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Ein harmloser Patientenbesuch bei einem langjährigen Freund wird für Doktor Watson zu einem brisanten Kriminalfall. Hilflose, alleinstehende Patienten verschwinden von einem auf den anderen Tag spurlos. Sherlock Holmes beginnt mit Unterstützung von Doktor Watson zu ermitteln. Schon bald stellen sie fest, dass der Fall weitaus größere Kreise zieht als zunächst angenommen.
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Seitenzahl: 270
Veröffentlichungsjahr: 2024
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3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan
3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer
3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn
3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter
3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer
3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick
3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz
3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi
3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick
3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler
3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer
3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer
3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt
3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson
3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson
3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt
3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle
3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn
3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler
3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter
3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel
3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler
3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)
3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner
3027 – Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger von Michael Buttler
3028 – Der Träumer von William Meikle
3029 – Die Dolche der Kali von Marc Freund
3030 – Das Rätsel des Diskos von Phaistos von Wolfgang Schüler
3031 – Die Leiche des Meisterdetektivs von Andreas Zwengel
3032 – Der Fall des Doktor Watson von Thomas Tippner
3033 – Der Fluch der Mandragora von Ian Carrington
3034 – Der stille Tod von Ian Carrington
3035 – Ein Fall aus der Vergangenheit von Thomas Tippner
3036 – Das Ungeheuer von Michael & Molly Hardwick
3037 – Winnetous Geist von Ian Carrington
3038 – Blutsbruder Sherlock Holmes von Ian Carrington
3039 – Der verschwundene Seemann von Michael Buttler
3040 – Der unheimliche Mönch von Thomas Tippner
3041 – Die Bande der Maskenfrösche von Ian Carrington
3042 – Auf falscher Fährte von James Crawford
3043 – Auf Ehre und Gewissen von James Crawford
3044 – Der Henkerkeller von Nils Noir
3045 – Die toten Augen des Königshauses von Ian Carrington
3046 – Der grauenhafte Gasthof von Ralph E. Vaughan
3047 – Entfernte Verwandte von Jürgen Geyer
3048 – Verrat aus dem Dunkel von James Crawford
3049 – Die Dämonenburg von Nils Noir
3050 – Die Shakespeare-Verschwörung von J. J. Preyer
Die neuen Fälle des Meisterdetektivs Sherlock Holmes
Buch 47
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© 2024 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Mario Heyer
Umschlaggestaltung: Mario Heyer u.V. der KI Software Midjourney
Logo: Mark Freier
Vignette: iStock.com/neyro2008
Satz: Gero Reimer
3047 vom 08.05.2024
ISBN: 978-3-7579-7002-4
Morgendlicher Besuch
Ein trauriger Fall
St. Katharine’s
Ein arbeitsreicher Tag
Birmingham im Regen
Mord im Park
Neue Pläne
Mycroft
Patientin Price
Shinwell Johnson
Der nächste Fall
Einsatz in Soho
Weitere Mosaiksteine
The Three Cedars
Das Begräbnis
Nachtrag
Über den Autor
Es war noch sehr früh an diesem Montagmorgen Ende April, als mich ein energisches Klopfen an meiner Zimmertür recht ungnädig aus dem Schlaf riss.
„Doktor Watson, aufstehen! Es ist halb sieben.“
Zunächst noch benommen, spürte ich aber, wie meine Lebensgeister langsam zurückkehrten, ebenso wie meine Erinnerung daran, dass ich Misses Hudson am Vorabend darum gebeten hatte, mich zu dieser unchristlichen Uhrzeit zu wecken. Nachdem ich halbherzig noch ein schnelles: „Danke, Misses Hudson!“, zur Tür gerufen hatte, wankte ich aus dem Bett und zog die Vorhänge an meinem Fenster auseinander. Schnell kniff ich meine Augen zusammen, denn die Sonne flutete den Raum sofort mit gleißendem Licht.
Der Frühling zeigte sich fürwahr von seiner besten Seite, was meine Laune erheblich steigerte. Ich öffnete das Fenster und sog langsam die frische Luft ein. Es war ein wahrhaftiges Glücksgefühl. Das herrliche Wetter bewog mich spontan dazu, später zu Fuß zu dem nicht allzu fern gelegenen Regent’s Park aufzubrechen, wo ein Krankenbesuch auf mich wartete. Nach einer schnellen Morgentoilette kleidete ich mich ausgehfertig an und begab mich in das Wohnzimmer, wo unser guter Geist Misses Hudson gerade schon dabei war, das Frühstück aufzutragen.
„Nochmals einen schönen guten Morgen, Misses Hudson! Ist das nicht ein wundervolles Wetter?“ Ich blickte mich im Wohnzimmer um und bemerkte sofort, dass etwas fehlte. Freundlich hatte mir unsere Vermieterin zugenickt und sah mich dann fragend an.
„Suchen Sie etwas, Doktor Watson?“
„In der Tat, meine Liebe. Was ist denn mit Mister Holmes? Es ist selten, dass er mit seiner Abwesenheit glänzt, wo doch das Frühstück schon parat steht. Hat er Ihnen gegenüber irgendetwas erwähnt? Ich habe ihn gestern Abend nicht mehr sprechen können.“
„Nun, Doktor. Ich habe ihn auch noch nicht gesehen. Gestern Abend murmelte er nur so etwas wie: wichtig, morgen mit Hopkins zu reden, absolut wichtig. Hilft Ihnen das vielleicht weiter?“
„Hopkins ... Inspektor Hopkins von Scotland Yard?“
„Keine Ahnung, Doktor. Als ich Sie vorhin weckte, war mir so, als hörte ich unten die Haustür gehen. Vielleicht ging Mister Holmes schon aus dem Haus.“
Ich runzelte die Stirn und überlegte, kam aber zu keinem Schluss.
„Seltsam ... Na, dann lasse ich mir Ihr hervorragendes Frühstück eben alleine schmecken.“ Sie zuckte mit den Schultern, lächelte mich an und verließ daraufhin wieder mit ihrem Tablett das Wohnzimmer. Auch ohne meinen Freund und Mitbewohner genoss ich die Mahlzeit und warf danach noch einen schnellen Blick in die Morgenzeitung, die ich aber bald unkonzentriert neben meinen Sessel fallen ließ. Ganz in Gedanken blickte ich zum Fenster und sinnierte über den bevorstehenden Krankenbesuch. Edward Bromfield, dem mein Besuch nachher gelten sollte, war schon etliche Jahre ein lieber Freund, den ich schon seit unserer gemeinsamen Militärzeit in Afghanistan kannte. Nach dem Krieg verschlug es auch ihn zurück nach England, wo wir uns nach einigen Jahren wieder trafen. Er besaß noch eine schmucke kleine Villa am Ostrand des Regent’s Parks, in die er wieder eingezogen war. Nicht zuletzt wegen der nicht allzu großen Entfernung wurde er hierauf auch ein Patient von mir. Mit etwas Wehmut musste ich an seine jetzige gesundheitliche Lage denken. Er war im Laufe der vergangenen drei Jahre doch sehr gebrechlich geworden. Diese Last forderte mehr und mehr ihren Tribut. Bei einem nötig gewordenen Aufenthalt in einem nahe gelegenen Hospital vor fünf Monaten wurde bei ihm leider eine schon recht weit vorangeschrittene Lungenkrankheit diagnostiziert, die wohl keine Hoffnung mehr auf Heilung machte. Nach dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren fristete der arme Teufel, da die Ehe kinderlos geblieben war, nun sein Dasein gänzlich alleine.
Nach der Rückkehr Edwards aus dem Hospital hatte ich mich sofort dazu bereit erklärt, seine medizinische Betreuung vollends zu übernehmen. Zu diesem Dienst fühlte ich mich allein schon durch unsere langjährige Freundschaft verpflichtet. Holmes kannte die Geschichte von Bromfield, mischte sich aber nicht in Patientenbelange ein, wie er sich ausdrückte. Meine regelmäßigen Besuche am Regent’s Park nahm er kommentarlos zur Kenntnis.
Der Fußmarsch die Baker Street entlang zum Park war sehr erfrischend und versetzte mich in recht optimistische Stimmung. Dieses Gefühl erwies sich dann aber auch bald als notwendig, da ich nach Erreichen meines Ziels und nach Klopfen mittels Metallringes lange Minuten an der Haustür von Edward Bromfield warten musste.
Endlich ließen sich schlurfende Schritte hinter der Tür vernehmen, die dann zögerlich geöffnet wurde. Edward blickte mich freundlich lächelnd an und bat mich mit einer Handbewegung, einzutreten. Seine abgemagerte Gestalt, die von einem viel zu weiten Morgenmantel umhüllt wurde, zeigte mir überdeutlich den schlechten Gesundheitszustand des Freundes. Besorgt folgte ich Bromfield in seinen Salon.
„Entschuldige bitte, John, dass ich etwas Zeit brauchte, um die Tür zu öffnen, aber Misses Forster ist erst morgen wieder hier.“
Er hustete krampfartig, während er dann mühsam in einem Sessel am Kamin Platz nahm.
„Ich habe Zeit, Edward“, entgegnete ich etwas gezwungen lächelnd, was optimistisch aussehen sollte.
„Wie geht es dir heute Morgen?“ Dass dies eine rein rhetorische Frage war, wusste Bromfield selbst am besten. Ein gequältes Lächeln, begleitet von einem neuerlichen Hustenanfall, sagte mir genug.
Während ich das Stethoskop aus meiner Arzttasche zog, bemerkte ich in gut meinendem Tonfall: „Du solltest hier nicht ganz allein bleiben, Edward. Jemand muss hier um dich herum sein und sich um dich kümmern. Misses Forster reicht nicht aus, um dich mit allem Notwendigen zu versorgen. Dir braucht es nur einmal richtig schlecht zu gehen und du stürzt im Haus. Was machst du dann? Wer hilft dir?“ Mit gesenktem Kopf und traurigem Blick nickte er schwach.
Mit dem Stethoskop war dauerhaftes Röcheln zu vernehmen. Der Herzschlag, sehr unregelmäßig, gab auch keinen Grund zu großem Optimismus. Ich steckte das Gerät zurück in die Tasche und sprach ihn bittend, ja eindringlich, von Neuem an.
„Hast du mir nicht einmal von einer Nichte erzählt, die nach dem Tod ihrer Eltern ebenfalls allein in Birmingham wohnt? War es nicht so, dass sie die letzte lebende Verwandte von dir ist?“
Er hob müde den Kopf und sah mich mit wässrigen Augen an. Zögerlich begann er zu reden.
„Ja, das stimmt, John. Eva ist ledig und die Letzte außer mir. Was willst du mir damit andeuten?“
„Ohne dich bedrängen zu wollen, aber es scheint doch wirklich angebracht, in deiner Verfassung einmal darüber nachzudenken ...“
Ein zaghaftes Lächeln umspielte nun seine Mundwinkel.
„Einmal darüber nachzudenken, sich mit Eva in Verbindung zu setzen, willst du sagen?“
Ich nickte ihm zu.
„Nun, da ist schon was in die Wege geleitet, alter Freund.“
Erstaunt schaute ich ihn an.
„Das ist ja ausgezeichnet! Du hast Kontakt mit Eva aufgenommen? Du hattest doch sicher Jahrzehnte nichts von ihr gehört. Wie hast du sie aufgestöbert?“
„Langsam, langsam John, es ist alles erst am Entstehen. Nur so viel: Man nimmt sich der Sache an.“
„Man? Wer ist man?“
„Darüber zu reden, ist sicherlich noch verfrüht. Aber du wirst schon sehen.“
Erfreut über diese Neuigkeit setzte ich mich zu meinem Freund in einen Sessel und plauderte noch eine Weile mit ihm. Danach packte ich meine Tasche und verließ etwas zuversichtlicher gestimmt die Villa, nachdem wir den Dienstag der nächsten Woche als neuen Termin verabredet hatten. Während des Rückwegs in die Baker Street ließ mir die Ankündigung meines Patienten aber keine Ruhe. Wer hatte sich dazu bereit erklärt, den Kontakt zu seiner Nichte neu zu knüpfen? Sollte Misses Forster dahinterstecken? Edward hatte meines Wissens sonst keine anderen Bekannten. Aber warum auch nicht. Alles wusste ich sicherlich auch nicht über das Privatleben meiner Patienten. Grübelnd schlenderte ich auf den aus der Ferne schon erkennbaren Hauseingang 221 B zu. War das nicht Holmes, der da gerade mit einem Mann in den Hauseingang trat? Aber die Tür war schon wieder geschlossen worden. Neugierig legte ich den restlichen Weg zu unserer vertrauten Wohnung zurück.
Nachdem ich die Stufen in den ersten Stock erklommen hatte, konnte ich schon gedämpfte Stimmen aus dem Wohnzimmer vernehmen. Ich klopfte kurz an und trat ein. Am Kamin vor dem Wohnzimmertisch saßen Sherlock Holmes und Inspektor Stanley Hopkins beieinander, die mir freundlich lächelnd entgegenblickten.
„Hallo Doktor, schon so früh auf den Beinen? Ein Notfall?“ Holmes sah mich fragend an.
„Hallo Gentlemen! Einen guten Morgen.“ Ich nickte meinem Mitbewohner und dem Scotland-Yard-Inspektor grüßend zu. „Es war nur ein routinemäßiger Patientenbesuch, der mich aus den Federn getrieben hat. Bei Ihnen scheint aber eine recht wichtige Angelegenheit der Anlass zu diesem frühen Treffen zu sein.“
Während ich mich meines Mantels entledigte, antwortete Holmes in sachlichem Ton: „Nun, Watson, Sie haben nicht unrecht. Ich hatte gestern schon ein Treffen mit Mister Hopkins bei Scotland Yard, und da er hoffte, am gestrigen Abend noch neue Erkenntnisse in einer merkwürdigen Sache zu erhalten, hatten wir dieses zweite Treffen für heute in der Frühe hier in der Baker Street ausgemacht.“
„Warum hier, Inspektor?“, sprach ich ihn an.
„Es war ganz einfach dem Umstand geschuldet, dass ich wusste, heute Morgen schon in der Marylebone Road sein zu müssen, um bei anderen Ermittlungen dabei zu sein. Da bot es sich an, Mister Holmes den Vorschlag zu machen, danach hierher zu kommen. Er ist mir sogar schon entgegengekommen und hat mich sozusagen abgeholt.“ Hopkins lächelte mich an.
„Aha, also ein neuer Fall, Holmes?“ Ich stellte mich zu den beiden und blickte meinem Freund über die Schulter. Holmes hielt ein Blatt Papier in der linken Hand, auf dem dicht gedrängt Notizen zu erkennen waren.
„Es ist offenbar eine größere Sache, die da im Gange ist, Doktor“, erklärte der Detektiv. Hopkins zeigte auf das Blatt mit den Notizen und fuhr stellvertretend für Holmes fort.
„Wir stießen eigentlich mehr durch Zufall auf Ungereimtheiten, die über die vergangenen drei Jahre verteilt liegen und sich aber immer mehr als schwerwiegende Begebenheiten entpuppten. Es begann damit, dass vor drei Jahren, im Mai 1896, eine Vermisstenanzeige in Guildford, Surrey, auf dem dortigen Polizeirevier aufgegeben wurde. Eine Misses Emma Burne gab an, dass ihre Nachbarin, die sie betreue, verschwunden sei. Am Tag zuvor wäre die besagte Nachbarin, Misses Anna Langston, noch in ihrem Haus anwesend gewesen, als Misses Burne ihr die Wocheneinkäufe gebracht hätte. Misses Burne besaß einen Zweitschlüssel für das Anwesen und wollte am nächsten Tag wieder nach Misses Langston sehen. Diese war aber spurlos verschwunden. Misses Langston war schon vierundachtzig Jahre alt und gehbehindert, was ihre Nachbarin nun sehr beunruhigte. Zudem hätte Misses Langston auch keine Verwandten gehabt, die man hätte um Rat fragen können. Kurzum, die alte Dame blieb verschwunden und unauffindbar, die Sache verlief bis jetzt im Sande.“
„Wenn ich kurz unterbrechen darf“, meldete ich mich. „Was geschah denn nach dem Verschwinden von Misses Langston mit dem Besitz der alten Dame? Hatte sie Geld bei einer Bank?“
„Nun, sie hatte noch zu Lebzeiten ihr gesamtes Vermögen an eine gemeinnützige Organisation vermacht, da, wie gesagt, keine Verwandten existierten. Dieser Umstand erregte zunächst auch kein Misstrauen ... zunächst!“
Ich legte meine Stirn in Falten und hob meinen Kopf zu Holmes hin, der weitere Erläuterungen folgen ließ.
„Richtig, Inspektor. Zunächst!“ Er stopfte sich gemächlich seine Pfeife, entzündete sie schließlich und zog an ihr. Durch eine aufsteigende Wolke bläulichen Rauches sah er uns an und redete dann weiter.
„Ein weiterer Vermisstenfall wurde im Herbst des gleichen Jahres in Kent gemeldet. Hier verschwand der alleinlebende Francis Mullins von einem auf den anderen Tag aus seinem Anwesen. Auch hier erstattete eine Zugehfrau Anzeige. Mullins war pflegebedürftig und hatte, soweit bekannt, keine Verwandten mehr. Er hatte sein Vermögen zuvor einer gemeinnützigen Organisation vermacht. Alles legal und von einem Anwalt beglaubigt.“
„Gemeinnützige Organisation ...“, murmelte ich nachdenklich.
„Ganz recht, Watson!“ Holmes hatte seine Augen zusammengekniffen, nahm einen neuen Zug aus seiner Pfeife und sah mich dann forschend an.
„Es folgten in den nächsten Monaten und Jahren noch sieben bisher bekannte weitere Fälle in Hampshire, Suffolk, Essex, Berkshire, East Sussex, Dorset und London, immer mit ähnlichem Verlauf. Von allen Vermissten fehlt bis zum heutigen Tage jede Spur. Nach dem dritten Fall, der sich in Essex ereignete, wurde man bei Scotland Yard langsam hellhörig und verwendete größere Aufmerksamkeit auf Vermisstenfälle in den umliegenden Grafschaften. So kam man auf die bis dato bekannten Fälle, die nun Gegenstand von intensiven Ermittlungen geworden sind. Natürlich kann man nicht sagen, dass damit wirklich alle Fälle, die relevant sind, bisher auch erkannt wurden. Es gibt vielleicht eine noch höhere Dunkelziffer.“
Ich hatte sehr aufmerksam den Ausführungen meines Mitbewohners gelauscht und ein leises, unbestimmtes Gefühl hatte sich dabei unterschwellig bei mir gemeldet. Ich konnte es nicht genau definieren, aber es war wie eine sanfte Mahnung, die sich in meinem Gehirn eingenistet hatte.
„Bei unserem gestrigen Treffen waren wir schon übereingekommen, noch weitere Gemeinsamkeiten der bisherigen Fälle zu ermitteln, etwa derart, ob etwaige Umstände und Verhaltensweisen auf bestimmte Täter deuten könnten. Inspektor Hopkins schlug vor, kleine Arbeitsgruppen unter der Führung von Scotland Yard in den betreffenden Grafschaften zu bilden, die die Tatorte nochmals genauestens hinsichtlich der besagten Dinge unter die Lupe nehmen sollten.“
„Meine Wenigkeit und Mister Holmes werden zwischenzeitlich die recherchierten Ergebnisse bewerten und das weitere Vorgehen besprechen“, warf Hopkins ein. „Ich freue mich, dass Mister Holmes seine Mitarbeit zugesagt hat, da sich seine vielfältigen Verbindungen doch sicherlich als großer Vorteil erweisen könnten. Bis bald, meine Herren.“
Ich nickte Hopkins zur Verabschiedung nachdenklich zu. Holmes hatte mich nach seinem letzten Satz schon wieder eine Weile stillschweigend beobachtet und zog langsam an seiner Pfeife. Er räusperte sich schließlich.
„Wie unschwer zu erkennen ist, beschäftigen Sie einige Überlegungen zu den eben geschilderten Fällen. Was bedrückt Sie? Heraus mit der Sprache, Doktor!“ Etwas überrascht schreckte ich aus meinen Gedanken und blickte ihn grübelnd an. Holmes legte seine Pfeife auf dem Kaminsims ab und wandte sich dann wieder mir zu. Zögernd antwortete ich ihm.
„Sie haben recht, mein Freund. Mich beschäftigt da etwas.“
Ich erzählte ihm von dem Besuch bei Bromfield. Mein Mitbewohner hörte mir aufmerksam zu. Sein ernster Blick zeigte mir, dass mich mein Gefühl vielleicht doch zu Recht nachdenklich stimmte.
Als ich geendet hatte, stand Holmes auf und ging zum Fenster. Lange blickte er grübelnd auf die Straße, bevor er sich plötzlich wieder zu mir wandte. Er sah mich zwar an, sprach dann aber langsam und mehr zu sich selbst. „Es muss ja nichts bedeuten, Doktor. Machen Sie ruhig weiter Ihre Besuche bei dem armen Teufel und stehen Sie ihm bei. Seine Nichte könnte in der Tat eine große Hilfe und Unterstützung für ihn sein.“
Leicht zweifelnd blickte ich meinen Freund an. Wenn ich ehrlich war, musste ich mir eingestehen, dass mich seine Antwort nicht sonderlich beruhigte.
Nur drei Tage später erhielten wir die Antwort, mein unbestimmtes Gefühl betreffend.
Es war nach dem Frühstück am Donnerstagmorgen gegen Viertel nach zehn. Holmes und ich saßen noch plaudernd im Wohnzimmer beieinander, als nach stürmischem Klingeln an der Haustür kurz darauf Misses Hudson ins Wohnzimmer kam.
„Gentlemen, eine Dame wünscht dringend Doktor Watson zu sprechen.“
„Eine Dame? Hat sie sich vorgestellt?“
Da schob sich auch schon eine völlig aufgelöst wirkende Misses Forster an unserer Vermieterin vorbei in den Raum.
„Misses Forster! Was ist denn geschehen?“, sprach ich sie an. „Ist etwas mit Mister Bromfield?“ Ihr Blick wanderte mit flackernden Augen hektisch zwischen Holmes und mir hin und her.
„Er ist verschwunden! Einfach weg! Als wenn er sich in Luft aufgelöst hätte“, presste sie zwischen ihren bebenden Lippen hervor.
Holmes und ich blickten uns an. Mit einem wissenden Ausdruck in seinem schmalen Gesicht wandte er sich, nachdem er einen Stuhl herangezogen hatte, sogleich an Misses Forster.
„Bitte nehmen Sie doch Platz, Misses Forster. Mein Name ist Sherlock Holmes, vielleicht hat Doktor Watson meinen Namen schon einmal Ihnen gegenüber erwähnt. Wir arbeiten dann und wann bei kriminalistischen Recherchen zusammen.“
Misses Forster hielt kurz inne, nickte ihm dann aber fahrig zu. Nachdem sie Platz genommen hatte, ergriff ich ihre zitternde Hand und sprach ruhig und mit freundlicher Stimme zu ihr.
„Bitte beruhigen Sie sich, Misses Forster! Atmen Sie langsam und gleichmäßig. Wenn Sie sich dann dazu in der Lage fühlen, erzählen Sie uns, was Sie bedrückt.“ Sie senkte den Kopf, schloss die Augen und holte tief Luft, versuchte so, ihre Aufregung in den Griff zu bekommen. Nach einer kleinen Weile nickte sie mir zu und begann dann zu sprechen.
„Ich war am Dienstag dieser Woche wie gewöhnlich zum Reinemachen bei Mister Bromfield. Alles war wie immer. Er war recht aufgeräumt und schien sich darüber zu freuen, dass ich am Nachmittag noch etwas Zeit hatte, mich mit ihm zu unterhalten. Am späten Nachmittag verließ ich dann die Villa und verabschiedete mich bis zum heutigen Donnerstag. Als ich heute sehr früh die Villa betrat, ging ich zunächst in die Küche, um eine Einkaufsliste zu erstellen. Dann begab ich mich nach oben zum Schlafzimmer von Mister Bromfield, wo ich anklopfte, um mir die Liste absegnen zu lassen. Er antwortete aber nicht auf mein Klopfen. Ich versuchte es erneut, etwas lauter, aber alles blieb still. Besorgt öffnete ich die Tür einen Spalt und erschrak. Das Bett war zerwühlt, das große Kissen lag auf dem Boden, aber Mister Bromfield war nicht da. Am Bettende lag noch ein zerknüllter Morgenmantel auf dem Bettvorleger. Schnell lief ich durch das Haus, konnte ihn aber nicht finden. Mister Bromfield blieb unauffindbar!“
Mein Freund setzte nach. „Ist Ihnen aufgefallen, ob etwas fehlte?“
„Nein.“
„Hat Mister Bromfield Ihnen gegenüber in letzter Zeit einmal erwähnt, dass er mit jemandem Kontakt aufgenommen hat?“
„Wie meinen Sie das, Mister Holmes?“
„Er hat wohl noch am Montag Doktor Watson gegenüber angedeutet, Kontakt zu seiner Nichte in Birmingham aufnehmen zu wollen, da ihm Watson selbiges ans Herz gelegt hatte. Sie verstehen, eine Betreuung bei seinem gesundheitlichen Zustand wäre sicherlich nur gut für ihn. Mister Bromfield machte eine vage Aussage: Man würde sich der Sache annehmen. Können Sie sich vorstellen, was oder wen er damit meinte?“
Misses Forster schaute uns ratlos an und schien zu überlegen.
„Können Sie sich vielleicht an einen Besuch während Ihrer Gegenwart in letzter Zeit erinnern?“, schob ich ein.
„Nein, kein Besuch, Doktor Watson“, kam es nach einer Weile des Nachdenkens zögerlich aus Misses Forsters Mund. Sie schüttelte langsam ihren Kopf. Plötzlich stutzte sie und ihr Blick klarte sich auf.
„Natürlich – das Hospital! Jetzt fällt mir doch noch etwas ein. Er hat einmal kurz von einem Besuch gesprochen, den er während seines Aufenthaltes im Hospital hatte. Ja, er erhielt dort Besuch. Wie oft, kann ich Ihnen aber nicht sagen.“
Holmes reckte sein Kinn nach vorne und runzelte die Stirn.
„Sagte er etwas über diesen Besuch oder um was es dabei ging? Nannte er einen Namen?“
„Ich glaube, mich zu erinnern, dass Mister Bromfield von einer Organisation sprach. Eine gute Sache, so hat er sich ausgedrückt. Dieser Besuch hatte wohl etwas damit zu tun. Namen nannte er aber nicht. Mehr weiß ich nicht darüber zu erzählen, Gentlemen.“
„Dann danke ich Ihnen einstweilen für Ihre Meldung und die wichtigen Informationen! Wir werden uns mit Scotland Yard abstimmen und die Villa in Augenschein nehmen. Ermittlungen vor Ort sind unweigerlich von Nöten. Wären Sie so nett und würden uns Ihren Schlüssel für die Villa überlassen? Natürlich bekommen Sie ihn zu gegebener Zeit wieder zurück. Ach ja, bitte geben Sie uns auch Ihre Privatadresse, damit wir in Verbindung bleiben können.“
Misses Forster kramte in ihrer Handtasche und zog gleich darauf einen Schlüssel hervor, den sie meinem Freund überreichte. Sie nannte auch noch ihre Wohn-adresse, die ich sogleich notierte.
Nach einer knappen Viertelstunde saßen wir bereits in einer rasch angehaltenen Droschke, die Holmes noch einmal an einem Telegrafenamt an der Marylebone Road halten ließ. Er sprang rasch in das Gebäude, kehrte aber nach wenigen Minuten schon wieder zurück.
„So, Doktor, nun ist auch die Obrigkeit in Person von Inspektor Hopkins informiert“, sprach er leichthin, während er sich seine schmalen Hände rieb. Währenddessen waren wir auch schon auf dem Weg zum Regent’s Park, den wir nach kurzer Fahrt erreichten.
So schnell es mir wegen meiner Kriegsverletzung möglich war, folgte ich Holmes zum Eingang der Villa. Als ich Holmes erreichte, drehte er gerade sehr langsam und konzentriert den Schlüssel im Schloss. Als er dann die Klinke herunterdrückte, blieb die Tür jedoch verschlossen. Er überlegte kurz, drehte den Schlüssel dann eine weitere Umdrehung nach links und nun ließ sich die Eingangstür öffnen. Holmes quittierte das mit einem kleinen Pfiff. Ich hatte ihm aufmerksam zugesehen, vermochte aber keine Schlüsse aus den zu beobachtenden Gegebenheiten zu ziehen.
„Wo beginnen wir, mein Freund?“ Ich machte ein paar Schritte auf die Treppe am Ende des Flures zu. „Das Schlafzimmer befindet sich oben.“
„Ich weiß, lieber Doktor.“ Schnurstracks ging er zurück zur Eingangstür, die er penibel untersuchte. Als erster Raum war der Salon an der Reihe. Ich folgte ihm vorsichtig und schüttelte meinen Kopf mit leichtem Unverständnis.
Holmes begann damit, akribisch die Glastür und die großen Flügelfenster zum Park hin mit seiner Lupe zu untersuchen. Offensichtlich fand er nichts, was seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
Hierauf begab er sich in das anschließende Zimmer, das ein Büro beherbergte, und verfuhr dort wie gerade noch zuvor im Salon. Ein zufriedenes Brummen war alles, was dem Detektiv dabei über die Lippen kam. Ähnlich verliefen danach die Untersuchungen der Küche, des Esszimmers, eines Vorratsraums, der aber keine Fenster besaß, eines kleinen Gästeraums und des unteren Badezimmers. Ich war stillschweigend den Aktivitäten meines Freundes gefolgt und beobachtete sein routiniertes Vorgehen. Traurig schweifte mein Blick ab und an durch die Räumlichkeiten. Sollte so meine jahrelange Freundschaft mit Edward enden? Mich überkam Wehmut im Angedenken an unsere gemeinsame Zeit in der Fremde und auch an unsere späteren Treffen auf heimischem Boden in England.
Sherlock Holmes war gerade mit der Inspizierung des Badezimmers fertig, als ein Klopfen an der Haustür und darauffolgend Schritte im Flur zu hören waren. Ich lief leise zur Badezimmertür und lugte, als ich den Türrahmen erreicht hatte, vorsichtig hinaus in den Flur. Inspektor Hopkins kam mir dort in Begleitung eines Polizisten entgegen. Schnell trat ich vollends in den Flur und wandte mich an den Kriminalbeamten.
„Hallo Inspektor, Sie sind wirklich schnell gekommen!“
„Es war schon etwas Glück dabei, dass ich in meinem Büro anwesend war, als die Nachricht von Mister Holmes uns erreichte. Ich habe gleich noch ein paar Männer mitgebracht.“
„Das Erdgeschoss habe ich weitestgehend überprüft und wir können uns nun gerne gemeinsam dem ersten Stock widmen. Unter anderem befindet sich auch das Schlafzimmer von Mister Bromfield dort.“ Holmes zeigte mit dem langen Zeigefinger seiner rechten Hand auf die nach oben führende Treppe.
Stillschweigend begleiteten wir Hopkins und seine Mitarbeiter in den ersten Stock. Holmes ging zielstrebig auf die Schlafzimmertür zu und öffnete sie. Es war alles so, wie uns Misses Forster heute am Morgen berichtet hatte. Die beiden Beamten der Spurensicherung begannen damit, Möbelstücke, Regale und Fenster zu inspizieren. Holmes kniete schon mit seiner Lupe neben dem aus dem Bett gefallenen Kopfkissen, das er Stück für Stück untersuchte.
„Eines kann wohl schon jetzt mit großer Sicherheit gesagt werden: Mister Bromfield ist keineswegs freiwillig einer plötzlichen Eingebung folgend aus dem Haus gegangen und verschwunden. Das zeigt schon das ganze Szenario hier drinnen. Bromfield hat sich offensichtlich nach Kräften gewehrt.“
Er ließ seinen Blick dabei noch einmal durch das Zimmer schweifen, wandte sich daraufhin aber wieder dem Kissen zu. Dabei fiel sein Blick auf eine Stelle unter dem Bett, nahe des Kopfkissens auf dem Schlafzimmerboden. Schnell legte sich Holmes flach auf den Bauch und langte nun unter das Bett. Vorsichtig zog er gleich darauf einen Stofflappen hervor und hielt diesen hoch.
„Zeigen Sie her, mein Freund“, sprach ich ihn an. Er überreichte mir den Stofflappen und ich roch daran. „Äther!“, erklärte ich mit Blick auf Inspektor Hopkins. „Der Geruch ist zwar nur noch schwach, aber es ist eindeutig.“ Holmes kniete schon wieder neben dem Kopfkissen und nickte mir nur wissend zu.
Schon deutete er mit dem Finger auf eine ausgerissene Stelle an der Naht des Kissens. Hopkins trat hinzu und besah sich ebenfalls diesen Riss im Stoff. Hierauf erhob sich Holmes und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Platz im Bett, wo augenscheinlich das Kissen zuvor gelegen hatte. Mehrere tiefe Falten und Wellen im Bettlaken deuteten darauf hin, dass das Kissen nicht einfach nur aus dem Bett gerutscht war, sondern dass es mit einiger Kraft zunächst im Bett bewegt worden war, derart, als ob versucht worden war, daran zu ziehen, als es noch mit einem Gewicht versehen auf dem Laken platziert war.
„Bromfield lag wohl noch zumindest halb auf dem Kissen und es wurde daran gezerrt, um ihn damit aus dem Bett zu ziehen. Das Kissen fiel dabei herunter und das Opfer wurde gepackt und in Gewahrsam genommen.“ Holmes beugte sich nochmals über das Kopfende des Bettes und beäugte die Falten im Laken.
„Hallo, was haben wir denn hier?“ Er richtete sich auf und hielt einen kleinen Gegenstand zwischen Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand in die Höhe. Ich besah mir das Objekt.
„Das ist ein kleiner Knopf, wahrscheinlich vom Schlafanzug Bromfields“, sprach ich nachdenklich mehr zu mir selbst. „Es könnte also ein Kampf stattgefunden haben, bei dem Bromfield diesen Knopf abgerissen bekam.“
Holmes nickte zustimmend. „Zumindest dürfte er sich gewehrt haben, so gut es sein Gesundheitszustand zuließ.“ Er nahm den kleinen Knopf und übergab ihn an Inspektor Hopkins. „In der Tat kann hier wohl von einer Entführung ausgegangen werden. Bleibt nach den bisherigen Ermittlungen aber schon jetzt die Frage: Wie kamen die Entführer, ohne Spuren zu hinterlassen, in die Villa?“
Holmes sah einige Zeit vor sich auf den Boden und schien zu überlegen. Er nahm die übrigen Anwesenden gar nicht mehr wahr. Wir ließen ihn gewähren und störten ihn nicht. Als er wieder den Kopf hob, murmelte er mit ausdruckslosem Blick: „Vielleicht habe ich schon die Antwort gefunden. Watson, haben Sie die Notiz mit der Wohnadresse von Misses Forster dabei?“
„Aber ja, mein Freund.“ Ich klopfte mir auf die Brust, wo sich die Innentasche meines Mantels befand. „Ich habe mein Notizbuch immer dabei!“
„Ausgezeichnet, Doktor! Wir werden nachher auf dem Rückweg Misses Forster noch einen kleinen Besuch abstatten.“
„Denken Sie, dass der oder die Eindringlinge einen Schlüssel hatten?“, wandte sich Hopkins an meinen Freund.
„Ganz recht, Inspektor! Diesen Sachverhalt möchte ich gerne noch mit Misses Forster zu klären versuchen. Ach, bevor ich es vergesse, Hopkins, der verschwundene Mister Bromfield äußerte noch am vergangenen Montag Doktor Watson gegenüber, dass er offenbar mit einer noch lebenden Nichte in Birmingham Kontakt aufnehmen wolle. Dies würde wohl zurzeit schon von dritter Seite her versucht. Bromfield hielt sich aber bedeckt, wer hinter diesen Bemühungen stecke. Es wäre vielleicht sinnvoll, wenn von polizeilicher Seite aus diese Dame ermittelt werden könnte, um so noch nähere Informationen zu erhalten.“
„Das ist allerdings wichtig.“ Hopkins gab meinem Freund recht. „Haben Sie eine genaue Adresse der Frau?“
Ich schüttelte den Kopf und antwortete stellvertretend für Holmes. „Das ist es ja gerade, Inspektor. Das Einzige, was mir bekannt ist, ist der Name der Nichte: Eva Bromfield. Sie ist unverheiratet, lebt allein und ist die einzige Tochter von Edward Bromfields verstorbenem Bruder Sean und dessen Ehefrau Eleonor, die ebenfalls nicht mehr lebt. Vielleicht könnten Sie entsprechende Ermittlungen in Birmingham einleiten, Inspektor.“
Hopkins hatte sich Notizen gemacht und nickte mir dann zu.
„Wir werden gleich nach meiner Rückkehr ins Büro eine Fahndung einleiten, Doktor! Doch lassen Sie uns nun mit der Untersuchung hier vor Ort fortfahren.“ Er wandte sich wieder Holmes zu, der schon mit der Durchsuchung eines Kleiderschrankes an der Längsseite des Schlafzimmers begonnen hatte. Sorgfältig untersuchte mein Mitbewohner die im Schrank hängenden Kleidungsstücke. Es handelte sich um diverse Anzugjacken, Hosen, Westen und Hemden. Vorsichtig fuhren seine langen dünnen Finger in die Taschen der verschiedenen Objekte. Plötzlich hielt er inne und pfiff durch die Zähne. Langsam zog er mithilfe seines Zeige- und Mittelfingers einen Zettel aus der Innenseite einer Anzugjacke. Neugierig trat ich zu meinem Freund und war gespannt, um was es sich handelte. Holmes faltete den Zettel auseinander und drehte sich dabei zum Fenster, um mehr Licht zum Lesen zu haben. Es waren nur zwei Zeilen zu sehen, die in gleichmäßiger, akkurater Schrift auf dem Zettel standen:
L. Ainsworth, Barr. S.H.C.O. in To do.
Fragend blickte ich Holmes an, der seine Augenbrauen zusammengezogen hatte. Stillschweigend drehte er sich plötzlich um, verschwand aus dem Schlafzimmer und hastete die Treppenstufen hinunter in das Erdgeschoss.
Ich folgte ihm interessiert in den Salon und dann in das angrenzende Büro. Konzentriert untersuchte mein Mitbewohner dort die Umgebung des darin befindlichen Schreibtisches und den Schreibtisch selbst. Schnell durchsuchte Holmes die auf dem Tisch liegenden Schriftstücke. Sein ernster Gesichtsausdruck und ein missmutiges Brummen zeugten davon, dass er noch nicht das fand, was er zu finden hoffte. In der untersten Schublade des rechten Schreibtischteils schien er schließlich doch Erfolg zu haben. Lächelnd hielt er mir ein in Leder gebundenes Notizbuch entgegen, das er schon geöffnet hatte. Auf der ersten Seite stand in größeren Lettern handschriftlich To do, Notizen