Simplicity Parenting - Kim John Payne - E-Book
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Simplicity Parenting E-Book

Kim John Payne

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Beschreibung

Das Kultbuch aus den USA – endlich auf Deutsch

Zu viel Zeug, zu viel Auswahl – und dabei immer zu wenig Zeit. Täglich wird die innere Balance unserer Kinder gefährdet. Wie sich Kinder auch in unserer schnelllebigen Zeit unbeschwert, frei und geschützt entfalten können, zeigt der international angesehene Familienberater Kim John Payne: Durch ein vereinfachtes, übersichtlicheres Zuhause mit weniger Spielzeug, weniger sensorischen Reizen, weniger Freizeitstress – und stattdessen mehr Ruhepausen, vorhersehbaren Rhythmen und liebevollen Ritualen, die die gesamte Familie stärken. So entwickeln Kinder das, was wir ihnen für ein ganzes Leben wünschen: Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen, Gelassenheit und innere Stärke – die beste Basis und das wertvollste Geschenk, das Eltern ihren Kindern mitgeben können.

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Seitenzahl: 451

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Zu viel Zeug, zu viel Auswahl – und dabei immer zu wenig Zeit. Täglich wird die innere Balance unserer Kinder gefährdet. Wie sich Kinder auch in unserer schnelllebigen Zeit unbeschwert, frei und geschützt entfalten können, zeigt der international angesehene Familienberater Kim John Payne: Durch ein vereinfachtes, übersichtlicheres Zuhause mit weniger Spielzeug, weniger sensorischen Reizen, weniger Freizeitstress – und stattdessen mehr Pausen, Rhythmen und Ritualen, die die gesamte Familie stärken. So entwickeln Kinder das, was wir ihnen für ein ganzes Leben wünschen: Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen, Gelassenheit und innere Stärke – die beste Basis und das wertvollste Geschenk, das Eltern ihren Kindern mitgeben können.

KIM JOHN PAYNE

LISA M. ROSS

SimplicityParenting

Weniger ist mehr

Was Kinder wirklich brauchen,um ausgeglichen, glücklich undrundum geborgen aufzuwachsen

Aus dem Englischenvon Silvia Kinkel

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel Simplicity Parenting. Using the Extraordinary Power of Less to Raise Calmer, Happier, and More Secure Kids bei Ballantine Books, einem Imprint der Random House Publishing Group.

Die vorliegende Übersetzung basiert auf der 2019 vollständig vom Autor aktualisierten Neuausgabe.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 03/2020

© 2009 by Kim John Payne

© 2020 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: lüra – Klemt & Mues GbR

Umschlaggestaltung: Martina Eisele Grafik-Design, München,unter Verwendung des Originalcovers

Original-Coverdesign: Victoria Allen

Cover-Motiv: Getty Images / Terry Vine

Illustrationen im Buch: Katharine Payne

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-25236-6V001

www.heyne.de

Für Katharine, die Liebe meines Lebens,und für Saphira und Johanna, die Lieben unserer Leben

K. J. P.

Inhalt

Über den Autor

Abkürzungen

Vorwort von Steve Biddulph

Einleitung

Kapitel eins: Warum vereinfachen?

Kapitel zwei: Das Seelenfieber beherrschen

Kapitel drei: Das Umfeld vereinfachen

Kapitel vier: Einen Rhythmus etablieren

Kapitel fünf: Zeitpläne machen

Kapitel sechs: Die Erwachsenenwelt wegfiltern

Epilog

Nachwort

Danksagung

Anhang I: Simplicity Parenting Book Group Study Guide

Anhang II: SP Programm

Über den Autor

Kim John Payne M. Ed hat rund um die Welt zahllosen Eltern geholfen, ihrem Gefühl, dass die heutige Überfrachtung und Überlastung der Kinder nicht hingenommen werden darf, eine Stimme zu verleihen. Er zeigt Wege auf, mit denen wir unsere Hoffnungen und Werte realisieren und eine tiefe Verbundenheit zu unseren Kindern aufbauen können, damit die Familie zu einem Ort der Ausgeglichenheit und Freude wird.

Als Erziehungsberater war er 30 Jahre lang an über 230 öffentlichen und privaten US-Schulen tätig, arbeitete als Forscher und Pädagoge sowie als frei praktizierender Familienberater. Kim hält regelmäßig Vorträge bei internationalen Konferenzen für Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern und Therapeutinnen und Therapeuten und führt auf der ganzen Welt Workshops und Schulungen durch. In all diesen Funktionen hilft er Kindern, Jugendlichen und Familien, sich mit Problemen wie Schwierigkeiten im Umgang mit Geschwistern oder Klassenkameraden, Konzentrations- oder Verhaltensstörungen zu Hause und in der Schule sowie emotionalen Problemen, z. B. Trotz, Aggressivität, Sucht und mangelndes Selbstwertgefühl, auseinanderzusetzen. Er zeigt auf, wie wichtig es ist, ein ausgeglichenes Leben zu führen.

Zudem wurde Kim bei pädagogischen Programmen in Südafrika, Ungarn, Israel, Russland, der Schweiz, Deutschland, Irland, Kanada, Australien, Großbritannien, Thailand und China beraten. Daneben arbeitet er intensiv mit der nordamerikanischen und der britischen Waldorf-Bewegung zusammen und leitet das Collaborative Counseling Programme an der Antioch University in Neuengland. Kim ist Gründungsdirektor des Center for Social Sustainability, einer Organisation, die Tausende Lehrkräfte, Eltern und Studierende im Three Care Stream Progress schulte, um Kindern, die Schwierigkeiten in der Schule haben, soziale, emotionale und verhaltensbezogene Unterstützung zu bieten.

Darüber hinaus verfasste er unter anderem den Bestseller »Simplicity Parenting™«, von dem das vorliegende Buch eine aktualisierte Version ist. Kims Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt.

Er tritt regelmäßig im Fernsehen und Radio auf und veröffentlicht Artikel in renommierten Zeitungen und Zeitschriften wie dem Time Magazine und der Chicago Tribune.

Kim arbeitet daran, die aus den heutigen Lebensformen resultierenden Probleme besser zu verstehen, und gibt uns praktische Hilfsmittel an die Hand. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern auf einer Farm in Ashfield, Massachusetts.

Abkürzungen

ADS – Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom

ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung

API – Aufmerksamkeits-Prioritäts-Problem

CASA – The National Center on Addiction and Substance Abuse

CSR – Cumulative Stress Reaction

ESS – Electronic Screen Syndrome

OCD – Obsessive-Compulsive Disorder, Zwangsstörung

ODD – Oppositionelles Trotzverhalten

PTBS – Posttraumatische Belastungsstörung

WHO – Weltgesundheitsorganisation

Vorwort

Elternschaft – was wir für unsere Kinder tun und wie wir ihnen helfen und ihnen etwas beibringen – ist die älteste und wunderbarste Aufgabe menschlicher Wesen. Und wir haben sie Millionen von Jahren gemeistert. Unsere Vorfahren waren weder besonders groß und stark noch mit Reißzähnen und Krallen ausgestattet, aber sie verfügten über eine wichtige Fähigkeit. Die meisten wussten, wie man Kinder zu fürsorglichen und kooperativen Erwachsenen aufzieht, und so konnte unsere Spezies gedeihen und überleben.

Kurz gesagt machen wir diesen Job schon recht lange, und wir machen ihn gut.

Im Laufe der Geschichte wurde die Aufgabe allerdings durch von außen auf uns einwirkende Kräfte immer wieder erschwert. In der Feudalzeit waren die Menschen gezwungen, ihre Kinder als Knechte auf den Feldern arbeiten zu lassen. Die Industrialisierung brachte die Schulpflicht, mit strengen Regeln für das Arbeiten und Lernen. Und heutzutage verlangt der Hyperkapitalismus, dass wir unentwegt durch aberwitzige Tagesabläufe hetzen, arbeiten und konsumieren.

Die Zeiten verändern sich so schnell, dass wir die Auswirkungen am eigenen Leib spüren. In meinem ersten Buch über Kindererziehung, das ich vor fast 40 Jahren schrieb, wandte ich mich gegen die negative Art und Weise, in der viele Eltern den Glauben der Kinder an sich selbst untergruben, sie als dumm, verdorben oder Schlimmeres bezeichneten. In den 1980ern wurden Kinder zwar weniger geschlagen, doch viele Eltern griffen mit ihrer Ausdrucksweise weiterhin ihr Selbstwertgefühl an.

Derartige Misshandlungen gibt es heutzutage viel seltener, doch trotz der Fortschritte in der elterlichen Erziehung beobachten wir eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit bei Kindern und jungen Leuten, die wie eine Epidemie um sich greift. Eins von fünf Kindern in Großbritannien, den USA und Australien, wo ich lebe, leidet unter Ängsten oder Depressionen, und die Selbstmordrate bei Teenagern steigt wieder, nachdem sie mehrere Jahrzehnte lang zurückgegangen war. 40 Prozent aller Familien sind von einer Scheidung betroffen, und der durchschnittliche Mensch ist weder glücklich noch mit sich selbst im Reinen.

Als ich auf Kims Buch Simplicity Parenting stieß, war ich so begeistert, dass ich ihm schrieb, denn ich wusste, dass wir genau diese Art zu denken bei der Kindererziehung und in der entsprechenden Literatur am dringendsten brauchten.

Kims Botschaft wird mittlerweile oft von anderen wiederholt, aber er war wirklich der erste und bleibt der beste Repräsentant einer Herangehensweise an die Elternschaft, genau genommen an das Leben, deren Struktur und Tempo optimal ist für die menschliche Entwicklung.

Natürlich wollen wir, dass unsere Kinder lernen und erfolgreich sind. Aber wie erreichen wir das? Stellen Sie sich vor, Sie bauen Zuckermais an. Die grünen, zarten Blätter beginnen gerade aus dem Boden zu sprießen, sind vielleicht 15 Zentimeter hoch. Begierig, das Wachstum zu beschleunigen oder den Nachbarn zu übertrumpfen, dessen Halme schon größer sind, oder aus Angst, dass Sie in vier Monaten nicht genug zu essen haben, gehen Sie nachts mit einer Taschenlampe nach draußen und ziehen an den Blättern, wollen, dass sie sich strecken. Wird das klappen? Niemals – Sie werden die Wurzeln beschädigen, Ihr Mais wird nicht schneller wachsen und könnte als Folge dieser Behandlung sogar verkümmern oder eingehen.

Niemand wäre derartig dumm, und trotzdem behandeln wir zunehmend unsere Kinder so. Das menschliche Gehirn, vermutlich das empfindlichste und erstaunlichste Ding im Universum, weiß, wie es wachsen muss. Spielen, forschen, sich nähren – das Gehirn wechselt zwischen Aktivität und Ruhe, arbeitet und ruht sich aus, wieder und wieder. Auch das Kleinkind erkundet die Welt, läuft zurück in die Arme der Mutter oder des Vaters und wagt sich dann erneut hinaus. Ein glückliches Zuhause ist ein friedvoller Ort. Es gibt Aktivität, Musik, Tanz, intensive Arbeit gefolgt von Faulenzen. Das Fernsehen plärrt nicht die ganze Zeit durchs Haus, überfrachtet das kindliche Gehirn oder die angespannten Nerven der Erwachsenen nicht mit ängstigenden, schrillen oder unzusammenhängenden Eindrücken.

Die Menschen haben Zeit für einander: Sie kommen nach der Arbeit oder der Schule zusammen. Der komplexe und subtile Tanz des Familienlebens – essen, reden, sich kümmern, Dinge erledigen – läuft harmonisch ab. Mama und Papa begegnen einander bewusst und glücklich, freuen sich auf Zeit zu zweit, lächeln einander an und unterstützen sich gegenseitig in ihrer Fürsorge für die Kinder. Ist es so bei Ihnen zu Hause – oder hört sich das wie ein unrealistischer Traum an?

Kim verwendet für die Art, wie wir heute oft leben, ein passendes Wort. Er bezeichnet sie als »Fieber«. Wie der fieberhafte, überhitzte, desorganisierte Zustand, den wir manchmal erleben, wenn wir krank sind. Unsere Lebensweise ist krank. Sie schadet uns und unseren Kindern und verwandelt eine Zeit des Überflusses und der Sicherheit, die ein Himmel auf Erden sein sollte, in eine Art Hölle. Zu viel von allem.

Zu schnell. Zu wenig Zeit, zu wenig Glück.

Vereinfachung und Entschleunigung braucht unsere Welt jetzt am dringendsten. Dieses wunderbare Buch ist reich an Möglichkeiten für Veränderungen. Sie können bei sich zu Hause beginnen, wagen sich jedoch hoffentlich bald darüber hinaus, und beinahe hätte ich gesagt: »Lesen Sie es ganz schnell!« Aber tun Sie genau das bitte nicht. Nehmen Sie sich Zeit. Es wird Ihr Leben verändern.

Steve Biddulph

Einleitung

Schreite vertrauensvoll in Richtung deiner Träume.

Wenn du dein Leben vereinfachst, werden dir auch die Gesetze des Universums weniger verwickelt erscheinen.

Henry David Thoreau

Als Eltern sind wir die Architektinnen und Architekten unseres Familienalltags. Indem wir entscheiden, was wir gemeinsam tun und wie wir es tun, schaffen wir für unsere Lieben eine Struktur. Wir legen den Rhythmus unserer Tage fest, bestimmen das Tempo. Natürlich stößt unsere Kontrolle an Grenzen … da brauchen Sie nur die Eltern eines Teenagers zu fragen. Und oft fühlt es sich so an, als würde unser Leben uns kontrollieren, als wären wir gefangen in der verrückten Hetzerei von einer Verantwortung zur nächsten. Aber die einzigartige Art und Weise, wie wir den Tanz täglicher Aktivitäten vollführen, verrät viel über uns als Familie.

Als Berater und Ausbilder bin ich darin geschult, das zu erkennen, aber Kinder brauchen dafür keine Ausbildung. Sie nehmen die entsprechenden Hinweise instinktiv wahr. Was sie sehen, ist, dass wir unsere Liebe ausdrücken, indem wir anwesend sind und Zeit mit ihnen verbringen. Ganz einfach.

Und sie liegen damit ziemlich richtig: Als Eltern sind unsere Motivationen und Absichten überschaubar, unsere Träume nahezu universell. Gleichgültig, wo, und gleichgültig, wie bescheiden oder luxuriös wir leben, die meisten von uns wollen für ihre Kinder nur das Beste. Aus dieser Motivation bauen sich Familien auf. Tag für Tag.

Als Eltern tragen wir die Entwürfe, die Träume, wie unsere Familie sein könnte, in uns. Doch die Pläne ändern sich, das ganze Projekt liegt weit über dem Kostenrahmen, es gibt unerwartete Ergänzungen, und die Arbeit endet nie. Aber inmitten dieses Konstruktionschaos schauen wir einander gerührt und hoffnungsvoll an. Unser fünfjähriger Sohn ist zweifellos immer noch das Baby von einst, aber manchmal – sehen Sie es auch? – schon der junge Mann, der er eines Tages sein wird.

Schützen und Bewahren

An ihrer Entwicklung können wir ablesen, wie beschützt sich Kinder fühlen. Umgeben von liebenden Menschen machen sie große Sprünge, erleben wunderbare Momente des Erkennens und Meisterns. Auf unser Drängen hin? Nie. In einzelnen Momenten lassen Sie uns einen Blick darauf erhaschen, wer sie sind – enthüllen ihr ureigenes Wesen. Und als Eltern leben wir für solche Momente. Aber planbar sind sie nicht. Wir können sie weder erbitten noch beschleunigen.

Wir wollen, dass unsere Familie ein Raum der Sicherheit und des Friedens ist, wo wir so sein können, wie wir wirklich sind. Am dringendsten wollen wir das für unsere Kinder, die mit dem langsamen und schwierigen Prozess beschäftigt sind, sie selbst zu werden. Werden unsere Liebe und Anleitung ihnen den Freiraum gewähren, den sie zum Wachsen brauchen? Kinder sind zweifellos am glücklichsten, wenn sie die Zeit und die Möglichkeit haben, ihre Welt spielerisch zu erkunden. Wir mögen ja zwischen Zukunft und Vergangenheit hin- und herspringen, aber unsere Kinder – die kleinen Zen-Meister – sehnen sich danach, gänzlich im Augenblick zu ruhen. Unsere größte Hoffnung ist, dass sie ihre eigene Stimme, ihre eigenen Instinkte und Widerstandskraft entwickeln, und zwar in ihrem Tempo. Und wie oft wir das auch vergessen mögen, so wissen wir doch, dass dafür Zeit nötig ist.

Das Neue Normal

Die Erholung, die unser Zuhause bieten soll, ist immer seltener dort zu finden. Stattdessen ist unser Arbeitsleben eingezogen, hat sich in unseren Computern eingenistet, findet uns, wo immer ein Handy erreichbar ist. Kinder sind genauso »überbucht«. Mitunter brauchen Eltern Softwareprogramme, um angesichts der vielen Aktivitäten und Zeitpläne der Kinder den Überblick zu behalten, und der Entwicklungspsychologe David Elkind wies bereits 2007 darauf hin, dass Kinder in den vorhergehenden beiden Jahrzehnten mehr als zwölf Stunden an Freispielzeit verloren haben.1

Wenn Multitasking als Überlebensfähigkeit geschätzt wird, muss es uns dann überraschen, dass bei einer zunehmenden Zahl unserer Kinder Aufmerksamkeitsstörungen diagnostiziert werden?

In jedem Bereich unseres Lebens, sei er noch so trivial, werden wir mit einer schwindelerregenden Auswahl an Dingen (ich nenne es im Folgenden »Zeug«) und Entscheidungen konfrontiert. Das Abwägen Dutzender Marken, Eigenschaften, Größen und Preise – gekoppelt mit dem Durchforsten des Gedächtnisses nach jeglichen Warnungen oder Bedenken, die wir möglicherweise gehört haben – all das fließt in die Kriterien unserer täglichen Entscheidungen ein. Wenn Sie als Erwachsene schon davon erdrückt werden, dann stellen Sie sich einmal vor, wie sich Ihre Kinder fühlen müssen! Was auch immer zuerst da war – zu viel Auswahl oder zu viel Zeug: Beides mündet in Unzufriedenheit. Im Gegensatz zu allem, was die Werbung uns weismachen will, kann zu viel Auswahl erdrückend sein. Es ist eine andere Form von Stress. Sie frisst nicht nur Ihre Zeit, sondern Studien zeigen auch, dass zu viel Auswahl unsere Motivation und unser Wohlbefinden untergraben kann.

Der Informations-Tsunami

Darüber hinaus findet eine Lawine von Informationen, ungefiltert und oft ungebeten, den Weg in unser Zuhause, unser Leben und das Bewusstsein unserer Kinder.

Einst war das Zuhause ein provinzieller Vorposten und die Außenwelt »das große Unbekannte«. Eltern hatten Mühe, sämtliche Informationen zu vermitteln, die ihre Kinder möglicherweise für das Leben »in der realen Welt« benötigten, außerhalb der Grenzen des Zuhauses und des näheren Umfelds.

Heutzutage kann die »reale Welt« in all ihrer vielfältigen Pracht jederzeit und überall via Internet angesehen werden. Unsere Verantwortung als Torwächter wird exponentiell schwieriger und gleichzeitig immer wichtiger.

Sie wissen sicher, dass ein Frosch, der in einen Topf mit kochendem Wasser fällt, natürlich sofort versucht hinauszuklettern. Setzen Sie den Frosch jedoch in einen Topf mit kaltem Wasser und erhitzen es langsam bis zum Siedepunkt, dann wird er stillhalten und keine Anstalten zur Flucht machen. Basierend auf den Erfahrungen mit den Familien, mit denen ich arbeiten durfte, den Hunderten Eltern, die mir ihre Sorgen geschildert haben, sowie meinen eigenen Erfahrungen als Vater, glaube ich, dass der Kochtopf, in dem wir heute als Familien sitzen, zunehmend ungastlich für uns alle wird – aber besonders für unsere Kinder.

Raum und Zeit

Bauen wir unsere Familien auf den vier Säulen des »Zu viel« auf? Zu viel Zeug, zu viel Auswahl, zu viele Informationen und zu viel Geschwindigkeit? Davon bin ich überzeugt. Aber genauso glaube ich, dass es nicht so bleiben muss. Ich weiß mit Sicherheit und habe es viele Male gesehen, dass Eltern frische Inspiration und Aufmerksamkeit in den Fluss des Familienlebens bringen können. Zweifellos können wir als die Architekten der Familie dem Leben unserer Kinder ein bisschen mehr Raum und Achtsamkeit hinzufügen und sie mit etwas weniger Geschwindigkeit und weniger überflüssigem Zeug entlasten.

Meine Erfahrung mit vielen Kindern und Familien hat mir dabei geholfen, Strategien zu erarbeiten, um Stress, Ablenkungen und Auswahl – jede Art von überflüssigem Zeug – im Leben von Kindern zu reduzieren. Ich habe gesehen, wie wirkungsvoll diese Strategien dabei sein können, die innere Ruhe und das Wohlbefinden eines Kindes wiederherzustellen. In diesem Buch geht es darum, unser tägliches Leben wieder in Einklang zu bringen mit dem Tempo und dem Versprechen von Kindheit. Unser reales Leben wieder in Einklang zu bringen mit den Träumen, die wir für unsere Familien hegen. Es soll Ihnen helfen, sich frei zu machen von vielen der unnötigen, ablenkenden und erdrückenden Elemente, die die Aufmerksamkeit Ihrer Kinder zersetzen und ihre Tatkraft zuschütten.

Augenblicke der Ruhe zu haben – kreativ oder erholsam – ist eine Quelle der Kraft für Menschen aller Altersgruppen. Beziehungen entwickeln sich oft während dieser Auszeiten, in den beiläufigen Momenten, wenn gerade nicht viel los ist. Dieses Buch soll Ihnen viele Ideen vermitteln, wie Sie diese Auszeiten zurückerobern können, wie Sie für Ihre Kinder Inseln des »Seins« im reißenden Strom des unentwegten »Tuns« schaffen können.

Langsamer Start – Starkes Finale

Wenn wir uns als Gesellschaft bereitwillig der Geschwindigkeit verschreiben, dann liegt das teilweise daran, dass wir eingekapselt sind von Angst und Sorge. Wird dieses Gefühl genährt, rennen wir, so schnell wir können, um Probleme zu vermeiden und Gefahren auszuweichen. Das Erziehen unserer Kinder gehen wir mit dem gleichen ängstlichen Blick an, eilen von einer »Bereicherungsmöglichkeit« zur nächsten, spüren verborgene Keime und neue Gefahren auf, während wir gleichzeitig alles geben, um unseren Kindern jeden derzeit bekannten oder sich in Zukunft auftuenden Vorteil zu verschaffen. In diesem Buch geht es nicht um verborgene Gefahren, schnelles Ausbessern oder zeitlich begrenzte Möglichkeiten – es geht um das Langfristige, den Gesamtzusammenhang. Darum, Ehrfurcht vor der Kindheit zu zeigen.

Wenn wir aus Ehrfurcht statt aus Angst handeln, ist unsere Motivation stärker, unsere Inspiration grenzenlos. Die gute Nachricht ist, dass wir als Eltern eine Menge tun können, um das Umfeld der Kindheit zu schützen.

Viele Konzepte in diesem Buch wurzeln in den Prinzipien der Waldorf-Pädagogik von Rudolf Steiner. Als die größte freie Schulbewegung weltweit legt die Waldorfschule besonderen Wert auf Fantasie und ganzheitliche Entwicklung des Kindes – von Herz und Händen ebenso wie vom Verstand.

Eine kleine Verschiebung des Entwicklungsverlaufs

Das in diesem Buch beschriebene Vereinfachungssystem ist in hohem Maße umsetzbar, wenn die Familie es will und motiviert ist. Die hier umrissenen Schritte sollten Sie nicht als Checkliste betrachten, sondern als Speisekarte, aus der Sie auswählen können, was in Ihrem Fall machbar und tragfähig ist. Jede Familie hat ihre eigenen Probleme und Bereiche, die ihr wichtig sind, und bringt sich unterschiedlich stark ein. Es gibt keine »richtige« Reihenfolge, mit der man sich durch die verschiedenen Ebenen arbeiten sollte, und auch keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt, um damit zu beginnen.

Die vier Ebenen der Vereinfachung dienen als Straßenkarte, auf der Sie Ihren eigenen Weg gehen; jede Ebene wird in den folgenden Kapiteln detailliert behandelt.

Wie dieses Buch aufgebaut ist

In Kapitel eins werden wir uns ansehen, warum Vereinfachen so wichtig und wirkungsvoll ist. Außerdem betrachten wir, wie Sie die Träume, die Sie für Ihre Familien hegen, zurückerobern können, denn diese dienen künftig als Ihre Motivation. Ein kurzes Nachdenken über elterliche Instinkte erinnert Sie an das, was Sie bereits wissen (bevor wir uns dann an die praktische Umsetzung des Vereinfachens begeben).

Kapitel zwei wird Ihnen helfen, den »Überfluss« bei Ihren Kindern zu erkennen und dagegen anzugehen, in etwa so, als würde eines der Kleinen fiebern.

Kapitel drei beginnt an der Tür zum Kinderzimmer, denn wir wollen den Wust an zu vielen Spielsachen, Büchern und Auswahl reduzieren.

Rhythmus ist eine andere Form der Vereinfachung, die wir in Kapitel vier besprechen werden. Ein stärker rhythmisierter Tagesablauf etabliert Ausgangsstellungen, kleine Inseln der Ruhe und des vorhersagbaren Zeitflusses. Wir werden uns damit beschäftigen, wie Mahlzeiten und Schlafenszeiten die Hauptakkorde der Melodie eines Tages sein können, und uns andere Möglichkeiten für Handlungs- und Ruhezeiten ansehen, auf die sich ein Kind in dieser Zeit verlassen kann.

Anschließend betrachten wir eingehender die Tagesabläufe unserer Kinder, um deren Zeitpläne zu überdenken.

In Kapitel fünf sehen wir uns an, wie man aktivere Tage und ruhigere in ein Gleichgewicht bringen kann, stellen die Vorstellung infrage, dass »Freizeit« bedeutet: »frei, um vollgestopft zu werden« mit Unterricht, Training, Verabredungen und Terminen. Dass zu viel Zeug und zu viel Auswahl für Kinder problematisch sind, kann auf nahezu alle Aspekte des Alltags übertragen werden.

In Kapitel sechs beschäftigen wir uns damit, wie man Erwachseneninformationen und -probleme von seinem Zuhause fernhalten kann, und mit der Wahrnehmung der Kinder. Wir werden uns ansehen, was uns mit unseren Kindern verbindet – Bindungen, die dehnbar sein müssen, ohne zu reißen, während ein Kind sich entfernt und wieder zurückkommt, stets mit dem Fokus in Richtung Unabhängigkeit. Wir betrachten Wege des Vereinfachens unserer Einbeziehung in den Alltag der Kinder und den »Rückzug« aus dem Überbehüten, indem wir für unsere Kinder ein Gefühl der Sicherheit herstellen, das sie verinnerlichen und mit sich nehmen können, wenn sie heranwachsen. Wir lernen neue Wege kennen, unser Vertrauen zu steigern und die Beziehung zu unseren Kindern nicht durch Angst, sondern durch Bindung zu prägen.

Die verändernde Kraft des »Weniger tun«

Es ist nie zu spät, Inspiration und Aufmerksamkeit in den Fluss des Familienlebens zu bringen. Eltern kleiner Kinder werden hier viele Samenkörner finden, die sie einpflanzen können für die Entwicklung eines Familienlebens, das Schutz und Nahrung für die heranwachsenden Kinder bietet. Aber jede Phase der Entwicklung einer Familie kann davon profitieren, wenn es ein bisschen mehr Raum und Geduld und ein bisschen weniger Geschwindigkeit und überflüssiges Zeug gibt. Ebenfalls von Anfang an im Kopf behalten sollten wir, dass Vereinfachung oft bedeutet, weniger zu »tun« und mehr zu vertrauen. Vertrauen darauf, dass Kinder – wenn sie die nötige Zeit und Sicherheit haben – ihre Welt auf ihre Weise erkunden, und in dem Tempo, das für sie am besten ist. In den Beschreibungen meiner Arbeit mit anderen Familien werden Sie erkennen, was bei Ihrer eigenen funktionieren könnte. Man muss kein »Experte« sein. In den Geschichten wird es Dinge geben, die Ihnen bekannt vorkommen oder die Sie als Anregung verstehen. Ich hoffe, dass Sie immer wieder zu diesem Buch zurückkehren werden, um Ideen und Ermutigungen daraus zu ziehen.

Ihr Leben mag Ihnen vorkommen wie eine Radiofrequenz, auf der es ständig rauscht. Die Vereinfachung erlaubt Ihnen jedoch, mit sehr viel mehr Regelmäßigkeit und Klarheit Ihre eigene, wahre Frequenz als Eltern einzustellen. Sie werden es sicher sehr befriedigend finden, wie sich Ihre innere Wahrhaftigkeit entwickelt, während Sie der Beziehung zu Ihren Kindern mehr Bewusstheit und Aufmerksamkeit entgegenbringen. Und bei diesem Prozess ergeben sich immer mehr Möglichkeiten, genau zu erkennen, zu welcher Person Ihre Kinder werden. Ich hoffe ehrlich, dass dieses Buch Sie inspirieren und Ihnen Hoffnung, Trost, Erkenntnisse und Ideen liefern wird.

Kim John Payne

Sommer 2018

1 David Elkind: The Power of Play. Learning What Comes Naturally. New York, Da Capo, 2007, S. ix.

KAPITEL EINS

Warum vereinfachen?

Heutzutage stehen wir in unserem Leben vor einem riesigen Problem. Es ist so groß, dass wir es kaum erkennen können, dabei haben wir es direkt vor unserer Nase, rund um die Uhr, jeden Tag. Unser Leben ist überdimensioniert, von vorn bis hinten vollgestopft mit Aktivitäten, Dringlichkeiten und Verpflichtungen, die scheinbar unabdingbar sind. Es bleibt keine Zeit zum Luftholen, keine Zeit, um dem Problem auf den Grund zu gehen.

Sarah Susanka, The not so big Life

James war etwa acht Jahre alt und kam in die dritte Klasse, als ich seine Eltern kennenlernte. Nette, intelligente Menschen. Seine Mutter war Professorin, und sein Vater arbeitete bei der Stadtverwaltung. Sie waren besorgt, weil ihr Sohn nachts nicht gut schlief und zudem über Bauchschmerzen klagte. Nun ist es nicht besonders ungewöhnlich, wenn ein achtjähriger Junge lustlos im Essen herumstochert, aber James’ Liste abgelehnter Speisen wurde immer länger. Seine Bauchschmerzen kamen und gingen, schienen jedoch nicht mit dem Essen zusammenzuhängen.

Beide Eltern erzählten stolz, wie selbstbewusst sich James mit Erwachsenen unterhalten könne, räumten jedoch ein, dass er Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen habe. Er mied alles, was er für gefährlich hielt, und hatte erst kürzlich das Fahrradfahren gelernt. »Und dann ist da noch die Sache mit dem Autofahren«, fügte seine Mutter hinzu. James’ Vater erklärte, dass James bei jeder Autofahrt auf dem Rücksitz in die Rolle des selbst ernannten Polizisten schlüpfte und seine Eltern ermahnte, wenn sie die erlaubte Geschwindigkeit auch nur um eine oder zwei Meilen überschritten. Zudem suche er unentwegt die vor ihnen liegende Straße nach potenziellen Gefahren ab. Ihn als Rücksitzpiloten zu bezeichnen war noch untertrieben – man kann sich also gut vorstellen, wie entspannt diese Fahrten abliefen.

Als ich die Familie kennenlernte, fiel mir auf, welch hohen Stellenwert globale Probleme in ihrem Alltag hatten. Beide Elternteile waren eifrige Nachrichtengucker. Der Fernseher lief oft und war auf den Nachrichtensender CNN eingestellt, ob die Eltern sich bewusst darauf konzentrierten oder nicht. Intellektuell und politisch interessiert, wurden alle Ereignisse ausführlich diskutiert, vor allem Umweltprobleme. Von klein auf hatte James bei diesen Gesprächen zugehört. Seine Eltern waren stolz auf sein Wissen. Sie hatten den Eindruck, einen kleinen Aktivisten großzuziehen, einen informierten »Weltbürger«, der sich über alles Gedanken machte.

James’ Wissen über die Klimaerwärmung machte sogar Al Gore Konkurrenz, das war offensichtlich. Aber genauso offenkundig entwickelte sich James zu einem sehr ängstlichen kleinen Kerl.

Seine Eltern und ich arbeiteten also zusammen an einem Vereinfachungssystem. Wir nahmen ein paar Veränderungen im häuslichen Bereich vor und gestalteten den Tagesablauf rhythmischer und vorhersehbarer. Vor allem reduzierten wir jedoch James’ Einbeziehung in das intellektuelle Leben seiner Eltern und seinen Zugang zu Informationen, von denen zu viele ins Haus und auf James’ Bewusstsein einströmten.

Statt drei Computern beschränkten sich seine Eltern fortan auf einen, der im Arbeitszimmer neben ihrem Schlafzimmer stand. Nach langen Diskussionen entfernten sie tatsächlich beide Fernseher aus ihrem Haus. Sie vermuteten, dass dieser Schritt für sie härter sein würde als für James, aber wenn Opfer gebracht werden mussten, wollten sie ihren Teil dazu beitragen. Ihnen wurde klar, dass die Fernseher zur Hauptgeräuschkulisse in ihrem Haus geworden waren. Ob sie die Geräte wirklich vermissen würden?

Game Boys und Xboxes wurden ebenfalls entfernt und somit die Anzahl an Bildschirmen im ganzen Haus reduziert.

Am meisten beeindruckte mich jedoch ihre Bereitschaft, ein paar tief verwurzelte Gewohnheiten zu ändern. Ziemlich tapfer, wie ich fand, bemühten sie sich, ihre Gespräche über Politik, ihre Arbeit und ihre Sorgen auf eine Zeit zu verlegen, zu der James bereits im Bett lag. Anfangs fiel es ihnen schwer, und sie mussten sich ständig gegenseitig ermahnen, nicht über diese Themen zu sprechen, solange James noch auf war. Aber dann wurde die Veränderung immer selbstverständlicher. Ihre spätabendlichen Gespräche wurden intensiver, und beide Elternteile begannen diese Zeit der Zweisamkeit zu schätzen.

Innerhalb weniger Wochen bemerkten James’ Eltern, dass der Junge sich veränderte. Er war weniger ängstlich und schlief besser. Er kam auf Ideen für Projekte und Beschäftigungen, die ihn bisher nie interessiert hatten. Es war Frühling und wunderbares Wetter. Lag es möglicherweise daran?, fragten sich seine Eltern. Sicher waren sie sich anfangs nicht, aber die begonnene Entwicklung setzte sich fort. James alberte definitiv mehr herum, bastelte, fing Eidechsen, grub Löcher. Nach etwa vier Wochen berichtete auch James’ Lehrer von Veränderungen bei seinem Schüler. Je mehr Zeit er mit Spielen verbrachte, desto weniger pingelig war er zudem in Bezug auf sein Essen. Er freundete sich mit einem Nachbarsjungen an, eine Freundschaft, die mit neun Jahren geschlossen wurde und bis heute anhält. Ich bin noch immer mit der Familie in Kontakt. Die Jungen sind mittlerweile in den Dreißigern, noch immer eng befreundet und unterstützen sich gegenseitig.

Resultiert all das aus den von James’ Familie vorgenommenen Änderungen? Lag es an der Abschaffung des Fernsehers? An weniger Gesprächen über den Klimawandel? Können wir eine einzige Sache ausmachen, die den Unterschied bewirkte? Meine Antwort darauf lautet nein und ja. Ich glaube nicht, dass es eine einzelne Sache war, irgendein Wundermittel, die James’ Nervosität und sein Kontrollverhalten verschwinden ließ. Aber die unternommenen Schritte, um James’ Kindheit zu schützen, hatten definitiv eine Auswirkung auf ihn und seine Eltern, eine Auswirkung, die größer war als die Summe ihrer Teile. James’ häusliches Umfeld wurde verändert, sowohl was die technische Ausstattung anging, als auch der tägliche Umgang miteinander. Seine Eltern entwickelten ein neues Bewusstsein für Erziehung, das zu einem neuen Maßstab dafür wurde, was in ihrem Leben sinnvoll war und was nicht. Sie erachteten es nicht länger für notwendig, dass James bei allem auf dem gleichen Wissensstand war wie sie selbst oder sich über alles Gedanken machte, was sie selbst beschäftigte. Indem sie diesen Unterschied anerkannten und bewahrten, ließen sie James die Freiheit, sich altersgerechter zu verhalten.

Wenn Sie die »Welt« eines Kindes vereinfachen, bereiten Sie den Weg für positive Veränderungen und Wachstum. Das ist besonders heutzutage so wichtig, weil wir in einer »vollgestopften« Welt leben. Wir errichten unseren Alltag und unser Familienleben auf den vier Säulen des »Zu viel«: zu viel Zeug, zu viel Auswahl, zu viel Information und zu viel Tempo. Bei diesem Ausmaß an Geschäftigkeit, Ablenkungen, Zeitdruck und Wirrwarr (mental und physisch) wird Kindern die Zeit und innere Ruhe genommen, die sie benötigen, um die Welt und ihre sich entwickelnde Identität zu erkunden. Der Druck des »Zu viel« wird ständig erhöht, und wir Erwachsenen passen uns entsprechend schnell an. Dieses unnatürliche »Zu viel« erscheint uns normal. Wenn sich aber das Wasser, in dem wir schwimmen, beständig erwärmt und wir uns dieser Temperatur stets anpassen, wie wollen wir dann rechtzeitig herausspringen, bevor es zu kochen beginnt?

Ich glaube, dass unser Instinkt, unsere Kinder zu beschützen, uns zu Veränderungen motiviert. Der Antrieb, aus dem sprichwörtlichen Kochtopf herauszukommen, entspringt dem Wunsch, ihre Kindheit zu bewahren. Zwar wird unsere innere Stimme häufig durch dringende Angelegenheiten und Verpflichtungen zum Schweigen gebracht, dennoch geben uns unsere Instinkte als Eltern zu denken. Wir halten inne – gelegentlich oder oft, je nachdem wie schnell unser Leben geworden ist – und fragen uns, inwiefern unser Tempo unsere Kinder beeinträchtigt. Ein inneres Warnsignal ertönt, wenn wir eine riesige Diskrepanz erkennen zwischen dem, wie Kindheit unserer Meinung nach sein sollte, und dem, wozu sie geworden ist.

Einen solchen Moment erlebte der kanadische Journalist Carl Honoré und wurde dadurch zu seinem 2005 erschienenen Buch »Slow Life: Warum wir mit Gelassenheit schneller ans Ziel kommen« inspiriert. Selbst ein bekennender »Speedaholic«, kam ihm die Idee zu seinem Buch in einem Moment, der bei Eltern Alarm auslöst. Während einer Reise stieß er in einer Buchhandlung am Flughafen auf eine Buchreihe mit dem Titel »One-Minute Bedtime Stories«. Sein erster Impuls war, die ganze Reihe zu kaufen und zu sich nach Hause schicken zu lassen. Er musste an die unzähligen Male denken, als er seinem zweijährigen Sohn vorgelesen hatte (»Noch mal, Papa!«), während er an unbeantwortete E-Mails dachte und andere Dinge, die noch erledigt werden mussten. Gutenachtgeschichten, die vorzulesen nur eine Minute dauerte, schienen die perfekte Lösung zu sein; würden nicht ein paar davon jeden Abend genügen? Aber zum Glück kam ihm sofort noch ein anderer Gedanke, ein Entsetzen, dass er – wie so viele von uns – bei seiner Raserei durchs Leben diesen Punkt erreicht hatte. Was hieß das für unsere Kinder und was machte es mit ihnen?

Die Einsicht

Wir alle kennen solche alarmierenden Momente, stimmt’s? Ich persönlich kenne sie. Wir werden mit den oft so einfachen Wünschen dieser kleinen Wesen konfrontiert (die wir so unermesslich lieben), und doch scheint ihr Flehen von einer weit entfernten Galaxie zu kommen, vom Planeten »Langsam«. Aus dem zwei- oder dreijährigen Kind, das die Geschichte noch einmal hören möchte, wird ein achtjähriges, das ihnen die Handlung eines Films derartig detailliert erzählen will, dass der Bericht länger dauert als der Film selbst. Ein anderes Beispiel: Sie haben einen komplizierten Fahrgemeinschafts-Plan ausgearbeitet, der zwar eine Abstimmung auf die Sekunde erfordert, Ihnen aber jede Woche ein oder zwei Hin- und Rückfahrten erspart. Die ganze Unternehmung kommt jeden Morgen zum Stillstand wegen zwei Schnürsenkeln, die sich einfach nicht binden lassen, oder einem Haarschopf, der sich nicht kämmen lassen will, oder einem Rucksack, in dem immer – wirklich immer – irgendetwas fehlt.

Quite Simply:

Durch Vereinfachen schützen wir das Lebensumfeld der Kindheit, damit sie sich in dem ihr eigenen Tempo entfalten kann.

Dieses Buch entstand, weil bei mir in fachlicher Hinsicht der Alarm ertönte, auch wenn sich meine Erkenntnis langsamer hervortat als Honorés Aha-Moment in der Buchhandlung. Zu meinem Bedauern muss ich eingestehen, dass ich mehr als ein Jahrzehnt brauchte, um vollständig zu erfassen, was ich schon lange Zeit gespürt hatte. Mit Ende zwanzig schloss ich meine Ausbildung in Sozialpädagogik in meinem Heimatland Australien ab und bewarb mich als ehrenamtlicher Mitarbeiter in zwei asiatischen Flüchtlingscamps, einem in Jakarta und einem in Kambodscha, nahe der Grenze zwischen Thailand und Kambodscha.

In Jakarta waren die Camps sehr groß, es lebten dort mehrere Hunderttausend Menschen, die durch politische Instabilität vertrieben worden waren. Die Camps waren wie kleine Lehnsgüter, mit Lehnsherren und Banden, die mit fiesen Mitteln »regierten«, sich Loyalität verschafften, indem sie Schutz vor anderen Verbrecher-Lehnsherren versprachen. Es war eine große, verkommene Barackensiedlung beziehungsweise -stadt, mit Hütten aus Pappe, Plastik und Blechstücken – was auch immer die Menschen fanden. Man lief über Planken, die auf dem Boden ausgelegt waren, nur knapp über dem Abwasser, das aus Abflussgräben und offenen Kanälen übertrat.

Die meisten der Kinder, mit denen ich dort arbeitete, hatten nie ein anderes Zuhause als dieses Camp gekannt. Ihr Leben war geprägt von Widrigkeiten, Krankheiten, Angst und Gefahr. Für diese Kinder gab es nur wenig Sicherheit oder Freizeit, und es ging nur um das nackte Überleben. Als Volk und als Individuen hatten die Menschen dort viel verloren. Und leider litten die Kinder eindeutig unter PTSD – unter Posttraumatischer Belastungsstörung. Sie waren schreckhaft, nervös und überwachsam, misstrauisch gegenüber allem Neuen oder Fremden. Viele hatten aufwendige Rituale rund um ihre täglichen Aufgaben entwickelt, wie zum Beispiel komplizierte Wege durch das Labyrinth des Camps zu gehen. Sie glaubten, das würde sie irgendwie schützen. Sie waren zudem argwöhnisch gegenüber neuen Beziehungen, sei es mit Erwachsenen oder mit Gleichaltrigen, und etliche von ihnen waren jähzornig.

Von Asien aus zog ich nach England, wo ich meine Ausbildung zum Waldorf-Lehrer abschloss. Viele Jahre arbeitete ich als Berater in Schulen und Privatpraxen, stellte Diagnosen bei Kindern: ADS, ADHS, OCD, ODD.

Anfang der 1950er arbeitete ich in einer Schule und hatte zudem westlich von London eine Praxis. Die Kinder, mit denen ich zu tun hatte, kamen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Familien – einige waren Briten, andere Immigranten, von der unteren Mittelschicht bis zu wohlhabenden Haushalten. Einige der Kinder zeigten ein extremes Kontrollverhalten gegenüber Eltern und sogar beim Spielen mit anderen Kindern. Schlafen und Essen waren häufige Kontrollbereiche; sie aßen zum Beispiel nur noch zwei Nahrungsmittel oder gingen erst spät in der Nacht schlafen. Sie waren reizbar, oft aufbrausend, und die Eltern waren ratlos, was die Ursachen dieser Wutausbrüche betraf. Mir fiel zudem eine ausgeprägte Nervosität bei diesen Kindern auf. Sie waren schreckhaft und hatten Mühe, sich wieder zu beruhigen. Sie waren misstrauisch gegenüber Veränderungen, sei es neues Unterrichtsmaterial in der Schule, neue Menschen in ihrem Leben oder jedwede Änderung von Plänen oder bei ihren üblichen Handlungsmustern. Ich erinnere mich an einen Jungen, der sich strikt weigerte, mit seinen Eltern in die Ferien zu fahren. Er war noch nie zuvor an einem Strand gewesen, und die Vorstellung versetzte ihn offenbar in große Angst.

Mir dämmerte schließlich, dass die Behandlungspläne, die ich für diese Kinder entwickelte, identisch waren mit jenen, an denen ich in Asien mitgewirkt hatte. Tatsächlich konnte ich bei objektiver Betrachtung keinen Unterschied zwischen meinen Methoden und Zielen bei diesen Kindern feststellen und denen, die ich in Jakarta behandelt hatte. Aber etwas Bemerkenswertes konnte ich dennoch erkennen. Ich bezweifelte es so lange wie nur möglich, bis ich absolut sicher war, kam jedoch schließlich zu einer bemerkenswerten Erkenntnis: Diese Kinder aus einem wohlhabenden Land der westlichen Welt zeigten ebenfalls die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Ich hatte gelernt, PTBS mit Kriegsereignissen in Verbindung zu bringen, mit lebensverändernden Traumata, die ihre Opfer erschüttert zurücklassen. Meine Arbeit hat mich in den 30 Jahren zuvor in viele kriegsgeschundene Regionen geführt: Afrika, Israel, Nordirland sowie Russland und Ungarn, während und kurz nach der Perestroika. Ich hätte nie gedacht, »kriegsgeschundene« Kinder auch in diesem relativ begüterten Landesteil von England zu finden, aber genau so war es. Als Erstes fielen mir die Ähnlichkeiten bei den problematischen Verhaltensweisen auf, die die Kinder dieser scheinbar grundverschiedenen Gruppen angenommen hatten. Nach etlichen klinischen Déjà-vus konnte ich meine Instinkte nicht länger ignorieren. Bei einigen der Symptome und Verhaltensweisen war ich mir zunehmend sicherer, was die Ursachen anbelangte. Und als ich mir das Leben dieser Kinder genauer anschaute, erkannte ich, dass bei beiden Gruppen die Unantastbarkeit der Kindheit nicht gewährleistet worden war. Das Erwachsenenleben strömte ungehindert auf sie ein. Eingeweiht in die Ängste, Motivationen, Ziele und das schnelle Tempo des Erwachsenenlebens, versuchen die Kinder, ihre eigenen Grenzen zu ziehen, ihr eigenes Maß an Sicherheit herzustellen, durch Verhaltensweisen, die letztlich nicht hilfreich waren. Die Kinder in England litten unter einer anderen Art von Krieg: dem nicht offiziell erklärten Krieg gegen die Kindheit.

Wenn Sie im Leben dieser Kinder nach einem unverkennbaren traumatischen Ereignis suchen würden, bliebe Ihre Suche erfolglos. Vermutlich würden Sie schwere Verluste in der frühen Kindheit erwarten, die zu dieser Nervosität und diesem Misstrauen geführt hatten, zu dieser übermäßigen Wachsamkeit und diesem Mangel an Belastbarkeit. Mir wurde jedoch klar, dass es genügend kleiner Belastungen gab, ein beständiges Maß an Stress und Unsicherheit, das sich aufaddierte. Diese kleineren Belastungen wachsen an bis zu einem Punkt, an dem es für die Kinder psychologisch »Sinn ergibt«, sich kompensierende Verhaltensweisen zuzulegen.

Quite Simply:

Unsere Gesellschaft führt mit ihrem Druck des »Zu viel« einen nicht offiziell erklärten Krieg gegen die Kindheit.

Die Psychologie liebt Akronyme, also fügte ich ein weiteres hinzu, um zu beschreiben, was ich sah: CSR – Cumulative Stress Reaction, also sich steigernde Stressreaktion. Es ähnelt dem, was die American Psychological Association mittlerweile, Jahre später, als »Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung« bezeichnet.

Die Psychologie erkennt auch zunehmend an, dass sich die von mir gesehenen Merkmale und Verhaltensweisen – übermäßige Wachsamkeit, Hypervigilanz, Ängstlichkeit, mangelnde Belastbarkeit, mangelnde Impulskontrolle, mangelnde Empathie und fehlende Zukunftsperspektive – verschlimmern, wenn ein Kind kleinen Stresseinheiten hinreichend oft ausgesetzt ist. Ein solches Stressmuster kann sich zu einem PTBS-artigen Szenario oder zu CSR akkumulieren. CSR beschreibt eine Reaktion auf ständige kleine Stresseinheiten – einer Art fortwährendes Stressniveau, das sich aufbauen kann, aber nur selten auflöst. Damit meine ich nicht den zum Leben gehörenden Stress. Ich lege auch nicht nahe, dass Kinder von jeglichem Stress ferngehalten werden sollten; das würde nicht funktionieren und muss es auch nicht. Kinder erleben unerfüllte Wünsche, Krankheiten, Sorgen und Verluste. Ihr Leben ist nicht stressfrei und die Kindheit keine Aneinanderreihung von Regenbogenmomenten, einer schöner als der andere. Stellen Sie sich nur den Sechsjährigen vor, mit einem Traumleben voller Superhelden und Superkräfte, der bei einem Sturz vom Kirschbaum im Garten feststellt, dass er nicht fliegen kann. Sein gebrochener Arm verursacht große Schmerzen, dazu kommt die ängstigende Fahrt mit dem Krankenwagen in die Notaufnahme. Derartige Kindheitserlebnisse können in dem Moment sehr stressig sein. Aber am darauffolgenden Tag und mit jeder weiteren Erzählung wird dieser Vorfall zu einem Klassiker der Familiengeschichte über Tapferkeit, über durch Anteilnahme beschwichtigte Ängste, über Stärke und Heldenhaftigkeit. (Nicht die des fliegenden Supermanns, sondern jene, die Ralph Waldo Emerson beschrieb: »Ein Held ist nicht mutiger als jeder andere Mensch, aber er ist es fünf Minuten länger.«)

Der sich bei CSR anhäufende Stress unterscheidet sich stark von den üblichen Stressarten, die ziemlich regelmäßig im Alltag eines Kindes auftreten. Im Alltagsleben sind die Stimmungen und das Wohlbefinden eines Kindes wie eine Wippe; Stress ist das Gewicht an dem einen Ende, aber sobald dieser verschwunden ist, kehrt das Gleichgewicht zurück. Ein zerschrammtes Knie, der Streit mit einem Freund, fünf Tage im Bett mit Grippe – das alles stärkt ein Kind und sein Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten. Dieser normale Stress liefert Beispiele für »notwendige Belastbarkeit«. Wir alle, einschließlich der Kinder, müssen im Leben auf Widerstände stoßen, um zu lernen, damit umzugehen. Derartige Stressmomente können beunruhigend sein, aber sie sind nicht schädlich, wenn wir lernen, dass wir über die Fähigkeiten und die Unterstützung verfügen, damit umzugehen und sie zu überwinden. Schädigender Stress hingegen ist entweder zu groß oder zu anhaltend, als dass man ihn überwinden kann. Wenn unsere Fähigkeiten (oder die eines Kindes) dem nicht gewachsen sind, dann kann er oder sie die jeweilige Belastung nicht begreifen oder hinter sich lassen und bleibt in einem sich wiederholenden Kreislauf von Stressreaktionen stecken.

CSR ist nicht durch die Schwere des traumatischen Erlebnisses charakterisiert, sondern durch die Durchgängigkeit oder Häufigkeit kleiner Stresseinheiten. Und wie wirkte sich das auf die Psyche und das Verhalten der Kinder aus? Mir wurde klar, dass viele kleine Stresseinheiten an der Belastbarkeit des Kindes zerren – mental, emotional und physisch. Sie beeinträchtigen die Konzentration, die emotionale Grundruhe, das Gefühl der Sicherheit, das nötig ist, damit man Veränderungen und Neuem aufgeschlossen begegnen kann. Sie beeinträchtigen die Fokussierung, nicht nur auf die gerade anstehende Problemlösung oder Aufgabe. Diese Stressmomente lenken von der »Aufgabe« der Kindheit ab: einer sich entwickelnden Selbstwahrnehmung.

Megan Gunnar, Professorin am Zentrum für Neurobehavioral Development an der medizinischen Fakultät der Universität von Minnesota, hat die Auswirkung von Stress auf Kinder erforscht. Sie berichtet, dass er zu vielen verschiedenen Gesundheitsproblemen führt, einschließlich »Veränderungen bei der Entwicklung des Gehirns, Veränderungen im Hormonsystem, Immunsystem, Herz-Kreislauf-System und sogar auf die Art und Weise, wie unsere DNA gelesen und transkribiert wird«.2

Mir wurde klar, dass ein Großteil des Stresses aus dem resultiert, was wir heute unser tägliches Leben nennen. Es ist das Leben, das unsere Kinder umgibt, ein kindlicher Alltag, das sich bedauerlicherweise nicht sehr von dem unterscheidet, den wir als Erwachsene führen. Ein Alltag, der genauso medienreich, Multitasking-geprägt, komplex, informationsüberladen und unter Zeitdruck stehend ist wie unser eigener.

Quite Simply:

Das Tempo unseres täglichen Lebens ist immer weniger auf das Tempo der Kindheit ausgerichtet.

Eine ziemlich deprimierende Vorstellung – zu denken, dass die Kindheit »angegriffen wird«. Es ist auch schwierig, dieses Problem zu entwirren oder genauer zu bestimmen. Ich glaube nicht, dass hinter dem Angriff eine bewusste Vorgehensweise steckt. Es gibt keinen Buhmann unter uns, und es sind auch keine finsteren Mächte am Werk. Kein Einzelwesen, kein einzelnes Unternehmen und auch keine einzelne Organisation trägt die Verantwortung dafür. Philip Morris, General Mills, die uns überall umgebenden Vermarkter und Werbetreibenden, die Technikbegeisterten, die Handys bei Achtjährigen bewerben – wem von denen können wir die Schuld geben? Allen oder keinem.

Als Gesellschaft haben wir uns jedoch mit ganzem Herzen der Vorstellung verschrieben, dass mehr, größer, neuer und schneller auch besser ist. Man kann es als Überlebensmechanismus verstehen, als ureigenen, primitiven Antrieb (obschon mit einem eigenen verrückten, modernen, westlichen Ansatz). Grundsätzlich ist das nachvollziehbar, aber wir haben es bis an einen Punkt gebracht, an dem dieser Antrieb unser Überleben eher bedroht als sichert.

Wir stopfen unsere Häuser immer mehr voll (obwohl wir immer größere bauen) und tun dies auch mit unserem Leben (obwohl wir unter der Geschäftigkeit und dem Schlafmangel leiden) und unserer Wahrnehmung (24-Stunden-Fernsehen und -Nachrichten, Blogs, Handys, ständige online Nachrichten-Updates …). Laut einer Verbraucherstudie liegt das Durchschnittsalter, in dem amerikanische Kinder anfangen, massenkompatible Technik wie Handys, MP3-Player, DVD-Player und Online-Streaming zu nutzen, mittlerweile bei 6,7 Jahren.3 Während unsere Welt auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, ziehen wir unsere Kinder nicht nur mit, sondern übertragen diesen Optimierungsprozess auch auf sie. Gibt es irgendetwas, das wir nicht beschleunigen müssen? Etwas, das wir nicht verbessern oder voranbringen müssen? Bei dem wir keinem ständigen Wettbewerb unterliegen? Wir haben zwar noch keinen Weg zur Verkürzung der neunmonatigen Schwangerschaft gefunden, aber sobald das Baby geboren ist, scheint seine Kindheit der Beschleunigung zu unterliegen.

Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang den Schlaf als Analogie nehmen. Die meisten von uns erkennen das Bedürfnis nach ausreichend Schlaf an – sieben bis acht Stunden jede Nacht. Aber viele würden gern mit sehr viel weniger auskommen. Einige glauben, dass sie prima mit vier Stunden pro Nacht leben können. Thomas Roth vom Henry Ford Sleep Disorder Center in Detroit bezweifelt das jedoch: »Der Prozentsatz der Bevölkerung, der mit weniger als fünf Stunden Schlaf pro Nacht auskommt, beträgt, aufgerundet zu einer ganzen Zahl, null.« Robert Stickgold, kognitiver Neurowissenschaftler an der Harvard Medical School, der sich auf Schlafforschung spezialisiert hat, berichtete, dass ihn einmal ein praktizierender Psychiater anrief und fragte, ob etwas dagegen spräche, einem Studenten in der Examensphase Modafinil zu verschreiben, ein wach haltendes Medikament. »Nein, überhaupt nicht«, erwiderte Stickgold. »Es sei denn, Sie glauben, dass Schlaf für etwas gut sein könnte.«4

»Bewirkt« Schlaf etwas, abgesehen davon, dass es die Phasen zwischen dem Wachsein kennzeichnet? Bewirkt Kindheit etwas, abgesehen davon, dass sie den Zeitraum bis zum Erwachsensein charakterisiert? Ohne Schlaf sterben wir, womit sich die Frage erübrigen sollte; dennoch streiten Wissenschaftler weiter darüber, welche Prozesse im Körper nur und ausschließlich während des Schlafes stattfinden. Mentale und emotionale Aufarbeitung sowie eine Verbesserung unserer motorischen Fähigkeiten (eine Art mentales »Üben« von Bewegungen) finden während des Schlafens statt, und möglicherweise dient er auch der Aufrechterhaltung der Homöostase, also der Selbstregulation des Gehirns. Ohne Schlaf arbeitet das Immunsystem nicht richtig, und wir wissen auch, dass Schlafmangel das Sprechen, das Gedächtnis sowie innovatives, flexibles Denken beeinträchtigt. Ratten sterben bei Schlafentzug innerhalb von 17 bis 20 Tagen; ihnen fallen die Haare aus, und ihr Stoffwechsel fährt auf Hochtouren, verbrennt jede Menge Kalorien, obwohl die Ratten einfach nur stillstehen.5

Wissenschaftler erfahren etwas über den biologischen »Zweck« des Schlafens, indem sie untersuchen, was bei Schlafentzug passiert. Bei Schlafentzug sind die Menschen weitaus weniger in der Lage, sich das zu merken oder zu nutzen, was sie während der Wachphase gelernt haben. Sie verlieren ihre mentale und physische Widerstandskraft – weil ihr Immunsystem schwächelt.

Dennoch fragen wir uns: Können wir darauf verzichten? Kommen wir ohne Schlaf aus, oder können wir ihn irgendwie verkürzen, um dieses Drittel unseres Lebens zurückzuerobern, das wir an den Schlaf »verlieren«? Als Gesellschaft scheinen wir dieselben Fragen an die Kindheit zu stellen. Welchem Zweck dient sie? Können wir sie beschleunigen? Können wir unsere Kinder besser auf das Erwachsenenalter vorbereiten, indem wir sie mehr wie Erwachsene behandeln?

Den »Zweck« der Kindheit werden wir vielleicht erst dann richtig verstehen, wenn wir sehen, wie jene Menschen sind, die durch ihre Kindheit gescheucht wurden. Kindheit hat ihre eigenen unerklärlichen Prozesse, ihr eigenes Tempo. Wenn wir die Kinder auffordern, mit der beschleunigten Welt um sich herum »Schritt zu halten«, schaden wir ihnen ungewollt. Wir entziehen ihnen genau das, was sie benötigen, um ihren Weg in eine zunehmend komplexe Welt zu finden: Wohlbefinden und Widerstandskraft. Aber ich glaube auch, dass es eine Menge Dinge gibt, die wir als Eltern tun können, um die Kindheit unserer Sprösslinge zu schützen.

Quite Simply:

Eine geschützte Kindheit ermöglicht eine langsame Entwicklung der Identität, des Wohlbefindens und der Widerstandskraft.

Als ich vor einigen Jahren auf dem Weg zu einem Vortrag war, hörte ich einen Bericht über die Erderwärmung. James, der kleine Kerl, den ich bereits erwähnte, hatte mir auch schon einiges über dieses Thema beigebracht. Aber während ich fuhr, ging mir durch den Kopf, dass wir oft überstürzt handeln, wenn wir uns in einem Zustand der puren Angst mit Problemen beschäftigen. Wir eilen in den Baumarkt und kaufen Behälter für das Trennen von Müll und Energiesparglühbirnen, schauen uns auf dem Weg dorthin Hybridautos an und schwören, dass wir von heute an nur noch Biobaumwolle an die Haut unserer Kinder lassen. Warum müssen wir all das – und noch mehr – sofort tun? Natürlich um das Ozonloch in der Erdatmosphäre zu stopfen! Aber unsere Handlungen wären so viel konsistenter und andauernder, wenn wir nicht von Angst, sondern von Leidenschaft angetrieben werden würden – dem Wunsch, unsere Erde zu schützen.

Das erinnert mich an einen Mann, der zu einem meiner Vorträge kam. Ich bin ziemlich sicher, dass er nur auf Drängen seiner Frau daran teilnahm. Nach dem Vortrag standen wir zufällig nebeneinander, und er wandte sich an mich: »Gut gemacht!«, sagte er freundlich. »Stoff zum Nachdenken, wirklich! Habe meinen Abschluss in Harvard gemacht, und ich bezweifle, dass mein Ben in meine Fußstapfen treten wird, es sei denn, wir können seine Konzentrationsfähigkeit aufmöbeln! Ich werde sofort eine Vereinfachungsliste erstellen. Nächstes Jahr macht er seinen Schulabschluss – denken Sie, es bleibt noch genug Zeit?« Dieser Mann übersah das Entscheidende. Aus Angst oder Sorge heraus zu agieren führt für gewöhnlich nicht zu langfristigen Bemühungen und schon gar nicht zu umfangreichen Veränderungen. Bei der Vereinfachung geht es nicht darum, Bens Noten zu verbessern (sosehr wir dem Jungen das natürlich wünschen). Bens Wohlbefinden ist das Ziel. Mit ausdauernder Motivation und Inspiration sollten wir das große Ziel vor Augen haben, nämlich die Kindheit unserer geliebten Sprösslinge zu schützen. Die Kindheit ist ein ganz wichtiger »Raum« mit seinen eigenen Systemen, seinen eigenen natürlichen Prozessen. Und die Gesellschaft bohrt immer mehr Löcher in den Schutzfilter, der die Kindheit umgeben sollte, um sie gegenüber dem Erwachsenenleben mit seinen Problemen abzufedern.

Die gute Nachricht ist, dass wir als Eltern eine Menge Dinge tun können, um das Umfeld des Kindes zu schützen. Es gibt viele Möglichkeiten, um Filter zu etablieren, die das Tempo und den Stress des Erwachsenenlebens davon abhalten, ungehindert in das Zuhause, den Kopf und das Herz unserer Kinder zu strömen. Als sich meine Arbeit zunehmend auf die Vereinfachung konzentrierte, habe ich gesehen, wie wirkungsvoll dieser Prozess dazu beitragen kann, Entspannung und Wohlbefinden eines Kindes wieder herzustellen. Die Vereinfachung verschiebt die Ausrichtung einer Familie, sodass ihre täglichen Bemühungen im Einklang mit und nicht im Widerspruch zu ihren Träumen stehen.

Bevor wir uns in den folgenden Kapiteln auf jede Ebene der Vereinfachung konzentrieren, gebe ich Ihnen einen Überblick über den Ablauf. Ich führe Sie durch eine Beratung und stelle Ihnen dieselben Fragen, die ich auch anderen Familien gestellt habe, damit sie darüber nachdenken. Um aus der Hoffnung statt aus der Angst heraus zu agieren, aus Ehrfurcht gegenüber der Kindheit statt aus Furcht vor »Deadlines«, ist der erste Schritt zur Vereinfachung das Träumen. Carl Sandburg sagte einst: »Nichts geschieht, ohne dass ein Traum vorausgeht.« Die Vereinfachung bildet keine Ausnahme. Die Träume bezüglich Ihrer Familie werden Ihre Motivation sein; sie fungieren als Ihre Flügel während des Prozesses.

Der Prozess: Hoffnungen und Träume

Sehr oft kommen Eltern zu mir, sei es vermittelt durch die Schule oder gleich in meine Praxis, weil ihr Kind Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Der Auslöser für einen Anruf oder den Wunsch nach einem Beratungsgespräch ähnelt einem Hautausschlag; er ist in der Regel nur das äußerliche Symptom von etwas anderem, einem tieferen oder umfassenderen Problem. Wie ich bereits in der Einleitung erwähnte, kann man am Alltag einer Familie viel darüber ablesen, was ihr wichtig ist. Um mir also ein klareres Bild über die Familienprobleme zu verschaffen, biete ich oft zwei Alternativen an: Familientherapiesitzungen über mehrere Monate oder einen eintägigen Besuch meinerseits bei der Familie. Beides verschafft mir ähnlich guten Einblick. Es überrascht mich nicht, dass sich Familien anfangs oft für die Sitzungen entscheiden. Sicher ist es keine verlockende Vorstellung, jemand Fremden vom morgendlichen Aufstehen bis zur Schlafenszeit der Kinder im Haus zu haben. Ich denke jedoch nicht, dass diese Besuchstage so unangenehm sind, wie die Eltern fürchten.

Wenn sich eine Familie dafür entscheidet, verbringe ich den Tag damit, die Choreografie der täglichen Aktivitäten dieser konkreten Familie zu studieren. Vielleicht spiele ich mit den Kindern oder helfe beim Abwasch. Oft bringe ich ein kleines Projekt mit, bastle oder repariere etwas, damit ich nicht zu beobachtend wirke. Meine Anwesenheit ist zwar nicht zu übersehen, aber ich sitze nicht da und starre alle an, das Klemmbrett und die Stoppuhr in der Hand. Ich versuche mich am Rand zu bewegen, aber noch innerhalb des täglichen Lebens. Manchmal teile ich meinen Besuch auch auf, um ein paar Stunden an einem Schultag und die anderen an einem Wochenende dabei zu sein, je nach den speziellen Problemen oder Belastungen der Familie.

Stellen Sie sich einen so durchschnittlichen Tag in Ihrer Familie vor und wie dieser auf einen Beobachter wirken würde. Welche Schwierigkeiten könnten auftauchen? Welche Phasen sind immer wieder aufreibend?

Ein oder zwei Tage nach meinem Hausbesuch treffe ich mich mit den Eltern. Wir beginnen die Nachbereitung mit einer für gewöhnlich sehr intensiven Diskussion über Familienwerte. Ich verstehe darunter die Vision des Paares von ihrer Familie, was die beiden sich vorgestellt haben, bevor die Kinder kamen. Dieser Blick zurück ist wichtig für sie, damit die Vorstellungen und Hoffnungen, die für sie am wichtigsten sind, wieder erweckt werden können. Sie werden die Eltern durch die vor ihnen liegende Arbeit führen.

Eines meiner Lieblingsfotos, das ich von meiner Frau gemacht habe, zeigt sie, als sie mit unserem ersten Kind schwanger war. Gedankenverloren sitzt sie in einem Schaukelstuhl. Sie dachte in diesem Moment eindeutig an die Zukunft. Alle Eltern haben Visionen, haben Träume, wie ihre Familie sein sollte. Wie haben Sie sich Ihre Kinder vorgestellt? Wie haben Sie sich selbst als Eltern vorgestellt? Zweifellos haben Sie daran gedacht, wie Sie erzogen wurden – was Sie genauso machen und was Sie auf jeden Fall vermeiden wollen.

Als Eltern gelingt es uns nicht oft, unsere Ideale auszuleben. Elternschaft ist kein Zuschauersport, sondern man steckt mittendrin. Wir mögen ja die Architektinnen und Architekten unseres täglichen Lebens als Familie sein, aber es ist schwer, Pläne für etwas zu machen, das ständig in Bewegung ist und wächst. Mit Kindern bleibt Ihnen nicht viel Zeit zum Träumen, und die meisten Eltern sind irgendwann überrascht, wie weit sie von den Träumen abgewichen sind, die sie einst für ihre Familie hegten. (Wer von uns wollte unbedingt das weiße Sofa? Und war nicht mal die Rede davon, eine Schublade nur für Spielsachen zu reservieren, in die sie auch immer wieder eingeräumt werden?)

Auch wenn einige Details unrealistisch waren, so hatten Ihre Träume über Ihre Familie große Bedeutung, und das ist immer noch so. Was Sie damals inspirierte, kann das auch heute noch. Es muss Sie sogar weiterhin inspirieren – Familien brauchen frische Infusionen mit Hoffnung und Fantasie. Es ist seltsam, wie wir überall nach Bedeutung suchen, als ginge es um etwas Neues und nicht um etwas, das wir bereits wissen und uns einfach nur ständig in Erinnerung rufen, erneuern und zurückerobern müssen.

Quite Simply:

Wie jede Art von Kunst brauchen auch Familien Inspiration, frische Infusionen mit Hoffnung und Fantasie.