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Eine junge Berliner Künstlerin erhält eine Reihe geheimnisvoller Nachrichten aus dem Schwarzwald. Postkarten, die das Motiv ihres letzten Werkes zeigen. Briefe, die an die adressiert sind. Aber diese Nachrichten sind alle mehr als 60 Jahre alt, von einem Ort an dem sie noch nie war. Aus einer Zeit, in der sie noch nicht einmal geboren war. Sie reist nach Wildbad, um den Urheber dieser Nachrichten ausfindig zu machen.
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Seitenzahl: 98
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Franjo Franjkovic
Sommerberg
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Widmung
1 - Sommerberg
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Danksagung
Verlag – „Push my belly“
Impressum
Widmung
Sommerberg
von Franjo Franjkovic
Für Hagen.
1 - Sommerberg
„...ich habe Dir doch gleich gesagt, dass das nicht funktionieren wird.“
Ich beobachte skeptisch, wie Marion versucht, die Post aus meinem Briefkasten zu fischen. Tief hat sie die Hand in den Schlitz des Kastens vergraben, die Augen angestrengt zusammengekniffen.
„Keine Sorge, Sarah. Ich hab’s gleich...“
Marion bugsiert ihre Hand noch ein Stückchen tiefer in den engen Zwischenraum, während ihr eine Strähne ins Gesicht fällt, die sie erfolglos wegzupusten versucht. Eine Geste, die mir bereits bei unserem ersten Treffen aufgefallen ist. Die Party eines gemeinsamen Freundes, der mich mit einem seiner besten Freunde verkuppeln wollte. Einer dieser sterbenslangweiligen Abende, an denen man sich am liebsten unter dem Sofa verkriechen oder vor lauter Scham und Selbsthass implodieren möchte. Wäre da nicht diese Frau gewesen. Eloquent. Witzig. Charmant. Attraktiv. Diese Frau, die diese kleinen Gesten beherrschte und immer zu ihrem Vorteil ausspielen konnte. Ich ging nicht mit dem Kumpel meines Freundes nach Hause. Sondern mit dieser Frau. Marion.
„Hör auf, bevor Du Dir noch wehtust.“
„Keine Sorge, Moment, ich hab’s... Aua!“ Marion zieht ihre Hand ruckartig aus dem Briefkasten und sieht halb ungläubig, halb erschrocken auf ihre Finger. Ein kleiner Schnitt, quer über die Fingerkuppen ihrer rechten Hand. Sofort schießen einige Tropfen Blut hervor.
„War ja klar.“ Ich schüttele den Kopf, wie es Eltern tun, die es schon vorher gewusst haben. Ich erinnere mich an die Worte, die meine Mutter bei solchen Gelegenheiten sagte: „Und wenn Du jetzt heulst, bekommst Du von mir noch eine drauf.“
Aber Marion zuckt nicht einmal leicht zurück, als ich ihr vorsichtig ein Taschentuch um die Hand wickele. Tapferes Mädchen. Zumindest tut sie so.
„Halb so wild. Nur ein Kratzer.“
„Ja, ja. Blutet aber ganz schön. Halt still.“
Ein gequältes Lächeln, sie legt den Kopf leicht schief, ich sehe, wie sie ihre Lippen aufeinander presst, um nicht zu weinen. Den Triumph will sie mir wahrscheinlich nicht gönnen.
„Wir machen oben die Wunde sauber und verbinden das richtig.“
Aber Marion winkt ab. „Lass doch das Theater, ist nur ein Kratzer.“
Die Haustür öffnet sich und der Hausmeister unseres Hauses, Herr Schmidt, kommt heraus.
„Was ist das hier denn für ein Radau?“
Der Missmut in seiner Stimme lässt mich zusammenzucken, denn es ist nicht unser erstes Zusammentreffen dieser Art.
„Alles in Ordnung, Herr Schmidt. Meine Freundin hat sich nur in den Finger geschnitten. Halb so wild.“
Er grunzt abwertend, zieht seine Hose ein Stückchen seinen Bierbauch hinauf, die gleich daraufhin wieder herabzurutschen beginnt. Dieses kaum bewusst ablaufende Spiel wiederholt sich mehrfach während Gesprächen mit ihm. So wenig schön es anzusehen ist, hat es auch etwas rührend Hilfloses, wie ein Mann, der einen Regenschirm aufspannt, um eine Lawine aufzuhalten.
„Tatsächlich? Und wie genau ist dieses Missgeschick denn passiert?“
Marion und ich wechseln einen verlegenen Blick.
„Sie haben doch nicht etwa Ihre Briefkastenschlüssel verloren, Fräulein Bürger? Schon wieder?“
Das Blut schießt mir in den Kopf, ich versuche mich herauszuwinden, aber mehr als eine etwas hilflose Geste in Richtung der Treppe bekomme ich nicht zustande. „Die Schlüssel sind bestimmt irgendwo oben in der Wohnung.“
Schmidt winkt ungeduldig ab und zieht einen schweren Schlüsselbund hervor. Er lässt einige Schlüssel durch seine wurstdicken Finger wandern, bis sich seine Miene etwas aufhellt. Er schließt den Briefkasten auf, nimmt die Post heraus und gibt sie mir. Ich greife nach dem kleinen Bündel und will es in meiner Tasche verstauen, aber Schmidt hält die Post noch immer fest.
„Sollten Ihre Schlüssel nicht auftauchen, haben Sie mir das unverzüglich zu melden.“
Ein verlegenes Lächeln. „Sicher...“
Aber er lässt noch immer nicht los.
„Und dieses Mal lasse ich Sie für alle Kosten aufkommen. Ich werde Ihretwegen nicht noch einmal die Schließanlage im ganzen Haus wechseln. Nur damit das klar ist!“
Ich weiche seinem Blick aus, meine Augen haften auf seinen wulstigen, haarigen Fingern, die noch immer meine Post umklammern. Er beugt sich etwas hinab und sucht meinen Blick. Ich kann seinen Atem riechen. Eine Mischung aus Kohl und Bier.
„Haben Sie das verstanden?“
Ich nicke langsam, sehe ihn an. Zusammengekniffene kleine Augen, die sich unter den buschigen Augenbrauen zu verstecken scheinen. „Ja, verstanden. Aber die Schlüssel tauchen bestimmt wieder auf.“
2
Ich werfe die Post auf den niedrigen Wohnzimmertisch, schäle mich aus meiner Jacke, die ich achtlos auf den Boden werfe. Marion beäugt kritisch den Schnitt in ihren Fingern. Das Ergebnis scheint sie nicht sonderlich zu beunruhigen. Sie deutet mit dem Kinn in Richtung der Haustür.
„Der ist ja noch schlimmer als in Deinen Erzählungen.“
„Blockwart Schmidt? Wer Gralshüter eines so mächtigen Schlüsselbundes ist, der muss zu niederen Fräuleins wie uns nicht nett sein...“
Auch Marion zieht ihre Jacke aus, legt sie aber, im Gegensatz zu mir, sorgfältig auf das Sofa. Einer der kleinen Unterschiede zwischen uns, die unser Leben nie haben langweilig werden lassen.
Ich gehe in das Badezimmer, suche irgendetwas, womit ich Marions Wunde verarzten kann.
„Weißt Du, wo ich meinen Verbandskasten hingetan habe?“
„In das kleine Unterschränkchen.“
Natürlich hat sie recht. Wie immer, wenn ich mal wieder irgendetwas in meiner Wohnung suche. Und das, obwohl wir noch immer nicht zusammengezogen sind, auch wenn wir schon ein paar Mal darüber gesprochen haben. Wahrscheinlich gefallen uns unsere eigenen kleinen Nester viel zu gut, um sie aufzugeben.
Zurück im Wohnzimmer setze ich mich neben Marion, die sich bereits auf meine Couch gesetzt hat, und nach dem kleinen Stapel Post greift. Sie zieht etwas von unten heraus, zieht die Augenbrauen fragend zusammen.
„Was ist das denn?“
Ein Foto? Sie sieht es sich genauer an. Eine Postkarte. Sie dreht sie herum, die Falten auf ihrer Stirn werden etwas tiefer. Ungläubig sucht sie weiter und fördert eine zweite Postkarte zu Tage.
„Willst du in den Schwarzwald?“
Schwarzwald? „Nein. Wieso fragst Du?“
Marion hält die Postkarten in die Höhe. Schwarzweiß. Unmöglich, das genaue Alter zu bestimmen, aber bestimmt schon an die 50 oder 60 Jahre alt. Verblichene Aufnahmen, die Ränder vergilbt und abgenutzt.
„Wo hast Du die denn her?“
Ein ungefähres Winken Richtung Couchtisch.
„Waren in Deiner Post.“
„Von wem sind die denn?“
Marion dreht die Postkarten herum. Kein Text. Kein Absender.
„Komisch. Gib mal her.“
Ein großes Haus auf einem dicht bewaldeten Berg. Auf der Rückseite nur ein Aufdruck in der linken unteren Ecke. „Fotohaus v. Schönebeck“. Ansonsten ist die Postkarte leer.
Die zweite Postkarte zeigt das Tal am Fuße des Berges. Winter. Meterhoher Schnee überzieht die Landschaft. In der Mitte ein Kirchturm, der die übrigen Gebäude und umstehenden Bäume weit überragt. Auch diese Postkarte ist unbeschriftet: kein Absender, keine Anschrift, keine Nachricht. Nur ein kleiner Aufdruck am unteren Bildrand: „Wildbad/Schwarzwald“.
Ich werfe die Postkarten kopfschüttelnd zurück zu den restlichen Briefen. „Bestimmt hat die nur jemand aus Versehen bei mir eingeworfen. Die sind bestimmt für Frau Bucksch aus dem Dritten. Und jetzt zeig mal Deine Hand.“
Marion hält mir die Hand hin und ich säubere mit ein paar geschickten Handgriffen die Wunde. Marion gluckst mädchenhaft.
„Bestimmt sind die Postkarten die Einladung eines heimlichen Verehrers.“
Ich versuche, das genervte Augenrollen in meiner Stimme hörbar zu machen. „Dessen fesches Schwarzwaldmädel ich werden soll? Verlockende Idee, wo mir Bollenhüte doch so gut stehen.“
„Ach komm. Eine Woche Schwarzwald wäre doch mal eine willkommene Abwechslung.“
Ich klebe noch einige Pflaster auf die kleinen Wunden. Sollte genügen.
„Vielleicht. Aber nur, wenn Du dabei bist.“
„Oh, Du bist so süß...“ Sie zieht mich an sich heran und küsst mich. „... genau das wollte ich hören. Aber vielleicht hat die gute Frau Bucksch ja einen alten Kurschatten, der sich auf diesem Weg mal wieder bei ihr meldet.“
„Das kann ich mir bei der zwar kaum vorstellen, aber wer weiß? Sie war auch mal jung.“
Ich überprüfe noch einmal Marions Hand. Alles sauber. Alles verarztet.
„Bitte sehr, so gut wie neu.“
Sie hält mit einem übertrieben treuherzigen Gesicht die Hand in die Höhe.
„Pusten und Kussi geben?“
Mit Schwachsinn dieser Art bringt sie mich jedes Mal zum Lachen. Auch dieses Mal. Ich puste ganz leicht über ihre Finger und küsse sanft ihre Fingerspitzen.
„Besser?“
„Viel besser!“
Entschlossen nimmt sie mir das Verbandszeug aus der Hand und legt es auf dem Tisch ab.
„So, fertig mit den Doktorspielchen. Du weißt doch, warum ich hier bin.“
Ich verdrehe mit gespieltem Ärger die Augen.
„Fang nicht schon wieder an...“
Aber Marion lässt sich nicht so leicht von mir abwimmeln. „Komm schon. Zeig es mir.“
Ich seufze theatralisch. Einer dieser Seufzer, der eine Frau um zwei Leben älter wirken lässt.
„Es ist noch nicht fertig.“
Sie nimmt meine Hände in ihre, zieht mich ein wenig an sich heran und küsst mich auf die Stirn. Ernst sieht sie mir in die Augen. Ich kenne den Blick. Sie benutzt ihn nur, wenn sie sich wirklich Sorgen um etwas, oder jemanden, macht.
„Du hast seit zwei Monaten nicht mehr daran gearbeitet. Das ist sonst nicht Deine Art. Es ist bestimmt fertig, Du findest es einfach nur nicht gut, oder?“
Ich löse mich vorsichtig ein wenig von ihr. Mein Körper verkrampft, man muss keine feinen Antennen haben, um zu spüren, wie unwohl ich mich bei diesem Thema fühle.
„Ach, ich weiß auch nicht. Irgendetwas fehlt. Ich kann den Finger nicht genau auf die Wunde legen, aber ich habe das Gefühl, es ist einfach noch nicht komplett. Noch nicht vollendet. Verstehst Du?“
Sie lächelt. Dieses charmante, bezaubernde und entwaffnende Lächeln, dem ich noch nie einen Wunsch abschlagen konnte.
„Komm schon. Lass es mich sehen.“
3
Mein Atelier ist ein heilloses Durcheinander. Auf den Arbeitsflächen türmen sich Pinsel, Leinwände, Mischpaletten mit eingetrockneten Farbresten. Gegenüber der breiten Fensterfront steht die Staffelei mit dem Bild, an dem ich jetzt bereits seit Monaten arbeite.
Marion hält davor inne, ihre Augen weiten sich, ihr Mund steht offen. „Es... es ist wunderschön.“
Das Bild zeigt einen ruhigen Gebirgsbach, der sich in jahrtausendelanger Arbeit ein flaches Bett in den Wald gegraben hat. Er schlängelt sich träge um einen großen Felsen herum, in dessen Schatten wilde Blumen wachsen. Sattes Gras am Ufer. Myriaden kleiner, glitzernder Sterne auf der Wasseroberfläche, Reflexionen des durch die Bäume scheinenden Sonnenlichtes. Das hohe Gras ist an einigen Stellen etwas eingedrückt, Spuren eines Tieres vielleicht.
Marion geht näher heran, betrachtet jedes Detail. Ihre Augen leuchten vor kindlicher Freude, während ich nur mit vor der Brust verschränkten Armen dastehen kann. Das ungute Gefühl, das ich jedes Mal beim Betrachten des Bildes habe, holt mich auch jetzt wieder ein.
„Irgendetwas ist nicht richtig. Ich kann es fühlen.“
Aber Marion schüttelt den Kopf.
„Nein. Es ist perfekt. Glaub mir.“
Sie dreht sich zu mir herum, küsst mich auf die Stirn.
„Absolut perfekt.“
Sie nimmt mich in den Arm, aber ich kann die Umarmung nicht erwidern, das ungute Gefühl hält mich gefangen. Marion spürt, wie unangenehm mir die Situation ist und dreht sich wieder zu dem Bild um, als ihr plötzlich etwas aufzufallen scheint.
„Warte mal.“ Sie betrachtet ein winziges Detail.
„Was ist das denn? Soll das ein Fisch sein? Oder ein Blatt?“
Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wovon sie redet.
„Hier. Im Wasser des Bachs.“
Sie deutet auf einen kleinen roten Flecken im Wasser und ich zucke zusammen, einen leisen Fluch auf den Lippen.
„