Sherlock Holmes - Neue Fälle 36: Das Ungeheuer - Michael Hardwick - E-Book

Sherlock Holmes - Neue Fälle 36: Das Ungeheuer E-Book

Michael Hardwick

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Beschreibung

Ein riesiges Wesen taucht im Loch Ness auf.Und eine unbekannte Frau aus der Themse.Gleichzeitig geschehen mysteriöse Dinge auf Urquhart Castle.Und was hat Mycroft, Sherlock Holmes' Bruder, mit alldem zu tun?

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Ähnliche


DIE NEUEN FÄLLE DES MEISTERDETEKTIVSSHERLOCK HOLMES

In dieser Reihe bisher erschienen:

3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan

3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer

3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn

3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter

3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer

3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick

3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz

3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi

3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick

3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler

3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer

3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer

3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt

3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson

3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson

3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt

3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle

3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn

3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler

3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter

3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel

3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler

3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner

3027 – Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger von Michael Buttler

3028 – Der Träumer von William Meikle

3029 – Die Dolche der Kali von Marc Freund

3030 – Das Rätsel des Diskos von Phaistos von Wolfgang Schüler

3031 – Die Leiche des Meisterdetektivs von Andreas Zwengel

3032 – Der Fall des Doktor Watson von Thomas Tippner

3033 – Der Fluch der Mandragora von Ian Carrington

3034 – Der stille Tod von Ian Carrington

3035 – Ein Fall aus der Vergangenheit von Thomas Tippner

3036 – Das Ungeheuer von Michael & Molly Hardwick

Michael & Molly Hardwick

SHERLOCK HOLMESDas Ungeheuer

Basierend auf den Charakteren vonSir Arthur Conan Doyle 

Aus dem Englischen von Uwe Luserke

The Private Life of Sherlock Holmesby Michael Hardwick, Mollie HardwickPublished November 26th 1970 by Mayflower.

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mario HeyerLogo: Mark FreierVignette: iStock.com/neyro2008Satz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-235-6

Der Mann aus Kanada

Der Blick des Portiers der Bank folgte der Kundin, für die er gerade noch geschäftig, wenn auch nicht zu ehrerbietig, die schwere, in Bronze gefasste Glastür geöffnet hatte. Mit einem grimmigen Lächeln verfolgte er, wie sie in Richtung Piccadilly entschwand und im Gewühl der Menschen und der Rushhour untertauchte.

Der von Hyde Park Corner herüberdringende Lärm des Straßenverkehrs mutete in seinem ständig steigenden Lärmpegel und dem kaum mehr messbaren Durcheinander wie der Beginn der Apokalypse an. Die Geräuschkulisse wurde nur noch vom dumpfen Dröhnen eines Jumbojets übertönt, der über dem Flughafen London-Heathrow zur Landung ansetzte.

Sicher werden die Menschen eines Tages in diesem ­lärmenden und stinkenden Stadtmoloch ersticken, dachte der Portier bei der Vorstellung der dann verstopften Straßen, auf denen kein richtiges Fortkommen mehr möglich war. Er malte sich aus, dass auch die Verkehrspolizei nur noch kapitulieren konnte, dem Chaos unterliegen würde. Tief seufzend hatte er ein bedrückendes Bild vor Augen: London, geknechtet von der mit Abgasen geschwängerten Luft, in der die Flugzeuge kreisten, kollidierten und herunterstürzten. Aber das würde nicht nur in London so sein, sondern auch in anderen Städten.

Beinahe hätte der Portier den Jüngling nicht wahr­genommen, der ihm lächelnd seine Visitenkarte reichte. Zögernd nahm er sie entgegen.

„Bitte, melden Sie mich dem Direktor“, sagte der junge Mann forsch.

„Der Sekretärin des Herrn Direktor“, berichtigte der Portier und deutete mit der rechten Hand in die Richtung, die sie einschlagen mussten. „Bitte, hier entlang.“

Mit schnellen Schritten eilte er voraus. Am Ende einer Schalterreihe drückte er auf einen Klingelknopf. Eine Dame mittleren Alters kam freundlich lächelnd herbei, nahm ihm die Visitenkarte ab und betrachtete sie neugierig durch ihre goldgefasste Brille.

„Der Herr wünscht den Herrn Direktor zu sprechen“, meldete der Portier, verabschiedete sich kopfnickend und verschwand.

Die Dame hinter dem Schalter musterte den jungen Mann eingehend. „Haben Sie ein Konto bei uns?“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Bisher habe ich nicht das Vergnügen.“

„Sie wünschen dennoch, den geschäftsführenden Direktor Mister Havelock-Smith zu sprechen? Ich entsinne mich keines vorgemerkten Termins.“

„Es wurde auch keiner vereinbart. Ich erhielt aber ein Schreiben von Mister Havelock-Smith, in dem er mich bat, ihn aufzusuchen.“

Die Sekretärin schüttelte den Kopf, murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, verschwand mit der Visiten­karte in der Hand hinter einer mit edlem Holz getäfelten Tür und überließ den jungen Mann sich selbst.

Die Räumlichkeiten des geschäftsführenden Direktors, keiner der Bankangestellten hätte es gewagt, von einem Büro zu sprechen, waren des Duke of Wellington angemessen. Für ihn wurde das Haus einst gebaut, in dem sich nunmehr die Bank befand. Die Wandvertäfelungen bestanden aus Eiche, und der kunstvoll gemauerte Kamin zeugte von vergangenen Zeiten, wie auch das erlesene Mobiliar, darunter ein bequemer Ledersessel hinter einem geräumigen Schreibtisch. Edle Bücherregale verliehen dem Raum die anheimelnde Atmosphäre einer Bibliothek, in die kein Laut des Lärms des London der Siebzigerjahre drang.

Mr. Havelock-Smith war im Begriff, fiktiv durch einen meisterhaften Schlag das elfte Grün des Royal Sandwich Golf Clubs zu meistern, als ihn Miss Hoppers Eintreten in die schnöde Realität zurückrief. Seit knapp einer Stunde hatte er sich seinen Träumereien hingegeben, war gedanken­versunken vor seinem Schreibtisch einhergeschritten, um Mr. Caccidy von der Rechtsabteilung völlige Konzentration zu demonstrieren. Mr. Havelock-Smith hatte die siebzig erreicht und war sicher, alles Wissenswerte in Erfahrung gebracht zu haben. Hätte er in seinem Sessel gesessen und Mr. Caccidys Schilderungen über die Konditionen gelauscht, die die Bank einer Aktiengesellschaft, die für das Jahr 1971 einen Kredit in Höhe von einer Million Pfund erbeten hatte, zu gewähren dachte, wäre er garantiert eingeschlummert.

Miss Hoppers Erscheinen begrüßte er daher in jeder Hinsicht.

„Ein Herr wünscht Sie zu sprechen, Sir.“

Mr. Havelock-Smith nahm die von Miss Hopper überreichte Visitenkarte und übersah geflissentlich den vorwurfsvollen Blick seines Mitarbeiters, der die Unterbrechung seiner Ausführungen mit unwilligem Kopfschütteln quittierte. Ein Blick auf die Karte genügte, um aus dem betagten Bankdirektor einen Menschen zu zaubern, der sein Alter völlig vergaß und mit einem strahlenden Lächeln die Tür aufriss. „Ich bin hocherfreut über Ihr Erscheinen! Treten Sie doch bitte näher.“

Der Jüngling betrat mit der Entschuldigung, nicht stören zu wollen, das Allerheiligste des Direktors.

„Aber, davon kann keine Rede sein.“ Mr. Havelock-Smith deutete seiner Sekretärin mit einer kurzen Geste, dass er sie nicht mehr benötigte. Dann ergriff er den jungen Besucher beim Arm und führte ihn an das Fenster, an dem Mr. Caccidy stand.

„Darf ich Ihnen vorstellen: Mr. Caccidy aus unserer Rechtsabteilung. Caccidy, das ist Dr. Watson.“

„Dr. Watson?“ Mr. Caccidy war irritiert. „Ich entsinne mich nicht, dass ich schon einmal das Vergnügen hatte.“

„Dr. Watson ist der Enkel des Dr. Watson!“, beeilte sich Mr. Havelock-Smith zu erklären.

„Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mister Caccidy.“ Der junge Mann reichte dem Vertreter der Rechtsabteilung seine Hand, die dieser zögerlich schüttelte.

„Sie wissen doch, Holmes und Watson, Baker Street“, warf Mr. Havelock-Smith erregt ein.

Endlich spiegelte sich auf dem Gesicht seines Mitarbeiters Erkenntnis, doch er wirkte weiterhin desinteressiert. Dr. Watson fischte einstweilen aus seiner Reise­tasche ein Schreiben, das er dem Direktor entgegenhielt.

„Ich habe unlängst diesen Brief von Ihnen erhalten, in dem Sie mir etwas über eine Blechkassette mitteilten, die wohl meinem Großvater gehört haben soll.“

„Ich bin sehr erfreut, dass Sie meiner Bitte so schnell gefolgt sind, Dr. Watson. Sie vermuten recht. Diese Kassette wurde uns einst zur Aufbewahrung in unserem Tresor­gewölbe übergeben, mit der Auflage, sie den Erben nach Ablauf von fünfzig Jahren nach dem Tode unseres Kunden auszuhändigen. Aus unseren Aufzeichnungen entnehmen wir, dass diese Frist verstrichen ist. Sie als nächster noch lebender Verwandter sind befugt, die Kassette entgegenzunehmen.“

„Ich bin sehr begierig, zu erfahren, was mein Großvater die ganzen Jahre verborgen gehalten hat.“

Mr. Havelock-Smith verschränkte die Finger ineinander. „Ich konnte meine Neugier ebenfalls kaum zügeln. Beabsichtigen Sie, die Kassette hier zu öffnen?“

Der junge Watson nickte mit einem amüsierten Lächeln. „Das wollte ich eigentlich, und ich möchte Sie auf keinen Fall enttäuschen.“

Mr. Havelock-Smith hielt mit seiner Freude nicht hinter dem Berg und wandte sich aufgeregt an Mr. Caccidy. „Tragen Sie dafür Sorge, dass die Kassette auf der Stelle herbeigeschafft wird.“

Nachdem Mr. Caccidy diensteifrig den Raum verlassen hatte, nahmen Mr. Havelock-Smith und sein Gast in weichen Ledersesseln Platz.

„Sie leben in Kanada, Dr. Watson?“

Der junge Mann nickte zustimmend. „Ich bin Veterinär in Saskatchewan, indirekt bin ich somit in die Fuß­stapfen meines Großvaters getreten. Derzeit befinde ich mich in London, weil ich einen Kongress über die Maul- und Klauenseuche besuche. Das bot mir die Gelegenheit, Ihrer Bitte nachzukommen.“

„Meine Freude könnte nicht größer sein! Darf ich Ihnen einen Sherry anbieten?“ Mr. Havelock-Smith schenkte, als sein Gegenüber die Frage bejahte, aus einer antiken Karaffe ein und reichte eines der Gläser seinem Gast. „Dr. Watson, es muss Sie mit Stolz erfüllen, einen so berühmten Namen zu tragen.“

„Soll ich Ihnen etwas gestehen? Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, meinen Namen ändern zu lassen.“

„Höre ich recht?“ Mr. Havelock-Smith ließ vor Überraschung beinahe sein Glas zu Boden fallen.

„Sie hören recht! Wenn man diesen Namen trägt, kommen die Leute oftmals auf sonderbare Ideen.“

Der Direktor nickte. „Ich kann mir vorstellen, dass es mitunter recht lästig sein kann, mit einem so berühmten Namen leben zu müssen. Ich hingegen ...“ Er schloss verzückt die Augen und sagte, wie zu sich selbst: „Der ­flackernde Lichtschein des Streichholzes fiel auf die schaurige Blutlache, die sich rings um den zerschmetterten Schädel des Opfers gebildet hatte. Wir standen erschüttert vor der Leiche des Sir Henry Baskerville.“

„Wie bitte?“, entfuhr es seinem jungen Gast.

„Dr. Watson, Sie enttäuschen mich! Dieser Text entstammt dem Roman Der Hund von Baskerville, dem Kapitel Tod im Moor.“

„Wie interessant!“

„Sie sagen es“, fuhr der Bankdirektor enthusiastisch fort, „eines seiner berühmtesten Werke. übrigens bin ich das Vorstandsmitglied der Londoner Sherlock Holmes Society. Mehrmals im Jahr werden Lesungen aus den uns fast heiligen Werken auf unseren Treffen abgehalten.“

„Das erstaunt mich. Auch heute noch?“

„Aber natürlich. Die Mitglieder mehren sich. Es sind vor allem junge Menschen. Ich nehme an, dass es eine Form des Protestes gegen jenen Geheimdienstagenten ist, dessen Namen mir entfallen ist.“

„Sie meinen sicher 007, Sir James Bond.“

„Genau, so lautet wohl sein Name.“ Dem Tonfall der Stimme des Direktors war zu entnehmen, dass er eine Aversion gegen James Bond hegte. Sein nächster Satz bestätigte das. „Ich würde ihn nicht gerade einen Gentleman nennen.“

„Auf dem Flug nach London wurde der Film Gold­finger gezeigt. Ich habe mich wirklich amüsiert.“

„Das kann ich leider nicht nachvollziehen“, entfuhr es Mr. Havelock-Smith. „Da ist doch alles nur billiger Schund, der der niederen Befriedigung der Sensationsgier dient. Es handelt sich doch nur um reine Gewalt und nackte Frauen! Sex and Crime! Schnelle Autos mit speziellen Funktionen, und das alles im Dienste Ihrer Majestät der Königin. Das liegt mir nicht, mich gelüstet es mehr nach einer dunklen, nebulösen Nacht, einer Kutsche, dem Klappern der Pferdehufe in der Baker Street und einem beherzten Klopfen an der Haustür Nummer 221 b!“

Die Tür öffnete sich. Mr. Caccidy betrat, begleitet von zwei Bankangestellten, mit einer schlichten Blechkassette den Raum. Die Schatulle war mit einer festen Schnur umwickelt, deren Knoten mit einem beachtlichen roten Siegel versehen waren. Mr. Caccidy stellte die Kassette auf den Schreibtisch und bedeutete den beiden Bankangestellten, sich zu entfernen, was diese auch lautlos taten. Mr. Havelock-Smith konnte seine Neugier nicht länger bezähmen und trat mit gemessenen Schritten, als nähere er sich einem kostbaren Schatz, an den Schreibtisch heran; begleitet von dem jungen Watson, der aufmerksam die versiegelte Schnur betrachtete, an der ein kleiner Schlüssel hing.

„Sieht nicht sehr spektakulär aus“, entfuhr es Mr. ­Caccidy respektlos.

Mr. Havelock-Smith schenkte seinen Mitarbeiter, der sofort verstummte, einen vernichtenden Blick.

„Wollen Sie wirklich, dass ich den Inhalt in Ihrer Anwesenheit einsehe?“, vergewisserte sich Dr. Watson.

„Aber selbstverständlich“, rief der Direktor mit aufgeregt erhobener Stimme. „Das ist der einzige Grund, aus dem ich mit meinen siebzig Jahren noch an meinem Schreibtisch ausharre und nicht längst in Pension gegangen bin. Einzig und allein in der Hoffnung, dass ich diesem denkwürdigen Augenblick beiwohnen könne.“

„Dann wollen wir auch nicht länger warten.“ Mit einer beherzten Handbewegung brach Dr. Watson das Siegel, löste den Schlüssel von der Schnur und öffnete damit das Schloss.

„Vorsichtig, bloß vorsichtig“, flüsterte Mr. Havelock-Smith, als sich Dr. Watson anschickte, den Deckel zu heben.

Als Erstes stieg ein penetrant stechender und beißender Geruch auf. Mr. Havelock-Smith konnte sich nicht mehr beherrschen, griff vorsichtig in die Kassette und beförderte eine abgenutzte Tabakspfeife hervor.

„Das kann nur die Pfeife von Sherlock Holmes sein“, rief der alte Bankdirektor aufgeregt und verhielt sich wie ein kleiner Junge, der vor dem Weihnachtsbaum seine Geschenke auspackt.

Mr. Caccidy rümpfte mit augenscheinlichem Missfallen die Nase, als auch er die Pfeife betrachtete. Mr. Havelock-Smith hingegen streckte die Hand erneut in die Schatulle, zog eine beeindruckende Lupe hervor und eine Jagdmütze, die ihm nun Laute des Entzückens entlockten.

„Dr. Watson, sehen Sie nur!“ Das Gesicht des Bankdirektors war ein einziges Strahlen, das sein Gast belustigt registrierte. „Wäre es möglich, ich meine, wäre es Ihnen recht, wenn ich ...?“

Der junge Watson nickte lächelnd.

Mit einem wohligen Seufzen setzte sich der Holmes-Anhänger die altmodische Jagdmütze auf das ergraute Haar und ging eilig an die Glastür eines Schrankes, um sein mit der wertvollen Reliquie verziertes Abbild zu betrachten.

Der junge Watson beobachtete es mit einem wohl­wollenden Lächeln, griff nun auch in die blecherne Kassette, und sein Gesichtsausdruck wechselte jäh, als er eine veraltete Injektionsspritze hervorholte. Er stieß einen erstaunten Laut aus. „Sehen Sie nur. Sherlock ­Holmes war also tatsächlich süchtig. Damit hat er sich wohl Kokain injiziert.“

Mr. Havelock-Smith fuhr herum und lief zurück zum Schreibtisch, um zu begutachten, was sein junger Gast in der Hand hielt. „Je weniger man dieses Thema anspricht, umso besser“, murmelte er unwillig und entnahm der Kassette eine Handvoll vergilbter fotografischer Objekte, die er emsig vor sich auf der Schreibtischplatte ausbreitete und betrachtete.

„Eine gewisse Familienähnlichkeit ist tatsächlich unverkennbar.“ Dr. Watson warf einen Blick auf das Porträt eines eleganten Herrn, der unverwechselbar sein Großvater sein musste. Ein anderes Bild zeigte Sherlock Holmes in hoheitsvoller Haltung, den Arm auf die Lehne eines Sessels gestützt, in dem Dr. Watson saß. Eine weitere Fotografie zeigte den Meisterdetektiv in Knicker­bockern und der angespannten Haltung eines barfäustigen Boxchampions.

„Er war ein hervorragender Faustkämpfer“, murmelte Mr. Havelock-Smith vor sich hin. Dem Ausdruck seines Gesichtes war deutlich abzulesen, dass vor seinem geistigen Auge eine Szene des bereits angesprochenen Schrifttums aufleuchtete, das wohl zu seinem Lebensinhalt geworden war. „Mr. Sherlock Holmes“, schrie er, „wie konnte ich Sie mit jemand anderem verwechseln? Aber ein Kinnhaken von Ihrer berühmten Rechten, und ich hätte sofort gewusst, dass nur Sie es sein konnten.“

Mr. Havelock-Smith registrierte die irritierten Blicke der beiden Anwesenden und ließ seine erhobenen Fäuste sinken. „McMurdo, Im Zeichen der Vier. Aber lassen Sie uns nachsehen, was wir sonst noch haben“, rief er aufgeregt. „O Gott, da schlägt das Herz jedes Sammlers höher! Dr. Watson als Militärarzt beim Fünften Regiment der Northumberland Fusiliers.“

„Wo bitte?“, fragte der junge Watson verwirrt.

„In Afghanistan, wo er von einer Jezail-Kugel getroffen wurde.“

„Wo?“

„In der linken Schulter oder am rechten Bein. Da gehen die Lehrmeinungen hier derzeit zu meinem Bedauern etwas auseinander.“

„Was für eine Kugel?“, wollte der junge Watson interessiert wissen.

„Die aus einem Jezail, einer langen, afghanischen Muskete.“

„Wie aufschlussreich. Und was haben wir hier?“ Dr. Watson blickte neugierig auf ein Bildnis, das Mr. Havelock-­Smith in diesem Augenblick auf den Schreibtisch legte. Auf ihr war ein stattlicher Mann um die vierzig im Cutaway mit grauem Zylinder abgebildet, der mit stolzem Gesichtsausdruck und in Siegerpose ein Rennpferd am Zügel hielt.

„Das kann nur in Ascot sein“, meldete sich Mr. ­Caccidy wieder einmal zu Wort.

„Und ohne Zweifel Mycroft Holmes“, fuhr der Bankdirektor fort. „Sherlock Holmes’ älterer Bruder, auch ein sehr bemerkenswerter Mann. Sherlock Holmes schätzte die Fähigkeiten seines Bruders als Detektiv immer höher ein als die eigenen. Mycroft hatte jedoch nie die Energie und den Ehrgeiz, sich ihrer mit Erfolg zu bedienen.“

Dr. Watson hob währenddessen mit überheblichem Lächeln ein Notenpapier aus der Schatulle und reicht es Mr. Havelock-Smith. Dieser stutzte, als er die handschriftliche Widmung am Kopfende betrachtete.

„Für Ilse von H., von S. H. Das sieht nach einer Komposition von Holmes aus.“ Der alte Bankdirektor hielt einen Moment inne, bevor er weitersprach. „Das ist außer­ordentlich interessant! Ilse von H.? Mir sagt der Name beim besten Willen nichts. Ich erinnere mich nicht, ihn in den Memoiren Ihres Großvaters entdeckt zu haben.“

„Nun gut.“ Dr. Watson schmunzelte. „Dann hätten wir alles gesichtet, mit Ausnahme dieser Papiere hier.“ Er hielt ein dickes Manuskriptbündel hoch, das mit einem verblassten, roten Band zusammengehalten wurde.

Mr. Havelock-Smith nahm es ihm mit bebenden Händen ab. „Darf ich?“ Auch seine Stimme zitterte.

„Aber selbstverständlich.“

Hektisch entknotete Mr. Havelock-Smith das Bündel und stotterte vor Aufregung: „Handschriftliche Notizen ... Vielleicht handelt es sich ja sogar um die Originale der Berichte über Holmes’ Fälle für das Strand Magazine. In dem Fall, mein lieber Dr. Watson, sind Sie ein reicher Mann.“

Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern, und er begann zu lesen, wobei er wahllos einzelne Blätter aus dem Bündel zog, um diese in Augenschein zu nehmen. Mit einem Mal streckte er die Hand aus, suchte an der Schreibtischkante Halt und sah seinen jungen Gast bedeutungsvoll an. „Dr. Watson, dieser Bericht ist niemals veröffentlicht worden.“ In der Stimme von Mr. Havelock-Smith schwang tiefe Erschütterung mit.

Der Angesprochene nahm ihm die Unterlagen aus der Hand und studierte sie sorgfältig. „Sind Sie sicher?“, fragte er nach einer Weile.

„Völlig! Ich kenne alle bislang bekannten Veröffentlichungen praktisch auswendig.“

„Verzeihen Sie, Sir“, mischte sich Mr. Caccidy ein. „Sie erwecken den Eindruck, als hätten Sie gerade ein unbekanntes Werk von Shakespeare entdeckt.“