Single All the Way. A Christmas Roadtrip (Weihnachtliche Romance voll intensiver Gefühle) - Stefanie Hasse - E-Book

Single All the Way. A Christmas Roadtrip (Weihnachtliche Romance voll intensiver Gefühle) E-Book

Stefanie Hasse

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Beschreibung

Ein Christmas-Roadtrip mit Zwillingen: Der eine hat dein Herz gebrochen. Mit dem anderen teilst du ein großes Geheimnis. Samantha liebt Weihnachten mit allem, was dazugehört. Vor allem die Abende vor dem Kamin ihres Elternhauses in Aspen. Als sie sich auf den Weg von der San Francisco University nach Hause machen will, legt ein Schneesturm die Westküste lahmlegt – ebenso wie ihr Auto. Nun gibt es nur eine Möglichkeit heimzukommen: Eine Mitfahrgelegenheit bei Tristan Sterling und seinem Zwillingsbruder. Doch Tristan ist der Letzte, bei dem Sam mitfahren will. Denn der Bad Boy hat ihr vor Jahren das Herz gebrochen. Noch mehr Weihnachtsromantik gibt es hier: "Christmas at Tiffany's" von Greta Milán "Snowflakes All Around Us" von Sarah Saxx "Make My Wish Come True" von Jana Schäfer

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Seitenzahl: 439

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2024 Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

© 2024 Ravensburger Verlag GmbH Copyright © 2024 by Stefanie Hasse und Stella Tack Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München, sowie durch die Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de). Covergestaltung: Romy Pohl unter Verwendung von Fotos von Shutterstock (Hein Nouwens, Anastasiia Vasylyk, sergio34, Caso Alfonso und BlackWhiteMouse Design) Lektorat: Franziska Jaekel Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-473-51243-0

ravensburger.com

Für Jennifer Benkau

… die Weihnachten hasst, vor allem Weihnachtsbücher, weshalb wir dieses Weihnachtsbuch geschrieben haben, um es ihr zu widmen, damit sie es lesen muss.

Stell dir vor, wie wir in unserer lamettaverseuchten Bude hocken, Last Christmas blasten, mit Punsch anstoßen und uns darüber kaputtlachen, dass du das hier lesen musst.

Frohe Weihnachten!

Stelli und Steffi

Sams ultimative Christmas-Playlist

Like It’s Christmas – Jonas Brothers

Christmas EveL – Stray Kids

Snowman – Sia

Wrap Me Up – Bellah Mae

God Rest Ye Merry Gentleman – Lindsey Stirling

Snow Day – Caitlyn Smith

Ho Ho Ho – Sia

All I Want (For Christmas) – Zoe Wees

The Bitch Who Stole Christmas – Boys World

Once A Year – Ingrid Andress

This Year – Confetti (feat. gnash)

Snowglobe – UPSAHL

Santa Baby – Ariana Grande

It’s Beginning to Look a Lot Like Christmas – Michael Bublé

Blue Christmas – Elvis Presley

Santa’s Coming for Us – Sia

You’re a Mean One Mr. Grinch – Jim Carrey

Run Rudolph Run – Chuck Berry

Little Saint Nick – The Beach Boys

Let it Snow! – Dean Martin

Christmas Day – Exo

Butter (Holiday Remix) – BTS

Samantha

»Sie … Sie verstehen das nicht. Bitte, ich muss an Weihnachten zu Hause sein. Es ist ein absoluter Notfall!« Wild gestikulierte ich mit meinen Wollhandschuhen, an denen kleine Glöckchen bimmelten, was den Mann vor mir jedoch kein Stück beeindruckte. Im Gegenteil. Die Falten zwischen seinen massigen Augenbrauen vertieften sich nur. Er verengte seine Augen, bis sein unteres Lid pochte. Mir kroch unterdessen die Kälte durch Schuhsohlen und Socken, weil ich seit über einer Stunde im knöcheltiefen Schnee auf den Pannendienst gewartet hatte – und jetzt kam der Typ mir so. Also versuchte ich zu erklären: »Meine Schwester hat sich das Bein gebrochen und nur wenn ich jetzt sofort nach Hause fahre, kann ich Weihnachten retten.«

Noch während ich es aussprach, stellte ich fest, wie schräg das klang. Wie der typische Spruch in einem Weihnachtsfilm.

Am vibrierenden Schnurrbart meines Gegenübers konnte ich erkennen, wie sehr ich an seinem Geduldsfaden zerrte. Mir ging es nicht anders.

»Argh!«, ließ ich meine Wut, die Enttäuschung, die Hoffnungslosigkeit und was sich sonst noch angestaut hatte, heraus. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, aber das süße Klimpern der Glöckchen machte den Versuch komplett zunichte, ein bisschen von meinem Ärger zu zeigen, um dem Typen klarzumachen, wie wichtig mir die Fahrt nach Hause war, wie überlebenswichtig für meine Familie. Dank Josies Verletzung konnte sie nicht in der Konditorei arbeiten und das Geschäft rund um Weihnachten war doch die umsatzstärkste Zeit des Jahres.

Anstatt den Typen zu beeindrucken, schmolz seine finstere Miene bei meinem Ausbruch dahin und er hob beschwichtigend die Hände. »Miss, es tut mir wirklich leid.« Seine Stimme wurde immer sanfter, als wollte er ein verängstigtes Kind beruhigen. »Sie müssen verstehen, dass wir mit all den schneebedingten Verkehrsunfällen und dem Fremdstarten von gefühlt jedem Auto in der Stadt genug zu tun haben. Wir haben niemanden in der Werkstatt, der sich Ihren Wagen ansehen könnte. Ich kann wirklich nichts für Sie tun.«

Sein Mitleid war ihm anzusehen. Ich hatte diese verdammte Wirkung auf andere. Meine nicht gerade herausragende Größe von eins sechzig hatte schon immer Beschützerinstinkte geweckt, aber mit dem Glitzerrentiergeweih auf meiner Weihnachtsmütze und den Glöckchen an den Fäustlingen war ich in den Augen meines Gegenübers wohl auf Kleinkindniveau geschrumpft.

Der Klingelton seines Handys machte den Effekt wieder zunichte. Bevor er das Gespräch annahm, warf er mir noch einen letzten Blick zu. »Sie sollten den Zug oder einen Flug nehmen, wenn Ihnen Weihnachten so wichtig ist.«

Am liebsten hätte ich aufgelacht. Der Typ hat doch sicher mitbekommen, dass das Schienensystem tiefer eingefroren war als je zuvor in der Geschichte – so stand es zumindest in der Broadcast-Message zum Schneesturm, der die gesamte Westküste gerade in Santas Winterwonderland verwandelte. Der Zug nach Aspen war schließlich mein Plan A gewesen. Sein anderer Vorschlag kam nicht infrage und ehe ich mich zurückhalten konnte, sprach die Umweltwissenschaftlerin aus mir.

»Sie wissen, dass der CO2-Ausstoß eines einzigen Flugzeugs so hoch ist wie der meines Autos in einem ganzen Jahr?«

Der Mann blinzelte mich nur an. Vermutlich wusste er es. Wie jeder vernünftig denkende Mensch auf dem Planeten. Trotzdem hatte er keinen anderen Vorschlag. Kurz überlegte ich, das kalte Herz des Mechanikers vom Pannendienst mit selbst gebackenen Plätzchen oder Let it Snow aus meinen Handylautsprechern zu erweichen, aber sein grinchmäßig genervter Ausdruck war nur allzu deutlich. Mit Weihnachtsstimmung hatte der Typ so viel am Hut wie ich mit der Reparatur eines im Schneechaos dahingeschiedenen Kühlsystems. Wir waren in Kalifornien, verdammt. Wer hätte denn erwartet, dass ausgerechnet heute, nach … keine Ahnung wie vielen Jahren, wieder Schnee fallen würde?

Ich, erwiderte meine innere Stimme. Schließlich war das durchdrehende Klima der Grund, warum ich mich nach dem Grundstudium in Colorado für ein Stipendium an der University of San Francisco beworben hatte, um mit meiner Fachrichtung aktiv etwas gegen den Klimawandel unternehmen zu können. Aber musste es gleich tonnenweise Schnee sein?

Ich liebte weiße Weihnachten, bin in Aspen damit aufgewachsen, aber für mein Auto war es offenbar der Todesstoß. Gestorben kurz vor den Feiertagen. Rest in peace, Auto. Der Typ knallte die Motorhaube zu und floh zu seinem Truck, seine Schritte knirschten im festen Schnee. »Frohe Weihnachten«, murmelte er noch kurz über die Schulter, bevor er einstieg.

O ja, Weihnachten würde perfekt werden.

Das Zimmer meiner Mitbewohnerin und mir hatte bis heute Morgen Santas Dorf geglichen, ich hatte Liza und mir Plätzchen gebacken, sogar Eisblumen an die Fenster gesprüht – die dank des absolut unerwarteten Schneesturms jetzt gar nicht mehr nötig wären – und ihr einen meiner liebsten Weihnachtspullis geschenkt. Und Liza? Sie hatte sich offenbar mit derselben gruseligen – und besorgniserregenden – Krankheit angesteckt, die auch meine Eltern in diesem Jahr gepackt hatte: eine »Weihnachtsallergie«, wie meine Schwester Josie mir geschrieben hatte – direkt nach der Horrornachricht, dass sie vor über einer Woche ausgerutscht war und sich das Bein gebrochen hatte. Ich war in Kalifornien und nicht aus der Welt. Dass sie mich nach der Verletzung nicht direkt informiert hatten, war schon schlimm genug. Dass Mom Weihnachten übergehen wollte, war Horror pur.

Meine Mom war bisher immun gegen jede Form von Weihnachtsallergie gewesen, weshalb ich ganz sicher war, sie heilen zu können. Sofern ich es irgendwie schaffte, die Weihnachtsstimmung, die ich spontan in den Kofferraum meines Wagens geworfen hatte, mitsamt dem Plätzchenduft nach Aspen zu verfrachten. Wie wichtig meine Anwesenheit war, hatte mir Josies letzte Nachricht gezeigt: Hier gibt es nicht einen einzigen Tannenzweig, keine Misteln über der Tür und einen Baum hat Dad auch noch nicht besorgt.

Das war einfach unmöglich! Ich war im Sommer ausgezogen und hatte zum ersten Mal vorgehabt, Weihnachten nicht zu Hause zu verbringen, um meinen CO2-Fußabdruck so gering wie möglich zu halten, und schon war alles verloren? Verdammt! Ich öffnete den Kofferraum, starrte auf das Meer aus Rot, Grün und Glitzer, das bis vor einer Stunde in unserem Wohnheimzimmer verteilt gewesen war, und verfluchte das Schicksal, das mir erst Hoffnung auf Weihnachten mit der Familie gemacht und dann den Mittelfinger gezeigt hatte – als mich eine Ladung Schnee im Nacken traf. Ich war kurz davor, zum Stamm des verfluchten Baums über meinem Auto zu rennen und so lange dagegenzutreten, bis kein bisschen Schnee mehr auf seinen Ästen lag, mit dem er mich verhöhnen konnte. Die Wut auf das Wetter, auf den Pannendiensttypen, der gerade mit seinem Truck im Schneckentempo um die Ecke fuhr, und auf alles andere kochte in mir hoch. Um den Druck loszuwerden, schlug ich auf die Girlanden im Kofferraum ein. Glitzer stob auf und ich musste niesen. Was es nicht besser machte.

In exakt diesem Moment hörte ich ein Lachen, das mich endgültig an meinem Karma zweifeln ließ.

»Ich habe ganz vergessen, wie verdammt niedlich du bist, wenn du deine Beherrschung verlierst, Grey!«

Ich hätte mindestens zehn Baumstämme gebraucht, gegen die ich treten konnte, um mich am Schicksal zu rächen, das mir aus über zehntausend Studierenden an der USF ausgerechnet Tristan vorbeigeschickt hatte. Tristan Sterling, der mit den Händen in seinen Manteltaschen amüsiert mitten im Schnee stand, als würde er für einen Werbespot posieren. Sein Schal war ungefähr so lang wie die Strecke bis in unsere Heimatstadt und verdeckte sein halbes Gesicht. Aber natürlich nicht das dämliche Grinsen, das ich schon immer an ihm gehasst hatte. Bei allen Weihnachtselfen, womit hatte ich das verdient?

Tristans ultimative Männer-Roadtrip-Playlist

Born to Be Wild – Steppenwolf

Highway to Hell – AC/DC

Carry on Wayward Son – Kansas

Paranoid – Black Sabbath

Paradise City – Guns N’ Roses

Eye of the Tiger – Survivor

Back in Black – AC/DC

Smoke on the Water – Deep Purple

Sweet Child O’ Mine – Guns N’ Roses

Enter Sandman – Metallica

Run to the Hills – Iron Maiden

Rock You Like a Hurricane – Scorpions

Killing in the Name – Rage Against the Machine

Last Resort – Papa Roach

T.N.T. – AC/DC

Knockin’ on Heaven’s Door – Guns N’ Roses

Poison – Alice Cooper

Für melancholische Momente:

Nothing Else Matters – Metallica

Bitter Sweet Symphony – The Verve

Wrecking Ball – Miley Cyrus

Tristan

»Ey, Tristan, pennst du wieder? Wenn wir nicht bald losfahren, kommen wir erst nach Weihnachten an und dann enterbt uns Grandma.«

Ich glaubte, ich knurrte. Nein, ich war mir ziemlich sicher, dass ich knurrte. Und ich war blau as fuck.

Das Klirren leerer Gläser, die zur Seite geschoben wurden, schnitt kurz und qualvoll in mein Hirn.

»Hey, Tris! Wach auf, Mann!«

Plötzlich war da Licht, ganz schreckliches Licht!

»Mach die Vorhänge zu!«, blaffte ich, doch anstatt meinem Befehl Folge zu leisten, lachte der Kerl – der leider mit mir verwandt war – nur auf und zog die Vorhänge noch weiter auseinander. Die Federn meiner Wohnheimmatratze quietschten, als sich ein schweres Gewicht auf mein Bett warf.

»Du siehst echt scheiße aus! Wo ist Corry?«

Er meinte Corry Digginson, meinen Mitbewohner. Er hieß wirklich so und zu seinem Pech roch er auch noch nach Käsefüßen.

»Schon seit gestern weg«, nuschelte ich in mein Kissen und atmete den Geruch nach Bier und meinem eigenen Sabber ein. Immer noch besser als Corrys Käselatschen.

»Alles klar und was an ›Besauf dich nicht, damit du morgen fahrtüchtig bist‹ hast du gestern nicht verstanden?«, fragte mein Bruder.

Er klang nicht sauer. Nick war eigentlich niemals sauer. Das Schlimmste, was man von ihm bekam, war höchstens die genervte Augenbraue. Er gehörte zu den Menschen, die alle mochten, die immer die besten Noten hatten, freiwillig Blut spendeten und alten Omas über die Straße halfen.

Trotzdem schwang in seinem Ton etwas mit, das mich dazu motivierte, mein Gesicht vom Kissen hochzuhieven und ihn anzustarren. Vor mir saß mein exaktes Ebenbild: schwarzes Haar, tiefblaue Augen, eine für Kalifornien viel zu blasse Haut. Es gab jedoch einen feinen Unterschied. Meine bessere Hälfte sah aus, als hätte er eine Einladung von der Queen höchstpersönlich. Mit seinem geschniegelten blauen Lacoste-Pullover, den schwarzen Lackschuhen und dem schicken Mantel war mir sein Aufzug fast schon peinlich. Er sah aus wie der perfekte Adelsspross der Familie. Fehlte eigentlich nur noch ein Namensschild, auf dem Count Nicholas Silvester Sterling stand. Es wunderte mich halb, dass er nicht mit einer Teetasse und einem Scone vor mir saß. Dennoch wussten wir beide, dass ich viel beschissener aussah.

»Ich bin fahrtüchtig!«, behauptete ich mit etwas Verspätung.

Nick rümpfte die Nase. »Das glaube ich erst, wenn dein Atem nicht mehr riecht wie eine Brauerei. Solange übernehme ich die Autofahrt. Zur Strafe darfst du aber die Karre freischaufeln.« Es klimperte, als er die Schlüssel meines Impalas auf das Kopfkissen warf.

»Freischaufeln?«, fragte ich irritiert.

Nick deutete schwungvoll nach draußen. »Über Nacht gab es einen Schneesturm mit über dreißig Zentimetern Neuschnee. Wenn wir den Wagen zum Laufen kriegen, können wir das als Weihnachtswunder verbuchen.«

»Wir sind in San Francisco, Kalifornien, da gibt es keinen Schnee«, knurrte ich und linste nach draußen. Scheiße, er hatte recht. Es war alles weiß. Unnatürlich weiß.

Nick zuckte mit den Schultern. »Wir sollten uns beeilen, von hier wegzukommen. Die Leute werden sich auf der Straße wegen des Schnees wie die Deppen benehmen. Wenn wir nicht im Stau stehen wollen, müssen wir jetzt los, Tris.«

»Stress nicht so! Wir können auch später los …«, setzte ich an, doch Nick unterbrach mich mit einem scharfen Blick.

»Nein, wir können nicht später los! Zieh dich an und schaufle den Wagen frei. Ich komme gleich nach.«

Ich ließ mein Gesicht zurück ins Kissen fallen und murmelte etwas, das mit »Okay« oder auch »Fick dich« interpretiert werden konnte.

Nick lachte nur und begann, ziemlich laut und dezent disharmonisch Jingle Bells zu summen, während er mein Zimmer verließ. Ich brauchte ganze zehn Minuten, um mich von dem Lied zu erholen.

Sollte er darauf bestehen, die ganze Fahrt nach Aspen Weihnachtslieder zu trällern, würde ich ihn aufs Autodach schnallen. In diesem Jahr hatte ich die Planung des Roadtrips in die Hölle – ich meinte nach Hause – akribisch und dezent geplant, mit einer einzigen Ausnahme, die Nick sich hatte aussuchen dürfen, weil ich 3G war: großzügig, großartig und großmütig.

Davon abgesehen würde ich mir diesen Trip nicht vermiesen lassen. Das bedeutete keine Weihnachtslieder, kein Glitzer, Zuckerstangen nur, wenn sie als Sextoy benutzt wurden, und Kakao prinzipiell nur mit sehr viel Alkohol!

Gähnend rollte ich mich aus dem Bett, tapste durch den klebrigen Wohnheimflur, grüßte beiläufig ein paar Studenten die mir genauso blau entgegenkamen, und genehmigte mir eine schnelle Dusche, um den Mief abzubekommen, den eine durchzechte Nacht leider mit sich brachte. Als ich unter dem kalten Wasserstrahl stand, starrte ich irritiert auf ein paar goldene Lamettafäden, die gluckernd neben meinen Füßen im Abfluss verschwanden. Wo zum Teufel kamen die denn her?

Die vage Erinnerung an ein blondes Mädchen mit goldenem Lametta im Haar ploppte in meinem Gedächtnis auf. Okay, das Lametta kam von ihr, aber wie war es in meinen … egal. Ich würgte den Gedanken ab, stellte die Brause ab, torkelte nur mit einem Handtuch um die Hüfte zurück in mein Zimmer und schmiss mich in die erstbesten Klamotten, die meinen Weg kreuzten: ein schwarzer Pullover, der aus unerfindlichen Gründen auf dem Schreibtisch gelandet war, und eine schwarze Jeans, die ich unter meinem Bett fand. Dazu kamen zwei verschiedene Socken, eine rot und eine blau, wobei die blaue roch, als hätte sie genauso viel gesoffen wie ich.

Was ich für den Roadtrip und die nächsten Tage in Good-old-hell-and-hometown-Aspen benötigte, wischte ich mit einer großzügigen Armbewegung aus meinem Schrank in meine Sporttasche. Einmal quer durch, also einmal von allem etwas drin. Perfekt.

Kurz ließ ich den Blick über das Chaos im Zimmer schweifen und beschloss, mich im neuen Jahr zum Aufräumen zu motivieren. Die leeren Bierdosen und Pizzakartons liefen schon nicht weg.

Einen Song von Metallica summend, warf ich mir Mantel und Schal über – das Geschenk einer Ex-Freundin aus Aspen. Eigentlich behielt ich keine Geschenke von Mädchen, mit denen ich mal was hatte, aber Rosie war eine der wenigen Ausnahmen, mit der ich noch Kontakt hatte. Und der Schal war einfach geil. Ich hasste die Kälte und das Wollteil war so gigantisch, dass ich mich darin nackt einwickeln könnte und warm bleiben würde.

Im Hinausgehen schnappte ich mir noch einen halb vollen Energydrink, checkte kurz, ob keine Kippe oder etwas anderes Ekliges darin schwamm, und schlürfte ihn auf ex, während ich mit der Tasche über der Schulter die Treppen des Wohnheims nach unten polterte. Auf dem Weg begegneten mir wieder einige Kommilitonen, die mit ihren Koffern ebenfalls dabei waren, über die Feiertage die Biege zu machen. Morgen würde der Campus wie ausgestorben sein. Nur einige wenige blieben hier, um das Weihnachtsgrauen in ihren Zimmern auszustehen. Die Glücklichen! Wenn Nick mich nicht jedes Jahr nach Hause schleppen würde, wäre ich die nächsten zwei Wochen wahrscheinlich nur aufgestanden, um mir Pizza zu holen. Ein paar Mädels, darunter auch einige von der Weihnachtsparty gestern, standen im Gemeinschaftsraum und grinsten mich an.

»Hey, Tris«, grüßten mich die Golding-Zwillinge und ich zwinkerte ihnen zu. Wie lange versuchte ich jetzt schon, Nick zu einem Vierer zu überreden? Mein Bruder meinte jedoch, er würde lieber von der Golden Gate Bridge springen, als jemals neben mir oder rund um mich herum Sex zu haben. Tja, ich glaubte ihm. Und egal, was ich manchmal behauptete, ich wollte kein Einzelkind sein. Im Hinausgehen warf ich die leere Dose in den Müll und drückte mit der Schulter die Tür auf.

Heilige Scheiße!

Es. War. Arschkalt.

Die Gänsehaut schoss mir so rasant über meinen Rücken, dass ich für einen kurzen Augenblick wie festgefroren dastand und nur mit den Zähnen klappern konnte.

Der Anblick, der sich mir bot, war einmalig, obwohl ich bereits im fünften Semester an der USF studierte. Klar, hier konnte es schon mal knackig kalt werden und wegen des ständigen Nebels, der durch die Stadt waberte, konnte es auch mal frieren, aber Schnee hatte ich in San Francisco noch nie gesehen. Schon gar nicht so viel. Als wäre die gute alte Frau Holle Amok gelaufen, begrub eine dicke weiße Decke den gesamten Campus unter sich. Die Bäume, die ihr Laub nicht völlig verloren hatten, bogen sich ächzend unter der Last und immer wieder sah ich Schneebrocken von den Dächern rutschen und mit einem nassen Platschen aufkommen.

Studierende standen in Grüppchen herum, lachten, tranken aus dampfenden Thermoskannen oder bewarfen sich mit Schnee. Einige bauten sogar einen Schneemann. So viel war hier normalerweise nur zu Semesterbeginn los, wenn alle noch hoch motiviert waren. Ein Schneeball segelte so knapp an meinem Gesicht vorbei, dass ich die Kälte praktisch fühlen konnte. Ich musste nichts sagen, nur finster gucken und sofort schallte ein »Sorry, Tris« quer über den Campus.

Ich grinste in mich hinein. Manchmal hatte es doch Vorteile, einen gewissen Ruf zu besitzen. Ab sofort schienen die Schneebälle einen großen Bogen um mich herum zu machen, sodass ich in Ruhe über den Hof gehen konnte. Die Parkplätze lagen zum Glück gleich neben dem Wohnheim, wo das Unigelände beinahe nahtlos an den Golden Gate Park anschloss. Das Wohnheimzimmer kostete für die knappen sechzig Quadratmeter zwar ein halbes Vermögen, doch der dazugehörige Parkplatz war es allemal wert. Ich schlenderte an einem Baum vorbei, an dem es irgendwann in den Neunzigern zur Tradition geworden war, dass Studierende ihre alten Converse in die Äste warfen, was im Sommer vielleicht ganz witzig aussah. Aktuell wirkten die baumelnden abgeranzten Latschen an den kahlen Ästen eher wie eine bizarre Lichtergirlande. Als ich gerade unter einem Ast durchging, rutschte etwas kalter, nasser Schnee ab und klatschte mir zielgenau in den Nacken. Fluchend schüttelte ich mich wie ein Hund, während im selben Augenblick eine ziemlich schrille Stimme ausstieß: »Sie … Sie verstehen das nicht. Bitte, ich muss an Weihnachten zu Hause sein. Es ist ein absoluter Notfall!«

Ruckartig hielt ich inne und sah auf. Obwohl mir immer noch Schnee in den Nacken tropfte, musste ich grinsen. Die Stimme kannte ich doch. Ich schüttelte den letzten Rest Schnee ab und lugte um den Baum. Da war sie tatsächlich. Samantha Grey.

Sie stand vor ihrer alten Schrottkarre und redete so schnell und hektisch auf einen Mann vom Pannendienst ein, dass ihre Hände praktisch in der Luft verschwammen. Die Glöckchen daran klingelten hektisch und … was hatte sie denn da an? War das ein glitzerndes Geweih auf ihrem Kopf?

Der Kerl nuschelte etwas und Grey sah aus, als hätte er ihr gerade in den Weihnachtspunsch gespuckt. Sie wurde blass und ich merkte, wie ich breiter grinste. So hatte sie schon in unserer Kindheit immer geguckt, wenn sie sauer war. Ich kannte jede ihrer Gefühlsregungen, die sich in ihrem Gesicht abspielten. Deshalb wusste ich auch, dass nur noch ein Spruch fehlte, der sie auf die Palme brachte, bis sie hektische rote Flecken bekam, während ihre Unterlippe auf diese absolut drollige Weise zu zittern begann, was etwas aus mir herauslockte, das Nick als Beschützerinstinkt bezeichnete. Gott, mein Lebensinhalt hatte darin bestanden, diese Unterlippe zittern zu lassen. Was ich mir hatte einfallen lassen, damit Samantha Grey mich mit diesem ganz speziellen Blick ansah, so intensiv, dass alles in mir warm wurde, während sie mir voller Inbrunst immerwährende Rache schwor. Und wie sehr ich damals gehofft hatte, dass es immerwährend blieb. Leider war dieses Immer mit der Highschool vorbei gewesen. Grandma hatte Nick und mich auf die Burton Agnes Hall geschickt, eine Privatschule in Großbritannien, deren Aufnahmekriterien mehr Geld als Krösus und ein Adelstitel waren. Die Sterlings hatten beides. Seit damals hatte ich Grey und ihre drollige, wütend zitternde Unterlippe immer nur flüchtig gesehen. Ich hatte zwar gewusst, dass sie seit diesem Semester irgendwas Ökomäßiges an der USF studierte, doch ich hatte sie bisher kaum zu Gesicht bekommen. Prinzipiell hatte ich es vermieden, ihr zu nahe zu kommen. Zumindest bis jetzt.

Der Kerl vom Pannendienst dampfte ab. Samantha kreischte etwas und ihre Hände fegten glöckchenklimpernd durch die Luft, was ihre aufgebrachten Worte wohl unterstreichen sollte. Sam artikulierte Ausrufezeichen grundsätzlich mit ihren Händen.

Ich bewegte mich unauffällig und stieß dabei gegen den Baum. Prompt fiel eine frische Ladung Schnee genau dort hinunter, wo Sam stand. Sie erstarrte und da waren sie, die hektischen roten Flecken.

Ihre grauen Augen blitzten wütend auf, während sie schwungvoll ihren Kofferraum öffnete. Dann drosch sie auf etwas ein und im nächsten Moment stob ihr eine so heftige Glitzerwolke entgegen, dass ihr Niesen quer über den Parkplatz hallte. Ich konnte nicht anders. Zum ersten Mal, seit ich heute Morgen aufgewacht war, platzte ein Lachen aus mir heraus.

»Ich hatte ganz vergessen, wie verdammt niedlich du bist, wenn du deine Beherrschung verlierst, Grey!« Ich konnte es mir nicht verkneifen, sie aufzuziehen.

Grey riss den Kopf hoch, ihre großen sturmgrauen Augen fixierten mich – und ihre Lippe begann zu zittern. In mir wurde alles warm.

»Tristan Sterling«, stieß sie hervor. Dampf wich aus ihrem Mund, der meinen Namen wie einen Fluch formte. Ihr finsterer Gesichtsausdruck wurde jedoch vom Glitzer geschmälert, der überall an ihr klebte. Ich lachte wieder und Sam knallte schnaubend die Kofferraumklappe zu.

»Was hast du hier zu suchen?«, fuhr sie mich an und fummelte dabei ihr Handy aus der Jackentasche.

»Ich will nach Hause fahren, genau wie du, nehme ich mal an. Sofern du die Rostlaube hier zum Starten bringst.« Ich sah betont auf das alte Ding, das mehr Roststellen hatte als Sam Wutflecken im Gesicht.

»Meine Rostlaube und ich kommen bestens zurecht. War nett, dich gesehen zu haben, ciao!«

Gespielt beleidigt legte ich den Kopf schief. »Na, na, na, redet man so mit einem alten Freund, Grey?«

»Wir sind keine Freunde, Sterling!«, gab sie knapp zurück und tippte wild auf ihrem Handy herum, ehe sie genervt das Gesicht verzog, den Handschuh mit ihren Zähnen abzog und weitertippte.

»Doch sind wir. Und mit diesen schrecklichen Glöckchen überall an dir kann ich dich auch nie wieder verlieren. Falls du aber planst, Ninja zu werden, rate ich dir, sie wegzulassen, man hört dich bis nach Nantucket«, hielt ich dagegen.

Grey nahm den Handschuh aus dem Mund und funkelte mich an. »Nein, sind wir nicht. Freunde mögen sich, wir mögen uns aber nicht und ich wäre ein ganz toller Ninja«, fauchte sie mich heftig an.

»Ich mag dich«, protestierte ich, auch wenn ich dabei das kleine Zucken unter meinem Auge nicht unterdrücken konnte. Das war eindeutig zu ehrlich gewesen, ich sollte wieder etwas über Ninjas sagen, das war sicherer.

»Als ob!« Sie zog sich den Handschuh wieder an. »Muss ich dich an das eine Weihnachten erinnern, als du meine Weihnachtssocke ausgeräumt und stattdessen Giftefeu hineingeschaufelt hast?«

Ich hob eine Augenbraue. »Wir waren vier«, verteidigte ich mich.

»Das war vor sechs Jahren, Tristan.«

Ich hielt inne und versuchte, mich zu erinnern. O ja, da war etwas gewesen. Aber anders, als sie es gerade darstellte. Weil …

»Sam!«, rief eine Stimme.

Wir sahen beide auf. Ein Mädchen mit dunkelbrauner Haut und langen Locken, die unter ihrer weißen Pudelmütze hervorquollen, kam herangejoggt. Der Schnee knirschte unter ihren Schritten. Sie winkte Sam wild zu, doch als sie mich sah, blieb sie so ruckartig stehen, dass sie ausrutschte und kreischend eine Bruchlandung hinlegte. Sam zuckte zusammen. Ich blinzelte irritiert. Das Mädchen stöhnte.

»Liza! Alles okay bei dir? Hast du dir wehgetan?« Sam stampfte zu Madame Bruchlandung hinüber, die japsend und mit großen Augen zu mir aufguckte, während Sam ihr aufhalf.

»Heilige … Ist das Tristan Sterling? Was machst du mit Tristan Sterling, Sam?«, presste sie hervor. »Und warum bist du nicht schon längst weg? Ich dachte, ihr hättet einen Weihnachtsnotfall in der Familie.«

»Ja, Saaaam, was machst du mit Tristan Sterling?«, fragte ich träge.

Sam funkelte mich an. »Aktuell ignoriere ich ihn«, schnappte sie, ehe sie sich wieder Liza zuwandte. »Das solltest du auch tun. Sieh ihm am besten nicht in die Augen, nimm nichts an, was er dir anbietet, und wenn er dir zu nahe kommt, lauf«, riet sie ihrer Freundin, deren Augen immer größer wurden, während sie zwischen mir und ihr hin und her sah.

Ich selbst suhlte mich zugegebenermaßen ein wenig in Sams Verachtung. Ach ja, die guten alten Zeiten, jetzt wurde ich doch noch nostalgisch. Weihnachten war nicht Weihnachten ohne Sams Gemecker im Ohr. Vielleicht waren die letzten vier Jahre deswegen so sterbenslangweilig gewesen. Ohne Sam waren die Feiertage einfach nicht dasselbe.

»Ich habe ein Problem«, fuhr Sam fort, wobei sie mich absichtlich ignorierte.

Auch gut, allerdings parkte ich nur zwei Autos weiter. Ich schlenderte zu meinem geliebten Baby, warf meine Tasche in den Kofferraum und begann, den Schnee von Heck- und Frontscheibe zu wischen. Dabei hörte ich, wie Sam etwas von einem gefrorenen Kühlsystem faselte.

Ihre Freundin seufzte. »Und es hat keine Werkstatt Zeit, sich das anzusehen?«, fragte sie.

Sams Locken flogen in alle Richtungen, als sie den Kopf schüttelte. Ihr Rentiergeweih mitsamt gemusterter Mütze darunter verrutschte dabei leicht.

»Gibt es andere Optionen?«, hakte Liza nach. »Flug?« Ohne eine Antwort abzuwarten, verneinte sie selbst und murmelte etwas von umweltzerstörenden CO2-Ungeheuern.

»Zug?«

»Alles eingefroren.«

»Bus?«

»Mhm, möglich, ich schau mal nach.« Sam zog den Handschuh wieder aus und tippte auf ihrem Handy herum, während ich mich zufrieden in meinen Impala warf und den Motor aufschnurren ließ. Schnell schaltete ich die Heizung an, damit ich mir in der engen Jeans nicht den Arsch abfror. Ich legte gerade eine Metallica-Kassette in den alten Player, als ich im Rückspiegel meine bessere Hälfte auf uns zustapfen sah.

Sam hob den Kopf, doch im Gegensatz zu ihrer Reaktion zuvor hellte sich ihr gesamtes Gesicht auf, als wäre gerade Santa persönlich vor ihr aufgekreuzt. Nick grinste sie an und ich spürte, wie ich meine Zähne zusammenpresste, als sie sich begrüßten. Schnell lockerte ich meinen Kiefer und hupte ungeduldig. Mein Bruder reagierte nicht einmal, sondern unterhielt sich weiter mit den Mädels. Sam gestikulierte aufgebracht und deutete immer wieder auf ihren Kofferraum, woraufhin mein Bruder nickte und etwas zu ihr sagte. Ich sah Sam zögern, ehe sie den Kopf schüttelte. Nick ging einen Schritt auf sie zu und sprach eindringlich auf sie ein. Sam sah ihn dabei mit einem Blick an, der mich erneut zum Zähneknirschen brachte.

Was machten die beiden da nur?

Ich hupte noch einmal, quälte mich rückwärts durch den Schnee aus der Parklücke und hielt vor meinem Bruder an. Der Motor schnurrte, bereit, auf die offene Straße zu jagen.

»Soll ich euch noch eine Tasse Earl Grey und Teegebäck für euer Plauderstündchen bringen?«, fragte ich freundlich nach, sobald ich mein Fenster heruntergekurbelt hatte.

Nick verdrehte nur die Augen. »Ach, jetzt hast du es auf einmal eilig? Und was machst du überhaupt am Steuer? Rutsch rüber und schieb den Müllberg vom Rücksitz. Sam fährt mit uns nach Aspen.«

»Was?«, platzte es aus mir heraus.

»Ihr Auto springt nicht an und sie kommt sonst nicht nach Hause.«

»Ja, aber …«

»Wo liegt dein Problem? Wir haben dasselbe Ziel und würden unseren CO2-Abdruck verringern, wenn wir zu dritt fahren.«

»Ist das dein Ernst?« Ich hörte selbst, dass ich wie ein Arschloch klang.

War okay.

Alle wussten, dass ich ein Arsch war.

Ich auch.

Eine Lebenseinstellung, die ich mir hart antrainiert hatte.

Liza gab indessen Sam einen Schubs. Diese stolperte nach vorn und schnaubte: »Nein, ich habe es mir anders überlegt. Liza kann mir helfen, eine Werkstatt zu finden. Alles ist besser, als mit …« Ihr Handy klingelte und sie zog es aus der Tasche.

Ich vermutete, dass sie mit dem offenen Ende des Satzes auf mich angespielt hatte. Ich feixte und nahm mir vor, dieses Jahr wieder Giftefeu in ihre Socke zu stecken.

»Hallo, Josie? Was ist los?«, plapperte Sam drauflos und für einen kurzen Moment sah ich in ihre sturmgrauen Augen, die mich direkt anschauten. Ich neigte den Kopf und hob einen Mundwinkel.

Sams Mund zuckte ebenfalls, ehe sie die Augenbrauen zusammenkniff und sich resolut wegdrehte.

Dann eben nicht.

»Können wir los? Sie will nicht mit«, sagte ich brüsk.

»Doch, sie will«, warf Liza ein und starrte mich mit einem seltsamen Ausdruck durch die offene Seitenscheibe an. Sie trat näher, sodass ich ihr Parfüm riechen konnte. Etwas Süßes, vielleicht Vanille.

»Bitte. Es klang heute Morgen äußerst dramatisch und ich werde sie nicht die ganzen Feiertage ertragen können, wenn sie so drauf ist. Sie hat unser Wohnheimzimmer in eine Weihnachtswerkstatt verwandelt«, raunte Liza mir zu und ich sah ihr an, dass sie mehr als erleichtert wäre, wenn wir ihr Sam vom Hals schafften. Aber das war nicht mein Problem, oder?

»Sie hat was?«, kreischte Sam in ihr Handy.

Synchron wandten Liza, Nick und ich die Köpfe zu ihr.

»Beruhig dich, Josie! Ich werde pünktlich da sein.« Mit finsterem Blick, der mich unweigerlich die Arschbacken fester zusammenkneifen ließ, sah Sam mich an und legte auf.

Mit drei Schritten war sie zurück und murmelte Nick nur zu: »Warte kurz, ich muss noch das ganze Zeug aus dem Kofferraum holen.«

»Was? Nein! Ich hab nie zugestimmt«, rief ich, während Liza »Na also« trällerte.

Mein bescheuert freundlicher Bruder folgte Sam und ich knallte seufzend die Stirn kurz, aber inbrünstig gegen das Lenkrad. Das war also meine Strafe, weil ich es gewagt hatte, Sam mal nicht aus dem Weg zu gehen.

Warum ignorieren mich eigentlich immer alle? Musste ich erst wieder anfangen, irgendetwas kaputt zu hauen und zu schreien wie ein Kleinkind, damit jemand meiner Meinung Beachtung schenkte?

Allerdings konnte ich aktuell nur mit leeren McDonalds-Tüten werfen und das wäre vermutlich doch zu albern.

Kurz überlegte ich, einfach das Gas durchzudrücken und allein loszudüsen, da kehrte Nick auch schon mit einer Tasche zurück. Als er das Chaos aus Hamburgerpapier, leeren Red-Bull-Dosen und wahrscheinlich auch das ein oder andere Kondom auf dem Rücksitz sah, wurde er tatsächlich rot.

»Du solltest das doch wegmachen, Tris«, seufzte Nick, ehe er die Autotür aufriss und den ganzen mühsam angehäuften Müllberg in einen Plastiksack schaufelte, wo auch immer er den herhatte. Nick konnte immer irgendwelche Reserve- und Notfall-Dinge hervorzaubern. Einmal hatte ich ihn sogar mit einer Notfall-Zahnbürste bei einer Party erwischt.

»Moment mal, das meinst du doch nicht ernst?«, hielt ich weiter dagegen. »Sam fährt nicht mit! Gar nichts tut sie. Wir haben einen straffen Roadtrip-Plan, schon vergessen?«

»Hör auf, Scheiße zu labern. Nur weil Sam mitkommt, nimmt dir doch keiner die Zeit weg. Du hast noch immer die Straße, deinen Selbsthass und diese überzogene Männersache, die du dir jedes Jahr mit diesem Roadtrip einbildest«, gab mein Bruder nonchalant zurück.

»Ganz genau, das ist eine unfassbar langweilige Männersache! Sam ist kein Mann. Zumindest nicht, als ich das letzte Mal nachgesehen habe«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.

»Gut erkannt, willst du jetzt ein Sternchen in deinem Mitarbeitsheft, Tristan? Und nur um das klarzustellen, ich würde lieber den Daumen rausstrecken und Gefahr laufen, beim Autostopp von einem Psychopaten ermordet zu werden, als auch nur eine Stunde dieselbe Luft zu atmen wie du«, knurrte Sam, die prompt meinen Kofferraum aufstemmte und all ihr Glitzerzeug hineinstopfte.

Ich erstarrte vor Entsetzen. Das würde ich niemals wieder rausbekommen! Dadrin würde es jetzt für immer und ewig glitzern, so viel konnte ich gar nicht saugen. Und mein bescheuerter Zwillingsbruder half ihr auch noch! So was nannte man Hochverrat!

Und … und Zwangsbeglitzerung.

Schwer zu glauben, aber es gab Menschen, die Einhörner, Glitzer, Pastellfarben und Regenbögen nicht für den geilsten Shit des Jahrtausends hielten.

»So, das hätten wir, hast du sonst noch Gepäck, Sam?«, fragte mein Bruder mit einem so charmanten Lächeln, dass Sam wieder nur diesen flirtenden Blick aufsetzte.

»Alles gut. Danke, dass ihr mich mitnehmt«, sagte sie und wurde rot. Sie wurde rot! »Wenn Josie nicht … Es ist ein echter Notfall.«

»Wir tun hier gar nichts!«, bellte ich und wurde erneut ignoriert. Mir wurde mulmig zumute.

Ich sah ihn schwinden, unseren Männer-Roadtrip. Auch wenn die reine Fahrtzeit nur etwa siebzehn Stunden betrug, hatte ich mit viel Hingabe ein paar Tage eingeplant – nur mein viel zu perfekter Bruder und ich, Straße, Bier und na ja, Kram eben. All das zog an mir vorbei wie ein feuchter Furz.

Fassungslos sah ich dabei zu, wie sich Sam auf die Rückbank warf. Sie zuckte zusammen, hob ihren Po und holte zwischen Sitz und Rückenlehne einen BH hervor. Roter und weißer Plüsch. Mein Date von vorgestern.

»Nettes Teil«, stellte Liza von draußen fest, während Sam naserümpfend das Fenster öffnete und den BH fallen ließ.

»Hey!«, protestierte ich.

»Was denn? War das deiner? Du kannst mir danken, Rot ist so gar nicht deine Farbe«, gab Sam süßlich zurück.

Ich funkelte sie an. Sam lächelte zufrieden und in mir wurde es wieder warm. Im nächsten Augenblick zuckte ich jedoch zusammen, als Nick die Fahrertür aufriss.

»Rutsch endlich rüber, Tris. Ich fahre«, befahl er mir, was ihm einen nicht minder finsteren Blick einbrachte.

»Einen Scheiß wirst du. Wirf Sam wieder raus und wir fahren los.«

»Nein!«

»Doch!«

»Nein, Tris!«

»Doch, Nicki!« Wir starrten uns so wütend an, dass Sam unruhig auf der Rückbank herumrutschte.

»Ich fahre nicht mit, wenn Tristan …«, setzte Sam an, doch Nick machte eine beruhigende Geste. »Natürlich fährst du mit. Wir sind praktisch eine Familie und die Familie lässt man nicht im Stich, schon gar nicht an Weihnachten. Tristan bellt nur wieder herum. Er wird jetzt die Klappe halten und mir das Steuer überlassen.«

Wieder starrten wir uns an und meine Finger krallten sich am Lenkrad fest.

»Nur. Über. Meine. Leiche«, stieß ich zwischen den Zähnen hervor. »Das ist unser Trip und nichts und niemand wird mich dazu bringen, den sausen zu lassen. Ich fahre und Sam steigt aus. Das ist mein letztes Wort und egal, was du tust, du wirst mich nicht umstimmen, Nicki!«

Sam hielt die Luft an. Liza hinter der aufgekurbelten Scheibe ebenso.

Nick zog nur eine Augenbraue hoch und ließ die Fäuste leise knacken. »Wetten, dass?«, sagte er ruhig und in seinem Blick lag ein Ausdruck, der mir das kalte Grauen über den Rücken jagte.

Zehn Minuten später hockte ich auf dem Beifahrersitz. Sam und Nick teilten sich plaudernd eine Zuckerstange, während mein Bruder vergnügt hinter dem Lenkrad saß und den Campus verließ.

Kacke, Mist, verdammter!

Samantha

Selbst mit genug Zucker im Blut, der mich aufputschte, gelang es meinem Hirn nicht, den Moment zu greifen, an dem ich heute falsch abgebogen war, sosehr ich es auch versuchte. Während wir zwischen zwei aufgehäuften Schneebergen vom Campusparkplatz rollten, ließ ich den Tag Revue passieren. Er hatte so vielversprechend und voller Weihnachtsstimmung begonnen – und mich nun auf einen Rücksitz verfrachtet, den besser niemals ein Spurensicherungsteam mit einer dieser Speziallampen untersuchen sollte. Igitt! Ich erschauderte bereits bei dem Gedanken daran.

Josie hatte mir gestern Abend geschrieben, als ich gerade in der Gemeinschaftsküche des Wohnheims mit Plätzchenbacken beschäftigt gewesen war. Ich hatte die Nachricht erst danach gelesen und meine Schwester praktisch aus dem Schlaf geklingelt. Sie wusste ebenso wenig, was mit Mom und Dad los war, warum sie eine spontane Weihnachtsallergie entwickelt hatten oder was zur Hölle überhaupt in Aspen vor sich ging. Alle benahmen sich offenbar seltsam, weshalb ich sofort entschieden hatte, am nächsten Tag mit dem Zug nach Hause zu fahren. Das angekündigte Sturmtief sorgte jedoch dafür, dass alle Züge gecancelt wurden, weshalb ich kurzfristig mein Auto vollgepackt hatte. Der Schneesturm musste San Francisco erreicht haben, nachdem ich Weihnachtssterne, Dekogirlanden, jede Menge Zweige, Kugeln und Zuckerstangen auf den stockdunklen Parkplatz geschafft und in meinen Kofferraum gekippt hatte. Erst heute Morgen hatte mein Hirn es geschafft zu akzeptieren, dass das angekündigte »Sturmtief« mir endgültig mein Weihnachten versauen wollte. Ich war in Aspen aufgewachsen, einem Ort, an dem sehr früh im Jahr Schnee fiel, wenn auch immer weniger dank des sich wandelnden Klimas – dennoch hatte mein Hirn versucht, sich irgendeine andere Erklärung zurechtzulegen. Vermutlich aus Selbstschutz. Denn sobald ich mir eingestand, dass über Nacht tonnenweise Neuschnee gefallen war, hätte ich mir auch eingestehen müssen, dass meine Heimreise trotz Ganzjahresreifen sehr viel länger dauern würde. Das Freischaufeln des Autos hätte ich mir sparen können. Ich hätte weniger ökologisch denken und in der Zwischenzeit den Motor laufen lassen sollen. Dann wäre mir viel früher aufgefallen, dass er gar nicht ansprang. Mein morgendliches Fluchen ging im Lärm und den Rufen derer unter, die so früh am Morgen nichts Besseres zu tun hatten, als einen Schneemann zu bauen und sich mit Schnee zu bewerfen. Ihre Motoren liefen, verpesteten die Luft und der Schnee rutschte langsam an den Autos hinab und rahmte die Wagen ein.

Alle waren längst auf dem Weg zu ihren Familien gewesen, als ich noch immer versucht hatte, einen Pannendienst ans Telefon zu bekommen. Das Netz war überlastet, die Sendemasten hatten dem Wetter ebenso wenig entgegenzusetzen wie der Rest von San Francisco. Es herrschte Chaos.

Die Karmapunkte eines ganzen Jahres hatten offenbar nicht ausgereicht, sodass mir als einzige Möglichkeit, noch pünktlich nach Hause zu kommen, die Sterling-Zwillinge geblieben waren.

Josies Anruf vorhin hatte den Ausschlag gegeben. Es grenzte schon an eine mittelschwere Katastrophe, dass Josie in der Bäckerei ausfiel und die Weihnachtsdeko fehlte. Aber nun hatte Mom auch noch das Weihnachtsmenü abgesagt!

Binnen Sekunden war ich meine Optionen durchgegangen. Es musste mehr im Argen liegen als nur eine Weihnachtsallergie. Mom liebte das Kochen, das Eindecken des Tischs, die Familie um sich herum. Dann hatte ich zum Impala hinübergestarrt, in dem Tristan vor sich hin schimpfte. Das dunkle Haar fiel ihm leicht ins Gesicht und bei dem Anblick zog sich etwas in mir kurz zusammen … aber er war meine einzige Chance.

Leider reichten zehn Minuten mit Tristan Sterling aus, um mir ein lebenslanges Trauma zu bescheren. Das ich ohnehin längst hatte.

Seinetwegen!

Da mochten die Mädels an der Uni noch so sehr über seine Tattoos oder sein weiches schwarzes Haar schwärmen. Oder dass er in seinem ersten Semester bereits eine halbe Million an der Börse gemacht hatte. Es war mir egal, dass alle Tristan Sterling für ein heißes Wirtschaftsgenie hielten, das nur für den offiziellen Schein noch BWL und Finanzwesen studierte. Denn ich wusste, was er wirklich war: ein eingebildeter, verwöhnter, reicher Arsch. Mehr Definition brauchte es nicht.

Doch Josies Anruf hatte mich so weit abgekühlt, dass ich meine Gedanken wieder auf das Wichtigste in meinem Leben fixieren konnte. Und das war ganz sicher nicht Tristan Sterling – oder meine Abneigung gegen ihn –, sondern meine Familie. Ich hatte eine Mission zu erfüllen, egal zu welchem Preis. Selbst wenn ich dafür mit Tristan Sterling in einem engen Auto den halben Kontinent durchqueren musste. Ich war kurz davor, mir die von Google Maps prophezeite Fahrtzeit von rund siebzehn Stunden als Countdown zu speichern, damit ich mich an der sich stets reduzierenden Zeit erfreuen konnte, die ich noch mit Tristan eingesperrt war. Ein kleiner Blick auf den Routenplaner auf meinem Handy sagte mir jedoch, dass wir aufgrund der Verkehrslage sogar mit über neunzehn Stunden rechnen mussten. Ich schloss die Augen und verfluchte das Schicksal dafür, dass es mich in dieses höllisch röhrende, spermienverseuchte Auto gebracht hatte, das ausgerechnet dem Typen gehörte, von dem ich den Rest meines Lebens mindestens einhundert Meter Abstand hatte halten wollen.

»Wenn du mir näher sein willst, kannst du gern auf meinem Schoß sitzen, Grey. Dann könntest du mich wärmen, damit mir nicht die Eier abfrieren.«

Gab es einen Begriff für den Drang, den Kopf immer und immer wieder irgendwo gegenzuschlagen? Falls nicht, sollte man es Sterlingomanie nennen. Wobei es dann auch seinen völlig unschuldigen Bruder Nick treffen würde, der mit einem Arsch von Zwilling gestraft war, dass es dafür schon wieder einen eigenen Fachbegriff geben müsste. So war es schon in unserer Kindheit gewesen, als Nick und ich jede freie Minute zusammen verbracht hatten – mit Tristan, der wie eine Klette an uns geklebt hatte. Jedes Mal, wenn wir ihm entwischt waren, hatte er uns aufgespürt wie ein Trüffelschwein die guten Pilze. Mein Drang, von ihm wegzukommen, fühlte sich an wie ein Déjà-vu.

»Ich hoffe für den Rest der Menschheit, dass dir weiterhin kalt ist, Sterling«, konterte ich.

Tristan lachte. »Deine Verachtung brennt sich quasi durch den Sitz, das wird mich warm halten, Grey. Und was den Zustand meiner Männlichkeit angeht …«

»O Gott, bitte halt den Mund, Tristan«, ging Nick dazwischen und ich war ihm noch nie so dankbar gewesen. Doch, vielleicht damals zu Hause in Aspen. Er hatte mich im letzten Moment vor dem größten Fehler meines Lebens bewahrt, als ich mir Wachsmalstifte in die Nase hatte stecken wollen, um mein Hirn bunt anzumalen.

»Sei nicht immer so ein langweiliger Saubermann, Nicki«, murrte Tristan.

Wie konnten eineiige Zwillinge nur so grundverschieden sein, als wären sie zwei Seiten einer Medaille? Während Nick charmant, höflich und nett war, war Tristan nur … Tristan. Er war nicht einmal vielschichtig düster, sondern einfach nur ätzend, was mein jüngeres Ich leider zu spät erkannt hatte.

»Was denkt ihr, wie lange werden wir bei dem Wetter brauchen?«, fragte ich und rutschte, soweit es der Gurt zuließ, Richtung Mitte, damit ich Nicks Augen im Rückspiegel sehen konnte. »Wir können uns beim Fahren auch zu dritt abwechseln, damit wir keine Zeit verlieren.«

Tristan drehte sich auf dem Beifahrersitz um und grinste mich diabolisch an. »Wir haben geplant, am vierundzwanzigsten anzukommen.«

»Was?« Meine Stimme klang ziemlich schrill, doch ich hatte jetzt keinen Nerv, auf Tristans erneutes Lachen zu reagieren. »Das sind fünf Tage!« Mir hätte es peinlich sein sollen, dass meine Stimme tatsächlich noch höher werden konnte. Aber das bloße Entsetzen darüber, fünf Tage mit Tristan in einem Auto eingepfercht zu sein, schnürte meine Brust dermaßen zusammen, dass mir nicht genügend Sauerstoff für eine vernünftige Tonlage blieb. »Warum sollten wir für eine Strecke, die selbst mein Auto – ohne Schnee – in unter achtzehn Stunden schafft, fünf Tage brauchen?«

Nicks hübsche Augen, in denen man sich verlieren konnte, funkelten vergnügt, als er murmelte: »Eine Sterling-Tradition, seit wir an die USF gehen.«

Die eigentliche Erklärung kam dann von Tristan. »Wir haben einen Roadtrip geplant, eine Reise für Männer. Verwahrloste Motels, Stripclubs, vielleicht die eine oder andere Weihnachtsfrau …«

Nick verdrehte die Augen. »Zu meiner Entschuldigung: Im ersten Jahr an der Westküste haben wir die Route gemeinsam geplant, letztes Jahr war …«

»… die langweiligste Zeit meines Lebens«, warf Tristan ein. »Wir sind von Museum zu privater Kunstausstellung zu Museum gefahren und ich war kurz davor, ihn dort irgendwo zurückzulassen, um nicht vor Langeweile zu sterben.«

»Weshalb Tristan die diesjährige Planung übernommen hat«, fügte Nick schwer seufzend hinzu. »Schließlich braucht er die Ablenkung am meisten.«

Tristan fuhr in seinem Sitz hoch und kämpfte kurz mit dem Gurt, bevor er sich zu seinem Bruder beugte. »Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, dass du zu Weihnachten noch schlechter drauf bist als sonst und ich es unterwegs genießen werde, mit Sam eine Verbündete zu haben, um dir endlich etwas Besinnlichkeit beizubringen.«

Nick schenkte seinem Zwilling das diabolischste Grinsen, das ich je an ihm gesehen hatte, griff in das Seitenfach der Fahrertür und tauschte die Metallica-Kassette gegen eine andere aus.

Tristans Gesicht wurde immer bleicher, Nicks Mundwinkel wanderten dagegen weiter nach oben. Als das Glöckchenbimmeln von All I Want for Christmas einsetzte, wollte sich Tristan auf den Schalter für das Ausspucken der Kassette stürzen, doch Nick hielt einfach seine Hand davor. Der Wagen schlingerte gefährlich, weil Tristan nicht aufgab, das Weihnachtslied zu beenden, bevor Mariah Carey zu singen begann.

»Verdammt, Tristan! Willst du uns umbringen?«, brüllte ich, während ich mich nach vorn beugte und mit der Rechten Tristans Gurt nach hinten riss. Dann schlang ich meine Arme von beiden Seiten um Tristan und zog ihn mit aller Kraft in den Sitz zurück. Er erstarrte, als ich ihn berührte. Ich wartete auf einen blöden Kommentar, schließlich war er nie um eine Bemerkung verlegen, aber zu meiner Verwunderung kam nichts. Der Widerstand ließ nach, aber ich wagte es nicht, ihn loszulassen, zumindest nicht, bis Nick begann, vollkommen disharmonisch und rhythmusfrei Mariah Carey zu begleiten. Ich schauderte. Offenbar hatte ich ein Talent, Nicks negative Seiten auszublenden, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er früher so schief gesungen hatte.

Tristan tätschelte meine Hand. »Ich wollte dich nur beschützen, Grey. Niemand hat Nicks Gesang verdient.«

Vermutlich hatte er recht, aber das würde ich ihm niemals sagen. Nick fuhr die Auffahrt zur Interstate 80 hoch und trällerte munter weiter. Zumindest kannte er den Text. Ich wollte meine Hände zurückziehen, weil sich Tristan ganz offensichtlich seinem Schicksal ergeben hatte, doch er hielt mich fest.

»All I Want for Christmas is yoooouuuuuuu«, misshandelte Nick gerade die titelgebende Zeile.

Tristan drückte meine Hand und strich sanft mit dem Daumen über meinen Handrücken. Was nun durch meinen Körper jagte, war nicht das Grauen vor Nicks Gesangstalent. Jedes meiner Nervenenden richtete sich auf diese Berührung aus. Mein Herz schlug schneller und schneller, sandte ein Prickeln durch meinen Arm, bis sich mein Brustkorb zusammenzog und meine Atmung stockte. Ich war unfähig, mich zu rühren, Bilder der Vergangenheit fluteten meinen Kopf, dasselbe Lied, dieselben Personen, nur ein anderer Ort. Ein bitterer Geschmack legte sich auf meine Zunge, als die Erinnerung mir wie ein Schlag gegen die Stirn den Grund lieferte, mich von Tristan Sterling fernzuhalten. Ich riss meine Hände los und warf mich zurück auf meinen Sitz.

»Mach nicht noch mal denselben Fehler wie damals«, murmelte ich leise vor mich hin.

»Hast du was gesagt?«, fragte Nick, dessen Augen ich nun wieder im Rückspiegel sehen konnte.

Ich wartete auf einen Kommentar von Tristan, aber der war unerwartet still geworden.

Nach mehrmaligem Schlucken war ich den bitteren Geschmack endlich los und hatte die Erinnerungen an Tristan dorthin geschoben, wo sie die letzten Jahre verbracht hatten: in der Schublade für unliebsame Gedanken, zusammen mit der furchtbarsten Gastritis meines Lebens und dem Schmerz eines offenen Bruchs nach meinem ersten Snowboardversuch.

»Wie soll dieser Roadtrip denn aussehen?«, versuchte ich, mich abzulenken und Nick vom Singen abzuhalten, der gerade tief Luft holte, um auch LastChristmas von Wham für immer zu zerstören. Ich sah mich schon zwischen den Zwillingen an einem Tisch sitzen und Frauen in Weihnachtsoutfits, die sich auf BH und String beschränkten, beim Verrenken zusehen. Okay, das Bild veränderte sich und eine der Frauen legte ein Tänzchen auf Tristans Schoß hin …

Mein Magen ballte sich zusammen.

Das würde die schlimmste Reise meines Lebens werden!

»Unser erster Stopp ist Sacramento«, sagte Nick.

»O ja«, vibrierte Tristans Stimme wie ein tiefes Stöhnen durch den Wagen. »Das NakedFlames wollte ich schon so lange besuchen.« Er hatte offenbar dieselben Bilder im Kopf wie ich. Mir wurde schlecht. »Weißt du noch, wie Jace erzählt hat, dass er dort diese eine unglaublich gute …«

Tristan war so in seine eigenen Worte versunken, dass er nicht bemerkte, wie Nick tief Luft holte und das Lenkrad umklammerte, als wappnete er sich gegen eine weitere Attacke von Tristan. Viel leiser als eben noch fügte er hinzu: »Das weihnachtliche Elfendorf rund fünf Meilen hinter der Stadtgrenze ist landesweit bekannt. Ich wollte dort schon immer mal hin.«

Aus Tristans zufriedenem Stöhnen – vermutlich hatte er schon eine halb nackte Weihnachtselfe vor sich auf und ab hüpfen sehen – wurde das Jaulen einer Katze, der man versehentlich auf den Schwanz getreten war.

»Nie im Leben!«, stieß er so grimmig hervor, dass ich tatsächlich ein wenig beeindruckt war. Hui, da konnte jemand böse gucken.

Nicks Augen hingegen funkelten mich im Rückspiegel an. »Willst du lieber ins Flames oder ins Elfendorf, Sam?«

Mein Hirn ersetzte nackte Blitzebrüste durch Lebkuchenhäuschen und Punsch. Und dann stellte ich mir Tristan in einem Lebkuchenhaus mit Punsch vor und wie sehr er alles daran hassen würde. Mit vielleicht etwas zu viel Enthusiasmus in der Stimme antwortete ich: »Ich wollte schon immer mal ins Elfendorf.«

»Zwei zu eins, Tris. Du bist wohl überstimmt.«

»Mein Ego zählt mindestens für drei. Wir fahren nicht in diese Weihnachtshölle!«, rief Tristan entsetzt.

»Tja, Pech. Ich bin der Fahrer und darum fahre ich uns jetzt ins Elfendorf. Wo Sam und ich viel Spaß haben werden.«

»Wir hatten einen Plan, Nick.« Tristan sah aus, als würde er gleich die Kassette aus dem Rekorder holen und seinen Bruder mit dem Tonband erwürgen.

Nick hob das Kinn. »Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du dich gestern weggeschossen hast. Jetzt fahre ich und plane um.«

»Nick!«

»Wenn du brav bist, können wir später noch ins Flames gehen.«

»Das werden wir in der Tat«, sagte Tristan mit einem bösen Blick. Vermutlich würde er sich auf Höhe des Naked Flames aus dem Wagen stürzen. Vielleicht würde der Trip nach Hause dann doch gar nicht so schlimm werden.

»… coming to toooooown.«

Zumindest, wenn wir nicht weiter Nicks Gesang ertragen mussten.

Tristan

Ich stand am Urinal und legte seufzend den Kopf in den Nacken. Es war so kalt, dass mein Atem zu kleinen Wolken kondensierte und ich tatsächlich ein wenig Sorge hatte, dass ich mir etwas abfror.

Wir hatten zum Tanken angehalten, etwa dreißig Meilen von Sacramento entfernt, und ich hatte einen Plan. Solange mein Bruder und Sam noch damit beschäftigt waren, sich mit Süßkram und heißer Schokolade einzudecken, würde ich mir die Schlüssel schnappen und allein zum Flames fahren. Ich hatte im Internet nachgesehen. Von hier aus gab es einen direkten Bus in dieses dumme Elfendorf. Mein Bruder hatte genug Kohle. Sie kämen durch, ohne dass ich mir Sorgen machen müsste, die beiden naiven Gutmenschen am nächsten Tag ermordet im Straßengraben zu finden.

Sie hätten dann ihr Elfendorf.

Und ich könnte mich im Flames so heftig abschießen, dass ich mein Leben und allem voran mich selbst vielleicht nicht mehr ganz so ätzend fand und die Angst, nach Hause zurückkehren zu müssen, nicht mehr ganz so schlimm war. Eine Nacht, in der mich niemand kannte. In der keiner wusste, dass ich Tristan Sterling, der Erbe der Sterling Group, war. Selbst an der Uni war das nicht möglich. Was auch immer ich tat, die Gerüchte verbreiteten sich in Sekunden auf dem ganzen Campus und landeten wie von Zauberhand in Aspen, bei meiner Großmutter. Ich hatte gehört, dass das Flames der beste Ort war, um dumme Dinge möglichst anonym zu tun, und ich war so was von bereit, dumme Dinge zu tun! O ja!

Schon der Gedanke, dass Sam jetzt dabei war, stresste mich extrem. Der beengte Platz im Impala, ihr Atem in meinem Nacken, ihr vertrauter süßer Geruch überall um mich herum … all das jagte mir den Schweiß über den Rücken. Ich fühlte mich unruhig, gestresst und konnte nicht fassen, wie es zu dieser Situation gekommen war. Ich hatte bereits genug dumme Dinge in Sam Greys Gegenwart getan. Es war das Beste, uns so oft wie möglich zu trennen. Ich ging ins Flames und vergaß dabei mich selbst, und Sam konnte glücklich ihr Elfendorf besuchen.

Morgen würden wir dann alle froh und munter weiterfahren. Meinetwegen auch mit der Weihnachtskassette im Rekorder, wenn es die beiden glücklich machte.

Sollte mir niemand vorwerfen können, ein Grinch zu sein.

Das nannte ich mal einen genialen Plan.

Von mir selbst beeindruckt, schloss ich meinen Hosenstall, wusch mir die Hände und erstarrte, als etwas im Spiegel funkelte.

In meinem Gesicht.

Auf meiner Nase.

Warum … klebte da Glitzer auf meiner Nase?

Hektisch rubbelte ich darüber, doch anstatt zu verschwinden, verteilte sich das Zeug quer über meine Wange. Gnahhh, Sam!

Ich musste es wohl laut geschrien haben, denn ein Kerl, der gerade hereinkommen wollte, blieb abrupt im Türrahmen stehen und starrte mich an, als hätte ich ein Rad ab.

Ich zwang mich, mit dem Herumrubbeln aufzuhören, guckte wegen des Glitzereffekts doppelt grimmig und stürmte an ihm vorbei aus dem Toilettenhäuschen.

Sam war kaum drei Stunden bei uns und ihr Glitzer klebte bereits an mir fest.

Mit ihrem Geruch nach Zimt und Vanille war es genauso. Ich wurde ihn einfach nicht los. Als wir Kinder waren, hatte mein Zimmer noch tagelang nach ihr gerochen, wenn sie bei uns gespielt hatte, und später mein Pullover, als ich … als wir … egal.

Alles an Sam war klebrig, süß und einfach nicht abzukriegen und bevor ich erneut einen Pulli wegwerfen musste, weil ich Sams Geruch nicht mehr rausbekam, musste ich auf Distanz gehen.

Meinen Klamotten zuliebe.

Mein Blick huschte zum