Das geheimnisvolle Weihnachtskaramell - Hanne Benden - E-Book

Das geheimnisvolle Weihnachtskaramell E-Book

Hanne Benden

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Beschreibung

Ausgerechnet am 1. Dezember verliert der Vater von Hedda und Bo seine Arbeit als Konditor. Dabei ist er der beste Konditor der Stadt. Jetzt kann nur noch ein Weihnachtswunder helfen, glaubt Bo. Ist der Konditor-Wettbewerb am Königshof dieses Wunder? Und kann die seltsame Bekanntschaft, die Hedda und Bo in der Schule machen, ihnen und ihrem Vater helfen? Es beginnen Tage voller Abenteuer, Aufregung und Karamell!

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Inhaltsverzeichnis

Dezember

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Frost und Nebel hingen über der Stadt an jenem 1. Dezember, an dem unsere Geschichte beginnt. Dicht um die weißen Rahmen hatten sich Eisblumen an den Fenstern gebildet und verzerrten die Sicht nach draußen.

Hedda erblickte die Eiskristalle, als sie den Kopf an diesem Morgen unter der Bettdecke hervorstreckte. Für einen Moment bewunderte sie die Zacken und Sterne, die sich ineinander verhakten und silbern gegen die Dunkelheit draußen absetzten. Das Licht der Kerze, die auf dem Tisch in der Stube stand, ließ die Figuren glitzern. Wie schön es war! Beinahe märchenhaft, dachte Hedda. Wenn ihr Leben ein Märchen wäre, wäre dies ein wunderschöner Anfang. Die Beschreibung von einem Morgen, an dem Eiskristalle im Kerzenlicht glitzern.

Aber leider war ihr Leben kein Märchen. In einem Märchen hätte mit Sicherheit kein Wecker geklingelt, und die Katze hätte vermutlich auch nicht gefüttert werden wollen, sondern hätte sich selbst irgendwo eine Maus gefangen. Nein, Heddas Leben war kein Märchen. Denn der Wecker schepperte unbarmherzig auf dem Tisch und die Katze stromerte maunzend an Heddas Bett entlang. Für einen Moment versuchte Hedda noch, das Betteln des Tieres zu ignorieren. Doch als die Katze mit einem Satz auf das Bett sprang und ihr mit der Pfote einen unsanften Nasenstüber versetzte, war es mit der Gemütlichkeit vorbei. Seufzend packte Hedda das Tier und beförderte es auf den Boden. Dann schlug sie die Decke zurück und stand auf. Als erstes stellte sie den Wecker ab und drehte die Petroleumlampe etwas auf. Bibbernd vor Kälte nahm sie die Reste vom Fisch aus der Speisekammer und legte sie auf einen Teller. Die Katze machte sich sofort darüber her und kümmerte sich nicht weiter um Hedda.

»Katze müsste man sein«, murmelte Hedda neidisch.

Aber dann hellte sich ihre Miene etwas auf. In der Brotschüssel auf dem Küchentisch fand sie ein kleines Bündel, aus dem es verführerisch duftete. Hedda schlug die Seiten des Tuchs zurück und erblickte, was sie schon erahnt hatte: Zuckerkringel! Ihr Vater, der in der größten Konditorei der Stadt angestellt war, hatte Wort gehalten und wieder für sie gebacken, so wie er es jedes Jahr am 1. Dezember tat. Die Zuckerkringel sollten ihr und ihrem Bruder den Start in die Adventszeit versüßen.

Bei dem Gedanken an ihren Bruder ließ Hedda rasch das Tuch mit den Zuckerkringeln sinken. Sie musste Bo ja noch aus dem Bett scheuchen! Der war im Winter immer besonders schwer aus dem Bett zu bekommen. Aber vielleicht würden die Zuckerkringel Wunder wirken.

Hedda nahm einen der Kringel aus dem Tuch und lief damit zu Bos Alkovenbett, das direkt neben ihrem eigenen stand. Sie hielt den Kringel dicht vor Bos Nase und wedelte damit herum.

»Bo«, flötete sie. »Aufstehen.«

Ihr jüngerer Bruder zog die Nase kraus, öffnete die Augen aber keinen Millimeter.

»Es ist Dezember.«

Noch immer machte Bo keine Anstalten aufzustehen, sondern kuschelte sich demonstrativ noch einmal in seine Decke. Damit hatte er sich verraten. Hedda wusste genau, dass er schon wach war.

»Gut«, sagte sie schnippisch. »Dann esse ich halt alle Zuckerkringel allein. Auch gut.«

Mit einem Satz war Bo aus dem Bett, wobei er die Decke achtlos mitriss und auf den Boden warf.

»Das ist gemein, ich will auch Zuckerkringel!«

»Hol ihn dir doch«, rief Hedda herausfordernd und streckte die Hand, in der sie den Zuckerkringel hielt, hoch über ihren Kopf. Bo hüpfte auf und ab, um ihn zu erreichen. Heddas Arm zuckte nach unten, nur um gleich darauf wieder in die Höhe zu schießen. Sie machte einen Sprung nach hinten und lief durch die Stube, um den Tisch herum, schlug einen Haken und lief in entgegengesetzter Richtung wieder davon. Bo jagte ihr nach.

»Jetzt gib schon her«, rief er.

»Hol ihn dir, hol ihn dir!«

Jäh wurde ihr Spiel von dem Schlag der Kirchturmuhr unterbrochen. Hedda blieb erschrocken stehen und ließ die Hand sinken, was Bo sofort ausnutzte, um sich den Zuckerkringel zu schnappen.

»Los, Beeilung, wir müssen zur Schule!«, rief Hedda und stürzte zum Stuhl, wo sie am Vorabend ihre Kleider abgelegt hatte. Sie streifte sich das Nachthemd ab und schlüpfte in Strumpfhosen und Kleid, während Bo genüsslich seinen Zuckerkringel verspeiste.

»Jetzt mach schon«, trieb Hedda ihren Bruder erneut zur Eile an, während sie ihren eigenen Zuckerkringel in ihrer Schultasche verstaute.

»Papa macht die besten Zuckerkringel«, schwärmte Bo mit vollem Mund und achtete dabei sorgsam darauf, dass keine Krümel herunterfielen, sondern sämtlich in seiner Hand landeten.

»Husch!«, rief Hedda erneut, als auch der letzte Krümel verzehrt war und stülpte ihrem Bruder schon einmal die Mütze über.

Langsam biss Hedda kleine Stücke von ihrem Zuckerkringel ab, während sie neben Bo durch die kalte Stadt lief. Der Unterricht hatte heute zum Glück nicht allzu lange gedauert, und so hatten sie Zeit, an den ersten Verkaufsständen des Weihnachtsmarkts vorbeizubummeln. Hier und da roch es schon nach gebrannten Mandeln, Zuckerstangen und heißen Getränken. Der Nebel des Morgens war verflogen, aber die Kälte war geblieben. Kleine Wölkchen stiegen vor ihren Nasen und Mündern auf und verflogen in der Luft, als Bo auf dem Marktplatz plötzlich stehen blieb. Hedda ahnte, warum.

Vor dem Rathaus stand eine Gruppe Musikanten. Mit Trompeten, Posaunen und Hörnern standen sie in dicken Wintermänteln da, und spielten Weihnachtslieder. Verträumt sah Bo den Bläsern zu und Hedda sang ein paar Zeilen der Lieder mit. Wie schön die Musik war! Schon wieder so märchenhaft.

Als wäre Weihnachten schon da – oder zumindest schon greifbar. Bo ging langsam auf den Bläserchor zu und stupste einen der Männer vorsichtig an, als ein Lied beendet war. Irritiert sah sich der Mann zu Bo um.

»Das war schön! Nächstes Jahr möchte ich auch bei euch mitspielen!«, sagte Bo.

»So«, erwiderte der Mann. »Spielst du etwa auch Trompete?«

Bo ließ den Kopf hängen. »Nein, noch nicht. Aber ich wünsche mir eine zu Weihnachten.«

Der Mann lachte. »Dann musst du wohl den ganzen Sommer Weihnachtslieder üben, damit du nächstes Jahr mitspielen kannst.«

Und wieder war alles Märchenhafte mit einem Schlag vorbei, musste Hedda feststellen. Bo wusste doch genau, dass der Wunsch nach einer Trompete wohl für immer ein Wunsch bleiben würde. Ihre Eltern hatten einfach nicht genug Geld, um ein solches Instrument kaufen zu können. Sie zog ihren Bruder von dem Mann weg.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie beschämt und lächelte den Mann verlegen an. »Komm mit nach Hause, wir müssen noch putzen«, sagte sie dann zu Bo und zog ihrem Bruder am Arm. Nur widerwillig folgte Bo ihr und es missfiel Hedda selbst, den Bläsern nicht mehr weiter zuhören zu können. Aber ihre Eltern würden erst spät am Abend von der Arbeit zurückkehren und dann keine Zeit mehr zum Aufräumen haben. Das war ihre Aufgabe, und Bos. Auch wenn ihr Bruder nicht wirklich eine Hilfe war.

Als sie am Ende des Marktplatzes angelangt waren, hielt Hedda jedoch inne. Aus der Konditorei trat ihr Vater auf die Straße.

Wie ungewöhnlich. Er musste doch den ganzen Tag arbeiten. Ob er etwas ausliefern musste? Aber ihr Vater hatte keinen Karton oder ähnliches in der Hand, was darauf schließen lassen konnte. Stattdessen trug er seine Tasche über der Schulter, in der er immer sein Mittagessen mit zur Arbeit nahm. Ihr Vater blieb vor der Konditorei kurz stehen und sah sich nach links und rechts um. Hedda fing seinen Blick. Wie müde und traurig er aussah!

Auch an diesem Morgen hingen Eiskristalle vor den Fenstern und glitzerten im Kerzenlicht. Doch heute konnte Hedda nichts Schönes daran finden. Heute war das Eis einfach nur kalt und ein weiteres überdeutliches Zeichen dafür, dass in diesem Jahr Weihnachten wohl ganz anders sein würde als zuvor. Ihr Vater hatte gestern kein Wort darüber verloren, warum er früher nach Hause gekommen war, obwohl Hedda einen bösen Verdacht hatte. Am späten Abend, als sie und Bo schon in ihren Betten gelegen hatten und die Mutter nach Hause gekommen war, hatten die Eltern am Tisch leise gesprochen. Vermutlich hatten sie gedacht, Hedda und Bo würden schon schlafen. Aber Hedda hatte jedes Wort gehört. Der Konditor hatte ihrem Vater gekündigt. Fristlos. Er hatte etwas von schlechter Auftragslage und wenig Geld geredet. So ein Blödsinn, hatte Hedda gedacht.

»So ein Blödsinn«, hatte auch ihre Mutter gemurmelt. »So kurz vor Weihnachten … Er ist doch nur eifersüchtig, weil die Leute deine Kreationen lieber mögen als seine.«

»Vielleicht«, hatte der Vater hilflos geantwortet. »Trotzdem kann ich nicht gegen ihn ankommen. Selbst wenn meine Torten und Zuckerkringel jetzt nicht mehr zum Verkauf stehen. Die Leute werden dennoch nicht wegbleiben.«

Hedda hatte schnell ihren Kopf ins Kissen gedrückt, als die Mutter leise aufgeschluchzt und zu weinen begonnen hatte. Am liebsten hätte Hedda auch laut geweint, aber sie wollte ihren Eltern nicht verraten, dass sie gelauscht hatte. Sie konzentrierte sich auf die Figuren, die das Eis an die Fensterscheibe gemalt hatte. Wenn alles noch gut gewesen wäre, hätte sie vielleicht wieder etwas Schönes daran finden können. Aber jetzt?

»Guten Morgen, Hedda. Komm, steh auf. Ihr müsst zur Schule.«

Wie oft hatte Hedda sich gewünscht, morgens einmal von ihrem Vater geweckt zu werden. Nicht immer mit ihrem Bruder allein zu sein, wenn sie aufstand. Aber unter den jetzigen Umständen hätte sie gerne auf die Erfüllung dieses Wunschs verzichtet. Lieber wäre sie noch hundertmal und öfter morgens mit Bo allein gewesen, wenn ihr Vater dafür nur immer noch eine Arbeit gehabt hätte.

»Was soll nun werden, Papa?«, fragte sie.

Nun hatte sie sich verraten. Aber die Tatsache, dass ihr Vater noch hier zuhause war, war schließlich auch Beweis genug. Ihr Vater zuckte nur mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht«, sagte er leise. »Ich werde in die Stadt gehen und mich nach anderer Arbeit umsehen. Vielleicht kann ich in einer Bäckerei noch unterkommen. Oder irgendwo anders.«

»Aber Papa, du bist Konditor. Der Beste! Du kannst nicht irgendetwas anderes arbeiten«, widersprach Hedda.

Ihre Worte entrangen ihrem Vater ein kurzes dankbares Lächeln. Aber dann wurde sein Gesicht wieder ernst.

»Mach dir keine Sorgen. Das findet sich schon alles. Und bitte, sag Bo nichts.«

Hedda sah ihren Vater verständnislos an. »Papa, wie soll das denn gehen? Bo ist nicht blöd. Willst du ihm etwa erzählen, dass du ganz plötzlich Urlaub bekommen hast?«

»Du hast recht. Ihr seid beide zu groß, um so etwas zu glauben«, gab ihr Vater zu und nahm den Teekessel vom Ofen.

Stumm liefen die Kinder durch die vereisten Straßen. Gerade eben hatte Hedda ihrem Bruder erklärt, warum ihr Vater an diesem Morgen nicht arbeiten gewesen war. Bo hatte ein erschrockenes Gesicht gemacht, aber nichts geantwortet. Es war Hedda nur recht so. Was sollten sie auch groß darüber reden? Davon würde es sicher nicht besser werden.

»Glaubst du, der Weihnachtsmann schickt mir trotzdem eine Trompete zu Weihnachten?«, fragte Bo plötzlich leise.

»Vergiss doch deine blöde Trompete«, fuhr Hedda ihren Bruder an. »Wir haben wirklich andere Sorgen.«

Bo blieb stehen und stampfte wütend mit dem Fuß auf.

»Aber das ist gemein. Ich habe mir schon so lange eine gewünscht.«

»Ich weiß«, antwortete Hedda.

»Vielleicht…«, sagte Bo leise und kratzte sich an der Mütze.

»Vielleicht können wir mit dem Konditor noch einmal reden. Vielleicht kann er Papa ja doch wieder einstellen. Wenigstens bis Weihnachten.«

»Ziemlich viel vielleicht, wenn du mich fragst«, entgegnete Hedda. Aber sie konnte sich nicht helfen; Bos Hoffnung war ansteckend. »Also gut«, sagte sie daher. »Wir können es wenigstens versuchen.«

Sie nahmen den Weg über den Marktplatz und gingen auf die Konditorei zu. In den Fenstern standen bunte Torten, Lebkuchenmänner, und Zuckerstangen hingen auf Girlanden neben Schokoladenherzen und Zuckerkringeln. Hedda lief das Wasser im Mund zusammen, als sie mit Bo das Geschäft betrat. Der Geruch war zu köstlich. Aber sie hatten von ihren Eltern keine Krone zugesteckt bekommen, um sich ein Stück Zuckergebäck kaufen zu können. Und außerdem hatten sie etwas ganz anderes zu tun, als Süßigkeiten zu essen, rief sie sich selbst streng zur Ordnung. Hinter dem Tresen stand Nils, der Lehrling, und verkaufte die Kuchen und Pralinen an alle, die da kamen und danach verlangten. Nils war nett, aber stets etwas schusselig. Seine weiße Konditormütze saß schief auf seinem strubbeligen Haar und seine Schürze war übersät mit Schokoladen- und Zuckergussflecken.

»Hallo, Nils«, sprach Hedda ihn an, als sie endlich an der Reihe waren. »Ist Frantz da?«

»Hallo Hedda«, begrüßte Nils sie freundlich. »Der Chef ist da.« Er machte ein trauriges Gesicht. »Wegen eures Vaters?«, fragte er dann. »Tut mir wirklich leid…«

Hedda nickte dankbar und wollte gerade mit Bo zur Hintertür, um zu Frantz, dem Konditor, zu gehen, als eben dieser durch die Tür in den Laden trat. Erschrocken blieb sie auf der Schwelle stehen. Frantz sah mit finsterem Gesicht auf sie herab.

»Was macht ihr denn hier?«, bellte er.

»Bitte Frantz, wir wollten Sie bitten…«, fing Hedda leise an.

»Kann Papa nicht noch ein bisschen hier arbeiten? Nur bis Weihnachten?«, fragte Bo und sah den Konditor mit Engelsmiene an. Doch der zuckte nicht einmal mit der Wimper und ließ sich von den bittenden Kinderaugen nicht erweichen.

»Nein, kann er nicht. Ich habe kein Geld, um noch jemanden durchzufüttern. Die Zeiten haben sich geändert.«

»Aber Papa braucht doch so dringend Arbeit!«, bettelte Bo.

»Und ich wünsche mir doch so sehr eine Trompete«, heulte er dann auf, als Frantz keinerlei Reaktion zeigte.

»Das ist nicht mein Problem«, grunzte er. »Wünschen kann man sich viel.«

»Bitte, können Sie nicht noch einmal darüber nachdenken?«, bat Hedda. »Unser Vater hat doch immer gut für Sie gearbeitet.«

Frantz trat einen Schritt näher auf sie zu, sodass Hedda und Bo zurückweichen mussten.

»Jetzt habe ich aber genug von eurem Gejammer. Ich kann und ich werde euren Vater nicht wieder einstellen. Ende der Diskussion. Und nun – raus mit euch!«, polterte er.

Hedda und Bo stolperten aus dem Laden und wären beinahe die zwei Treppenstufen hinuntergestürzt.

»Das war wohl nichts«, sagte Hedda enttäuscht, als sie sich von dem Schrecken erholt hatte.

»Hm«, machte Bo traurig. »Aber immerhin hat es angefangen zu schneien.«

Richtig, aus dem dunklen Nachmittagshimmel fielen dicke Flocken auf die Welt und hatten Teilen der Straße schon einen weißen Flaum aufgesetzt. Eine Weile sahen Hedda und Bo dem Schneetreiben zu. Aber so richtig konnten sie sich nicht darüber freuen. Ohne Arbeit für ihren Vater und nach den unfreundlichen Worten von Frantz war der Schnee überhaupt nicht märchenhaft, fand Hedda.

Plötzlich zog ein helles Licht über den Himmel.

»Schau mal«, sagte Bo. »Das war bestimmt der Weihnachtsstern. Wenn ich mir jetzt etwas wünsche, geht es in Erfüllung.«

Hedda lächelte. Wie schön wäre es gewesen, wenn ihr Bruder recht gehabt hätte. Aber an Sterne, die Wünsche erfüllten, konnte man doch nicht ernsthaft glauben. Die gab es nur in Märchen, die Großmütter am Kamin erzählten. Nur weil sie Bo den Spaß nicht verderben wollte, schloss sie ebenfalls die Augen und wünschte sich etwas.

Wenn sie nur geahnt hätte, woher dieses Licht am Himmel gekommen war – vielleicht hätte Hedda doch wieder an Märchen geglaubt.

Niemand hatte gesehen, was sich in der Nacht draußen am Stadtrand ereignet hatte. Und niemand hatte die Gestalt gesehen, die sich, nachdem ein heller Lichtstreif über den Himmel gezogen war, durch das Schneetreiben gekämpft hatte. Nun hockte die Gestalt in einem Keller und überlegte, wie es weitergehen sollte. Das Wetter, das sie empfangen hatte, war schrecklich gewesen. Gegen die Kälte hatte die Gestalt ja nichts einzuwenden, aber der feuchte Schnee war alles andere als schön gewesen. Es hatte Stunden gedauert, bis ihr Haar getrocknet war. Vorsichtig fühlte die Gestalt nach, ob auch tatsächlich alles wieder trocken war. Ja, die Zeit hatte mal wieder Wunder gewirkt. Zufrieden sah die Gestalt im Halbdunkel auf ihre Fußspitzen, die in braunen Lederstiefeln steckten, die vorne spitz zuliefen und sich leicht nach oben wölbten.

Plötzlich hörte sie etwas. Aus den Räumen über dem Keller drang vielfaches Stimmengewirr zu ihr hinunter. Was war dort wohl los? Die Gestalt sprang auf die Füße und klopfte sich etwas Staub von der Kleidung. Die Stimmen wurden lauter, kamen aber nicht näher. Aber die Gestalt war neugierig geworden und wollte nun wissen, wer sich hinter diesen Stimmen verbarg. Vorsichtig und mit leisen Schritten setzte sie einen Fuß vor den anderen und schlich die Kellertreppe hinauf. Ein heller Lichtschein fiel auf die oberste Stufe, als sie die Kellertür am Ende der Treppe einen spaltbreit öffnete.

In der großen Halle vor der Tür liefen unzählige kleine Menschen hin und her. Manche trugen Mützen auf den Köpfen, andere trugen kleine Hüte. Aber alle hatten Taschen, die sie auf dem Rücken oder über die Schulter gehängt trugen. Aufgeregt redeten sie miteinander und verteilten sich in kleinen Grüppchen, die in unterschiedliche Richtungen liefen. Die Gestalt auf der Kellertreppe war zu fasziniert von dem Anblick, als dass sie auf die Gespräche hätte achten können. Nach einer Weile waren all die kleinen Menschen über die Treppe, die nach oben in das Gebäude führte, oder in einem der Gänge, die nach rechts und links abgingen, verschwunden und Stille kehrte ein in der Halle. Die Gestalt wollte gerade durch den Spalt in die Halle huschen, als die große Eingangstür plötzlich aufgerissen wurde und noch zwei Kinder hineinstürzten. Rasch zog die Gestalt sich wieder hinter die Kellertür zurück und beobachtete weiter das Geschehen.

»Oh je, wir sind viel zu spät«, rief das ältere Kind, ein Mädchen mit langen blonden Zöpfen. Es streifte seine Tasche und den Mantel ab und hängte ihn an einen Haken neben all die anderen Mäntel, die dort schon in der Halle hingen.

»Beeil dich, Bo. Sonst gibt es richtigen Ärger.« Der kleine Junge, der neben dem Mädchen stand, streifte sich die Mütze vom Kopf und warf sie auf den Haken über den Mantel des Mädchens.

»Hedda, bringst du mich zur Klasse? Vielleicht wird der Lehrer nicht zu böse, wenn du ihm alles erklärst.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Das geht jetzt nicht, Bo. Du schaffst das schon. Wir sehen uns später in der Pause.«

Mit diesen Worten stürmte das Mädchen, Hedda, die Treppe nach oben, während Bo in den linken Gang abbog. Nach einer Weile hörte die Gestalt eine Tür ins Schloss fallen und wagte sich schließlich in die Halle. Leise ging sie den Gang entlang, von dem drei Türen abgingen. Hinter einer dieser Türen musste Bo verschwunden sein. Ob der Lehrer, von dem er gesprochen hatte, wohl wirklich so böse geworden war? Wenn die Türen doch nur Fenster gehabt hätten… Da hörte die Gestalt plötzlich eine laute Stimme.

»Bo, warum kommst du so spät?«

»Es tut mir Leid, Herr Lehrer. Ich… ich …«, hörte die Gestalt Bo stammeln.

»Setz dich auf deinen Platz und höre auf rumzustottern.«

»Ja, Herr Lehrer.«

»Und in der Pause wirst du dem Hausmeister beim Schneeschippen helfen.«

Das klang wirklich nicht sehr nett, dachte die Gestalt und lauschte, ob sie noch mehr von Bo würde hören können. Aber hinter der Tür war nur noch die Stimme des Lehrers zu hören. Der Junge tat der Gestalt leid. Sie kramte in ihrer Jackentasche und fand, was sie gesucht hatte; ein buntes Honigkaramell. Auf leisen Sohlen lief die Gestalt in die Halle zurück, wo die Kinder ihre Mäntel zurückgelassen hatten.

Welcher war noch gleich der Mantel von Bo gewesen? Richtig, die schwarze, etwas zerschlissene Jacke, die dort über dem grauen Mantel hing! Aufmerksam sah die Gestalt sich um und ließ, als keiner zu sehen war, langsam das Karamellbonbon in die Manteltasche gleiten. Vielleicht würde Bo sich ja darüber freuen, wenn er es fand.