Sherlock Holmes - Neue Fälle 53: Der tote Landarzt - Uwe Niemann - E-Book

Sherlock Holmes - Neue Fälle 53: Der tote Landarzt E-Book

Uwe Niemann

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Beschreibung

Dr. Watson und Sherlock Holmes werden von der Gattin eines Landarztes um Hilfe gebeten. Ihr Mann, bereits im Ruhestand, zeigt seit einiger Zeit ein höchst merkwürdiges Verhalten. Er äußert Todesängste und verschanzt sich in seinem Haus. Als der Meisterdetektiv und Dr. Watson dort eintreffen, kommen sie zu spät. Der Landarzt wird tot im Moor aufgefunden.

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In dieser Reihe bisher erschienen:

3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan

3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer

3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn

3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter

3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer

3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick

3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz

3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi

3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick

3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler

3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer

3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer

3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt

3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson

3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson

3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt

3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle

3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn

3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler

3021 – Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler von Klaus-Peter Walter

3022 – Sherlock Holmes und die Geheimwaffe von Andreas Zwengel

3023 – Sherlock Holmes und die Kombinationsmaschine von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3024 – Sherlock Holmes und der Sohn des Falschmünzers von Michael Buttler

3025 – Sherlock Holmes und das Urumi-Schwert von Klaus-Peter Walter (Hrsg.)

3026 – Sherlock Holmes und der gefallene Kamerad von Thomas Tippner

3027 – Sherlock Holmes und der Bengalische Tiger von Michael Buttler

3028 – Der Träumer von William Meikle

3029 – Die Dolche der Kali von Marc Freund

3030 – Das Rätsel des Diskos von Phaistos von Wolfgang Schüler

3031 – Die Leiche des Meisterdetektivs von Andreas Zwengel

3032 – Der Fall des Doktor Watson von Thomas Tippner

3033 – Der Fluch der Mandragora von Ian Carrington

3034 – Der stille Tod von Ian Carrington

3035 – Ein Fall aus der Vergangenheit von Thomas Tippner

3036 – Das Ungeheuer von Michael & Molly Hardwick

3037 – Winnetous Geist von Ian Carrington

3038 – Blutsbruder Sherlock Holmes von Ian Carrington

3039 – Der verschwundene Seemann von Michael Buttler

3040 – Der unheimliche Mönch von Thomas Tippner

3041 – Die Bande der Maskenfrösche von Ian Carrington

3042 – Auf falscher Fährte von James Crawford

3043 – Auf Ehre und Gewissen von James Crawford

3044 – Der Henkerkeller von Nils Noir

3045 – Die toten Augen des Königshauses von Ian Carrington

3046 – Der grausame Gasthof von Ralph E. Vaughn

3047 – Entfernte Verwandte von Jürgen Geyer

3048 – Verrat aus dem Dunkel von James Crawford

3049 – Die Dämonenburg von Nils Noir

3050 – Die Shakespeare-Verschwörung von J. J. Preyer

3051 – Das Monsterlabor von Nils Noir

3052 – Die Bruderschaft des Feuers von James Crawford

3053 – Der tote Landarzt von Uwe Niemann

3054 – Nebel in der Baker Street von Jürgen Geyer

Der tote Landarzt

Sherlock Holmes - Neue Fälle

Buch 53

Uwe Niemann

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

In unserem Shop ist dieser Roman auch als E-Book lieferbar.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt. Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

Copyright © 2024 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier

Redaktion: Danny Winter

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Logo: Mark Freier

Vignette: iStock.com/neyro2008

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

www.blitz-verlag.de

3053 vom 04.08.2024

ISBN: 978-3-7592-1689-2

Inhalt

Der tote Landarzt

Epilog

Über den Autor

Der tote Landarzt

Die mannigfaltigen Erlebnisse, die ich in der Vergangenheit beschrieben habe und die ihr Entstehen meiner langen Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit Mr. Holmes verdanken, könnten den Eindruck erwecken, unser Leben wäre eine ununterbrochene Aneinanderreihung von gefährlichen Abenteuern und spannenden Kriminalfällen gewesen. Tatsächlich aber gab es immer wieder Zeiten, da unser Kontakt auf einige spärliche Besuche beschränkt blieb, denn mich hielten die zahllosen Anforderungen meines ärztlichen Berufs in der alltäglichen Routine gefangen und Mr. Holmes ging Beschäftigungen nach, die seinen vielfältigen Begabungen und Interessen geschuldet waren und die auf den ersten Blick mit der eigentlichen Tätigkeit, der er seinen Ruhm verdankte, häufig nichts oder nur wenig zu tun hatten.

Meine angeborene Bescheidenheit hat mich immer davon abgehalten, meine Rolle in unserer merkwürdigen Partnerschaft zu überschätzen. Ich war ein wichtiger Begleiter und ein sorgfältiger Chronist unserer gemeinsamen Erlebnisse, die sich über so viele Jahre erstreckten. In den Augen der Mitmenschen, welche die journalistischen Berichte unserer Ermittlungen mit wachsender Begeisterung verschlangen, waren wir längst gleichberechtigte Partner, deren Namen nur gemeinsam und dann mit Hochachtung genannt wurden.

Aber in Wirklichkeit war Holmes der überragende Kopf voller Einbildungskraft und logischer Brillanz, während ich ein geduldiges Medium war, an dem er seine auf den ersten Blick noch so verstiegenen Ideen ausprobieren konnte, wie ich mir ehrlich eingestand. In einem merkwürdig offenen Gespräch, das wir einmal vor einigen Monaten und somit in den späteren Jahren unserer Bekanntschaft führten, hatte ich Holmes gefragt, welchen Wert ich eigentlich für ihn hätte. Meinem angespannten Gesichtsausdruck musste er entnommen haben, dass mich die Frage sehr bewegte, und er ließ sich mit der Antwort Zeit, die er mit einigen tiefen Zügen aus seiner Pfeife überbrückte.

„Sie sind, mein lieber Watson, Sie sind für mich als Hüter und Inbegriff des gesunden Menschenverstands unersetzbar“, erwiderte er schließlich und sah mich von seinem Sessel aus nachdenklich an. „Ihnen verdanke ich eine Fülle von Einsichten in den Mechanismus der Gehirne, die nun einmal die Mehrheit unserer Mitmenschen ihr Eigen nennt und deren begrenzte Auffassungsgabe zusammen mit der Fülle an Vorurteilen einen willkommenen Widerpart darstellt, um meine – zugegeben häufig – auf den ersten Blick abstrusen Theorien auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu testen. Glauben Sie mir, John, der gesunde Menschenverstand, wenn er denn losgelassen wird, hätte in der Vergangenheit schon so manchen Unschuldigen an den Galgen gebracht.“

Holmes lehnte sich in seinem Sessel zurück und ich überlegte, was ich auf die wenig schmeichelhafte Rollenbeschreibung erwidern sollte. Doch mein Freund kam mir zuvor, denn er war in der Lage, aus dem schier unerschöpflichen Reservoir von alten Fällen passende Beispiele für seine Argumente hervorzuholen. Zunächst aber wollte er mich besänftigen.

„Um ehrlich zu sein, Watson, ich hätte nie jemand anderen so häufig um mich herum ertragen können“, sagte er und in sein mildes Lächeln mischte sich ein Hauch von Traurigkeit.

„Doch was unsere Zusammenarbeit angeht, sollten Sie nur, Watson, an den Fall der jungen Lady Carlyle denken, die ein aufgebrachter Mob sicher an den Galgen gebracht hätte, wenn wir nicht rechtzeitig eingeschritten wären.“

Ich musste Holmes recht geben, dankte ihm innerlich für das Wir als Anerkennung meiner bescheidenen Dienste in diesem Fall und beobachtete mit Faszination die Eleganz, mit der seine langen Finger das Zündholz bedienten, um den erloschenen Tabak seiner Pfeife mit einigen kräftigen Zügen wieder zum Glimmen zu bringen. Dann setzte er nachdenklich seine Gedankenreise in die Vergangenheit fort.

„Alles an Lady Carlyle passte damals, um der Voreingenommenheit des gesunden Menschenverstands zum Recht zu verhelfen: Die junge, mittellose und überaus schöne junge Frau, die von ihren bornierten Eltern in die Ehe mit dem alten, griesgrämigen Lord Carlyle gezwungen wurde, dann ihr einsames Leben auf dessen trutzigem Familiensitz in Schottland, wo in den langen Winternächten die seltsamsten Phantasiegebilde geboren werden können, und schließlich das schnell wirksame Gift, das ihren Gatten dahinraffte und das allem Anschein nach nur sie hatte besorgen können.“

Nur sehr dunkel erinnerte ich mich an die damaligen Vorkommnisse, denn sie lagen Jahrzehnte zurück und stammten noch aus der Frühzeit unserer Zusammenarbeit. Doch Holmes konnte mit seinem phänomenalen Gedächtnis jede Einzelheit rekapitulieren, nicht zuletzt, weil sein damaliger Auftritt vor Gericht zu einem glänzenden Ereignis wurde, an das er sich bei aller Bescheidenheit gern erinnerte.

„Denken Sie nur daran, Watson, wie der Pöbel um ein Haar mit seinen Fackeln den Wagen angesteckt hätte, in dem die junge Frau zum Gericht gebracht wurde.“

„Dieser Fall ist ein Musterbeispiel dafür, Watson, dass jedes noch so genial geplante Verbrechen zum Scheitern verurteilt ist, wenn nicht auch in Kleinigkeiten die äußerste Präzision an den Tag gelegt wird.“

„Sie könnten also so ein Verbrechen planen, Holmes?“

Holmes nickte, lächelte versonnen, lehnte sich in seinem Sessel zurück und ließ einige Rauchkringel zur Decke aufsteigen. Ich aber wollte mich mit diesem Ende unseres Gesprächs nicht zufriedengeben und hakte noch einmal nach, um das letzte Wort zu behalten.

„Was die Beschreibung meiner Rolle und meiner sehr bescheidenen Verdienste angeht, Holmes, so muss ich Ihnen wohl zustimmen. Aber habe ich Ihnen nicht gelegentlich Fälle zugetragen, deren Auflösung Ihren zugegeben hohen Intellekt bis aufs Äußerste beschäftigt hat?“

Ein zustimmendes Brummen war aus den Tiefen des Nachbarsessels zu vernehmen.

„Ich denke da besonders an den Fall meines alten Kollegen Doktor Dawkins, der auf so abstruse und mysteriöse Weise zu Tode gekommen ist. Hat Ihnen diese Ermittlung nicht tiefe Einblicke in die Natur der menschlichen Seele und die Verwirrung der Gefühle verschafft?“

Ich erhielt keine Antwort, aber der aufsteigende Pfeifenrauch wurde dichter und ich nahm Holmes’ Schweigen als zustimmende Antwort.

* * *

Ich habe in meinem ärztlichen Beruf gelernt, dass manchmal scheinbare Nichtigkeiten und Nachlässigkeiten gravierende Konsequenzen haben können, deren Auswirkungen wir am Anfang niemals erahnt hätten. Die Ermittlungen im Fall Dawkins begannen mit einem Brief in einem harmlos aussehenden Kuvert, der mich mit der Morgenpost erreichte und den ich zunächst achtlos beiseitelegte, weil ich mit dem frühen Ansturm von Patienten in meiner Praxis voll und ganz beschäftigt war. Zudem war die Absenderin, Elisabeth Dawkins, eine Person aus der Frühzeit meiner ärztlichen Tätigkeit, als ich mir nämlich in der Praxis ihres Mannes meine ersten Meriten in der praktischen ärztlichen Tätigkeit in einer Landstadt verdiente. Das alles lag lange zurück und ich glaubte nicht, dass etwas Wichtiges in dem Brief stehen könnte, das mein jetziges Leben und das der Dawkins’ nach Jahren des Stillschweigens wieder verbinden würde.

So vergaß ich den Brief und fand ihn erst zwei Tage später am Wochenende auf dem Kaminsims wieder vor, als ich mich nach dem Abendessen mit einem Glas Portwein in meinen Sessel vor dem Kamin zurückzog, um die Privatkorrespondenz der Woche und eine Zeitung zu studieren.

Elisabeth Dawkins dürfte damals nahezu achtzig Jahre alt gewesen sein, doch ihre Schrift auf dem schönen, leicht vergilbten Papier erschien ungebrochen von der Last des Alters und auf liebenswerte Werte altmodisch und das Kuvert verströmte einen Hauch von Verbenenduft.

„Mein lieber John“, so hatte sie begonnen, „ich darf Sie wohl trotz des Abstands vieler Jahre, in denen wir uns nicht mehr begegnet sind, so vertraulich anreden, auch wenn Sie jetzt in dem Alter sein dürften, in dem mein Mann war, als Sie bei uns im Haus lebten und William so tatkräftig zur Hand gingen. Ich weiß, dass Sie damals im Zorne von uns geschieden sind und dass die Zusammenarbeit mit meinem Mann trotz oder wegen seiner fachlichen Qualität alles andere als einfach war.

Dennoch habe ich mich überwunden, lieber John, Ihnen zu schreiben, weil ich mir keinen anderen Rat weiß und weil ich hoffe, in dieser mysteriösen Angelegenheit vielleicht die Hilfe Ihres genialen Partners Sherlock Holmes zu erhalten.“

Nach der letzten Zeile war ich zunächst gewillt, den Brief beiseitezulegen und mich um das Anliegen nicht mehr zu kümmern. Denn allzu oft hatten in den vergangenen Jahren Bekannte oder gar Patienten versucht, meine Partnerschaft mit Holmes zu nutzen, um über mich als Mittelsmann den berühmten Privatdetektiv für ihre häufig nichtigen Zwecke einzuspannen, während er selbst in der Auswahl seiner Fälle äußerst kritisch und wählerisch war und es sich leisten konnte, die meisten potenziellen Klienten und selbst reiche Auftraggeber abzuweisen. Doch eine gewisse Hochachtung vor Dawkins und meine frühere Bewunderung für seine charmante Frau, die mir den Aufenthalt in ihrem Haus so angenehm wie möglich gemacht hatte, hielten mich davon ab, den Brief wie schon zuvor das Kuvert dem Feuer des Kamins zu übergeben, und ich las sorgfältig weiter.

„Seit dem Ausscheiden meines Mannes aus seinem Beruf ist er seltsam ruhig geworden und wir leben sehr zurückgezogen hier in unserem Cottage fast ohne die alten gesellschaftlichen Verpflichtungen. Der frühere Jähzorn meines Mannes ist verschwunden und hat einer gewissen Lethargie Platz gemacht, die er manchmal durch stundenlange Spaziergänge in die schöne Umgebung unserer kleinen Stadt überwinden kann, wenn ich ihn dazu ermuntere. Deshalb hatte ich mir gedacht, dass wir eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft auf diese Weise unser Leben beschließen werden. Doch seit einem Dienstag vor drei Wochen ist William nicht mehr wiederzuerkennen. Ich war für zwei Tage auf Besuch zu meiner Cousine Mary gefahren und kam am Nachmittag zurück. Die große Haustür war verschlossen, was früher nie der Fall gewesen war, und William öffnete selbst, indem er den Schlüssel dreimal umdrehte. Sein Anblick war schrecklich, er war äußerst nachlässig angezogen, das Haar war wirr und kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Was das bedeutet, lieber John, wissen Sie selbst, denn Sie kennen Williams Sorgfalt in seinem äußeren Erscheinungsbild nur zu gut. Alles Nachfragen half nichts, er wiegelte ab und erfand unsinnige Ausflüchte, und auch das Nachforschen bei den Dienstboten, die verstört waren wegen des Aussehens ihres Dienstherrn, half nicht weiter.

Gegen Abend beruhigte er sich, aber am nächsten Morgen verfiel er in rastlose Hektik. Er ließ die Fenster im Erdgeschoss vergittern und hat jetzt den Großteil unseres Grundstücks mit einem Eisenzaun voller Spitzen umgeben. Zwei Bluthunde hat er angeschafft, die nachts losgelassen werden, dann frei um das Haus streifen und sich die Langeweile mit Kaninchenjagd vertreiben, was mich oft wach werden lässt. Bei jedem Klingeln an der Pforte schreckt er hoch und das Personal ist angewiesen, niemanden einzulassen, der nicht auf der Liste steht, die er den Dienstboten ausgehändigt hat.

Gestern habe ich ihn angetroffen, wie er seinen alten Armeerevolver geputzt und geladen hat. Aber als ich ihn liebevoll nach dem Grund für diese Maßnahme fragte, wies er mich barsch aus dem Zimmer. Erst gegen Abend wurde seine Stimmung sanfter, weil er wohl das Gefühl hatte, alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen zu haben. Er stand vor dem großen Fenster, durch das man auf den Garten schaut, und blickte nachdenklich nach Westen, wo hinter den Flusswiesen die Sonne unterging.

Von dort wird er kommen, sagte William mehr zu sich, denn er schien mich nicht zu bemerken, und zeigte mit der linken Hand auf die Marschen und die Küste.

Wer denn, mein Lieber?, fragte ich nach.

Der Leibhaftige, um mich zu holen.

Sie können sich vorstellen, lieber Watson, dass mich dies alles mehr als nur ängstigt, denn die Unsicherheit wegen einer lauernden Gefahr lässt mich, die ich weder jung noch sonderlich gesund bin, krank und mutlos werden. Deshalb sind Mister Holmes und Sie für mich die letzte Rettung, wenn wir nicht einer unbekannten Gefahr erliegen oder in unserem selbst gewählten Gefängnis verdorren wollen.

Bitte helfen Sie uns.

Ihre Elisabeth Dawkins“

War ich zu Beginn des Briefes noch bereit gewesen, zu glauben, dass das Verhalten meines alten Kollegen der Ausdruck einer Marotte eines senilen Gehirns sein könnte, so machte mich der dramatische Appell in den letzten Zeilen stutzig und ich dachte, an der Sache könnte mehr dran sein als zunächst vermutet. Aber wer oder was sollte ein altes Arztehepaar in seinem beschaulichen Ruhestand auf dem Lande bedrohen? Würde Holmes die Antwort wissen oder würde er das Ganze schnell analysieren und als Spinnerei abtun? Am kommenden Abend machte ich mich nach längerer Zeit wieder einmal in die Baker Street auf.

* * *

„Schauen Sie sich nur diese wunderbaren, in Kupfer gestochenen Tafeln an, mein lieber Watson“, sagte Holmes, ohne von dem dicken Folianten aufzublicken, den er in der Mitte aufgeblättert auf sein Stehpult gelegt hatte, und zeigte mit den langen Fingern auf eine bebilderte Seite. Er trug einen seiner älteren Hausröcke und war etwas nachlässig frisiert, sodass er wohl nicht mehr beabsichtigte, an diesem Abend auszugehen. Sein Arbeitszimmer in der Baker Street war für seine Verhältnisse erstaunlich aufgeräumt, wenngleich überall die Utensilien seiner vielfältigen Beschäftigungen herumlagen, und der Geigenkasten stand offen. Der Kamin verbreitete an diesem ungemütlichen Tag eine wohlige Wärme, und Mrs. Hudson musste schon wie jeden Abend um diese Zeit gelüftet haben, denn der sonst so unangenehme Tabakqualm hielt sich in erträglichen Grenzen.

Selten hatte ich Holmes in den vergangenen Monaten so ungezwungen und lässig erlebt wie an diesem Abend. Seine Körperhaltung war sonst Ausdruck seiner inneren Verfassung, entweder kerzengrade und jeden Muskel und jede Sehne gespannt, als sei er wie ein Raubtier zum Sprung bereit, oder erschlafft und in sich versunken, besonders dann, wenn er eine seiner Drogen genossen hatte.

Ich war wegen der kühlen unpersönlichen Begrüßung nicht verstimmt, denn ich kannte Holmes’ Ablehnung allzu förmlicher gesellschaftlicher Umgangsformen. Mich in seinen Alltag einzulassen, war für ihn der größtmögliche Ausdruck persönlicher Wertschätzung. Ich trat neben ihn an das Stehpult, wo er mit seiner Lupe die Illustrationen seines Buchs betrachtete. Abgebildet waren bis in die feinsten Einzelheiten der Lebenskreislauf der Bienen und die soziale Ordnung in ihrem Staat.

„Was unterscheidet das Gemeinwesen dieser wunderbaren Organismen von unserem sozialen Zusammensein, Watson?“, fragte er mich wie ein Professor in einem Examen und vergrößerte das Bild einer Drohne, wobei er die Lupe zu mir kippte.

Mir waren derartige Situationen verhasst und ich ließ mir mit der Antwort Zeit, um meine Missbilligung zum Ausdruck zu bringen.

„Dass es keine Individuen gibt, sondern nur austauschbare Exemplare derselben Gattung“, vermutete ich nach kurzer Bedenkzeit. Holmes murmelte zustimmend und verweilte bei der Abbildung einer Königin.

„Natürlich, Watson. Und dass das ganze Gebilde sich ohne eine Ahnung von Moral, Anstand und Sitte nur einem Ziel unterordnet, nämlich sich zu vermehren und zu überleben.“

„Finden Sie das erstrebenswert, Holmes?“, wollte ich wissen.

„Es fasziniert mich und ich entdecke doch in Manchem versteckte Analogien zu unserer Gattung, die das Tierische in ihrem Wesen nie ganz abgelegt hat. Haben Sie übrigens ein oder zwei Stücke Schokoladenkuchen gegessen, bevor Sie hierherkamen?“

Holmes’ überraschende Gesprächswendungen, mit denen er seine Partner gelegentlich verblüffte, verwirrten mich weniger als früher. In der Tat hatte ich noch etwas gegessen, bevor ich in die Baker Street fuhr, denn bei Holmes’ asketischem Lebenswandel war eine abendliche Mahlzeit nicht immer vorgesehen. Ich war tatsächlich später als gewöhnlich bei Holmes angekommen, aber da ich nicht angekündigt war, konnte er meinen kleinen kulinarischen Abstecher allenfalls vermutet haben. Doch wie war er auf den Schokoladenkuchen gekommen?

Eine Weile blätterte er in seinem Kompendium der Bienenkunde weiter und ich ließ ihn gewähren, denn er würde von selbst anfangen, zu sprechen, und das Rätsel auflösen.

Ohne aufzublicken und meiner Anwesenheit allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken, fing er an zu sprechen.

„Wenn Sie sonst kommen, öffnet Mrs. Hudson die Tür, nimmt Ihnen den Stock ab und steckt ihn in den Schirmständer in der Halle, wobei bei Ihrem – wie soll ich sagen – gewöhnlich gewichtigem Auftritt die metallene Spitze auf dem Boden immer ein charakteristisches Geräusch hinterlässt. Heute vermisste ich dieses Klirren und Sie kamen zudem mit einer deutlichen Verzögerung die Treppe hinauf. Was könnte also die Abweichung vom gewohnten Ablauf veranlasst haben? Am ehesten doch wohl die penible Sauberkeit unserer geschätzten Vermieterin, die sich nicht zu schade ist, Ihren Stock und Ihre Schuhe zu reinigen, wenn sie denn verschmutzt sind. Aber warum waren sie verschmutzt? Sehen Sie, Watson, eine Frage ergibt in einer logischen Kette die nächste, bis wir des Rätsels Lösung gefunden haben.“

Er nahm ein kleines Baumwolltuch aus seiner Tasche und reinigte die Lupe von Fingerabdrücken.

„Schauen Sie nur an Ihren Hosenbeinen hinunter, Watson. Bemerken Sie die winzigen gelblichen Spritzer, die oberhalb des Hosenaufschlags dichter werden. Es dürfte sich um lehmige und sandige Erde handeln und es dürfte dasselbe Gemisch sein, dass auf Ihren Schuhen so eindrückliche Spuren hinterlassen hat, da Sie wohl zuhause mit sauberen Schuhen losgefahren sind. Gehe ich recht in der Annahme?“

Ich nickte.

„Und da die Bürgersteige in unserer Straße erst gestern gereinigt wurden, müssen Sie Ihre Fahrt irgendwo unterwegs unterbrochen haben.“

Seine Argumentation war nicht von der Hand zu weisen und Holmes machte eine Pause, damit ich alles nachvollziehen konnte.

„Tatsächlich ist unser gewöhnlicher Londoner Straßendreck gewöhnlich dunkelgrau. Sie müssen also irgendwo ausgestiegen sein, wo tiefere Erdschichten ans Tageslicht geholt werden. Nun sind aber Sand und Lehmgemische im Untergrund unserer Stadt nicht so häufig, sodass nur einige Baustellen infrage kommen, in denen sehr tiefe Fundamente vorbereitet werden müssen. Bei Ihrer Fahrt in die Baker Street kämen wohl nur zwei infrage, die sie passiert haben könnten, es sei denn, Sie hätten einen riesigen Umweg gemacht. Zudem hat die Erwähnung des Schokoladenkuchens auf ihrem Gesicht für einen winzigen Moment zu einer vermehrten Röte geführt, als seien Sie wie ein Schuljunge bei dem Verzehr einer verbotenen Köstlichkeit erwischt worden. Oder sollten Sie gar die Fahrt für ganz andere Genüsse unterbrochen haben?“

„Holmes, ich bitte Sie!“

Aber er ließ sich nicht aufhalten. „Hat nicht in der Nähe der Baustelle des großen Kaufhauses das entzückende Wiener Café von Madame Gunzenbauer eröffnet, die für ihre Kuchen und Torten weithin berühmt ist und die auch als Frau mit ihren Reizen durchaus umzugehen weiß, sodass ein Umweg sich immer wieder lohnt?“

Eine neuerliche und jetzt intensivere Rötung meiner Wangen war Antwort genug und belustigte Holmes, der mich genau musterte.

„Aber woher wussten Sie, dass es Schokoladenkuchen war, der mich zum Anhalten bewegt hat, obwohl ich mir beim Aussteigen die Schuhe so schmutzig gemacht habe?“

Holmes winkte mich zu seinem Stehpult heran.

„Aus Ihrem Bart oder Ihrer Kleidung hat sich ein winziges Krümelchen Ihrer neuen Leibspeise auf eine Seite meines Buches verirrt und ich habe mir das Artefakt mit der Lupe angesehen, ohne dass Sie es bemerkten. Schauen Sie nur!“

Ich betrachtete den Kuchenkrümel durch Holmes’ Lupe und kam mir dabei ziemlich albern vor.

„Ja, ja, Watson. So etwas Luftiges bekommen halt nur die Österreicher hin. Aber wegen eines Lobpreises auf ausländische Konditoren sind Sie sicher nicht zu mir gekommen. Was haben Sie mir denn mitgebracht?“