Singende Worte - Barbara von Stryk - E-Book

Singende Worte E-Book

Barbara von Stryk

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Beschreibung

Ein poetischer Dialog aus Geschichten und Gedichten, welche den Zauber und die Schönheit der Sprache zum Erlebnis werden lassen und zugleich tiefe Einblicke in die vielen verschiedenen Wege und Umwege der Seele geben. Das alles ist eingebettet in eine unterhaltsame Rahmenhandlung in der eine pfiffige und sehr farbenfrohe Studentin einem berenteten Professor beim Umzug hilft und dabei einen überraschenden Fund macht.

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© 2021 Barbara von Stryk

ISBN Softcover: 978-3-347-48877-9ISBN Hardcover: 978-3-347-48882-3ISBN E-Book: 978-3-347-48883-0

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Für meine Kinder

Barbara Ziegler-Denjean, die ihren Geburtsnamen von Stryk als Pseudonym für lyrische Texte benutzt, hat ihr ganzes berufliches Leben der Sprache gewidmet. Nach einer Ausbildung zur Redakteurin bei der NRZ, studierte sie Sprachkunst und Schauspiel und arbeitete dann freiberuflich in Pädagogik, Therapie und Kunst, sowie in der Fort- und Ausbildung. Seit ihrem zwölften Lebensjahr schreibt sie Geschichten und Gedichte, und meint, es ist jetzt an der Zeit, ihre Schubladen zu leeren. Sie hat drei Kinder und lebt mit ihrem Mann in Süddeutschland.

Barbara von Stryk

Singende Worte

Eine Erzählung aus Geschichten und Gedichten

I

Er hatte sie sich ganz anders vorgestellt: irgendwie älter, kräftiger und, wie er bei sich mit einem leisen Anflug von Ärger bemerkt, irgendwie seriöser. Er schließt einen Moment die Augen, so geblendet ist er von der Farbenpracht, die da vor ihm steht. Der dicke Pullover, den sie trägt, spiegelt den ganzen Regenbogen. Das kurze, zerzauste Haar verdeckt nur teilweise eine giftgrüne Kappe und das Fahrrad, das sie mit der linken Hand hält und mit der Hüfte geschickt ausbalanciert, ist rosarot. Sie kämpft mit dem Gewicht eines übergroßen Rucksacks (leuchtend blau mit gelben Außentaschen), der auf dem Gepäckträger festgeschnallt ist und streckt ihm beherzt die rechte Hand entgegen. „Karen“, stellt sie sich vor und automatisch antwortet er mit „Konrad, angenehm“.

Er ist diesen lockeren Umgangston von seinen Studenten gewohnt, auch wenn er ihm selber immer fremd geblieben ist. Einen Augenblick überlegt er, ob er sie nicht gleich zur Universität zurückschicken und Ersatz von dort anfordern soll. Aber dann fällt ihm ein, dass die Semesterferien schon vor zwei Wochen begonnen haben und inzwischen alle Büros geschlossen sind, die Studentenvermittlung, an die er sich gewendet hat, sicher auch. Als er in ihre blauen Augen schaut, die klar und ein wenig amüsiert seinen Blick erwidern, fühlt er sich ertappt. „Ein Kobold“, denkt er, „aber doch nicht ohne Intelligenz. Und auch wohl nicht ganz so jung, wie gedacht“.

„Von wo kommen Sie denn jetzt“, fragt er, um etwas Zeit zu gewinnen. „Aus Berlin“, antwortet sie knapp. „Mit dem Fahrrad“, staunt er? Und sie mit einem Schulterzucken: „ich habe ja schon seit Ende Juli Ferien“. „Na, dann kommen sie mal mit, das Gartenhaus liegt gleich da drüben“. Sie gehen auf einem Plattenweg um das Gebäude herum und zwischen einigen Büschen hindurch. Es hat geregnet und Karen hat Mühe, das Rad an den Schnecken, die sich sofort auf den Weg gemacht haben, vorbeizuführen und nicht auszurutschen, als es den Hang hinaufgeht. Aber da steht es schon, das kleine Holzhaus. Schön ist es anzusehen, wie es sich unter den Obstbäumen in den Hang duckt. Auf den Seiten ist es fast gänzlich mit Efeu überwuchert, und die Eingangstür ist kaum zu sehen, weil die in voller Blüte stehenden Kletterrosen durch den Regen zu schwer geworden sind und sich die Ranken tief zur Erde neigen.

„Ich richte das morgen“, murmelt Konrad und schiebt einen Zweig zur Seite, um die Tür zu öffnen. Er zuckt zusammen, als von oben ein Schwall Wasser auf beide herunterspritzt. Aber Karen schüttelt sich nur. Sie hat das Rad an einen Baumstamm gelehnt und trägt jetzt den schweren Rucksack ins Haus. „Was haben Sie denn alles da drin“, erkundigt sich Konrad neugierig? „Bücher, natürlich“, lacht sie ihn an. „Nun“, schmunzelt Konrad, „davon gibt es hier aber mehr als genug. Das ist ja wie Eulen nach Athen tragen“. „Das ist mir klar“, antwortet Karen, „aber ich brauche gerade diese Bücher für meine Dissertation und ich streiche immer alles an“. „Naja“, meint Konrad etwas nervös. „Ich weiß nicht so recht, ob sie für ihre eigenen Arbeiten hier genug Zeit haben werden. Haben die Ihnen in der Uni nicht gesagt, dass es hier viel zu tun…“ Karen unterbricht ihn: „ich brauche nicht so viel Schlaf“, sagt sie, „keine Sorge, wir schaffen das schon.

Konrad ist im Begriff umzuziehen und hat dafür Hilfe angefordert. Seit 40 Jahren lebt er in diesem Haus und es ist voll mit einer Unmenge von Aufzeichnungen und angefangenen Manuskripten. Deshalb hat er nach einer kompetenten Germanistikstudentin gefragt, die ihm bei der Durchsicht helfen und auch die zum Teil sehr wertvollen Bücher seiner Bibliothek mit ihm durchgehen und katalogisieren sollte. So schwer es ihm fällt, sich von einigen seiner Schätze zu trennen: in seinem neuen Domizil am Bodensee, im Haus seines Sohnes, wird nicht genug Platz sein, um den Inhalt eines ganzen Lebens unterzubringen. Konrad hat viele Jahre als Geschichtsprofessor an der Münchener Universität unterrichtet und sich als Autor zahlreicher Geschichtswerke und Reiseberichte einen Namen im In- und Ausland gemacht. Eigentlich wäre ihm ein männlicher Helfer lieber gewesen. Aber vor zwei Jahren ist seine Frau verstorben und er hat insgeheim gehofft, dass ihm eine Studentin besser beim Ausräumen ihres Zimmers würde helfen könnte. Weder sein Sohn noch er sind bisher dazu in der Lage gewesen.

Während Konrad seinen Gedanken nachhängt, hat Karen sich in der Einzimmerwohnung umgeschaut. „Ich glaube, Sie haben hier alles, was Sie brauchen“, sagt Konrad und fügt hinzu, dass in der Küche auch einige Lebensmittel sind. „Jetzt kommen Sie erst einmal an. Morgen besprechen wir dann alles Weitere. Können Sie so um neun Uhr ins Haus kommen“? „Super“ antwortet Karen, und Konrad rechnet damit, dieses von ihm nicht sehr geschätzte Wort in den nächsten sechs Wochen noch des Öfteren hören zu müssen.

II

Als Karen am nächsten Morgen das Haus betritt, staunt sie nicht schlecht. Die großen, hellen Räume strahlen eine Gemütlichkeit aus, mit der sie bei Konrad, der ihr etwas kauzig und schroff vorgekommen ist, nicht gerechnet hätte. Ihr gefallen auch die überall gestapelten Papiere und die mit bunten Zetteln markierten Bücher. In dem großen Wohnzimmer ist viel Platz, obwohl die zahlreichen Regale, in denen Karin einige wertvolle Erstausgaben und Raritäten vermutet, gut gefüllt sind. Im Flur hat sie bereits einige Umzugskartons gesehen, aber obwohl überall Zeichen von Aufbruch und zugleich intensiver Arbeit sichtbar sind, wirken die Räume, durch die weiche, ein wenig abgewetzte Ledergarnitur und die schweren Teppiche wohnlich und warm. Seit jeher fühlt sich Karin wie magisch angezogen von allem, was mit Geschriebenem zu tun hat. Ihre kleine Studentenbude im Berliner Wedding sieht nicht viel anders aus, wenn auch die Teppiche und Möbel deutlich weniger gekostet haben.

Karen setzt sich auf das Sofa und beobachtet Konrad, wie er einige vorbereitete Listen und Aufkleber zusammensucht. „Die Bücher sind größtenteils alphabetisch geordnet“, erklärt er. „Aber ich brauche dringend eine Übersicht von allem, was sich hier angesammelt hat“. Er stellt eine Karaffe mit Wasser und zwei Gläser auf den Tisch und setzt sich neben sie, bevor er weiterspricht. „Nun, Sie sehen ja, wie viel hier herumliegt. Ich habe die Angewohnheit, manches in Heften, oder auch nur auf Zetteln zu notieren, was mir aber doch wichtig ist“. Und mit einem entschuldigenden Lächeln fährt er fort: „später stopfe ich es dann in irgendeine Schublade und vergesse es. Aber jetzt, wo ich nicht mehr unterrichten werde, will ich doch einiges davon ausarbeiten. Und dabei brauche ich ebenfalls Ihre Hilfe“. „Kein Problem“, sagt Karen und nickt zustimmend, als er die Arbeitsabläufe und Arbeitszeiten erklärt. „Super, dann mal los“.

Seite an Seite beginnen sie zu arbeiten und am Abend ist Konrad verblüfft, wie gut sich Karen in alles hineindenken kann, und wie schnell ihr die Arbeit von der Hand geht. Schon sind die lange vermissten Aufzeichnungen seiner Asienreise aufgetaucht und Karen hat ein System vorgeschlagen, in dem die verschiedenen Unterlagen thematisch zusammengefasst werden können.

Nach der ersten Woche haben sich die vielen Stapel schon deutlich gelichtet. Karen arbeitet sehr selbstständig, so dass Konrad ungestört an seinem neuen Buch schreiben kann. Jeden Abend besprechen Sie die Ergebnisse des Tages und klären die anfallenden Fragen. Der Einfachheit halber gehen sie in der zweiten Woche zum Du über und Konrad hat sich an Karens Vorliebe für bunte Farben gewöhnt. Heute trägt sie eine gewagte Kombination aus Rot und Violett. Er ist dankbar für die Hilfe dieser zierlichen Person, die ihm da ins Haus geschneit ist. Und er schätzt auch ihre Schweigsamkeit.

Für den Samstag am Ende der zweiten Woche hat er sie zum Essen eingeladen, auch um etwas mehr über sie zu erfahren. Aber geschickt bringt Karen dann erst einmal ihn dazu, über sich zu berichten. „Ich mag deine Bücher“, fällt sie gleich mit der Tür ins Haus, kurz nachdem sie sich in der Gaststätte am Rand des Englischen Garten niedergelassen haben. „Ich habe fast alle gelesen“. Konrad ist überrascht, erfährt aber dann, dass sie neben Germanistik auch Geschichte studiert hat. „Deine Reisebücher liebe ich allerdings besonders“, fährt sie fort. „Da schreibst du irgendwie viel menschlicher und manchmal fast poetisch“. „Menschlicher“, hakt Konrad nach? „Kann man denn auch unmenschlich schreiben“? Karen sucht nach Worten: „die Sachbücher müssen sich auf Fakten beschränken. Da ist kein Platz für Fantasie oder Seele“.

Versonnen blickt Konrad eine Weile vor sich hin, bis seine Augen drei Jugendliche einfangen, die laut lachend über die Wiese laufen und denen er hinterher schaut. „So etwas ähnliches hat meine Frau auch immer gesagt“, sagt er dann. Karen spürt die nachdenkliche Traurigkeit, die jetzt plötzlich in der Luft liegt und fährt behutsam fort: „ohne Fantasie und Seele ist doch die Sprache nicht wirklich lebendig. Ich mag es, wenn der ganze Mensch zu spüren ist und nicht nur seine Gedanken. Aber in der Fachliteratur geht das natürlich nicht“, endet sie mit leisem Bedauern und nippt an ihrem Bitter Lemmon. „Deshalb mag ich auch Gedichte“, gesteht sie dann, „aber leider nichts zu machen. Klappt bei mir irgendwie nicht. Ich fände es super, wenn ich alles in Versen oder so ausdrücken könnte“.

Konrad überlegt automatisch, ob es ein Reimwort auf „super“ gibt, aber ihm fällt nichts ein. „Das überrascht mich jetzt, ich hatte dich nüchterner eingeschätzt. Glaubst du, dass Gedichte überhaupt noch in unsere Zeit passen“, fragt er? „Schwer zu sagen“, meint Karen, „aber ich denke, es tut gut, das, was einem auf dem Herzen liegt, ins Bild zu bringen und sozusagen dann auch vom Herzen aus und nicht nur mit dem Kopf anzuschauen. Ich glaube, wir verlieren etwas, wenn wir so gar nicht mehr poetisch sein können“.

Konrad merkt, dass sie sich ein wenig schämt über diese Offenheit und schnell tröstete er sie: „da hast du einen guten Bundesgenossen in dem Dichter Novalis. Irgendwo in seinen Fragmenten spricht er davon, dass alles, auch das ganz alltägliche Leben wieder poetischer werden müsse“.

„Wirklich“, strahlt Karen auf und beschließt, sich sofort näher mit Novalis zu beschäftigen.

„Aber“, knüpft sie noch einmal an den Anfang des Gespräches an: „da du doch im Gegensatz zu mir schreiben kannst, hast du es nicht manchmal mit etwas anderem versucht? Mit einem Roman, oder Geschichten, oder“, wagt sie sich nun doch weiter vor „gibt es da vielleicht doch eine geheime Schublade mit Gedichten von dir“? Entschieden weist Konrad diese Unterstellung zurück. Aber beim Dessert gibt er sich einen Ruck und gesteht, dass er sich an einigen kleinen Geschichten und Erzählungen versucht hätte. „Nichts Besonderes“, meint er, aber wenn sie wolle, könne er sie ihr einmal zeigen“. Karen strahlt: „na also, geht doch“, trumpft sie auf und fügt noch ein „super“ hinzu, bevor sie ihre Tasche nimmt und sich zum Gehen bereit macht.

III

Einige Tage arbeiten sie ruhig nebeneinander her. Sie haben einen Arbeitsrhythmus gefunden, der jeden zufrieden stellt und die Bücher sind größtenteils aussortiert und in Kisten verpackt. Konrad will am Wochenende nach Marburg fahren, wo er einem Kollegen und Freund aus Studienzeiten den größten Teil der Bücher, von denen er sich trennen muss, übergeben will. Karen hofft jeden Tag aufs Neue, dass Konrad ihr seine Erzählungen zu lesen gibt. Schließlich spricht sie ihn darauf an und er tut so, als hätte er es vergessen. Aber sie merkt, wie peinlich ihm das Ganze ist.

Als Konrad jedoch aufbricht, hält er einen großen braunen Umschlag in der Hand, den er ihr überreicht: „also hier sind sie“, sagt er wie nebenbei, „wie gesagt, nichts Außergewöhnliches, aber du wolltest sie ja lesen“. Dann verabschiedet er sich schnell für die nächsten beiden Tage und Karen zieht sich erst einmal einen weiteren Stapel Unterlagen heran, die durchgesehen werden müssen. Zu gerne würde sie gleich den Umschlag öffnen und zu lesen beginnen, aber sie nimmt sich vor, ihre Ungeduld zu bezähmen und bis zum Abend zu warten.

Da es am Tag sehr warm gewesen ist, macht es sich Karen abends auf der Terrasse vor dem großen Haus gemütlich. Nachdem sie ein Brot gegessen hat öffnet sie endlich den Umschlag, der gefüllt ist mit vielen verschiedenen Papieren in unterschiedlichen Farben und Größen. Teilweise sehen sie arg mitgenommen aus, sind fleckig oder auch zerknittert. Es gibt sogar einige Papierservietten, die von einer rostigen Büroklammer zusammengehalten werden. Aber alles ist beschriftet, wenn auch nicht immer in fortlaufenden Zeilen, denn manchmal verläuft die Schrift auch um die Ränder der Zettel und Seiten herum. Sorgfältig sieht Karen die Manuskripte durch und ordnet sie dann auf dem Gartentisch nach den verschiedenen Überschriften, so dass jeder Papierstapel eine Geschichte ergibt. Jetzt erkennt sie auch, dass Konrad wohl die meisten Erzählungen geschrieben hat, wenn er auf Reisen war. Sie bemerkt die Briefköpfe verschiedener Hotels und auf den Servietten Worte in griechischen Buchstaben. Ganz zuunterst stößt sie auf einen Bierdeckel aus Litauen, der mit verschiedenen Vorschlägen für Überschriften überzogen ist.

Karen greift zu einer Geschichte und beginnt zu lesen. Glücklicherweise kann sie die Schrift von Konrad meistens gut entziffern und bald versinkt sie im Rhythmus der Texte und Bilder. Es sind ungewöhnliche Geschichten findet sie. Keine Reiseberichte, sondern Stimmungsbilder, die nun wie kleine, aus Sprache gewebte Teppiche vor ihr liegen und in ihrer Seele einen ganz besonderen Nachklang haben. Manche Geschichten liest sie gleich mehrmals, so nahe gehen sie ihr und sie denkt, dass sie recht gehabt hat mit der Vermutung, dass in Konrad mehr steckt, als in seinen Geschichtsbüchern.

Es ist spät geworden, und Karen sammelt die Geschichten sorgfältig wieder ein und trägt sie in ihr Zimmer. Sie beschließt, ohne Konrad zu fragen, alle abzuschreiben, weil sie es schade findet, sie in so einem Durcheinander zu belassen. Sie würde die Erzählungen auch allzu gerne anderen Menschen zeigen und sich mit ihnen darüber austauschen. Sie stellt schon einmal ihren Laptop bereit und freut sich, dass sie am Wochenende alleine ist und etwas Zeit hat.

Müde geht sie schließlich ins Bett und die Farben und Klänge der gelesenen Texte begleiten sie bis in ihre Träume. Im Schlaf sieht sie Konrad vor sich, der ein Kleid aus vielen bunten Buchstaben trägt.

IV

Obwohl Karen mit dem Abschreiben der Texte viel zu tun hat, wartet sie ungeduldig auf Konrads Rückkehr. Zu gerne möchte sie mit ihm über die Geschichten sprechen und erfahren, warum sie so anders sind, als seine Bücher und warum er sie so versteckt hält. Als sie am Sonntagabend seinen Wagen hört, und später Licht im Wohnzimmer sieht, läuft sie hinüber und klopft an die Terrassentür. Kurz darauf wird diese von einem gut gelaunten Konrad geöffnet. Er hat die Tage mit seinem Freund genossen und freut sich, jetzt noch ein wenig mit Karen zu plaudern. Zum ersten Mal wagt er es sogar, auf ihre farbenfrohe Kleidung anzuspielen und tut, als wäre er von der Kanarienvogel-gelben Hose und dem leuchtend orangenen Top geblendet. „Ich dachte die Sonne wäre schon untergegangen“, witzelt er, „aber da ist sie ja wieder“. Er bittet Karen herein und erzählt von seinen Erlebnissen. „Du hast hier ja ordentlich etwas weggeschafft“, lobt er sie, „wie es aussieht, liegen wir gut in der Zeit“. Und dann fragt er, ob sie sich vorstellen könne, ihm in der letzten Woche zu helfen, das Zimmer seiner verstorbenen Frau auszuräumen. „Die persönlichen Sachen, und die Unterlagen aus ihrem Schreibtisch habe ich natürlich schon zu mir genommen. Aber wenn du nach den Kleiderschränken und der Kommode schauen könntest? Das habe ich irgendwie bisher nicht fertiggebracht. Eigentlich sollst du alles nur in Tüten stecken, das Rote Kreuz wird sie dann abholen. Und eben schauen, ob in den Taschen noch irgendetwas von Bedeutung ist“.

Karen wittert gleich eine Chance, auf diese Weise Konrad dazu zu bewegen, mit ihr über seine Geschichten zu sprechen. Sie stimmt also zu und bittet dann: „Du weißt ja, dass ich deine Erzählungen gelesen habe und hast dir sicher schon gedacht, dass ich Näheres darüber erfahren möchte. Wenn ich dir also mit den Sachen von deiner Frau helfen soll, dann hoffe ich, dass du dich weniger zugeknöpft zeigst, als bisher. Ich möchte allzu gerne wissen, warum du diese Texte meistens geschrieben hast, wenn du auf Reisen warst und warum du sie so versteckt hältst, als ob du dich ihrer schämen müsstest. Ich finde, dass du da etwas Besonderes geschrieben hast und es wäre sehr schade, wenn du das alles weiterhin in dem alten Umschlag versteckt hältst. Ich fände es furchtbar, wenn du ihn zum Beispiel einmal aus Versehen wegwerfen würdest“.