Silver Springs. Thunder in Your Soul - Polly Harper - E-Book

Silver Springs. Thunder in Your Soul E-Book

Polly Harper

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Beschreibung

Charming & steamy: Eine Second-Chance-Romance vor der überwältigenden Kulisse der Rocky Mountains

Wenn dein Glück so hell leuchtet wie tausend Glühwürmchen ...


Ein heißer Flirt hier und da – doch von echten Gefühlen schottet sich Hazel, die Leiterin des Camp Silver Springs in den Wäldern Montanas, schon lange ab. Schließlich hat ihre blinde Verliebtheit vor zehn Jahren dazu geführt, dass sie inzwischen alleinerziehende Mutter ist. Sie liebt ihre Tochter Maila über alles und glaubt, den Schmerz der Vergangenheit längst überwunden zu haben, bis Neo überraschend das Camp betritt. Neo, der jetzt noch heißer aussieht als damals und gar nicht daran denkt, wieder zu verschwinden. Der ehemalige Olympia-Athlet gibt den Kindern im Camp Schwimmunterricht und baut dabei immer mehr auch eine Beziehung zu Maila auf. Längst hat er die Wahrheit erkannt, doch Hazel ringt ihm das Versprechen ab, ihrer Tochter nicht zu enthüllen, wer er ist – während sie selbst verzweifelt gegen ihre eigenen verräterischen Gefühle kämpft …

Die Montana-Love-Reihe im Überblick:

1. Silver Springs. Sunshine on Your Skin
2. Silver Springs. Thunder in Your Soul

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 524

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Polly Harper schreibt leidenschaftlich gern Liebesromane. Nach ihrer beliebten Goodville-Love-Reihe erzählt sie in ihrer neuen Montana-Love-Reihe süchtig machende Liebesgeschichten vor der atemberaubenden Kulisse der Rocky Mountains. Auch unter dem Pseudonym Greta Milán veröffentlicht die Autorin regelmäßig gefühlvolle Romane und Jugendbücher, die überall auf der Welt spielen. Sie lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern und drei Katern im Herzen Deutschlands.

Außerdem von Polly Harper lieferbar:

Die Goodville-Love-Reihe:

Lovely Hearts. Nur ein Lächeln von dir

Lovely Dreams. Nur ein Kuss von dir

Lovely Nights. Nur ein Traum von dir

Lovely Kisses. Nur eine Berührung von dir

Die Montana-Love-Reihe:

Silver Springs. Sunshine on Your Skin

Silver Springs. Thunder in Your Soul

www.penguin-verlag.de

Polly Harper

Silver Springs.

Thunder in Your Soul

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2024 by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Hannah Jarosch

Umschlaggestaltung und -abbildung: www.buerosued.de

Satzund E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-31405-7V001

www.penguin-verlag.de

Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.Deshalb findet sich hier eine Triggerwarnung.Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch.Wir wünschen allen das bestmögliche Leseerlebnis.

Polly Harper und der Penguin Verlag

Playlist

Coldplay – The Scientist

Sia – Chandelier

James Arthur – Lose My Mind

Hollow Coves – Coastline

Ben Folds – Gracie

P!nk – What About Us

Bruno Mars – The Lazy Song

Big and Rich ft. Gretchen Wilson – Fake I.D.

Benson Boone – Beautiful Things

Olivia Newton John – Hopelessly Devoted To You

Kodaline – All I Want

Paloma Faith – Only Love Can Hurt Like This

Keane – Somewhere Only We Know

Florence + The Machine – Never Let Me Go

Für meinen Mann,

der mit mir durch die stürmischsten Zeiten

und die hellsten Sonnenstrahlen tanzt.

Danke für alles, mein Herz.

Ich liebe dich.

Prolog

Hazel

In Silver Springs war es nie ruhig. Selbst mitten in der Nacht, wenn die Kinder und Betreuer in den niedlichen Blockhütten schliefen, war das Feriencamp am Ufer des Silver Lake erfüllt von den Klängen der Natur. Grillen zirpten im Schilf, Frösche quakten, und hoch oben in den Bäumen gurrte irgendwo ein Käuzchen. Trotzdem hielt ich den Atem an, während wir durch das finstere Dickicht schlichen, und zuckte zusammen, sobald unter der Sohle meines rechten Chucks ein trockener Zweig knackte.

»Psst.« Die warme Hand, die meine Finger sanft umschloss, drückte zu und sofort rauschte mein Puls noch weiter in die Höhe. Es war seine Berührung, die diese Reaktion in mir auslöste, nicht die Angst davor, erwischt zu werden.

Auch Neo fürchtete sich nicht. Er blieb stehen, schaute über seine Schulter zu mir zurück und grinste. Ich konnte im Licht des aufgehenden Mondes nicht viel von ihm erkennen. Aber ich wusste, dass sich gerade zwei Grübchen tief in seine Wangen bohrten und seine silbergrauen Augen vor Übermut funkelten.

»Alles okay?«, raunte er mir zu.

»Ja.« Ich presste die Lippen zusammen, um nicht zu lachen, legte meine Hand auf seinen flachen Bauch und gab ihm einen Schubs. Seine Muskeln, die ich den ganzen Tag über heimlich bewundert hatte, damit niemand merkte, wie verrückt ich nach ihm war, spannten sich an, und meine Handflächen wurden feucht vor Nervosität. Ich konnte es kaum erwarten, ihn endlich wieder zu spüren.

Neo ging weiter und zog mich sachte durch das Gestrüpp, während er die Zweige beiseiteschob, die uns im Weg waren. Nach ein paar weiteren atemlosen Schritten gelangten wir zu dem Maschendrahtzaun, der das Feriencamp umschloss.

Meine Eltern, denen Silver Springs gehörte, würden mich umbringen, wenn sie wüssten, dass wir an einer Stelle den Zaunpfahl gelockert hatten, um uns nachts aus dem Camp zu stehlen. Aber zum Glück hatten sie keine Ahnung davon.

Genauso wenig hatten sie bisher mitgekriegt, dass ich mich bis über beide Ohren in einen Campteilnehmer verliebt hatte. Schließlich gab es immer irgendeine Krise, die bewältigt werden musste. Da konnte man unmöglich seine sechzehnjährige Tochter im Auge behalten.

Früher hatte mein älterer Bruder Reed diesen Job übernommen, aber der hatte vor ein paar Wochen seinen Schulabschluss gemacht und tingelte gerade mit ein paar Freunden durchs Land, weshalb uns glücklicherweise niemand im Weg stand.

Neo ließ meine Hand los, packte den Zaunpfahl und hob ihn aus der Verankerung, woraufhin ein schmaler Spalt entstand. Ich schlüpfte als Erste hindurch, bevor er mir folgte. Da er wesentlich größer und breiter war als ich, kostete es ihn etwas mehr Mühe, sich durch den Spalt zu zwängen. Anschließend schob er den Zaunpfahl zurück und schaute auf mich hinab.

Mein Magen flatterte.

Selbst nach all den Wochen, die Neo bereits im Camp war, konnte ich immer noch nicht so richtig glauben, dass dieser wahnsinnig coole Typ meine Gefühle tatsächlich erwiderte. Aber so war es.

Uns beiden hatte ein kurzer Blick gereicht, und es war, als wäre ein Blitz direkt in unsere Seelen gekracht. Er hatte nicht nur meine, sondern auch Neos Welt komplett erschüttert, und obwohl wir beide wussten, dass wir nur eine begrenzte Zeit zusammen hatten, waren wir beide machtlos gewesen. Wir hatten es gerade mal drei Tage ausgehalten, bevor wir der Anziehung nicht länger widerstehen konnten.

»Wollen wir weiter?«, fragte Neo leise, und seine warme Stimme ließ meinen Nacken prickeln.

Anstelle einer Antwort sprang ich in seine Arme.

Neo fing mich auf, als hätte er meine Bewegung vorausgeahnt, und hob mich ein Stück höher, damit ich meine Beine um seine schlanke Hüfte legen konnte. Sobald ich mit ihm auf Augenhöhe war, presste ich meine Lippen auf seine.

Ein raues Stöhnen entwich seiner Kehle, bevor er begierig unseren Kuss vertiefte. Seine Zunge tauchte in meinen Mund und umspielte meine.

Ich hatte bisher noch nicht viele Jungen geküsst. Aber keiner hatte mich je so geküsst wie Neo. Es war, als würde er seine ganze Seele in unsere Küsse legen. Sie schmeckten nach Sommer und Sehnsucht und Glück. Ich konnte nicht genug davon bekommen.

Meine Fingerspitzen tanzten über die dunkelblonden Stoppeln auf seinem Kopf, woraufhin er erschauerte.

Neo war Leistungsschwimmer und hatte einen Großteil seines Lebens im Salt Lake City Sport Complex verbracht. Entsprechend gut ausgeprägt waren seine Muskeln. Es kostete ihn keinerlei Anstrengung, mich festzuhalten. Das einzige Problem war, dass ich ihn in dieser Position nicht ausziehen konnte. Dabei wollte ich ihn ganz dringend Haut an Haut spüren. Ich tupfte ihm einen Kuss auf die Lippen, ehe ich mich zurückzog und ihn zufrieden anschaute. »Jetzt können wir weiter.«

Sein verschleierter Blick klärte sich etwas. Dann stapfte er einfach los.

Kichernd wackelte ich mit den Beinen. »Lass mich runter. Ich kann selbst laufen.«

»Vergiss es, Baby.« Neo verstärkte seinen Griff. »Ich freue mich seit dem Aufwachen auf diesen Moment. Ich werde dich erst wieder loslassen, wenn ich es unbedingt muss.«

Seufzend schlang ich die Arme um seinen Nacken. »Ich habe dich auch vermisst.«

»Erklär mir noch mal, warum wir niemandem sagen können, dass wir zusammen sind«, verlangte er, während er in gemächlichem Tempo weiterging.

Ich zog eine Braue hoch. »Weil meine Eltern dich hochkant aus dem Camp schmeißen würden, wenn sie wüssten, dass du ihrer Prinzessin die Unschuld geraubt hast.«

Normalerweise reichte die Anspielung auf Sex aus, um Neos Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung zu lenken, aber heute funktionierte es nicht.

»Das ist total lächerlich«, brummte er und blieb stehen, weil wir angekommen waren. »Wir sind beide alt genug.«

»Trotzdem will ich es lieber nicht riskieren.« Ich hauchte ihm einen weiteren Kuss auf den Mundwinkel, bevor ich an ihm hinabrutschte. »Uns bleibt sowieso schon so wenig Zeit.« Kummer zog meinen Brustkorb zusammen.

Ein Schatten huschte über Neos Gesicht, doch dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Wir denken nicht an das Ende des Sommers, schon vergessen?«

Ja, das hatten wir uns versprochen. Aber manchmal konnte ich einfach nicht anders. »Ich werde es hassen, wenn wir uns nicht mehr jeden Tag sehen.«

»Ich genauso.« Neo legte seine großen Hände an meine Wangen, bog meinen Kopf zurück und fing meinen Blick ein. Nichts als Liebe schimmerte in seinen sturmgrauen Augen. »Aber wir werden telefonieren und uns schreiben und Wege finden, uns so oft wie möglich zu treffen. Salt Lake City ist ja nicht am Ende der Welt.«

Das vielleicht nicht, trotzdem lag Neos Heimatstadt fast sechshundert Meilen von Silver Springs entfernt. Ich hatte Angst vor der Distanz. Und vor der Zukunft.

Neo seufzte. »Guck nicht so traurig, Baby. Das bricht mir das Herz.«

Ich zwang meine Mundwinkel in die Höhe, aber ich wusste, dass mir nur eine groteske Grimasse gelang.

»Einfach wunderschön«, stellte Neo todernst fest, woraufhin ich doch lachen musste.

Seine Augen blitzten auf, ehe er einen Schritt zurücktrat und seinen Rucksack abnahm. Er zog eine Picknickdecke heraus und breitete sie auf einem schmalen Wiesenstück aus. Es lag zwischen zwei größeren Felsbrocken direkt am Seeufer, und wegen des Gebüschs, durch das wir gekommen waren, war der gesamte Bereich vor neugierigen Augen geschützt. Man konnte ihn nur vom See aus einsehen.

Neo hatte mich hier gleich an seinem ersten Tag im Camp entdeckt, als er trainiert hatte. Er war zu mir geschwommen, hatte sich neben mich gesetzt, und wir hatten geredet. Und obwohl wir im Grunde nichts Besonderes getan hatten, war dies einer der schönsten Nachmittage meines Lebens gewesen.

Eigentlich war der Platz hier immer mein Zufluchtsort gewesen, wenn es mir im Camp zu trubelig wurde. Aber nun gehörte er uns beiden.

Wir ließen uns zusammen auf der Decke nieder, und Neo zog mich mit einem wohligen Seufzen in die Arme. Sofort legte sich die Beklommenheit, die ich eben noch empfunden hatte, und wurde durch ein Gefühl von Frieden ersetzt.

Gedankenversunken wickelte Neo sich eine meiner braunen Locken um die Fingerspitzen und schaute zu dem klaren Nachthimmel empor. »Ich will, dass du in der ersten Reihe sitzt, wenn ich bei den Olympischen Spielen antrete.«

Aus dem Mund eines anderen Jungen hätten diese Worte wie eine verrückte Träumerei geklungen. Aber nicht bei Neo. Er hatte schon etliche landesweite Wettbewerbe gewonnen und unzählige Streckenrekorde aufgestellt. Deshalb hegte ich keinen Zweifel daran, dass er es eines Tages bis zu den Olympischen Spielen schaffen würde. Ich lächelte. »Und wirst du auch gewinnen?«

»Definitiv.« Seine Hand wanderte hinab zu meinem Hintern. »Wenn es so weit ist, könntest du einen Siegestanz für mich aufführen. Vielleicht in einem der durchsichtigen Röckchen, in denen du immer tanzt.«

Ich schnaubte belustigt. »Ich tanze nicht immer in durchsichtigen Röckchen.«

»Aber ziemlich oft«, wandte er grinsend ein und zwickte mich in den Po.

Mit einem Quieken schoss ich hoch und krabbelte auf ihn, bis ich der Länge nach auf ihm lag. Ich konnte sein Herz spüren, das in schnellem Takt gegen meine Brust donnerte.

»Ich hätte dir diese Fotos niemals zeigen sollen«, sagte ich, obwohl ich es in Wahrheit keine Sekunde bereute. Dazu hatte ich mich viel zu sehr an seiner Bewunderung erfreut, als er festgestellt hatte, dass uns nicht nur diese wahnsinnige Anziehung, sondern auch die Leidenschaft für einen bestimmten Sport verband. Nur war es bei mir eben nicht Schwimmen, sondern Modern Dance.

Ich trainierte seit meinem fünften Lebensjahr, um es irgendwann in eine der großen Dance Companies zu schaffen. Das war mein Traum, und genau wie Neo war ich ziemlich zuversichtlich, dass ich es schaffen würde.

»Machst du Witze?«, murmelte er, während seine Hand unter mein Top glitt. Sofort breitete sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus. »Diese Bilder sind der Hammer. Genau wie du.«

Sein Kompliment trieb mir die Hitze in die Wangen, während ich daran dachte, wie ich zum ersten Mal für ihn getanzt hatte. Danach hatte Neo mich mit großen Augen angestarrt. Er hatte kein Wort gesagt, sondern mit mehreren entschlossenen Schritten den Abstand zwischen uns überwunden und mich geküsst. Seither waren wir unzertrennlich, obwohl wir uns im Campalltag zurückhielten und uns nur wie platonische Freunde benahmen. Ich wunderte mich regelmäßig, dass die Leute uns das abkauften, aber bis auf Dotty, die herzensgute Küchenfrau, hatte noch niemand Verdacht geschöpft.

»Jede Dance Academy wird sich um dich reißen«, sagte Neo mit unerschütterlicher Zuversicht.

Lächelnd fuhr ich die Konturen seiner Wangenknochen nach. »Und du willst wirklich mitkommen?«

»Ich werde sein, wo du bist. Schließlich kann ich überall trainieren, wenn ich erst mal in den US-Kader berufen wurde.« Er spannte die Bauchmuskeln an und richtete sich auf, hielt aber dicht vor meinen Lippen inne. »Ich werde auch bei jedem deiner Auftritte in der ersten Reihe sitzen.«

Allein die Vorstellung ließ reines Glück durch meine Adern pulsieren. »Und wirst du nur eine Badehose tragen, während du mich feierst? Ich meine, das wäre ja nur fair, wenn ich dich in meinem Sportoutfit unterstützen soll.«

»Was immer du willst, Baby.« Kleine Sterne tanzten in seinen Augen. Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. »Es sei denn, ich lenke dich zu sehr mit meinem Wahnsinnskörper ab. Ich will ja nicht, dass du stolperst.«

»Wie rücksichtsvoll von dir«, schnurrte ich, während ich mein Gewicht auf ihm verlagerte. Dabei rieb ich mit meinem Bauch über seine Erektion.

Neo stöhnte. »So bin ich.«

»Wahnsinnig, wahnsinnig rücksichtsvoll«, bestätigte ich, beugte mich hinab und saugte an der erhitzten Haut unter seinem Kiefer.

Sein Becken schoss reflexartig nach oben, sein Griff wurde fester. »Hazel.«

Es klang wie Fluch und Segen zugleich. Ich liebte es, dass er genauso heftig auf mich reagierte wie ich auf ihn. Lust zog sich in meinem Unterleib zusammen und ließ meinen Körper vor Sehnsucht brennen.

Unsere Lippen fanden sich erneut. Doch diesmal war unser Kuss nicht spielerisch oder zärtlich, sondern tief und leidenschaftlich. Er war ein Spiegel all unserer Hoffnungen und Träume – und unserer Liebe.

Es waren nur zwei Jahre bis zu unserem Highschool-Abschluss. Wir würden das schaffen. Und dann würde uns nichts mehr trennen.

Nie wieder.

Kapitel 1

Neo

Zehn Jahre später …

Nur wenige Fahrzeuge kamen mir entgegen, als ich die schmale Landstraße am Fuß der Rocky Mountains entlangfuhr. Meine einzigen Begleiter waren die alten Bäume, die sich rechts und links von mir erhoben und wohltuenden Schutz vor der Nachmittagssonne spendeten, und die Gedanken, die in meinem Kopf kreisten.

Eigentlich war ich niemand, der ans Schicksal glaubte, denn das Leben hatte mich gelehrt, dass hauptsächlich harte Arbeit der Schlüssel zum Erfolg war.

Ich für meinen Teil hatte jahrelang geackert wie ein Tier. Mit neunzehn war ich ins Schwimmteam des Nationalkaders berufen worden. Ich beherrschte alle vier Stile in Perfektion, hatte diverse Altersklassenrekorde aufgestellt und wieder gebrochen, und in meinem Apartment türmten sich die vergoldeten Medaillen und Pokale wie in El Dorado.

Sechs Jahre später war ich auf dem Höhepunkt meiner sportlichen Karriere gewesen – und dann hatte eine unaufmerksame Wende nicht nur meine Sehnen im linken Knie, sondern auch meine Träume zerfetzt.

Obwohl die OP und die anschließenden Rehas inzwischen Monate zurücklagen, kämpfte ich noch immer mit den Folgen meiner Verletzung. Deshalb hatte Coach Collins nicht lange gefackelt und seinen Goldfisch – wie er mich zuvor liebevoll genannt hatte – vor ein paar Wochen aus dem Team geschmissen.

»Gönn dir eine Pause, Neo«, hatte er gesagt. »Du hast so viel erreicht.«

Nein, verdammt noch mal. Das hatte ich nicht.

Ich hatte von olympischem Gold geträumt, seit ich denken konnte. Trotzdem hatte Collins mich einfach abserviert, weshalb ich nun wie ein Fisch auf dem Trockenen zappelte und mein Möglichstes tat, um nicht an der Waldluft zu ersticken, die meine Lungenflügel weitete, während ich den Blinker setzte und auf den Schotterweg in Richtung Silver Springs abbog.

Wie gesagt, ich glaubte nicht ans Schicksal.

Trotzdem hätte das Timing gar nicht besser sein können, als ich vor gut einer Woche zufällig die Stellenanzeige des Camps im Internet entdeckt hatte. Sie suchten einen Schwimmcoach, und ein zynischer Teil von mir war natürlich sofort darauf angesprungen. Denn auch wenn ich keine Rekorde mehr aufstellte – Schwimmen konnte ich, und ich brachte auch genug Erfahrung mit, da ich schon einige Kids in den Saisonpausen unterrichtet hatte.

Es gab nur eines, das mich hatte zögern lassen: Hazel Dixon.

Selbst nach zehn Jahren zog sich alles in mir schmerzhaft zusammen, wenn ich an das wilde bildschöne Mädchen dachte, das ich einst so leidenschaftlich geliebt und nur wenige Wochen nach dem Camp so bitter enttäuscht hatte.

Ich hatte keine Ahnung, was aus ihr geworden war. Aber ich ging davon aus, dass sie wie ich ihren Träumen gefolgt war und nach der Highschool einen Platz an einer renommierten Tanzschule ergattert hatte. Vermutlich hatte sie inzwischen ein Engagement in einem professionellen Ensemble und kam nur noch selten nach Hause, um ihre Eltern zu besuchen. Sie würde nicht da sein, wenn ich nach Silver Springs zurückkehrte.

Sicher würde es sich erst mal etwas merkwürdig anfühlen, ohne sie im Camp zu sein. Andererseits bot Silver Springs mit seiner idyllischen Kulisse am Fuß der Rocky Mountains direkt am See ideale Voraussetzungen, um den Kopf freizukriegen. Davon abgesehen brauchte ich endlich eine sinnvolle Aufgabe, weil ich sonst verdammt noch mal durchdrehte.

Das war das Problem mit ehrgeizigen Träumen: Wenn sie zerplatzten, dann stand man urplötzlich vor dem Nichts. Und damit meinte ich: absolut gar nichts.

Jahrelang hatte mich der Rausch des Sieges immer höhergetrieben. Jetzt klaffte da nur noch ein Loch in meiner Brust. Eine Leere, die mir selbst Angst einjagte.

Der Parkplatz kam in Sicht und lenkte mich zum Glück von meinen tristen Gedanken ab. Da stand ein Pärchen dicht an einen Pick-up gelehnt. Die beiden waren so sehr miteinander beschäftigt, dass sie meine Ankunft erst bemerkten, als ich meinen Wagen in einer Parkbucht abstellte.

Ich atmete tief durch und stieg aus. Wie üblich musste ich die Zähne zusammenbeißen, als ein scharfer Schmerz durch mein linkes Knie schoss. Ich war stundenlang gefahren und hatte unterwegs nur wenige Pausen eingelegt. Doch wie ich es mir antrainiert hatte, ignorierte ich das Stechen, beugte mich vor und holte meine Reisetasche von der Rückbank.

Obwohl der Sonntag bereits zur Neige ging, war es selbst im Schatten der Bäume noch drückend warm, und ich freute mich jetzt schon auf einen Sprung in den kühlen See.

Lächelnd ging ich auf das Pärchen zu. »Hi. Ich bin Neo Barnes.«

»Ah«, sagte der Kerl erfreut. Offenbar war er der Mann, den ich suchte: Reed Dixon, Teamleiter des Camps. Hazels Bruder.

Er war mir auf Anhieb sympathisch, als er meine Vermutung bestätigte und sich und seine Freundin Estelle vorstellte. Wir schüttelten uns die Hände, und plötzlich war ich froh, dass wir uns nie persönlich getroffen hatten, denn auch wenn die Geschichte mit mir und Hazel der Vergangenheit angehörte, schien Reed mir nicht der Typ zu sein, der besonders nachsichtig mit Kerlen umging, die seiner kleinen Schwester das Herz brachen.

Reed reichte nicht ganz an meine Größe heran, aber sein kräftiger Körperbau zeugte davon, dass er es gewohnt war, hart zu arbeiten. Seine Haare, die ihm verwuschelt vom Kopf abstanden, besaßen den gleichen satten Braunton wie Hazels, aber seine Augen waren grün, nicht haselnussbraun, und ihre Gesichtszüge ähnelten sich zum Glück auch nicht besonders. Es wäre schräg gewesen, diesen Mann anzuschauen und dabei andauernd an das Mädchen zu denken, das ich aufgegeben hatte. Ich hoffte, ich würde ihren Verwandtschaftsgrad bald vergessen.

Reeds blonde Freundin musterte mich aufmerksam aus ihren blauen Augen, als wollte sie abschätzen, ob ich auf Ärger aus war.

Ich konnte es ihr nicht verdenken. Meine Haare waren kurz geschoren, weil ich es so gewohnt war, und ein schwarzes Tattoo wand sich von meinem rechten Handgelenk bis hinauf zu meiner Schulter. Zusammen mit meinem durchtrainierten Körper wirkte ich manchmal ein bisschen furchteinflößend auf die Leute, aber ich war ein Lamm.

Meistens jedenfalls.

»Schön, dass du da bist«, sagte Reed freundlich.

»Ich freue mich auch.« Neugierig sah ich mich um. Zwar konnte ich vom Parkplatz aus das Camp nur begrenzt einsehen, aber ich hatte die Bilder auf der veralteten Webseite aufmerksam studiert. Deshalb wusste ich, dass das Verwaltungsgebäude mit seinem Speisesaal und den Kreativwerkstätten noch immer Dreh- und Angelpunkt des Camps bildete. Direkt dahinter befand sich ein Versammlungsplatz, um den ein Rundweg führte. Von diesem gingen kleinere Pfade zu sechs Gruppenhäusern ab, in denen je zwölf Kids und ein Betreuer wohnten.

Die jüngsten Gruppen im Alter von acht bis zehn Jahren waren nach Säugetieren benannt, wobei die Mädchen Rotluchse und die Jungs Graufüchse hießen. Als Nächstes kamen zwei Vogelarten für die Elf- bis Dreizehnjährigen. Die Mädchen waren Steinkäuze, die Jungs Weißkopfadler. Zu guter Letzt kennzeichneten zwei Amphibienarten die älteste Altersstufe von vierzehn bis sechzehn: die Ochsenfrösche, zu denen ich damals auch gehört hatte, und die Tigersalamander.

Neben den Gruppenunterkünften gab es kleinere Gebäude, die als Gästehäuser vermietet wurden oder in denen zusätzliche Crewmitglieder untergebracht waren, und dann natürlich noch den großen Bungalow direkt am See, in dem Hazel früher mit ihrer Familie gewohnt hatte. »Hier hat sich ja nicht viel verändert.«

Reed blinzelte überrascht. »Du warst schon mal hier?«

»Ja.« Ich winkte ab, obwohl ich alles andere als gleichgültig war. Meine Rückkehr ins Camp nahm mich mehr mit, als ich erwartet hatte. »Ist aber ewig her. Kommt mir vor wie ein ganz anderes Leben.«

Eines, in dem sie mein ganzes Denken bestimmt und meine Träume gefährlich ins Wanken gebracht hatte …

»Tja, diesmal bist du derjenige, der die Ansagen macht«, fuhr Reed unbekümmert fort und versetzte mir gleich den nächsten Schock. »Meine Schwester hat die Verträge in ihrem Büro. Wenn du kurz wartest, könnt ihr gleich den Papierkram erledigen, und danach zeigt sie dir alles.«

»Alles klar.«

Keine Ahnung, wie ich es schaffte, ihm zu antworten, denn mit einem Mal hatte jegliche Luft meine Lunge verlassen.

Seine Schwester.

Sie war hier?

Ich war noch dabei, diese Information zu verdauen, als Reed auch schon einen Pfiff ausstieß. Ich folgte seinem Blick.

Und da war sie.

Wir schauten uns an – und plötzlich war alles wieder da. Das wilde Leuchten in ihren haselnussbraunen Augen, das helle Lachen in meinem Ohr, ihre Lippen auf meiner Haut …

Ein Kribbeln rauschte durch meine Adern, ließ jeden meiner Muskeln erstarren. Schon damals hatte mich dieses Mädchen schier um den Verstand gebracht. Jetzt war sie eine Frau, aber wie es schien, besaß sie noch immer dieselbe berauschende Macht über mich.

Sie war in einigen Metern Entfernung abrupt neben ihrem Begleiter stehen geblieben und starrte mich an, als hätte sie einen Geist gesehen.

Mir ging es genauso. »Hazel?«

Ihr Name rollte heiser von meinen Lippen, lockte noch mehr Erinnerungen hervor, gegen die ich mich einfach nicht wehren konnte. Meine Beine setzten sich wie von selbst in Bewegung, und ich ging langsam auf sie zu.

»Ihr kennt euch?«, fragte Reed, doch diesmal reagierte ich nicht, denn meine Aufmerksamkeit war allein auf die Frau gerichtet, die ich einmal geliebt hatte.

»Was machst du hier?«, fragte ich, unfähig, meinen Schock zu verbergen. Ich hatte nicht damit gerechnet, sie nach all den Jahren wiederzusehen. Aber nun stellte ich fest, dass ich mich ehrlich darüber freute. Vielleicht sollte ich meine Meinung zum Thema Schicksal spontan überdenken.

Meine Mundwinkel wanderten in die Höhe und zum ersten Mal seit Wochen, wenn nicht sogar Monaten, spürte ich ein aufrichtiges Lächeln auf meinen Lippen. »Ich dachte, du bist inzwischen am Broadway oder bei irgendeiner Dance Company und tourst durch Europa?«

Hazel zuckte zusammen. »Was willst du hier?«

Die Schärfe in ihrer Stimme verpasste meiner Euphorie sofort einen Dämpfer, und ich fühlte mich wie ein Vollidiot, weil ich für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich gehofft hatte, meine Wiedersehensfreude würde auf Gegenseitigkeit beruhen. Was offenbar nicht der Fall war.

Angespannt zeigte ich auf Reed. »Er hat mich eingestellt. Ich bin der neue Schwimmcoach.«

Hazel schaute kurz zu ihrem Bruder, der bestätigend nickte. Panik flackerte in ihren Augen auf, und erst jetzt fiel mir auf, wie blass sie war. Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Das war ein Missverständnis. Du bist nicht der Richtige für den Job. Gute Heimfahrt.«

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, hatte sie sich bereits umgedreht und marschierte davon.

Wie vom Donner gerührt schaute ich ihr nach.

»Okay, was war das?«, fragte Reed und verschränkte die Arme vor der Brust.

Frustriert rieb ich mir über das Gesicht. Ich würde ihm sicher nicht erklären, welche Art von Beziehung ich damals mit seiner Schwester gehabt hatte, und erst recht nicht, wie die Sache ausgegangen war. Schließlich war ich nicht lebensmüde.

»Wir haben uns hier im Camp angefreundet, als wir noch Kinder waren, uns aber danach aus den Augen verloren. Anscheinend ist sie deshalb irgendwie sauer auf mich.«

Und das war offenbar noch milde ausgedrückt. Vermutlich sollte ich froh sein, dass sie mir nicht mit Anlauf in die Eier getreten hatte.

Der Kerl, der mit ihr zum Parkplatz gekommen war, verzog spöttisch die Lippen. »Na, dann würde ich mal vorschlagen, du klärst das. Andernfalls kannst du diesen Job vergessen.«

Mir sackte der Magen bis in die Knie. »Reed hat mich bereits eingestellt«, protestierte ich, hielt aber plötzlich inne.

Fuck! Ich hatte noch keinen Vertrag.

»Ich würde es wirklich gern sehen, dass du bleibst, Mann«, sagte Reed. Offenbar kaufte er mir meine Erklärung ab. Sonst hätte er mich wohl rausgeschmissen. »Aber die Sache läuft nur, wenn meine Schwester einverstanden ist.«

Ich nahm es ihm nicht übel, dass er sich auf ihre Seite schlug. Wahrscheinlich hätte ich dasselbe an seiner Stelle getan.

Mein Blick wanderte in die Richtung, in die Hazel gegangen war.

So wie sie auf mich reagiert hatte, standen meine Chancen wohl eher schlecht, dass sie ihre Meinung änderte. Sie hatte ja jedes Recht, wütend auf mich zu sein. Aber jetzt war ich hier – und ich wollte nicht wieder gehen.

Silver Springs war mir schon wie eine Rettungsboje erschienen, als ich glaubte, sie wäre nicht hier. Jetzt war dieses Camp praktisch zu einem kompletten Rettungsboot mutiert. Das würde ich auf keinen Fall aufgeben.

Entschlossen straffte ich die Schultern. »Ich kläre das.«

»Na dann, komm mit«, sagte der Typ fröhlich. »Ich bringe dich zum Büro der Geschäftsleitung.«

»Ist es noch dort, wo es früher war?«, fragte ich knapp.

Reed nickte. »Genau.«

»Erster Stock, die letzte Tür auf der rechten Seite«, fügte Estelle hilfreich hinzu.

»Danke.« Mit einem dumpfen Aufprall landete meine Reisetasche auf dem Boden. »Ich kenne den Weg.«

Ich warf den dreien einen flüchtigen Blick zu, ehe ich Hazel hinterherstapfte. Mit jedem Schritt rauschte mein Puls lauter in meinen Ohren vor Aufregung und Ungeduld. Ich konnte es nicht erwarten, unter vier Augen mit ihr zu sprechen. Gleichzeitig hatte ich jedoch keine Ahnung, wie ich sie davon überzeugen sollte, meinem Aufenthalt hier zuzustimmen. Eine simple Entschuldigung würde wohl nicht ausreichen, und erklären konnte ich es nicht, ohne unsere Vergangenheit erneut aufzuwühlen. Trotzdem musste ich es versuchen.

Mit energischen Schritten hielt ich auf die Eingangstür zum Verwaltungsgebäude zu, als fröhliches Kindergeschrei meinen Blick zum Seeufer lenkte. Geradeaus führte der Weg direkt zur Strandwiese, wo mir eine Gruppe Kinder entgegenkam. Dahinter sah ich gerade noch, wie Hazel hinter dem Bungalow am Seeufer verschwand, in dem sie früher mit ihrer Familie gelebt hatte. Sie war gar nicht in ihrem Büro.

Sofort folgte ich ihr, und meine Knie wurden ein wenig weich, als mir klar wurde, in welche Richtung sie lief. Ob es unseren speziellen Ort noch immer gab?

Ich überquerte den Versammlungsplatz, und meine Aufmerksamkeit blieb bei dem Fenster hängen, durch das Hazel sich in jenem Sommer fast jede Nacht rausgeschlichen hatte, damit wir Zeit miteinander verbringen konnten. Jetzt klebten kleine blaue Fische an den Scheiben. Ich fragte mich, wer wohl in ihrem alten Zimmer wohnte. Doch als ich das Seeufer erreichte, verlor ich den Gedanken aus dem Fokus.

Direkt vor mir befand sich der Lagerfeuerplatz, an dem sich die Campgemeinschaft abends versammelte. Links breitete sich die Strandwiese aus. Sie war so gut wie leer. Nur ein paar Teenager chillten etwas weiter weg in der Sonne, und einige Kids tummelten sich nicht weit entfernt auf dem Bootssteg.

Ich bog rechts ab und ging an einem Baumstamm vorbei, der hinter dem Bungalow als Sitzbank diente. Dahinter erwartete ich das verwilderte Waldstück, durch das wir früher geschlichen waren. Doch stattdessen erhob sich dort ein weiteres Wohngebäude. Der Zaun und die großen Gesteinsbrocken waren fort, die Holunderbüsche zurückgeschnitten, und das kleine Wiesenstück – unser spezieller Ort – war von Unkraut überwuchert.

Zerstört.

Mein Magen krampfte sich zusammen, als ich Hazel inmitten der hohen Gräser stehen sah. Sie hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und starrte hinaus auf den See. Sie so unglücklich zu sehen, tat weh.

Denn ich war der Grund dafür.

Weil ich hier einfach auftauchte und alte Wunden aufriss.

Trotzdem näherte ich mich ihr langsam auf wackligen Beinen. »Hazel?«

Erschrocken fuhr sie zu mir herum. Jeder Kummer verschwand aus ihrer Miene. Stattdessen loderte Zorn in ihren Augen auf. »Was willst du noch hier? Ich hatte dir gesagt, du sollst wieder gehen.«

Ihr scharfer Ton schnitt mir wie eine Damastklinge mitten durchs Herz. Beschwichtigend hob ich die Hände. »Ich bin hier, um mich zu entschuldigen.«

Sofort schüttelte sie den Kopf, woraufhin ihre wilden braunen Locken in alle Richtungen flogen. Sie trug ihr Haar kürzer als früher, nur noch schulterlang. »Du wirst meine Meinung nicht ändern. Also tu uns beiden den Gefallen und verschwinde einfach.«

Ganz sicher nicht.

Ich blieb in zwei Metern Abstand zu ihr stehen, fest entschlossen, mir Gehör zu verschaffen. »Es tut mir leid, dass ich damals so plötzlich Schluss gemacht und mich nie wieder gemeldet habe, aber …«

»Stopp!« Für den Bruchteil einer Sekunde kehrte ihr Schmerz zurück, doch er wurde schnell wieder durch Zorn ersetzt. »Ich will es nicht hören, Neo.«

»Komm schon, Hazel. Wir müssen darüber reden«, beschwor ich sie, weil ich noch nicht bereit war aufzugeben. »Ich weiß, dass ich dich wahnsinnig verletzt habe. Aber damals, da … da hatte ich keine andere Wahl, verstehst du?«

Fuck! Das klang total armselig.

Hazel schien das genauso zu sehen, denn sie stieß eine Mischung aus Lachen und Schnauben aus. »Natürlich nicht. Deine Träume waren dir schließlich immer wichtiger als alles andere.«

Ich hätte ihr widersprechen können. Aber Tatsache war, dass es stimmte. Der Sommer im Camp sollte mir eine kleine Auszeit von dem Leistungsdruck bieten, bevor der Spaß mit der neuen Saison erst richtig losging. Aber ich hatte nicht mit Hazel Dixon gerechnet. Geschweige denn mit der Heftigkeit, mit der ich mich in sie verlieben würde.

Nach meiner Rückkehr nach Salt Lake City hatte ich wochenlang in den Seilen gehangen, war demotiviert und unkonzentriert vor Sehnsucht nach diesem Mädchen gewesen, dem ich mein Herz, meinen Körper und meine Seele geschenkt hatte.

Sie mochte glauben, dass sie mir gleichgültig gewesen war. Aber das stimmte nicht. Im Gegenteil. Mir hatte diese Beziehung so viel bedeutet, dass alles andere unwichtig für mich geworden war.

Mein lethargischer Zustand hatte weder meinen Eltern noch meinem Trainer sonderlich geschmeckt, daher hatten sie mich so lange beackert, bis ich schließlich einknickte und den Kontakt zu Hazel abbrach. Die Entscheidung war mir nicht leichtgefallen, und ich hatte mich wie ein Schwein gefühlt, als ich ihre Nummer blockiert und jede Verbindung zu ihr gekappt hatte. Aber wie alles in meinem Leben hatte ich es durchgezogen. Ich hatte sie geopfert, um ein Champion zu werden.

»Es tut mir leid«, wiederholte ich, denn dass ich ihr wehgetan hatte, bedauerte ich mehr als alles andere. Unglücklich betrachtete ich ihr Gesicht. Selbst nach all den Jahren war es immer noch vertraut, obwohl ihre kindlichen Züge verschwunden waren. »Wir waren jung. Ich dachte, mit einem radikalen Cut kämen wir beide schneller darüber hinweg und …«

»Es reicht!«, unterbrach Hazel mich erneut. Abgrundtiefe Verachtung erschien in ihrer Miene. »Ich kann nicht fassen, dass du hier nach all den Jahren auftauchst und es wieder einmal nur um dich geht.«

Mir brach der Schweiß aus. »So ist das doch gar nicht …«

»Ach, wirklich?« Ein bitteres Lächeln hob ihre Mundwinkel. »Ich habe dir jetzt mehrfach mitgeteilt, dass ich dich weder hier haben noch mit dir sprechen will – und trotzdem bestehst du darauf, dass ich mir deine Entschuldigung anhöre. Ich habe keinen Schimmer, woher dein plötzliches Interesse kommt. Aber weißt du was? Es interessiert mich auch nicht. Es gibt nichts, was du sagen oder tun könntest, um meine Meinung zu ändern. Du hast keinen Platz in unserem Leben. Weil du ihn ganz einfach nicht verdienst. Was immer du suchst, hier wirst du es nicht finden.« Sie ging an mir vorbei, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. »Fahr nach Hause, Neo.«

Kapitel 2

Neo

Das Blut rauschte mir in den Ohren, während ich Hazel völlig überfordert nachschaute. Das Bedürfnis, ihr hinterherzulaufen, war überwältigend. Aber wie es schien, konnte ich ihr wohl noch hundertmal erklären, dass es mir leidtat, wie ich sie damals behandelt hatte, sie würde nicht einknicken. Warum sollte sie auch? Ich hatte ihr versprochen, dass wir eine Fernbeziehung gemeinsam meistern würden, und nicht mal einen lausigen Monat durchgehalten.

Sie hatte so heftig am Telefon geweint, hatte mich angefleht, uns nicht aufzugeben.

Aber ich hatte es trotzdem getan.

Natürlich wäre es gelogen, zu behaupten, dass ich danach nie wieder an sie gedacht hätte. Das wäre weit entfernt von der Wahrheit gewesen. Trotzdem hatte ich sie kein einziges Mal angerufen. Nicht einmal in meinen dunkelsten, verzweifeltsten Momenten.

Frustriert rieb ich mir über das Gesicht. Ich hatte keinen Schimmer, was ich jetzt machen sollte. Mit eingezogenem Schwanz gehen oder beten, dass sich Hazels Wut bald legte? Letzteres war wohl mehr als unwahrscheinlich. Andererseits war ihr Temperament eine der Eigenschaften, die mich am meisten an ihr fasziniert hatten. Sie tat alles mit Leidenschaft.

Tanzen, lachen, lieben.

Und offensichtlich auch hassen.

Absolute Hoffnungslosigkeit überrollte mich. Ich war so froh über die bevorstehende Auszeit in Silver Springs gewesen. Aber Hazel würde mir nicht erlauben zu bleiben. Nicht einmal dann, wenn ich ihr versprach, mich von ihr fernzuhalten und einfach nur meinen Job zu machen …

Geschrei erklang vom Bootssteg aus und riss mich aus meinen Überlegungen. Dort standen vier jüngere Kinder, die ein weiteres Kind anfeuerten, das gerade mit beachtlicher Geschwindigkeit durchs Wasser pflügte.

»Los, Maila!«, schrie ein Mädchen und klatschte aufgeregt in die Hände. »Du schaffst es!«

Neben ihr stand ein Junge, der nicht älter als neun oder zehn Jahre alt war und konzentriert auf die Stoppuhr in seiner Hand starrte. Wie die anderen Kids trug er eine Badehose, nur hatte er außerdem ein Hemd an, das eigentlich viel zu schick für ein Feriencamp war.

Neugierig trat ich näher und verfolgte, wie das Mädchen mit erstaunlicher Präzision auf die rote Schwimmboje zuhielt, die etwa hundert Meter vom Steg entfernt im Wasser trieb. Selbst von hier aus konnte ich erkennen, wie viel Potenzial in diesem Mädchen schlummerte. Ich war mir sicher, dass ich ihr was beibringen könnte.

Ihr und den anderen Kids.

Ich mochte Kinder, schon immer. Obwohl ich selbst keine hatte, weil dafür neben meinen Karriereplänen einfach kein Platz gewesen war, war Vater werden etwas, worauf ich in meinem Leben nicht verzichten wollte. Aber ich war erst Mitte zwanzig. Ich hatte noch Zeit.

»Hey, Mann!« Der Kerl, der Hazel zuvor begleitet hatte, kam auf mich zu. Er trug abgewetzte Jeans und ein kariertes Hemd, und er hatte sich sein längeres braunes Haar im Nacken zusammengebunden. Sein Lächeln war offen und freundlich. »Hast du Hazel nicht gefunden?«

Doch, aber sie will mich nicht hier haben.

Fuck!

»Wenn sie nicht im Büro ist, ist sie wahrscheinlich schon zu Hause«, fuhr der Kerl fort und deutete zum Bungalow. »Sie wohnt gleich dort drüben.«

»Alles klar«, sagte ich, obwohl ich mir immer noch nicht meinen nächsten Schritt überlegt hatte.

»Kein Problem.« Er zeigte grinsend auf sich selbst. »Ich bin übrigens Quill. Reed und Estelle sind gerade erst aus Seattle zurückgekommen und wollen erst mal ihren Kram auspacken. Deshalb habe ich deine Tasche ins Verwaltungsgebäude gebracht, bis du mit Hazel alles geklärt hast.«

Ich nickte. »Okay. Danke.«

Abermals erklang Gekreische vom Steg aus. Drei der vier Kinder jubelten und applaudierten. Der Junge mit der Stoppuhr war ein bisschen von ihnen abgerückt und zog den Kopf ein, als wäre ihm das wilde Getose zu viel. Die kleine Schwimmerin hatte die Boje erreicht und platschte mit ihren Händen jauchzend auf das Wasser.

Quill lachte. »Ah! Wie es scheint, hat Maila endlich einen weiteren Silver-Lake-Rekord geknackt.«

Eine Rekordjägerin also. Das überraschte mich nicht.

»Sie hat eine gute Technik«, meinte ich, während ich fasziniert das Mädchen beobachtete. Mit ihrer Begeisterung erinnerte sie mich an mich selbst als kleiner Junge.

Quill nickte neben mir. »Sie ist ein Naturtalent. Wir kriegen sie kaum aus dem See raus.«

»Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte ich, unfähig, die Kleine aus den Augen zu lassen. Sie schwamm mit langen Zügen zurück zum Steg, kletterte geschickt die Leiter hoch und riss sich lachend Badekappe und Schwimmbrille vom Kopf, woraufhin sich eine dunkle Lockenpracht bis auf ihre schmale Hüfte ergoss. Sie trug einen blauen Sportbadeanzug mit gelben Neonstreifen, die in der Sonne schimmerten, als sie mit ihren Freunden im Kreis tanzte.

Ihrer Schwimmtechnik nach zu urteilen hätte ich sie auf zwölf oder dreizehn geschätzt. Aber sie schien wesentlich jünger zu sein. »Wie alt ist sie?«

»Maila ist neun«, antwortete Quill und stieß einen leidgeprüften Seufzer aus, als sie Anlauf nahm und mit angehockten Beinen erneut in den See sprang. »Ich sollte mal lieber zusehen, dass sie aus dem Wasser kommt. Nicht dass ihr doch noch Schwimmhäute wachsen.«

Obwohl mir eigentlich nicht danach zumute war, platzte ein Lachen aus mir heraus, denn den Spruch hatte ich mir früher auch oft anhören dürfen.

Quill zwinkerte mir zu. »Bis dann.«

Er ging davon, während ich vollkommen zwiegespalten zurückblieb. Einerseits wollte ich Hazel nicht noch weiter bedrängen, denn sie hatte absolut recht: Es war egoistisch von mir, ihre Gefühle zu übergehen. Andererseits erinnerte mich die Euphorie dieses kleinen Mädchens daran, warum ich überhaupt hierhergekommen war. Ich wollte auch andere Kinder für den Schwimmsport begeistern und endlich nicht mehr über mein eigenes Versagen nachdenken müssen. Davon abgesehen brauchte Silver Springs dringend einen Schwimmcoach. So hatte es in der Anzeige gestanden, und Reeds Mails nach zu urteilen, war ich die beste Option, die sie hatten, weil mir das geringe Gehalt vollkommen schnuppe war.

Verbissen musterte ich den Bungalow. Hazel kochte dadrinnen wahrscheinlich immer noch vor Wut, weil ich plötzlich wieder in ihr Leben geplatzt war. Ich verstand das. Wirklich. Gleichzeitig aber fühlte es sich völlig falsch an, wieder zu gehen, ohne mich mit ihr ausgesprochen zu haben.

Meine Füße setzten sich erneut in Bewegung, und bevor ich entschieden hatte, ob das wirklich eine gute Idee war, stieg ich die Stufen zu Hazels Bungalow hoch, trat auf die Veranda und klopfte.

Mein Herz krachte gegen meine Rippen, als wollte es gleich aus meiner Brust springen. Ich lauschte angestrengt, ob sie mich hereinbat. Aber nichts regte sich.

Vielleicht sollte ich es doch noch mal in ihrem Büro versuchen …

Entschlossen marschierte ich zum Verwaltungsgebäude. Ich ignorierte meine Sporttasche, die im Eingangsbereich bei einer kleinen Sitzgruppe stand, und schaute mich neugierig um.

Hier hatten sich definitiv ein paar Dinge verändert. Das seltsam anmutende Ocker an den Wänden war einem fröhlichen Gelb gewichen. Auch der Speisesaal, den ich durch eine doppelflügelige Glastür erkennen konnte, schien ein paar Upgrades erhalten zu haben. Geradeaus führte eine breite Treppe in die obere Etage, die ich nun erklomm, um noch einmal mein Glück bei Hazel zu versuchen.

Ich betrat eine Galerie, die mit einem Billardtisch und einer Leseecke mit riesigen Sitzsäcken ausgestattet war. Auch diesen Bereich hatte es zu meiner Zeit noch nicht gegeben, und ich konnte mir gut vorstellen, dass er abends gern von den Teenies in Beschlag genommen wurde, wenn es am See zu dunkel war.

Ich nahm den langen Gang, der zu einigen Büros- und Gruppenräumen führte. Ganz am Ende auf der linken Seite befand sich das Büro der Campleitung. Sowie ich vor die Tür trat, stolperte mein Herz. Ich fühlte mich wie auf dem Startblock, kurz bevor das Signal ertönte. Dann klopfte ich an.

»Ja?«, erklang Hazels Stimme aus dem Inneren.

Eine Mischung aus Erleichterung, weil ich sie gefunden hatte, und Panik, weil sie mich erneut zurückweisen könnte, machte sich in mir breit.

Jetzt hieß es alles oder nichts.

Ich atmete tief durch und zwang meinen Puls zur Ruhe, dann drückte ich die Tür auf und betrat ihr Büro.

Hazel saß hinter einem rustikalen Schreibtisch, das Fenster mit einem traumhaften Ausblick über den Silver Lake in ihrem Rücken. Sobald sie mich sah, schoss sie von ihrem Stuhl hoch. »Was machst du noch hier?«

Angespannt schloss ich die Tür und trat vor sie. »Es tut mir leid, Hazel. Aber ich kann nicht einfach wieder verschwinden.«

»Doch, du kannst.« Sie warf mir einen spöttischen Blick zu. »Setz dich einfach in dein verdammtes Auto, gib Gas und schau nie wieder zurück. Du hast das schon einmal geschafft. Ich bin mir sicher, du kriegst es wieder hin.«

Langsam schüttelte ich den Kopf. »Das werde ich nicht tun. Ich bin hier, um einen Job zu erledigen und …«

»Einen Job?«, unterbrach sie mich vollkommen fassungslos. »Ist das dein Ernst?«

Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich zu lügen. Aber ich ahnte, dass ich es nur noch schlimmer machte, wenn ich jetzt behauptete, ich wäre gekommen, um mich mit ihr auszusprechen. Immerhin hatte ich meine Überraschung über unser unverhofftes Wiedersehen kaum verbergen können. »Ich habe mich hier beworben, um Kids das Schwimmen beizubringen, und das würde ich noch immer sehr gern tun. Dein Bruder sagte mir, dass ihr dringend Unterstützung braucht und …«

Bevor ich den Satz zu Ende bringen konnte, flog die Tür auf, und die kleine Rekordbrecherin kam hereingerauscht. Sie hatte lediglich ein Handtuch um ihren Körper geschlungen, unter dem ihr nasser Badeanzug hervorlugte. Wassertropfen perlten aus ihrem braunen Haar, das sich ebenso kringelte wie Hazels. Sie musste direkt vom See hierhergelaufen sein, nachdem Quill sie aus dem Wasser geholt hatte.

»Mom!«

Heilige Scheiße! Hazel war Mutter?

Ich kam mir vor, als hätte mich jemand in ein Paralleluniversum geschubst, während ich dieses süße talentierte Mädchen anstarrte.

Sie war so aufgeregt, dass sie mich gar nicht bemerkte. Stattdessen rannte sie freudestrahlend auf Hazel zu. »Ich hab’s geschafft! Ich hab Ruby Marks Rekord geknackt. Ich war über eine Sekunde schneller als sie, obwohl sie schon zwölf bei ihrer Bestzeit war. Ist das nicht irre?«

Irre war etwas ganz anderes. Aus der Nähe betrachtet sah Maila nämlich aus wie eine Miniaturversion von Hazel. Ich erinnerte mich gut an die Fotos aus ihrer Kindheit und Jugend, die sie mir damals gezeigt hatte. Die beiden waren sich unglaublich ähnlich und schienen ein sehr inniges Verhältnis zu haben.

Hazels Worte kamen mir wieder in den Sinn. Du hast keinen Platz in unserem Leben.

Plural.

Vorhin hatte ich angenommen, sie meinte sich und Silver Springs, ihr Leben hier im Allgemeinen. Nicht im Traum wäre ich auf die Idee gekommen, dass sie sich auf ihre niedliche Tochter bezogen haben könnte.

Ich war noch damit beschäftigt, die Tatsache zu verdauen, dass meine einstige Jugendliebe ein Kind hatte, als Maila sich zu mir umdrehte und überrascht blinzelte.

Unsere Blicke begegneten sich – und plötzlich drohte meine ganze Welt zu kippen.

Sie hatte meine Augen.

Grübchen wie ich.

War eine talentierte Schwimmerin.

Quill hatte gesagt, sie war neun. Rechnete man noch neun Monate Schwangerschaft hinzu …

Nein! Das konnte einfach nicht sein. Es musste eine andere Erklärung geben. Vor mir war Hazel mit keinem Jungen zusammen gewesen, aber vielleicht kurz nach unserer Trennung?

Allein der Gedanke löste eine Welle der Übelkeit in mir aus. Trotzdem war es möglich. Die Gemeinsamkeiten könnten purer Zufall sein.

Hazel hätte so etwas nicht vor mir verborgen.

Ja, ich hatte sie zutiefst verletzt.

Aber niemals hätte sie mir mein eigenes Kind vorenthalten.

Oder doch?

Kapitel 3

Hazel

Ich konnte nicht glauben, dass Neo wieder da war. Nach zehn Jahren tauchte er aus dem Nichts auf und stürzte mein behütetes Leben einfach in einen emotionalen Ausnahmezustand.

Natürlich wäre es eine Lüge gewesen, zu behaupten, ich hätte mir nie vorgestellt, wie eine Begegnung mit ihm sein würde. Aber ich hatte weder mit diesem immensen Schmerz gerechnet noch mit Neos Fassungslosigkeit. Genau genommen sah der riesige Kerl in meinem Büro aus, als würde er gleich umkippen, während er Maila anstarrte, als versuchte er, ein hochkomplexes Rätsel zu lösen.

Sturmgraue Augen blickten in sturmgraue Augen.

Es kam mir vor, als würde die Zeit stillstehen.

Neo war wie gelähmt, was keinerlei Sinn für mich ergab. Schließlich war es ja nicht so, als ob er es nicht gewusst hätte.

Ich war heilfroh, dass Maila keinen Verdacht schöpfte. Sie kicherte aufgeregt. »Ups! Sorry für die Störung. Bin gleich wieder weg.«

Mit einer beiläufigen Geste wandte sie sich wieder von Neo ab, der wie festgefroren mitten in meinem Büro stand und sie nicht aus den Augen ließ.

Er war schon immer groß und gut gebaut gewesen, aber offenbar hatte er noch ein paar Zentimeter und einiges an Muskelmasse zugelegt in den vergangenen Jahren. An seinem Körper schien sich kein Gramm Fett zu befinden. Seine Gesichtszüge waren markanter und dieses Tattoo … Vorhin auf dem Parkplatz hätte ich beinahe hysterisch aufgelacht. Er sah aus wie mein persönlicher feuchter Traum. Und dann hatten Wut und Entsetzen jede positive Empfindung weggespült. Noch immer brodelte heißer Zorn durch meine Adern. Aber davon durfte Maila nichts mitkriegen.

Ich ignorierte Neo und konzentrierte mich einzig auf meine Tochter, die ungeduldig mein Lob erwartete. Mit einem zittrigen Lächeln zog ich sie an mich. »Ich bin so stolz auf dich, Flipper.«

Ihr nasses Haar befleckte mein Shirt genau über meinen Brüsten.

Na super.

Sie zog den Kopf zurück und grinste zu mir empor. »Jetzt ist Donny Owens dran.«

Einen besseren Grund, mein Büro sofort wieder zu verlassen, hätte Maila mir gar nicht liefern können, denn ich wollte sicher nicht, dass Neo hier gleich die große Daddy-Bombe platzen ließ. Aber Mailas Lippen waren blau, und sie zitterte nicht nur vor Aufregung, sondern weil sie ihren Körper bis an seine Grenzen getrieben hatte. Deshalb musste ich ihren Eifer notgedrungen bremsen. Zärtlich kämmte ich mit den Fingerspitzen durch ihr feuchtes Haar. »Feier erst mal deinen heutigen Sieg. Owens kannst du dir morgen vornehmen.«

Sie verzog schmollend die Lippen, doch da wir diese Diskussion bereits unzählige Male geführt hatten, versuchte sie gar nicht erst, mit mir zu verhandeln. »Na gut.«

Mit vorgetäuschter Ruhe drückte ich ihr einen Kuss auf die Stirn. »Geh dich umziehen, Schatz. Wir sehen uns gleich beim Abendessen.«

Sie nickte und wandte sich ab, blieb aber noch einmal bei der Statue in meinem Büro hängen. Sie legte den Kopf schief und musterte Neo genauer. Kurz setzte mein Herzschlag aus, weil ich fürchtete, dass sie ihn erkennen würde, doch ihre Miene blieb neutral. »Bist du der neue Schwimmcoach?«

Im Geiste beschwor ich Neo, jetzt nichts Falsches zu sagen. Sein Adamsapfel hüpfte, als er sehr schwer schluckte. Dann nickte er. »Ja.«

Ich biss verärgert die Zähne zusammen, obwohl das immer noch besser war als die Wahrheit. Ich musste ihn loswerden. So schnell wie möglich.

»Cool.« Maila grinste breit. »Ich freu mich schon darauf, mit dir zu trainieren.«

Neo nickte. »Ich mich auch.«

Seine Stimme zitterte, aber er schien sich etwas gefasst zu haben.

»Bis später«, flötete Maila und flitzte aus meinem Büro. Die Tür flog hinter ihr zu und hinterließ nichts als eine übermächtige, erdrückende Stille.

Es kostete mich einige Überwindung, Neo wieder anzusehen. Seine Lippen teilten sich, doch er brauchte mehrere Anläufe, um die Worte zu formen. »Ist sie von mir?«

Dieser Bastard!

Ungläubig starrte ich ihn an. Gleichzeitig brach sich eine ungeheure Wut in mir bahn und ein Schmerz, den ich jahrelang erfolgreich fest in einer Schublade verschlossen hatte, sprengte mein Herz. Es war nichts verglichen mit dem, was ich zuvor empfunden hatte. Diesmal erbebte mein ganzer Körper.

»Wie kannst du es wagen?«, stieß ich mit mühsam beherrschter Stimme hervor, während ich an die verzweifelten Anrufe und Nachrichten dachte, die ich ihm vor all den Jahren geschickt hatte – obwohl er mich bereits Wochen zuvor aus seinem Leben geschmissen hatte.

Anfangs hatte ich überhaupt nicht kapiert, dass ich ein Kind erwartete, und das Ausbleiben meiner Periode, meine Appetitlosigkeit und die Stimmungsschwankungen schlicht auf den Trennungsschmerz geschoben. Es war bereits Ende Oktober gewesen, als ich endlich auf die Idee kam, dass noch etwas anderes dahinterstecken könnte.

»Tut mir leid.« Aufgewühlt fuhr Neo über sein kurz geschorenes Haar. »Das war dämlich.«

»Allerdings«, erwiderte ich kühl. Immerhin wussten wir beide, wer mich damals entjungfert hatte. Auch in der Zeit nach dem Camp, während unserer Fernbeziehung, hatte ich nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er jeden meiner Gedanken beherrschte und wie wahnsinnig ich ihn vermisste.

Weil ich ihn geliebt hatte.

Ich wäre ihm niemals untreu gewesen.

Kraftlos ließ Neo den Kopf hängen. »Ich … ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll.«

Ich knirschte mit den Zähnen. »Du hattest zehn Jahre Zeit, es dir zu überlegen.«

Verständnislos schaute er mich an. Seine grauen Augen wurden dunkel, fast schwarz. »Wovon zur Hölle redest du?«

Er hatte echt Nerven, hier aufzutauchen und den Ahnungslosen zu spielen. »Hör auf, mich zu verarschen!«

»Das tue ich nicht«, knurrte er. »Ich hatte keine verdammte Ahnung, dass wir … dass es sie gibt.«

»Ach, wirklich?« Ich verzog die Lippen zu einem zynischen Grinsen, um meinen Schmerz zu verbergen. »Dann haben dich meine unzähligen Nachrichten und Mailbox-Monologe also nie erreicht?«

Er presste die Lippen aufeinander. »Ich hatte dich blockiert.«

»Und meine Briefe?«, hakte ich weiter nach, weil ich mir das natürlich längst gedacht hatte. »Ich habe dir Dutzende geschrieben.«

Langsam schüttelte er den Kopf. »Ich habe nie einen Brief erhalten.«

Er wirkte so überzeugend, dass sich tatsächlich kurz Zweifel in mir regten. Doch ich wischte sie grob beiseite. »Hör auf, mich für dumm zu verkaufen! Du wusstest, warum ich damals nach Salt Lake City gekommen bin.«

»Was? Nein!«, widersprach er und schüttelte mit weit aufgerissenen Augen erneut den Kopf. »Ich wusste nicht mal, dass du überhaupt da warst!«

»Tja, da hat mir deine Mom aber etwas anderes erzählt.« Mir wurde übel, wenn ich an das letzte Aufeinandertreffen mit Mrs. Barnes dachte. Es war nur ein paar Wochen vor Mailas Geburt gewesen, und ich hatte meine Selbstachtung ein letztes Mal beiseitegeschoben und versucht, Neo zu kontaktieren.

Wie eine erbärmliche Bittstellerin hatte ich mit kugelrundem Bauch auf der Türschwelle seines Elternhauses gestanden und seine Mutter angefleht, mir zu sagen, wo ich ihn fand. Daraufhin hatte sie mir versprochen, ihn zu mir in das Motel zu bringen, in dem ich voller Hoffnung auf ihn gewartet hatte.

Er war nicht gekommen. Dafür war seine Mom allein aufgetaucht und hatte mir tieftraurig und beschämt erklärt, dass Neo kein Interesse mehr an mir hatte und sich erst recht kein Kind anhängen lassen wollte. Ich würde diese Demütigung niemals vergessen – und auch nicht verzeihen.

Neos Miene war inzwischen eiskalt, seine Hände zu Fäusten geballt. »Meine Mutter hat nie ein Wort darüber verloren, dass ihr euch getroffen habt.«

Ein weiterer Stich fuhr mir direkt ins Herz. Neos Mom hatte sehr bedauert, dass ihr Sohn nichts mehr mit mir zu tun haben wollte und auch keinen Kontakt zwischen unseren Familien wünschte. Das hatte sie mir mehrfach versichert, und sie war absolut überzeugend gewesen. »Ich glaube dir nicht.«

Neo ignorierte das. »Wieso hast du nicht mit mir geredet?«

Das sollte wohl ein Witz sein! »Was denkst du, was ich monatelang versucht habe?«, fauchte ich. »Ich habe alles getan, um dich irgendwie zu erreichen. Aber du wolltest nichts mehr von mir wissen, erinnerst du dich?«

Er zuckte zusammen, blieb aber stur. »Das ist mir scheißegal! Du hättest es mir trotzdem persönlich sagen müssen.« Mit einem dumpfen Aufprall landete seine Faust auf seiner Brust. »Mir, Hazel. Und niemandem sonst!«

Dass er mir ernsthaft Vorwürfe machte, war mehr, als ich im Moment ertragen konnte. Tränen der Wut schossen mir in die Augen, obwohl ich ihm unter keinen Umständen zeigen wollte, wie sehr er mich noch immer verletzte. »Du hast entschieden, dich von mir zu trennen und jeden Kontakt abgebrochen, weil es so angeblich leichter für uns beide war. Dabei hat es dich in Wahrheit kein Stück interessiert, wie es mir damit ging. Du hast ausschließlich an dich selbst gedacht – und deine Mutter hat all das mehr als deutlich bestätigt. Ich hatte keinen Grund, ihre Worte anzuzweifeln.«

Er sog scharf Luft ein. »Was hat sie gesagt?«

Meine Wangen wurden heiß, und ich wich seinem Blick aus. Um keinen Preis der Welt würde ich diese hässlichen Worte jemals wiederholen. Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen. »Es spielt keine Rolle mehr, Neo. Fakt ist, du hattest damals andere Prioritäten, und eine Tochter hätte daran nichts geändert. Wir haben uns damit arrangiert. Maila ist glücklich. Also, bitte, tu uns den Gefallen und fahr einfach wieder nach Hause.«

Neo schwieg lange, während sein Blick unruhig durch mein Büro zuckte. Seine Aufmerksamkeit blieb bei den gerahmten Fotos im Wandregal haften, die verschiedene Momente aus unserem Leben zeigten: mich selbst mit siebzehn, wie ich mein süßes Baby in den Armen hielt; Maila mit zwei Jahren, während sie zusammen mit meinem Vater auf dem Bootssteg saß und angelte; Maila und Reed in der Bunny Farm, die er für sie gebaut hatte und in der mittlerweile sechs Zwergkaninchen hausten; und wieder Maila, beide Arme um meinen Hals geschlungen. Damals war sie sechs und ich gerade Anfang zwanzig gewesen, und es war eines meiner liebsten Bilder von uns beiden, weil wir einander darauf so ähnlich sahen. Unsere braunen Locken flossen ineinander, und wir strahlten um die Wette. Mailas Vorderzahn fehlte. Dennoch hatten unsere Lippen einen ähnlichen Schwung, und auch die Konturen unserer Wangenknochen waren gleich. Nur ihre Augen standen etwas schräger – und sie waren silbergrau.

Schweigend ging Neo nun auf ebenjenes Bild zu. Er betrachtete es gedankenversunken, und obwohl es mir im Grunde egal sein sollte, fragte ich mich, was er gerade fühlte. Seine Hand zuckte, als wollte er das Bild am liebsten ergreifen. Doch er hielt sich zurück und schaute mich wieder an. Seine Wut war verraucht, nun hob ein unendlich sanftes Lächeln seine Lippen. »Ich habe sie vorhin am See gesehen. Sie scheint ein tolles Mädchen zu sein.«

Ich nickte stumm, weil ich meiner Stimme nicht traute.

Erneut füllte angespanntes Schweigen den Raum. Dann machte er plötzlich einen Schritt auf mich zu. »Ich möchte sie kennenlernen.«

Sofort schnellte mein Puls durch die Decke. »Nein.«

Eine tiefe Falte erschien zwischen seinen Brauen. »Wieso nicht? Ich bin … ihr Vater.«

Die Worte kamen ihm schwer über die Lippen. So, als hätte er sich wirklich noch nie Gedanken um seine Tochter gemacht. Hatte seine Mutter damals doch gelogen?

Sie war so überzeugend gewesen, als sie voller Kummer meine schlimmsten Ängste bestätigt hatte. Andererseits hatte Neo vorhin ehrlich überrascht gewirkt, mich überhaupt in Silver Springs anzutreffen, und der Schock über die Erkenntnis, dass wir eine gemeinsame Tochter hatten, stand ihm immer noch ins Gesicht geschrieben. Hinzu kam, dass er vor ihrer Begegnung nicht einmal nach Maila gefragt hatte. Das war schon seltsam.

»Bitte gib mir eine Chance«, sagte er. »Ich möchte ein Teil ihres Lebens sein.«

Etwas in der Art hatte er schon mal behauptet, als wir beide jung gewesen waren. Er hatte von der großen Liebe gesprochen, die jedes Hindernis überwand, und von einer glücklichen Zukunft, die auf uns wartete – und dann hatte er mir nur ein paar Wochen später brutal das Herz gebrochen. Ich würde einen Teufel tun und zulassen, dass er meiner Tochter dasselbe antat. Ob er nun von ihr gewusst hatte oder nicht.

Entschlossen schüttelte ich den Kopf. »Glaub mir, sie hat genug männliche Bezugspersonen. Sie braucht dich nicht.«

Wir brauchen dich nicht!

Neos Augen wurden schmal. Zweifellos gefiel ihm meine Andeutung nicht, und mir wurde klar, dass ich seinen Wettbewerbshunger damit erst recht anspornte. Aber Maila war kein Pokal, den man gewinnen konnte.

Ich warf ihm ein schmales Lächeln zu. »Du wirst dir eine andere Herausforderung suchen müssen.«

Er zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen.

Ich war niemand, der zu Gewalt neigte. Aber hin und wieder hatte ich mir durchaus vorgestellt, wie ich ihm eine schallende Ohrfeige verpasste, weil er mich derart gnadenlos abserviert hatte. Ich hatte geglaubt, inzwischen hätte ich meinen Frieden damit gemacht. Aber nun, da er wieder in Fleisch und Blut vor mir stand und sich sein Blick in meinen bohrte, pulsierte der Schmerz so heiß durch meine Adern, als wäre kein Tag vergangen.

Ich hasste ihn für das, was er mir angetan hatte. Und ich hasste ihn für die Gefühle, die er noch immer in mir weckte, obwohl ich sie schon vor Jahren sorgsam in mir verschlossen hatte.

»Hazel«, sagte er in einem Ton, der sehnsüchtig, fast schon flehend klang. Ich wollte ihn gleich noch mehr hassen. Vor allem als ich den ehrlichen Kummer in seiner Miene sah. »Ich schwöre dir, ich habe nichts von alldem geahnt. Aber jetzt, wo ich von ihr weiß, kann ich unmöglich wieder gehen. Bitte verlang das nicht von mir. Ich tue alles, was du willst …«

Er hielt inne, auf der Suche nach den richtigen Worten. So unsicher und nervös hatte ich ihn nur zwei Mal erlebt. Einmal, kurz bevor er mir seine Liebe gestanden, und das andere Mal, als wir zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten.

Unwillkommene Bilder schossen mir durch den Kopf, die ich sofort verdrängte. Demonstrativ verschränkte ich die Arme. »Ich möchte, dass du Silver Springs verlässt und nie wieder herkommst.«

Die Worte hallten zwischen uns wider wie ein Peitschenschlag.

Früher wäre es für mich undenkbar gewesen, Neo eine Bitte abzuschlagen, weil ich so verdammt verliebt in ihn gewesen war. Ich hätte alles getan, um ihn glücklich zu machen. Aber inzwischen war ich über ihn hinweg und betrachtete die Welt nicht mehr durch eine rosarote Brille.

Meine Sturheit schien Neo nicht zu überraschen. Er musterte mich abwägend und verschränkte ebenfalls die Arme, woraufhin seine Muskeln stärker hervortraten. Ein Detail, das ich wirklich nicht bemerken wollte. Leider tat ich es trotzdem. Es kostete mich enorme Selbstbeherrschung, ihm weiter ins Gesicht und nicht auf dieses verdammte Tattoo zu starren, das sich über seinen rechten Arm zog. Die ineinander verschlungenen Linien sahen aus wie tiefschwarze Wellen, die sich auf seiner Haut brachen. Das Motiv hatte etwas Kämpferisches und Unbeugsames an sich. Es passte wirklich perfekt zu dem Jungen, den ich einst gekannt hatte.

»Na schön«, sagte er nach einer Weile. »Wenn du darauf bestehst, reise ich wieder ab.«

Ich wartete auf die Erleichterung, doch sie blieb aus. Vielleicht, weil ein Teil von mir bereits ahnte, dass er es mir nicht so leicht machen würde. Aufgeben lag einfach nicht in seiner Natur.

Prompt neigte Neo den Kopf. »Aber wie genau willst du unserer Tochter erklären, dass du ihr die Gelegenheit genommen hast, mehr Zeit mit ihrem Vater zu verbringen?«

Mein Herzschlag geriet ins Stocken. Trotzdem versuchte ich, mich nicht von seinem Strategiewechsel beeindrucken zu lassen. »Sie wird es nie erfahren.«

»Doch, das wird sie«, entgegnete er, und ein trügerisch freundliches Lächeln erschien auf seinen Lippen. Es war dieselbe Miene, mit der er früher seine Gegner abgeschätzt hatte. »Wie du vielleicht noch weißt, bin ich kein sonderlich geduldiger Mann, aber auf sie werde ich warten, und sobald sie alt genug ist, finde ich einen Weg, mit ihr zu sprechen. Ich werde ihr erklären, dass ich sie kennenlernen und in meinem Leben haben wollte, sobald ich von ihr erfuhr – und dass du, der Mensch, dem sie am meisten vertraut hat, genau das aus reinem Egoismus verhindert hast.« Kühle Belustigung blitzte in seinen Augen auf. »Weshalb du im Übrigen kein Stück besser bist als ich.«

Diesmal schaffte ich es nicht, mein Entsetzen zu verbergen. »Das wagst du nicht.«

»Lass es drauf ankommen«, erwiderte er und starrte mich mit einer solchen Kompromisslosigkeit nieder, dass sich mein Magen zusammenkrampfte.

»Ist das dein Ernst?« Meine Wangen wurden heiß vor Zorn. »Nach allem, was passiert ist, tauchst du hier auf und erpresst mich?«

»Ich will es nicht tun.« Er zuckte lapidar mit den Schultern, als würde er mir nicht gerade den Boden unter den Füßen wegreißen. »Die Wahl liegt bei dir.«

»Das ist eine beschissene Wahl!«

Neo blieb unbeeindruckt. »Ich bin wegen eines Jobs hergekommen, und ich will ihn durchziehen. Mehr verlange ich nicht.«

Es war schwer, inmitten all der extremen Gefühle, zwischen denen mich dieser Mann hin- und herschleuderte, einen rationalen Gedanken zu fassen. Aber wie durch ein Wunder gelang es mir, mein Temperament zu zügeln und die Sache nüchtern zu betrachten.