Skye. Götter des Nordens - Lea McMoon - E-Book

Skye. Götter des Nordens E-Book

Lea McMoon

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Beschreibung

**Wenn Legenden Wirklichkeit werden und deine Helden ihr wahres Gesicht zeigen…** Mythen, Sagen und Legenden – das ist die Welt von Skye, die lieber für ein Geschichtsreferat recherchiert, als sich auf einem Konzert die Ohren volldröhnen zu lassen. Pech für sie, dass ausgerechnet ihr bester Freund den begehrten Platz als Schlagzeuger in der angesagtesten Indie-Rockband der Stadt ergattert. Notgedrungen trifft Skye nun ständig auf Thorsson, den düsteren Sänger der Band, dem es jedes Mal gelingt, sie aus dem Konzept zu bringen. Erst als Skye in seinen Songtexten Hinweise auf ihre geliebten nordischen Mythen entdeckt, versucht sie hinter seine Fassade aus Coolness und Exzessen zu blicken und kommt ihm und seinem Geheimnis dabei deutlich näher als beabsichtigt… »Skye: Götter des Nordens« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.

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Lea McMoon

Skye. Götter des Nordens

**Wenn Legenden Wirklichkeit werden und deine Helden ihr wahres Gesicht zeigen …** Mythen, Sagen und Legenden – das ist die Welt von Skye, die lieber für ein Geschichtsreferat recherchiert, als sich auf einem Konzert die Ohren volldröhnen zu lassen. Pech für sie, dass ausgerechnet ihr bester Freund den begehrten Platz als Schlagzeuger in der angesagtesten Indie-Rockband der Stadt ergattert. Notgedrungen trifft Skye nun ständig auf Thorsson, den düsteren Sänger der Band, dem es jedes Mal gelingt, sie aus dem Konzept zu bringen. Erst als Skye in seinen Songtexten Hinweise auf ihre geliebten nordischen Mythen entdeckt, versucht sie hinter seine Fassade aus Coolness und Exzessen zu blicken und kommt ihm und seinem Geheimnis dabei deutlich näher als beabsichtigt …

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Vita

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© privat

Lea McMoon hat phantastische Geschichten in ihrem Kopf, seit sie denken kann. Doch bevor sie endlich anfing ihre Geschichten auch aufzuschreiben, widmete sie sich einer ganzen Reihe anderer kreativer Tätigkeiten, von denen sie einige immer noch beruflich ausübt. Wenn sie eines nicht leiden kann, dann sind es Langeweile und Eintönigkeit. Deshalb sprudeln ständig neue Ideen aus ihr heraus und manche davon finden den Weg in eine Geschichte und hoffentlich in die Herzen ihrer Leser.

Prolog

Vor ihm türmte sich das Meer auf. Wie der riesige Kopf einer Seeschlange stieg es dem Himmel entgegen. Immer weiter und immer schneller. Drei-, viermal blitzte das Licht des Leuchtturms noch auf, ehe ihm die Sicht darauf versperrt wurde.

»Verdammt, mach doch was, Even!« Panisch fuchtelte Jari mit beiden Händen vor seinem Gesicht herum, als könne er dadurch diesen lebendig gewordenen Albtraum vertreiben.

»Das war doch nur ein Stein«, keuchte Even. »Ein verdammter flacher Stein, der ein paarmal scharf vom Wasser abgeprallt ist.«

»Egal, was es war. Jetzt ist es eine Monsterwelle. Bei Odin, so stopp sie doch endlich!«

Er holte tief Luft und versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was sein Vater ihn über die Kräfte gelehrt hatte. Er musste sie bündeln. Vollkommen. Er fixierte den obersten Rand der Welle. Mit einem Schlag in die Luft ließ er einen Blitz in den Kamm fahren. Das Wasser spritzte in einer gigantischen Fontäne dem Himmel entgegen, aber es war nicht aufzuhalten. Er ließ erneut einen Blitz herabfahren, stärker und energiegeladener, als er es jemals vermocht hatte. Doch die Wassermassen türmten sich weiter auf und vermischten sich mit den tief hängenden Wolken, die der aufkommende Sturm schwarz und bedrohlich über ihnen zusammentrieb. Der Regen prasselte in schweren, großen Tropfen herab. Elektrizität knisterte in der Luft und verursachte Stromstöße auf seiner Haut, wie Nadelstiche.

»Das war zu viel, nimm das zurück!«, rief Jari ihm zu.

Even versuchte sich zu bremsen, seine Gewalten zu beherrschen. Doch es war zu spät. Der Sturm wütete und wühlte das Meer noch weiter auf, während der Regen die Wassermassen speiste. Um sie herum donnerte und blitzte es, als stünde der Untergang der Welten bevor. Unaufhaltsam steuerte die Welle auf die Insel zu.

Kapitel 1

»Eine gigantische Flutwelle schlug über der Insel zusammen. Sie begrub alles, was sich darauf befand, unter sich und spülte es den großen Wasserfall am Ende der Welt hinab, den die Wikinger so fürchteten. Es war wahrscheinlich einer der größten Tsunamis der Geschichte im Nordatlantik. Doch die Stämme des Nordens glaubten, die Midgardschlange hätte das Meer aufgepeitscht und riefe den Ragnarök – den Weltuntergang – hervor, weil sie mit dem Christentum sympathisierten. Und tatsächlich scheint in diesem Mythos ein Stück Wahrheit begraben zu liegen, denn das Zeitalter der Wikinger ging zu Ende und mit ihnen verschwand der Glaube an die alten nordischen Götter«, schloss Mr Hummingham seine gestenreiche Erzählung.

»Immer diese Ammenmärchen und wir müssen wieder ein Referat über den Schwachsinn schreiben«, moserte Candice in der letzten Reihe.

Ich drehte mich um. »Nicht alles ist Schwachsinn, nur weil es ein Mythos ist.«

Candice bleckte ihre blendend weißen Zähne.

Ich zog eine Grimasse. Wofür machte ich mir eigentlich die Mühe zu versuchen, dieses ungebildete Volk zu etwas mehr Verständnis für Mythologie und Geschichte zu bewegen? Alles, was die interessierte, waren die drei großen K. Kerle, Klunker, Klamotten.

»Komm, gib’s auf, Skye.« Will stupste mich von der Seite an. »Fahren wir rüber ins Appleplums und essen eine Kleinigkeit. Ich muss dir was erzählen.«

»Ja, geht nur euren Mythos besprechen, damit ihr wieder die beste Arbeit von allen abliefert, Streber«, keifte Candice uns hinterher. Will seufzte und schob mich aus der Tür.

»Irgendwann kratze ich der die Augen aus«, brummte ich.

»Ach komm, so schlimm ist sie nun auch wieder nicht.«

»Meine Güte, Will, man möchte meinen, ihr Kerle denkt tatsächlich nur mit dem Ding in eurer Hose.«

»Mit einem Handy kann man nicht denken, das erledigt nur die Arbeit für den Besitzer.«

Ich drehte mich zu ihm um, um zu sehen, ob er vielleicht im Fieberwahn sprach. »Ich meinte definitiv nicht dein Handy, sondern das, was dir zwischen den Beinen hängt und in das dein Gehirn immer hineinrutscht, wenn du den Vorbau dieser Trine siehst.«

»Mein Gehirn ist da, wo es hingehört.«

»Und ich dachte, du brauchst es zum Denken, wenn du programmierst.«

»Komm, hör auf, Skye. Was bist du denn immer so zickig wegen Candice?«

»Ich bin zickig? Lässt du dich gern Streber nennen, nur weil sie nichts auf die Reihe bekommt?«

»Na, so schlimm ist es auch wieder nicht Streber genannt zu werden. Ich heiße seit dem ersten Schuljahr so. William, der Streber oder William, der Nerd. Je nachdem, ob ich Brille oder Kontaktlinsen trage.«

Ich grinste. Will war tatsächlich ein Nerd, aber ich war keine Streberin, ich war wissbegierig. Und ich hatte es nicht nötig mich auf meine körperlichen Vorzüge zu berufen, wenn ich mal ins Stocken geriet. Ich trug meine Blusen lieber geschlossen. Vorsorglich überprüfte ich den zweiten Knopf von oben.

»Weißt du, Skye, nur weil du ein bisschen flacher gebaut bist, heißt das nicht, dass du weniger attraktiv wärst«, bemerkte Will und grinste, als hätte er meine Gedanken erraten.

»Habe ich dich nach deiner Meinung zu meiner Oberweite gefragt?«

»Ich dachte, das wäre dein Problem mit Candice.«

»O Gott, hör auf zu denken und sieh zu, dass wir hier wegkommen.«

Ich legte im Eilschritt den kurzen Weg von unserem Schulgebäude zum Parkplatz zurück. Will hielt mir galant die Beifahrertür seines Autos auf und schwang sich hinter das Lenkrad. Wie immer rieb er sich erst die Hände, bevor er seinen alten Wagen, der in seinem ersten Leben ganz bestimmt ein wunderschön glänzendes und vor allem zuverlässiges Londoner Taxi gewesen war, zu starten versuchte. Mit einigen nervtötenden Fehlzündungen und einer Rußwolke, die in geradezu schändlichem Ausmaß die Umwelt verpestete, setzte sich die alte Kiste endlich im Schritttempo in Bewegung. Candice klopfte im Vorbeigehen aufs Dach.

»Können wir nicht mit der U-Bahn fahren wie alle anderen auch?«

»Erstens fahren nicht alle anderen mit der U-Bahn, sondern manche mit Chauffeur und zweitens sind wir so viel schneller im Appleplums«, antwortete William stoisch, während er versuchte den zweiten Gang hineinzuhebeln.

»Davon sehe ich aber nichts.«

»Geduld war noch nie deine Stärke.«

Ich verkniff mir einen weiteren Kommentar und sah unseren Klassenkameraden nach, wie sie fröhlich plaudernd hinüber zur U-Bahn liefen, während wir an der Ausfahrt des Parkplatzes standen und ich darauf wartete, dass ein kleines Wunder dem alten Taxi neues Leben einhauchte. Aber auf Wunder wartet man ja bekanntlich ewig und genauso lang erschien mir auch der Weg zu unserem Stammcafé. Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr mir, als wir endlich am Appleplums ankamen. In der Zeit hätten wir es zu Fuß auch geschafft. Natürlich war die Hälfte der Klasse vor uns da. Wenn es im Appleplums nicht so hervorragende Veggieburger gäbe, hätte ich schon längst darauf gedrängt in ein anderes Café zu wechseln. Ich musste wirklich nicht ständig dieselben Gesichter vor mir sehen. William marschierte freudestrahlend zu unserem Stammtisch an dem kleinen Fenster vor der Klotür, der wie selbstverständlich auf uns wartete, während das Café längst überfüllt war.

»Und? Was wolltest du mir erzählen?«, fragte ich, nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben hatten. »Du machst es aber spannend heute.«

Will rückte seine Nerdbrille zurecht und setzte eine feierliche Miene auf. Ich tippte mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herum. Mit einem hatte er definitiv recht, Geduld war nicht meine Stärke und er hatte die seltene Gabe sie stündlich auf die Probe zu stellen.

»Also …« Er machte eine Pause, als müsse er noch einmal darüber nachdenken, was er nun als so wichtig befand, dass er unbedingt damit warten musste es mir zu erzählen, bis wir den feierlichen Rahmen unseres Klotisches erreicht hatten. »Ich spiele ja Schlagzeug.«

»Seit zehn Jahren ohne Erfolg«, ließ ich ihn wissen.

»Alte Motze«, brummte er. »Ich hatte ja nur deshalb keinen Erfolg, weil ich in keiner Band spiele.«

»Und jetzt hast du vor eine Ein-Mann-Schlagzeugband aufzuziehen, oder wie?«

»Ja, mit dir als Sängerin.«

Mir fiel fast mein Wasserglas aus der Hand.

»War nur ein Scherz, keine Sorge. Ich werde mich auf eine Stelle als Schlagzeuger bewerben.«

»Ach. Bewerben muss man sich da? Ich dachte, es würde reichen einfach mal vorzuspielen.«

»Ja, oder so. Aber ich muss ja erst herausfinden, wo das Vorspielen überhaupt stattfindet.«

»Und bei welcher Band willst du da vorspielen? Kennt man die oder spielen die nur in der heimischen Garage?«

»Wie kann man denn nur immer so negativ eingestellt sein?«

»Ich bin so, wenn es darum geht mit meiner Umwelt in Kontakt zu treten.« Und meine negative Grundeinstellung zu meiner Umwelt wurde in diesem Moment noch negativer. Sam Stalinski bewegte seinen Astralkörper wie ein nordischer Gott zur Tür herein, im Schlepptau Candice. Ihr knallroter Lippenstift war total verschmiert und ihre Bluse noch einen Knopf weiter offen. Sofort war jedem klar, weshalb sie noch später als wir eintrudelten. Sam hatte sein selbstbewusstes Strahlelächeln aufgesetzt. Ein Siegerlächeln, wie es nur wenigen gegeben war. Ich hätte kotzen können. War es mir nicht ein einziges Mal vergönnt, diese Vorlage meiner schlaflosen Nächte ohne ein aufgeknöpftes Möchtegern-Groupie um den Hals zu bewundern? Sie strich ihm seine blonden Haare aus dem Gesicht und himmelte ihn an, als hätte sie ihn noch nie gesehen. Dabei spielte er jeden Tag mit seiner Mannschaft Rugby auf dem Schulgelände. Er beachtete sie kaum, obwohl sie sich an ihn klammerte wie eine Ertrinkende. Mich beachtete er allerdings auch nicht. Aber wenn er aufs Klo musste, dann musste er direkt an mir vorbeigehen. Mit einem Mal war ich Will fast dankbar für diesen Losertisch.

»Also kommst du nun mit?«, fragte Will nachdrücklich.

»Ich? Wohin?«

»Na zu dem Konzert heute Abend. Die spielen im B120.«

»Ugh, im Ernst? Ne, ich hab grad keine schmutzigen Klamotten zum Anziehen. Und außerdem möchte ich das Referat über den Untergang der nordischen Götter vorbereiten und noch einiges dazu recherchieren. Das wird so spannend werden!« Ich warf einen Blick hinüber zu Sam. Wenn der mir als Vorlage dienen würde, könnte ich sogar Szenen dazu zeichnen.

Will folgte meinem Blick und verdrehte die Augen. »Aber über mich lästern, wenn ich in Candice’ Ausschnitt falle. Der Typ ist doch auch nichts anderes, nur halt in männlich. Fürchterlich männlich.«

»Candice ist billig … aber Sam … der ist einfach nur göttlich.«

»Der ist ne Hohlbirne. Glaubst du, der könnte dein Smartphone wieder zum Laufen bringen, wenn du dir nen Virus eingefangen hast, oder gar deinen Computer?«

»Dafür hab ich ja dich«, konterte ich.

»Genau. Und ich habe dich, damit du mit mir heute Abend die Band begutachtest, bei der ich vorspielen möchte. Für das Referat hast du zwei Wochen Zeit und das Thema kennst du in- und auswendig.«

»Naaaaaa gut, ich gebe mich geschlagen.« Zum Glück kam unser Essen – somit war William beschäftigt und ich konnte noch eine Weile unauffällig Sam bewundern, den ich mir durchaus als Thors Sohn vorstellen konnte. So groß, so muskulös und so blond – einfach göttlich. Und er kam soeben auf mich zu. Unglücklicherweise rutschte mir der komplette Burger samt Salatblatt, Tomate und Senf aus dem Brötchen und platschte auf den Teller.

Sam schenkte mir sein strahlendes Lächeln. »Hallo allwissende Schönheit, du hast da was am Kinn.« Er tippte sich mit dem Finger an die Stelle, wo in ein paar Jahren sicher mal ein cooler Dreitagebart stehen würde, um mich wissen zu lassen, wo mein Essen hängengeblieben war, und verschwand auf dem Klo. Ich gab auf. So würde das nie was werden. Bei Candice blieben die Lebensmittel wenigstens im Ausschnitt hängen und er konnte sie genüsslich wieder rausfischen. Aber wer leckte schon gern anderer Leute Kinn ab.

Will lachte sich fast scheckig.

»Hör bloß auf, sonst gehst du da heute Abend allein hin«, drohte ich.

Schnell biss er sich auf die Lippen und versuchte sich zu beherrschen.

»Also, wann holst du mich ab?«

»Um halb neun.«

»Super, dann kann ich ja doch noch zwei Stunden recherchieren.«

»Du könntest auch zwei Stunden damit verbringen dich schick zu machen.«

Ich hörte auf die Reste des Burgers vom Teller zu kratzen und blickte ihn fragend an. »Wie meinst du das?«

»Naja, die meisten Mädels würden sicher eine Stunde vor dem Schrank verbringen, um die perfekten Klamotten zu finden und sich dann in der zweiten Stunde die Haare machen und schminken.«

»Was genau stört dich an Jeans, Shirt, Pferdeschwanz und Eyeliner? Wir gehen nur ins B120.«

»Mich stört da nichts, ich wollte dich nur warnen. Schließlich spielt Nothing Out.«

»Nothing Out? Du willst bei Nothing Out vorspielen?«, kreischte ich eine Spur zu laut.

»Echt, Nerd?«, vernahm ich die tiefe Stimme von Sam wieder hinter mir, der gerade aus dem Klo kam. »Find ich mutig von dir. Viel Glück. Kriegen wir dann mal VIP-Karten von nem Konzert?«

»Ich muss ja erst genommen werden«, antwortete Will kleinlaut.

»Sorry, ich wollte es nicht in die Welt posaunen. Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, flüsterte ich ihm zu, als Sam weitergegangen war.

»Weil du dann sicher nicht mitgegangen wärst.«

»Da hast du aber so was von recht, kannst dir gar nicht vorstellen, wie recht du hast.«

»Du hast schon zugesagt.«

Ich schnaubte. »Was in aller Welt willst du bei denen? Die machen keine Musik, die machen Krach.«

»Du hast es dir doch noch nicht mal richtig angehört.«

»Mannomann, ich versteh dich nicht.«

»Das Symphonieorchester sucht halt keinen Schlagzeuger, sodass ich dich damit hätte beeindrucken können.«

»Ich werde taub sein nach diesem Abend. Und unfähig jemals wieder Mozart auf dem Flügel zu spielen. Meine Finger werden wochenlang zittern vor Aggressionsschüben, die diese Musik in meiner zarten Natur hinterlassen wird.«

»Jetzt übertreibst du aber.«

»Ich übertreibe nie.«

Will rollte mit den Augen.

»Na schön, ich werde mich opfern. Weil du es bist. Auch wenn es mich meine Karriere als Pianistin kostet.«

»Du willst Archäologin werden. Klavier hast du nur gelernt, weil deine Eltern es so wollten. Also spar dir das künstliche Drama.«

Nothing Out, ausgerechnet Nothing Out! Ich hatte zwar tatsächlich noch keinen Song von dieser Band bewusst wahrgenommen, aber nachdem Candice und ihr Gefolge seit Wochen von nichts anderem schwärmten – abgesehen von der Rugbymannschaft um Sam natürlich – hatte ich kein Interesse diese Band näher kennenzulernen.

Sam deutete in unsere Richtung und erzählte seinen Kumpels etwas offenbar sehr Interessantes und ich konnte mir denken was, als Candice’ Augen sich so weiteten, dass ich befürchtete, ihre Augäpfel würden gleich herausfallen. Was hatte ich dem armen Will nur angetan, weil ich gleich so laut werden musste. Wenn er das Vorspielen vermasselte, dann konnte er sich den Spott bis zum Abschluss der A-Levels anhören. Und da waren es noch ein paar Monate hin.

»Also, ich muss noch ein bisschen Schlagzeug üben. Wie wär’s, wenn wir jetzt schon nach Hause aufbrechen?«

»Jetzt schon? Ich hab doch noch nicht alle Leute aufs Klo gehen sehen.«

Er winkte wortlos die Bedienung zu uns und zahlte alles.

»Hey, danke schön. Womit habe ich die Einladung zum Essen verdient?«, fragte ich vorsichtig, als wir das Appleplums verließen.

»Das war die Vorabentschädigung für heute Abend. Weil du deine knackigsten Jeans anziehen wirst und ein geiles T-Shirt und deine Haare offenlässt. Und wenn du keinen roten Lippenstift hast, dann kauf ich dir einen.«

Ich blieb stehen. »Willst du mich verscherbeln, oder was?«

Will drehte sich um und grinste. »Ich brauch einen Lockvogel, damit Thorsson mich überhaupt wahrnimmt. Sonst hätte ich auch allein dahin gehen können.«

»Das wird ja immer schöner. Warum fragst du nicht Candice, ob sie dich begleitet? Mit der könntest du noch sämtliche alten Hunde hinterm Ofen hervorlocken, die darauf warten sabbern zu dürfen.«

»Ich gehe lieber auf Nummer sicher.«

»Du willst nicht, dass dieser Thorsson, wer auch immer das ist, dir das Zuckerpüppchen aus dem Arm reißt und dich stehen lässt, stimmt’s?«

»Hm.« Will ging um das Auto herum und ließ mich stehen.

»Und jetzt soll ich mir die Tür selbst aufmachen, oder wie?« Ich versuchte vorsichtig die alte Verriegelung zu lösen. Zum Glück hatte ich wohl den richtigen Druckpunkt erwischt, um nicht den Griff in der Hand zu halten statt der Tür. »Weißt du«, murrte ich und ließ mich in den Sitz plumpsen. »Irgendwie komme ich mir gerade etwas herabgesetzt vor. Du nimmst mich nur mit, weil du weißt, dass mich keiner von den Rockern abschleppen wird.«

»Ich will ja nicht den Rest des Abends allein dastehen.«

»Super.« Was freute ich mich auf diesen Abend. Sollte ich Will wirklich den Gefallen tun und mich schicker machen, als ich es für das B120 normalerweise tat? Wenn ich nur an die versifften Knutschsofas hinten an der Wand dachte, bekam ich schon Pickel. Aber denen würde ich heute möglicherweise entkommen, da Will ja wirklich auf die Band scharf war und sich sicherlich in ihre Sichtweite drängen würde – und mich mit.

***

Zum Trotz schmiss ich zu Hause sofort den Rechner an und versuchte noch einige neue Studien zum Thema nordische Götterwelt zu finden. Aber Will hatte recht. Ich kannte das Thema fast in- und auswendig. Dad hatte vor einem halben Jahr in seiner Abteilung im Museum eine Ausstellung dazu eingerichtet und ich durfte die Pressemitteilung und die Texte in den Broschüren vorbereiten. Wenn ich doch nur irgendwoher noch etwas Neues, Ungewöhnliches, nie Dagewesenes darüber erfahren würde. Nur woher? Ich nahm mir vor in den nächsten Tagen noch einmal in der British Library vorbeizuschauen und in den ältesten Büchern zu diesem Thema zu forschen.

Sollte ich jetzt wirklich meinen Schrank nach der knackigsten Jeans durchforsten, die ich besaß? Unten im Flur hörte ich etwas rumoren. Mom war zurück. Das wäre die Ausrede, mich nicht ungewöhnlich schick gemacht zu haben. Schließlich musste ich sie ja noch über ihren Tag ausfragen. Es war ja immer so unglaublich interessant zu hören, was die anderen Damen der Gesellschaft zur Wiederentdeckung altenglischer Kuchenrezepte zu erzählen hatten. In meinem Hinterkopf hörte ich Will lästern, meine Gedanken würden vor Sarkasmus triefen. Aber wenigstens sabberte ich nicht den ganzen Tag herum wegen einer Lärmtruppe und eines Typen, der Thorsson hieß. Außer es würde sich herausstellen, dass er aussah wie Sam. Dann hätte er zumindest den richtigen Nachnamen.

Mom war begeistert mir von dem netten Klatsch und Tratsch erzählen zu können, der in der Gesellschaft die Runde gemacht hatte. Ich nahm mir wieder einmal vor ganz sicher mein Leben lang zu arbeiten, um ja nie in die Lage zu kommen meine Nachmittage in derartigen Situationen verbringen zu müssen. Mom redete ohne Unterlass, während sie die mitgebrachten Raritäten, die sie in ihrer Gruppe gegen ihre selbstgemachten Chutneys eingetauscht hatte, im Schrank verstaute.

Thorsson – wenn einer der Bandmitglieder von Nothing Out wirklich Thorsson hieß, dann hatte er Vorfahren aus Nordeuropa. Vielleicht kamen die bei ihm tatsächlich durch. Vielleicht war’s aber auch nur der Manager, ein dicker alter Mann mit Halbglatze und Goldkette, an dessen Haarrest man die Farbe ohnehin nicht mehr erkennen konnte. Vorsicht Sarkasmus, hörte ich wieder Wills Ermahnung ganz still und leise durch meine Gehirnwindungen wandern. War ich wirklich so schlimm? Ich war doch nur realistisch. Wer managte schon so eine Anfängerband ohne Plattenvertrag? Bestimmt kein junger, knackiger, voll engagierter PR-Mensch. Vielleicht hatten sie auch gar keinen Manager. Sollte ich womöglich im Netz mal nach ihnen suchen?

»Und was machst du noch Nettes heute Abend?«, fragte Mom, die sicherlich längst bemerkt hatte, dass ich ihr nur mit halbem Ohr lauschte.

»Ach, ich geh mit William auf ein Konzert.«

»Das ist aber schön. Was wird denn gegeben?«

»Indie-Rock. Laut, hart und nervtötend.«

Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»William will dahin.«

Ihre Miene wurde nachsichtiger. Solange Will das wollte, war alles völlig in Ordnung. Will wäre ja ihr liebster Schwiegersohn – alteingesessene Familie, gute Erziehung, perfekte Noten, keine Ausfälle – zumindest keine, die bekannt geworden wären. Ich wusste allerdings von seiner Leidenschaft für den guten alten Scotch, den sein Vater bunkerte, die Wills Programmierungen mitunter sprachlich sehr gewandt, aber funktionell katastrophal ausfallen ließ.

»Na gut, William wird sicher dafür sorgen, dass du wieder heil nach Hause kommst.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Aber müsstest du dich nicht zurechtmachen, es ist schon acht?«

Toll, da war ich wieder. Nun hatte ich auch noch den offiziellen Auftrag meiner Mutter meinen Kleiderschrank zu durchwühlen.

***

Die Jeans war schnell gefunden. Aber welches T-Shirt sollte ich anziehen? Konnte es wirklich so schwer sein, ein passendes T-Shirt zu finden? Draußen prasselte der Regen in Strömen an mein Fenster. Es war wieder mal arschkalt geworden. Ein Blitz zuckte über den Himmel. Gut, dass Will nicht gern U-Bahn fuhr. In seiner alten Karre blieben wir definitiv trockener, als wenn wir jetzt zu Fuß bis zur nächsten Station laufen müssten. Ich zog ein schwarzes Shirt mit V-Ausschnitt an. Das musste heiß genug sein für das B120. Und über die Haare gebürstet war auch gleich. Bisschen Farbe ins Gesicht und ich konnte behaupten gestylt zu sein.

Will hupte vorm Haus. Pünktlich fünf Minuten zu früh, wie immer. Ich schlüpfte schnell in eine Jacke, schob ein paar Pfundnoten in die Hosentasche, wobei ich darauf achtete, dass ich auch sicher Geld für ein Taxi dabeihatte, falls ich anders nicht nach Hause käme, und sprang die Treppe hinunter.

»Schönen Abend, mein Schatz«, verabschiedete mich Mom. »Stell dich nicht zu nah an diese Boxen, das schadet dem Gehör. Und du hast hoffentlich Geld für ein Taxi dabei.«

»Danke Mom, ja Mom, hab ich.«

»Dann gib es ja nicht für Getränke aus. Soll ich dir lieber noch ein bisschen mehr zustecken?«

»Nein, Mom, danke, für ein Wasser reicht es. Mehr trinke ich nicht.« Ich wollte ja nicht im B120 aufs Klo müssen.

»Wenn du meinst.« Sie drückte mir einen Kuss auf die Stirn, wobei sie sich seit letztem Jahr auf die Zehenspitzen stellen musste, was mich immer wieder schmunzeln ließ. Aber meine Größe war eine super Ausrede dafür nicht wie Candice auf Stöckelschuhen daher wackeln zu müssen, um nicht übersehen und über den Haufen gerannt zu werden.

Will hatte den Motor laufen lassen und die halbe Straße mit seinem Gestank verpestet. Nicht einmal der Regen war fähig den Qualm mitzureißen. Ich machte mich wieder vorsichtig am Griff zu schaffen.

»Ich hab die Tür längst repariert. Du kannst sie ganz normal öffnen«, rief Will heraus.

»Hättest du das nicht gleich sagen können?« Ich riss die Tür auf und sprang hinein. Meine Haare tropften. »Na super, alle Mühe umsonst.«

Will lachte. »Du bist nicht länger als fünf Minuten vorm Spiegel gestanden, das wette ich. Aber du siehst trotzdem toll aus.«

»Bin eben eine Naturschönheit. Fahr endlich los, damit das Gebläse meine Haare wieder trockenföhnen kann.«

Bis wir am Klub ankamen, waren meine Haare tatsächlich durch den heißen Motorwind, der nahezu ungefiltert durch die nicht mehr regulierbaren Düsen pfiff, fast trocken.

Vor der Tür stand eine Schlange von Leuten.

»Meine Güte, müssen wir uns jetzt auch noch anstellen? Was wollen die alle hier?«

Will seufzte. »Im Gegensatz zu dir wissen andere in unserem Alter eben, wer die gerade angesagte Band ist.«

»Ich würde mich auch nicht für die London Philharmoniker in den strömenden Regen stellen.«

»Das musst du auch nicht, weil dir dein Vater eine Dauerkarte für die Philharmonie spendiert hat, mit der du durch den VIP-Eingang kommst. Genauso wie wir jetzt, weil der Besitzer mir noch was schuldig ist, da ich ja erst letzte Woche seinen PC wieder zum Laufen gebracht habe.«

»Und das natürlich ohne Hintergedanken.«

»Was dachtest du denn?« Er grinste und schob mich, mit seiner Jacke über unseren beiden Köpfen, an der Schlange vorbei bis zum Türsteher, der uns tatsächlich sofort öffnete.

»Hey Nerd«, rief uns jemand nach, den ich sofort als Sam identifizierte. »Kannst du uns noch Plätze an der Bar freihalten?«

Will brummte nur was von Hohlbirne und kümmerte sich nicht darum. Ich hätte mich gern hilfsbereiter gezeigt, aber er zog mich unter seiner Jacke weiter.

Drinnen tobte schon der Bär. Zumindest hörte sich der Bass, den ein Typ auf der Bühne in dem sonst fast leeren Raum bearbeitete, so an, als wäre ein Bär verletzt worden und gerade dabei durchzudrehen. Ich überlegte fieberhaft, wie meine Chancen standen mit meinem Taxigeld möglichst schnell wieder das Weite zu suchen. Sie standen schlecht. Will schnappte sich meine Hand und umklammerte sie wie seine Gamermaus mit einem Griff, bei dem mir klar wurde, weshalb er sich ein Metallgehäuse für die Maus zugelegt hatte.

Der blonde Kerl auf der Bühne drückte dem armen Bären endgültig die Luft ab. »Ist das Thorsson?«

»Nein, das ist Andorsson, der Bassist«, brummte Will.

»Sind das Schweden?«, fragte ich schon interessierter.

»Keine Ahnung, sie singen jedenfalls englisch.«

»O Wunder, das ist ja selten in der Musik.«

Ein Typ mit Sticks kam auf die Bühne. Mittelblond, hätte ich bei dem schummrigen Licht behauptet.

»Ist das Thorsson?«

»Nein, das ist der Drummer, der aufhört. Wenn das Thorsson wäre, müsste ich ihn ja nicht ums Vorspielen fragen.«

Auch ein Argument.

Ein weiterer hellblonder Jüngling erschien. Der konnte schon durchaus mit Sam mithalten. »Aber das ist Thorsson. Sag mir bitte, dass er das ist. Dann hätte sich der Einsatz heute für mich gelohnt.«

»Nein, das ist Njördsson, der zweite Gitarrist.«

»Njördsson? Echt? Sind das Künstlernamen?«

»Wieso sollten sie Künstlernamen haben?«

»Na ja, Njörd ist der Zuständige für den Bereich Meer bei den nordischen Göttern und Thor ist der, der weiß, wo der Hammer hängt. Njördsson – Thorsson … Das weißt du doch.«

»Und wer ist Andor?«, fragte Will und grinste.

»Andor ist unter anderem ein norwegischer Vor- oder auch Zuname, bedeutet aber auch so viel wie Donnerschlag. Wie heißt denn der Drummer?«

»Meyers.«

»Ok, drum fliegt der raus. Und blond genug ist er auch nicht.«

Will zupfte an seinen kreuz und quer stehenden Haaren von undefinierbarer Farbe, die jedoch definitiv nicht blond waren. »Und ich komm gar nicht erst rein, oder wie?«

»Tja«, ich klopfte ihm auf die Schulter. »Sie werden schon nicht so viel Auswahl haben – in blond, mit nordischen Namen.« Wann kam denn dieser Thorsson endlich? Hoffentlich bevor die ganzen Leute eingelassen wurden. Ich hatte keine Lust mich hin und her schubsen zu lassen, nur weil alle nach vorn drängten und direkt an der Bühne hängen wollten. Hängen war der richtige Ausdruck, wenn ich an Candice dachte – wie sie sich an das Holz drückte, damit ihr Busen direkt vor den Musikern auf den Brettern lag und sie ihr bis runter zum Bauchnabel sehen konnten. Oder sie ließ den Ausschnitt gleich platzen. Das gäbe ne Show. Nur ich würde sicher nicht neben ihr stehen. Ich konnte mich ja so herausreden, dass meine Mutter mich nur mit dem Versprechen hatte gehen lassen, ich würde nicht zu nah an den Krach gehen. Wenn nur wenigstens dieser Thorsson endlich käme, damit Will seinen Termin vereinbaren konnte. Vielleicht konnten wir dann ja wieder gehen. Wobei der Gedanke eher illusorisch war. »Ich hol mir mal schnell ein Wasser, bevor hier alles dicht ist. Willst du auch was?«, fragte ich Will.

»Danke, ich warte noch.«

Auch gut. Der Typ an der Bar putzte gerade den Tresen. Dann konnte ich mich zumindest drauflehnen ohne festzukleben, während ich wartete.

»Hi, kannst du mir was Scharfes machen?«, brummte eine heisere Stimme hinter mir. Ich schielte vorsichtig über meine Schulter. Zum Glück hatte der Typ nicht mich gemeint, sondern den Barkeeper. Das war sicher kein nordischer Gott, zumindest keiner von den Blonden. Er hätte Lokis Sohn sein können. Seine dunklen Haare, in denen nicht einmal eine einzige hellere Strähne etwas Licht in die Finsternis seiner Aura brachte, hingen verstrubbelt bis auf seine Schultern herab, als wäre er direkt aus dem Bett an die Bar gefallen. Sein T-Shirt sah genauso aus. Himmel, hatte es das nicht in seiner Größe gegeben? Warum mussten diese durchtrainierten Kerle das Zeug immer so eng tragen, dass man ihren Sixpack erahnen konnte? Und so kurz, dass man bei einer ungünstigen Bewegung den Bauchnabel sah. Hatte der tatsächlich am Bauch eine Tätowierung? Die schwarzen Linien auf seiner Haut über der Gürtelschnalle deuteten durchaus darauf hin. Die Gürtelschnalle war aber interessanter. Sie sah aus wie der Kopf eines Drachen, der sich um seine Hüfte wand. In der nordischen Mythologie hätte der Drache eine Schutzfunktion, wenn er sich um einen Schatz winden würde. Nun ja, auch in diesem Fall hatte er eine Schutzfunktion, wenn auch nur die, dass die Hose nicht runterrutschte. Ob er damit allerdings einen Schatz hütete, blieb dahingestellt.

»Hey, schöne Frau, willst du was Bestimmtes sehen? Ich hab’ noch zehn Minuten. Ich kann mich auch ausziehen.«

Sofort riss ich meinen Blick von ihm los und starrte den Barkeeper an, der mit einem breiten Grinsen im Gesicht einen Tequila einschenkte.

»Hi, Thorsson. Gut, dass ich dich noch vor dem Konzert treffe, ich bin Will«, hörte ich Will hinter mir.

Bei Odin, das war Thorsson? Und ich sollte bei dem den Lockvogel für Will spielen? Oder was hatte er sich vorgestellt, wozu ich hier dabei war?

»Hi, Will. Was kann ich für dich tun?«, grüßte Thorsson mit immer noch verschlafener Stimme und nahm den Tequila über dem Tresen entgegen, um sich sofort einen Schluck zu genehmigen. Mir stellten sich die Fingernägel auf. Der soff schon, bevor der Abend richtig losgegangen war. Ich für meinen Teil würde ganz sicher ganz weit hinten stehen, nicht dass der noch mittendrin von der Bühne fiel und direkt auf mich.

Will legte unnötigerweise den Arm um meine Hüfte und drehte mich mitsamt dem Barhockersitz komplett in Thorssons Blickrichtung. Der grinste. Aber es war ein unechtes Grinsen. Er war definitiv nicht belustigt. Vielleicht musste er auch nur alle Gesichtsmuskeln aufwärmen, weil die noch im Koma vom Rausch des vorangegangenen Abends lagen. Sollte Will tatsächlich in diese Band aufgenommen werden, musste ich ihm klarmachen, dass der Ruhm nicht ewig halten würde. Der Typ hier vor mir war auf dem besten Weg nicht älter als fünfundzwanzig zu werden.

»Ich würd gern bei euch vorspielen, als Drummer«, sagte Will, erstaunlich selbstbewusst.

»Hast du schon mal gespielt?«

»Klar hat er das«, antwortete ich. »Der spielt jeden Tag stundenlang und spitzenmäßig.«

Thorsson grinste wieder müde. »Ich meinte eigentlich in einer Band.«

»Reicht doch, wenn er es kann, oder?«

Thorsson nickte, kaum, dass man es sah. Aber er nickte. Und nahm wieder einen Schluck. Der hatte bei dem Konsum in Kürze doch vergessen, was er mit Will vereinbarte, sollte es noch dazu kommen. War der überhaupt nüchtern hier aufgetaucht?

»Also gut, weil deine süße Freundin gar so überzeugt von deinen Musikereigenschaften ist, kannst du zum Vorspielen vorbeikommen.« Er machte dem Barkeeper ein Zeichen, dass er etwas zu schreiben brauchte und krakelte ein paar Zeilen auf einen Zettel. »Und du bist ebenfalls herzlich eingeladen.« Er drückte mir den Zettel in die Hand und ging.

»Super! Ich geh da nicht mit, das sag ich dir«, flüsterte ich Will zu, als Thorsson nicht mehr in Hörweite war.

»Hey, das kannst du mir nicht antun. Das war keine Einladung im höflichen Sinn, der hat damit gemeint, dass ich ohne dich da gar nicht aufzutauchen brauche.«

»Dann erzähl ihm einfach, ich hätte meine Tage und müsse mit einer Wärmflasche auf dem Bauch auf der Couch liegen.«

»Ja super. Und ich kann mir dann die größte Chance meines Lebens in die Haare schmieren.«

»Komm, hör auf, du hörst dich ja an wie ich.«

»Ich meine es ernst. Einmal bei Nothing Out gespielt haben und der Rest der Welt reißt mich denen aus den Fingern.«

»Ich fürchte, mehr als einmal wirst du da auch nicht spielen. So wie Thorsson schwankt, ist der gerade auf dem besten Weg sich zu Tode zu saufen.«

»Hm, vielleicht geht’s ihm nicht gut.«

»Das ganz sicher.«

»Also auf deren YouTube-Videos schwankt der nie. Da wirkt er immer total nüchtern.«

»Die werden sie halt in den fünf Minuten am Tag gedreht haben, wo er nüchtern ist.« Wann auch immer das sein sollte. »Hast du die überhaupt schon mal live gesehen?«

»Nein, weil die Klubs, in denen sie sonst spielen, lange vorher schon ausverkauft sind. Ich hab das bisher immer zu spät mitbekommen. Bitte, Skye, das ist meine einzige Chance.«

»Wenn meine Mutter das mitbekommt, dass ich zu den Kerlen privat gehe, lässt sie mich nicht mehr aus dem Haus, bis ich volljährig bin.«

»Super, das ist nicht mal mehr ein Jahr und zwei Wochen bis dahin. Ist dir dieses Opfer wirklich zu groß für mich?«

»Du hörst dich schon wieder an wie ich. Dieses künstliche Drama zieht bei mir nicht. Das habe ich erfunden.«

»Na gut. Ich schwöre dir, ich fixe dein Leben lang jedes deiner Computerprobleme, wenn du mit mir zum Vorspielen gehst.«

Ich nippte an meinem Wasser, bevor ich in Versuchung geriet tief Luft zu holen. Die Luft in diesem Raum war definitiv nicht geeignet dafür. »Alle Probleme auf allen meinen Computern ever?«

Will sah mich skeptisch von der Seite an.

»Willst du, dass ich mitgehe?«

»Wie viele Computer hast du vor in deinem Leben zu besitzen? Reichen dir drei und ein Tablett nicht?«, fragte er vorsichtig.

»Smartphone nicht vergessen und ich werde ja auch noch Arbeitsgeräte brauchen.«

»Aber ich bin ein Nerd, oder wie? Gut, auch wenn ich dann vermutlich verarmen werde, weil ich zu nichts anderem mehr komme.«

»Künstliches Drama – spar’s dir.«

Will bestellte sich ein alkoholfreies Bier. Wenigstens konnte ich mich darauf verlassen, dass er in der Öffentlichkeit nicht ausfällig wurde. Wobei … »Aber du versprichst mir, dass du nicht zu saufen anfängst wie Thorsson, wenn du in der Band bist.«

»Die anderen haben auch Alkfreies neben sich stehen.«

Er deutete auf die Bierflaschen am Bühnenrand. Ich glaubte zwar nicht, dass die nie Alkohol tranken, weil es keine Band gab, die sich cool nannte, bei der nicht irgendwann einer benebelt von der Bühne fiel. Aber mir konnte es ja egal sein – solange Will da nicht mitmachte.

Die Tür wurde geöffnet und die Leute stürmten herein, als hinge ihr Leben davon ab, Erster zu sein. Thorsson ließ seine Leadgitarre aufjaulen und die Mädels kreischten, dass mein Trommelfell um Hilfe flehte. Bei den Philharmonikern ging es definitiv entspannter zu. Ich lehnte mich an die Bar, weil ich Thorsson ja nicht mehr bestaunen musste, und ließ den Krach über mich ergehen, während ich im Geiste mein Referat durchging. Wenn ich nachher zu aufgeputscht von dem Lärm hier wäre, um zu schlafen, konnte ich gleich noch ein paar Seiten tippen.

***

»Das Konzert war so oberhammer«, schwärmte Will während der ganzen Fahrt nach Hause. »Thorsson hat doch eine unglaubliche Stimme. Was der für Töne rausbringt!«

»Vor allem die Krächzlaute, sehr beeindruckend.«

»Ach komm, du bist eine alte Miesepetertante. Der hat sicher nen Infekt oder so was. Sonst krächzt der nie. Der hat eine Kraft in der Stimme, als würde er seit hundert Jahren nichts anderes tun als singen.«

»Drum ist die Stimme ja schon so abgenutzt, dass sie krächzt.«

»Mensch, Skye, gib den Jungs doch wenigstens eine Chance. Wenn ich da reinkomme, wirst du die sicher öfter hören.«

»Wie kommst du darauf?«

»Na, du wirst doch wohl hin und wieder zu einem Konzert kommen, bei dem ich spiele?«

»Das war aber so nicht abgemacht«, erwiderte ich entrüstet.

»Hey, du bist meine beste Freundin.«

»Deine einzige.«

»Weil du so viel mehr Freunde hast.«

»Freunde werden total überbewertet, mir reicht einer und das bist du.«

»Weil ich dir deine Elektronik in Schuss halte.«

»Klar.«

»Ich bin enttäuscht.« Will machte ein demonstrativ weinerliches Gesicht und starrte aus der Windschutzscheibe, die gerade wieder vom Regen völlig überschwemmt wurde.

»Vielleicht solltest du mal deine Scheibenwischer austauschen. Oder hat der Wagen Autopilot?«

Er schaltete die Wischer auf höchste Stufe.

»Wir heben gleich ab, so wie die flattern«, bemerkte ich skeptisch.

»Dass es aber auch so regnen muss.«

»Wir sind in London. Unsere Familien leben seit Generationen hier. Die können dir sicher berichten, dass es außerhalb deines Nerdzimmers schon immer solches Wetter gab.«

Will fuhr links ran. Ein Blitz zuckte über den Himmel. »Nur so viel, wie es in den letzten Tagen regnet und gewittert – das ist schon ungewöhnlich.«

Ich sah gen Himmel. Möglicherweise hatte er recht. Aber das Wetter hielt sich nun mal an keine Regeln. Es schwankte immer wieder und das seit Anbeginn der Welt. Vielleicht sollte ich meine ersten Arbeitsjahre als Archäologin damit verbringen im ewigen Eis zu bohren, um die vielen Klimaveränderungen der letzten Jahrtausende zu erforschen. Das könnte ich sicher gut dazu brauchen, um mögliche Gründe für den Untergang von Kulturen zu analysieren. Es wäre vielleicht sinnvoll, ich würde an die Archäologie noch ein Studium in Richtung Klimaforschung dranhängen. Interessant wäre es in jedem Fall. Noch ein Blitz zuckte über den Himmel. Horizontal. Wenigstens konnte der keinen Schaden anrichten. Der Donner, der folgte, widersprach meiner Vermutung.

»Wo hat der denn eingeschlagen?«, fragte Will und starrte zwischen den flatternden Scheibenwischerblättern auf die Häuser vor uns.

»Keine Ahnung. Vielleicht in Wolkenkuckucksheim?«

Fast schlagartig hörte der Regen auf und unsere Sicht war wieder frei. Will hebelte den Gang ein und nach ein paar Fehlzündungen waren wir auch schon wieder auf der Straße. Den ersten halben Kilometer in Schrittgeschwindigkeit. Ich gähnte. Was freute ich mich auf mein Bett.

Kapitel 2

Ich hatte das Gefühl immer noch ein Grundrauschen des Krachs von gestern in meinen Ohren zu haben, als ich aufwachte. Oft würde ich da sicher nicht hingehen, auch dann nicht, wenn Will als Drummer mitspielte. Und genauso wenig, wenn sie für eine Woche die berühmteste Band der Welt wären. Länger würden sie es sowieso mit dem Sänger nicht schaffen. Es war schon der Wahnsinn, wie der dabei war sich zugrunde zu richten. In der Pause hatte er sich tatsächlich noch zwei Tequilas reingezogen und sich danach sichtlich gekrümmt und den Arm um seinen Bauch geschlungen. Ich wollte, ich hätte es gar nicht mitbekommen, aber unglücklicherweise saß ich immer noch genau an dem Platz an der Bar, der für ihn am leichtesten zugänglich war. Auf meine Frage, ob ich vielleicht einen Arzt rufen sollte, hatte er nur wieder so seltsam gegrinst. Aber das Unheimlichste war sein Blick, mit dem er mich dabei angestarrt hatte. Seine Augen wirkten schwarz oder zumindest total dunkel in dem schummrigen Licht. So leblos. Der machte es nimmer lang, wenn er nicht endlich die Kurve bekam, da war ich mir sicher. Und ich mochte diesen Gedanken überhaupt nicht, weil ich das Gefühl hatte, ich müsste etwas tun. Nur was? Ich kannte den Typen ja nicht. Und ich wollte ihn eigentlich auch gar nicht kennenlernen. Mannomann, wäre ich nur zu Hause geblieben.

»Skye, Schätzchen«, rief Mom von unten herauf. »Bist du schon wach?«

»Ja, Mom«, rief ich zurück. Wobei das »ja« auch eher ein Krächzen war, bis meine Stimme wieder bei mir war. Ich hatte mich gestern eindeutig zu laut verständigen müssen.

»Ich muss leider schon los. Fenna Foley erwartet mich zum Brunch und Dad ist im Museum. Die haben da irgendetwas Neues gefunden. Ich fürchte, er wird die nächsten Tage kaum zu Hause auftauchen.«

Ich horchte auf. »Was Neues gefunden?«, rief ich zurück und sprang aus dem Bett.

»Ja, aber ich soll dir ausrichten, du möchtest bitte noch nicht vorbeikommen. Er gibt Bescheid, wenn du es dir ansehen kannst.«

Ich hatte bereits meine Zimmertür aufgerissen und lehnte mich über das Geländer der Galerie.

»Himmel, Skye, hast du mich erschreckt! Gib Acht, dass du nicht herunterstürzt. Mir gefällt das gar nicht, wenn du dich immer so weit überlehnst.«

»Sonst seh ich dich ja nicht. Hat Dad gesagt, ob es etwas Bedeutendes ist? Haben sie es an der Küste gefunden? Komm, sag schon!«

»Kindchen, du weißt, dass dein Vater mit mir darüber kaum spricht, weil mir der wissenschaftliche Hintergrund dafür fehlt.«

»Mannomann, und warum sagt er das nicht mir?«

»Weil du nicht da warst, als er gestern nach Hause kam, und gerade erst aufgestanden bist.«

Kacke, und das alles nur wegen dieser doofen Krachband. »Warum darf ich es nicht sehen?«

»Weil sie es erst untersuchen wollen, vermute ich.«

»Ich will ja nur zusehen. Heute ist Samstag. Ich hätte den ganzen Tag und Abend und die Nacht Zeit daneben zu stehen und zuzusehen.«

Mom zog kopfschüttelnd ihre Jacke an. »Triff dich doch mit Freunden.«

»Ich habe keine außer Will und den hab ich gestern erst gesehen.«

»Ach komm, kein so junger Mensch wie du hat nur einen Freund. Du gehst doch zur Schule. Was ist denn mit dieser netten Tochter von Mrs Cavandish? Du gehst doch mit ihr in dieselbe Klasse. Mrs Cavandish hat mich ohnehin schon gebeten dich zu fragen, ob du ihrer Tochter nicht Nachhilfe geben könntest, weil sie Schwierigkeiten in Mathe und Geschichte hat.«

Mir kam das Würgen. »Mom, Candice Cavandish ist sicherlich die letzte Person, mit der ich mich anfreunden würde. Und sie hat nicht nur ein paar Schwierigkeiten, sie ist die Schwierigkeit in Person.«

»Du bist immer so negativ eingestellt. Ich habe Candice als sehr freundliches und gut erzogenes junges Mädchen kennengelernt. Vielleicht müsst ihr euch nur einmal treffen und nett unterhalten. Ruf sie doch an und lade sie zum Frühstück in euer Stammkaffee ein. Ich muss aber jetzt los, Fenna wartet mit den Erdbeertörtchen. Bis später, mein Schatz, und amüsier dich gut.«

Aber ganz sicher nicht mit Candice.

Ich schlurfte ins Bad und sah in den Spiegel. Ooops, ich hatte ganz vergessen, dass ich mich geschminkt hatte. Aber das war auch kein Wunder. Bis wir im Schneckentempo mit dreimal Anhalten wegen plötzlich aufkommender Wolkenbrüche und Gewitter zu Hause waren, war ich todmüde gewesen. Irgendwann musste ich ein ernstes Wort mit Will über sein Auto reden.

Ich hüpfte unter die Dusche und schrubbte mir das Gesicht. Es fühlte sich an, als wäre der Siff des ganzen Klubs an mir hängengeblieben. Besser ich zog mein Bett auch gleich noch ab und warf alle Klamotten inklusive Jacke in die Wäsche.

Als ich alles erledigt hatte, schickte ich Will eine Nachricht, dass ich im Appleplums frühstücken würde und schnappte mir mein Notebook. Es war schon eine Schande, dass ich auch noch am Wochenende dort rumhing, aber das Appleplums hatte nicht nur die besten Veggieburger, sondern auch die großartigste Auswahl an Müslis. Und ich konnte es zu Fuß erreichen, wenn ich Lust auf einen Spaziergang hatte. Den brauchte ich jetzt auch. Endlich raus, auch wenn die Luft in London nicht gerade rein war, war sie immer noch besser als im B120. Ne, selbst wenn dort Thor höchstpersönlich in einer Band spielen würde, ich würde da nicht öfter als nötig hingehen. Das war nicht meine Welt.

***

Im Appleplums erwischte ich zum Glück gerade noch einen der hohen Tische an der Wand, weit weg vom Klo und mit Aussicht auf die Straße statt auf den mit Kisten vollgestapelten Lichthof. So lobte ich mir das. Man musste einfach früh genug da sein, bevor die ganzen Nachteulen hereinfielen und alles blockierten. Ich bestellte mir einen Cappuccino und mein geliebtes White vegan Chocolate Müsli mit Chiasamen und Hafermilch und klappte mein Notebook auf.

»Mensch, Skye«, tönte es von der Tür her. »Kannst du nicht an deinem Klotisch sitzen wie immer? Jetzt haben wir keinen Platz mehr.«

Ich gab mir Mühe nicht mit dem Löffel zu werfen und setzte stattdessen ein Lächeln auf, wie es einem solch schönen, sonnigen, regenfreien Spätmorgen angemessen war.

»Es steht dir frei heute meinen Platz einzunehmen, liebe Candice«, flötete ich.

»Ich will aber nicht«, motzte sie wie eine Zweijährige.

»Tja, dann musst du wohl an der Theke warten, bis ein Tisch frei wird.«

»Sam kommt aber in fünf Minuten und er hat gesagt, ich soll einen guten Tisch organisieren. Du sitzt doch sonst auch immer dort.«

»Aber nicht freiwillig.«

»Hi, Skye«, rief Will schon zur Tür herein und schob sich an Candice vorbei. Dicht genug, um sie zu streifen. Was für ein Schwerenöter.

»Will«, jammerte sie ihm hinterher. »Kannst du Skye nicht überreden sich an euren Stammtisch zu setzen?«

Er drehte sich um. Ich sah ihm an, dass er höchst erstaunt war, dass Candice seinen Namen kannte und ihn wenigstens einmal nicht Nerd nannte.

»Ich warne dich, Will«, zischte ich zwischen den Zähnen hindurch.

»Stimmt eigentlich, Skye, warum sitzen wir nicht an unserem Tisch?«, fragte er laut.

Candice Miene hellte sich schlagartig auf.

»Weil das nicht UNSER Tisch ist, sondern nur der, der immer übrig bleibt, weil wir hier zu spät anrollen.«

Will blickte unschlüssig zwischen Candice, dem Klotisch und mir hin und her. Ich würde meine vier Buchstaben heute ganz sicher nicht an diesem Tisch platzieren.

»Ach, Skye, so schlimm ist der Tisch doch auch nicht. Es ergeben sich oft nette Gespräche mit den Leuten, die aufs Klo müssen.«

»Wolltest du nicht was von mir, Will?«, fragte ich ihn kalt.

»Du hast schon zugesagt. Seine Versprechen muss man halten.«

Ich knirschte mit den Zähnen. »Selbstverständlich. Und meine Mutter hat mich heute gebeten Candice Nachhilfe zu geben. Ich bin am Überlegen, ob ich ihr das nicht auch versprechen sollte.«

Candice’ Augen weiteten sich wieder bis zu dem Punkt, wo ich darauf wartete, dass sie mit einem ploppenden Geräusch herausfielen. Aber offenbar waren ihre Augäpfel wirklich gut in den Augenhöhlen fixiert. Mochte man gar nicht glauben, wenn man die Totenschädel bei den Ausgrabungen sah, wo die Knochen doch deutlich größere Höhlen aufwiesen, als die Augen an Durchmesser hatten.

»Nerd, lass gut sein«, wehrte Candice ab. »Ich warte an der Bar in der Ecke. Irgendwann wird schon ein Tisch frei werden.«

Ich schenkte ihr ein zuckersüßes Lächeln und wandte mich wieder Will zu.

»Wir müssen um halb vier im East End sein«, erklärte er mir ohne Umschweife.

»Wieso das?«

»Na wegen dem Vorspielen, hast du das schon wieder vergessen?«

»Ich wusste ja nicht, dass wir dazu ins East End müssen und dass das schon heute Nachmittag stattfindet.«

»Mensch, Skye, Thorsson hat dir doch den Zettel gegeben.«

»Ich hab ihn nicht gelesen, das war ja dein Zettel.«

Will nahm einen Schluck von meinem Cappuccino. »Ich bestell dir gleich einen neuen, aber ich bin hundemüde, weil ich die ganze Nacht noch Schlagzeug geübt habe, damit die Songs auch wirklich sitzen.«

Ich schüttelte den Kopf. Was für ein Aufwand für ein bisschen Krach.

***

Bis wir am späten Nachmittag das Haus gefunden hatten, in dem die Band probte, dauerte es eine Weile. Nicht, weil es so weit weg gewesen wäre. Wir wären nur nicht auf die Idee gekommen, dass diese alte Hütte mit der abblätternden rostroten Farbe und den geschlossenen Fensterläden, die halb aus den Angeln gebrochen waren, in irgendeiner Form genutzt wurde. »Bist du sicher, dass du da rein willst?«, fragte ich Will, der sich nervös mit seinen Drumsticks auf die Handfläche klopfte.

»Ja, ich will«, erwiderte er feierlich. Er holte tief Luft und griff zu dem Klopfer an der Holztür.

»Pass bloß auf, dass dir das Ding nicht mitsamt der Tür in der Hand bleibt.«

Will klopfte dreimal in exakt dem gleichen Schlag, wie es sich für einen guten Drummer gehörte. Nichts passierte.

»Ich glaub, die sind nicht da. Gehen wir wieder.«

»Nichts da.« Will klopfte erneut. Wieder dreimal, wieder im gleichen Takt.

»Vielleicht solltest du einen anderen Takt ausprobieren.«

Er sah mich strafend an. Plötzlich grinste er und klopfte den Rhythmus von Knockin’ on Heaven’s Door. Ich griff mir an die Stirn. Doch in dem Moment wurde die Tür einen Spalt aufgezogen und Andorsson, der Bassist, blinzelte uns verschlafen an. »Hey sorry, ich dachte erst, es wär ein Vertreter. Aber bei dem Rhythmus war mir klar, dass das ein Drummer sein muss. Ich hab nicht gewusst, dass wir für heut was zum Vorspielen ausgemacht haben.«

Will kramte den Zettel aus seiner Hosentasche. »Thorsson hat mir den gestern gegeben.«

Andorsson öffnete die Tür ganz. Ich wartete auf ein grausiges Knarren, aber sie schwang auf, als wäre sie frisch geölt worden.

»Wenn es euch gerade nicht passt«, sagte Will zögerlich, »können wir auch später wiederkommen.«