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»Meine Mission ist es, Menschen darin zu empowern, sich ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu erschaffen.« Coach Can Arik Can Arik nimmt uns mit an die Stellen, wo es sich lohnt, genauer hinzuschauen. Sein Coaching zeigt, wie der Shift, die Veränderung, gelingen kann, sodass wir den Mist aus der Vergangenheit, mit dem wir uns so oft in unserem täglichen Leben sabotieren, hinter uns lassen können. Um in der Gegenwart erfüllt zu sein, ist es wichtig, Frieden mit seiner Vergangenheit zu schließen. Es sind unbewusste Überzeugungen, Blockaden und Verhaltensweisen, die dem Gelingen unserer Ziele im Weg stehen. Nur, wenn wir unsere Verantwortung in allem erkennen – in unseren Ergebnissen, unseren Gefühlen, unserem Handeln und in uns selbst – ist Veränderung möglich. Erst dann haben wir die Wahl und können uns frei von Altlasten eine inspirierende Zukunft schaffen. Can Ariks Buch bietet mit vielen Handlungsanweisungen und ganz konkreten Übungen Empowerment pur, das Tiefgang hat und trotzdem leicht gelingt. Darüber hinaus vermittelt es eine Sichtweise, die unsere Auffassung vom Leben und Erleben auf den Kopf stellt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 322
Bilge Can Arik
Wie du in kleinen Schritten große Veränderung bewirkst
Meine Mission ist es, Menschen darin zu empowern, sich ein selbstbestimmtes und authentisches Leben zu schaffen, das sie erfüllt. Coach Cannarik, bekannt von TikTok
Was zählt, ist der Blick nach vorn. Durch ihn wird Veränderung erst möglich. In seinem Buch nimmt Can Arik uns mit an die Stellen, wo es sich lohnt, genauer hinzuschauen. Sein Coaching zeigt wie der Shift, die Veränderung, gelingen kann, sodass wir den Mist, der uns so oft in unserem täglichen Leben blockiert, hinter uns lassen können. Es ist die Suche nach unseren tiefsten Überzeugungen und Blockaden. Denn oft sind es falsche Glaubenssätze, mit denen wir Dinge in unserem Leben nicht zulassen oder ihr Gelingen unbewusst sabotieren. Aber Veränderung ist möglich, wenn wir die Verantwortung für uns selbst und unser Handeln übernehmen. Wir sind es die an Glaubenssätzen festhalten, wir sind es, die sie loslassen können. Wir haben die Wahl uns zu verändern aus unserem tiefsten Inneren heraus!
Mit vielen Handlungsanweisungen und ganz konkreten Übungen bietet Can Arik Empowerment pur, das Tiefgang hat und trotzdem leicht gelingt.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Can Arik ist psychologischer Coach und Trainer, der binnen kürzester Zeit auf TikTok ein extrem breites Publikum gewonnen hat. Seinen Posts folgen mehr als 300000 Menschen und die Anzahl seiner Fans wächst täglich. Ganz alltagsnah und praktisch spricht er darin mentale oder emotionale Blockaden an und zeigt Techniken und Tipps auf, um sie zu überwinden und aufzulösen. Oft geht es dabei um Themen, die tief in unserem Unterbewusstsein verankert sind.
[Widmung]
Einleitung
Teil 1
shift HAPPENS – Was das ist
Ein Perspektivwechsel, der dein Leben verändert
SHIT happens – Meine Geschichte
shift HAPPENS – Worum es geht
Wieso du nicht kriegst, was du willst
Wieso du genau das kriegst, was du beabsichtigst
Wie du da hinkommst, wo du hinwillst
shift HAPPENS – Nur durch dich
Teil 2
Gebrauchsanweisung und Erläuterungen für den Praxisteil
EFT-Tapping: Wirkung und Anwendung
BEWIRKE EINEN shift IN DEINER VERGANGENHEIT
GLAUBENSSÄTZE – Erforsche deine mentale Landkarte
EXKURS – Das »innere Kind«
VORWÜRFE – Verstrickungen mit der Vergangenheit
Der shift deiner Vergangenheit – Frei von den mental-emotionalen Verstrickungen
BEWIRKE EINEN SHIFT IN DEINER GEGENWART
PROBLEME – Was sie uns über sich und uns verraten
SELBSTSABOTAGE – Wenn das Sicherheitsbedürfnis zum Hindernis wird
Der shift deiner Gegenwart – Raus aus der Komfortzone, rein ins Vertrauen
BEWIRKE EINEN SHIFT IN DEINER ZUKUNFT
VISIONEN – Warum sie so wichtig sind
ZIELE – Wie man sie bestimmt
Der shift deiner Zukunft – Inspiriert dein zukünftiges Leben gestalten
shift HAPPENS – Das Ende ist erst der Anfang
Für meine Eltern und meine Schwestern Derya und Sezgi – ihr seid mein sicherer Hafen in stürmischen Zeiten, mein Licht in der Dunkelheit.
Danke, dass ihr immer an mich geglaubt habt, auch wenn ich es selbst nicht tat. Ich liebe euch!
Das Buch, das du gerade in deinen Händen hältst, ist ein besonderes. »SHIFTHAPPENS – Wie du in kleinen Schritten große Veränderung bewirkst« geht weit über das hinaus, was du vielleicht sonst von einem Buch erwartest – es ist ein Schlüssel! Ein Schlüssel, der dir Zugang zu deinem persönlichen Potenzial erschließt und die Tür zu einer tiefgreifenden Transformation deines Lebens öffnen kann.
Doch bevor du die Schwelle hin zu diesem SHIFT übertrittst, möchte ich etwas unmissverständlich klarstellen: Solltest du davon ausgehen, dass das bloße Lesen dieses Buches dein Leben wie durch Zauberhand verändert, rate ich dir, es jetzt beiseitezulegen. Selbst wenn du es mit größter Sorgfalt von der ersten bis zur letzten Seite durchliest, wirst du feststellen müssen, dass die Lektüre allein nicht ausreicht.
Dieses Buch, gefüllt mit erprobtem Wissen, meinen Erfahrungen und den effektivsten Strategien, bietet dir die Chance, grundlegende Veränderungen in deinem Leben zu bewirken. Es ist jedoch »nur« ein Instrument, ein Schlüssel, der die Tür zu möglicherweise noch unbekanntem Terrain in dir öffnet. Doch durchgehen musst du selbst.
Das unscheinbare Wort »nur« ist hier entscheidend. Dieses Buch kann »nur« einen Rahmen skizzieren, »nur«
Orientierungshilfen bieten und »nur« Werkzeuge an die Hand geben. Es kann dich inspirieren, dir neue Blickwinkel eröffnen und dich ermutigen, den nächsten großen Schritt zu wagen – und dann noch einen und noch einen. Doch seine volle Wirkung entfaltet es »nur«, wenn du aktiv wirst, wenn du bereit bist, die Verantwortung für dein Leben zu übernehmen, die erforderliche Arbeit zu investieren und die Übungen und Strategien aus diesem Buch tatsächlich umzusetzen.
Die Veränderungen, nach denen du dich sehnst – sei es in deinem Berufsleben, in deinen Beziehungen oder in deiner persönlichen Entwicklung –, sind zum Greifen nah. Doch der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht zwischen diesen Seiten, sondern in deinen Händen. Du hast die Macht, »nur« in ein Wort voller Möglichkeiten zu verwandeln. Wenn du bereit bist, das Wissen aus diesem Buch anzunehmen und die Übungen in die Praxis umzusetzen, dann kann »nur« zu »viel mehr« werden: viel mehr Selbstbewusstsein, viel mehr Zufriedenheit, viel mehr Erfolg – entsprechend deinen Vorstellungen.
Nun ist es an dir. Bist du bereit, den Schlüssel zu nutzen und aus dem »nur« in deinem Leben etwas Großes zu machen? Der SHIFT wartet auf dich!
»Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden deine Taten. Achte auf deine Taten, denn sie werden deine Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.«
– Weisheit aus dem Talmud
Wenn man das Wort SHIFT hört, denkt man womöglich an Veränderung, an die Umschalttaste auf der Computertastatur oder vielleicht sogar an einen Perspektivwechsel. Und so verschieden diese Assoziationen auch sind, machen sie einen wichtigen Aspekt des SHIFTS deutlich: Es steckt Bewegung in einem SHIFT, man muss seine Standpunkte verlassen. Dabei geht es um mentale und emotionale Standpunkte, die wir aufgeben müssen, um Wahrheiten, die wir in unserem Innersten spüren und die unsere Handlungen und damit unsere Leben prägen. In diesem Buch finden wir heraus, wie es zu diesen Standpunkten kam und was uns dazu veranlasst hat, eine bestimmte Sichtweise auf die Welt und die Menschen um uns herum zu entwickeln und auf eine gewisse Art und Weise durchs Leben zu gehen. Mit SHIFT meine ich nichts anderes als die Erfahrung eines tiefgreifenden Erkenntnismoments auf emotionaler und kognitiver Ebene – Herz und Hirn begreifen dabei gleichermaßen. Dieser SHIFT ist mehr als eine einfache Veränderung, er ist eine Transformation. Man könnte es sich wie einen Paradigmenwechsel vorstellen, nach dem die Welt nicht nur anders aussieht, sondern sich auch anders anfühlt. Es geht um eine komplette Neuordnung unserer inneren Landkarte, die das Verständnis unserer Person und unserer Beziehungen zu anderen grundlegend verändert. Ein SHIFT ist nicht nur eine Transformation in dem, was wir tun, sondern in dem, wer wir sind. Er fordert uns auf, unsere Überzeugungen und Wahrheiten zu hinterfragen, und ermöglicht uns, neue zu erkennen. Es ist eine Verschiebung von der Passivität zur Aktivität, von der Reaktion zur Aktion, von der Angst zur Liebe. Nehmen wir diesen SHIFT vor, befreien wir uns vom Ballast der Vergangenheit und laden uns mit neuer Energie und einem neuen Sinn auf. Es ist eine Reise, bei der wir die Kontrolle übernehmen, unsere Ängste konfrontieren und uns von limitierenden Überzeugungen befreien.
Der SHIFT ist also eine tiefgreifende, persönliche Transformation, die uns erlaubt, unser volles Potenzial zu entfalten und das Leben zu leben, das wir uns immer gewünscht haben. Das kann sehr überwältigend sein und geht so gut wie nie mit Fassung und Haltung über die Bühne, eigentlich eher mit vielen Tränen.
Um das alles zu erklären, möchte ich dir eine Geschichte erzählen – meine Geschichte. An ihr kann ich dir nicht nur sehr gut verdeutlichen, was ich mit SHIFT meine, sondern was damit alles im Zusammenhang steht. Diese Geschichte aus meiner Jugend hatte Auswirkungen, die weit in mein Erwachsenenleben hineinreichen. Sie spielt sogar noch heute eine Rolle, wenn auch auf eine andere Weise als früher, denn mittlerweile bin ich mit mir bezüglich meiner Erlebnisse von damals im Reinen. Aber was ich erfahren habe, dient mir immer noch als wichtiger Erfahrungsschatz, der mich auf meinen Weg zum Coach vorbereitet hat.
Anhand meiner Vorgeschichte erläutere ich dir die grundlegenden Prinzipien der SHIFT-Philosophie im ersten Teil. Sie hilft dir zu verstehen, was ich meine, wenn ich von Breaks oder Wendepunkten, Glaubenssätzen, Überzeugungen, IchÜberzeugungen, Interpretationsfiltern, verdeckten Absichten und anderen vielleicht theoretisch klingenden Konzepten spreche.
Du siehst die Welt nie, wie sie ist, sondern wie du bist.
– Moojip
In meiner Mittelstufenzeit verband mich eine sehr tiefe Freundschaft mit drei Jungs aus meiner Klasse: Niko, Hon und Kenan. Wir hatten alle die Schule zur 7. gewechselt und waren neu in die Klasse gekommen. In den Pausen und auf dem Schulhof fanden wir bald zusammen und waren irgendwann unzertrennlich.
Unser Tag startete damit, dass wir die anderen morgens auf unserem Schulweg rausklingelten, bevor wir dann meist den ganzen Tag zusammen verbrachten. Auch an den Wochenenden hingen wir fast immer zusammen ab, und selten verging ein Tag, an dem wir uns nicht sahen. Wir vier waren die Fünf Freunde, nur dass wir vier waren. Und dass wir keine geheimnisvollen Fälle lösten, sondern stattdessen eher welche verursachten, indem wir zusammen Mist bauten – aber nur kleinen, relativ harmlosen. Wir lernten uns in einer Zeit kennen, die man die »rebellische Phase« nennt. So drehte es sich auch bei uns darum, unsere Grenzen auszuloten, nicht immer gehorsam zu sein und das Kindesalter hinter uns zu lassen. Aber sehr viel schlimmer, als dass wir zum Beispiel einmal bei McDonald’s das Klo mit Unmengen von Toilettenpapier verwüsteten und uns dann aus dem Staub machten oder unsere ersten Zigaretten und diese fiesen Alkopops zusammen probierten, war es nicht.
Grundsätzlich waren wir sogar relativ brav. Wir waren gut in der Schule und zu Hause folgsam. Bei Hon war das zwangsläufig der Fall, bei uns anderen passierte das aus mehr oder weniger freien Stücken. Hon hatte einen asiatischen Hintergrund, und seine Eltern, die ihre Überzeugungen gerne auch mal mit Schlägen durchsetzten, waren sehr streng. Ich fragte mich oft, wie er das eigentlich aushielt. Unsere Freundschaft und unsere Verbundenheit haben ihn sicherlich auf eine Art gerettet. Und seine Geschichte hat uns alle noch enger zusammengeschweißt.
Es war eine sehr besondere Bindung zwischen uns, fast so etwas wie Brüderlichkeit. Nie zuvor und nie wieder danach habe ich solch eine Freundschaft in meinem Leben erlebt. Für mich waren die anderen drei der Grund, warum ich gern zur Schule ging. Wir hatten dort die beste Zeit zusammen. Ich nehme an, dass es wohl jedem von uns so ging, bis zum Ende der 8. Klasse.
Dann ist diese Sache passiert – sie veränderte für mich, und letztendlich für uns alle, alles. Heute muss ich mir richtig Mühe geben, mich genau zu erinnern, denn eigentlich wirkte es wie eine Kleinigkeit. Es sind weniger die Details der Geschichte, die mir im Gedächtnis geblieben sind, als vielmehr die damit verbundenen Gefühle.
Auslöser für den Vorfall war, dass ich über Umwege erfuhr, dass sich die anderen am Wochenende getroffen hatten, ohne mir Bescheid zu sagen. Natürlich hatte ich mitbekommen, dass die drei zusammen waren, obwohl sie mir gegenüber behaupteten, »nichts« unternommen zu haben. Ich erinnere mich noch, wie schockiert ich war, als ich das hörte. Der Gedanke, der sich damals in mir breitmachte, war, nie dazugehört zu haben.
In meiner Verletztheit nahm ich die Geschichte zum Anlass, alles in Frage zu stellen, die gesamte Zeit, die wir bis dahin zusammen verbracht hatten: Ich glaubte, zur coolsten Clique der Welt zu gehören, aber war das in Wirklichkeit alles nur Fake? Waren die Freundschaften nie echt? Wahrscheinlich machte ich mir nur vor, ein wichtiger Teil der Clique zu sein, aber insgeheim mochten sie mich gar nicht? Womöglich war es schon immer so, und sie hatten nur so getan? Diese Fragen erschienen mir nur logisch und hatten etwas zutiefst Grundsätzliches. Ich kam mir so dumm vor! Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr fühlte ich mich als Außenseiter und irgendwie anders als meine Freunde. Dieses »Anderssein« war mir irgendwie sehr vertraut, das spürte ich. Also musste es wohl so sein. Anders zu sein wurde zum Leitthema meines Lebens.
Nachdem ich die ganze Nacht gegrübelt, mich meinem Schmerz hingegeben hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass unsere Freundschaft nie echt und nie aufrichtig gewesen war, zog ich mich komplett zurück. Ich mauerte innerlich und äußerlich, in der Überzeugung, im Recht zu sein und die richtigen Schlüsse aus dem Verhalten meiner angeblich »besten« Freunde gezogen zu haben. Ich ignorierte sie am nächsten Tag in der Schule vollkommen und würdigte sie keines Blickes. Ihre anfängliche Verwirrung war offensichtlich. Sie hatten keine Ahnung, was der Grund für meinen plötzlichen Stimmungsumschwung war. Doch ich sorgte dafür, dass sie über unsere Mitschüler erfuhren, was ich ihnen anzukreiden hatte, streute meine Version der Geschichte und sprach abfällig gegenüber den anderen von ihnen. Für mich war klar: Sie waren die Schuldigen. Ich wollte die drei spüren lassen, dass sie sich etwas Unverzeihliches geleistet hatten und jetzt »echt mal was von ihnen kommen müsse«.
Nach etwa einer Woche kam auch etwas. Die drei hatten einen Entschuldigungsbrief an mich geschrieben. Niko gab ihn mir nach der letzten Unterrichtsstunde. Ich erinnere mich noch, dass ich mir nicht anmerken lassen wollte, wie sehr ich mich darüber freute. Ich nahm den Brief mit nach Hause und öffnete ihn erst dort, im Privaten, wo niemand meine Reaktion mitbekam. Niko, Kenan und Hon entschuldigten sich darin für ihr Verhalten, das wohl gar keine tieferen Beweggründe gehabt hatte, verstanden sogar, dass ich mich gekränkt fühlte, und wünschten sich, dass wir wieder Freunde sein könnten, so wie bisher. Als ich den Brief las, fühlte ich mich geschmeichelt, aber auch überlegen. Jetzt waren sie angekrochen gekommen, hatten eingestanden, dass es ein Fehler war, und baten mich, das Geschehene zu vergessen. Sie gaben sich ganz klar als die Schuldigen zu erkennen. Es so zu deuten fühlte sich überlegen an, nach Macht – und die Welle wollte ich noch ein wenig reiten. Die ersten heftigen Gefühle waren zwar schon abgeklungen, und ich war längst nicht mehr so aufgewühlt wie noch in der Woche zuvor. Aber ich wollte sie noch ein wenig zappeln lassen, um ihnen deutlich zu machen, dass ihr Verhalten wirklich absolut nicht in Ordnung gewesen war. In meiner moralischen Überlegenheit ließ ich mich am nächsten Tag also gerade mal zu einem Hallo und Tschüs herab. Das war zwar eine kleine Annäherung, aber nicht viel. Die drei hatten wahrscheinlich gehofft, dass ich nach dem Lesen des Briefes ihre Entschuldigung akzeptieren würde. Und weil das nicht der Fall war, fühlten sie sich wiederum von mir komplett vor den Kopf gestoßen. Meine Reaktion auf ihre Entschuldigung führte dazu, dass sie sich jetzt als Opfer fühlten. Das wiederum löste bei ihnen den totalen Rückzug aus. Aus ihrer Sicht hatten sie wahrscheinlich alles ihnen Mögliche versucht, um den Konflikt auszuräumen, aber ich blieb trotzdem stur und mauerte noch immer. Damit ging es erst richtig los: »Hurt people hurt people«, wie eine Redewendung sagt. Am Tag darauf, als ich auf sie zukam und sie ansprach, weil ich langsam wieder Normalität einziehen lassen wollte, grüßten sie mich nicht, noch redeten sie mit mir. Davon war ich nun wiederum völlig irritiert – schließlich waren sie es doch, die den Mist gebaut hatten, es stand ihnen doch gar nicht zu, sich so zu verhalten …
Man kann sich vorstellen, was für eine von außen absurde Dynamik wir vier hier losgetreten hatten. Ich zog daraus jedenfalls die Konsequenz, ihnen dann genauso wenig entgegenzukommen und sie erst recht links liegen zu lassen. Und damit hatten wir uns festbetoniert in einer Haltung gegenseitiger Schuldzuweisungen, Ignoranz und immer größer werdender Feindseligkeit.
Nachdem ich meinen Platz in der Clique frei gemacht hatte, rückten zwei Jungs nach, mit denen wir vorher gar nicht so viel und gar nicht so gern zu tun hatten. Sie waren zwar gut in Sport, aber sonst nicht so wirklich die hellsten Kerzen auf der Torte. Sie gehörten zu den Menschen, die ihre Unzulänglichkeiten gerne hinter Gehässigkeiten verstecken. Darin waren sie also geübt, und aus der Sicherheit der Gruppe heraus konnten sie sich erst mal dem Alltagsgeschäft widmen, mich zu mobben – stellvertretend für Kenan, Niko und Hon. Sie äfften mich nach, wenn ich mich im Unterricht meldete, hänselten mich für das, was ich sagte. Wurde in Kunst ein Bild von mir aufgehängt, stellten sie sich davor, tuschelten und spotteten offensichtlich. Anfangs blieben ihre Verhaltensweisen noch vergleichsweise harmlos, machten aber natürlich etwas mit mir, weil sie mich zutiefst verunsicherten. Als meine drei »alten Freunde« begannen, nicht länger nur hämisch zu grinsen oder zu nicken, wenn die »Neuen« mich verarschten, und zuguckten, wenn sie lästerten, sondern auch selbst in Aktion traten, bekam die Situation schnell eine andere Dimension für mich. Sie stellten sich mir in den Weg, Sachen von mir verschwanden, und sie ließen keine Gelegenheit aus, mich vor den anderen lächerlich zu machen. Einmal hatten sie vor dem Unterricht alle auf meinen Stuhl gespuckt, bevor ich mich hinsetzte, und als ich aufstand, um an die Tafel zu gehen, war mein Hintern nass und voller Schleim. Es war eine unfassbar demütigende Erfahrung.
Weil sie als Gruppe die Macht der Stärkeren besaßen, gegen die sich wahrscheinlich niemand stellen wollte, zogen sie die ganze Klasse nach und nach auf ihre Seite – zumindest war keiner für mich und niemand mehr an meiner Seite. Der Unterricht war noch erträglich, weil wir alle mit Aufgaben beschäftigt waren und Lehrpersonal die Aufsicht hatte. Aber sobald es klingelte, durchfuhr es mich wie ein Blitz. Pausen bedeuteten, den anderen ausgeliefert zu sein. Auf den Schulhof wollte ich nicht, dort waren zu wenige Aufsichtspersonen. Doch in den Gängen durfte ich nicht bleiben, wir mussten in den Pausen rausgehen. Wann immer ich versuchte, im Gebäude zu bleiben, wurde ich rausgeschmissen. Meine Rettung war zunächst die Cafeteria, in der viele Menschen unterwegs waren, unter die ich mich mischen konnte. Das Problem war, dass man etwas konsumieren musste, um sich dort aufhalten zu dürfen, und dazu war natürlich Geld nötig, von dem ich nicht genug hatte. Deswegen musste ich mir bald einen anderen Zufluchtsort suchen. Ich fing an, meine Toilettengänge enorm auszudehnen, und irgendwann entdeckte ich die verschlossene Kabine des Schulklos als idealen Schutzort. Dort hatte ich meine Ruhe, konnte zumindest seelisch »durchatmen«, auch wenn gerade jemand nebenan die Luft verpestete. Ich verbrachte jede Pause dort. Das war die Lösung für meine Situation, und ich zog das fast ein ganzes Schuljahr durch. Mit der Zeit wusste ich genau, welche Kabinen am wenigsten aufgesucht wurden, wann die Frequenzen der Klobesuche am höchsten waren, wer sich wann, wie lange dort aufhielt. Ich saß in der hintersten Kabine auf dem Sims des verschlossenen Sicherheitsfensters, bekam so wenigstens ein wenig Tageslicht ab und las zum hundertsten Mal die immer gleichen blöden Klosprüche, die an die Türe und Wände gekritzelt waren. Es war mein Weg, meine Pausen zu überstehen und alles zwischen 8 und 15 Uhr irgendwie zu ertragen. Wirklich schlimm war, dass es danach in meinem Kopf weiterging: Der Gedanke, dass es am nächsten Tag wieder so sein und kein Ende nehmen würde, machte mich fertig. Und es ging ja auch tatsächlich immer so weiter. Dieses Kopfkarussell, aus dem ich keinen Ausstieg fand, war noch weniger auszuhalten als die Situation in der Schule selbst.
Eigentlich habe ich relativ früh angefangen, über mein Problem zu sprechen, erst mit meiner großen Schwester und dann mit meiner Mutter. Beide meinten, ich müsste mit meiner Klassenlehrerin reden, und das tat ich dann auch. Die Lehrerin nahm sich des Themas auch ernsthaft an und versuchte wirklich viel. Ich habe, wenn ich mich richtig erinnere, eine Zeitlang jeden Tag mit ihr telefoniert. Sie wollte genau wissen, was vorfällt, und darüber sollte ich eine Liste führen, die sehr schnell sehr lang wurde. Schon ziemlich bald moderierte sie ein Gespräch zwischen mir und den anderen dreien, um zwischen uns zu vermitteln. Bei dieser Gelegenheit packte ich alles aus und versuchte dabei, so objektiv wie möglich zu sein. Irgendwann brach ich beim Erzählen dann doch in Tränen aus. Meine Betroffenheit ließ die anderen aber völlig kalt, und schon direkt nach dem Gespräch hörte ich auf dem Weg zum Sport, wie sie nachäfften, dass ich geweint hatte. Vorher war ich halbwegs optimistisch gewesen, dass das Gespräch etwas bringen würde, aber spätestens da wusste ich, dass es nicht so war. Meine Lehrerin versuchte auch, das Thema Mobbing öffentlich in der Klasse zu besprechen. In Rollenspielen sollten wir versuchen herauszufinden, wie sich das für die Opfer anfühlt. Aber auch das brachte nichts, im Gegenteil, für mich wurde alles immer schlimmer. Es kam zu einem Punkt, an dem ich sogar in der Gegenwart von Lehrern schikaniert wurde. Zum Beispiel im Basketballunterricht: Ich bekam einen Ball gegen den Kopf. Das erste Mal war es angeblich ein Versehen, das zweite Mal wurde es immer noch als unabsichtlich abgetan, auch von meinem Lehrer, da es schließlich im Spiel passiert war. Auch beim dritten, vierten und sogar fünften Mal, während ich auf der Bank saß und darauf wartete, wieder spielen zu dürfen. Mein Sportlehrer hielt trotzdem an seiner »Unfall«-Theorie fest. Und obwohl die Bälle immer ausgerechnet von einem der Jungs kamen, mit denen ich Schwierigkeiten hatte, waren sich alle außer mir einig, dass es ohne Absicht und nur im Eifer des Gefechts passiert war. Solche Situationen führten dazu, dass ich mich irgendwann wirklich dumm fühlte und nichts mehr sagte, um mich nicht noch mehr dem Spott preiszugeben. Sowieso sprach ich irgendwann nicht mehr viel darüber. Die Lehrerin konnte mir offensichtlich nicht helfen …
Auch meine Mutter hatte alles versucht, was in ihrer Macht stand. Dass sie mir so wenig helfen konnte, belastete sie unglaublich, und ich konnte ihr Leiden irgendwann nicht mehr aushalten. Also erzählte ich fast nichts mehr und machte meinen Kummer mit mir aus. Auch meine große Schwester Derya, die sich voll involviert hatte, hielt ich irgendwann raus, weil ihre Anteilnahme automatisch auch wieder die meiner Mutter ins Spiel brachte.
Natürlich, man kann viel wegstecken und eine Menge aushalten. Aber irgendwann ist ein Limit erreicht, danach funktioniert man nur noch. Die Vorfälle mit den dreien hatten mich zutiefst verunsichert und in meinem Selbstwert extrem verstört. Ich habe nur noch auf den Boden geguckt, nicht mehr nach oben: wenn ich irgendwo unterwegs war, im Unterricht, wenn ich angesprochen wurde … Eigentlich wollte ich mich unsichtbar machen, weil ich genau wusste, dass jede mögliche Angriffsfläche nur dazu führen würde, dass ich kritisiert und gedemütigt würde. Ich bin also ganz still geworden, habe bald gar nichts mehr gesagt, bis mein Mund am Ende des Schultages ausgetrocknet und meine Lippen spröde waren. Zudem schwänzte ich immer mehr den Unterricht, weil ich die konstante Demütigung nicht mehr ertragen konnte. Darunter litten natürlich auch meine schulischen Leistungen.
Das Einzige, was ich an den Wochentagen noch genießen konnte, war – so traurig es klingt –, dass ich mir den Wecker morgens immer auf 5.30 Uhr stellte, obwohl ich erst um 7 Uhr für die Schule aufstehen musste. Nach dem ersten Klingeln snoozte ich ihn für eineinhalb Stunden im 20-Minuten-Takt. Im Halbschlaf bereitete ich mich mental auf den bevorstehenden Tag vor und rüstete mich: »Okay, ich hab’ noch eineinhalb Stunden«, … eine Stunde … eine halbe Stunde … für mich und ohne Druck. Diese Zeit war das, was ich noch unter Kontrolle hatte, und daraus habe ich meine Energie für den Tag geschöpft. Diese 90 Minuten waren der einzige Spielraum, den ich für mich sah, wo ich Herr der Lage war – im wahrsten Sinne des Wortes, morgens im Bett liegend.
Ein Schlüsselmoment für mich war, als ich mir eines Abends am Ende eines langen, miesen Tages, wie sie nach fast einem Jahr mittlerweile zur Normalität geworden waren, ein Bad eingelassen hatte. Als ich in der Wanne lag und ins Wasser abtauchte, überkam mich die Frage wie eine Flut: Wann hört das auf? Was muss ich denn noch alles auf mich nehmen und ertragen? Diese Gedanken zuzulassen war ein so tiefer Schmerz, als hätte man jemanden verloren, den man furchtbar liebt. Ein Schmerz, den man meint, fast nicht aushalten zu können. Ich wusste nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Wahrscheinlich hing er mit dem Gefühl zusammen, mein Leben, ein lebenswertes zumindest, verloren zu haben. Es gab keine Aussicht darauf, dass sich mein Alltag in absehbarer Zeit wieder normalisieren würde, dass der Schmerz vorbeigehen und ich wieder Freude an meinem Leben haben könnte. Von Lebensfreude war nichts mehr übrig in mir. Ich lachte gar nicht mehr, ich fand nichts mehr witzig, ich überlebte einfach nur noch. Als ich mir dessen bewusst wurde, begann ich, so haltlos und so unfassbar zu weinen, wie ich noch nie in meinem Leben vorher geweint hatte. Es kam aus der Tiefe und brachte mich so zum Schluchzen, dass ich beim Einatmen irgendwie Spucke in die Luftröhre bekam. Ich musste stark husten und schnappte nach Luft. Es war, als hätte mir jemand einen Stock zwischen die Speichen geworfen. Diese Hustenattacke riss mich komplett aus meiner Emotion. Ich kam wieder zu mir und war dadurch in der Lage, einen Gedanken zu fassen: So durfte es nicht mehr weitergehen. Ich musste etwas unternehmen. Ich hatte keine Lust mehr, zu leiden und schlechte Gefühle zu haben. Mir wurde klar, dass ich etwas ändern musste.
Meinen Entschluss setzte ich schnell um. Es war kurz vor den Sommerferien. Also suchte ich mir eine andere, für mich gut erreichbare Schule. Ich fuhr hin, schaute sie mir an und erzählte der Sekretärin sehr offen, was ich gerade erlebte. Die Schule zu wechseln schien mir die einzig sinnvolle Lösung für mein Problem. Und die Direktion der neuen Schule sagte mir einen Platz für das kommende Schuljahr zu. An meiner alten Schule erzählte ich niemandem davon, ich wollte nach den Sommerferien einfach abtauchen.
Mit dem Schulwechsel änderte sich meine Situation zunächst, worüber ich natürlich sehr erleichtert war. Ich weiß noch, dass mir meine neuen Mitschüler in den ersten Wochen recht offen und positiv gegenüber eingestellt waren. Ich fühlte mich auch mit dem Unterrichtsstoff sicher und war viel weiter als die anderen, so dass meine Noten am Anfang noch sehr gut waren. Danach ging es aber auch hier ziemlich schnell bergab. Ich erinnere mich, dass meine neuen Mitschüler mir gegenüber eigentlich interessiert waren. Ich wollte nach meiner Mobbingerfahrung allerdings auf keinen Fall irgendeine Angriffsfläche bieten und verhielt mich entsprechend zurückhaltend. Damit zog ich bald wieder Ablehnung und blöde Sprüche auf mich. »Solange es nicht das vorige Ausmaß annimmt, kann ich damit leben«, dachte ich mir. Schließlich war ich ja auch komisch, ich war halt einfach anders, davon war ich überzeugt. Irgendwie war die Konsequenz daraus auch okay für mich, ich kannte das schließlich mittlerweile nur zu gut.
Also machte ich meine Andersartigkeit einfach zu meinem Ding. Ich zog mich zum Beispiel anders an als die anderen. Wegen meines rosa Käppis kassierte ich mehr als einmal die Frage: »Ey, bist du schwul, oder was?!« Ich habe sie einfach trotzdem getragen, ich fand sie nämlich supercool. Abgelehnt und nicht toll gefunden zu werden war ich sowieso gewohnt, und deswegen gab ich mir wenig Mühe, anderen zu gefallen. Zur Not hätte es auch hier eine Toilette gegeben, auf der ich sicher gewesen wäre. Mittlerweile hatte ich auch genug Taschengeld, um es länger in der Cafeteria auszuhalten. Stattdessen bot sich eine neue Strategie an: Ich investierte mein Geld in Zigaretten. Damit gehörte ich dann irgendwie lose zu einer Gruppe Raucher, die sich in der Pause in der Ecke auf dem Schulhof traf. Dabei blieb es. Eine wirklich verbindliche Freundschaft baute ich hier in den verbleibenden vier Jahren bis zum Abi nicht mehr auf. Ich war mit jedem ein bisschen auf Distanz und konnte gut damit leben, nicht wirklich gemocht zu werden. Für mich war das okay, auch deswegen weil ich seit dem Schulwechsel eine Art Parallelleben führte – anders kann man es nicht sagen.
Ich hatte mit vierzehn zu tanzen angefangen und war in meiner Tanzschule bald ein Star. Meine Schwester Derya hatte mich dazu ermutigt, mir ein Hobby zu suchen, etwas, woran ich Freude hätte und wo ich mich beweisen könnte. Und das konnte ich beim Tanzen. Ich fand darin ein Ventil und einen Ausgleich gegenüber meiner harten Schulrealität. Unter den gegebenen Umständen hatte ich alle Zeit der Welt zu trainieren. Keine Freunde und Verabredungen, die mich ablenkten. Nach der Schule ging ich zum Training und wenn nicht dort, dann trainierte ich zu Hause in meinem Zimmer. Als Neuanfänger und einziger Junge wurde ich erst mal komisch beäugt, und die Mädchen, die als Tänzerinnen schon sehr viel weiter waren als ich, ließen keine Situation aus, um zu lästern, wenn ich Fehler machte. Das war ja grundsätzlich nichts Neues für mich, und ich war Mobbing so sehr gewöhnt, dass es mich von gar nichts abhielt. Im Gegenteil: Bald gab ich ihnen keinen Anlass mehr dafür, weil ich schon nach kurzer Zeit keine Fehler mehr machte und sehr schnell sehr gut wurde. Irgendwann galt ich als der Beste, und die Bewunderung blieb nicht aus. Alles, was ich im Schulkontext an Bestätigung nicht bekam, holte ich mir beim Tanzen ab. Enge Freundschaften schloss ich auch in dieser Tanzwelt über all die Jahre nicht. Die Narben aus meiner Schulzeit waren mir geblieben, und der Schmerz saß tief. Es war mir einfach zu gefährlich geworden, mich auf andere Menschen einzulassen. Aber immerhin war das Tanzen ein für mich sicherer Raum, wo die anderen mich bewunderten und feierten, statt mich abzuwerten. In der Schule wusste niemand etwas davon, und ich hielt die beiden Welten fein säuberlich voneinander getrennt, um nicht zu riskieren, dass das Image des Sonderlings aus der Schule das des Startänzers auch nur irgendwie ankratzte.
Letzten Endes rettete mich das Tanzen und half mir, wieder Selbstbewusstsein aufzubauen. Es prägte viele Jahre meines Lebens. Sogar so weit, dass ich nach der Schule eine Ausbildung zum professionellen Tänzer machte und lange Zeit in diesem Beruf als Backgroundtänzer in diversen Shows und unter anderem für internationale Stars arbeitete.
Aber genauso prägten mich die Erfahrungen, die ich in meiner Schullaufbahn gemacht hatte, wenn auch auf einer anderen Ebene. Sie hatten in mir Fragen geweckt, die mich umtrieben und auf die ich keine Antworten fand: Warum passiert mir das, gemobbt und ausgegrenzt zu werden? Und warum passierte mir das zum wiederholten Male? Warum machen einige Menschen solche Erfahrungen und andere nicht? Ich las unzählige Bücher zu diesen Themen und versuchte verzweifelt, das herauszufinden. Antworten fand ich in der Lektüre nicht, möglicherweise, weil ich die Frage falsch gestellt hatte. Ich nahm an, dass es Schicksal sein musste, dass ich immer wieder die Erfahrung von Ablehnung machte. Ich erinnerte mich wieder an meine Schulzeit: Nicht jeder konnte vom Schicksal so gesegnet sein wie mein Klassenkamerad Lenny. Er sah gut aus, kam aus einem wohlhabenden Elternhaus, war gut in der Schule, freundlich zu jedem und sehr beliebt, so dass er sich vor Freunden förmlich nicht retten konnte. Er schien sein Glück in die Wiege gelegt bekommen zu haben. Und dann gab es Thilo. Er war sperrig, pickelig, schlecht in Sport und nicht wirklich der sympathische Typ – eigentlich das perfekte Mobbingopfer. Aber bis auf ein paar Sticheleien und die Tatsache, nicht gerade der King der Klasse zu sein, hatte er mit einem besten Freund an seiner Seite, mit dem er fast immer zusammen war, eigentlich eine ganz passable Oberstufenzeit.
Stattdessen trafen Ausgrenzung und blöde Sprüche mich. Dabei sah ich eigentlich wirklich gut aus, war sportlich und schlau – fand ich zumindest. Das ließ ich zwar nicht mehr allzu sehr in meine Schulleistungen einfließen, aber wenn man mit mir zu tun hatte, ließ ich durchaus erkennen, dass ich nicht auf den Kopf gefallen war. Mit mir meinte es das Leben wohl einfach nicht so gut. Einen anderen Schluss konnte ich aus meiner Geschichte nicht ziehen, wenn er auch unbefriedigend war.
Selbst eine Verhaltenstherapie, die ich zeitgleich mit meinem Schulwechsel begonnen hatte, war für mich nicht wirklich hilfreich. Meine Therapeutin war sehr mitfühlend, und natürlich bekam ich von ihr Empathie und Bestätigung, die ich gerne annahm. Nach einem Jahr jedoch brach ich die Behandlung ab, weil ich merkte, dass sie mich nicht wirklich weiterbrachte. Ihre Tipps und Tricks, um herausfordernden Situationen zu begegnen, halfen mir nicht weiter. Und meine Frage, die mich umtrieb und während meiner gesamten Schulzeit verfolgte, »Warum immer ich?«, blieb auch dort unbeantwortet.
Ich wollte unbedingt eine befriedigende Antwort auf die Frage finden, warum sich Dinge bei mir wiederholten und ich mich in einer Lebenssituation befand, mit der ich nicht glücklich war. Mir war klargeworden, dass ich es mit etwas für mich Neuem versuchen musste. Mein Leidensdruck war immens hoch.
Mit zweiundzwanzig saß ich schließlich in meinem ersten Coaching-Seminar. Ich war auf die Suche nach Workshops zur persönlichen Weiterentwicklung gegangen und stieß auf die Seite einer Coaching-Akademie, die mich ansprach. Ihre Website leitete mit dem Satz ein: »Alles, was wir sind, ist ein Resultat dessen, was wir gedacht haben.« Ich verstand intuitiv, auch wenn ich dieses Zitat noch nicht entschlüsseln konnte, dass das etwas mit mir zu tun hatte, und es weckte in mir das Verlangen, meine Gedanken zu erforschen. Also buchte ich das Seminar, auch wenn es teuer war.
Das Seminar hielt, was es versprach. Es brachte mich dazu, mir endlich die richtige Frage zu stellen, nämlich nicht die, wieso mir das alles passierte, sondern, was ich mit meinem Leben zu tun hatte. Und auf diese Frage gab es nur eine Antwort: alles! Das musste ich im Verlauf des Seminars einsehen.
Direkt zu Beginn des Seminars konfrontierte der Coach die Teilnehmer mit der Aussage: »Es sind nicht Ereignisse, die uns beeinflussen und unter denen wir leiden, sondern unsere Schlussfolgerungen aus diesen Ereignissen.« In diesem Moment wollte ich das Seminar am liebsten sofort wieder verlassen. Wie konnte er so etwas sagen? Es war doch Fakt, dass das Mobbing, vor allem in dem Ausmaß, wie ich es erlebte, etwas mit mir gemacht und wirklich böse Spuren hinterlassen hatte. »Meine Schlussfolgerungen« hatten damit gar nichts zu tun! Welche Schlussfolgerungen überhaupt? Und sollte das heißen, dass ich selbst für mein Schicksal verantwortlich war? Innerlich tobte ich, aber ich blieb sitzen – zum Glück! Im weiteren Verlauf folgte nämlich noch eine wichtige Aussage, auf die ich mich, wenn auch nur zögerlich, einließ: »Wovon du überzeugt bist, damit erschaffst du deine Realität.« Die Aussage zielte darauf ab, zur Abwechslung mal auf mich zu gucken. Ich neigte eher dazu, mit dem Finger auf andere zu zeigen und nach einem Verantwortlichen für meine Misere zu suchen, um bloß nicht selbst verantwortlich beziehungsweise »schuld« zu sein. Letztlich bedeutete diese Idee aber doch, dass ich Schöpfer meines Lebens war, und ich fing an, das als große Chance zu begreifen. Ich öffnete mich immer mehr der Aufforderung, die Verantwortung für mein Leben zu erkennen.
Und daraus ergaben sich für mich ganz neue Fragestellungen: Welche Überzeugungen hatte ich denn eigentlich, die dazu führten, dass ich mich immer wieder in Situationen befand, in denen ich mich ausgegrenzt fühlte? Was führte am Ende dazu, dass ich als Sonderling im Abseits stand? Welche Schlussfolgerungen hatte ich aus meinen Erfahrungen gezogen, wenn es doch meine Gedanken waren, die meine Realität erschufen? Diese Fragen führten mich schließlich dazu zu begreifen, dass ich unbewusste Überzeugungen hatte, von denen ich zuließ, dass sie mein Leben bestimmten.
Ich war mir meiner Angst vor Menschen und meiner Haltung, besser niemanden an mich ranzulassen, bewusst. Schließlich hatte ich ja auch Erfahrungen gemacht, die das begründeten und bestätigten. Dass ich mich aber genau aus dieser Logik heraus und mit Überzeugung – »Menschen sind gefährlich! Traue ihnen nicht!« – selbst immer wieder in Mobbing-Situationen manövriert hatte, begriff ich jetzt erst. Ich hatte aus der Enttäuschung mit meiner Clique meine Schlüsse gezogen und mir aus Angst vor dem Schmerz geschworen: Ich werde nie wieder jemanden so nah an mich heranlassen und es nie wieder zulassen, dass mich jemand so verletzen kann! Aus dieser Haltung heraus habe ich mich auf der neuen Schule natürlich entsprechend verhalten und damit andere vor den Kopf gestoßen. Die anderen konnten das irgendwann nicht mehr als anfängliche Schüchternheit abtun und fingen an, mich komisch zu finden und mich wirklich abzulehnen. Die Ausgrenzung, die ich in meiner zweiten Schule erlebte, war damit vorprogrammiert – und zwar von mir selbst. Das zu verstehen war ein wirklicher Augenöffner.
Eine Erkenntnis kommt selten allein: Als Schöpfer meiner Realität war ich möglicherweise auch verantwortlich für das Erlebnis meiner ersten Mobbingerfahrung. Ich ließ mich auf den Gedanken ein – mehr und mehr – und landete schließlich bei der Auffassung, anders zu sein. Als ich genauer in mich hineinhorchte, erwies sie sich als sehr viel älter als angenommen und der Bruch mit meinem Freundeskreis. Mir wurde klar, dass dieser Teil meiner Vergangenheit den Verlauf der Geschichte mitbeeinflusst hatte.
Anderssein hatte sich für mich nie danach angefühlt, etwas Besseres zu sein, im Gegenteil: Weil ich anders war, war ich nicht gut genug und begab mich ins Abseits und damit in die Einsamkeit. Gleichzeitig setzte ich mich unter Druck, besonders sein zu müssen, besser als der Durchschnitt, weil Anderssein auf der anderen Seite wenigstens nicht bedeuten durfte, gewöhnlich zu sein. Gefährlich war es allemal, denn Menschen mochten andere nicht, die nicht so waren wie sie. Ihre Gemeinheiten könnten jederzeit über mich hereinbrechen, so wie ich es mit meinen Mitschülern erfahren hatte. Ich musste auf alle Fälle einen Sicherheitsabstand wahren.
Zu der unbewussten Überzeugung über mich selbst, nämlich anders zu sein, war ich schon im Kleinkindalter gelangt. Das fand ich im Verlauf des Seminars heraus. Der Gedanke »Ich bin anders« zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Mittlerweile konnte ich unzählige Erfahrungen daran heften, die mir immer wieder als Bestätigung gedient hatten.
Ich muss ungefähr vier gewesen sein, als ich das Gefühl hatte,