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Was braucht es, um wieder zu vertrauen? Wie viel kannst du geben, ohne dich selbst zu verlieren? Die Studentin Malene hat in Uli den Freund gefunden, den sie sich schon lange gewünscht hat. Doch die Beziehung endet abrupt in einer herben Enttäuschung. Nachdem Malene den schlimmsten Liebeskummer überwunden hat, sieht sie nach vorn und plant ihr Masterstudium in Dänemark. In der Uni und in ihrem Job als Kellnerin trifft sie indessen immer wieder auf Julius. Er ist sanft und unaufdringlich, hört ihr zu und bestärkt sie in ihren Plänen - doch Nähe kann er nicht zulassen. Malene ist unsicher: Ist sie überhaupt bereit für eine neue Beziehung? Und was bedeutet das für ihre Auslandspläne? Komm mit ins studentische Erlangen, werde Teil einer liebevoll-chaotischen Mädels-WG und erlebe Schmerz, Hoffnung und Sehnsucht zwischen Uni-Bibliothek, Klinik und Studentenkneipe.
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Seitenzahl: 350
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In diesem Roman werden potenziell triggernde Themen aufgegriffen. Diese findest du auf Seite → am Ende des Buchs und auf der Website der Autorin www.hannebenden.de
Kapitel
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Ich zog meinen Wohnungsschlüssel so ruckartig aus dem Schloss, dass die Tür noch einmal ordentlich Schwung bekam und gegen die Wand krachte. Leonie steckte den Kopf aus ihrem Zimmer in den Flur. »Lene? Was ist denn los?«
Unterdessen riss ich mir mit einer Hand die Schuhe von den Füßen und pfefferte mit der anderen den Schlüssel auf die Kommode im Flur.
»Stress!«, rief ich nur und stürmte direkt weiter in mein Zimmer. Ich warf meine Tasche aufs Bett, der Anorak flog hinterher. Hektisch öffnete ich die Türen meines Kleiderschranks und kramte eine schwarze Hose hervor. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass Leonie mir gefolgt war und nun mit besorgtem Blick am Türrahmen lehnte.
»Ist alles okay?«
Ich wandte mich zu meiner Mitbewohnerin um, nickte schnell, löste das Zopfgummi aus meinem Nacken und fuhr mir mit der Bürste durchs Haar.
»Ja, alles okay«, antwortete ich mit zusammengepressten Zähnen, mit denen ich das Zopfgummi hielt. »Vor zwanzig Minuten hat Friedhelm mich angerufen und gefragt, ob ich spontan arbeiten kann. Ach, was heißt gefragt – er hat mich nahezu angefleht. Nora hat abgesagt und niemand sonst hat Zeit.«
Leonie hörte sich stumm meine Ausführungen an und sah zu, wie ich mein Haar zu einem Zopf flocht.
»Weißt du, das ist mal wieder so typisch Nora! Den ganzen Tag schon Kopfschmerzen haben, aber erst um kurz vor sechs auf die Idee kommen, dass sie ihren Dienst absagen muss.«
Mit schnellen Bewegungen wickelte ich das Haarband um das Zopfende, steckte eine verbleibende Strähne mit zwei Haarnadeln fest und warf einen Blick in den Spiegel. Alles saß fest, sehr gut. Ich schlüpfte in die Hose, zupfte noch einmal mein Oberteil zurecht und griff nach meiner Jacke.
»Bis später!«, rief ich meiner Mitbewohnerin zu, auch wenn ich nicht ernsthaft glaubte, sie nach dem Ende meiner Schicht zu sehen.
»Vergiss deinen Schlüssel nicht.« Leonie deutete auf die Kommode.
Im Vorbeigehen griff ich nach dem Schlüsselbund, stopfte ihn in meine Tasche und verließ die Wohnung. Vor dem Fahrradständer fiel mir jedoch ein, dass ich den Schlüssel ja wieder brauchte, um mein Fahrrad freizuschließen. Natürlich fand ich ihn in der Eile nicht so schnell, wie ich wollte, und so stellte ich fluchend die Tasche auf meinen Gepäckträger, öffnete weit den Reißverschluss und wühlte zwischen Kalender, Portemonnaie und allerlei Uni-Kram herum, bis ich den Schlüssel endlich fand. Wenn ich halbwegs pünktlich zum Dienst kommen wollte, musste ich mich jetzt beeilen.
Stinksauer bretterte ich über die erste Kreuzung. Ich hatte mich auf ein gemütliches Abendessen mit Leonie und Wilma gefreut, stattdessen hatte ich nun Hals über Kopf die Bibliothek verlassen müssen, um für Nora als Kellnerin einzuspringen. Statt Leonies leckerem Kartoffelauflauf, der gerade schon verführerisch aus der Küche geduftet hatte, würde ich heute Abend einen Salat oder ein Baguette in Etappen essen. Und die letzten zehn Seiten vom Lektürepaket für das morgige Seminar konnte ich vergessen. Toll auch! Zu allem Überfluss hatte ich in all der Hektik meine Handschuhe in der WG liegengelassen, was sich nun rächte. Für Ende März war es noch ganz schön kalt. Zumindest zu kalt, um abends ohne Handschuhe Fahrrad zu fahren.
Mit steifen Fingern schloss ich mein Rad im Hof der Studentenkneipe an und stürmte durch den Hintereingang hinein.
Friedhelm kam mir schon auf halbem Weg zur Küche entgegen. Sein Gesicht sprach Bände. Erleichtert warf er die Hände in die Luft und seufzte.
»Malene! Ein Glück! Jessy weiß schon gar nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Es ist total voll heute Abend. Und später kommt noch eine Geburtstagsgesellschaft von meinen Rollenspielerfreunden.«
Ich seufzte ebenfalls. Für einen kurzen Moment hatte ich gehofft, es könnte ein entspannter Dienst werden. Aber das war zu Semesterbeginn wohl naiv. Schnell hängte ich meine Jacke auf den Haken und folgte meinem Chef in die Schankstube. Beinahe traf mich der Schlag. Schon jetzt waren alle Tische besetzt. Es schien, als hätten sich alle Studierenden ausgerechnet heute Abend überlegt, ins Ring zu kommen.
Friedhelm hatte schon wieder Stellung hinter dem Tresen bezogen und schenkte Bier an die Gäste aus, während ich mir noch zwei Sekunden Zeit gönnte, um meine Gedanken zu sammeln. In diesem Moment kam meine Kollegin Jessy um die Ecke gebogen und stellte ein Tablett mit leeren Gläsern hinter den Tresen. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie meinen Blick fing.
»Lene, bin ich froh, dass du da bist!« Sie fiel mir um den Hals und verhinderte damit, dass mir die Schleife für meine Schürze ordentlich gelang. Ehe ich etwas erwidern konnte, plapperte Jessy schon weiter. »Übernimmst du links? Ich mach rechts weiter. Die drei Mädels hinten an Tisch 14 sind schon länger da, bei denen solltest du zuerst die Bestellung aufnehmen. Und dann ist, glaub ich, Tisch 9 dran.«
Mit diesen Worten nahm sie ein neues Tablett mit Gläsern auf und verschwand damit zu den Tischen im hinteren Bereich der Kneipe. Ich nickte ein wenig perplex, schnappte mir einen Block und einen Kuli von der Theke und machte mich auf den Weg zu Tisch 14.
Die nächsten zwei Stunden rannte ich ununterbrochen durch die Kneipe, Tablett und Arme abwechselnd mit vollen und leeren Gläsern und Tellern beladen. Und während ich den Gästen Salat, Suppen oder überbackene Baguettes servierte, versuchte ich, das immer stärker werdende Ziehen in meinem Bauch zu ignorieren. Das hatte ich nun davon, dass ich mich seit dem Nachmittag in der Bib diszipliniert und nichts gegessen hatte. Aber da war ich auch noch davon ausgegangen, in den Genuss von Leonies Auflauf zu kommen. Es juckte mich in den Fingern, in eines der üppig mit Tomaten und Mozzarella belegten Baguettes zu beißen. Aber das war natürlich nicht drin. Je größer mein Hunger wurde, desto missgestimmter wurde ich, und ich wünschte Nora zu ihren Kopfschmerzen insgeheim noch die Pest an den Hals. So hatte ich mir den Semesterbeginn nicht vorgestellt. Wäre ich bloß in Dänemark bei meiner Familie geblieben!
Als ich um halb neun ein paar Sekunden verschnaufen konnte, lehnte ich mich hinter dem Tresen an die Wand und knetete meinen Bauch, dessen Grummeln meines Erachtens nach die Gespräche der Gäste um Längen übertönen musste. Immerhin war gerade eine Gruppe von Gästen hinausgegangen und hatte drei leere Tische zurückgelassen, auf die Friedhelm nun Reserviert-Schilder stellte.
Als er zurückkam, sah er mich überrascht an.
»Malene, was machst du denn für ein Gesicht? Bist du etwa auch krank?«
»Nein, nur hungrig«, murmelte ich gequält, griff aber tapfer nach einem
Lappen, um die frei gewordenen Tische abzuwischen.
»Kein Abendessen gehabt?«
Ich schüttelte den Kopf. Besser nicht an Leonies Auflauf denken!
Friedhelm sah mich aufmunternd an. »Das ist hart! Na komm, mach schnell die Tische hinten sauber, ich sag in der Küche Bescheid, dass sie dir für deine Pause ein Baguette fertig machen.«
Das klang doch gar nicht so schlecht. Ich trank einen Schluck Wasser, um das schlimmste Hungergefühl zu vertreiben, und machte mich wieder an die Arbeit.
»Hallo Friedhelm! Verehrter Meister!«, dröhnten gleich mehrere Stimmen aus der Schankstube. Das klang verdächtig nach den Rollenspielern, die Friedhelm angekündigt hatte. Ich wandte mich um. Richtig; gut ein Dutzend junge Männer betrat die Kneipe und steuerte auf die reservierten Tische zu. Bis auf einen waren alle Mitglieder der Gruppe in aufwändige Kostüme gekleidet, die mich stark an Herr der Ringe erinnerten. Drei von ihnen trugen sogar ihre täuschend echt wirkenden Polsterwaffen mit sich. Na, das konnte ja lustig werden! Schmunzelnd kehrte ich mit dem Lappen zurück hinter den Tresen und wartete, bis die Gruppe sich gesetzt hatte, ehe ich schließlich rüberging, um ihre Bestellungen aufzunehmen.
»Kurzes Time-Out! Die erste Runde geht auf mich«, rief der große blonde Typ, der am Kopf des ersten Tisches saß, seinen Freunden zu. Ich verkniff mir ein Lächeln. Obwohl ich schon anderthalb Jahre in Erlangen studierte, amüsierte es mich immer wieder, wenn ich jemanden fränkisch reden hörte. In meinen norddeutschen Ohren klang es einfach lustig. Ich reichte ein paar Karten herum, die allerdings nur die wenigsten beachteten. Für einen Moment fragte ich mich, ob die Jungs die Getränke, die sie bestellten, wirklich mochten oder ob sie mit ihren Bestellungen nur ihren Rollen gerecht werden wollten. Ob der Vorsitzende auch ohne sein Kostüm, einen langen dunklen Umhang und einen zerlumpt wirkenden Filzhut, ein Schwarzbier bestellt hätte?
Als ich die Getränke brachte und auf den Tischen verteilte, erhob sich der einzig Unkostümierte aus der Gruppe, nahm sein Glas zur Hand und wandte sich dem Blonden am Kopf des Tisches zu.
»Ich möchte diese Gelegenheit gern nutzen, um einen kleinen Toast auszusprechen. Basti, wir kennen uns jetzt schon seit über zwanzig Jahren. Jahre, in denen wir verrückte Aktionen gestartet haben – das heißt, du hast sie gestartet und mich mit reingezogen. Jahre, in denen auf dich in jeder Hinsicht Verlass war. – Wenn man mal von deinem Eintritt in diese Schauspieltruppe absieht.«
Der Großteil der jungen Männer an den Tischen sah den Redner empört an, der sich davon jedoch nicht beirren ließ und weitersprach.
»Ich möchte Danke sagen für diese Zeit und freue mich auf die nächsten zwanzig Jahre.«
Ich hatte das letzte Glas abgestellt und verschaffte mir einen Überblick, ob nun alle am Tisch versorgt waren. Als ich das leere Tablett wieder aufnahm, blieb der Blick des Redners kurz an mir hängen und er lächelte mich an. Es kam nicht oft vor, dass jemand hier so einen Toast aussprach, schon gar nicht unter Studierenden. Aber es hatte nett und vor allem aufrichtig geklungen, was er gesagt hatte. Ich lächelte zurück. Er hob sein Glas noch ein Stück höher und wandte sich wieder seinem Freund zu.
»Deshalb wünsche ich dir nun das Allerbeste zum Geburtstag, Gesundheit und Glück für die nächsten Jahre. Auf Bastian!«
»Danke, Poldi«, sagte der Blonde, nachdem er getrunken hatte.
»Sag noch einmal Poldi zu mir und ich ziehe meinen Toast wieder zurück«, entgegnete der Angesprochene. Im nächsten Moment legte er Bastian aber den Arm um die Schultern und zog ihn kurz an sich. Bastian erwiderte die Geste lachend.
Ich wandte das Gesicht ab, um mein Lachen zu verbergen, und machte mich schleunigst auf den Weg zurück zum Tresen.
»Das ist eine lustige Truppe«, sagte Friedhelm zu mir und machte eine vielsagende Kopfbewegung in Richtung der kleinen Gesellschaft.
»Ja.« Mehr fiel mir dazu nicht ein. Wenn Friedhelm Gäste aus der Rollenspielgruppe hatte, vergaß er früher oder später, dass er Kneipenwirt und nicht König einer Fantasywelt war. Er war seit einigen Jahren Spielleiter einer Gruppe von Live Act Role Playern, die mittlerweile samt und sonders Stammgäste im Ring waren. Mein Chef sah gedankenverloren zu der Gruppe hinüber und spülte dabei ein Glas zum zweiten Mal.
»Das ist eine sehr interessante Mischung an Charakteren, schade, dass die Mädels fehlen«, sagte Friedhelm. »Es wird Zeit, dass wir uns mal wieder für eine ausgiebige Spielrunde treffen. Ich würde zu gern wissen, wie der Kampf zwischen den Zwergen und den Zauberern ausgeht.«
Unser Wirt philosophierte nur zu gern über Spielstände und mögliche Entwicklungen, sodass der gesamte Kellnerstab des Rings über diese Parallelwelt meistens bestens informiert war.
Ich hatte keine Zeit, ihm weiter zuzuhören, da zwei Gäste gerade einen Tisch verlassen hatten. Kaum hatte ich die leeren Gläser weggeräumt, setzten sich gleich zwei neue Gäste an den Tisch. Schnell ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Wo kamen nur all diese Leute her? Gab es keine anderen Kneipen und Bars in der Stadt?
Mir war bereits warm und langsam, aber sicher geriet ich ins Schwitzen. Hoffentlich konnte man mir das nicht allzu sehr ansehen. Zum Glück winkte Friedhelm mich just in diesem Augenblick zur Seite und schickte mich in die Pause. Im Hinterzimmer ließ ich mich auf einen Stuhl fallen, schloss die Augen und streckte die Beine aus. Der Geruch von geschmolzenem Käse und Kräutern stieg mir in die Nase. Ich öffnete die Augen und sah ein goldgelbes Baguette auf dem Tisch neben mir. Meine Lieblingssorte! So verrückt er manchmal auch war, aber Friedhelm war ein toller Chef! Wie immer verbrannte ich mir die Zunge, als ich dem Geruch nicht länger widerstehen konnte und in das Sandwich biss, aber das konnte ich verschmerzen. Hauptsache, wieder etwas im Magen.
Als ich aufgegessen hatte, warf ich einen kurzen Blick auf mein Handy. Eine neue Nachricht von Uli, die er wie gewohnt mit einem Kuss-Emoji begonnen hatte. Wie geht’s? Wie war dein Tag bislang?
Jetzt erst fiel mir ein, dass ich ihm noch gar nicht von meinem geänderten Abendprogramm erzählt hatte. Ich tippte also eine Antwort und schickte ihm einen Gruß aus der Pause. Mein Freund schrieb wenige Sekunden später zurück.Mmmh, von dem Baguette hätte ich auch gern probiert. Und zum Nachtisch ein Kuss von dir …
Ich schüttelte den Kopf. Uli und seine Anspielungen! Wenn es nicht so voll gewesen wäre, hätte ich ihn gefragt, ob er vorbeikommen wolle. Das hatte er in den letzten fünf Monaten, seit wir zusammen waren, schon öfter gemacht. Aber heute hätte er mich nur abgelenkt. Ich schickte ihm in Anlehnung an seine Nachricht daher nur ebenfalls ein Kuss-Emoji, damit würde er sich für heute Abend begnügen müssen. Ich nahm den leeren Teller, stellte ihn in der Küche auf den Geschirrwagen, wusch mir die Hände und lief zurück in die Schankstube. Sofort prasselte das Stimmengewirr der Gäste wieder auf mich ein. Eine Stimme drang besonders laut an mein Ohr.
»Hey, wird das noch was? Ihr wollt einen Prinzen und seine Freunde doch wohl nicht warten lassen, oder?«
Ich brauchte einen Augenblick, um mich zu orientieren. Am Tresen stand der blonde Typ mit seinem Filzhut und sah Jessy und mich herausfordernd, aber zugleich mit Schalk in den Augen an.
»Hör doch auf mit dem Scheiß, Basti!«, rief der junge Mann, der die Rede für den Blonden gehalten hatte, vom Tisch herüber.
Basti sah kurz zu seinen Freunden, winkte ab und widmete sich wieder meiner Kollegin und mir. »Also, wie sieht’s aus? Werden hier Prinzen nicht bevorzugt behandelt?« Er ließ nicht locker, selbst wenn sein Ton belustigt klang.
»Tut mir leid.« Friedhelm zuckte mit den Schultern. »Bei uns ist jeder Gast König. Da wird sich ein Prinz gedulden müssen.«
Verdutzt schaute Basti Friedhelm an, lachte dann aber auf. »Good one.«
Ich war inzwischen wieder im Thema und schenkte Basti einen aufmerksamen Blick. »Also, was möchtet ihr haben?«
»Drei Gläser Rotwein, vier Altbier, drei Weizen und zwei Radler«, zählte Basti auf.
Ich nickte pflichtbewusst. »Alles klar, bring ich euch gleich rüber.«
Basti tippte sich zum Dank mit zwei Fingern an die Stirn und ging zu seinen Geburtstagsgästen zurück, während ich mich um seine Bestellung kümmerte.
»… und noch dreimal Rotwein?«, fragte ich ein paar Minuten später in die Runde, um herauszufinden, für wen dieser bestimmt war. Basti, sein dunkelhaariger Freund, der die Rede gehalten hatte, und ein dritter in Zwergenverkleidung hoben dezent ihre Hände und ich verteilte die Gläser. Basti und der Zwerg schenkten diesem Vorgang kaum Beachtung, aber der Redner verfolgte jede meiner Bewegungen. Von dem Neigen der Flasche, über das Sichergießen des Weins in das geschwungene Glas, bis hin zum Zurückstellen der Flasche auf mein Tablett. Er lächelte höflich und hauchte mir ein »Dankeschön« entgegen, ehe er mit seinem Freund anstieß.
»Gerne.«
»Ich hoffe, dass der Wein deine Zunge löst, Thorn«, sagte der Typ im Zwergenkostüm und warf Basti einen auffordernden Blick zu. Dieser fuhr mit der Hand über die Krempe seines Huts. Dass ihm unter diesem Filz hier drinnen nicht warm wurde!
»Mal sehen, ob Thorn auch Geburtstagsgeschichten kennt«, antwortete Basti. Mit sanfter Bewegung des Handgelenks ließ er den Rotwein in seinem Glas kreisen, als ob dieser ihm eine Geschichte zuflüstern würde. »Aber dann sollte der Meister auch dabei sein.«
»Jetzt geht das schon wieder los«, murmelte Bastis Freund in sein Rotweinglas.
Diesmal konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Es musste anstrengend sein, als einziger Nichtrollenspieler unter Zwergen, Zauberern und Kriegern zu sein. Aber er schien es gern für seinen Freund zu tun.
»Ich sag dem Meister Bescheid«, bot ich an und machte mich mit der Rotweinflasche und dem Tablett auf den Weg zum Tresen.
»Dein Typ wird verlangt, verehrter Meister.«
Friedhelms Augen leuchteten. Er zapfte noch zwei Bier, die er Jessy aufs Tablett stellte, und ging schließlich zu Basti und seinen Freunden.
Ich spülte ein paar Gläser und sah hin und wieder rüber, hörte sie lachen. Ihre gute Laune war ansteckend. Basti, alias Thorn, erzählte den anderen mit lebhaftem Mienenspiel eine Geschichte. Einzelne Worte gingen im Stimmengewirr der anderen Gäste unter, aber es gelang Basti offenbar, seine Gäste zu amüsieren. Wie gebannt hingen sie an seinen Lippen. Sogar sein Freund schien in der Geschichte versunken zu sein. Mit in die Hand gestütztem Kopf sah er versonnen vor sich hin.
Friedhelm hatte sich längst einen freien Stuhl herangezogen und überließ Jessy und mir das Bearbeiten der Bestellungen. Zum Glück leerte sich die Kneipe langsam, sodass meine Kollegin und ich damit gut zurechtkamen. Jessy verzog dennoch das Gesicht, als sie ein paar schmutzige Teller in die Küche trug.
»Wie gut, dass wir keine Geschichten hören wollen.«
»Oh, ich würde schon gern zuhören. Er scheint das echt drauf zu haben«, sagte ich mit einem Kopfnicken Richtung Basti und überging absichtlich Jessys ironischen Tonfall. Für diesen Abend würden wir beide auf den Genuss einer Geschichte von Thorn verzichten müssen, denn in diesem Moment zog Basti mit einer ausladenden Geste seinen Filzhut vom Kopf und verneigte sich. Die Gruppe applaudierte und Friedhelm klopfte ihm ein paarmal kräftig auf die Schulter. Er winkte mich an die Tischgruppe.
»Darf ich euch noch etwas bringen?«
»Die Rechnung, bitte«, sagte Basti nach einem kurzen Blick in die Runde.
Ich rechnete die Summen der einzelnen Bierdeckel aus und kassierte ab. Die Geburtstagsgesellschaft erhob sich und Zwerge, Zauberer und Krieger zogen an mir vorbei gen Ausgang.
»Gute Nacht und angenehme Träume«, wünschte einer der Zwerge mit einer etwas ungelenken Verbeugung.
»Schönen Feierabend«, fügte Bastis Freund hinzu. Wie er wohl als Zauberer oder Krieger ausgesehen hätte? Ehe ich lange darüber nachsinnen konnte, war die Gruppe auf die Straße hinausgetreten. Ich steckte mein Portemonnaie zurück in die Tasche meiner Schürze. Die gute Laune der Jungs hatte sich deutlich auf mein Trinkgeld ausgewirkt. Vielleicht war der Abend insgesamt doch nicht so schlecht, wie ich zuerst befürchtet hatte.
Das Seminar am nächsten Tag war die reinste Katastrophe. Ausgerechnet ich sollte irgendeine Medientheorie erklären, von der ich noch nicht einmal den Namen gehört hatte. Außer peinlichen Stotterns fiel mir nichts dazu ein, was unsere Dozentin Frau Dr. Grass zum Anlass nahm, zum wiederholten Male darauf hinzuweisen, dass wir nicht in der Krabbelgruppe seien.
»Die Zeiten, in denen Ihnen alles vorgekaut wurde, sind lange vorbei. Sie sind hier an der Universität. Früher oder später werden Sie ausgebildete Akademiker sein – wenn ich mir Ihre Arbeitsmoral ansehe, wird das für die meisten von Ihnen eher später der Fall sein – und als Akademiker gehören Sie zur höheren Bildungsschicht …«
»Wohl eher zur Hartz-IV-abhängigen Generation Praktikum«, murmelte Leonie neben mir hinter vorgehaltener Hand.
»… da wird man doch wohl erwarten können, dass Sie es innerhalb von ein paar Tagen schaffen, 60 Seiten zu lesen und das Wesentliche davon zu behalten.«
Frau Dr. Grass hielt kurz inne, um Luft zu holen. Sie hatte sich in Fahrt geredet und fuhr wild gestikulierend fort: »Das, was Sie von uns in den Lektürepaketen präsentiert bekommen, ist ohnehin schon zusammengeschrumpft. Im Vergleich zu dem, was die Studenten früher lesen mussten, ist das ein Witz. Und ja, ich weiß, dass Sie auch noch andere Fächer zu bewältigen haben. Aber die Systemtheorie von Luhmann gehört zu den Grundlagen der Medienwissenschaft, die müssen Sie einfach verinnerlichen. Wenn Sie die nicht kapiert haben, fehlen Ihnen elementare Bestandteile der Medienwissenschaft. Das ist schon peinlich genug, dass Sie im vierten Semester sind und noch nichts davon gehört haben. Ihnen glaubt doch später kein Mensch, dass Sie Medienwissenschaftler sind, wenn Sie von der Systemtheorie keine Ahnung haben!«
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und seufzte. »Sehen Sie, jetzt sind schon wieder fünfzehn Minuten von unserer Zeit vergangen, in der wir gut und gern den ersten Aspekt der Systemtheorie hätten besprechen können.«
Endlich war sie mit ihrem Vortrag fertig und ich seufzte innerlich auf. Ich fühlte mich nicht persönlich angegriffen, obwohl ich mir die Worte unserer Dozentin durchaus zu Herzen nahm. Es war mir unsäglich peinlich, dass diesmal ich es gewesen war, die diesen allwöchentlich wiederkehrenden Vortrag herbeigerufen hatte. Dabei war es ja meine feste Absicht gewesen, den vorgegebenen Text zu lesen, ich war sogar motiviert gewesen.
Als ich später mit Leonie auf dem Weg zum nächsten Kurs war, regte sie sich zu meinem Erstaunen fürchterlich über unsere Dozentin auf.
»Musste die wieder so einen Aufstand machen? Ich meine, diese Systemtheorie mag zwar wichtig sein, aber warum kriegen wir dann eine Lektüre, wo die erst auf den letzten acht Seiten erklärt wird? Na ja, egal …« Leonie machte eine kurze Atempause. »Wie war’s denn eigentlich gestern?« Sie schlug ihren Kalender auf und holte einen Apfel aus ihrer Tasche.
»Voll«, erwiderte ich kurz angebunden. Zu mehr blieb auch keine Zeit, denn schon stand unser Dozent im Raum und machte sich an Computer und Beamer zu schaffen.
Leonie hielt verzweifelt ihren Apfel in die Höhe, von dem sie gerade ein Stück abgebissen hatte. »Mensch, nicht mal genug Zeit zum Essen hat man hier.« Sie nahm noch schnell einen großen Bissen und positionierte den großen Rest des Apfels auf einem ausgebreiteten Taschentuch vor sich auf dem Tisch.
Unser Dozent hatte in der Zwischenzeit die erste Folie seiner Präsentation geöffnet, nuschelte eine hastige Begrüßung und fing an, zu referieren. Ich schlug meinen Collegeblock auf und machte mir Notizen, die ich später mit den Informationen aus den Folien kombinieren würde. Leonie hielt mich für komisch, dass ich die Folien nicht einfach ausdruckte, sondern stets abschrieb. Aber so lernte ich am besten. Was ich selbst aufgeschrieben hatte, blieb mir einfach besser im Kopf als das, was ich nur gelesen hatte.
»Kommst du nachher mit in die Stadt?«, fragte Leonie nach dem Seminar.
»Geht leider nicht, ich bin mit Uli zum Lernen verabredet.«
Leonie zog ihre Augenbrauen fast bis zum Haaransatz. »Zum Lernen?«
»Natürlich zum Lernen. Ich muss mittlerweile zwei Seminare nacharbeiten und Uli muss eine Hausarbeit fürs letzte Semester nochmal schreiben.«
»Ob das gemeinsame Lernen dabei die optimale Lösung ist?«
Bei dem Wort Lernen malte Leonie mit Zeige- und Mittelfingern Anführungsstriche in die Luft. Was sie nur wieder für Vorstellungen hatte! Uli und ich hatten beide wirklich genug zu tun. Und für mehr als Küssen fühlte ich mich heute auch nicht in der richtigen Stimmung. Trotzdem stand ich ein paar Stunden später vor meinem Kleiderschrank und überlegte, was ich anziehen sollte. Schließlich zog ich den Pullover aus, den ich heute in der Uni getragen hatte, und streifte mir ein Top aus dunkelblauem Jersey über, das im Dekolleté mit cremefarbener Spitze geziert war. Im Küchenschrank suchte ich nach einer Packung Keksen. Da wir bei Uli zum Lernen verabredet waren, war krümeln zum Glück erlaubt – im Gegensatz zu den strengen Sitten in der Unibibliothek. Ich hatte meine Suche gerade erfolgreich abgeschlossen und eine Packung Doppelkekse mit Schokofüllung hervorgeangelt, als meine beste Freundin und Mitbewohnerin Wilma in der Tür stand.
»Hallo!« Sie schlüpfte aus ihrem Parka und warf ihn über die Lehne eines Küchenstuhls. Ihre Tasche ließ sie daneben auf den Boden fallen.
»Alles klar?« Wilma machte sich am Wasserkocher zu schaffen und füllte ihre Tasse, die noch vom Frühstück auf dem Tisch stand, mit Instantkaffeepulver.
»Alles gut. Und bei dir?«
Wilma gähnte und goss den Kaffee auf. »Oh Mann, zwei Wochen Semester und ich bräuchte schon wieder drei Monate Urlaub.«
Ohne lang zu rühren, trank sie sofort einen großen Schluck. Gleich darauf knallte sie die Tasse zurück auf den Tisch, wedelte mit der Hand vor ihrem Mund und hustete heftig.
»Heiß!«
»Will, das ist die bezeichnende Eigenschaft von kochendem Wasser. Kennst du doch aus dem Chemieunterricht.«
Meine beste Freundin stöhnte. »Hör mir auf mit Chemie! Mir wird schon ganz schlecht.«
Wilma fuhr sich mit der Hand durch ihre braunen Korkenzieherlocken und ließ sich auf den Küchenstuhl fallen. Ich hockte mich neben sie und nahm sie in den Arm.
»So schlimm?«
»Ich hab jetzt schon richtig Schiss vor dem Sommer.« Sie ließ den Kopf hängen und ich drückte sie noch ein wenig fester.
»Wilma, du hast bislang gute Noten geschrieben. Du wirst das Physikum schon meistern. Ich glaub ganz fest an dich!«
Wilma tastete nach ihrer Kaffeetasse. »Danke. Vielleicht hilft’s ja.«
Ich hielt es für schlauer, ihr nicht zu sagen, dass sie zusätzlich zum Glauben schon auch noch würde lernen müssen. Meine beste Freundin war für den Nachmittag auch so schon genug bedient. Ich wollte aufstehen, doch sie hielt mich zurück.
»Was hast du denn da?«
Sie deutete mit den Fingern auf mein Schlüsselbein, wo die Haut etwas gerötet war, wie mir jetzt auffiel. Ich musste mich gekratzt haben, ohne es zu bemerken.
»Ach, nicht so schlimm. Die Spitze vom Top drückt ein bisschen.«
Wilma verzog das Gesicht. »Warum ziehst du das dann an?«
Erwischt! Ich sah auf meine Knie.
Wilma seufzte. »Oh nee, Lene, ehrlich? Weil es Uli gefällt?«
Ich antwortete nicht, stand auf und packte die Kekse zu meinem Unikram in die Tasche.
»Lene, das ist doch bescheuert!«
»Ich weiß«, sagte ich, damit Wilma beruhigt war. Sie hatte ja recht. Das Top war immer schon unbequem gewesen. Trotzdem behielt ich es jetzt an, als ich mich zu Uli auf den Weg machte.
Ich hatte kaum geklingelt, als mein Freund mir schon öffnete.
»Hey, Süße.« Er umschloss meine Wangen mit seinen Händen und drückte seine Lippen auf meine.
Ich erwiderte seinen Kuss, obwohl sich meine Brust bei seiner Begrüßung vor Ärger verengt hatte. Warum konnte er mich nicht einfach beim Namen nennen?
»Hej, Uli«, sagte ich, als er meine Lippen wieder freigab. Uli trottete den kleinen Flur entlang Richtung Wohnraum. Er trug den dunklen Kapuzenpulli mit dem Aufdruck des Lieferdiensts, für den er arbeitete.
»Warst du schon im Dienst?«
Er gähnte. »Hmmm. Musste spontan die Mittagsschicht übernehmen. Kollege war krank.«
Er ließ sich aufs Sofa fallen und streckte alle viere von sich. Der Ärmste! Uli sah echt fertig aus.
»Soll ich dir einen Kaffee machen?«
Uli nickte und ich lief zu seiner Pantryküche, wo ich im Schrank nach Pads für seine Kaffeemaschine suchte. Allerdings fand ich nur eine leere Dose.
»Mist, hab vergessen einzukaufen.« Uli zog sich die Kapuze seines Hoodies bis zur Nasenspitze. Wenn das so weiterging, konnten wir unseren Lernnachmittag vergessen. Zum Glück fand ich im Kühlschrank noch zwei Dosen eines Energydrinks. Das war noch viel besser als Kaffee, zumindest für Uli. Er öffnete die Dose und warf mit dem Alu an den Lippen den Kopf in den Nacken.
»Ah, die Lebensgeister kehren zurück«, rief er aus und stellte die Dose auf den Couchtisch. Es klang verdächtig hohl.
»Hast du die jetzt weggeext?«
Uli zuckte mit den Schultern. »Sieht so aus.«
Allein bei der Vorstellung zog sich bei mir alles zusammen. Aber gut, wenn es ihm schmeckte, bitte schön. Hauptsache er war wieder wach. Ich beugte mich über ihn und küsste ihn auf die Nasenspitze. Uli schnurrte wie ein zufriedenes Kätzchen.
»Sollen wir anfangen?«
Erst als ich es ausgesprochen hatte, bemerkte ich, dass meine Frage viel zu zweideutig war. Uli sprang auch gleich darauf an. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und er ließ seinen Zeigefinger von meiner Nase über meinen Hals bis zu meiner Brust hinabwandern. Bevor er sich dort weiter zu schaffen machen konnte, hielt ich seine Hand fest und schüttelte den Kopf.
»Uli, wir haben noch etwas vor.«
Ein Laut des Missmuts und Widerwillens drang aus seiner Kehle. »Warum bist du nur so schrecklich diszipliniert?«
Ich richtete mich auf und griff nach der Tasche mit meinen Lernsachen. »Darf ich mich an deinen Schreibtisch setzen?«
Uli grummelte irgendetwas, das ich als Zustimmung wertete, schnappte sich sein Notebook und lümmelte sich wieder in die Sofaecke, während ich meinen Unikram auf seinem Schreibtisch ausbreitete. Meine Notizen hatte ich schnell in Reinschrift gebracht und ich widmete mich gleich dem Lektürepaket fürs nächste Seminar. Diesmal war es zum Glück nicht so umfangreich. Ich war so vertieft in den Text, dass ich nicht darauf achtete, was um mich herum passierte. Daher zuckte ich erschrocken zusammen, als ich plötzlich Ulis Hände in meinem Nacken spürte. Er fuhr mit den Fingern der einen Hand meinen Haaransatz entlang und kreiste um die unteren Halswirbel. Mit der anderen Hand wanderte er nach vorn und ließ seine Finger in meinen Ausschnitt gleiten, während er sich zu mir herabbeugte und mein Ohr küsste. Sein Atem drang heiß in meine Ohrmuschel. Ich drehte mich ein Stück zur Seite, was ihn jedoch nicht dazu bewog, sein Spiel abzubrechen.
»Du riechst so gut«, hauchte er mir ins Ohr.
Meine Hand schloss sich fester um den Textmarker. Das war nicht das, was ich jetzt von Uli hören wollte. Wenn er so anfing, lief es immer auf das Eine hinaus.
»Danke. Darf ich trotzdem meinen Text weiterlesen?«
Uli zog die Hand aus meinem Top und massierte nun sanft meinen Nacken und die Schultern. »Komm schon, mach mal ne Pause, du bist schon ganz steif.«
Das Gleiche hätte ich von ihm auch behaupten können, wenn auch in anderer Hinsicht. Ich spürte es, als er sich nun eng an meine Seite drückte. Ich versuchte ihn wegzuschieben.
»Nicht jetzt, Uli, bitte.«
»Wieso nicht? Warum warten?«
»Ich bin einfach nicht in Stimmung.«
Uli beugte sich wieder über mich und ließ seine Hände wieder auf Wanderschaft gehen. »Das kann man doch ändern«, versprach er, während seine Fingerspitzen sich meinen Brüsten näherten. Ein leichtes Prickeln zog über meine Haut, das aber sofort wieder verschwand, als Uli fester zudrückte und mich dabei auf den Mund küsste. Ich schmeckte den Energydrink auf seinen Lippen. Ein Geschmack, den ich auf den Tod nicht ausstehen konnte.
»Komm schon«, bat Uli zwischen zwei Küssen.
Ich ließ es zu, dass er mich vom Stuhl zog und zum Sofa schob, während er mich weiter küsste. Es flatterte in mir. Uli hatte recht, gegen eine kurze Ablenkung war eigentlich nichts einzuwenden. Den Text würde ich gleich noch weiterlesen können. Aus den Augenwinkeln registrierte ich einen geöffneten Wikipedia-Artikel, ehe Uli mir einen sanften Stoß versetzte und ich rücklings auf das Sofa fiel. Ich vergrub meine Hand im Sofakissen, während Uli sich auf mich legte, in Windeseile ein Kondom überstreifte, mein Top hochschob und an meinem Hosenknopf herumnestelte. Das Flattern breitete sich in mir aus. Ich atmete schneller. Uli hatte sich seinen Hoodie und das T-Shirt darunter über den Kopf gezogen. Ich fuhr mit der Hand über seine Brust bis zum Bauchnabel. Schweißperlen hingen zwischen den Haaren. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf seine Bewegungen. Schließlich sank er auf mich, vergrub sein Gesicht neben meinem im Sofastoff und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Das Blut pulsierte heftig in seinen Adern und drückte im Rhythmus mit seinem keuchenden Atem gegen meine Haut.
»Das war gut«, flüsterte Uli, als sein Atem wieder ruhiger war. Ich antwortete nicht, zog nur langsam Top und Hose wieder dorthin, wo sie hingehörten. Ich war enttäuscht, wie hatte es so schnell gehen können? Uli war schon fertig gewesen, ehe ich überhaupt etwas Wesentliches gespürt hatte. Während Uli im Bad verschwand, suchte ich die Kekse aus meiner Tasche hervor. Doch obwohl es meine Lieblingssorte war, wollten sie mir nicht recht schmecken. Die Schokoladenfüllung wurde immer mehr im Mund, der Keks drumherum schmeckte staubig und fade. Warum hatte ich mich von Uli überreden lassen? Ich hatte doch gar keine Lust gehabt. Er hatte bekommen, was er wollte. Es war okay gewesen. Aber ich hätte ohne diesen Ausflug aufs Sofa auch nichts vermisst.
Ich würgte den Rest vom Keks runter und setzte mich wieder an den Schreibtisch vor meine Seminarlektüre.
Uli kam aus dem Bad zurück und ließ sich schwer aufs Sofa fallen. »Oh, du hast Kekse mitgebracht. Toll!«
Er raschelte mit der Packung und kurz darauf hörte ich ihn auf dem Notebook tippen. Ich wandte mich zu ihm um. In T-Shirt und Boxershorts saß er mit angewinkelten Beinen auf dem Sofa, ein Keks zwischen den Lippen, und sah auf den Bildschirm. Während er in der nächsten halben Stunde hochkonzentriert zu arbeiten schien, nahm ich von dem Text vor mir nichts mehr wahr. Wieder und wieder starrte ich auf die Sätze, verstand aber nicht, was sie mir sagen wollten. Stattdessen umrandete ich mit dem Textmarker die Ränder des Papiers in Neongelb und kratzte mich am Schlüsselbein, das seit dem Sex noch mehr juckte als zuvor.
»Hast du Lust auf Chinesisch?«
Ulis Stimme riss mich aus den Gedanken. Ich sah auf die Uhr. Schon sieben Uhr. Hatte ich tatsächlich über eine Stunde hier gesessen und vor mich hingestarrt? Ich fing Ulis fragenden Blick.
»Danke, aber ich muss gleich los. Ich habe morgen direkt um acht Vorlesung.«
»Bleib doch hier. Du kannst auch von hier aus zur Uni fahren.«
»Ich habe weder meine Lektüre noch Wechselklamotten dabei«, wandte ich ein.
Uli verdrehte die Augen. »Ach, komm schon. Du kannst doch bei Kommilitonen mit reingucken. Und deine Klamotten sind super, die kannst du morgen nochmal anziehen.«
»Frische Unterwäsche?«
Ulis Mundwinkel wanderten nach oben. »Unterwäsche ist überbewertet.«
Jetzt verdrehte ich die Augen. Wollte er ernsthaft eine Grundsatzdiskussion über Unterwäsche beginnen? Konnte er nicht einfach akzeptieren, dass ich die Nacht gern in meinem Bett verbringen und morgen in frischen Klamotten zur Uni gehen wollte? Ich klappte meinen Collegeblock mit dem Lektürepaket zu und packte alles ein. Mit der Tasche über der Schulter ging ich auf Uli zu und zog ihn in meine Arme.
»Heute nicht«, flüsterte ich und küsste ihn auf die Wange.
»Schade. Es lief gerade so gut. Nach dem Sex bin ich immer viel produktiver. Ich habe schon eine ganze Seite geschrieben.«
Er strich mir über die Schläfe und ließ seine Hand hinter meinem Ohr ruhen. In seinen Augen blitzte es. Ich streckte meinen Rücken durch und wandte mich ab. Besser, ich machte mich jetzt wirklich auf den Weg, ehe Uli noch auf die Idee kam, seine Produktivität mit meiner Hilfe weiter anzukurbeln.
»Bis morgen«, sagte ich.
»Mensa oder Bäcker?«
»Wie du magst.«
»Ich schreib dir.«
Er küsste mich zum Abschied. »Bis morgen, Sweety.«
Die Enge in meiner Brust, die ich in den letzten fünf Minuten verdrängt hatte, nahm zu und Ärger stieg in mir auf. Wieso konnte Uli sich diese verdammten Spitznamen nicht abgewöhnen? Manchmal, wenn er seine alberne Viertelstunde hatte, war es ganz süß, wenn er so sprach. Aber jetzt zum Abschied oder heute Nachmittag zur Begrüßung? Irgendwie fühlte ich mich nicht richtig ernstgenommen, wenn er mich so nannte. Ich würde mit ihm darüber sprechen müssen. Aber nicht heute. Uli war sowieso schon enttäuscht, dass ich nicht blieb. Ich wollte ihn nicht zusätzlich vor den Kopf stoßen. Vielleicht meinte er das gar nicht so, wie ich es interpretierte.
Am Freitagabend trat ich erneut im Ring zum Dienst an, diesmal jedoch planmäßig. Die Freitage waren meine Lieblingstage zum Arbeiten. Zwar machte ich regelmäßig Überstunden, weil die Gäste den Start ins Wochenende gern ausgiebig begrüßten. Aber dafür gab es auch mehr Trinkgeld und die Stimmung war ausgelassener als an anderen Abenden. Außerdem teilte ich freitags meinen Dienst meistens mit Fabi, einem Masterstudenten der Lebensmittelchemie, bei dem gute Laune zur Grundausstattung gehörte. Auch heute begrüßte er mich mit erhobener Hand zum High five.
»Hi Lene, welcome to the show!«
Ich schlug ein und betrat neben ihm die Schankstube. Hinterm Tresen standen die Gläser ordentlich aufgereiht, die Kühlschränke waren prall gefüllt und aus den Lautsprechern drang Musik. Noch sah alles ruhig aus, doch nachdem Friedhelm die Tür geöffnet hatte, dauerte es keine zwei Minuten, bis die ersten Gäste hereinströmten.
Fabi ließ ein Tablett auf seinen Fingern kreisen und verengte die Augen zu Schlitzen. »Mögen die Spiele beginnen!«
Ich lachte. Vor einigen Monaten hatte mein Kollege mich zu einem Wettbewerb herausgefordert, bei dem es darum ging, einen Kniffelzettel mit Bierbestellungen auszufüllen. Was als einmalige Angelegenheit gedacht gewesen war, hatte sich über die Wochen verselbstständigt. Mittlerweile mussten wir gar nicht mehr darüber sprechen. Es war ausgemacht, dass wir beide versuchten, unsere Laufzettel (die Fabi irgendwann im Bier-Design entworfen hatte) so schnell wie möglich vollzubekommen. Ich drapierte also meinen heutigen Laufzettel hinter meinem Bestellblock und kümmerte mich um die ersten Gäste.
Eine halbe Stunde später waren die meisten Tische besetzt und Fabi und ich hatten alle Hände voll zu tun, Getränke und Gerichte durch die Gegend zu tragen. Als wir uns am Tresen trafen, versuchte ich, heimlich einen Blick auf seinen Laufzettel zu werfen. Bei mir lief es leider noch nicht so optimal. Aus mir unbekannten Gründen standen die Gäste an meinen Tischen heute auf Wein oder Mixgetränke. Damit waren für mich keine Punkte zu holen.
»Und, wie läuft’s?«, fragte ich mit so unschuldigem Tonfall wie möglich.
Fabi setzte ein Pokerface auf und schob seinen Bestellblock haargenau über seinen Laufzettel.
»Wie sonst als gut?«
Er griff nach zwei Weizen und drei Altbier und lud sie mit breitem Grinsen auf sein Tablett. Ich seufzte. Das war das Full House, auf das ich seit einer Stunde hoffte. Ich würde etwas manipulativer vorgehen müssen, wenn ich heute Abend noch etwas reißen wollte.
Die Tür der Kneipe öffnete sich und zwei junge Männer traten ein. Sie sahen sich suchend um und strebten nach ein paar Sekunden auf einen meiner Tische zu. Na bitte, da musste sich doch etwas arrangieren lassen! Fünf Bier in einer Bestellung würden die beiden mir wohl nicht bescheren, aber wenn sie beide das gleiche lokale Bier bestellen würden, könnte ich damit in meiner Zweier-Reihe punkten. Ich schnappte mir meinen Block und ging zu den beiden hinüber.
»Hej, ihr seht so aus, als würde euch für den perfekten Abend nur noch das richtige Bier fehlen.« Am besten, ich ging direkt in die Offensive!
Die beiden sahen auf und als ich ihnen nun einen genaueren Blick schenkte, erkannte ich sie. Der Blonde, der Anfang der Woche seinen Geburtstag hier gefeiert hatte, Basti. So ohne Umhang und Filzhut war er mir erst fremd gewesen, aber er war es, ohne Zweifel. Begleitet wurde er auch heute von seinem Freund, der schon zur Geburtstagsfeier ohne Kostüm gekommen war und entsprechend heute auch keines trug. Wie hatte der Blonde ihn noch genannt? Prinz Poldi? Woher nur dieser Name kam? Mit Lukas Podolski hatte er jedenfalls keine Ähnlichkeit.
Basti zog anerkennend die Augenbrauen hoch. »Woher weißt du das?«
»Kellnerinnen-Intuition. Also, was darf ’s für euch sein?«
Bitte lokale Biere, bitte lokale Biere!
Basti und Poldi tauschten einen Blick, Poldi nickte und Basti wandte sich wieder mir zu.
»Ein Weizen, ein Pils.«
Offenbar gelang es mir nicht, meine Enttäuschung über ihre Bestellung so zu verbergen, wie es sich für eine professionelle Kellnerin gehört hätte.
Bastis Freund musterte mich. »Keine gute Wahl?«
Ich bemühte mich um ein besonders versöhnliches Lächeln. »Doch, doch. Bring ich euch sofort. Soll’s noch ein Snack dazu sein?«
Basti bestellte ein paar Nüsse und ich marschierte zurück zum Tresen.
Fabi kam mir mit strahlendem Gesicht entgegen. Für ihn schien es blendend zu laufen.
»Guck nicht so, ist doch nur ein Spiel!« Er boxte mir freundschaftlich in die Seite, doch sein Tonfall verriet mir, dass es ihm diebische Freude bereitete, auf der Zielgeraden zu sein, während ich langsam überlegen musste, wie ich meine miese Quote am gewinnbringendsten notieren konnte.
Als Friedhelm Fabi in die Pause schickte, spekulierte ich auf ein paar Punkte von Fabis Tischen. Doch mein Kollege hatte pflichtbewusst sämtliche Bestellungen aufgenommen. Verflixt! Fabi hatte seinen Laufzettel sogar mit in die Pause genommen, sodass ich nicht einmal nachschauen konnte, wie weit ich schon zurücklag.
Die Kneipentür wurde geöffnet und Uli betrat die Schankstube. Versöhnt mit der Situation lächelte ich ihm entgegen, als er auf mich zukam.
»Hi.« Er gab mir einen flüchtigen Kuss und umarmte mich kurz, wobei er mit einer Hand meinen Po fest umschloss. Ich zuckte zusammen. Hoffentlich sah niemand der Gäste so genau hin. Ein Kuss war in Ordnung, aber wenn Uli an mir herumfummelte, konnte ich auf Zuschauer gut und gerne verzichten.
»Hej, magst du was trinken?«
Uli zog sich einen Barhocker zurecht und setzte sich an den Tresen. »Ein Kellerbier«, sagte er mehr zu Friedhelm als zu mir. Mein Chef nickte und reichte Uli das Gewünschte. Ich würde das Bier trotzdem auf meinem Laufzettel eintragen. Immerhin hatte ich Uli gefragt.
Während Uli am Tresen sein Bier trank, machte ich mich wieder an die Arbeit. Immer, wenn ich an ihm vorbeiging, streckte Uli seine Hand nach mir aus und streichelte mir über Arm, Rücken oder Po.
»Uli, bitte, ich bin im Dienst«, flüsterte ich ihm zu, als er mich etwas zu ruckartig an sich zog und ich beinahe das Tablett mit leeren Gläsern fallen gelassen hätte.
»Na und? Darf ich deshalb nicht gut zu dir sein?« Er setzte sein charmantestes und unschuldigstes Lächeln auf und strich mit dem Zeigefinger über meine Nase.
»Doch, aber vielleicht etwas vorsichtiger«, sagte ich mit einem vielsagenden Blick auf mein Tablett.
»Schon gut, Süße, ich pass auf!«
Ich holte Luft, um etwas zu sagen, doch in diesem Moment hoben zwei Gäste im hinteren Bereich den Arm und verlangten nach mir. Sie wollten zahlen und ich rechnete ihre Deckel ab. Im Vorbeigehen sah ich, dass Basti und sein Freund ihre erste Runde bereits hinter sich hatten.
»Darf ich euch noch etwas bringen?«
»Was schlägst du vor?«, fragte Poldi zurück.
»Ihr wollt meine Empfehlung?«
Er lächelte verschmitzt. »Du schienst vorhin mit unserer Bestellung nicht vollständig glücklich zu sein. Daher würde ich gern dein Votum einholen.«
Für einen Moment verschlug es mir die Sprache. Dass mir ein Gast aufgrund meiner Mimik vorschlug, eine Empfehlung auszusprechen, war mir auch noch nie passiert. Und obwohl ich darüber nachgedacht hatte, manipulativ auf die Gäste einzuwirken, was die Bestellungen anging, kam es mir nun, da sich die Gelegenheit bot, doch verwegen vor.
»Ach, ihr könnt bestellen, was ihr wollt. Ich habe bloß mit meinem Kollegen einen kleinen Wettbewerb laufen.«
»Und wie sieht der aus?«, erkundigte sich Basti.
Ich erläuterte rasch die Spielidee von Fabis Bierkniffel und die beiden grinsten sich an.
»Sehr coole Idee!«