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Avas Suche nach der Wahrheit geht weiter
Ava und Zero wurden beim Einbruch ins Labor von ihren Freunden getrennt und wachen in einem Krankenhaus der Regierung auf. Doch der Einsatz war ein Erfolg, denn Ava konnte das Programm, das die Zwillinge Ice und Snow in Gefahr gebracht hat, zerstören.
Als es einen Cyber-Angriff auf die Kuppel gibt, bei dem einige Wachen sterben, gelingt Ava und Zero die Flucht. Doch der Angriff trägt die eindeutige Handschrift der Zwillinge. Haben sie etwa all die Menschen getötet?
Die beiden zeigen ihr wahres Gesicht - und Ava hat sie von ihren Ketten befreit ...
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Seitenzahl: 507
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Prolog
Kapitel 1 – Ava
Kapitel 2 – Ava
Kapitel 3 – Ava
Kapitel 4 – Zero
Kapitel 5 – Zero
Kapitel 6 – Zero
Kapitel 7 – Ava
Kapitel 8 – Zero
Kapitel 9 – Ava
Kapitel 10 – Zero
Kapitel 11 – Ava
Kapitel 12 – Zero
Kapitel 13 – Ava
Kapitel 14 – Zero
Kapitel 15 – Ava
Kapitel 16 – Ava
Kapitel 17 – Zero
Kapitel 18 – Ava
Kapitel 19 – Ava
Kapitel 20 – Zero
Kapitel 21 – Zero
Kapitel 22 – Ava
Kapitel 23 – Ava
Kapitel 24 – Zero
Kapitel 25 – Zero
Kapitel 26 – Zero
Kapitel 27 – Ava
Kapitel 28 – Ava
Kapitel 29 – Ava
Kapitel 30 – Zero
Kapitel 31 – Zero
Kapitel 32 – Zero
Epilog
Danksagung
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
Avas Suche nach der Wahrheit geht weiter
Ava und Zero wurden beim Einbruch ins Labor von ihren Freunden getrennt und wachen in einem Krankenhaus der Regierung auf. Doch der Einsatz war ein Erfolg, denn Ava konnte das Programm, das die Zwillinge Ice und Snow in Gefahr gebracht hat, zerstören.
Als es einen Cyber-Angriff auf die Kuppel gibt, bei dem einige Wachen sterben, gelingt Ava und Zero die Flucht. Doch der Angriff trägt die eindeutige Handschrift der Zwillinge. Haben sie etwa all die Menschen getötet?
Die beiden zeigen ihr wahres Gesicht – und Ava hat sie von ihren Ketten befreit ...
Lisa-Katharina Hensel
Eine fesselnde YA Dystopie über Geheimnisse, Verrat und eine Liebe, die alles überwindet
Für meinen Opa, der diese Geschichte als Erster gelesen und mir dadurch so viel Mut gemacht hat.
Für Ulrike, deren Begeisterung für die Figuren mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Der feine Staub – aufgewirbelt durch den zusammengestürzten Gebäudeteil – legte sich langsam und ließ das Tageslicht wieder bis in die schattigen Schluchten und verwinkelten Ruinen dringen. Gleich einem sich verziehenden Unwetter schwand die graue Wolke – während andere Art von Gewitter gerade erst dabei war, sich über Liam zu entladen. Noch immer fragte er sich, woher sein Bruder gewusst hatte, dass er sich – entgegen ihrer Absprache – genau in diesem Teil der Äußeren Zone aufhielt.
»Ich fasse es nicht, dass du schon wieder hier bist!« Wütend hatte Kirian sich vor Liam aufgebaut. Die Hände in die Hüften gestützt, sah er auf ihn hinab. »Ich dachte, ich hätte mich das letzte Mal klar ausgedrückt! Die Abbruchhäuser sind tabu!«
Mit gesenktem Kopf auf den Steinstufen sitzend, ließ Liam das Donnerwetter stumm über sich ergehen. Aufgrund jahrelanger Erfahrung wusste er, dass es sinnlos war, etwas zu erwidern, wenn sein Bruder eine seiner Standpauken hielt.
»Das hier ist kein Spielplatz! Was, wenn ich dich nicht rechtzeitig gefunden hätte?« Nun wurde Kirians scharfer Tonfall eine Spur milder, woraufhin sich Liam endlich traute, aufzusehen.
Die Sonne stand bereits tief am Himmel und ließ mit ihren goldenen Strahlen die baufälligen Ruinen der ehemaligen Wohnblöcke seltsam unwirklich erscheinen. Irgendwie verwunschen. Wie in einem der alten Märchen.
»Es tut mir leid«, flüsterte Liam. »Ich wollte nur ein Geschenk für Mama finden. Weil sie doch bald Geburtstag hat und immer so traurig ist ...«
Er wandte das Gesicht ab, konnte dem forschenden Blick seines Bruders nicht mehr standhalten. Als er plötzlich eine Berührung am Arm spürte, sah er überrascht auf. Kirian war vor ihm in die Hocke gesunken und säuberte mit einem Tuch behutsam Liams Schürfwunden.
»Unsere Eltern müssen ja nichts von deinem kleinen Ausflug hierher erfahren«, meinte er versöhnlich, ohne dabei seinen Blick von Liams Arm zu nehmen.
Erleichtert lächelte Liam, bevor er zusammenzuckte. »Aua!«
Kirian hielt inne, sah nun doch auf.
»Das hast du dir selbst zuzuschreiben, also reiß dich ein bisschen zusammen.«
Schniefend nickte Liam, und biss sich auf die Unterlippe. Mit einem Mal wurde Kirians Blick weich. Er setzte sich neben Liam auf die Stufen, legte ihm den Arm um die Schultern und zog ihn an sich. Überrascht ließ Liam es geschehen.
»Ich mache das nicht, um dich zu ärgern. Das weißt du doch, oder?«, fragte Kirian leise.
Unsicher nickte Liam.
»Was meinst du, was das für ein Geburtstag für Mama wäre, wenn du vom Dach gestürzt wärst? Oder dich eine Mauer unter sich begraben hätte? Du hättest sterben können!« Kirian stockte, und seufzte dann. »Ich will dich doch einfach nur beschützen. Das ist nämlich die Aufgabe von großen Brüdern.«
Liam traute sich nicht, etwas zu sagen oder sich auch nur zu rühren. Er hatte das Gefühl, dass Kirian diese Umarmung im Moment ebenso sehr brauchte wie er selbst. Vielleicht sogar noch mehr.
»Und weißt du, was die Aufgabe von kleinen Brüdern ist?«
Kaum merklich schüttelte Liam den Kopf.
»Ihre Aufgabe ist es, sich beschützen zu lassen – und nicht vor ihren großen Brüdern zu sterben«, erklärte Kirian. »Niemals.«
Liam nickte, wobei er den seltenen Moment der Vertrautheit nutzte und sich in die Armbeuge seines Bruders kuschelte. So ganz verstand er nicht, was Kirian ihm damit sagen wollte, doch die Wärme, die sich bei dessen Worten in seinem Körper ausbreitete, würde er nie vergessen.
Neo Berlin 2114
Ava fuhr hoch. Benommen brauchte sie einen Moment um sich zu orientieren. Ein funktional gehaltener Raum, der Geruch nach Desinfektionsmittel und letzte Sonnenstrahlen, die das Krankenbett vor ihr erhellten. Das Bett, in dem Zero lag – noch immer schlafend, wie ihr ein schneller Blick in sein Gesicht bestätigte. Und noch immer schrecklich angespannt, mit verkrampftem Kiefer, das schwarze Haar verstrubbelt, sein eigentlich olivfarbener Teint untypisch blass ... Ava musste eingenickt sein, doch dem künstlichen Tageslicht nach konnte es sich nur um Minuten gehandelt haben.
Seufzend rieb sie sich den Nacken. Nach vorn gesunken auf einem harten Stuhl einzudösen, war definitiv nicht die bequemste Variante, um sich zu erholen. Insbesondere nicht nach den Strapazen der letzten Tage – und Stunden ...
Gegen ihren Willen drängten die Erinnerungen an ihre Flucht und die grausamen Erkenntnisse im geheimen Labor erneut an die Oberfläche: Bilder, die sich wohl für immer in ihre Netzhaut eingebrannt hatten. Beklommen fragte sie sich, wie es nun weitergehen würde: Mit Zero, mit ihr, aber auch mit den geretteten Kindern aus der unterirdischen Einrichtung. Und mit den Zwillingen Ice und Snow.
Ava erinnerte sich an ihren Schwur gegenüber sich selbst, kurz, bevor sie weggedöst war. Ihr Versprechen, nicht eher aufzugeben, bevor sie nicht wusste, wer hinter den erneuten – von der Dome Federation offiziell längst verbotenen – Experimenten steckte. Bis diese Personen öffentlich zur Rechenschaft gezogen worden waren – und die geretteten Kinder in Sicherheit wären.
Kurz zuvor noch war Ava von ihren Zielen völlig überzeugt gewesen, beflügelt von gerechtem Zorn und Wut auf die Obrigkeit, die all das zugelassen hatte. Nun aber fühlte sie sich verunsichert und ausgelaugt, wartete darauf, dass jeden Moment Kommandant Kirian Wintermoor das Zimmer betreten würde, um ihr mitzuteilen, dass ihre Zeit abgelaufen war. Dass sie gehen musste. Im besten Fall nach Hause ...
Doch damit rechnete Ava nicht. Zudem war sie nicht einmal mehr sicher, ob sie das überhaupt wollte. Ihren vermeintlichen Eltern nach all den Lügen und Offenbarungen noch mal unter die Augen zu treten, konnte sie sich im Moment nicht vorstellen. Wahrscheinlicher wäre ohnehin, dass sie in Gewahrsam bleiben würde. Sich womöglich vor der Polizei, Untersuchungsausschüssen oder direkt der Regierung würde rechtfertigen müssen.
Ava seufzte leise. Dazu kamen ihre geheimen Fähigkeiten, die nun gar nicht mehr so geheim waren – und die sie eingesetzt hatte. Mehrfach. Ein Grund, wieso in dem Krankenzimmer keinerlei elektronische Geräte mit Onlinezugang existierten. Ava hätte ohnehin eine Konsole benötigt, um in die Datenwelt einzutauchen – sämtliche verknüpften Zusatzgeräte funktionierten nicht, das hatte sie bereits mehrfach getestet. Sie schien den Kontakt zu einem vollständigen Gerät zu benötigen, das als eine Art Verbindung und Verstärker fungierte. Doch das konnten die Verantwortlichen hier natürlich nicht wissen, wollten auf Nummer sicher gehen.
Denn sie, Ava, stellte eine Gefahr für die Gesellschaft dar; zudem dürfte sie überhaupt nicht existieren. Wieso eigentlich ging sie davon aus, dass der Regierung überhaupt daran gelegen war, die Geschehnisse aufzuklären? Wenn sie Zeros Erzählungen Glauben schenkte, stellte Vertuschung das bevorzugte Mittel der Wahl durch die Staatsoberhäupter dar. Und nach allem, was ihr in den letzten Tagen widerfahren war, war Ava geneigt, diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Ihr Magen verkrampfte sich, während sie versuchte, ihre rasenden Gedanken zu sortieren. Unwillkürlich umklammerte sie Zeros Finger fester. Noch konnte sie sich bei keinem dieser Szenarien sicher sein – aber nun hatte sich die Angst bereits fest in ihrem Herzen eingenistet.
Avas Grübeleien wurden jedoch jäh unterbrochen, als ihre Hand plötzlich festgehalten wurde. Vor Schreck entfuhr ihr ein leiser Schrei, ehe ihr Blick zu Zero schnellte, der sie aus seinen dunklen Augen benommen anblinzelte. Eine einzelne Träne löste sich aus einem Augenwinkel, die er jedoch nicht zu bemerken schien. Er wirkte, als müsse er von einem anderen Ort, aus einer anderen Zeit erst wieder in das Hier und Jetzt zurückfinden. Langsam musterte er die Schläuche und Kabel an seinem Körper, betrachtete die Gerätschaften um sein Bett herum und das Zimmer. Am Fenster blieb sein Blick hängen. Seine Augen weiteten sich.
»Wo sind wir?« Zeros Stimme klang belegt.
Doch Ava hörte ihm gar nicht zu. Ein riesiger Stein fiel ihr vom Herzen. Sie war nicht mehr allein! Und wenigstens diese eine Last – die Angst, dass er wegen ihr vielleicht nie wieder aufwachen würde – war von ihrem Herzen genommen.
Ohne nachzudenken umarmte sie Zero stürmisch. »Ich bin so froh, dass du wach bist!«
Zeros Reaktion darauf fiel allerdings weniger euphorisch aus. Ein schmerzerfülltes Stöhnen entfuhr ihm, woraufhin Ava zurückzuckte. Die Schusswunde!
Doch bevor sie sich aufrichten konnte, legte Zero einen Arm um sie und zog sie wieder zu sich. Er sagte nichts, hielt sie einfach nur fest. In Avas Augen sammelten sich Tränen, als die Anspannung der letzten Stunden endlich von ihr abfiel. Zumindest zu einem Teil.
Die Decke war verrutscht und Ava spürte Zeros kühle Haut unter ihrem Krankenhausshirt, roch seinen inzwischen so vertrauten Duft, während ihr Gesicht an seinem Hals lag und sie sich langsam entspannte. Sie schloss die Augen, genoss die intensive Nähe, während ihr Magen Purzelbäume schlug.
Als sie sich schließlich wieder löste, war sie sicher, dass ihre Wangen feuerrot waren. Ihr Herz schlug viel zu schnell, was nicht nur auf Zeros plötzliches Erwachen zurückzuführen war ... Sie blickte zur Seite und wischte sich hastig über die Augen, bevor sie sich in den Stuhl neben dem Bett zurücksinken ließ, auf dem sie die letzten Stunden voller Sorge ausgeharrt hatte. Noch immer spürte sie Zeros Haut an ihrer, seinen Atem in ihrem Haar.
»Ich dachte, du stirbst ...«, brachte sie leise hervor, starrte auf ihre Hände.
»Da warst du nicht die Einzige«, hörte sie Zero sagen, die Stimme ungewohnt ernst.
Darauf folgte eine kurze Stille, dann: »Wie lange war ich weg? Und ... sind wir wirklich in der Inneren Zone?«
Nun sah Ava auf. Zero hatte in der Zwischenzeit die Decke bis zu den Hüften zurückgeschlagen und betastete vorsichtig die Kompresse auf seinem Bauch. Ava schluckte, als ihr Blick auf seinen unbekleideten Oberkörper fiel. Eine Vielzahl verschieden großer Narben zeichnete sich im Schein der tief stehenden Sonne darauf ab. Einige wirkten frischer, doch die meisten davon waren alt, wahrscheinlich noch aus Kindertagen. Flankiert wurden sie von etlichen blauen Flecken, die einen Großteil der Farbpalette abdeckten.
Zero bemerkte Avas Blick. Für einen kurzen Moment stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht und seine ernsten, dunklen Augen leuchteten auf. »Wenn du weiter so starrst, denke ich noch was Falsches.« Er zwinkerte.
Obwohl Ava sicher war, dass er scherzte, fühlte sie sich ertappt. Oder lag das an ihren Gedanken, die sich bei dem Anblick nicht nur mit Zeros alten Verletzungen beschäftigten ...? Mit heißem Gesicht beantwortete sie eilig seine Fragen.
»I... ich ... wir sind seit gestern Nacht hier. Jetzt ist Spätnachmittag. Und ja, wir sind in der Kuppel ...« Sie stockte. Dass sie wirklich wieder zurück war, wurde ihr erst jetzt, da sie es aussprach, so richtig bewusst. Davor hatten die sich überschlagenden Ereignisse und ihre Sorge um Zero diese Tatsache weitestgehend verdrängt.
Zero wirkte, als müsse er die Info erst verarbeiten. »Was ist mit Skadi?«, wollte er nach einer kurzen Stille wissen. Angst flackerte in seinen Augen. »Und Joris? Den anderen?«
»Es geht ihnen gut!«, beeilte sich Ava zu sagen. »Soweit ich weiß, stehen sie in der Äußeren Zone unter Beobachtung, bis die Laborgeschichte geklärt ist. Theoretisch sollte es das Forschungszentrum gar nicht geben, was damit natürlich auch den ganzen Überfallvorwurf schwierig macht.«
Sichtlich erleichtert seufzte Zero, woraufhin Ava fortfuhr. »Sie wurden von Sandstein und seinen Leuten zwar ziemlich unter Druck gesetzt, aber letztendlich hat er es wohl nicht darauf angelegt, jemanden von ihnen zu ... töten.«
Ava verstummte und schluckte. Ihre Blicke trafen sich; sie dachten ganz offensichtlich das Gleiche. Zero sprach es schließlich aus.
»Der Bastard wollte mich wirklich umbringen ...«
Er wirkte dabei noch immer so fassungslos wie Ava, deren Magen sich bei der Erinnerung schmerzhaft zusammenzog. Alles war wie in Zeitlupe abgelaufen, Zeros warnender Blick, ihr Versuch, die Tat zu verhindern, der Schuss, all das Blut, die Gewissheit, dass Zero sterben würde, ...
»Du hast mir das Leben gerettet«, meinte er nun erstaunt, die Erkenntnis schien sich erst in dem Moment einzustellen.
Abwehrend hob Ava die Hände. »Ich hab nichts getan.«
Zero schüttelte den Kopf. »Doch. Hättest du den Mistkerl nicht abgelenkt, hätte die Kugel mich genau hier getroffen.« Er tippte sich zwischen die Augen. »So einer wie der schießt nicht daneben. Oder zögert. Der hatte sich entschieden.«
Avas Magen verkrampfte sich abermals, als sie sich der Kaltblütigkeit des Polizisten bewusst wurde. Wieso tat er so etwas, noch dazu als Mann des Gesetzes, der doch genau solche Dinge verhindern sollte? Auch, wenn Zero und er ihre Differenzen, ihre Vorgeschichte hatten, rechtfertigte das in keiner Weise ein solch radikales Vorgehen. Avas ohnehin erschüttertes Vertrauen in die befehlshabende Obrigkeit war damit endgültig zerbrochen. Unwillkürlich musste sie an Cleo und ihre aufwieglerischen Ansichten denken, die sie einst als überbordende Fantasie belächelt hatte.
»Was ist mit den Zwillingen?«, durchbrach Zero die angespannte Stille.
Ava erlaubte sich ein leises Lächeln. »Sie sind frei.«
Zero nickte. »Du hast es also geschafft. Woher weißt du -« Ein Klopfen und die sich öffnende Tür unterbrachen ihn.
Kirian Wintermoor betrat den Raum, wobei die dunkle Uniform der Grenzpolizei sowie seine korrekte Haltung in seltsamem Kontrast zu der Unsicherheit standen, mit der er Ava nun fragend anblickte.
Mehrfach war er im Laufe des Tages ins Zimmer gekommen, hatte sich nach Zero erkundigt und nach ihm gesehen. Was auch immer in der Vergangenheit zwischen den Brüdern vorgefallen war, schmälerte in keiner Weise Kirians Sorge um Zero. Im Gegenteil: In der Forschungseinrichtung war zumindest kurzzeitig jegliche Professionalität der Angst, seinen kleinen Bruder zu verlieren, zum Opfer gefallen.
Noch bevor Ava ihm die gute Nachricht mitteilen konnte, fiel Kirians Blick bereits auf Zero.
»Du bist wach.« Tiefe Erleichterung zeichnete sich in seinen Zügen ab.
Zeros Blick hingegen verfinsterte sich schlagartig.
»Sieht ganz so aus«, entgegnete er feindselig.
Kirian hatte bereits zwei Schritte auf Zero zugemacht, blieb angesichts seiner grimmigen Miene jedoch stehen.
»Wie geht es dir?«
»Wann kann ich hier raus?«, konterte Zero mit einer Gegenfrage, anstatt zu antworten.
»Du weißt genau, dass das nicht so einfach geht.«
Kirian musterte Zero nun wie ein renitentes Kind, das sich absichtlich dumm stellte – womit er wahrscheinlich nicht ganz falsch lag. Daraufhin versteifte sich Zero.
Die Spannung zwischen den beiden war greifbar, und Ava fühlte sich zunehmend unbehaglich. Sie kam sich vor wie ein Eindringling. Gleichzeitig fand sie es faszinierend, wie ähnlich sich die Brüder doch waren – daran konnten weder Kirians akkurates, militärisches Verhalten noch Zeros provokantes, rebellisches Gehabe etwas ändern.
»Du hast mir gar nichts zu sagen«, kam es nun von Letzterem, der sich jeglicher Vernunft zum Trotz aufsetzte, die Beine über die Bettkante schwang und begann, die Elektroden von seinem Oberkörper zu entfernen.
»Liam, hör auf damit.« Noch klang Kirians Stimme ruhig.
»Nenn mich nicht so«, entgegnete Zero, ohne aufzusehen oder innezuhalten. Offensichtlich eine Diskussion, die sich so ähnlich bereits öfter zwischen den Brüdern abgespielt hatte.
Mit drei Schritten war Kirian bei Zero und hielt seinen Arm fest, bevor er sich auch noch die Injektionskanüle herausziehen konnte.
Ungehalten schlug Zero die Hand weg. »Fass mich nicht an!«
Nun bröckelte auch Kirians beherrschte Fassade. »Jetzt benimm dich einmal nicht wie ein trotziges Kind und hör auf damit! Auch, wenn du wirklich Glück hattest, und die Medizintechnik hier herausragend ist: Du bist fast gestorben!«
Für einen Moment erstarrte Zero, sah dann zornig auf.
»Und wessen Schuld ist das? Einer deiner Leute hat auf mich geschossen! Und zwar nicht aus Notwehr, nein, er wollte mich quasi hinrichten!« Zero spuckte die Worte geradezu aus. »Und weißt du auch, warum? Weil er mich nicht leiden konnte! Löst ihr so immer eure Probleme?«
Das saß. Ava sah, wie Kirian zurückzuckte. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht.
»Die Vorkommnisse werden geprüft«, meinte er nach langen Sekunden des Schweigens.
»Super, da bin ich aber erleichtert«, ätzte Zero. »Ist das alles, was dir dazu einfällt?«
Ava konnte Zeros Wut nur allzu gut nachvollziehen, doch sie richtete sich ihrer Meinung nach gegen den Falschen.
»Zero«, schaltete sie sich in dem dringenden Bedürfnis ein, die Situation zu entspannen, »als Kommandant Wintermoor gesehen hat, was passiert ist, hat er Sandstein direkt ... außer Gefecht gesetzt.«
Als hätte er vergessen, dass sie noch hier war, sah Zero sie einen Moment lang verwirrt an. Dann weiteten sich seine Augen. Ungläubig wechselte sein Blick zu seinem Bruder, fiel auf seine verbundene, rechte Hand.
»Du hast was ...?«
»Ihm eine reingehauen?«, antwortete Kirian mit vorsichtigem Lächeln. Nun huschte auch ein Grinsen über Zeros blasses Gesicht.
»Liam, Kommandant Sandstein wurde von seinem Posten entbunden«, fuhr Kirian fort. »Es gibt genügend Zeugen für sein Fehlverhalten. Er wird dafür zur Rechenschaft gezogen.«
Schlagartig verfinsterte sich Zeros Miene wieder.
»Aha. Genauso wie auch die Verantwortlichen für ein Labor, das gar nicht existieren dürfte, zur Rechenschaft gezogen werden?«
Kirian seufzte. »Ja. Ich kann euch nicht mehr dazu sagen, da ich nicht mehr weiß!« Er sah zu Ava. »Eure Entdeckung hat einen riesigen Wirbel verursacht. Die Behörden sind aktuell damit beschäftigt, die Tragweite des Ganzen zu erfassen. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, wird gefunden werden.«
»Na klar«, spottete Zero und Ava gab ihm insgeheim recht.
Nach allem, was passiert war, konnte sie einfach nicht glauben, dass solche Forschungen ohne das Wissen der höchsten Stellen abliefen. Vor allem nicht, nachdem es ein ähnliches Labor bereits gegeben hatte – und es mitsamt seinen Testobjekten ein solch schreckliches Ende gefunden hatte.
»Wo sind meine Klamotten?«, riss Zero sie mit einem unerwarteten Themenwechsel aus ihren düsteren Gedanken.
»Konfisziert.«
»Kann ich die Sachen kurz haben?« Zero klang ungewohnt versöhnlich. »Da ist ... Privatkram drin.«
»Ich helfe dir ganz sicher nicht dabei, an deine Drogen zu kommen«, verneinte Kirian verärgert.
Zeros Gesichtsausdruck nach zu urteilen, traf sein Bruder damit ins Schwarze. Ungläubig starrte Ava ihn an. War das wirklich alles, woran er in ihrer Lage dachte? Dann wiederum musste sie an seinen Zustand in X' Anwesen denken; die Entzugserscheinungen waren alles andere als harmlos.
»Das kann dir doch scheißegal sein!« Zero funkelte seinen Bruder an.
Kirian schüttelte den Kopf. »Die Schwester wird dir etwas gegen die Entzugssymptome geben. Aber ich werde dich nicht dabei unterstützen, dein Leben weiter kaputt zu machen.«
Humorlos lachte Zero auf. »Ich bin also das schwarze Schaf? So blind kannst doch nicht mal du sein! X' Geschäfte mit der Inneren laufen besser denn je. Und ich bin mir sicher, dass einige deiner Kollegen nicht nur im richtigen Moment wegschauen, sondern selbst treue Kunden sind! Bessere Entspannung nach einem harten Einsatz gibt es nicht ...«
Eisige Stille ging von Kirian aus, während er Zero wortlos aus seinen dunklen Augen betrachtete. Ava fühlte sich zunehmend unwohl. Sie wäre gern aus dem Raum gegangen, doch hatte sie den Moment dafür längst verpasst.
»Du tust immer so verdammt perfekt!« Tiefste Verbitterung sprach aus Zeros Worten. »Hast dich an die scheinheiligen Typen hier angepasst, nur, um dazuzugehören. Du glaubst mittlerweile wirklich, dass du was Besseres bist, oder? Wie praktisch, wenn man so einen missratenen Bruder hat, den man für alles verantwortlich machen kann, was im eigenen Leben schiefgelaufen ist! Dem man die Schuld für alle Probleme, für alle Fehler geben kann!«
Betroffen bemerkte Ava, dass sich hinter Zeros abweisender Fassade viel mehr Schmerz verbarg, als sie angenommen hatte. Und so heftig er mit seinen Worten seinen Bruder auch von sich stieß, so sehr flehten seine Augen nach Verständnis – und Vergebung. Diese Erkenntnis brach ihr fast das Herz, während sie sich gleichzeitig fragte, ob das Zero selbst so überhaupt bewusst war.
»Das habe ich nie getan ...«, flüsterte Kirian. Die Anschuldigungen ließen ihn blass werden.
»Ach nein? Ich merk doch, wie du mich ansiehst!«, schleuderte Zero ihm entgegen. Er holte tief Luft. »Für dich bin ich doch schuld daran, dass unsere Eltern tot sind!«
Kirian erstarrte, rang sichtlich um Worte. Er wirkte so getroffen, dass sich die schockierte Ava unwillkürlich fragte, ob in Zeros Vorwurf nicht auch ein Fünkchen Wahrheit steckte. Das also war der Anlass für die Entfremdung der Brüder? Ihre toten Eltern? Doch bevor sich Kirian verteidigen konnte, ging mit einem Klopfen die Tür auf und eine junge Frau in Uniform betrat den Raum.
Ava erkannte sie als diejenige, die Zero mit ihren Erste-Hilfe-Maßnahmen im Labor wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Und es war ebenfalls die Frau, die Cleo – gefühlt in einem anderen Leben – bei der Schulexkursion im Blick behalten sollte.
»Wir müssen reden«, wandte sie sich leise und mit ernster Miene an Kirian.
Mit einem Blick in die Runde registrierte sie die angespannte Stimmung, legte dem Kommandanten die Hand auf den Arm. Ava hatte das Gefühl, dass da mehr zwischen den beiden existierte als ein reines Arbeitsverhältnis. Kirian nickte, wirkte jedoch noch immer nicht ganz bei der Sache.
»Ich bin Ariadne Samum«, stellte sich die Frau Zero vor. Dann sah sie mit einem flüchtigen Lächeln in Avas Richtung. »Wir kennen uns ja schon.«
Ava nickte.
»Ich kenne deine Stimme«, kam es von Zero, der Ariadne misstrauisch beäugte.
Ariadne ignorierte die für ihre Position unhöfliche Anrede, nickte knapp. »Richtig. Aus dem Labor. Du kannst dich erinnern?«
»Hm.« Zu mehr oder möglicherweise sogar einem Danke konnte sich Zero im Moment offensichtlich nicht durchringen. Er wirkte noch immer aufgebracht – und erschöpft. Schwäche, die er allerdings mit finsterer Miene und aufrechter Haltung zu überspielen versuchte.
Die nun hereinkommende Krankenschwester, eine energische Frau um die fünfzig, konnte er damit allerdings nicht täuschen. Obwohl sie ihrem Gesichtsausdruck nach weder mit der Menschenansammlung in dem kleinen Zimmer noch mit Zeros Aufwachen gerechnet hatte, fing sie sich schnell und scheuchte die Besucher nach einem Blick auf ihren blassen Patientin nach draußen. »Er braucht Ruhe!«
Dem Befehlston hatten selbst die beiden Militärs nichts entgegenzusetzen und so folgte Ava ihnen auf den Gang.
»Das geht nicht mehr lang gut«, informierte Ariadne Kirian dort unumwunden, nachdem sich die Tür geschlossen hatte.
Seufzend strich er sich durchs kurze Haar. »Ich weiß.«
»Meine ... Eltern?«, mischte sich Ava ein.
Ariadne nickte. »Auch. Aber vor allem die Regierung. Die Präsidentin steht unter Druck. Das Innen-, das Forschungs- und das Verteidigungsministerium beschuldigen sich gegenseitig. Und das Außenministerium will Antworten, bevor etwas an die Öffentlichkeit und damit unweigerlich an die anderen Staaten der Dome Federation dringt. Nicht zu vergessen unser ... interner Zwischenfall.«
»Und das ganze Chaos, das deine Verfolgung in den letzten Tagen verursacht hat«, fügte Kirian hinzu.
Sofort hatte Ava das Gefühl, sich verteidigen zu müssen.
»Ich habe mir das alles nicht ausgesucht!«, entfuhr es ihr heftiger als geplant.
Kirian hob die Hände. »Das sollte keine Schuldzuweisung sein.« Er sah zu Ariadne. »Informier bitte alle, dass sie vor morgen Mittag nicht mit den beiden rechnen können.«
Die Polizistin verzog das Gesicht. »Ich glaube nicht, dass –«
»Das ist ein Befehl«, unterbrach Kirian sie, womit das vertraute Verhältnis der beiden mit einem Mal wieder auf eine rein berufliche Ebene zurückgestuft wurde.
Überrascht sah Ava Ariadne hinterher, die mit einem knappen Nicken durch die Tür am Ende des Gangs verschwand.
Als ihr Blick zurück zu Kirian ging, musterte er sie, wirkte, als wöge er etwas ab. Nervös strich sich Ava das Haar zurück, wappnete sich innerlich. Würde sie gleich eine weitere Hiobsbotschaft erhalten?
Plötzlich verschwand alle Härte aus Kirians Gesicht; er hatte sich offensichtlich entschieden.
»Ich weiß, dass das nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fällt, und du musst mir nichts sagen, wenn du nicht möchtest. Allerdings wäre ich dir sehr dankbar, wenn du mir hilfst, einige Dinge zu verstehen.«
Verwundert sah Ava ihn an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wobei konnte sie ihm denn helfen?
»Was genau ist in dem Labor geschehen? Was hattet ihr vor? Ich habe dort Dinge gesehen, die ...« Er unterbrach sich. »Ich habe nur sehr spärliche Informationen von oberer Stelle, kaum Zugriff auf alte Berichte. Es ist alles gesperrt. Über dich und deine ... Fähigkeiten weiß ich nur insoweit Bescheid, wie es meinen Auftrag betraf, dich zu finden. Und selbst diese Auskunft fand unter höchster Geheimhaltung statt. Die zuständigen Behörden haben wahnsinnige Angst vor dir, und mir wurde auch jetzt wiederholt eingeschärft, dich unter keinen Umständen an eine Konsole zu lassen.«
Ava machte große Augen. »Angst? Vor mir?«
Einen Moment lang war sie irritiert, so absurd fand sie die Vorstellung, dass die Regierung sie aus Angst zurückhaben wollte – nicht vor der Öffentlichkeit, den Folgen, sondern vor ihren Fähigkeiten. Doch dann musste sie an den Jungen denken, und wie problemlos er sämtliche Informationen in der Virtuellen Welt manipulieren konnte. Mit genügend Übung und die richtigen Daten betreffend, würde sich damit wesentlich Schlimmeres als ein paar Scherze anrichten lassen. Auch die Reaktion des Forschers im Labor war geradezu panisch gewesen, wenngleich sie sich eher auf Ice und Snow bezog, denn auf Ava. Obwohl ihr die Gründe für seine Reaktion noch immer nicht klar waren ...
Nach kurzem Zögern beschloss sie, Kirian zu erzählen, was sie wusste – zumindest so weit, dass er die Zusammenhänge verstand. Sie wusste, dass sie ein Risiko einging, doch ihr Leben geriet zunehmend außer Kontrolle – und, sie hatte Angst. Kirian gehörte zur Grenzpolizei, deren Aufgabe es noch immer war, die Einwohner der Kuppel zu schützen. Instinktiv erhoffte sie sich Hilfe von seiner Position. Er sollte verstehen, dass sie nicht böse war. Und dafür musste er die Wahrheit kennen.
Mit einer Ausnahme. Die Geschichte um Ice und Snow behielt sie für sich; die Zwillinge hatten bereits genug Schmerz durch Menschen in Machtpositionen erfahren müssen. Offiziell galten sie als tot; so sollte es auch bleiben. Sie vertraute dem Kommandanten zwar zu einem gewissen Grad, doch sie konnte seine Beweggründe noch immer nicht einschätzen. War er so freundlich zu ihnen, weil er Zeros Bruder war, oder lag ihm wirklich was an der Wahrheit?
Ava holte tief Luft und begann zu erzählen, hielt sich aber bewusst vage. Alle Details zu nennen, war ihr zu heikel. Während sie von ersten Ausflügen in die Datenwelt, den Forschungen, der Flucht – statt Ice als Grund zu nennen, behauptete sie, mehr über ihre Herkunft herausfinden zu wollen – und dem Aufspüren des Labors berichtete, wurde Kirians Miene immer ungläubiger. Mehrfach schüttelte er den Kopf, unterbrach sie jedoch nur selten, um nachzuhaken.
Als Ava schließlich mit dem Jungen, den sie Liam getauft hatte, endete, versagte ihr beinahe die Stimme. Tiefe Traurigkeit ergriff von ihr Besitz. Schnell starrte sie zu Boden, blinzelte die aufsteigenden Tränen weg.
Plötzlich spürte sie warm und tröstlich Kirians Hand auf ihrer Schulter.
»Ich habe ihn gesehen«, sagte er leise. »Die Verantwortlichen werden dafür zur Rechenschaft gezogen. Ich verspreche es.«
Mit gesenktem Kopf nickte Ava, wollte nicht vor dem Polizisten weinen. Sie musste sich zusammenreißen.
»Was ist mit den anderen Kindern aus dem Labor?«, fragte sie mit belegter Stimme.
»Sie wurden vorübergehend in eine Einrichtung gebracht. Dort wird sich um sie gekümmert, bis entschieden ist, wie weiter mit ihnen verfahren wird.«
Erschrocken sah Ava auf. Kirian deutete ihren Blick richtig. »Keine Sorge, sie werden nicht einfach ... verschwinden. So etwas würde die Regierung niemals tun.«
Wäre sie nicht so traurig und erschöpft gewesen, hätte Ava bei diesen Worten gelacht. Außerdem wollte sie Kirian, der sich hier wirklich Mühe gab, nicht vor den Kopf stoßen.
»Ich danke dir für deine Offenheit. Das weiß ich sehr zu schätzen.« Kirian drückte ein letztes Mal Avas Schulter, bevor er die Hand zurückzog. »Und danke, dass du für meinen Bruder da warst.«
Überrascht sah Ava ihn an.
»Er mag dich.« Kirian lächelte. »Ich glaube, du tust ihm trotz des ganzen Ärgers gut.«
Schon zum dritten Mal an diesem Tag schoss Ava das Blut in die Wangen. Sie biss sich auf die Lippe. Wieso musste Kirian denn jetzt so etwas sagen? Dennoch konnte sie das freudige Kribbeln, das die Worte in ihr auslösten, nicht leugnen.
»Ich muss los.« Damit beendete Kirian die für sie so unangenehme Situation. »Ich komme später noch mal vorbei. Ruht euch aus und verhaltet euch ruhig. Und, Ava?«
»Ja?« Sie strich sich nervös eine Haarsträhne hinters Ohr. Was kam denn jetzt noch?
»Hör dir an, was deine Eltern zu sagen haben. Sie machen sich wirklich Sorgen. Nicht um deine Fähigkeiten oder ihre Forschungen oder sonst etwas, sondern um dich. Das ist ein gut gemeinter Rat. Wir haben im Leben oft nur eine einzige Chance – und die sollten wir nutzen, wenn wir es nicht für immer bereuen wollen.«
Mit einem letzten, ernsten Blick ließ er Ava stehen und verschwand durch die Tür.
Noch Minuten nachdem sie sich geschlossen hatte, stand Ava auf dem Gang und dachte über die Worte des Kommandanten nach. Sie klangen sehr persönlich, weshalb sie sich sicher war, dass er aus eigener Erfahrung sprach.
Sie seufzte. Wenn sie ehrlich mit sich selbst war, wollte sie ja auch mit ihren Eltern reden, vermisste sie. Sehr sogar. Doch auf der anderen Seite war sie so tief verletzt, dass sie sich nicht vorstellen konnte, ihnen jemals wieder zu vertrauen.
Aber wollte sie, dass diese negativen Gefühle ihr jede Chance auf eine glückliche Zukunft nahmen? Sie würde sich ihr Leben lang nach den Beweggründen ihrer Eltern fragen, dem Warum. Es würde zu viele Vielleichts und Was-wäre-wenns geben. Womöglich war es wirklich das Beste, Kirians Ratschlag zu befolgen und sie zumindest anzuhören ...
Nachdenklich ging Ava zurück zu Zeros Zimmer, das die Krankenschwester bereits vor einiger Zeit verlassen hatte. Sie klopfte, bevor sie vorsichtig die Tür öffnete. Automatisch fiel ihr Blick auf das Bett – es war leer.
Hektisch suchte sie den Raum ab, wurde schließlich unter dem Fenster fündig: verdeckt von einem Stuhl lehnte Zero zusammengesunken und mit geschlossenen Augen an der Wand. Atmete er noch? Mit klopfendem Herzen eilte Ava zu ihm, ging in Gedanken sämtliche Erste-Hilfe-Maßnahmen durch. Oder sollte sie besser sofort einen Arzt rufen? Doch noch bevor sie bei Zero ankam, öffnete er die Augen, sah sie müde an.
»Alles okay«, murmelte er. »Ich wollte nur rausschauen ...«
Ava sank vor ihm in die Hocke, musterte ihn. Zero sah alles andere als okay aus. Blass, mit dunklen Ringen unter den Augen und flach atmend, fehlte ihm offensichtlich sogar die Kraft, aufzustehen. Er zitterte, woraufhin sich Ava fragte, ob das an der Kälte lag – er trug nur die dünne Stoffhose –, der Erschöpfung oder doch dem Entzug. Zudem war seine Verletzung nicht ohne. Auch, wenn die OP mittels modernster Technik Routine gewesen war, keine inneren Organe verletzt worden waren und er genügend Bluttransfusionen erhalten hatte: ausruhen musste er sich dennoch. Sie wollte gar nicht daran denken, wie langwierig die Heilung mit dem medizinischen Stand von vor ein paar Jahren verlaufen wäre; oder wenn Zero in einem der nur dürftig ausgestatteten Notzentren in der Äußeren Zone behandelt worden wäre ... Dazu kam, dass Ava unsicher war, was sie von Zeros Ausflug zum Fenster halten sollte. Wollte er wirklich nur die Aussicht genießen – immerhin kannte er die Kuppel nur von außen –, oder handelte es sich hierbei um einen misslungenen Fluchtversuch?
»Ich hole jemanden, in Ordnung?«
Ava wollte aufstehen, doch Zero hielt ihre Hand fest.
»Ich brauche nur einen Moment ...«
Sie zögerte. Seine Haut war eiskalt. Schließlich seufzte sie. »Na gut. Dann lass mich wenigstens eine Decke holen.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, eilte sie ans andere Ende des Zimmers, schnappte sich die Bettdecke und breitete sie über Zero aus. Einem Impuls folgend setzte sie sich neben ihn. Auch nach einigen Minuten des Schweigens spürte Ava noch immer Zeros Zittern durch den dicken Stoff hindurch.
Kurz zögerte sie, doch dann nahm sie ihn in die Arme, wie er es auf dem Dach des Waisenhauses mit ihr getan hatte, als es ihr nicht gut ging. Sie merkte, wie sich sein Körper versteifte, ließ ihn dennoch nicht los, sondern zog ihn noch näher an sich heran. Und endlich entspannte sich Zero, lehnte schließlich sogar den Kopf an Avas Schulter.
Die Dämmerung war bereits fortgeschritten und in dem Zimmer wurde es dunkler. Bis auf die Holobildschirme und diverse Lampen an verschiedenen Geräten brannte kein Licht.
Als Zero zu sprechen begann, musste Ava genau hinhören, um ihn zu verstehen, so leise war seine Stimme.
»Kirian hat recht ...«
»Womit?«
Zero ließ sich Zeit mit der Antwort, atmete tief ein. »Es ist meine Schuld, dass unsere Eltern tot sind.«
Ava schluckte. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Doch sie war sich sicher, dass dieser Satz weniger Kirians denn Zeros Überzeugung widerspiegelte.
»An dem Tag«, fuhr Zero fort, »bin ich weggelaufen. Wie so oft. Aber diesmal war es anders ... Wir sollten von der Übergangszone in die Innere wechseln. Ein neues Leben beginnen. Kirian hatte das arrangiert, sich beim Militär gemeldet. Hat sich bereits in der Ausbildung einen Namen gemacht. Seine Chance genutzt. Er war so viel ehrgeiziger als der privilegierte Rest dort.«
Er hielt inne und Ava wartete mit angehaltenem Atem darauf, dass er fortfuhr.
»Wir zogen in die Übergangszone, als ich zehn war. Ein Jahr lang haben meine Eltern für ein besseres Leben in der Inneren Zone geschuftet, die herabwürdigenden Tests über sich ergehen lassen. Wie Vieh wurden sie beurteilt. Haben tagtäglich die Demütigungen der vermeintlich besseren Menschen ertragen ... Ich habe es so sehr gehasst! Ich wollte das alles nicht. Und ich wollte vor allem nicht dorthin, wo diese Unmenschen herkamen!«
Unwillkürlich fühlte sich Ava schlecht. Sie musste an ihr eigenes, so naives Weltbild denken, an ihre Vorurteile gegenüber den Bewohnern der Äußeren Zone. So vieles, das man ihr erzählt hatte, hatte sie einfach geglaubt, Ansichten übernommen, ohne sie je zu hinterfragen.
»Damals hab ich nicht verstanden, dass sie das alles nur für mich getan haben ...«
Zero verstummte und Ava war nicht sicher, ob er nur eine Pause brauchte oder nicht weitersprechen wollte. Sie traute sich jedoch nicht, nachzuhaken, aus Angst, damit den seltenen Moment, in dem Zero etwas von sich preisgab, zu zerstören.
»Sie haben nach mir gesucht ... Wir hatten nur das eine, kurze Zeitfenster ... Und ich war so egoistisch, hab nur an mich gedacht. Immer nur an mich ... nie an die Konsequenzen.« Zunehmend wurde es schwieriger, Zeros Ausführungen zu folgen, so brüchig war seine Stimme mittlerweile. »Wir haben früher bei Schmargendorf gelebt ... Ich war dort öfter in den Häuserruinen nördlich unterwegs. Auch, als wir schon in der Übergangszone lebten ... Und unsere Eltern wussten das. Es gab dort eine Explosion. Gas. Angeblich. Aber die Gegend war der Regierung schon lang ein Dorn im Auge. Ein Problemviertel. Nur war ich diesmal nicht dort ... Als ich abends in die Übergangszone zurückkam, hat mein Bruder auf mich gewartet, und ...« Er brach ab.
Die folgende Stille war beinahe greifbar. Langsam sickerte die Erkenntnis in Avas Verstand, während sie versuchte, die Konsequenzen dieses Tages für Zero zu begreifen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Kein Wunder wollte Zero seine Gefühle betäuben. So verzweifelt vergessen. Und dennoch: Das Ganze war ein schrecklicher Zufall, aber nicht seine Schuld!
»Sie sind an meinem elften Geburtstag gestorben, weil sie nach mir gesucht haben ...«, brachte Zero erstickt hervor. »Der Umzug in die Innere Zone sollte ihr Geschenk an mich werden ...«
Zu gern hätte Ava etwas gesagt, um Zero die unerträgliche Last, die er schon so lang mit sich herumschleppte, zu erleichtern, doch sie wusste nicht, was. Zudem hatte sie das Gefühl, dass ihre Worte im Moment ohnehin nicht zu ihm durchdringen würden, egal, was sie sagte.
Er rückte von ihr ab und sie spürte, wie er sich wieder distanzierte. Als sie aufblickte, traf der Schmerz in seinen Augen sie mitten ins Herz. Sie sah, wie er mit den Tränen kämpfte, die er viel zu lang unterdrückt hatte, und die ihn, gemeinsam mit den Schuldgefühlen, von innen raus zerfraßen.
Sacht berührte Ava Zeros Wange, strich ihm übers Haar.
»Es ist okay«, sagte sie leise.
Als er sich nicht rührte, nur weiterhin mit gebrochenem Blick durch sie hindurchsah, umarmte sie ihn behutsam. Kurz darauf spürte sie, wie er endlich losließ. Sein Körper bebte, als er sich wie ein Ertrinkender an sie klammerte und den Tränen, die er sich nie erlaubt hatte, ihren Lauf ließ.
Stumm hielt Ava ihn fest, starrte im dunklen Zimmer an die Wand, wartete ab, bis sich Zeros Atem wieder beruhigte.
»Ich kann nicht mehr«, flüsterte er Minuten später.
»Ich bin bei dir«, versicherte Ava, hätte ihm so gern mehr gesagt, ihm wirklich geholfen. Doch auch sie fühlte sich unendlich erschöpft – und Zeros Geschichte hatte ihr den Rest gegeben. So viel war in den letzten Tagen passiert und ihr fehlte langsam die Kraft, all das weiter zu hinterfragen, zu verarbeiten. Wegzulaufen, Widerstand zu leisten. Zu ungewiss war die Zukunft, zu beängstigend das, was möglicherweise noch auf sie zukommen würde.
»Ich möchte nach Hause.« Warm strich Zeros Atem über Avas Hals, verursachte ihr eine angenehme Gänsehaut.
»Ich auch«, bestätigte sie leise. Wo auch immer das ist ...
Müde schloss Ava die Augen und zog Zero noch ein wenig näher an sich heran, wollte ihm damit zeigen, dass er nicht allein war. Und sie auch nicht.
Einen Moment lang wusste Ava nicht, wo sie war. Benommen hob sie den Kopf, starrte blinzelnd in eine Dunkelheit, die von hektisch blinkenden Lichtern und schrillem Piepsen durchbrochen wurde. Leuchtende Ziffern sagten ihr, dass es halb sechs Uhr am Morgen war. Ihr Nacken schmerzte und sie stellte fest, dass sie in eine Decke gewickelt und gegen die Wand gelehnt auf dem Boden saß. Ihr halber Körper war taub. Vorsichtig bewegte sie ihre kribbelnden Finger.
Langsam kamen die Erinnerungen wieder: Zeros Verletzung, das Krankenhaus ... ihr Gespräch. Sein erschütternder Verlust, die erdrückenden Schuldgefühle. Überrascht dachte sie an seine Offenheit zurück. Als hätten die ersten, zögerlichen Worte den Schutzwall in seinem Inneren eingerissen, alle Trauer, allen Schmerz mit einem Mal hinausgespült.
Sie drehte den Kopf, sah neben sich. Mittlerweile hatten sich ihre Augen an das dämmrige Licht gewöhnt und sie erkannte Zero dort sitzen. Mit ernster Miene lauschte er auf den gedämpften Lärm, der sowohl von innerhalb als auch außerhalb des Gebäudes kam – und der Ava geweckt hatte.
»Das klingt nicht gut«, meinte Zero, als er bemerkte, dass Ava wach war.
Ava nickte. »Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin auch erst seit ein paar Minuten wach. Ich meine, dass ich Sirenen gehört habe.«
Probeweise bewegte Ava Arme und Beine, stand dann langsam auf. Ihr Körper war von der verkrampften Haltung auf dem Boden völlig steif. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte Zeros Worte: In der Ferne war flackerndes blaues Licht zu sehen, wenngleich nicht viel mehr zu erkennen war.
Mit einem unterdrückten Stöhnen erhob sich nun auch Zero. Seine vorsichtigen Bewegungen machten deutlich, dass er eigentlich ins Bett gehörte.
»Es wundert mich, dass niemand mehr nach uns gesehen hat.« Er nahm sich eines der weißen Krankenhaus-Shirts, wie auch Ava eines trug, vom Stuhl und wollte es überziehen – hielt jedoch mitten in der Bewegung inne und stieß zischend die Luft aus. Sofort fiel Avas Blick auf die Kompresse an Zeros Bauch, und sie eilte zu ihm. »Warte, ich helf dir!«
Ohne nachzudenken griff sie nach dem Shirt und zog es nach unten, wobei ihre Finger leicht Zeros Oberkörper streiften. Hastig zog Ava ihre Hände zurück, während ihr Herz einen Hüpfer machte, um danach umso schneller weiterzuschlagen. Inständig hoffte sie, dass Zero nichts bemerkt hatte.
Doch als sie vorsichtig zu ihm aufschaute, sagte ihr sein Blick das genaue Gegenteil. Forschend sah Zero Ava in die Augen, bevor sich ein leises, leicht spöttisches Lächeln auf sein Gesicht schlich, während er dabei so dich vor Ava stand, dass sie seine Wärme spüren konnte. Sie betete, dass er in dem dämmrigen Licht ihre glühenden Wangen nicht sah, wollte sich verkriechen und ihm gleichzeitig noch so viel näher sein.
Als eine Sirene direkt vor dem Krankenhaus ertönte, sahen Zero und Ava automatisch zum Fenster, was den Bann brach. Dennoch benötigte Ava einige Sekunden, um sich wieder zu fangen. Ihr war klar, dass derartige Gefühle in ihrer aktuellen Situation denkbar fehl am Platz waren, konnte sie aber dennoch nicht unterdrücken.
Als Zero nun auf die Tür zusteuerte, hielt Ava ihn jedoch zurück. »Was hast du vor?«
»Nachsehen, was los ist. Kommst du mit?«
»Aber ... wir können doch nicht einfach so rausgehen«, meinte Ava zögerlich, noch immer nicht wieder richtig bei der Sache – ganz im Gegenteil zu Zero, was Ava einen leisen Stich versetzte. Unwillkürlich fragte sie sich, wie er eigentlich über sie dachte, wischte den Gedanken allerdings im selben Moment beiseite. Du musst dich konzentrieren!
»Das werden wir ja gleich sehen.«
Zero öffnete die Tür und betrat den Gang. Ava folgte ihm. Lediglich die Notbeleuchtung brannte, das gedämpfte Licht warf lange Schatten.
Zero deutete in Richtung Stahltür. »Wachen?«
Ava nickte.
Bevor sie etwas sagen konnte, klopfte Zero bereits an die Tür. »Hallo? Hört mich jemand?«
Keine Antwort. Das ungute Gefühl, das Ava seit dem Aufwachen begleitete, wuchs. Irgendetwas stimmte hier nicht.
»Hey!«, versuchte Zero es mit erhobener Stimme erneut. »Wir wollen mit jemandem sprechen!«
Ein letztes Mal hämmerte er erfolglos gegen den dicken Stahl, bevor er zufällig das Display daneben streifte.
Mit einem Zischen glitt die Tür zur Seite.
»Sie war nicht verschlossen?«, entfuhr es Zero.
Er trat einen Schritt durch die Öffnung, blieb jedoch wie angewurzelt stehen und versuchte, Ava zurückzuhalten.
Doch es war zu spät. Entsetzt starrte Ava auf die beiden reglos am Boden liegenden Wachen, die mit aufgerissenen Augen ins Leere starrten, die Waffen unbenutzt im Holster. Bis auf das frisch glänzende Blut an Nase, Augen und Ohren waren auf den ersten Blick keine Verletzungen erkennbar.
»Sind sie ... tot?«, flüsterte Ava.
Zero kniete sich neben einen der Männer, wobei er leise aufstöhnte und sich die Seite hielt. Doch bevor Ava etwas sagen konnte, hatte Zero schon den Puls des Wachmanns gefühlt.
»Scheint so ... Und das noch nicht lange.« Ernst sah er zu Ava auf. »Ich hab ein verdammt mieses Gefühl.«
Ava konnte ihm nur zustimmen, kämpfte ihr wachsendes Entsetzen nieder. Irgendetwas lief hier schrecklich falsch. »Was machen wir denn jetzt?«
»Herausfinden, was los ist«, antwortete Zero knapp.
Bevor er aufstand, nahm er einer der Wachen die Waffe ab und steckte sie hinten in seinen Hosenbund.
Ava schüttelte den Kopf. »Was machst du denn da? Wir sind immer noch Gefangene!«
»Hast du dir die beiden mal angeschaut?« Zero deutete auf die Toten. »Ich gehe sicher nicht unbewaffnet weiter!«
Ein Teil von Ava gab ihm recht, doch sie hatte für den Rest ihres Lebens genug von Gewalt, Schießereien und Verletzten. Jede weitere Waffe vergrößerte das Risiko dafür. Aber sie gab sich geschlagen, folgte Zero den Gang entlang.
Auch hier brannte lediglich die Notbeleuchtung, dafür wurden die aufgeregten Stimmen nun lauter, begleitet von einer Symphonie aus Alarmtönen jeglicher Art.
Vorsichtig öffnete Zero die Flügeltür am Ende des Ganges, hinter der sich die Quelle des Lärms befand, einen Spalt. Ava trat neben ihn, linste ebenfalls hindurch.
Vor ihnen erstreckte sich der öffentliche Teil des Krankenhauses. Die hellen Neonröhren brannten hier zwar, flackerten jedoch unstetig. Das permanente, nervenaufreibende Gepiepe untermalte das hektische Herumwuseln von Ärzten, Schwestern und weiterem Personal, das sich Anweisungen zubellte. Patienten und Angehörige standen verwirrt auf dem Gang herum, wurden von den Pflegekräften immer wieder unsanft beiseitegeschoben.
Auf Höhe der Tür wurden Ava und Zero Zeugen eines Krisengesprächs zwischen zwei Ärzten, aus dem hervorging, dass es offenbar einen Cyberangriff auf die Klinik gegeben hatte – und nicht nur hier: Berichten zufolge gab es derlei Anschläge an mehreren Orten, verteilt über die ganze Stadt. Was dazu führte, dass die zuständigen Spezialisten von Militär und Polizei völlig überlastet waren, während Menschen nicht mehr richtig versorgt werden konnten, Technik nur noch eingeschränkt funktionierte und sich dadurch zunehmend Chaos ausbreitete.
Lautlos schloss Zero die Tür, starrte Ava finster an. »Cyberangriffe in der gesamten Kuppel? Bei dem Ausmaß kann ich mir schon vorstellen, wer dahintersteckt ...«
Sie wusste sofort, was er dachte, und ein winziger, hartnäckiger Teil von ihr, der schon immer skeptisch gewesen war, wollte zustimmen. Doch ein größerer, wesentlich überzeugenderer Teil suchte bereits fieberhaft nach anderen Erklärungen.
»Vielleicht ein Virus?«, versuchte es Ava unsicher. »Cyberterror einer Untergrundorganisation? Ein Land, das gegen den Cyberpakt verstoßen hat?«
Zero verdrehte die Augen, bevor er sie beinahe mitleidig ansah. »Ava ...«
»Vielleicht hab ich im Labor auch irgendwelche wichtigen Strukturen zerstört? Sicherheitsprotokolle oder so?«, unterbrach sie ihn.
»Dein Ernst?« Kopfschüttelnd betrachtete Zero sie.
Ava wollte etwas erwidern, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. Hastig kramte sie die Notiz aus ihrer Tasche, die X ihr heimlich durch einen Pfleger hatte zukommen lassen.
Ice und Snow wussten, dass sie sich auf dich verlassen können. Sie richten ihren Dank aus. Mach dir keine Sorgen um deine derzeitige Situation. Bald wird sich alles fügen. Du stehst auf der richtigen Seite. X
Neugierig betrachtete Zero den Zettel. Dabei verfinsterte sich seine Miene rapide. »Woher ...« Er hob den Blick, sah Ava fest in die Augen. »Und du glaubst wirklich noch, dass die beiden nichts mit alldem hier zu tun haben?«
Doch nun spürte Ava leise Wut in sich aufsteigen. »Wenn Ice und Snow dahinterstecken, haben sie vielleicht einen guten Grund!« Ava tippte auf den Zettel. »Nämlich, uns hier rauszuholen!« Fest sah sie Zero an. »Du hast deinen Bruder doch selbst gehört: Sie lassen uns nicht gehen. Die Polizei wartet. Die Regierung!« Ava schluckte. »Dieses Chaos hier könnte unsere einzige Chance sein!«
Auch, wenn ich selbst nicht weiß, wie lange ich das alles noch durchhalte ...
Doch worauf auch immer es am Ende hinauslaufen würde, eine Sache hatte oberste Priorität ...
»Ich muss mit Ice sprechen!«
»Bravo. Der erste sinnvolle Satz.«
Ava sah Zero an, dass er absolut nicht ihrer Meinung war, was die Hilfe durch die Zwillinge anging.
Doch obwohl Zeros Spott Ava einen Stich versetzte, ging sie nicht darauf ein. »Ich brauche eine Konsole.«
Zero nickte. »Suchen wir dir ein ruhiges Zimmer.«
Mit diesen Worten wollte er die Flügeltür öffnen, aber Ava hielt ihn am Arm zurück.
»Was machst du denn da?«, zischte sie. »Die nehmen uns doch sofort fest, wenn die uns sehen!«
Eine Augenbraue hebend, deutete Zero auf ihre Kleidung. »Wenn wir nicht gerade der einen Schwester über den Weg laufen, sehen wir aus wie jeder andere Patient auch. Du hast die Ärzte doch gehört: Die Polizei ist beschäftigt.«
Ava biss sich auf die Lippe. Zero hatte recht. Die Erwähnung der Polizei erinnerte sie jedoch an etwas anderes.
»Sollten wir nicht Hilfe für die beiden Wachen rufen? Vielleicht kann man ihnen noch ...«
Zero unterbrach sie. »Zu spät. Außerdem, was meinst du, wie das für uns aussieht? Wir haben auch so schon genug Ärger am Hals!«
»Und wenn wir deinen Bruder informieren? Ihm alles erklären?«, schlug Ava vor. »Vielleicht kann er uns helfen.«
Schlagartig verfinsterte sich Zeros Miene. »Kirian hält sich an die Vorschriften. Immer«, schnaubte er. »Er macht keine Ausnahmen. Für niemanden! Von ihm darfst du keine Hilfe erwarten, wenn die Bitte auch nur den Anschein erweckt, vom Gesetz abzuweichen.«
Damit war das Gespräch für Zero beendet. Ohne ein weiteres Wort öffnete er die Tür und ließ Ava damit keine andere Wahl, als ihm auf den hellen, hektischen Gang zu folgen.
Tatsächlich nahm niemand von ihnen Notiz und so konnten sie unbehelligt nach einem geeigneten Raum mit einem Zugangspunkt in die Virtuelle Welt suchen.
Doch bevor sie nach mehreren erfolglosen Versuchen die Tür zu einem Raum mit der wenig aussagekräftigen Beschilderung Personal 4 testen konnten, wurden sie von einer jungen Krankenschwester aufgehalten.
»Was tut ihr hier?« Misstrauisch beäugte sie Zero und Ava, die sich, noch immer barfuß, mittlerweile auffällig weit vom offiziellen Patientenbereich entfernt hatten.
Stumm starrte Ava sie an, suchte fieberhaft nach einer Ausrede. Doch unter dem strengen Blick der Frau wollte ihr einfach nichts einfallen. Zu allem Überfluss legte sie nun auch noch die Stirn in Falten. Erkannte sie sie etwa?
»Wir hatten einen Unfall«, kam es so plötzlich von Zero, dass Ava zusammenzuckte. »Meiner Freundin geht es nicht gut, doch anstatt sich vernünftig um sie zu kümmern, warten wir im Behandlungsraum seit Ewigkeiten auf einen Arzt!«
Beeindruckt, wie schnell Zero die Situation gedreht hatte, blieb Ava nicht mehr, als die mitleiderregende Freundin zu spielen. Zusätzlich zum gequälten Gesichtsausdruck waren dabei auch die Schnitte in ihrer Haut überaus hilfreich.
»Oh ... das tut mir leid, aber ...« Der überraschten Schwester war damit jeder Wind aus den Segeln genommen. Bevor sie sich berappeln und womöglich doch noch unangenehme Fragen stellen konnte, schrillte am anderen Ende des Gangs ein Alarm.
Sie seufzte und wandte sich zum Gehen. »Geht bitte wieder zurück. Es ist gerade etwas chaotisch, aber es wird bald jemand nach euch sehen.«
Zero gab ihr noch ein sarkastisches »Sicher doch!« mit auf den Weg, bevor er Ava hinter dem Rücken der Frau in den glücklicherweise leeren Raum schob und die Tür verschloss.
Zu ihrer Erleichterung entdeckte Ava gleich mehrere Konsolen in dem halbdunklen Zimmer. Sie eilte auf sie zu, obwohl ihr Herz noch immer viel zu schnell schlug. Das war verdammt knapp gewesen, doch eine Pause kam nicht infrage.
Während sie bereits eine Hand auf eines der Geräte legte, zog Zero aus den Schränken wahllos Klamotten, bewegte sich dabei aber auffallend vorsichtig.
»Für später«, erklärte er, als er ihren Blick bemerkte. Er hielt inne, sah sie durchdringend an. »Schaffst du das?«
Ava nickte. Sie war sich zwar alles andere als sicher, verspürte nach den letzten Erlebnissen in der Datenwelt Angst vor einem erneuten Besuch – doch was blieb ihr sonst übrig?
»Und du? Wie geht es dir?«
»Ich hatte schon wesentlich schlimmere Schmerzen.« Zero schnaubte leise, wobei die Sorge jedoch nicht aus seinem Gesicht verschwand. Sorge ... um sie? Er schien genau zu wissen, was in Ava vorging. »Ich behalte die Tür im Auge. Und dich.«
Unwillkürlich huschte ein Lächeln über Avas Gesicht. »Danke.«
Dann wandte sie den Blick der Konsole zu, konzentrierte sich auf das Metall unter ihrer Haut. Ein letztes Mal atmete sie durch, bevor sie eintauchte. Was würde sie erwarten?
Im Netz des Krankenhauses herrschte Chaos. Die Virtuelle Welt war völlig unstrukturiert. Daten wirbelten herum, Fragmente zerstörter Firewalls schossen an Ava vorbei und die sonst so träge wabernden Farben waren in wildem Aufruhr.
Nur unter größter Mühe konnte Ava ihren Körper in der gestörten Umgebung zusammensetzen. Immer wieder musste sie aufsteigende Übelkeit unterdrücken, da sich oben und unten ständig verschoben, was ihr jegliche Orientierung nahm.
Dennoch machte sie sich auf die Suche nach Ice und Snow, verließ das Netz der Klinik, rief nach den Zwillingen.
Da sie sich dem Gedanken, dass Ice etwas mit dem Chaos in der Kuppel zu tun haben sollte, noch immer verweigerte, lenkte sie sich mit der Frage ab, ob es den Geschwistern nach ihrer Befreiung gut ging. Ob sie unversehrt waren.
Aber je länger sie ohne das geringste Anzeichen der Zwillinge durch die Datenwelt irrte, desto mehr zweifelte sie an ihrem Erfolg. Hatte sie X' Nachricht vielleicht missverstanden? Doch womöglich hielt die Firewall der Kuppel die Zwillinge auch auf der anderen Seite – wobei das Chaos im inneren Netzwerk etwas ganz anderes erzählte ...
Gerade, als sie bereits über einen Alternativplan nachdachte, erschien wie aus dem Nichts endlich die gesuchte Person vor ihr. So unerwartet, dass Ava mitten in der Bewegung verharrte, sie nur wortlos anstarren konnte.
Ice sah aus wie immer, ewig jung und wunderschön – und doch war irgendetwas anders. Ava konnte es nicht greifen, doch Ice wirkte ... kraftvoller. Stärker. Erhabener. Ihr langes, silberweißes Haar glänzte, ihre eisblauen Augen strahlten. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre vollen Lippen, als sie sich nun näherte.
»Hallo, Ava.« Ihre wundervolle, helle Stimme drang wie immer tief in Avas Seele, berührte sie.
Keine Armlänge entfernt vor ihr schwebend, musterte Ice Ava mit undurchdringlichem Blick, als wartete sie auf etwas.
»Es hat also funktioniert ...?«, wollte Ava unsicher wissen.
Ice nickte, lächelte weiterhin. Doch dieses Lächeln machte Ava nervös, es wirkte immer mehr wie eine Maske. Aufgesetzt. Abermals wartete sie darauf, dass Ice sprach. Vergebens.
»Wie ... geht es Snow?«, fragte sie deshalb, nur, um die Stille nicht länger ertragen zu müssen.
»Mir geht es gut.«
Die Stimme erklang so plötzlich hinter Ava, dass sie erschrocken herumfuhr.
Ebenso dicht wie seine Schwester gegenüber, schwebte Snow vor Ava. Er sah tatsächlich besser aus, wirkte ausgeruht und gesünder. Doch gemeinsam mit der Schwäche schien auch jeder Rest an Menschlichkeit verschwunden zu sein. Wirkte er beim vorigen Treffen lediglich abwesend und unbeteiligt, strahlte er nun eine Gefühlskälte aus, die regelrecht greifbar war.
»Mein Körper muss sich noch erholen, aber meinem Geist geht es deutlich besser«, ergänzte er seine knappe Aussage.
»Das freut mich.« Ava meinte, was sie sagte. Denn sie verstand zwar nicht, was gerade los war, doch niemand verdiente es, so zu leiden wie die Zwillinge; Geist und Körper in qualvoller Auflösung begriffen.
»Wir freuen uns auf dich«, kam es nun von Ice, woraufhin sich Ava wieder ihr zuwendete.
»Auf mich?«
»Aber ja.« Ice kicherte, offensichtlich amüsiert über Avas Verwirrung. »Deshalb haben wir das Ganze doch veranstaltet. Damit du fliehen und zu uns zurückkehren kannst!« Sie machte eine ausholende Geste, schien die ganze Datenwelt zu meinen.
Wie, um ihren Besitz zu markieren, schoss es Ava durch den Kopf. Ihr Reich.
Doch der Gedanke wurde durch ihre Erleichterung verdrängt. Hatte sie es doch gewusst! Die Zwillinge hatten ihr durch die Angriffe nur helfen wollen! Und, sie wollten sogar, dass sie zu ihnen zurückkehrte. Ein Blick in Ices sanfte Miene machte Ava die Verbindung zwischen ihnen deutlich. Ein Band, das schon so lange existierte, wenn auch ohne Avas Wissen.
Zero lag also falsch mit seinem ständigen Misstrauen, mit dem er sie schon völlig paranoid gemacht hatte.
In ihrer Euphorie übersah sie fast ein nicht unerhebliches Detail, das sie noch kurz zuvor so erschüttert hatte.
»Was ist mit den beiden Wachen passiert? Sie sind ... tot.«
Bei Avas Worten wurde Ices Blick eine Spur schärfer, doch das Lächeln blieb.
»Aber wie sollten wir denn wissen, was mit zwei Wachen in der Kuppel passiert ist?«, fragte sie, ließ Ava dabei jedoch keine Sekunde aus den Augen.
Hatte Ava bis eben noch nicht wirklich an eine Beteiligung der Zwillinge am Tod der Männer geglaubt, drängte sich ihr nun ein schrecklicher Verdacht auf. »Ihr habt etwas damit zu tun!«
Ava wurde nervös. Die Sache entwickelte sich zunehmend in eine Richtung, die ihr nicht gefiel. Ihr Angst machte. Denn Chaos zu sähen war eine Sache, aber Menschen gezielt zu töten, eine ganz andere! Damit wären sie nicht besser als die ihnen so verhasste Regierung, das Militär, die Forscher! Zu allem Überfluss steckten die Personen, von denen sie dachte, dass sie sie verstehen würden, denen sie sich nahe fühlte, nicht nur dahinter, sondern waren nicht mal ehrlich zu ihr! Sie kam sich ausgegrenzt vor. Ausgenutzt. Verraten.
Zudem wollte sie sich gar nicht ausmalen, welche enormen Kräfte nötig waren, um die innere Firewall nicht nur zu durchdringen, sondern zu zerstören –und die Wachen zu töten!
»Komm nach Hause, Ava. Dort sprechen wir über alles.« Ice ging nicht auf Avas Vorwurf ein, fügte aber sanft hinzu: »Wir brauchen dich doch.«
Aber Ava war nicht bereit, sich einfach so vertrösten zu lassen, auch, wenn Ices Stimme noch immer etwas in ihr berührte.
»Was, wenn ich nicht will?« Ihre Frage kam zögerlicher, als sie es sich gewünscht hätte.
»Du hast doch gar keine andere Wahl! Wo willst du denn hin? Zurück zu den Menschen, die dich ein Leben lang belogen haben? Ins Gefängnis? Womöglich erneut als Forschungsobjekt enden?« Ices Augen funkelten, wurden aber mild, als sie Avas erschrockenen Blick trafen. »Du gehörst zu uns. Wir möchten, dass du bei uns bleibst.«
Ein Teil von Ava wollte Ice noch immer glauben, wollte ihr vertrauen – bis Snow all diese Gefühle mit nur einem Satz erstickte.
»Glaub uns, es ist besser für dich, jetzt nicht in der Kuppel zu bleiben ...«
Die Worte entstanden direkt in ihrem Kopf, legten sich wie eisiger Nebel auf ihr Gehirn. Das war definitiv eine Drohung. Deutlich spürte Ava Snows Präsenz hinter sich.
»Was meint er damit?« Alarmiert sah Ava Ice an.
Doch Ice starrte nur ausdruckslos zurück. »Komm zu uns.«
»Sagt mir, was los ist!« Mittlerweile war die Panik in Avas Gedanken deutlich zu vernehmen. »Was habt ihr vor?«
Statt einer Antwort manifestierte sich Snow plötzlich neben Ice. Es war wunderschön und beängstigend zugleich, wie die sich so sehr ähnelnden Zwillinge vereint in all den herumwirbelnden, schillernden Farben schwebten. Für einen Moment stand die Zeit still, während Avas Blick von den Geschwistern geradezu magisch angezogen wurde. Doch so identisch sie auf den ersten Blick auch wirkten, waren in Ices Augen hinter all der Kälte doch Gefühle zu lesen, während Snows Augen einfach nur leer waren – so leer, dass sie jegliche Wärme aus Ava heraussaugten.
»Es reicht«, beendete Snow nicht nur das Gespräch, sondern direkt das gesamte Treffen, indem er Ava ohne Mühe aus der Datenwelt hinausstieß.
Avas Geist war durch den unvorbereiteten Wechsel von der virtuellen in die physische Welt völlig verwirrt. Die Schwerkraft zog so plötzlich wieder an ihr, dass sie rückwärtstaumelte, bevor ihre Beine nachgaben. Doch noch während sie im Fallen bereute, sich nicht hingesetzt zu haben, wurde sie auch schon aufgefangen.
Mit weichen Knien lehnte sie an Zero, der sie festhielt, musste erst wieder zu Atem kommen. Das Pochen in ihrem Kopf nahm zu, sendete schmerzhafte Wellen durch ihren Körper.
Wie war es möglich, dass Snow ihre Verbindung so einfach durchtrennen konnte? Zwar hatte das auch der kleine Liam zuvor schon getan – doch um sie zu retten, nicht, um sie loszuwerden. Sie massierte ihre Schläfen, bevor sie sich aus Zeros Armen löste und zu ihm drehte. Auch, wenn ein Teil von ihr gern noch länger in der Umarmung verharrt hätte ...
»Was ist los?«, wollte er alarmiert wissen, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte.
»Ich hab sie gefunden. Sie sind tatsächlich frei. Aber ...« Sie wich Zeros Blick aus, biss sich auf die Lippe.
»Aber? Ava, wir haben keine Zeit!«
Ava seufzte. Er hatte ja recht, und Schweigen änderte auch nichts daran, dass sie sich offensichtlich in den Zwillingen getäuscht hatte. Sie kam sich nur so unfassbar dumm vor ...
Tief einatmend berichtete sie Zero von dem Gespräch, verfolgte dabei seinen sich verfinsternden Gesichtsausdruck.
»Die gesamte Firewall der Kuppel ist zusammengebrochen. Und sie waren so ... kalt. Sie planen etwas, und ich muss herausfinden, was!«, schloss Ava. Und noch ehe Zero den Mund zu einer Erwiderung öffnen konnte, schoss sie hinterher: »Ja, ich weiß, du hast den beiden von Anfang an nicht getraut. Und, du hattest recht!«
»Du verdirbst einem aber auch jeden Spaß!« Zero verdrehte die Augen, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Du bist dir also sicher, dass sie die Wachen getötet haben?«
Ava schluckte. »Ja.«
»Wie?«
»Ich weiß es nicht ... Aber ich weiß, dass das erst der Anfang war. Ich muss zu ihnen! Ich muss wissen, was sie vorhaben!«
Denn schließlich ist das alles meine Schuld ... schloss Ava in Gedanken.
»Und wenn das eine Falle ist?«
»Ich habe keine Wahl, oder?« Ihre Worte sollten stark klingen, doch sie hörte selbst deutlich die Angst in ihnen.
Zero berührte ihren Arm. Eine vermeintlich kleine Geste, die Ava jedoch so viel Kraft gab. »Wir