tante.“

„Nix da, ‚Ach, Tante‘. So lang du nicht aussiehst wie ich.“ Tante Kelly kicherte, denn eigentlich war ihr völlig egal, wie sie aussah. Wer sie nicht so nahm, wie sie war, hatte eben gelitten, so einfach war das. Die Mittfünfzigerin hatte sich seit Jahren damit abgefunden, dass sie übergewichtig war, und lebte mit ihrer Fettleibigkeit genauso zufrieden wie mit ihren grünen Augen. Jenny wünschte, sie hätte so ein Selbstvertrauen gehabt, aber – nun, bei ihr sah das ganz anders aus, besonders, weil Joyce, ihre Arbeitskollegin im Hutladen und Freundin, aussah wie ein Fitnessmodel.

Wieder seufzte Jenny, denn neben Joyce würde sie sich heute den ganzen Tag wieder fühlen wie ein Elefant im Porzellanladen – oder besser gesagt im Hutgeschäft. Sie trank einen Schluck Kaffee und knabberte an ihrer Cinnamon Roll. Das Backwerk war so köstlich, dass sie Joyce für den Augenblick vergaß.

Tante Kelly, die Jenny gegenübersaß, hatte sich ohne weitere Worte ihrem dicken Schmöker zugewandt. Sie verbrachte quasi ihre gesamte Freizeit lesend und die Wohnung glich mehr einer Bibliothek als einem typischen Londoner Two-Bedroom-Apartment. Selbst im WC gab es ein schmales Bücherregal an der rechten Wand und ein einzelnes Regalbrett über dem Waschbecken, wo es in anderen Familien einen Spiegel gab. Jenny verstand die Leidenschaft ihrer Tante durchaus, allerdings konnte sie nicht ganz nachvollziehen, warum es Kelly nicht möglich war, sich wenigstens hin und wieder von einem ihrer Bücher zu trennen. Stattdessen erfand Kelly immer wieder neue kreative Staumöglichkeiten, die den Wohnraum immer mehr einschränkten. Einzig Jennys Zimmer war vor Kellys Büchersammelleidenschaft sicher – und das nur, weil die ihr Schlafzimmer absperrte, wenn sie das Haus verließ. Nicht, dass Jenny Bücher nicht mochte, das Gegenteil war der Fall. Aber in der heutigen Zeit, wo E-Reader das Leben einer Leseratte so merklich erleichterten, sah sie keine Notwendigkeit mehr zu horten.

„Kelly?“, versuchte Jenny jetzt, nochmal mit ihrer Tante ins Gespräch zu kommen. Doch es kam keine Reaktion, was mit Sicherheit dafür sprach, dass die Tante sich gerade durch eine besonders spannende Stelle ihres dicken historischen Liebesromans fraß. Jenny nahm einen Schluck heißen Kaffees und genoss die Bitternis, die sich in ihrem Mund ausbreitete.

Neben ihrem Gedeck lag ihr aktuelles Kreuzworträtselheft. Ja, das war altmodisch. Jennys Kollegin Joyce lachte sie regelmäßig wegen ihrer Leidenschaft für Kreuzworträtsel, Lösungswörter und Sudokus aus. Aber Jenny beruhigten die Rätsel, regten ihr Denken an und –, wenn sie ehrlich war, hatte sie auch eine Schwäche für die Gewinnspiele, bei denen sie nie gewann. Aber es reizte sie, die Postkarten auszufüllen, ihr gefiel schlicht die Möglichkeit auf einen Gewinn schon so gut, dass die Teilnahme an all den Auslosungen ihr diebische Freude bereitete.

Sie griff zu einem Kugelschreiber und begann, ein Rätsel auszufüllen, bei dem man eine Familienpackung feinster Schokoladenkreationen gewinnen konnte. Jenny wusste, sie würde auch an diesem Rätsel teilnehmen, nur aus Prinzip, und obwohl das ganz und gar gegen ihre Mission war, den Speckröllchen zu Leibe zu rücken.

Morgen, gleich morgen, würde sie mit ihrer nächsten Diät anfangen. Ohne den Stift abzusetzen, füllte sie das Lösungswort in die dafür vorgesehenen Kästchen. Einfach, viel zu einfach.

Sie warf einen Blick auf ihr Handy, um die Uhrzeit zu checken. Gleichzeitig registrierte sie, dass Connor sich nicht gemeldet hatte. Vor vier Tagen waren er und sie miteinander bei einem Blind Date gewesen, das Joyce organisiert hatte. Vermutlich hatte die Frau, die Connor sich als Freundin von Joyce in der Theorie erfand, wenig mit der realen Jenny zu tun gehabt. Kein Wunder, dass er sich nicht mehr meldete. Aber der Abend war unterhaltsam gewesen, der Kinofilm durchaus eine Empfehlung wert, eine lockere Schnulze, deren Titel Jenny schon wieder vergessen hatte, und Connor ein Mann mit Charme, der ihr auf eine Art einen Kuss an die Wange gehaucht hatte, die herrlich sanfte, aber gefühlvolle Küsse erhoffen ließ.

Stattdessen hatte sie eine Nachricht von einer Freundin bekommen, eine Erinnerung an das gemeinsame Dinner in einem kleinen Rohkostrestaurant in der Lexington Street. Ihr Magen krampfte sich zusammen beim Gedanken an die wilden Salatkreationen, mit denen sie dort vorliebnehmen müsste. Sie seufzte leise.

Jenny verdunkelte das Display ihres Smartphones und blätterte eine Seite in ihrem Heft um. Ein Sudoku war zeitlich noch drin, bevor sie losmusste.

Henriette's Hats stand über dem Eingang des Hutgeschäfts, eine ganz einfache Schrift, ohne Schnörkel. Werbung oder Laufkundschaft war nicht das, was den Laden am Leben hielt. Es waren die einzigartigen Hutkreationen, die die Kundschaft, zahlungskräftige Damen der Londoner Gesellschaft, anlockten. Henriette, die Besitzerin, betrieb das Geschäft seit vierzig Jahren und war mittlerweile eine alte Dame geworden. Ihre Hüte jedoch hatten nichts von ihrem Schick und ihrer Eleganz verloren. Mit den Jahren war der Betrieb immer mehr geworden, und Henriette hatte Jenny als Lehrling eingestellt. Was für Jenny erst Zufall gewesen war, erwies sich sowohl als beruflicher als auch privater Glücksgriff. Hier konnte sie kreativ arbeiten und nicht nur war Henriette eine angenehme Chefin, die sich kollegial und verständnisvoll zeigte, sondern hier hatte Jenny auch Joyce kennengelernt, die den Ladenbereich betreute und ein wahres Verkaufsgenie war. Die beiden Frauen mochten sich von Anfang an und waren seit dem ersten gemeinsamen Arbeitstag befreundet. Und das trotz ihrer Unterschiede. Schnell war klar gewesen, dass Joyce zwar äußerlich ein Modepüppchen war, das Herz aber am rechten Fleck hatte.

Aktuell herrschte in der Hutwerkstatt Hochsaison.

Wie immer, wenn die Pferderennen in Ascot bevorstanden, rissen die Kundenströme in Henriette's Hats nicht ab, und Jenny hatte alle Hände voll zu tun, um dem Besucherstrom gerecht zu werden. Den Damen war keine Kreation zu teuer oder zu ausgefallen, und Henriette, die Besitzerin des Ladens, sowie auch Jenny, die hier ihre Ausbildung zur Hutmacherin absolviert hatte und nun schon seit Jahren hier arbeitete, kamen kaum hinterher. Joyce managte zwar das Geschäft, aber die Damen wünschten immer wieder, die Chefin oder die leitende Hutdesignerin, wie Jenny hochtrabend von Henriette bezeichnet wurde, zu sprechen und ihnen ihre Ideen persönlich darzulegen.

Jenny hatte sich sofort an die Arbeit gemacht und eine ganze Reihe Pfauenfedern kunstvoll um eine Hutkreation geschlungen, die für die Frau eines leitenden Bankmanagers bestellt worden war. Die Dame war selbst nicht erschienen, sondern hatte ihre Wünsche schriftlich mitgeteilt. Jenny würde den fertigen Hut später via Express schicken lassen – und vorher ein Foto per Mail senden, um sich zu versichern, dass die noble Kopfbedeckung auch den Vorstellungen der Dame entsprach. Solche Aufträge waren immer doppelt delikat, aber mit den Jahren hatte Jenny sich an derartige Procedere gewöhnt.

„Oh – mein – Gott!“ Joyce kam nach hinten in den kleinen Werkstattraum. Sie fuchtelte wie wild mit den Armen in der Luft herum. „Du hast ja keine Ahnung, wer gerade angerufen hat.“

Joyce lief im Raum auf und ab, noch immer völlig außer sich.

„Hm?“ Jenny kannte das schon. Jedes noch so kleine Sternchen der Klatschpresse war für Joyce eine mittlere Sensation. Insgeheim dachte Jenny, dass Joyce ausschließlich wegen der Celebrities hier arbeitete, nicht wegen ihrer eigentlichen Tätigkeit als Verkäuferin. Joyce wusste wirklich alles über die B- und C-Prominenz Londons, vermutlich sogar weit über Londons Grenzen hinaus. Da Jenny da wenig Interesse hatte, war es einzig ihre Freundin, der sie verdankte zu wissen, dass der Frau des Bankers, deren Pfauenhut sie gerade gestaltete, aktuell eine Affäre mit einem der mageren Jockeys angedichtet wurde, die in Ascot an den Start gehen würden.

„Ich kann es gar nicht fassen, es ist einfach Wahnsinn!“ Die Stimme von Joyce überschlug sich, sie wedelte sich mit den Händen Luft zu, und Jenny sah, dass Joyce ihren Lohn schon wieder in das Nagelstudio ihres Vertrauens getragen hatte. Lange lila Kunstnägel zierten die Finger der Freundin, verziert mit silbrig glitzernden Schmetterlingen.

„Joyce, wollen Sie uns nicht aufklären?“ Die ruhige Stimme aus dem Hintergrund schaffte es, dass Joyce aufhörte, in der Luft herumzufuchteln. Henriette, die Besitzerin des Geschäfts, hatte sich zu Wort gemeldet. Sie arbeitete gerade an einer Reihe überdimensionaler Mohnblumen für eine sehr außergewöhnliche Hutkreation, die eine Stammkundin bestellt hatte.

„Stella de la Rue kommt“, platzte es aus Joyce heraus. „Ich kann es gar nicht fassen! Ob sie etwas über die Royals erzählt?“

„Stella wer?“ Jenny zupfte ungerührt an einer der Pfauenfedern herum, die nicht ganz so schillerte, wie sie sich das gewünscht hätte.

Joyce verdrehte die Augen. „Du weißt wirklich gar nichts, oder?“

Henriette lachte leise. „Klären Sie uns doch auf, Joyce, ja?“

Stella de la Rue war offenbar eine Schauspielerin, die in letzter Zeit häufiger in London gesehen worden war. Sie kam ursprünglich aus einer Adelsfamilie irgendwo in Schottland, aber seit einigen Jahren lebte sie in Los Angeles, wo sie sich als Schauspielerin selbst verwirklichte. Sie hatte in einigen Liebesschnulzen mitgewirkt, und Joyce mochte, wie sie sagte, die natürliche Eleganz, mit der Stella sich präsentierte.

„Mit Sicherheit ist ihr Hutgeschmack genauso exquisit wie der Rest von ihr. Mit einem billigen Fascinator gibt die sich nicht zufrieden.“ Joyce rümpfte ihre Stubsnase.

Fascinators waren eine Art Haarreifen oder Kamm mit großem Tüll – oder Federschmuck, die man sich ins Haar stecken konnte. Unter der feinen Gesellschaft galten diese Fascinators natürlich als verpönt und minderwertig. Man wählte eine möglichst extravagante Hutkonstruktion, die festen Vorschriften und Maßen entsprach, und die ein so herausstechendes Kunstwerk war, dass man als Dame bei den Pferderennen den anderen anwesenden Frauen möglichst die Show stahl.

„Wir werden sehen, Joyce, nicht wahr? Hat die Dame – wie hieß sie gleich? Estelle?“

„Stella de la Rue.“ Missbilligung klang aus Joyce‘ Ton. So viel Ignoranz gegenüber der Prominenz, wie Henriette sie zeigte, konnte sie einfach nicht gut heißen, gerade wo Henriette doch von den Stars und Sternchen lebte!

„Stella. Ja natürlich, meine Liebe“, beschwichtigte Henriette sie. „Hat sie gesagt, was sie sich vorstellt? Dann könnte ich mal im Lager nachsehen und ...“

„Oh nein, ich bin sicher, sie wünscht keinen Hut von der Stange, sie ist nicht der Typ dafür, wissen Sie.“

„Ach was.“ Henriettes linke Augenbraue hob sich.

„Sie wünscht mit Sicherheit persönliche Beratung. Jenny könnte das ja machen, nicht wahr?“ Joyce warf Jenny einen Blick zu, die sich wieder der Arbeit an ihrer Hutkreation zugewandt hatte und gerade die letzte Feder mit Nadel und Faden am Hut befestigte.

„Klar.“ Jenny zuckte mit den Schultern. „Ich mach das gern.“

Gerade als Joyce noch etwas sagen wollte, wurde die Ladentür geräuschvoll geöffnet.

„Kundschaft, ich muss nach vorne.“ Joyce wirbelte wie ein kleiner Sturm aus dem Werkstattbereich und hinterließ herrliche Ruhe.

Jenny und Henriette warfen sich einen Blick zu und grinsten einander an. „Unsere Joyce“, sagte Henriette schließlich nachsichtig. „Was wären wir ohne unser wildes Huhn?“

Jenny musste unweigerlich lachen. Henriette war einfach unverbesserlich! Die Chefin lebte für ihre Hüte, auf ruhige entspannte Art. Die Wertschätzung, die die beiden Mitarbeiterinnen von Henriette erfuhren, war beispielhaft.

Vorn im Geschäftsraum hörte man Joyce. „Natürlich. Also gerade unsere Fascinators sind in diesem Jahr der Renner. Sehr gute Wahl!“

Eine Verkäuferin mit Leib und Seele! Jenny lachte leise in sich hinein.

2

ANMER HALL - MAXWELL

„Sir? Sie müssten bitte aufwachen, Sir!“

Maxwell schlug die Augen auf und setzte sich sofort hin. Sein Herz schlug bis zum Hals beim Anblick des Mannes im schwarzen Anzug, der neben seinem Bett stand und auf ihn herabschaute. „Sir? Sind Sie wach, Sir?“

„Was glauben Sie?“

Der Mann deutete eine Verbeugung an, um dann zwei Meter zurückzutreten. Maxwells Haare hingen ihm ins Gesicht, und er strich sie mit beiden Händen zurück. Sein T-Shirt war durchgeschwitzt und klebte an seinem Körper. Er konnte sich selbst kaum riechen und verspürte gewaltige Sehnsucht nach einer Dusche.

Noch immer stand der jetzt schweigende Mann neben seinem Bett.

„Wo ist William?“

„Der – äh – Familienfall, Sir. Erinnern Sie sich?“

„Stimmt.“ Max lächelte, wurde dann aber sofort wieder ernst, wie man es von ihm erwartete. Willy war sein eigentlicher Kammerdiener, der sich so gut wie nie frei nahm. Längst war er kein wirklicher Bediensteter mehr, sondern weit mehr als das. Er lebte ein paar Zimmer weiter, wo er ein Apartment bewohnte. Dieses Apartment war Maxwells Wohlfühlplatz – dort gab es genug Bier für Footballabende und keinen einzigen Bediensteten, was Max mehr als genoss.

Gestern allerdings war William mit hochrotem Kopf in Maxwells Arbeitszimmer gestürzt, ohne zu klopfen, jede Etikette vergessend, und hatte ihn gebeten, ihm einen Tag frei zu geben. Selbstredend hatte Max zugestimmt, noch mehr, als er hörte, was passiert war.

Willy hatte seit Jahren eine Freundin, die mittlerweile sogar die Erlaubnis hatte, ihn hier in Anmer Hall zu besuchen. Eine nette junge Frau, vielleicht etwas naiv, aber dafür ein sommersprossig-natürlicher Typ, der durch eine herzliche Lache bestach.

„Sie ist schwanger. Im siebten Monat – Max, wie kann das sein?“ William waren Schweißtropfen von der Stirn gelaufen, und er hatte sich, entgegen all seiner sonst immer aufrechterhaltenen Benimmregeln, einfach auf Maxwells Schreibtischkante fallen lassen.

Offenbar war Lissy, so hieß die junge Frau, zum Arzt gegangen, weil sie dubiose Bauchschmerzen verspürt hatte. Daraufhin stellte sich heraus, dass das Bäuchlein, das sie neuerdings zierte, keineswegs etwas mit zu vielen Scones mit Butter und Marmelade zu tun hatte.

„Vermutlich hattet ihr Sex.“ Max war bekannt für seinen trockenen Humor.

Willy hatte nur die Augen verdreht und sich mit dem Ärmel seines Jacketts den Schweiß von der Stirn gewischt, sich dessen nicht bewusst, was er da gerade tat. Er würde das Kleidungsstück in die Reinigung bringen müssen.

Willy beugte sich vor und boxte Maxwell in den Oberarm. In diesem Moment wurde ihm klar, was er da gerade tat, und er sprang vom Schreibtisch auf, um eine Verbeugung anzudeuten. Max tat es ihm nach und federte aus seinem Schreibtischsessel nach oben. Williams Reaktion war die eines Freundes gewesen, und er würde Willy einen Teufel tun lassen und sie revidieren.

„Hey, Willy“, schlug er deshalb einen dominanten Ton an, der William mitten in der Bewegung innehalten ließ. Die beiden Männer blickten einander an, beide ernst.

„Freust du dich?“, fragte Max.

William schaute kurz weg, seine Hand wanderte in seinen Nacken. Maxwell kannte diese Geste. Immer wenn Willy nachdachte, schienen seine Finger am Hals Halt zu suchen.

Dann sah Willy wieder vom Boden auf, wo seine Augen das Teppichmuster des Persers sekundenlang begutachtet hatten. Williams und Maxwells Blicke fanden sich wieder. Ein strahlendes Lächeln erschien im Gesicht des Angestellten, das auch von seinen Augen Besitz ergriff.

„Sehr. Aber Lissy ...“

„Oh, sie freut sich auch.“ Maxwell wusste das einfach. Er hatte gesehen, welche Blicke sie William zuwarf, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Deshalb war Max‘ Ton an Bestimmtheit nicht zu übertreffen.

„Meinst du? Äh, Sir?“

Maxwell verdrehte die Augen. „Steck dir deinen Sir sonst wohin und fahr nach London. Überzeug dich selbst.“

„Danke. Das ... Kommst du klar?“

„Natürlich. Wo ist das Problem?“ Max hatte versucht, locker zu klingen. In Wahrheit hatte er sich jedoch nach Anmer Hall zurückgezogen, weil ... Er wollte nicht daran denken. Aber William war die Veränderung an Maxwell nicht entgangen, und wenn jemand erahnte, wie es um Max stand, dann William.

Und weil das nichts war, womit die königliche Familie hausieren gehen wollte, war es für Max heute eine besondere Herausforderung, schon beim Aufwachen ein fremdes Gesicht zu sehen.

Er nahm all seinen Willen zusammen und schwang die Beine aus dem Bett. Offenbar hatte er den Handywecker mal wieder überhört. „Danke, ich brauche Sie jetzt nicht mehr.“

Der fremde Mann deutete eine weitere Verbeugung an. Dann zog er sich rückwärts in Richtung Tür zurück. Erst, als der Mann den Raum verlassen hatte, konnte Max aufatmen. Ein leichtes Zittern hatte seine Beine erfasst, das er bis dahin mühsam kontrolliert hatte. Jetzt schaute er kurz aufs Handy. Tatsächlich war es so spät, dass die Zeit gerade noch für eine Dusche reichte. Er seufzte. Vorsichtig stand er auf, dankbar, dass seine Beine ihn trugen.

Er öffnete die oberste Schublade seines Nachttisches mit dem kleinen Schlüssel, den er in dieser Nacht unter dem Teppich neben dem Bett versteckt hatte. Er wechselte das Versteck jede Nacht. Diese Schublade war sein Schatzkästchen der besonderen Art. Maxwell blickte hinunter auf das Sammelsurium von Tabletten und entnahm einer kleinen Flasche zwei Pillen, die er ohne Wasser trocken hinunterwürgte, bevor er die Schublade sorgfältig wieder verschloss. Er bediente sich sehr selten aus seinem Medizinvorrat, aber an so einem Tag wie heute, wo er kaum aus dem Bett kam, sah er keine andere Möglichkeit, um durch den Tag zu kommen.

Zwar zitterten seine Beine noch immer, aber gleich würde es besser werden, gleich. Er würde einfach nicht an den Tag, der vor ihm lag, denken, würde all seine Gedanken einfach aussperren, bis die Medizin wirkte, und ihn sanft auf einem Wolkenteppich wandeln ließ.

Er schrieb eine schnelle Nachricht an Willy, einfach, um sich nicht allein zu fühlen, dann ging er wackelig in das angrenzende Badezimmer.

„Wird schon, Max, wird schon.“ Seine laut ausgesprochenen Worte hallten von den Wänden des antiken Bades wider. Wird schon. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde Max auch diesen Tag überleben wie alle anderen davor. Achtlos warf er das T-Shirt, das er angehabt hatte, in eine Ecke des Bads. Normalerweise legte er auch benutzte Kleidung zu einem ordentlichen Stapel, aber selbst dafür fehlte ihm heute die Kraft. Dabei musste er in einer halben Stunde präsentabel sein.

Maxwell betrat die Duschkabine und drehte das Wasser auf. Heiß prasselte es ihm auf den Rücken, der Wasserdampf umschloss ihn und wirkte so wie eine beschützende Ummantelung. Max atmete tief ein. Langsam wirkte das Medikament. Trotzdem: Wenn er daran dachte, was ihn heute mit Sicherheit wieder alles erwartete, drehte sich ihm der Magen um.

Beim Frühstück saß Maxwell alleine an der langen Tafel. Willy hätte er wie jeden Morgen eingeladen, sich zu setzen, aber die Vertretung war so gar nicht sein Fall. Da genoss er seine Baked Beans on Toast lieber alleine und las dazu ein wenig. Wie immer waren ihm eine Auswahl Zeitungen und ein, zwei Klatschzeitschriften bereitgelegt worden.

Weil er noch keine Lust auf anspruchsvolle Literatur hatte, schlug er wahllos eines der Boulevardmagazine auf. Ein Popsternchen hatte sich von ihrem dreißig Jahre älteren Lebensgefährten getrennt. Max schaute sich das Foto der Frau, die hier im Arm eines Bodybuilders abgebildet war (Skandal!), genau an. Nein, er hatte sie noch nie gesehen. Schnell blätterte er um. Da war ein Bild seiner Mutter Sophie, die auf einem Pferd gezeigt wurde und lachte. Er erinnerte sich noch, wie fies erkältet sie an dem Tag gewesen war. Aber der PR-Berater hatte dringend zu „privaten“ Bildern geraten, sodass sie sich mit Fieber in den Sattel geschwungen hatte.

Unter dem Foto stand: Sophie wie sie leibt und lebt! Lesen Sie, wie die Queen gesund durch den Winter kommt! Wäre es nicht so traurig gewesen, Max hätte schallend gelacht.

Ohne zu beachten, was er aß, schob er sich kopfschüttelnd eine Gabel Bohnen in den Mund und las den Artikel. Da stand was von Pfefferminztee (seine Mutter hasste Pfefferminze!) und regelmäßig Zeit an der frischen Luft. Nun ja.

Er blätterte weiter, las über eine Sängerin, die irgendeine Castingshow gewonnen hatte und – Sensation! – gleich noch zehn Kilo abgenommen hatte. Für Maxwell war das nicht überraschend. Für seine Begriffe war es schwierig, im ewigen Medienrummel an Essen auch nur zu denken. An vielen Tagen fühlte er sich so gestresst, dass ihm sprichwörtlich der Appetit verging, besonders, wenn er im Licht der Öffentlichkeit stand. Er bezweifelte, dass eine Diät bei der Frau, die beinahe noch ein Mädchen war, notwendig gewesen war, um den Kilos zu Leibe zu rücken, egal, wie sehr sie auf dem Bild in die Kamera lachte.

Er spürte, dass ihm beim Gedanken an das Blitzlichtgewitter, das ihm heute mit Sicherheit wieder bevorstand, der Schweiß ausbrach, und holte tief Luft.

„Können Sie mir Annabelle hereinholen?“

„Natürlich, Sir.“ Der Anzugträger war die ganze Zeit wie ein Schatten im Hintergrund geblieben und reagierte jetzt auf Ansprache sofort. Mit einer angedeuteten Verbeugung verließ er den Raum.

Fünf Minuten allein, wie herrlich. Aber ganz nüchtern betrachtet hatte Maxwells Arbeitstag mit dem Aufstehen bereits begonnen. Es war nur normal, dass sich Personal um ihn herum befand.

„Guten Morgen, Königliche Hoheit.“

„Annabelle, ich bitte Sie. Ich habe einen Vornamen. Ist es nicht Ihre Aufgabe, Befehle von mir entgegenzunehmen? Dann nennen Sie mich verdammt nochmal Max. Oder Maxwell, wenn Sie es schon so förmlich mögen.“ Wie er diese ganze Etikette hasste. Er würde sich nie daran gewöhnen, nie im Leben. Alles war Zwang, alles war ein einziges Müssen, und das Gefühl, im goldenen Käfig zu sein, war heute Morgen mal wieder so bedrängend, dass er am liebsten seinen Bohnenteller auf das Ölportrait seines Urgroßvaters geworfen hätte, der über der langen Tafel, an der Max allein saß, wachte.

Eine Frau mittleren Alters in einem strengen Kostüm mit perfekt frisiertem Pagenschnitt trat an den Tisch und deutete einen Knicks an.

„Was kann ich für Sie tun?“ Annabelle hatte ein Klemmbrett zur Hand und selbstredend den Kugelschreiber bereits gezückt.

Maxwell seufzte. „Sagen Sie mir einfach, was heute ansteht.“

„Sehr gerne.“ Auswendig begann Annabelle, den Terminplan herunter zu rattern. Seit einigen Wochen, jetzt, wo Max den Militärdienst beendet hatte, konzentrierte er sich, wie von seinen Eltern ausdrücklich gewünscht, auf repräsentative Aufgaben. Das Volk sollte ihn kennenlernen, Vertrauen in ihn gewinnen und ihn als neuen König in Betracht ziehen. Seine Mum und sein Dad warteten nur noch darauf, dass er heiratete und das erste Kind auf den Weg brachte – dann würde er vom Thronfolger blitzschnell zum König aufsteigen. Ein Gedanke, der ihm noch weniger behagte als der Besuch des örtlichen Gartenbauvereins, der eine neue Apfelsorte nach ihm benannt hatte.

Er wünschte sich wieder einmal, er wäre seine jüngere Schwester Victoria, die als Pilotin bei der Luftwaffe arbeitete. Nicht, dass es seine eigene Leidenschaft gewesen wäre, aber Vicky liebte das Fliegen und bekam Zeit und Raum, dieser Leidenschaft auch nachzukommen, während er sich schon jetzt, wo er noch nicht einmal der Monarch war, an den Thron gefesselt fühlte.

Er dachte an Stella und daran, dass er ihr schon seit vorgestern schreiben wollte – oder sollte, und dass er es bis jetzt noch immer nicht getan hatte. Vermutlich war sie schon in London angekommen, um sich auf Ascot vorzubereiten. Eigentlich sollte er sie nach Anmer Hall einladen. Aber er hatte sich nicht durchgerungen. Dabei war sie eine Schönheit und dazu noch freundlich und aufgeschlossen. Sie entstammte zudem einer Adelsfamilie, ganz wie seine Mutter es sich wünschte. Heue Abend, nahm Max sich vor, ja, da würde er wirklich ...

„Sir?“

Maxwell hatte Annabelle für einen Augenblick ganz vergessen. „Ja?“

„Sie sind in einer halben Stunde bereit für die Botanik-Inspektion?“

„Selbstverständlich.“ Maxwell nickte Annabelle zu.

„Wunderbar. Es wäre schön, wenn Sie vor Ort ganz unkompliziert in einen der Äpfel beißen würden. Das wirkt so volksnah.“

„Selbstverständlich“, wiederholte sich Max und kam sich einmal mehr himmelschreiend bescheuert vor, weil er sich dabei fotografieren lassen würde, wie er seine Zähne in einen Apfel schlug und dann den Daumen hob, als sei das eine Weltsensation.

3

„DER HUT STEHT IHNEN GUT“ – JENNY

Jenny war schon seit heute Morgen um sieben in der Hutwerkstatt – und das alles wegen der filigranen Eichenblätter, die Stella de la Rue sich an ihren Hut gewünscht hatte. Zarte Rosé-Töne und dazu diese Blätter, die sich zu einer Art Nest rankten, aus dem ein Adler in die Lüfte steigen würde. Es war eine Kombination, die sehr gewagt war, um es vorsichtig auszudrücken, von der komplexen Ergonomie ganz zu schweigen, aber darin war Jenny geübt. Jenny hatte versucht, der Kundschaft diesen Hut auszureden, aber Stella war sich ganz sicher gewesen, dass es genau diese Kombination sein sollte.

„Es ist der Hut, von dem ich träume, seit ich ein kleines Mädchen bin.“

Am Ende hatte Jenny mit den Schultern gezuckt und sich an die Arbeit gemacht. Henriette hatte nur gegrinst und geschwiegen, wie so oft. Sie war nicht der Typ Mensch, der lästerte. Aber manchmal sah man ihr ihre Meinung an –, und in diesem Fall war sie klar auf Jennys Seite. In den vergangenen Jahren waren einige Sonderwünsche über die Ladentheke gewandert, zuletzt eine Kombination aus Fish & Chips auf dem Hut einer Comedien, die damit ein Statement setzen wollte. Was für eins, das war den Hutdesignern allerdings verborgen geblieben. Vielleicht, mutmaßte Jenny, war es auch mehr um die mediale Aufmerksamkeit gegangen als um das Statement.

Um neun würde jedenfalls Stella de la Rue im Laden einlaufen und ihren Hut sichten. Das letzte Eichenblatt (warum Eichenblätter als Adlernest? Jenny fluchte zum wiederholten Mal!) war befestigt und Jenny montierte an Drähten den Adler, der aus federleichtem Plastikmaterial bestand und dessen angeklebte Federn ihm ein täuschend echtes Äußeres verliehen. Naja. Schön war anders, aber die Kundin war die Königin, wie man das so schön sagte.

„Guten Morgen, Jen. Schon hier?“ Henriette war hereingekommen und zog sich den geschmackvollen, weißen Sommerhut vom Kopf, den sie draußen getragen hatte.

„Der Adler!“ Jenny zeigte auf das Vieh, das jetzt aussah, als würde es direkt aus den Eichenblättern herausfliegen.

„Respekt.“

„Respekt?“

„Naja. Ich finde, es ist ein sehr extravaganter Hut geworden.“ Henriette trat näher und schaute sich den Adler genau an, betastete die Blätter und die Hutkrempe.

„Extravagant trifft es sehr gut.“

Die beiden Frauen grinsten einander an.

„Wann kommt denn die Kundin?“, fragte Henriette.

„In“, Jenny schaute auf das Display ihres Handys, „ich denke, so zehn Minuten?“

„Na, ich bin gespannt, was sie zu Ihrer Arbeit sagt. Ich würde den Hut nicht kaufen. Aber er ist genau das, was sie beschrieben hat, also ...“ Henriette zuckte mit den Schultern. „Ich mach mich dann mal an die Glockenblume.“

Sie arbeitete gerade an einem zartlila Hutkunstwerk, das exakt die Form einer solchen Blüte haben würde. Am Ende würde es ein filigranes Kunstwerk sein, da war sich Jenny sicher. Eine ältere Dame, für die Ascot jedes Jahr das Highlight war, und die auf Hut und Kleid eisern sparte, hatte ihn in Auftrag gegeben – eine Frau mit Geschmack!

Jenny erinnerte sich nur zu gut an das Beratungsgespräch mit Stella – und an deren Beratungsresistenz. Aber so war es oft, wenn Leute einen bestimmten Bekanntheitsgrad erreichten: Sie befanden sich selbst für so großartig, dass sie die Ratschläge des einfachen Fußvolks nicht mehr für voll nahmen. Jenny begutachtete ihr Werk. Handwerklich gab es nichts daran auszusetzen. Und das war es, was zählte.

Joyce kam und bezog ihre Position im Laden, während Jenny sich an die Skizze eines Huts für ein junges Mädchen machte, das das erste Mal zum Rennen ging. Es würde ein einfaches Stück werden, mit einem skizzierten Pferd an der Seite, nicht übertrieben, einem vierzehnjährigen Mädchen angemessen.

„Ach, da ist er ja.“

Jenny schaute auf. Stella de la Rue sah umwerfend aus. Die langen, blonden Haare fielen ihr in Wellen den Rücken hinunter, der Hosenanzug, den sie trug, betonte nicht nur ihre Kurven, sondern verriet auch, dass jedes Gramm bei ihr perfekt saß – und nicht zu viel war. Jenny zog ganz automatisch den Bauch beim Anblick der Frau ein.

„Guten Tag, Miss de la Rue!“ Jenny stand auf und schob ihren Entwurf zur Seite. „Ja, das ist er.“

Die Frau trat näher, stellte ihre silberne Handtasche achtlos neben Jennys Nähmaschine und ging mit dem Kopf ganz nah an den Adler heran, der den Hut zierte.

„Hm.“ Mehr sagte sie nicht.

Als Stella de la Rue den Adler eine Weile schweigend betrachtet hatte, fragte Jenny nach. „Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Ich weiß nicht recht. Finden Sie nicht, der Vogel hat so einen bösen Gesichtsausdruck?“

Jenny konnte die Frage gar nicht fassen.

„Böser Gesichtsausdruck?“, echote sie.

„Ja, ich finde, er schaut so ... na, wie ein Raubtier.“

„Ein Adler ist ein Raubvogel.“ Jenny spürte, wie es in ihr zu brodeln begann. Im Hintergrund hörte sie das gleichmäßige Surren von Henriettes Nähmaschine.

„Ja, aber – finden Sie nicht, dass der Kontrast zum Laub doch etwas streng geraten ist? Ich meine, dieser Adler ist doch frei. Warum guckt er denn so grimmig?“

War diese Frau wirklich so bescheuert? Jenny konnte es nicht fassen. „Also. Es ist ein Adler, wissen Sie. Ich habe noch keinen Adler lächeln sehen.“ Sie musste sich so arg zusammenreißen!

Das Surren hörte auf, aber Jenny registrierte es nur am Rande.

„Nun ...“ Stella schaute wieder auf den Vogel. „Ich mag ja das Federkleid.“

„Danke.“

„Aber das Gesichtchen, wissen Sie ...“

Jenny wusste nichts zu sagen, dass nicht unhöflich gewesen wäre. Sie rang mit ihren Worten.

In diesem Moment spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. „Es sind Augen und ein Schnabel. Der Adler ist eine perfekte Nachbildung, ein dreidimensionaler Druck, wenn Ihnen das was sagt?“ Henriette war einfach die Beste! Sie begann, der Kundin den komplexen Entstehungsvorgang des Adlers genau zu beschreiben, wie die Blätter gestaltet worden waren, wie Jenny sie arrangiert und den Adler befestigt hatte.

Stella de la Rue zupfte sich ein blondes Haar vom Ärmel und ließ es achtlos zu Boden sinken.

„Wirklich? Dreidimensional?“ Sie riss die Augen auf.

„Ja. Ist das nicht toll?“ Henriette strahlte die Kundin an.

„Oh, das klingt wunderbar.“

„Nicht wahr?“ Hörte Jenny da eine gewisse Scheinheiligkeit? Sie schaute zu Henriette, aber die hatte noch immer ihr professionelles Lächeln im Gesicht.

Stella blickte dem Vogel wieder ganz genau auf den Schnabel. Ihr unzufriedener Gesichtsausdruck war jedoch gewichen.

„Wohin schicken wir denn das gute Stück? Ach, und möchten Sie ihn vorher anprobieren?“ Jenny war wieder zu Wort gekommen.

Die Schauspielerin schaute zu ihr und Henriette. Dann nannte sie eine Adresse. „Und natürlich kann ich den Hut jetzt nicht aufsetzen. Meine Frisur, das verstehen Sie doch?“

„Natürlich!“ Jenny war nur zu froh. Angesichts der hier gespielten Komödie von Henriette und ihr selbst wäre das wohl das letzte Tröpfchen gewesen, der ihr Fass zum Überlaufen gebracht hätte – und sie selbst hätte den schlimmsten Lachanfall seit Monaten erlitten, auch wenn sie es affig fand, dass Stellas Locken derart in ihrem Focus waren. Es sah nicht so aus, las wäre die Frisur leicht zu zerstören gewesen.

„Sie werden in Ascot ganz besonders aussehen.“ Jenny war eine miese Lügnerin. Worte wie ‚bezaubernd‘ oder ‚wunderschön‘ kamen ihr deshalb nicht über die Lippen. ‚Besonders‘ dagegen konnte Vieles bedeuten. Ihre Mundwinkel zuckten.

Als Stella de la Rue den Laden verlassen hatte, war es Henriette, die in schallendes Gelächter ausbrach.

„Der Raubvogel sieht wie ein Raubtier aus, ist das zu fassen?“ Kopfschüttelnd ging sie zurück zu ihrer Nähmaschine, und Jenny fragte sich zum wiederholten Mal, wie Joyce nur Gefallen an dieser Art Prominenz finden konnte. Jenny war nämlich selten jemand Dämlicherem begegnet als dieser Person.

Abends saß Jenny im Bett, mit knurrendem Magen. Joyce war beim Sushi-Essen. Na toll. Nicht, dass sie Jenny nicht eingeladen hätte, sie zu begleiten. Aber die neue Diät, die Jenny ausprobierte, ließ das einfach nicht zu. Die Vierundzwanzigstundendiät bedeutete, dass man jeden zweiten Tag nicht aß. Heute war der zweite Tag.

Am ersten Nichtess-Tag war Jenny bereits am Mittag mit den Nerven am Ende und hatte gegen späten Nachmittag Angst zu sterben. Natürlich war das maßlos übertrieben. Aber ihre Gedanken kreisten ausschließlich um Essen, und ihre Hände zitterten, als wäre sie entweder einhundert Jahre alt oder kurz vor dem Hungertod. Realistisch betrachtet war beides unmöglich, aber an ihrem Gefühl konnte sie auch nichts ändern.

Heute war sie besserer Dinge. Es war der dritte Tag ohne Essen, und sie hatte dieses Mal vorsorglich haarscharf vor Mitternacht noch eine Tafel Schokolade auf Ex verdrückt. Sie würde überleben, auch dieses Mal.

Ihr Magen knurrte laut und vernehmlich, wie um Jenny das Gegenteil zu beweisen, aber sie ignorierte den Verräter einfach. Kurz wanderten ihre Gedanken zu Connor, dem Date von vor zwei Wochen. Dem war sie auch zu fett gewesen – mit Sicherheit. So wie damals mit Arthur. Der hatte auch ... Aber nein! Nein, nein und nochmal nein! An den würde sie jetzt NICHT denken.

Gerade in diesem Augenblick hatte sie es gut. Sie würde auf die Connors und Arthurs dieser Welt einfach pfeifen und den Moment genießen. Jetzt war es nämlich herrlich, das warme Bett, das entspannende Gehirnjogging.

„Jen?“ Tante Kelly steckte den Kopf zur Tür herein. „Hast du deine Post gesehen?“

„Hm.“ Jennys Nase steckte schon wieder über dem Heft. Sie war dabei, ein Synonym für ohne Bedeutung, absurd einzutragen, und zwar horizontal: sinnlos.

„Da ist ein Brief vom Cross x – Verlag.“

„Oh!“ Mit einem Satz war Jenny aus dem Bett. Was sie wohl dieses Mal gewonnen hatte? Badezusatz? Kugelschreiber? Ein Nagel-Set? Alles war möglich. Ab und zu gewann sie Kleinigkeiten, schöne Erinnerungen, die dann einen Extraplatz in ihrem Regal bekamen. Es war eine eigenartige Sammelleidenschaft, unterschiedlichste Gegenstände, manche völlig nutzlos, wie die Schneekugel mit dem Verlagsemblem in ihrem Inneren. Sie standen in ihrem Regal – mit einem subjektiven Wert für Jenny.

„Wo ist er?“

„Hier!“ Die Tante wedelte mit dem Schreiben vor Jennys Nase herum, die es ihr blitzschnell wegschnappte und es aufriss.

Sie begann zu lesen, erst noch ganz ruhig, doch dann drang der Inhalt des Briefes in ihren Verstand ein. Jenny schnappte nach Luft, taumelte rückwärts und setzte sich auf ihr Bett. Sie begann erneut, den Brief zu lesen, von oben nach unten.

„Ich habe gewonnen.“

„Ja, mein Kind. Das habe ich mir schon gedacht. Herzlichen Glückwunsch, Schätzchen.“ Kelly lehnte am Türrahmen.

„Nein, du verstehst nicht. Ich habe richtig gewonnen.“

Die Tante stieß sich vom Rahmen ab und kam herüber. „Zeig mal.“

Sie nahm Jenny den Brief aus der Hand. Als sie ihn gelesen hatte, begann sie zu lachen. Ohne weitere Worte nahm sie ihre Nichte in den Arm. „Oh Schätzchen! Das ist ja traumhaft! Wie sehr ich mich für dich freue!“

Jenny ließ sich in die warme Umarmung ihrer Tante fallen. Ihre Gedanken überschlugen sich: Sie brauchte dringend einen kaschierenden Bikini, eine Mitreisende und einen doppelten Schnaps gegen die Aufregung. Jenny hätte niemals damit gerechnet, sich je eine große Reise leisten zu können – und jetzt würde sie auf die Seychellen fliegen. Die Seychellen! Noch dazu auf eine dieser Privatinseln mit einem Luxushotel der Extraklasse, wie das Schreiben behauptete. Sie las den Brief ein weiteres Mal. Ja, sie brauchte wirklich unbedingt elegante Bademode! Gut, dass heute schon der dritte Tag ohne Essen war. Jenny war sich in diesem Moment sicher, ihr Magen würde bis zur Abreise in drei Monaten vollstes Verständnis dafür haben, dass er jeden zweiten Tag auf Pause gesetzt war.

„Seychellen, ich komme!“, rief sie lachend, ließ sich zurück auf ihr Bett fallen und strampelte mit beiden Beinen in der Luft. Mehr als sie sich in diesem Augenblick freute, konnte man sich einfach nicht freuen!

4

WENN IN ASCOT DIE PFERDE RENNEN – MAXWELL

„Kommt eigentlich Estelle?“ Königin Sophie beugte sich zu ihrem Sohn herüber und überprüfte den Sitz seiner Krawatte. Dann trat sie einen Schritt zurück und begutachtete ihren Junior. „Gut siehst du übrigens aus“, fügte sie hinzu, ohne Maxwells Antwort abzuwarten.

„Danke. Und sie heißt Stella.“

„Ja, seit sie Schauspielerin ist. Aber das wird dann ja ein Ende haben, nicht wahr?“ Sophie sagte nicht, was ‚dann‘ bedeutete, aber Max wusste es ohnehin. Nach der Verlobung, nach der Heirat, wenn Stella der Etikette zu entsprechen hatte. Nicht, dass sie das zu stören schien, im Gegenteil, sie war geradezu übereifrig. Maxwell hatte Stella zu einem Date nach Amber Hall eingeladen, und es war ein netter Abend gewesen. Vorzügliches Rinderfilet, hervorragender Rotwein am prasselnden Feuer im Kamin, das trotz der Tatsache, dass Juni war, entzündet wurde. Es war ein kühler Regentag und passte zur Stimmung. Stella hatte wie immer makellos ausgesehen, ihre perfekten Beine stellte sie wunderbar in einem kurzen Rock zur Schau, ihr Ausschnitt war tief, aber nicht zu sehr, und die Haare fielen ihr wie üblich wie ein wallender Vorhang über den Rücken. Sie lachte an den richtigen Stellen, und ihre Tischmanieren waren einer künftigen Königin würdig, wenn man mal davon absah, dass sie ein einziges Mal vergessen hatte, sich mit der Serviette den Mund abzuwischen, bevor sie zum Glas griff – das allerdings war verzeihlich.

Maxwell fragte sich, ob er ihr von seiner Leidenschaft für gemütliche Abende bei einem guten Film und Fingerfood erzählen sollte, entschied sich aber dann dagegen. Sie wirkte so sehr in ihrem Element am vornehm gedeckten Tisch, dass er sich seiner selbst und seiner banalen kleinen Freuden schämte.

Als er Stella verabschiedet hatte, nachdem das Feuer im Kamin heruntergebrannt war – mit einem keuschen Kuss auf die Wange – dachte Maxwell noch lange darüber nach, warum er Stella, die so offensichtlich die Bereitschaft zu mehr gezeigt hatte, nicht einfach in sein Bett gezogen und ihrer spärlichen Kleidung entledigt hatte. Sie war eine schöne Frau. Er war ein Mann mit Bedürfnissen. Und trotzdem ... Er vermochte es einfach nicht zu greifen.

Vielleich war es ihm zu früh und ging zu schnell. Womöglich war das der einzige Grund und er musste Stella de la Rue einfach noch besser kennenlernen.

Heute würde er sie nun wiedersehen, im royalen Bereich der Zuschauertribüne von Ascot, vor den Augen seiner ganzen Familie. Aber zuvor war noch die Kutschfahrt zu bewältigen. Gerade waren sie vom Palast herübergefahren worden, und jetzt wurde auf den Zustieg in die Kutschen gewartet, um in Ascot auf der Pferderennbahn in einer Prozession vorzufahren.

Max hasste diese Art Veranstaltung. Eine unübersichtliche Herde Pferde zog mehrere Kutschen bis auf das Gelände von Ascot, wo sie dann direkt in das Gelände einfuhren, unter den Augen des Volkes, versteht sich. Er würde winken und lächeln und noch mehr winken und sich mit dem Hut und dem dreiteiligen Anzug, der Weste und dem Morningcoat, mit dem er sich immer fühlte wie ein Pinguin, verkleidet fühlen. Sein Bart war ordentlich gestutzt, und auch seine schwarzen Locken saßen dank einer Tonne Haarsprays perfekt. Seine Oxfords glänzten schwarz und drückten unbequem. Maxwell würde sie am Abend mit Freuden gegen seine Turnschuhe eintauschen, wenn er im Gym Gewichte stemmen würde wie jeden Abend. Dann wäre das Brimborium zumindest für diesen Tag vorbei. Seine Mum sah wie immer perfekt aus und wirkte kein bisschen aufgeregt. Seit zwanzig Jahren war sie schon die Queen von England, und sie schien kein bisschen müde von dem ewigen Gewinke und dem elenden Repräsentieren.

Heute würde er mit ihr, Dad und Victoria in der Kutsche fahren. Immerhin wäre Vicky da.

„Wo ist denn Vicky? Die hab ich noch gar nicht gesehen.“

„Ich auch nicht. Aber wenn sie sich nicht beeilt, haben wir ein Problem.“ Queen Sophie schaute sich um. Ihr Hut war ein traditionelles lila Kunstwerk mit kleinem Schleier und einer einzelnen Schleife, die beinah gewagt war. Aber natürlich nur beinah, wie sich das für die Queen gehörte.

„Hey Leute! Sorry, ich bin zu spät, äh, zwei Stunden. Da dachte ich, ich komm gleich hierher.“

Maxwell wandte sich um – und brach in schallendes Gelächter aus. Das erste Mal an diesem Tag fühlte er sich nicht mehr schrecklich, sondern nur noch ziemlich mies. Seine Schwester trug einen Hut mit gigantischer Krempe, die aus lauter Ein-Pfund-Noten bestand. Obenauf saß ein Dagobert Duck. Dazu trug sie ein Kleid in exakt passendem Grün zu den Geldscheinen. Der Dress war so dezent, dass man nicht hätte sagen können, ob sie den Hut mit Ernst oder Humor trug. Es war ein eigenwilliges Statement, das die Klatschpresse tagelang beschäftigen würde.

„Victoria, bist du von allen guten Geistern verlassen?“

„Warum? Das ist ein Madison-Burnes-Hut!“

„Ich hoffe doch sehr, dir ist selbst klar, was das für ein ... für ein Dings ist.“ Königin Sophie war die Röte aus den Wangen gewichen beim Anblick ihrer Tochter.

„Und du weißt auch, wie das wirkt, sich als Royal mit Geldscheinen zu schmücken. Gerade jetzt, nach dem Skandal des Bruders deines Vaters mit diesem leichten Mädchen ist das wirklich ...“ Die Mutter warf die Hände in die Luft. Ausnahmsweise schien sie mal sprachlos.

„Hallo, Mum, schön, dich zu sehen.“ Victoria war wie immer ungerührt. Sie nahm ihre Mutter in den Arm und gab ihr einen dicken Schmatz auf die Wange. „Wir Royals sind auch nur Menschen, das müssen die Leute verstehen.“

Der Onkel war beobachtet worden, wie er eine Prostituierte in ein Hotel geführt hatte. Dummerweise hatte die Frau danach trotz Schweigegeld die Story an die Presse verkauft und doppelt kassiert. Deshalb war Ascot für ihn in diesem Jahr auch tabu. Das Volk wollte und sollte ihn nicht als Repräsentanten des Königshauses sehen. Sophie hatte gekocht, als sie von den Vorfällen gehört hatte.

Ihr Vater Jacob nahm die Sache, wie so vieles, mit Gelassenheit auf. Genau wie jetzt. Mit zwei Gläsern Champagner trat er an Vicky heran. „Hallo, Tochterkind.“ Er lächelte sie an und küsste sie zart auf die Stirn, nachdem er ihr das Gerät von Hut einfach ohne Rücksicht auf Frisurverluste ein wenig aus der Stirn geschoben hatte. Maxwell seinerseits hätte geschworen, dass der Hut irgendwie im Haar festgetackert war. Aber er war wohl ein Wunderwerk der Balance und hielt wie von selbst.

„Cheers! Mum, Max, wo sind eure Gläser?“, wandte Victoria sich an Mutter und Bruder. Max lag noch immer ein Lächeln um die Lippen. Die Mutter verdrehte die Augen, gab aber nach und holte zwei weitere Gläser. Es war einer der seltenen Momente, wo sie einen Moment gemeinsamer Ruhe fanden. Häufig war es so, dass sich mindestens ein Familienmitglied bei irgendeiner Veranstaltung befand und die Royal Family repräsentierte. Immerhin würde man das heute zusammen tun.

„Königliche Hoheit?“ Ein Bediensteter war nach dem Anstoßen unauffällig an die Familie herangetreten.

„Ja?“

„Wenn Sie einen Augenblick Zeit hätten? Der Premierminister ist am Telefon. Er möchte Sie sprechen.“

„Natürlich.“ Sophie reichte ihrem Mann ihr Glas. „Ihr entschuldigt.“

Jacob nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas und leerte es so mit einem Zug. Dann reichte er es einfach an einen der herumstehenden Bediensteten weiter, der es bereitwillig in Empfang nahm. „Gleich geht es los“, stellte er emotionslos fest. Maxwells Vater war einer dieser Menschen, die es schafften, sich problemlos in Situationen einzufügen und sie stoisch zu ertragen. Außerdem verbrachte er so viel Zeit jenseits des Familienverbundes, dass er durchaus in der Lage war, seine royalen Privilegien zu genießen. Seine Pflichten nahm er dafür gerne in Kauf.

Maxwell dagegen holte der nüchtern gesprochene Satz seines Vaters zurück in die Realität und erinnerte ihn an das, was gleich bevorstand. Hunderte Augen, die sich auf ihn richteten, Smalltalk ohne Ende, und die ganz Zeit über das professionelle Lächeln auf dem Gesicht, das er zuweilen kaum noch zur Schau zu stellen vermochte. In diesem Jahr hatte er schon einundertundsieben Events besucht. Es wurde immer schlimmer für ihn, sich zu verstellen, stocksteif dazustehen, Klamotten zu tragen, die ihm nicht gefielen, und der Etikette, die sich ihm wie unsichtbare Ketten um den Körper legte, ständig zu entsprechen.

Er verspürte Panik, er wollte morgens nicht mehr aufstehen, er fühlte sich permanent müde und ausgelaugt. Und jetzt auch noch Ascot! Wenn Maxwell etwas hasste, dann diese geballte Art Smalltalk, wo eine Armada entfernte Verwandte, Wirtschaftsgrößen und Stars aus Film und Fernsehen um einen herumwuselten und sich in dummem Geschwätz genauso erging wie in ständigem Händeschütteln. An die verkrampften Umarmungen und die Parfumwolken, die einen dabei umwaberten, wollte er nicht einmal denken.

Sein rechter Schuh drückte schon jetzt, das würde eine Blase geben, und Maxwell sehnte sich nach seinen Sneakers und einem Kapuzensweater.

---ENDE DER LESEPROBE---