Simon Knox und die Prophezeiung Asragurs - Jens Hoffmann - E-Book

Simon Knox und die Prophezeiung Asragurs E-Book

Jens Hoffmann

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Beschreibung

Die Sommerferien haben begonnen und Simon freut sich riesig darauf, ein paar unbeschwerte Wochen, bei seiner Großtante Abygale, am Meer, zu verbringen. Ein magisch schimmerndes Plättchen, das unter seinem Fenster, in der Morgensonne blinkt, zieht Simon augenblicklich in seinen Bann. War das nur ein Traum, oder hat sich vergangene Nacht tatsächlich jemand an seinem Fenster zu schaffen gemacht? Zusammen mit seinem besten Freund Richie versucht er, hinter das Geheimnis, dieses mysteriösen Fundes, zu kommen. Noch ahnen beide nicht, dass sie den Schlüssel zu einem unglaublichen Abenteuer in den Händen halten. Mit der nächtlichen Ankunft des undurchschaubaren Drachen Grewels, in Tante Abys Garten, überschlagen sich die Ereignisse. Ungläubig lauschen die beiden Jungen der Geschichte von der Prophezeiung Asragurs und dem Vermächtnis des alten Drachenkönigs. Doch können Simon und Richie der unfassbaren Geschichte ihres schuppigen Gastes wirklich Glauben schenken? Neugierig folgen die beiden Freunde dem Drachen und begeben sich auf eine gefährliche Reise, in eine fremde Welt. Ein abenteuerlicher Wettlauf gegen die Zeit beginnt, und in einem Kampf auf Leben und Tod entscheidet sich die Zukunft eines magischen Reiches.

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Jens Hoffmann

Simon Knox und die Prophezeiung Asragurs

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kontakt

Über den Autor

Impressum neobooks

Kapitel 1

„Simon, raus aus den Federn, du Schlafmütze. Wir sind spät dran. In fünfzehn Minuten gibt’s Frühstück“.

Patricia Knox riss die Tür zum Zimmer ihres Sohnes auf; schnell waren die Vorhänge zur Seite gezogen und das Fenster geöffnet. Ein wunderschöner Sommertag kündigte sich an und ein laues Lüftchen wehte vom Hafen her zum Fenster herein, was Simon, von dem nur ein Büschel roter Haare unter der Bettdecke hervor lugte, nicht sonderlich beeindruckte, geschweige denn ihn zu irgendeiner Regung ermutigte.

Etwas entnervt fuhr Patricia sich durch die noch zerzausten, blonden Haare, zupfte ihren pinkfarbenen Morgenmantel zu recht und riss entschlossen an der Bettdecke ihres Sohnes, die daraufhin in hohem Bogen neben dem Bett landete.

„Vergiss nicht, dir die Zähne zu putzen und mach schnell. Gepackt hast du ja auch noch nicht“, bemerkte sie zähneknirschend, als sie die am Vorabend sorgsam gebügelten T-Shirts noch immer auf der Kommode liegen sah. Sie rauschte aus dem Zimmer und Simon hörte, wie die Treppe unter ihren eiligen Schritten, auf dem Weg nach unten, in die Küche, knarrte.

„Noch fünf Minuten“, dachte er sich und drehte sich noch einmal auf die andere Seite. Das Klappern von Geschirr, der Duft von frischem Toast, Eiern und Speck, ließ ihn schließlich munter werden. Er räkelte und streckte sich, bevor er langsam die Augen öffnete. Meeresluft stieg ihm durch die geöffneten Fenster in die Nase. Er lauschte dem geschäftigen Treiben vom Hafen sowie den vereinzelten Schreien der scheinbar nimmersatten Möwen, die sich jeden Tag aufs Neue, um die Fischabfälle stritten, die von den Fischern ins Hafenbecken geworfen wurden.

„Endlich Ferien“, freute er sich.

Simon hatte ohne nennenswerte Schwierigkeiten die fünfte Klasse hinter sich gebracht. Er war elf Jahre alt, hatte feuerrote, struppige Haare, Sommersprossen und freche braune Augen. Für sein Alter war er vielleicht etwas zu klein geraten. Und leider auch etwas zu pummelig, was ihm in der Schule die eine oder andere Hänselei einbrachte. Die Tatsache, dass er gerne vor sich hin träumte und nicht immer ganz bei der Sache war, trug nicht gerade dazu bei, dass er besonders viele Freunde um sich versammelte. Eigentlich hatte er nur einen guten Freund: Richard Dawson, kurz Richie genannt, der ebenso wie er ein wenig anders war als die anderen. Richard war auch elf Jahre alt, ging in dieselbe Klasse wie Simon und trug eine dicke Hornbrille. Darüber hinaus war Richie so ziemlich der Größte in der Klasse mit dunklem, ordentlich gescheiteltem Haar. Er war schlaksig und wirkte manchmal etwas unbeholfen, geradezu schusselig. Aber er war Simons bester Freund.

Während sich die meisten Mitschüler seiner Klasse nach der Schule zum Fußball, Kricket oder ähnlichem verabredeten, stromerten die beiden Freunde liebend gern durch den Hafen. Beide interessierten sich brennend für die Schiffe, die den Hafen von Portsmouth täglich anliefen. Sie fotografierten jeden Neuankömmling, klebten die Bilder in ein Album und spannen ihre eigenen Geschichten um die Herkunft und die abenteuerlichen Reisen der Jachten, Kutter und Containerschiffe.

Aber jetzt waren Ferien und Simon und Richie würden keine neuen Bilder in ihr Album kleben können, da Simon den Sommer über bei seiner Großtante Abygale verbringen sollte. Diese lebte, gute fünf Stunden von Portsmouth entfernt, in einem kleinen Dorf am Meer, in der Grafschaft Devon. Noch ahnte Simon nicht, dass er seinen Freund Richie schon sehr bald wieder sehen sollte und auf beide das Abenteuer ihres Lebens wartete.

„Simon, die Eier werden kalt“, ertönte, die jetzt schon leicht gereizt klingende Stimme seiner Mutter, aus der Küche. Scheinbar hatte sie sich an der Pfanne verbrannt, denn sie fing auf einmal laut an zu fluchen.

„Bist du wach?“, rief sie aus der Diele die Treppe hinauf.

„Wie kann man nur solange brauchen, um aus dem Bett zu kommen“, seufzte Patricia, ging zurück in die Küche und goss sich eine Tasse frischen Kaffee ein.

Ihr war nicht wirklich wohl bei dem Gedanken, Simon die ersten Wochen seiner Ferien zu Tante Abygale zu schicken. Aber seit sie sich von Eduard Knox, Simons Vater, vor zwei Jahren getrennt hatte, war eben nichts mehr wie es vorher einmal war. Sie waren nach Portsmouth gezogen und Patricia hatte im letzten Jahr wieder angefangen, als Lektorin, in einem Londoner Verlag, zu arbeiten.

Grundsätzlich hatte sie recht viel Zeit für sich und ihren Sohn, da sie einen Großteil ihrer Arbeit von zu Hause aus erledigen konnte. Aber diesen Sommer standen wichtige Seminare und Buchbesprechungen in ihrem Terminkalender, die sie nicht so ohne weiteres aufschieben konnte. Tante Abygale hatte ihr ohne zu zögern angeboten, dass Simon einen Teil seiner Ferien ja auch bei ihr verbringen könne. Sie mochte den Jungen sehr, zumal sie nie eigene Kinder hatte.

Patricia sah aus dem Küchenfenster in den Vorgarten ihres kleinen aber gemütlichen Hauses. Simon würde einen schönen Sommer am Meer verbringen können. Er liebte das Wasser, den Strand und natürlich auch den Hafen mit seinen kleinen, bunten Häusern und den Fischerbooten. Sie atmete einmal tief ein, verscheuchte ihr schlechtes Gewissen und machte sich daran, Sandwiches für Simons Zugfahrt zu richten.

Simon reckte und streckte sich, setzte sich auf, wuschelte sich durch die roten Haare und rieb sich verschlafen die Augen. Er gähnte und schaute sich in seinem Zimmer um. Er hatte überhaupt gar keine Lust sich Gedanken darüber zu machen, was er nun einpacken sollte und was nicht. Ein paar T-Shirts, Shorts, seine Lieblingsjeans und eine Jacke. Das sollte wohl reichen, dachte er. Hätte er noch aufräumen sollen, fragte er sich, krabbelte aus seinem Bett und sah sich unschlüssig in seinem Zimmer um. Nun ja, wirklich ordentlich war es hier tatsächlich nicht. Eigentlich lagen überall Sachen herum: verschiedene Einzelteile zu noch nicht ganz vollendeten Schiffsmodellen, Comics unter und neben dem Bett, zahlreiche Fotografien von Schiffen, die er und Richie noch nicht in ihr Album geklebt hatten, und so weiter. Auch sein Schreibtisch, der unter dem großen Dachfenster stand, hätte durchaus eine ordnende Hand gebraucht. Aber darum konnte er sich auch nach seinen Ferien noch kümmern, entschied er, krabbelte auf den Schreibtisch und sah aus dem Fenster in Richtung Hafen.

Irgendetwas an diesem Montagmorgen war anders als gewöhnlich. Sicher, es war der erste Tag der Sommerferien. Aber das war es nicht. Hatte er heute Nacht nicht ein Gesicht an seinem Fenster gesehen? Oder hatte er einfach nur geträumt? Er konnte sich nicht erinnern. Er ließ den Blick vom Hafen zurück über das Dach schweifen. Etwas blitzte in der Morgensonne und zog Simons Aufmerksamkeit auf sich. Unterhalb seines Fensters war ein kleines, rundes Ding zwischen den Dachschindeln eingeklemmt.

Vielleicht eine Münze? Nein, eine Münze konnte das wahrlich nicht sein. Er ließ ja gerne mal seine Murmeln das Dach hinunter in die Dachrinne kullern, um sie später unten im Garten, aus der Regentonne zu fischen. Aber eine Münze? Ausgeschlossen! So viel Taschengeld hatte er nun auch wieder nicht, um es in verschwenderischer Weise aus dem Fenster schleudern zu können.

Er wurde neugierig, reckte sich gefährlich weit über den Fenstersims und griff nach dem funkelnden Ding. Aber vergeblich. Er rutschte noch ein Stückchen vor. Sein Arm wurde immer länger und nach einigen Anstrengungen hielt er ein sonderbar funkelndes Plättchen in seinen Händen. Es war ein wenig elastisch, aber dennoch fest. Ähnlich wie Perlmutt, das sich im Inneren einer Muschel bildet, schimmerte es in seiner Hand.

Die Schuppe eines großen Fisches vielleicht? Aber wie sollte diese auf das Dach kommen? Er konnte sich keinen Reim darauf machen und kroch, noch immer in Gedanken vertieft, zurück in sein Zimmer.

„Simon, ich hoffe du bist endlich aufgestanden. Dein Kakao war einmal warm“, vernahm er die jetzt nicht mehr ganz so verständnisvolle Stimme seiner Mutter, die ihn aus seinen Gedanken riss.

„Ja, Mum, ich bin in fünf Minuten unten!“, rief Simon hinunter und trottete den Flur entlang ins Bad. Kurz etwas kaltes Wasser ins Gesicht, Zähne geputzt und die Haare einmal schnell durchgekämmt. „Das muss für heute reichen“, dachte sich Simon, schlüpfte schnell in Jeans und T-Shirt, stopfte wahllos die nötigsten Sachen in seine Reisetasche und rannte die Treppe hinunter, in die Küche, wo seine Mutter hinter ihrer Zeitung saß und so tat, als sei sie die Ruhe selbst.

Über eine Ecke ihrer Zeitung hinweg, sah sie Simon mit hochgezogener Augenbraue an.

„Guten Morgen, mein Schatz. Ich hoffe, du hast gut geschlafen?“ Irgendwie hatte sie es tatsächlich noch geschafft, sich ihre Haare auf diese großen hellblauen Lockenwickler, zu drehen.

„Hmm“, murmelte Simon. „Ist noch Orangensaft da?“

„Setz dich und iss deine Eier, Liebes. Ich bring dir ein Glas“, erwiderte Patricia, legte ihre Zeitung beiseite, ging zum Kühlschrank und kam mit einem Glas Saft wieder an den Tisch zurück.

Lustlos stocherte Simon in seinem Omelett herum.

Sie sah in prüfend an. „Sag mal, Sohnemann, bist du heute Nacht vielleicht wieder auf dem Dach herumspaziert? Ich hab dir, glaube ich, schon mehrmals gesagt, dass ich nicht möchte, dass du deine Murmeln in der Dachrinne versenkst. Irgendwann purzelst du noch selbst hinterher und ich kann dann die Feuerwehr, einen Krankenwagen und weiß Gott wen anrufen. Das muss doch wirklich nicht sein, oder?“

Sie stellte ihm das Glas Orangensaft auf den Tisch, ohne jedoch ihren prüfenden Blick von ihm zu wenden. Sie schien, am frühen Morgen, doch tatsächlich so etwas wie eine Antwort von ihm zu erwarten.

„Nein, das war ich nicht“, murrte Simon. „Meine Murmeln hab ich bereits alle in der Regentonne versenkt. Ich will sie noch herausfischen, bevor wir fahren“, entgegnete er abwesend. Mit seinen Gedanken war Simon immer noch bei diesem seltsamen Plättchen, das er zuvor zwischen den Dachschindeln gefunden hatte.

War vergangene Nacht wirklich jemand an seinem Fenster gewesen? Und was war das für ein seltsames Kratzen an der Scheibe? Seine Mutter schien doch auch etwas bemerkt zu haben. Besser, er behielt seine Gedanken vorerst für sich, bevor er sich blamierte. Vielleicht sollte er Richie von seiner Entdeckung berichten, schließlich hatten sie vereinbart, einander zu schreiben.

Patricia zögerte und schien noch auf eine ausführlichere Antwort ihres Sohn zu warten; gab es dann aber auf. „Na, dann werden es wohl ein paar Katzen gewesen sein“, seufzte sie, setzte sich wieder, überprüfte den Sitz ihrer Lockenwickler und widmete sich abermals ihrer Zeitung.

Nachdem sie gefrühstückt hatten, der Abwasch erledigt und Simons Lunchpaket für die Reise gerichtet war, schlenderte dieser zur Regentonne. Kopfüber hing er nun, mit strampelnden Beinen, über der verbeulten Tonne, die verdeckt von einem verwilderten Ligusterbusch hinter dem Haus stand.

Mühsam fischte er die bunten Glaskugeln aus dem trüben Wasser und ließ sie in einem kleinen braunen Lederbeutel verschwinden. Viel Regenwasser hatte sich glücklicherweise nicht in der Tonne gesammelt, so dass er einigermaßen trocken wieder aus ihr hervorkroch.

Er sah an sich herunter: „Gott sei Dank, alles noch sauber“, seufzte Simon erleichtert. Seine Mutter hätte nämlich keineswegs gezögert, ihn sich noch einmal umziehen zu lassen. Und dazu hatte er nun überhaupt keine Lust.

„Ich muss Richie anrufen!“ schoss es ihm durch den Kopf. „Ich muss ihm von meiner Entdeckung berichten!“

Simon sprang die Treppe zum Haus hoch, zwei Stufen auf einmal nehmend. Als er in der Diele stand, lauschte er kurz. Seine Mutter schien sich oben im Bad ihren Lockenwicklern zu widmen. Er ging zu dem kleinen, runden Holztischchen neben der Treppe, auf dem das Telefon stand und wählte die Nummer der Familie Dawson. Nach dem dritten Klingeln wurde abgenommen und er hörte die etwas schrille aber freundliche Stimme von Emma Dawson, Richies Mutter.

„Ja, bitte“, meldete sie sich.

„Guten Morgen, Mrs. Dawson. Hier ist Simon. Darf ich bitte mit Richie sprechen?“

„Simon, Junge, das ist aber schön, dass du dich noch einmal meldest“, begrüßte sie ihn fröhlich. „Ich dachte du wärst schon auf dem Weg zu deiner Tante. Oder fährst du erst morgen? Hast du schon gepackt, wie geht es Patricia?“ Die Fragen schossen nur so aus ihr heraus.

Etwas überrumpelt antwortete Simon: „Ähm, ja, heute. Ich fahre heute. Ich wollte vorher unbedingt noch mit Richie sprechen!“

„Richard, Richard!“, rief Emma Dawson nun durch das ganze Haus. „Einen kleinen Moment bitte noch, Simon. Er ist gleich da. Riiichaard! Simon ist am Telefon. Beeil dich, er hat nicht viel Zeit!“, rief sie jetzt so laut, dass wohl auch die Nachbarn mitbekommen haben dürften, das er am Telefon war.

Simon hörte wie Richie die Treppe hinunter gestürmt kam und Emma Dawson, die flüsternd sagte: „… dann kannst du ihm die gute Nachricht ja gleich selbst übermitteln.“

„Ja, Mum, danke“, schnaufte Richie völlig außer Atem und riss seiner Mutter auch schon den Hörer aus der Hand, noch bevor diese Simon sagen konnte, er möchte seiner Mutter bitte die allerbesten Grüße ausrichten.

„Hallo Simon“, keuchte Richie in den Hörer.

„Ich muss dir etwas erzählen“, beeilten sich beide gleichzeitig ihre Neuigkeiten loszuwerden.

„Ok, du zuerst“, sagte Simon.

„Was hat deine Mutter mit guten Nachrichten gemeint?“, hakte er neugierig nach.

„Du wirst es kaum glauben“, fing Richie bedeutungsvoll an.

„Mein Vater wird in den Ferien auf eine Forschungsreise gehen und ich darf ihn begleiten“, teilte Richie seinem Freund aufgeregt mit. Simon stöhnte innerlich laut auf und fragte sich, was an dieser Neuigkeit denn gut sein sollte.

Richies Vater, Professor Gerald Dawson, war Biologe und als Leiter der Forschungsabteilung für einen Pharmakonzern tätig. Es überraschte Simon nicht wirklich, dass Professor Dawson sich wieder einmal auf die Reise machte, um in den entlegensten Winkeln dieser Welt nach noch unbekannten Pflanzen zu suchen. Was Simon allerdings wunderte war, dass Richie seinen Vater dieses Mal auf eine solche, nicht ganz ungefährliche Expedition begleiten durfte.

„Wir fahren ins Exmoor, wo er die Vorkommen bestimmter Flechten und Moose mit denen im Dartmoor vergleichen will“, riss Richie Simon aus seinen Gedanken.

„Jedenfalls versucht er nachzuweisen, dass die „Opegrapha fumosa“, eine überaus seltene Flechtenart, nicht ausschließlich endemisch im Exmoor beheimatet ist“, schloss Richie stolz seinen kurzen Exkurs in die heimische Flora.

„Ihr fahrt ins Exmoor?“, fragte Simon ungläubig nach, bei dem der Groschen langsam zu fallen begann.

„Ja, ist das nicht super?“, jubelte Richie, sprang in die Luft und wäre vor Freude fast über Daphne, die dicke Katze der Dawsons, gefallen, die schnurrend um seine Beine strich.

„Wir werden in einer kleinen Pension in Ilfracombe wohnen“, fuhr er fort. „Verstehst du? Das heißt, wir könnten die Ferien miteinander verbringen und eine Menge Spaß haben, Simon. Wir fahren Mittwoch in aller Frühe los“, erzählte Richie, ganz aus dem Häuschen.

„Oh Mann, Richie, das ist ja Klasse!“, rief Simon begeistert.

„Du wolltest mir doch auch noch etwas erzählen“, erinnerte Richie ihn.

„Simon, bist du fertig? Wir fahren in fünf Minuten los, sonst verpasst du noch deinen Zug“, kam die zur Eile mahnende Stimme seiner Mutter aus dem Bad.

„Ja ok, Mum, ich beeile mich!“, rief Simon nach oben.

„Richie, ich muss noch ein paar Sachen zusammensuchen. Ich erkläre dir alles am Mittwoch. Wir treffen uns um 15:00 Uhr, vor Mr. Twiggles Eissalon, in Ilfracombe.

„Super, ist gebongt“, erwiderte Richie. „Ich kann sogar mein Fahrrad mitnehmen, hat Dad gesagt. Wir nehmen den Lieferwagen aus seinem Labor“, erklärte Richard, froh darüber, sich in Ilfracombe nicht irgendeinen rostigen Drahtesel ausleihen zu müssen.

Sie beendeten das Gespräch und Simon rannte hastig die Treppe hinauf. Es konnte nicht schaden, das Album und die Schiffsbilder mitzunehmen, entschied er und freute sich riesig darauf, mit seinem besten Freund die Ferien verbringen zu können. Nachdenklich glitt sein Blick über den Schreibtisch. Das runde, helle Etwas lag noch immer dort und schimmerte in der Morgensonne. Er betrachtete es abermals eingehend und strich mit den Fingern über die glatte Oberfläche. Obwohl er fieberhaft über die Herkunft dieses merkwürdigen Plättchens nachdachte, wollte ihm eine einleuchtende Erklärung für dessen plötzliches Erscheinen auf dem Dach nicht einfallen.

„Was bist du?“, fragte er nachdenklich. Aber noch gab das kleine schuppenähnliche Ding sein Geheimnis nicht preis.

Simon seufzte. Zusammen mit Richie würde er bestimmt noch dahinter kommen. Also verstaute er das magisch schimmernde Plättchen nebst Fotoalbum und Fotos in einem Seitenfach seiner Reisetasche, schnappte diese und rutschte das Treppengeländer hinunter, in die Diele.

Kapitel 2

Patricia Knox sah dem Zug noch lange hinterher, in den Simon vor ein paar Minuten eingestiegen war. „Was für ein Morgen“, dachte sie und seufzte abgehetzt. Natürlich waren sie wieder einmal viel zu spät dran gewesen. Dennoch hatten sie es, nach dem Überfahren mehrerer roter Ampeln geschafft, dem allmorgendlichen Berufsverkehr ein Schnippchen zu schlagen.

Pünktlich, um 10:23 Uhr, erreichten sie den Bahnhof von Portsmouth Harbour. Und nur wenige Augenblicke später, setzte sich, auf Gleis eins, der Zug, in Richtung Westbury, in Bewegung.

Patricias schlechtes Gewissen, Simon einen Großteil seiner Ferien allein bei Tante Abygale verbringen zu lassen, verflog, nachdem sie erfahren hatte, dass Richard Dawson mit seinem Vater ebenfalls den Sommer in Devon verbringen würde.

***

Abygale Greenwood lebte in einem sehr alten, aber schönen Haus in dem kleinen Fischerörtchen Fiddleton, das sich nur ein paar Meilen östlich der Kleinstadt Ilfracombe, zwischen Strand, hohen Klippen und den Ausläufern des Exmoors in die Landschaft schmiegte. Greenwood Castle, wie sie ihr Zuhause zu nennen pflegte, war ein aus Natursteinen erbautes, altes Gemäuer, mit kleinen Giebeln, einem schiefen Türmchen an der Ostseite und weißen Sprossenfenstern und Türen. Eine wuchtige, hüfthohe und mit Heidekraut bewachsene Mauer, aus groben Felsbrocken, rahmte einen verwilderten Garten ein, der nur durch ein kleines, rotes Tor zu betreten war.

Tante Abygale war eine begeisterte Hobbygärtnerin, auch wenn sich diese Leidenschaft, bei näherer Betrachtung des restlichen Anwesens, scheinbar nur auf die von ihr heißgeliebten Rosen- und Lavendelbeete beschränkte, die eine große Terrasse, an der Südwestseite des Hauses, säumten.

Inmitten eines mit bunten Sommerblumen und hohen Gräsern bewachsenen Gartens, stand eine mehrere hundert Jahre alte, knorrige Eiche, die dem kleinen Anwesen eine verwunschene und mystische Atmosphäre verlieh.

Niemand kannte das genaue Alter von Abygale Greenwood, dieser mitunter etwas schrulligen aber freundlichen und gütigen Dame, da sie auf diese recht unhöfliche Frage, stets das gleiche zu antworten pflegte: „Ach, als wäre das Alter wirklich von Bedeutung. Irgendwo zwischen einhundert und einhundertzwanzig Jahren. Ich fühle mich aber wesentlich jünger“, versicherte sie meist mit einem schelmisch wissenden Augenzwinkern.

Tante Abygale war hellauf begeistert, als sie gegen Mittag der Anruf ihrer Nichte Patricia erreichte, die ihr die Ankunftszeit von Simon in Barnstaple durchgeben wollte.

„15:35 Uhr am Bahnhof. Ach da freu ich mich aber. Ich habe den Jungen ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen“, beschwerte sie sich etwas halbherzig.

„Vielen Dank, Tante Abygale. Du hast wirklich etwas gut bei mir“, bedankte sich Patricia Knox und kurz beschlich sie erneut das schlechte Gewissen vom Morgen.

„Trish, liebes Kind, es ist doch alles in bester Ordnung. Ich freue mich wahnsinnig auf den Jungen“, bekräftigte Abygale Greenwood, rückte ihre Brille zurecht und machte sich nebenbei Notizen auf ihrer wöchentlichen Einkaufsliste.

„Er wird sich hier schon zu beschäftigen wissen, glaub mir“, versicherte sie ihrer Nichte. „Und wenn er dazu noch seinen Freund Richard mitbringt, umso besser, dann kommt hier mal wieder ein bisschen Leben in die Bude“, versicherte sie.

„Den halben Sommer mit so einer alten Schachtel wie mir verbringen zu müssen, das ist doch nun wirklich kein Spaß für einen Jungen in seinem Alter“, fuhr sie fort und schmunzelte in sich hinein.

Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, ging sie daran, das Zimmer für Simon zu richten und bereitete den Teig für die von ihm so heißgeliebten Blaubeertörtchen vor.

Indes saß Simon im Zug und während er vor sich hin träumte und aus dem Fenster schaute, versuchte er abermals, das Rätsel um das merkwürdige Etwas zu lösen, das ihm am Morgen, unter seinem Zimmerfenster, so unerwartet entgegen blinkte.

Er musste in Westbury und Exeter umsteigen und hatte auf der letzten Etappe seiner Reise einen schönen Fensterplatz mit einem Tisch, auf dem er ein paar Comics und sein Fotoalbum mit den Schiffsbildern ausgebreitet hatte. Aber wirklich konzentrieren mochte er sich darauf nicht. Ihm gegenüber saß ein dicker Mann mit rotem Gesicht und Schnurrbart, der, die Hände auf dem runden Bauch verschränkt und mit von der Nase gerutschter Brille, leise vor sich hin schnarchte.

Simon musste leise kichern und fütterte den kleinen, struppigen Hund, der zur Rechten seines schlummernden Herrchens saß. Die Reste seines Schinkensandwiches, nahm ihm der Hund vorsichtig aus der Hand, um sie dann genüsslich schmatzend zu vertilgen.

Tante Abygale war pünktlich um 15:35 Uhr am Bahnhof von Barnstaple, wo der Zug von Simon, auf Gleis zwei, ohne Verspätung, einfuhr.

Simon sah, wie sie am Ende des Gleises stehend, auf ihn wartete. Er freute sich riesig darüber, sie wieder zu sehen. Wie immer war sie akkurat gekleidet; mit weißer Bluse, deren Kragen durch eine alte Elfenbeinbrosche zusammengehalten wurde, einem beigefarbenen Tweedrock und festem, aber nicht plump anmutendem Schuhwerk. Sie wirkte ein wenig abgehetzt, denn ihr sonst so fest auf dem Kopf sitzender Haarknoten begann sich aufzulösen. Auf der Nasenspitze trug sie, wie so oft, eine kleine Brille, die ihr an einer Kette um den Hals hing, damit sie diese nicht verlor.

Mit offenen Armen kam sie Simon entgegen.

„Junge, schön, dass du endlich da bist“, rief sie und drückte ihn fest an sich. Sie roch frisch, nach Rosen und Lavendel, ganz so wie ihr Garten im Sommer.

„Hattest du eine gute Reise?“, wollte sie wissen.

„Hallo Tante Abygale“, erwiderte Simon freudig und ließ sich von ihr durch die zerzausten, roten Haare wuscheln.

„Ja, es hat alles gut geklappt. Wir waren mal wieder zu spät dran, heute Morgen, aber Mum hat richtig Gas gegeben, damit wir es noch rechtzeitig schaffen“, lachte er ihr entgegen.

„Ich hab schon mit ihr telefoniert und von der wilden Jagd zum Bahnhof gehört“, berichtete Tante Abygale halb lachend, halb kopfschüttelnd.

Sie selbst fuhr ein ziemlich altes Auto. Nicht so schnittig und sportlich wie das ihrer Nichte, sondern offensichtlich fast genauso alt wie sie selbst. So dachte Simon jedenfalls immer dann, wenn er das grau-rostige Gefährt sah. Aber Abygale Greenwood dachte nicht im Traum daran, sich in ihrem Alter noch ein neues Auto anzuschaffen. So fuhren sie also nicht ganz so rasant wie auf der Fahrt am Morgen, von Barnstaple ein paar Meilen nordöstlich nach Fiddleton, wo in Greenwood Castle Simons Sommerferien endlich begannen.

Nach ihrer Ankunft im Haus von Tante Abygale tranken sie Tee, und Simon verputzte ein halbes Dutzend der köstlichsten Blaubeertörtchen, die er je in seinem Leben gegessen hatte. Er zeigte ihr die neuesten Schiffsbilder in seinem Album und sie spielten ein paar Runden Scrabble, bis es Zeit war, zu Abend zu essen.

Nachdem Simon zwei große Portionen Hackbraten verschlungen hatte, saßen sie bis zum Einsetzen der Dunkelheit auf der Terrasse, wo Abygale Greenwood ihrem Großneffen eine ihrer fantastischen Geschichten erzählen musste.

Als belesene und gebildete Frau, hatte sie mit Simons Großonkel, Harold Greenwood, fast die ganze Welt bereist und konnte daher immer wieder neue und vor allem abenteuerliche Geschichten aus nahezu allen Erdteilen zum Besten geben.

Simon hörte fasziniert zu als sie ihm von ihrer Safari in Südafrika erzählte, wo sie mit ihrem Mann und einem Trupp von Großwildjägern auf der Spur von Menschen fressenden Löwen war. Angeblich sei der eine oder andere Teilnehmer dieser Expedition von dem unstillbaren Hunger der Löwen nicht verschont geblieben, schloss sie die heutige Erzählung mit schauerlichem Unterton in ihrer Stimme. Wie viel Handlung seine Großtante ihren ohnehin schon aufregenden Abenteuern hinzudichtete, war Simon ziemlich egal. Er war noch nie jemandem begegnet, der so viele schöne, spannende und fesselnde Geschichten erzählen konnte wie sie. Ihre Südafrika Geschichte brachte Abygale Greenwood dann auf die fantastische Idee, dass Simon und Richie doch in ihrem Zelt campen könnten, in dem sie auf dieser Expedition wochenlang im Busch gelebt hatte. Simon war begeistert. Diese Ferien konnten einfach nur schön werden.

Schon am nächsten Tag machten sich die beiden auf die Suche nach dem Zelt, das in eine Plane gewickelt, irgendwo auf dem Dachboden von Greenwood Castle, zwischen all den vielen Andenken längst vergangener, abenteuerlicher Reisen versteckt war. Simon konnte nur staunen, was seine Großtante über all die Jahre alles zusammengetragen hatte. In der einen Ecke standen imposante Holzfiguren und furchterregende Masken aus Afrika neben kunstvoll geschnitztem Elfenbein. Ein handgearbeitetes Schachspiel aus grüner und weißer Jade, das sie von einer ihrer Reisen nach China mitgebracht hatte, stand auf einem kleinen, mit Gold verzierten, aber ziemlich verstaubten Tischchen, zwischen unzähligen asiatischen Laternen.

Des Weiteren gab es zahllose Schwerter, kunstvoll gearbeitete Dolche und antike Pistolen, die sein Großonkel, nebst einem jetzt mottenzerfressenen Tigerfell, aus Indien und Pakistan mitgebracht hatte.

In einer kleinen, mit eisernen Beschlägen versehenen Truhe, fand Simon vergilbte Land- und Seekarten sowie einen kleinen aufklappbaren Kompass aus angelaufenem Messing, den er zusammen mit einem Fernglas an sich nahm.

„Man weiß ja nie, wozu man diese Dinge noch gebrauchen könnte“, überlegte er.

Nachdem sie das Zelt gefunden und in den Garten geschafft hatten, wo es auslüften sollte, machte Simon sich daran, das rostige Fahrrad, das im Schuppen hinter dem Haus stand, wieder fahrtüchtig zu machen. Viel war an dem alten Rad nicht zu tun. Er flickte den Vorderreifen, gab ordentlich Luft in beide Räder, befreite den Rahmen von Schmutz und Staub und stellte sich den Sattel neu ein. Schließlich plante er mit Richie die eine oder andere Tour durchs Exmoor zu machen.

Einen Teil des Nachmittags verbrachte er mit Tante Abygale in den Rosenbeeten und half ihr beim Unkrautjäten. Die Zeit, in der sie das Abendessen zubereitete, nutzte er, um sich am Strand nach Muscheln und Steinen umzuschauen, die er für sein Leben gern sammelte. Auch wenn er die meisten Steine wieder zurück ins Wasser warf und die Auswahl an Muscheln, die er letztlich mit nach Hause nahm, relativ spärlich ausfiel.

***

„Endlich Mittwoch“, freute sich Simon am nächsten Tag. Richie und sein Vater waren bestimmt schon auf dem Weg nach Ilfracombe, dachte er aufgeregt. Endlich konnte er seinem Freund von dem rätselhaften Fund erzählen, den er vor zwei Tagen gemacht hatte. Vielleicht hatte Richie eine Erklärung für das schuppenähnliche Ding, das ihn, bei jeder weiteren Betrachtung, immer tiefer in seinen Bann zog. Es wirkte heute aber nicht mehr ganz so strahlend und hell wie noch vor zwei Tagen. Er hatte das Gefühl es veränderte sich.

Schnell packte er den Kompass, das Fernglas, etwas Geld und sein mysteriöses Fundstück in seinen Rucksack und stürmte die Treppe hinunter, in die Küche, zu Tante Abygale.

Sie war gerade dabei, Simon ein paar Sandwiches für seinen Ausflug zu machen, als dieser, gut gelaunt, hereingestürmt kam.

„Soll ich dich nicht doch lieber fahren, Junge?“, fragte sie etwas besorgt. „Ich fahre später sowieso noch nach Ilfracombe rein und könnte dich bei Mr. Twiggles Eissalon absetzen.“

„Nein, nein, Tante Aby“, lehnte Simon dankend ab. „Richie wird sein Fahrrad auch dabei haben. Wir wollen vielleicht noch ins Exmoor fahren“, fügte er freudig hinzu.

„Gut, wie du meinst“, seufzte sie. „Aber, dass ihr mir ja vorsichtig seid und nicht zu nah an die Klippen heranfahrt. Es geschehen jedes Jahr aufs Neue schreckliche Unfälle, weil die Menschen, die hier ihre Ferien verbringen, einfach zu unachtsam sind“, ermahnte sie ihn, wickelte die Sandwiches ein und drückte ihm noch einen Apfel in die Hand.

„Also los, schwirr ab! Und vergiss nicht, um sieben Uhr essen wir und du wolltest mit Richard noch das Zelt aufbauen. Sonst wird das heute nämlich nichts mehr mit eurem Safaricamp. Und solltest du Professor Dawson noch sehen, dann bestell ihm bitte schöne Grüße von mir. Richard ist herzlich willkommen. Es macht auch keine Umstände. Ich begreife bis heute nicht, wie man annehmen kann, dass ein Junge von elf Jahren Spaß daran findet, mit seinem Vater, auf allen vieren, durchs Moor zu kriechen, nur um irgendeinen Pilz zu finden“, sinnierte sie vor sich hin.

„Flechte!“, verbesserte Simon sie.

„Was?“, fragte Tante Aby verdutzt nach.

„Er sucht nach einer bestimmten Flechten- oder Moosart, hat Richie mir erzählt.

„Wie dem auch sei“, winkte Abygale ab. „Ob Pilz, oder Moos, oder was auch immer, alles Mumpitz! Kinder sollten ihre Ferien genießen können. Der Ernst des Lebens kommt schon noch früh genug“, beendete sie ihren kleinen Vortrag und verabschiedete Simon, der sich im Nu den Rucksack auf den Rücken schnallte, sich auf sein Fahrrad schwang und davon sauste.

Sie sah ihm lächelnd hinterher und entschied sich, da sie bis zum Tee noch etwas Zeit hatte, ein Mittagschläfchen im Schatten der alten Eiche zu halten.

Simon trat in die Pedale, was das Zeug hielt. Er wollte auf gar keinen Fall zu spät kommen und raste, in halsbrecherischem Tempo, die Küstenstraße entlang. Er ließ das Pier Hotel am Hafen hinter sich und bog links in die Quayfield Road ab. Geradewegs schoss er auf die nächste Kreuzung zu, überquerte die Victoria Street, um dann scharf rechts, in die Highfield Road zu fahren.

Etwas aus der Puste aber pünktlich erreichte er Mr. Twiggles Eissalon, der in der Highfield Road, Ecke Castle Hill lag.

Richard saß bereits auf den Stufen vor Mr. Twiggles Eis- und Süßwarengeschäft. Er hatte sein Fahrrad gegen die Mauer des kleinen roten Klinkerhäuschens, mit dem großen Schaufenster gelehnt. Seinen Rucksack auf den Knien, sah er Simon schon von weitem um die Ecke schießen, während ihm der Duft von frisch gebackenen Schokoladenkeksen, den verschiedensten Eissorten und allerlei anderer Leckereinen verführerisch in die Nase stieg.

Mit einer scharfen Bremsung kam Simon direkt vor Richies Füßen zum Stehen.

„Hallo Richie. Puh, was für eine Fahrt!“, schnaufte er. „Wo sind denn deine Sachen, oder hast du nur den Rucksack?“, wollte er atemlos wissen.

„Nein, nein“, antwortete Richie und erhob sich von den Stufen, um Simons Fahrrad neben das seine zu stellen.

„Die sind wohl schon auf dem Weg zu deiner Tante“, freute sich Richie. „Sie hat meinen Vater zum Tee eingeladen und ihn darum gebeten, meine Sachen gleich mitzubringen. Schließlich sollten Kinder ihre Ferien genießen und nicht auf allen vieren im Moor herumzukriechen. Das sei wohl nicht das Richtige für einen Jungen in meinem Alter…“, schloss Richie immer noch fröhlich grinsend.

„Hi, Hi, dein armer Vater“, kicherte Simon. „Ich kann mir schon vorstellen, wie sich dieser Vortrag angehört hat. Mir hat sie heute nämlich genau das gleiche erzählt. Und glaub mir, Abygale Greenwood kann sehr überzeugend sein. Da hat selbst ein Professor Dawson keine Chance, etwas Gegenteiliges zu behaupten“, lachte Simon und konnte sich den armen Professor fast bildlich vorstellen, wie er einen Vortrag zur korrekten Kindererziehung über sich ergehen lassen musste.

„Wusste ich es doch, dass Tante Aby etwas im Schilde führt“, sagte er zu Richie und freute sich auf ein paar unbeschwerte Tage mit seinem Kumpel.

„Ja, Gott sei Dank! Ich habe mich tatsächlich schon, tagein tagaus, durch die Büsche des Exmoors kriechen sehen. Deine Tante ist echte Klasse“, lachte Richie und sie betraten den Eissalon von Mr. Twiggles.

Mr. Twiggles Eissalon war das ultimative Süßwarenparadies für alle Schleckermäuler der Stadt, der näheren Umgebung und natürlich auch für jene, die hier nur ihre Ferien verbrachten. Simon liebte diesen Laden. Wann immer er bei Tante Abygale zu Besuch war, musste er diesem Schlaraffenland mindestens einen Besuch abstatten. Richard, der zum ersten Mal das süße, klebrige Vergnügen hatte, betrat nach Simon den Eissalon und kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Mit weit aufgerissenen Augen blieb er in der Mitte des Ladens stehen und wusste gar nicht, wo er zuerst hinschauen sollte. So unscheinbar das zweistöckige Haus von außen auch anmuten mochte; von innen war es ein Traum für jede Naschkatze, egal ob groß oder klein.

Es herrschte wie immer Hochbetrieb. Auf der rechten Seite, neben der Tür, war ein großes Schaufenster, in das weiße breite Regale eingelassen waren. In großen, mit schweren Deckeln versehenen Gläsern, standen hier die unterschiedlichsten und köstlichsten Kekse, Plätzchen, Waffeln und Makronen, die ihren Duft im gesamten Laden verströmten. An das Schaufenster schloss sich das Herzstück von Mr. Twiggles Geschäft an, die Eistheke. Über dreißig verschiedene Sorten Eis wurden hier angeboten und es kamen jedes Jahr neue und immer raffiniertere Kreationen hinzu.

„Wow! Das ist der absolute Wahnsinn!“, rief Richie. Er löste sich langsam wieder aus seiner Starre, in die dieser bonbonfarbene Schleckerpalast ihn versetzt hatte und bahnte sich seinen Weg zu Simon. Richie ging vorbei an ebenso erstaunten und verzückten Gesichtern, die, wie er, nicht wussten, ob sie nun Brausedrops, Geleebohnen oder vielleicht doch Ingwerplätzchen und Eis kaufen sollten.

„Simon, das ist hier ja total abgefahren“, begeisterte sich Richie.

„Freut mich, dass es dir hier gefällt“, lachte Simon und wartete an der Eistheke darauf, bedient zu werden.

„So einen coolen Laden haben wir in Portsmouth nicht“, erkannte sein Freund neidisch, der immer noch nicht glauben konnte, dass es so viele verschiedene Eis- und Kekssorten gab.

Nach längerem Anstehen entschied sich Simon schließlich für eine Monsterkugel Rhabarber-Marzipan-Eis. Dazu gönnte er sich noch eine große Tüte gemischter Kekse, während Richie sich mit einer Kugel Erdbeereis und einer Tafel Pfefferminzschokolade den Nachmittag versüßen wollte. Sie verließen den Laden und setzten sich auf eine alte Bank, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite, im Schatten eines alten Baumes stand.

„Ach, da fällt mir ein, du wolltest mir doch irgendetwas unheimlich wichtiges erzählen“, erinnerte Richie seinen Freund schmatzend und schleckte genussvoll an seinem Eis.

„Richtig“, fiel es Simon ein. „Halt mal“, forderte er Richie auf und hielt ihm seine Waffel entgegen, auf der die Eiskugel in gefährliche Schieflage geraten waren. Richie nahm ihm das Eis ab und Simon fing an, in seinem Rucksack zu kramen. Nachdem er das Plättchen gefunden hatte, nahm er Richie das Eis wieder ab und drückte ihm das magisch schimmernde Ding erwartungsvoll in die Hand, das dieser sofort aufmerksam untersuchte.

„Das ist aber eine große Fischschuppe. Hast du die hier am Strand gefunden?“, fragte er Simon und blinzelte ihn über den Rand seiner Brille hinweg an.

„Nein, hab ich nicht. Die war am Montagmorgen, unter meinem Fenster, im Dach eingeklemmt. Ich hatte das Gefühl, als sei nachts jemand an meinem Fenster gewesen. Und stell dir vor, meine Mum hatte auch etwas gehört. Aber vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein und es gibt eine ganz einfache Erklärung dafür, wie dieses Teil auf unser Dach gelangt ist“, erzählte er und knabberte an seiner Eiswaffel.

Richie spielte mit dem Plättchen in seiner Hand und sah Simon nachdenklich an.

„Es war also unter deinem Fenstersims? Ok, lass mich mal überlegen. Eines kann ich dir jedenfalls jetzt schon sagen. Es handelt sich definitiv um die Schuppe eines Tieres. Einen Fisch können wir wohl ausschließen. Der springt nicht mal so eben aus dem Hafen und klettert ein paar Straßen weiter auf ein Dach.“

Simon kratzte sich ratlos am Kopf. „Aber was könnte es denn sonst gewesen sein?“, fragte er. „So viele schuppige Tiere gibt es doch nicht, oder?“

„Nein, sicher nicht“, entgegnete Richie in Gedanken vertieft.

„Mir fallen da nur Eidechsen, Schlangen oder…“

Ermachte eine Pause und sah Simon mit weit aufgerissenen Augen an. „Drachen!“, stieß er plötzlich hervor.

„Drachen in Portsmouth?“ entfuhr es Simon und er sah Richie belustigt an.

„Ja, sicher, Rich. Die einleuchtende Erklärung überhaupt! Genauso wahrscheinlich wie auf Dächer kletternde Fische“, lachte Simon.

„Das war nur so eine Idee“, knurrte Richie beleidigt.

Sie verputzten die Reste ihrer Eiswaffel.

„Es hat die Farbe verändert“, ergänzte Simon. „Am Montag war es noch strahlendweiß und schimmerte wie Perlmutt. Seit heute Morgen ist es eher hellblau“, fügte er noch hinzu. Allerdings wusste er, dass Richie mit dieser Information genauso wenig etwas anfangen konnte wie er selbst. Und so steckte er die Schuppe vorerst zurück in seinen Rucksack.

Nachdem sie aufgegessen hatten, entschieden sie sich, ihren Ausflug, zu den Klippen im Moor, auf den nächsten Tag zu verschieben. Sie waren spät dran, wollten Tante Abygale nicht mit dem Essen warten lassen und das Zelt für die Nacht aufbauen. Also schnappten sie sich ihre Rucksäcke, schlenderten zurück zu den Fahrrädern und radelten in aller Ruhe zurück nach Greenwood Castle.

Als sie am Haus von Tante Abygale ankamen, sahen sie, dass Professor Dawson die Sachen seines Sohnes gebracht hatte. Denn diese standen, ordentlich aufgereiht, rechts neben dem Treppenabsatz, im Flur. Wie Tante Aby ihnen mitteilte, haben sie und der Professor sich bei einer Tasse Tee und ein paar Gurkensandwiches ausgesprochen gut unterhalten. Nachdem er ihre Rosenbeete bewundert und ein paar höflich formulierte Ratschläge zur kindgerechten Feriengestaltung mit auf den Weg bekommen hatte, ging sie, zufrieden mit sich und dem Rest der Welt, in ihre Küche und bereitete ihren kleinen Gästen das Abendessen zu.

Es gab einen Riesenberg Lammkoteletts, Maiskolben mit Butter, frisch gebackenes Brot, Salat und zum Nachtisch ihren berühmten Pfirsichpudding.

Schon bald nach dem Essen und einer spannenden Geschichte von Tante Abygale, trollten sich die beiden, versorgt mit Proviant, Schlafsäcken, Decken, Taschenlampe und Laternen in Richtung Garten, wo sie ihr Lager unter der knorrigen Eiche aufschlugen.

Kapitel 3

Die beiden Freunde richteten ihr Lager. Es würde frisch werden heute Nacht, denn ein leichter Wind kam auf. Aber das konnte die Abenteurer nicht schrecken. Sie hatten sich beide einen dicken Pullover angezogen und ihre Jacken mit ins Zelt genommen.

Es wurde dunkel und Simon und Richie lagen, im Schein einer Laterne, auf ihren Schlafsäcken und klebten Fotos in ihr Album. Drüben im Haus hatte Tante Abygale schon vor einer guten Stunde die Lichter gelöscht und das kleine Anwesen lag in gespenstischem Dunkel. Etwas weiter hinten im Garten, in der Nähe der Stechginsterbüsche, raschelte es.

„Was war das?“ Richie schreckte hoch und blickte Simon ängstlich an.

„Keine Ahnung“, sagte dieser, knabberte weiter an einem Schokoladenkeks und beschäftigte sich mit seinen Schiffen.

„Das war bestimmt nur ein Kaninchen“, sagte Simon abwesend.

„Ja, vielleicht hast du recht“, beruhigte sich Richie wieder ein wenig.

Erneut raschelte es im Gebüsch. Diesmal so laut, das selbst Simon aus seinen Gedanken gerissen wurde und erschrocken von seinem Fotoalbum aufblickte. Äste zerbrachen. Dann war es wieder still.

„Ich glaube, ein Kaninchen macht nicht solch einen Krach, wenn es durch die Büsche hoppelt“, bemerkte Richard, dem das Herz vor Angst jetzt bis zum Hals schlug.

„Vielleicht sollten wir doch besser im Haus schlafen“, schlug er vor und zog sich etwas weiter ins Zelt zurück.

„Es könnte ja auch ein Fuchs gewesen sein“, fiel Simon ein, wusste aber im gleichen Augenblick, dass diese Möglichkeit Richie auch nicht wirklich beruhigen konnte. Zumal er sich auch nicht ganz sicher war und er ebenfalls etwas nervös wurde.

„Lass uns nachsehen!“, schlug er plötzlich vor und schnappte sich seine Taschenlampe. Richie sah ihn fragend an und anstatt sofort aufzuspringen, um dem Geraschel auf den Grund zu gehen, verschanzte er sich lieber hinter seinem Schlafsack.

„Komm schon, sei kein Hasenfuß, Richie!“ forderte Simon ihn erneut auf und leuchtete mit seiner Taschenlampe in den nächtlichen Garten. Ängstlich rückte Richie etwas näher an den Eingang des Zeltes heran, als es im Gebüsch wieder zu rascheln begann. Aber diesmal hörten sie ganz deutlich auch ein leises Schnaufen.

Von einem Moment auf den anderen fuhr den Jungen der Schrecken in die Glieder. Vorsichtig lugten sie aus dem Zelt und leuchteten in die Richtung, aus der die unheimlichen Geräusche offensichtlich kamen.

Die beiden Freunde erstarrten und Richie war kurz davor, sich vor Angst in die Hosen zu pinkeln. Aus dem Dickicht blitzten ihnen zwei grüne Augen entgegen und sie waren sich absolut sicher, dass es sich hier nicht um die Augen der Nachbarskatze handelte. Richie stupste Simon an.

„Hast du irgendeine Idee was wir jetzt machen sollen?“, flüsterte er ängstlich.

„Nicht die leiseste“, antwortete Simon. Und noch ehe er darüber nachdenken konnte, wer oder was ihnen aus dem Unterholz entgegen starrte, nahm der Schrecken seinen weiteren Verlauf. Keine zwanzig Meter von ihrem Zelt entfernt, stieg eine Feuerkugel in die Luft, die langsam anfing, sich immer schneller um die eigene Achse zu drehen und unaufhaltsam auf sie zukam. Simon und Richie waren starr vor Entsetzen und angst. Sie konnten sich nicht von der Stelle rühren, geschweige denn auch nur ein Wort über die Lippen bringen. Wie angewurzelt blieben sie vor dem Eingang ihres Zeltes stehen und starrten gebannt auf den sich bedrohlich nähernden Feuerball.

„Oh mein Gott, ein Kugelblitz!“, schrie Richie, der als Erster die Sprache wieder fand und warf sich, die Arme schützend um den Kopf gelegt, auf den Boden.

„Simon, wir werden sterben. Das Ding wird uns bei lebendigem Leib grillen!“, jammerte er zu Simons Füßen liegend.

„Richie, das ist kein Kugelblitz! Das muss etwas ganz anderes sein!“, sagte Simon, der den Blick nicht von der strahlend hellen Kugel abwenden konnte. Je schneller diese sich drehte und sich den Jungen näherte, desto deutlicher vernahmen die beiden Freunde ein lautes Schnaufen und Stöhnen aus ihrem Inneren, das sich zu einem markerschütternden Geschrei steigerte und abrupt endete, als die Kugel den Eingang ihres Zeltes erreichte.

Ohne sich weiter um seine eigene Achse zu drehen, schwebte der gleißend helle Lichtball nun etwa einen Meter über Simons Kopf. Simon versuchte näher hinzuschauen und hielt sich, aufgrund des hellen Lichtscheins, schützend die Hand vor die Augen. Es stieg ihnen ein beißender Schwefelgeruch in die Nase. Richie fand den Mut, sich neben Simon zu stellen, als er merkte, dass die Kugel scheinbar nicht die Absicht hatte, ihnen mit lautem Getöse den Garaus zu machen.

„Was zur Hölle ist das?“, fragte Richie, den Feuerball anstarrend und seine Angst vergessend.

„Ich habe keinen blassen Schimmer“, sagte Simon und in diesem Moment tat es einen gewaltigen Knall, der die beiden aufschreien ließ und sie zurück auf ihre Schlafsäcke, im Inneren des Zeltes schleuderte.

Für einen Moment lang lagen sie einfach nur da, ganz benommen und nicht wissend wie ihnen geschah. Sie hatten ein unglaublich lautes Rauschen und Pfeifen in den Ohren und das Gefühl, nie wieder auch nur den leisesten Ton hören zu können. Langsam rappelten sie sich wieder auf und warfen mutig einen Blick vor das Zelt, wo vor ein paar Augenblicken noch die Lichtkugel über ihren Köpfen schwebte.

Der Geruch von Schwefel stieg ihnen jetzt noch stärker als zuvor in die Nase und trieb ihnen die Tränen in die Augen. Die Freunde dachten sie träumten als sie sahen, wie sich zu ihren Füßen ein dicker, grauer Drache zu regen begann, der auf dem Bauch, vor ihrem Zelt, im Gras lag. Leise stöhnend und vor sich hin fluchend, streckte die Kreatur ihre Flügel. Vorsichtig ließ sie ihren schuppigen Schwanz kreisen und erhob, immer noch schimpfend, den Kopf. Das Maul voller Gras und Dreck, blickte der Drache den Jungen, mit seinen grünen Augen, das erste Mal grimmig direkt ins Gesicht.

„Igitt, pfui Teufel“, knurrte der aufgebrachte Drache und spukte Gräser und die Reste von schwarzer Erde in hohem Bogen aus. Fasziniert betrachteten Simon und Richie, wie sich ihr merkwürdiger Gast langsam auf seine kräftigen Hinterbeine stellte. Er war mindestens drei Köpfe größer als Richie, hatte einen schuppigen, schiefergrauen Körper, der auf der gut genährten Bauchseite heller gefärbt war, einen kräftigen Schwanz, mit dem er wütend hin und her schlug und starke, mit scharfen Krallen bewehrte Klauen. Seine Flügel, die ähnlich der einer Fledermaus waren, lagen ihm am Rücken an und vom Kopf bis zur Schwanzspitze richteten sich verhornte Schuppen auf. Er hatte einen echsengleichen Kopf mit kleinen Ohren, aus denen hellgraue Fellbüschel wuchsen. Listige grüne Augen in einem faltigen Gesicht und ein breites Maul mit scharfen Zähnen vervollständigten den nicht gerade Vertrauen erweckenden Anblick, des nächtlichen Besuchers.

Aufgebracht stieß er Rauch aus seinen großen Nüstern hervor, sah an sich herunter, schüttelte sich und begann, sich mürrisch den Dreck vom Schuppenkleid zu klopfen, wobei er wütend mit dem Fuß aufstampfte und fluchte.

„So eine Sauerei, wie sehe ich nur aus!“

Simon dachte, er träume und hatte, ebenso wie Richie, Schwierigkeiten damit, zu glauben, was für eine Szene sich hier gerade vor ihren Augenabspielte.

„Jetzt wo wir wissen, dass es Drachen gibt, sollten wir vielleicht auch die Theorie von auf Dächer kletternden Fischen noch einmal überdenken“, flüsterte Richie, noch immer fasziniert auf den sich abstaubenden und schimpfenden Drachen starrend.

„Dazu ist jetzt wohl nicht der richtige Zeitpunkt, Richie“, sagte Simon leise an seinen Freund gewandt und sah aus dem Augenwinkel, wie ihr schuppiger Besucher in einem etwas speckig aussehenden, alten Lederbeutel kramte, den er über der Schulter trug.

„Auch das noch, die Hälfte ist Matsch, zerdrückt, ungenießbar!“, jammerte der Drache und schüttete den Inhalt seines Beutels auf den Boden. Simon und Richie trauten ihren Augen kaum, als sie sahen, wie kleine, flauschige und piepsende Fellknäuel auf den Boden kullerten. Ungelenk setzte sich der Drache vor das Zelt und fing an seine Reisebegleiter auszusortieren, wobei er die Fellbällchen, die sich nicht mehr bewegten und bei denen es sich zweifellos um putzige, kleine Tierchen handelte, achtlos ins Gestrüpp warf. Den sich noch regenden Teil der sonderbaren Reisegruppe steckte er zurück in seinen Beutel. Ein besonders dickes Exemplar behielt er jedoch in seinen Klauen, begutachtete es eingehend und warf es in die Luft. Simon und Richie gefror das Blut in den Adern. Aus dem Maul ihres Gastes schoss plötzlich eine große Stichflamme hervor, die das bedauernswerte, laut quiekende Geschöpf in der Luft flambierte, bevor es zwischen den Zähnen des ausgehungerten Reisenden verschwand. Simon wurde kreidebleich und ihm lief es eiskalt den Rücken herunter. Auch Richie war mucksmäuschenstill geworden und kurz davor, sich zu übergeben, als er hörte, wie der Drache seine Mahlzeit genüsslich schmatzend und vor allem gründlich kauend genoss. Dieser Imbiss schien überfällig gewesen zu sein, denn kaum hatte das schuppige Biest seine Mahlzeit beendet, entspannten sich seine Gesichtszüge. Mit einer scharfen Kralle die Reste seiner Mahlzeit zwischen den Zähnen entfernend, schaute es sich nun interessiert in der Gegend um. Nach einem ausgewachsenen Bäuerchen, bei dem der Drache sich zufrieden seinen Bauch rieb, blieb sein Blick auf Simon und Richie ruhen. Die Situation schien sich leicht zu entspannen. Dennoch blieben sie vorsichtig. Denn einem Flauschbällchen grillenden Ungeheuer sollte man nicht auf Anhieb über den Weg trauen, befanden beide einhellig. Nach einem weiteren Augenblick aber, in dem sich die drei nur stumm gegenüber gesessen hatten, rückten Simon und Richie neugierig etwas näher an den Drachen heran.

„Wer bist du?“, fragte Simon.

„Und woher kommst du und was machst du hier?“, hakte Richie gleich im Anschluss nach.

„Mein Name ist Grewels, Excubidor der heiligen Quelle der Hoffnung von Morana, Simon. Und ich bin schon lange Zeit auf der Suche nach dir“, antwortete der Drache mit seiner rauchigen, tiefen Stimme und stolz geschwellter Brust.

„In der Prophezeiung war allerdings nicht die Rede von deinem glupschäugigen Freund“, bemerkte Grewels mit hochgezogener Augenbraue und musterte Richard von oben bis unten.

„Das ist eine Brille“, entrüstete sich Richie und funkelte den unverschämten Drachen wütend an, den der plötzliche Anflug von Mut aber eher amüsierte, als das er ihn aus der Ruhe brachte. Simon verstand kein Wort von dem, was Grewels eigentlich wollte.

„Excubidor? Quelle der Hoffnung? Morana? Und was ist das für eine Geschichte von der Prophezeiung?“, fragte er das Ungeheuer stammelnd. Der Drache musterte Simon mit zusammengekniffenen Augen und schüttelte seufzend den Kopf.

„Ach herrje, du weißt wirklich nichts, oder? Oh je, da fangen wir dann wohl ganz am Anfang an“, stöhnte Grewels etwas genervt und sagte mehr zu sich selbst:

„Super, genauso habe ich mir das vorgestellt. Ein ahnungsloses, unaufgeklärtes Menschenkind mit so einem vorlauten, vieräugigen Freund. Immer dasselbe, es bleibt alles an mir hängen und das, wo sich das Tor heute Nacht noch schließen wird. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich keine Lust habe, in den Außendienst zu gehen. Aber auf mich hört ja keiner. Grewels macht das schon, der wird das Kind schon schaukeln“, maulte er verärgert vor sich hin.

„Ähm“, räusperte sich Simon und unterbrach Grewels, der kurz davor war, entnervt in Selbstmitleid zu zerfließen.

„Irgendwie scheinst du unter Zeitdruck zu stehen. Vielleicht kannst du uns einfach die Kurzfassung erzählen“, schlug er dem Drachen vor. Grewels hielt inne, blickte Simon vorwurfsvoll an und besann sich einen kurzen Moment.

„Hm, also gut“, knurrte er.

„Wir haben nicht viel Zeit, aber ich versuche mein Bestes“, lenkte er mürrisch ein.

„Einst, vor vielen tausend Jahren“, begann Grewels seine Geschichte und Simon und Richie lauschten mit klopfendem Herzen.

“…herrschte der mächtige Drache Asragur über Morana, ein Land jenseits der Vorstellung, entstanden aus den Träumen und Hoffnungen der Drachen. Eine heilige Quelle, in den Tiefen des Tularon-Gebirges, seit Jahrtausenden genährt durch die Hingabe der Drachen, sollte in alle Ewigkeit der Mittelpunkt des Universums, des Guten, der Fülle und des Friedens sein. So steht es in der Prophezeiung.

Asragur war der größte und prächtigste Drache. Er war der Erste unserer Art, von Anbeginn der Zeit dazu auserkoren, die Quelle der Hoffnung durch seine Hingabe zu nähren. Auf das alle Wesen in seinem Reich ewig in Frieden und Wohlstand leben konnten.

Eines Tages begab es sich, dass in der Moorebene Xuria, ein Elfenknabe das Licht der Welt erblickte. Ein kräftiges Kind, das seinen Eltern Glück und Freude bereitete und auf den Namen Rodan hörte. Ein Junge, ganz anders als die anderen. Er war größer und kräftiger als alle Kinder in seinem Alter, mit schwarzen Haaren und kalten, grauen Augen. Mit den Jahren wuchs dieser Knabe zu einem stattlichen, aber auch grausamen Elfenmann heran und sein Volk begann sich vor ihm zu fürchten, weil nichts Gutes von ihm ausging und er mit den finsteren Mächten im Bunde stand. So kam es, dass der Ältestenrat der Moorelfen Rodan Zeit seines Lebens aus Xuria verbannte, in der Hoffnung, sich nie wieder vor ihm fürchten zu müssen und weiterhin in Frieden leben zu können.

Viele Ernten gingen ins Land und das Schicksal ließ es zu, das der alte Asragur seines Amtes überdrüssig wurde und dem Leichtsinn verfiel. Immer öfter flog er über sein Reich, in der Hoffnung, seiner einsamen Bestimmung entfliehen zu können.

So geschah es, dass sich eines Tages die Wege Rodans, der im Laufe der Jahre zu einem mächtigen, aber verbitterten Zauberer wurde und die Asragurs kreuzten. Asragur wusste sehr wohl, wen er vor sich hatte und ließ sich dennoch auf ein gefährliches Kräftemessen ein, das dem Sieger die Macht über die Quelle der Hoffnung sowie über ganz Morana bescheren sollte. Asragur wurde der Sieg versagt! Seine Kräfte konnten der bösen Macht Rodans nicht standhalten. Erst jetzt realisierte der Drachenkönig, dass er die Zukunft seines Reiches leichtsinnig verwirkt hatte und dass dieses, sollte Rodan die Macht über die Quelle der Hoffnung erlangen, in Dunkelheit und Angst versinken würde.

Mit letzter Kraft gelang es ihm sich in die tiefen Höhlen des Tularon-Gebirges zurückzuziehen. Aber er wusste auch, dass, solange noch Blut durch seine Adern floss, Rodan nicht aufgeben würde, die Quelle zu finden und seinen Preis einzufordern. Es blieb ihm nicht mehr viel Zeit, um für den Schutz seines Reiches zu sorgen.