Sommerglück auf Fehmarn - Sandra Grauer - E-Book
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Sommerglück auf Fehmarn E-Book

Sandra Grauer

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Beschreibung

Ein kleines Hotel am Strand von Fehmarn, eine chaotisch-liebenswerte Familie und jede
Menge Heiratsanträge - ein sommerlich-humorvoller Roman mit bezauberndem Schauplatz

"Emily, glaub mir. Ich bilde mir das nicht ein: Das Hotel steckt in großen Schwierigkeiten." Der unerwartete Hilferuf ihrer Mutter und die Bitte, rasch nach Hause zu kommen, bringen Emily völlig aus dem Konzept. Zwar hat sie Fehmarn vor Jahren den Rücken gekehrt, das kleine Familienhotel am Strand liegt ihr aber noch immer am Herzen. So aufgeregt ist Emily, dass ihr erst viel später auffällt, dass ihr Freund ihr gerade einen Antrag machen wollte. Nicht das beste Vorzeichen für ihren Plan, die "Strandperle" in ein Romantikhotel umzuwandeln und Verliebten bei der Organisation des perfekten Heiratsantrags zu helfen ...

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Seitenzahl: 380

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Dank

Über das Buch

Ein kleines Hotel am Strand von Fehmarn, eine chaotisch-liebenswerte Familie und jede Menge Heiratsanträge – ein sommerlich-humorvoller Roman mit bezauberndem Schauplatz

»Emily, glaub mir. Ich bilde mir das nicht ein: Das Hotel steckt in großen Schwierigkeiten.« Der unerwartete Hilferuf ihrer Mutter und die Bitte, rasch nach Hause zu kommen, bringen Emily völlig aus dem Konzept. Zwar hat sie Fehmarn vor Jahren den Rücken gekehrt, das kleine Familienhotel am Strand liegt ihr aber noch immer am Herzen. So aufgeregt ist Emily, dass ihr erst viel später auffällt, dass ihr Freund ihr gerade einen Antrag machen wollte. Nicht das beste Vorzeichen für ihren Plan, die Strandperle in ein Romantikhotel umzuwandeln und Verliebten bei der Organisation des perfekten Heiratsantrags zu helfen …

Über die Autorin

Sandra Grauer wurde 1983 im Ruhrgebiet geboren. Schreiben, Lesen und in die Welt fremder Geschichten einzutauchen war schon immer ihre Leidenschaft. In Heidelberg studierte sie Sprach- und Übersetzungswissenschaften; später absolvierte sie ein fachjournalistisches Fernstudium und ein Volontariat in einer PR-Agentur in Karlsruhe. Mit ihrem Mann, ihrem Sohn und zwei Meerschweinchen lebt sie inzwischen wieder im Ruhrgebiet. Sie schreibt, z.T. unter Pseudonym, Romane für Jugendliche und Frauen, von denen einige bereits mit Leserpreisen ausgezeichnet wurden.

SANDRA GRAUER

Sommerglück

AUF FEHMARN

Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Dieses Werk wurde vermittelt durch die litmedia.agency, Offenburg.

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Dr. Stefanie HeinenTitelillustration: © Chantal de Bruijne/shutterstock; Pawel Kazmierczak/shutterstock; Magenta10/shutterstock; art_of_sun/shutterstockUmschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.deE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5685-4

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

Für Niklas und für Christian

Kapitel 1

Samstag, 1. April

6:30 Uhr: Mit Carla Blumen aussuchen

11:00 Uhr: Teammeeting

12:00 Uhr: Besprechung mit Darío

17:30 Uhr: Maniküre

20:00 Uhr: Cocktails mit Felipe

Flug von Fuerteventura nach Hamburg buchen

Koffer packen

»Emily, Liebes, was hältst du davon, wenn du uns über Ostern besuchst? Dein Vater und ich würden dich gern mal wiedersehen. Das letzte Mal ist schon so lange her.«

Ich nahm das Telefon in die andere Hand. »Natürlich würde ich euch auch gern wiedersehen. Aber wie stellst du dir das vor, Mama? Ich kann hier jetzt nicht weg. Du kennst meine berufliche Situation, und gerade ist generell kein guter Zeitpunkt. Carla heiratet bald. Sie braucht meine Hilfe für die Vorbereitungen.«

»Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht, sonst hätte ich gar nicht erst gefragt.« Die Stimme meiner Mutter klang betont fröhlich. »Wie ist denn das Wetter auf Fuerteventura? Uns hat der Winter leider nach wie vor im Griff.«

Ich unterdrückte ein Seufzen. »Was ist los, Mama?«

»Alles gut, mein Schatz, mach dir keinen Kopf. War nur so eine Idee, dein Job geht natürlich vor.«

Mein Blick glitt zu Felipe, meinem Freund, der neben mir stand, die Hände in den Taschen seiner Stoffhose. Immer wieder suchte er meinen Blick, denn wir waren gerade mitten in einem Gespräch gewesen, als mein Handy geklingelt hatte. Aber jetzt musste er warten. Irgendetwas stimmte bei meinen Eltern nicht, sonst hätte meine Mutter nicht um diese Uhrzeit angerufen. Und dann noch ihre Stimme, der Themenwechsel …

»Also, was hast du auf dem Herzen?«, fragte ich. »Und versuch nicht, mich mit fadenscheinigen Ausreden abzuspeisen. Ich kenne dich.«

»Manchmal wünschte ich, dein Vater würde mich auch so gut kennen.«

»Oje«, entfuhr es mir.

Sie holte tief Luft. »Du sagst es. Er verheimlicht mir etwas, das merke ich ganz genau. Natürlich streitet er es ab, vermutlich will er mich schonen, aber ich habe doch Augen im Kopf. Immerhin habe ich das Hotel jahrelang mehr oder weniger alleine geführt. Er kann es nicht vor mir verbergen, wenn die Gäste ausbleiben.«

»Das liegt vielleicht am …«, bemerkte ich, doch meine Mutter unterbrach mich sofort.

»Nein, das liegt nicht nur am Wetter. Rund um die Feiertage ist immer viel los, egal zu welcher Jahreszeit. Ich habe Hanni neulich über die Schulter geschaut. Für die Osterferien sind bisher kaum Reservierungen vermerkt.«

Das war in der Tat ungewöhnlich. Für einen kurzen Moment setzte Schweigen ein. Keiner von uns sprach es aus, und doch dachten wir beide mit Sicherheit dasselbe. Irgendwie warteten wir alle seit zwei Jahren auf den großen Knall.

»Was ist mit Dominik?«, fragte ich.

Meine Mutter seufzte. »Emily, Liebes, dein Bruder ist auf Barbados, das weißt du doch. Er hat die Stelle erst vor Kurzem angenommen. Er kann dort jetzt nicht weg. Und es wäre auch ein bisschen weit.«

»Ist Papa denn in der Nähe? Dann rede ich mal mit ihm.«

»Er ist gerade unterwegs. Ich kann ihm sagen, er soll dich zurückrufen, aber ich bezweifle, dass das was bringen wird.« Meine Mutter holte erneut tief Luft. »Emily, glaub mir. Ich bilde mir das nicht ein: Das Hotel steckt in großen Schwierigkeiten.«

Das Hotel steckt in großen Schwierigkeiten. Ich bekam diesen Satz nicht mehr aus dem Kopf. Nicht, während ich mit Felipe zum Hotel zurückkehrte, in dem er und ich arbeiteten. Nicht, während ich vor dem Laptop saß und einen kurzfristig verfügbaren Flug von Fuerteventura nach Hamburg suchte. Normalerweise lebten meine Eltern auf Fehmarn und ich auf Fuerteventura friedlich nebeneinanderher. Wir telefonierten gelegentlich, hielten aber keinen allzu engen Kontakt. Ich liebte meine Eltern, keine Frage, aber wir hatten nur wenig Anknüpfungspunkte, obwohl wir alle im Hotelgewerbe tätig waren. Meine Mutter hatte während meiner Kindheit stets viel gearbeitet, und später, während meiner Ausbildung, war mir ihre ewige Bevormundung auf den Wecker gegangen. Mein Vater … war speziell. Er war ein herzensguter Mensch, aber seine Tendenz, Chaos zu verbreiten, trieb mich regelmäßig in den Wahnsinn. Die Frage, was zu Hause eigentlich los war, ließ mich allerdings nicht mehr los. Übertrieb meine Mutter womöglich? Nein. Ich schüttelte den Kopf. Meine Mutter übertrieb nie, das war nicht ihre Art. Das war eher die Art meines Vaters, aber aus ihm war nichts herauszubekommen gewesen. Sein einziger Kommentar vorhin am Telefon hatte gelautet: »Warum macht ihr denn jetzt so ein Theater? Ich hab hier alles im Griff.« Doch genau diese Worte machten mich stutzig – mein Vater litt seit jeher an grenzenloser Selbstüberschätzung.

Ach ja. Dabei hatte der Tag so entspannt angefangen. Ich hatte meine beste Freundin Carla und Felipe – ihren Bruder – auf den Blumenmarkt begleitet.

»Wie wär’s mit einem bunten Frühlingsstrauß?«, hatte ich gefragt und eine Tulpe aus der Vase gezogen. »Mit Tulpen, Anemonen und Ranunkeln. Stellt euch das Bouquet aus gelben, orangefarbenen und pinken Blumen auf jedem Tisch vor.« Carla hatte sehr angetan gewirkt, doch Felipe hatte den Kopf geschüttelt.

»Viel zu gewöhnlich für diesen Anlass. Wir werden doch wohl etwas Besseres als Tulpen finden, zumal die nicht ewig blühen.«

Ich wandte mich an Carla. »Dann vielleicht die klassische Variante? Pastellfarbene Rosen gehen immer.«

Felipe gab mir einen Kuss auf die Nase. »Emily, das ist nicht klassisch, sondern langweilig.«

»Bruderherz, das ist meine Hochzeit«, sagte Carla genervt. »Und ich finde Frühlingsblumen oder Rosen sehr schön.«

»Es kann trotzdem nicht schaden, sich noch ein wenig umzusehen«, sagte Felipe und streifte weiter durch die Halle.

Kaum zu glauben, dass an einem Samstagmorgen um kurz vor sieben schon so viel los war auf dem Blumenmarkt. Eine ältere Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm feilschte mit einem Verkäufer ein paar Stände weiter, ein Mann und eine Frau unterhielten sich lautstark über mehrere Tische hinweg.

»Dass Felipe überhaupt mitgekommen ist«, wunderte ich mich. Er hatte nicht viel für »das Gemüse« übrig, wie er immer sagte, ganz im Gegensatz zu mir. Tief atmete ich den süßen Duft der Blumen ein. Was für ein Duft. Was für eine Farbenpracht.

Carla lächelte wissend und hakte sich bei mir ein. Langsam schlenderten wir die Stände entlang. »Du weißt genau, warum mein Bruder mitgekommen ist«, sagte sie. »Für dich würde er alles tun. Wäre es nicht schön, wenn du endlich meine Schwägerin werden würdest?«

Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Ja, Felipe wollte irgendwann heiraten und Kinder haben, das hatte er mir schon bei unserem dritten Date nach dem zweiten Glas Chardonnay gestanden. Anstalten, mich zu fragen, hatte er jedoch bisher keine gemacht. Auch wenn wir erst seit sechs Monaten ein Paar waren, kannten wir uns bereits eine gefühlte Ewigkeit, da ich mit Carla seit meiner Ankunft auf Fuerteventura befreundet war.

»Und?« Carla sah mich erwartungsvoll an. »Wie stehen die Chancen?«

»Das musst du schon deinen Bruder fragen«, wich ich aus. »Wir haben mal kurz darüber geredet, das war’s.«

»Vielleicht hast du es auch einfach nicht mitbekommen. Felipe ist nicht so der romantische Typ, das müsstest du inzwischen wissen. Außerdem könntest du ihn ebenso gut um seine Hand bitten.«

»Ich? Auf keinen Fall. Dann hätte ich immer das Gefühl, dass ich ihn dazu genötigt hätte, mich endlich zur Frau zu nehmen. Nein, da bin ich altmodisch. Heiratsanträge sind Männersache.«

Carla zuckte nur mit den Schultern. Felipe war weiter vorn stehen geblieben und winkte uns zu sich. »Wie findet ihr denn diese hier?« Er zeigte auf eine Blume, die aussah wie ein Paradiesvogel: langer Stängel und orangefarbener Kamm samt Schnabel. Strelitzien waren für mich als gebürtige Deutsche zwar immer noch exotisch, aber in den Hotelanlagen von Fuerteventura wuchsen sie zuhauf.

Carla schüttelte sofort den Kopf. »Nein, danke. Wenn du mal heiratest, kannst du machen, was du willst, aber für meine Hochzeit wünsche ich mir etwas Bodenständigeres.«

Felipe sah zu mir und lächelte sein verführerisches Lächeln. »Und, was meinst du? Sollen wir uns diese Sorte schon mal für Tag X merken?«

Überrascht erwiderte ich seinen Blick. »Ich weiß nicht«, meinte ich. »Die sind mir, ehrlich gesagt, etwas zu ausgefallen. Es gibt so viele schöne Blumen, die sich bestens als Tischschmuck für eine Hochzeitsgesellschaft eignen. Rosen, Lilien, Callas …«

Felipe drehte sich zu mir um und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Aber die nimmt doch jeder, Emily.«

»Das würde mir nichts ausmachen. Auf einer Hochzeit darf es ruhig traditionell zugehen, finde ich.«

»In diesem Fall bin ich ganz deiner Meinung«, sagte Carla und zwinkerte mir zu. »Deshalb entscheide ich mich wohl tatsächlich für die pastellfarbenen Rosen.«

»Denkst du, das gefällt auch José?«, hakte Felipe nach. »Vielleicht würde er lieber so was hier nehmen.« Er deutete auf den Zierlauch.

»José ist glücklich, wenn ich es bin«, antwortete Carla kurz angebunden und ging zurück zu den Rosen.

Ich hingegen betrachtete noch einen Moment die lilafarbenen Blütenbälle, die auf ihren Stängeln zu schweben schienen. »Zierlauch ist toll, den könnte ich mir sehr gut als Tischdeko vorstellen.«

»Ach ja?«

Ich drehte mich zu Felipe um. »Für den Brautstrauß würde ich aber trotzdem etwas Klassischeres bevorzugen.«

Schmunzelnd zog er mich in seine Arme. »Na schön, wenn wir zwei eines Tages heiraten sollten, kannst du dir aussuchen, was du möchtest. Niemand soll mir nachsagen, ich würde nicht wollen, dass du glücklich bist.«

»Weiß ich doch, ich bin ja glücklich. Und bis wir die Blumen aussuchen, muss erst noch einiges anderes passieren.«

»Stimmt, ich hab zum Beispiel einen Bärenhunger. Hast du Lust, gleich noch mit mir zu frühstücken, bevor du ins Hotel musst?«

Zwei Stunden später waren Felipe und ich hinaus auf die Terrasse des Hotel de los Sueños getreten, um von dort die Treppe zum Strand zu nehmen. Obwohl es erst kurz nach neun war, strahlte die Sonne von einem blauen Himmel. Normalerweise hätte ich um die Zeit schon zwei Stunden Arbeit hinter mir, aber ich hatte spontan beschlossen, noch einen kleinen Strandspaziergang mit Felipe zu machen.

Im Außenbereich des Hotels herrschte bereits reger Betrieb. Im Pool tummelten sich einige Kinder und ältere Gäste, und die Frühaufsteher lagen träge in der Sonne. Einen Moment ließ ich den Blick über die Anlage schweifen: das kristallklare Wasser in den Becken, Dutzende von Palmen, die Liegen und Sonnenschirme aus Bambus, im Hintergrund der Atlantik.

»Ein tolles Hotel, nicht wahr? Vor allem, weil du es demnächst leiten wirst«, sagte Felipe.

»Ja.« Ich nickte stolz. »Heute Mittag treffe ich mich mit Darío, um die ersten Details zu besprechen.« Jahrelang hatte ich darauf hingearbeitet, nun endlich war es bald so weit. Und ich hatte es ganz allein geschafft.

Felipe wusste, was mir die Beförderung bedeutete. Er war stellvertretender Geschäftsführer der Hotelkette seiner Eltern, hatte jedoch nichts mit meiner neuen Position zu tun. Wir waren erst ein Paar geworden, nachdem mir die Leitung des Hotels bereits in Aussicht gestellt worden war.

»Ich bin stolz auf dich, weißt du das?«

Felipe wollte meine Hand nehmen, doch stattdessen berührte ich nur flüchtig seine. »Danke, lieb von dir.«

Er wirkte ein wenig enttäuscht, aber er kannte meine Prinzipien: Vor den Gästen und anderen Hotelangestellten hielt ich mich mit Vertraulichkeiten zurück, mein Privatleben ging niemanden etwas an. Außerdem wollte ich nicht, dass jemand falsche Schlüsse zog. Immerhin wusste hier jeder, dass Felipe der Sohn der Inhaber war.

»Oh, Moment.« Ich wandte mich auf Spanisch an den Steward, der mit zügigen Schritten die Poollandschaft durchquerte. »Würden Sie bitte die Handtücher von diesen Liegen hier entfernen?«

»Natürlich, wird sofort erledigt«, antwortete er und begann bereits, die Handtücher einzusammeln.

»Gracias.« Ich schenkte ihm ein Lächeln und setzte mit Felipe an meiner Seite den Weg zum Strand fort. »Unglaublich, die deutschen Urlauber versuchen doch tatsächlich immer wieder, die Liegen mit ihren Handtüchern zu reservieren.« Amüsiert schüttelte er den Kopf. »Was ist?«

»Immer nur die Arbeit im Kopf.« Ich rechnete schon mit einem Vorwurf, doch er fuhr fort: »Das ist auch der Grund, weshalb wir so gut zusammenpassen. Keiner von uns macht dem anderen eine Szene, weil es auf der Arbeit mal etwas hektischer zugeht.«

Das stimmte, wir hatten beide immer sehr viel zu tun. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob das wirklich von Vorteil war. Sich für Intimitäten zu verabreden war nicht unbedingt romantisch.

Inzwischen hatten wir den Strand erreicht. Hier ging es noch etwas ruhiger zu als am Hotelpool. Ich stieg aus meinen Sandalen und genoss das Gefühl des warmen Sandes unter meinen nackten Fußsohlen. Um diese Uhrzeit war es am Strand besonders schön, denn wenn die Sonne später mehr Kraft hatte, würde der Sand zu heiß sein, um barfuß zu laufen.

Felipe griff nach meiner Hand, und dieses Mal ließ ich es zu. Gemeinsam schlenderten wir den Strand entlang. Ein junges Paar kam uns entgegen, vielleicht Mitte zwanzig, beide übers ganze Gesicht strahlend. Sie hatte einen knallroten Pareo um ihre Hüften geschlungen, und auch er steckte in legerer Strandkleidung. Im Vergleich zu den beiden kam ich mir alt vor, dabei war auch ich erst Anfang dreißig. Aber Felipe und ich wirkten auf andere sicher nicht mehr wie frisch verliebt, zudem steckte ich bereits in meiner Dienstkleidung, einem hellen Kostüm, bestehend aus Rock und Blazer. Nicht gerade das ideale Strandoutfit.

»Kommst du dir auch manchmal so alt vor?«, fragte ich Felipe.

Er blieb stehen und ergriff meine zweite Hand. »Emily, wir sind doch nicht alt. Du bist zweiunddreißig, ich bin gerade einmal vier Jahre älter.«

»Schon, es ist nur … Wir sind immer so bedacht und vernünftig.« Hatte ich das gerade eben wirklich gesagt? Ich mochte vernünftige Menschen, die ihren Weg kannten und ein Ziel vor Augen hatten. Ich war selbst einer von ihnen.

Felipe schmunzelte. »Wäre es dir etwa lieber, wenn ich mich unberechenbar verhalten würde?«

Schnell schüttelte ich den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Ich mag Stabilität und Sicherheit in meinem Leben. Vergiss einfach, was ich gesagt habe.« Was war denn auf einmal los mit mir? Ich liebte feste Strukturen, brauchte sie, um zurechtzukommen. Mein Leben war gut, so wie es war. Warum sah ich jetzt Probleme, wo keine waren?

»Aber vielleicht hast du recht«, antwortete Felipe. »Vielleicht sollten wir einfach mal etwas Verrücktes tun, etwas riskieren. Ich liebe dich, Emily, das weißt du.« Er gab mir einen flüchtigen Kuss.

»Natürlich weiß ich das. Ich liebe dich auch.«

Mit einem Mal wirkte er jungenhaft, fast ein bisschen aufgeregt und verlegen. »Na, dann lass es uns wagen. Oder was meinst du?«

Ehrlich gesagt war mir nicht klar, wovon er gerade sprach, doch bevor ich nachfragen konnte, hatte mein Handy geklingelt. »Oh, tut mir leid. Ich muss da kurz drangehen.« Mit einem entschuldigenden Lächeln hatte ich das Telefon hervorgeholt, um das Gespräch anzunehmen.

Und nun klickte ich auf »Buchen«, um einen Flug in aller Herrgottsfrühe auszuwählen, weil ich meiner Mutter versprochen hatte, in der Strandperle nach dem Rechten zu schauen. Dabei wollte ich alles andere als zurück nach Fehmarn.

Kapitel 2

Sonntag, 2. April

6:00 Uhr: Flug von Fuerteventura nach Hamburg

Mir einen Überblick verschaffen

Hoffen, dass Papa nicht allzu viel Schaden angerichtet hat

Meiner Vergangenheit aus dem Weg gehen

Bei Heiligenhafen verließ ich die A1 und fuhr weiter auf die B207. Linker Hand kam das erste Mal die offene See in Sicht. Ich schaltete den Scheibenwischer eine Stufe höher, denn der leichte Nieselregen, der mich seit Hamburg begleitete, wurde immer stärker. Nur wenige Minuten später machte die Straße eine Biegung und führte direkt auf die Fehmarnsundbrücke. Heftige Windböen rüttelten am Auto und peitschten den Regen gegen die Fensterscheiben. Ich fuhr etwas langsamer und riskierte einen Blick auf die tosende See unter mir. Sie wirkte grau und trostlos. Kein Vergleich zu dem türkisblauen Meer, an das ich inzwischen gewohnt war. Als ich Fuerteventura am Morgen verlassen hatte, waren es bereits über zwanzig Grad gewesen, und die Sonne hatte von einem wolkenlosen Himmel gestrahlt. Fehmarn hingehen empfing mich mit Regenwolken und einstelligen Temperaturen. Ich fröstelte. Was für eine Freude, dass ich hierherkommen durfte, während mein Bruder sich in der Karibik Cocktails servieren ließ.

Hoffentlich war es nicht so schlimm, wie meine Mutter befürchtete. Ich hatte erst überlegt, sie abzuwimmeln. Meine To-do-Liste war auch so schon voll genug, und eigentlich wäre es die Aufgabe meines Bruders gewesen, dem Hilferuf meiner Mutter nachzukommen. Er sollte schließlich eines Tages die Hotelleitung übernehmen, ich hatte schon früh klargemacht, dass ich das nicht wollte. Und nicht allein deshalb, weil meine Mutter mir während meiner Ausbildung im Familienhotel quasi die Luft zum Atmen genommen hatte. Alles, aber wirklich alles, hatte sie besser gewusst. Auch die Vorstellung, mein ganzes Leben auf Fehmarn zu verbringen, hatte mich gelähmt. Diese Insel war zu klein für mich, ich wollte etwas erleben. Und doch war die Strandperle noch immer mein Zuhause. Wenn meine Mutter mich jetzt so verzweifelt bat, nach dem Rechten zu schauen, hatte ich keine Wahl. Zum Glück hatte Darío, mein Chef, mir so kurzfristig ein paar Tage Urlaub genehmigt – auch wenn er wenig begeistert gewesen war.

»Wie stellst du dir das vor, Emily?«, hatte er wissen wollen. »Du stehst kurz davor, die Leitung des Los Sueños zu übernehmen. Da solltest du dich in deine neuen Aufgaben einarbeiten und nicht in den Urlaub gehen.«

»Ich will auch nicht in die Karibik fliegen, sondern an die deutsche Ostsee. Darío, das ist ein Notfall. Außerdem habe ich noch fünfzehn Tage Resturlaub vom letzten Jahr. Irgendwann muss ich den nehmen, das sagst du selbst immer, und ich bleibe sicher nicht lange fort.«

Natürlich hatte Darío schließlich zugestimmt. Er war ein Familienmensch und hatte vollstes Verständnis für meine Situation. Trotzdem fühlte ich mich schlecht, und das nicht nur wegen meines Jobs, sondern auch wegen meiner Heimatinsel. Es gab schließlich einen Grund, warum ich Fehmarn vor so vielen Jahren verlassen hatte, und der hing nicht nur mit meiner Familie zusammen.

Es war wirklich seltsam, wieder hier zu sein. Das letzte Mal war ich vor über zwei Jahren auf der Insel gewesen. Vereinzelt kam mir ein Auto oder ein vermummter Fahrradfahrer entgegen, aber davon abgesehen wirkte die Insel wie ausgestorben. Wobei sie auch zur Hauptsaison nie so voll wie Rügen, Usedom oder Sylt wird, dabei ist sie die drittgrößte Insel Deutschlands.

Ich passierte Wiesen und Felder, durchquerte Burg und fuhr von dort weiter Richtung Osten. Keine zehn Minuten später hatte ich Katharinenhof und damit mein Ziel erreicht. Ich setzte den Blinker und fuhr langsam auf den Hof. Der Kies knirschte unter den Autoreifen, ein vertrautes Geräusch. Ebenso vertraut war der Anblick des Hotels. Wind und Wetter schienen ihm all die Jahre nichts ausgemacht zu haben. Fast schon majestätisch thronte das weiße Gebäude mit den Erkern und unzähligen Sprossenfenstern hoch oben auf der Steilküste. Es ist doch schön, mal wieder hier zu sein, musste ich mir eingestehen, auch wenn ich mir für meinen Besuch andere Umstände gewünscht hätte.

Einer der Familienparkplätze war noch frei, und ich stellte den Mietwagen dort ab. Einen Moment blieb ich sitzen, dann stieg ich aus. Ich hatte keinen Regenschirm und auch keine Jacke dabei, und obwohl ich mich gerne erst ein wenig umgesehen hätte, rannte ich doch direkt zum Haupthaus.

Unter dem von Säulen gerahmten Dachvorsprung erwartete mich bereits meine Mutter. »Hab ich doch richtig gehört. Emily, wie schön, dass du gekommen bist.« Sie nahm mich in die Arme und betrachtete mich anschließend aufmerksam. »Gut schaust du aus, so braun.«

»Auf den Kanaren ist das Wetter ein bisschen besser als hier«, antwortete ich und musterte meine Mutter meinerseits. Sie hatte wieder etwas Farbe bekommen und auch ein paar Kilo zugenommen, aber dafür deutlich mehr Falten im Gesicht als bei meinem letzten Besuch. Ihre dunkelbraunen Haare zeigten zwar keine einzige graue Strähne, aber vermutlich hatte sie da mit einer Tönung nachgeholfen. Mit einem Mal bekam ich ein schlechtes Gewissen. Nach ihrem Herzinfarkt vor zwei Jahren hatte ich sie völlig alleine gelassen. Natürlich war mein Vater für sie da gewesen, aber es fühlte sich trotzdem so an. »Wie geht es dir, Mama?«

»Alles in Ordnung, mein Schatz. Es ist so schön, dass du hier bist. Na komm, lass uns reingehen und einen Kaffee trinken, damit du wieder warm wirst.«

»Mein Gepäck ist noch im Auto.«

»Ach, das kann Peer nachher holen. Es wird sicher nicht den ganzen Tag lang regnen.«

Meine Mutter hielt mir die Tür auf, und ich ging voraus. Neugierig sah ich mich im Empfangsbereich um, doch es hatte sich so gut wie nichts verändert. Die Strandperle empfing ihre Gäste seit jeher mit uriger Gemütlichkeit: Fachwerk an Decken und Wänden, dazu Sofas und Sessel, die genauso gut in einem königlichen Palast hätten stehen können.

»Ja mei, das glaub ich jetzt net. Die Emily.« Hanni, seit bestimmt vierzig Jahren Rezeptionistin in diesem Hotel, eilte um den Empfangstresen herum und drückte mich an ihren wogenden Busen. Sie war ein bayerisches Urgestein und lief selbst im Winter im Dirndl umher, obwohl Fehmarn seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr ihre Heimat war. »Groß bist du geworden.«

Ich lachte. »Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss, Hanni, aber ich wachse schon seit etwa vierzehn Jahren nicht mehr.«

Sie lachte ebenfalls. »Du weißt doch, wie ich das meine. Lass dich ansehen. Sie ist ja schon eine Schönheit, gell?«, sagte sie an meine Mutter gewandt. »Die dunkelbraunen Haare, die blauen Augen, die Sommersprossen auf der Nase … Ganz die Oma, Gott hab sie selig.«

Meine Mutter schob mich an der Schulter weiter. »Schon gut, Hanni. Nun lass unsere Große doch erst einmal in Ruhe ankommen.«

»Aber später kommst du bei mir auf einen Plausch vorbei, gell?«, rief Hanni mir hinterher.

Ich drehte mich noch einmal zu ihr um und nickte, dann stieg ich mit meiner Mutter die geschwungene Treppe hinauf zu unseren Privaträumen. Die Strandperle hatte drei Stockwerke. Im Erdgeschoss befanden sich neben dem Empfang der Speisesaal und weitere öffentliche Räumlichkeiten wie zum Beispiel die Sauna. Im ersten und zweiten Stock gab es jeweils zwölf Zimmer mit Platz für insgesamt knapp fünfzig Gäste, und im obersten Stockwerk war neben den Arbeitszimmern auch ein Wohnzimmer untergebracht, zu dem meine Mutter nun die Tür öffnete. Sie nahm auf dem roten Sofa mit den goldenen Bordüren Platz, das dort stand, seit ich denken konnte. Auf dem runden Tisch in der Mitte war alles für eine Kaffeepause vorbereitet, also setzte ich mich ihr gegenüber und schenkte uns beiden ein.

»Dein Vater kommt gleich, er wollte noch irgendwas ganz Wichtiges erledigen«, sagte meine Mutter.

»Wie geht es ihm denn?«, fragte ich und trank einen Schluck Kaffee.

Meine Mutter atmete geräuschvoll aus. »Gut, sehr gut. Er ist nach wie vor überaus motiviert. Du kennst ihn ja.«

Das tat ich, und genau deshalb hatte ich am Vortag trotz allem, was dagegen sprach, sofort einen Flug gebucht. »Und wie geht es dir?«, fragte ich erneut. »Sei ehrlich.«

Sie verzog den Mund zu einem Lächeln, das jedoch ihre Augen nicht erreichte. »Ich fühle mich unnütz. Das Hotel braucht im Moment besonders viel Zuwendung, und ich sitze hier nur herum, auch wenn dein Vater mir die ganze Zeit sagt, ich müsse mich dringend schonen.«

Ich rutschte nach vorne auf die Sesselkante und legte meiner Mutter eine Hand auf den Arm. »Da hat er ausnahmsweise recht. In den letzten Jahren hast du viel zu viel gearbeitet. Mit einem Herzinfarkt ist nicht zu spaßen, Mama. Der Körper verlangt hin und wieder eine Ruhepause, und wenn man ihm die nicht gönnt, holt er sie sich irgendwann einfach, notfalls mit Gewalt. Das hast du selbst gesehen, also schon dich bitte.«

»Inzwischen habe ich mich doch wohl genug geschont. Ich bin zwar immer noch nicht so vital wie früher, aber das kann genauso gut am Wetter liegen.«

»Papperlapapp! Von uns Hansens hat noch nie jemand an Frühjahrsmüdigkeit gelitten«, sagte mein Vater, der plötzlich im Türrahmen stand. »Hallo, Bienchen.« Er kam auf mich zu, und ich stand auf, um ihn in den Arm zu nehmen. Im Gegensatz zu meiner Mutter hatte er sich kaum verändert. Vielleicht das eine oder andere graue Haar mehr, dazu ein paar Pfund zu viel auf den Rippen, aber ansonsten sah er fit aus. »Schön, dich zu sehen, auch wenn ich noch nicht so ganz verstehe, was du hier möchtest.«

»Ich hatte Heimweh.«

Mein Vater lachte. »Bienchen, du hattest nie Heimweh. Schon im Kindergarten wolltest du eine Woche ohne uns campen, weißt du noch?« Er nahm sich eines von den Schokoladenplätzchen.

»Ich wollte euch halt mal wiedersehen, das letzte Mal ist ewig her. Außerdem leitest du jetzt schon seit zwei Jahren das Hotel. Darf ich denn kein Interesse daran zeigen, wie es so läuft?«

»Auf die Finger schauen willst du mir, so sieht’s aus. Was hast du dem Mädchen für Flausen in den Kopf gesetzt, Uta?« Er nahm sich noch zwei Plätzchen und schenkte sich nun ebenfalls Kaffee ein.

»Ich habe unserer Tochter überhaupt keine Flausen in den Kopf gesetzt«, verteidigte sich meine Mutter. Sie setzte an, um noch mehr zu sagen, doch ich kam ihr zuvor. Das Ganze würde nur in einem Streit enden.

»Rede dir nichts ein, Papa. Niemand will dir auf die Finger schauen.«

»Das will ich meinen, schließlich bin ich kein alter Tattergreis. Als ob ich nicht alleine zurechtkommen würde. Du solltest auf Fuerteventura sein und dich um deine Karriere kümmern, Bienchen.«

»Mach dir keine Sorgen. Mein Chef hat Verständnis für die Situation.«

Mein Vater schnaubte. »Die Situation, aha. Also doch.«

»Du willst das jetzt falsch verstehen, oder?«, fragte ich.

Meine Mutter spielte nervös mit ihren Händen. »Anton, bitte. Emily hat den weiten Weg auf sich genommen, um uns zu sehen, fang also bitte keinen Streit an. Und es ist doch nett, wenn sie mal nach dem Rechten schauen will. Sie hat inzwischen viel Erfahrung, immerhin wird sie demnächst das Hotel auf Fuerteventura führen.«

Überrascht sah ich sie an, dann lächelte ich ihr dankbar zu. Ihre Worte waren Balsam für meine Seele, denn früher hatte ich immer das Gefühl gehabt, es meiner Mutter absolut nicht recht machen zu können. Während meiner Ausbildung hatte sie mir permanent auf die Finger geschaut und es immer besser gewusst. Die Servietten faltest du lieber so – so erwarten es die Gäste. Nein, Emily, du solltest zuerst die Zimmer auf der Seeseite anbieten. Emily … schau mal, so macht man das. Ich hatte ihre ständigen Mahnungen immer noch im Ohr.

Mein Vater lachte. »Nichts für ungut, Bienchen, aber bevor man läuft, muss man erst mal krabbeln lernen.«

Ich atmete tief durch. Mein Vater war im Grunde seines Herzens schon immer ein Macher gewesen, ich kannte ihn nicht anders, und das alles war sicher auch für ihn nicht leicht. Meine Mutter hatte sogar ihn stets im Zaun gehalten, erst seit zwei Jahren durfte er selbst Entscheidungen treffen. Natürlich gefiel es ihm da nicht, jetzt kontrolliert und womöglich als unfähig hingestellt zu werden. Aber wie ein Dummerchen würde ich mich auch von ihm nicht behandeln lassen.

»Ich bin stellvertretende Direktorin eines sehr erfolgreichen Vier-Sterne-Hotels, Papa«, sagte ich. »Wir sind bereits für die komplette Saison ausgebucht. Glaub mir, ich weiß längst, wie der Hase läuft.« Ich lächelte ihm zu, griff nach meiner Kaffeetasse und stand auf. »Erzählst du mir später, was sich in den letzten zwei Jahren getan hat? Ich bin erst mal im Arbeitszimmer und versuche, mich zurechtzufinden.«

Zwei Stunden später tanzten die Buchstaben und Zahlen vor meinen Augen. Ich klappte den Laptop zu, nahm meine Lesebrille ab und rieb mir über die Nasenwurzel. Zeit für eine Pause, beschloss ich, schob den Schreibtischstuhl mit Schwung nach hinten und trat ans Fenster. Ich brauchte dringend frische Luft.

Das Hotel stand direkt an der Steilküste, so hatte man einen wundervollen Ausblick auf das Meer. Der Wind peitschte die Wellen nach wie vor gegen die Küste, doch wenigstens hatte der Regen nachgelassen und war wieder in ein leichtes Nieseln übergegangen. Ich streckte mich und suchte nach meiner Mutter, um mir von ihr Gummistiefel und Regenjacke auszuborgen. An der deutschen See musste man für alles gewappnet sein und immer mit kühlen und nassen Perioden rechnen, selbst wenn der Frühling vor der Tür stand. Das machte das Tourismusgeschäft hier auch deutlich schwieriger als auf den Kanaren.

Während ich mich auf den Weg zum Meer machte, dachte ich über das nach, was ich gerade gelesen hatte. Noch blickte ich nicht ganz durch, denn mein Vater war alles andere als ein guter Buchhalter. Überall in seinem Büro stapelten sich ausgedruckte Zettel, die nie abgeheftet worden waren, und auf dem Rechner herrschte ein ähnliches Chaos. Offenbar lag meine Mutter mit ihren Befürchtungen richtig, und die Strandperle lief tatsächlich nicht so gut. In den letzten beiden Jahren waren die Übernachtungszahlen rückläufig gewesen, und nicht nur für Ostern fehlten die Reservierungen. Für die komplette kommende Saison hatten wir noch jede Menge Zimmer frei. Wenn ich da an Fuerteventura dachte, wo bereits seit Wochen wieder Hochbetrieb herrschte …

Gut, versuchte ich mich zu beruhigen, wir haben erst Anfang April, das kann sich alles noch ändern. Wenn sich das Wetter über die Osterfeiertage bessern würde, füllte sich die Insel sicher rasch, und vielleicht auch die Strandperle. Aber das seltsame Gefühl in meinem Bauch blieb. Früher war die Strandperle unabhängig von der Wettervorhersage Wochen im Voraus für die Ferien ausgebucht gewesen.

Wind zerrte an meiner Kleidung, als ich den Abhang zum Meer hinabstieg und aus dem Schutz der Bäume trat. Ich kuschelte mich noch tiefer in meinen Regenmantel. Hier, im Osten der Insel, war die Natur noch wild und unberührt. Im Süden gab es die vor allem bei Touristen und Kindern beliebten Sandstrände, doch hier bei uns bestand der Strand nicht aus feinem Sand, sondern hauptsächlich aus Steinen. Die Wellen brachen sich an den kleinen Felsen in der Brandungszone, eine Möwe schaukelte ungeachtet des Wetters auf dem Meer. Ich hatte den Strand vollkommen für mich allein. Jetzt, am Nachmittag, lag dieser Strandabschnitt fast vollständig im Schatten, da die Sonne nicht weit genug über die Bäume hinwegschien, die sich über die gesamte Böschung zogen. Ich lief ein paar Schritte und blieb in der Brandungszone stehen, wo die Wellen meine Füße umspülten. Kurz überlegte ich, die Gummistiefel auszuziehen, wie ich es früher so gerne getan hatte, doch dafür war das Wasser noch viel zu kalt. Für einen kurzen Augenblick schloss ich die Augen und atmete bewusst die frische Meeresbrise ein. Ich hatte fast vergessen, wie schön das war.

Das Klingeln meines Handys riss mich aus den Gedanken. Gerne hätte ich es ignoriert, doch das Geräusch war so unpassend, dass mir keine andere Wahl blieb, als das Handy aus meiner Tasche zu holen.

»Hola, cariña. Wie geht es dir? Ich dachte, du wolltest Bescheid sagen, wenn du gut angekommen bist.«

Felipe. So ein Mist, ihn hatte ich in all der Aufregung total vergessen. Dabei war auch er wenig angetan von meiner schnellen Abreise gewesen. Ich dachte an unser Gespräch zurück, nachdem ich das Telefonat mit meiner Mutter beendet hatte.

»Was ist los?«, hatte er mich gefragt, sobald ich aufgelegt hatte. »Habe ich das richtig verstanden? Du willst dir kurzfristig Urlaub nehmen und spontan nach Deutschland reisen?«

»Ich muss, auch wenn ich den Zeitpunkt extrem ungünstig finde. Die bevorstehende Hochzeit deiner Schwester, die Beförderung …«

»Geht es dir nur darum?«

Irritiert griff ich nach seiner Hand. »Was meinst du?«

»Ach, schon gut.«

Zögerlich ließ ich seine Hand wieder los und trat einen Schritt zurück. »Bist du sauer? Es tut mir leid, wenn ich dich verärgert haben sollte, das war bestimmt nicht meine Absicht. Wie gesagt: Ich will nicht fahren, ich muss. Eine dringende Familienangelegenheit. Du weißt doch, dass meine Eltern ein kleines Hotel auf Fehmarn haben, und Mama macht sich große Sorgen. Mein Vater leitet das Hotel seit zwei Jahren allein, und …« Ich seufzte. »Du kennst ihn nicht, sonst würdest du es verstehen. Ich soll nach dem Rechten schauen. Spätestens nächstes Wochenende bin ich wieder zurück, versprochen.«

Felipe nickte. »Wenn du es für richtig und wichtig hältst, stehe ich hinter dir. Immerhin geht es um die Familie, das verstehe ich natürlich.«

»Danke, Felipe. Ach, und wegen gerade …«

Doch er hatte fast ein wenig abwehrend reagiert. »Lass uns das später besprechen.«

»Felipe, bitte entschuldige«, sagte ich jetzt. »Es ging alles so schnell nach der Landung. Ich hab dich nicht vergessen, ich hatte nur noch keine Zeit, um anzurufen.«

»Du hättest mich auch einfach mitnehmen können. Ich hätte deine Eltern gerne kennengelernt. Du willst mich nicht vor ihnen verstecken, oder?«

»Wir haben das doch besprochen«, sagte ich leise, ohne auf seinen Scherz einzugehen. Wir hatten tatsächlich noch einmal darüber geredet, als er mich heute Morgen in aller Herrgottsfrühe zum Flughafen von Fuerteventura gefahren hatte. »Ich hätte dich gerne mitgenommen, aber das wäre jetzt nicht der richtige Moment. Meine Mutter hat mich um Hilfe gebeten, nur deshalb bin ich hier. Und es dauert auch nicht lange, in ein paar Tagen bin ich wieder zurück. Du wirst gar nicht merken, dass ich nicht da bin. Wir sehen uns doch auch zu Hause nicht jeden Tag.«

»Natürlich fehlst du mir«, erwiderte Felipe. »Alleine, dich in meiner Nähe zu wissen …«

»Ach, Felipe. Dir würde es hier gar nicht gefallen. Glaub mir, es ist eisig kalt. Kein Vergleich zu Fuerteventura.«

»Du hältst mich wohl für ein Weichei, was?« Er lachte. »Ich verstehe deine Argumente, keine Frage, aber ich dachte, gerade jetzt wäre es schön gewesen, auch mal deine Eltern kennenzulernen.«

Während ich noch überlegte, was genau Felipe damit schon wieder gemeint hatte, ließ mich das plötzliche Bellen eines Hundes zusammenzucken. Bevor ich mich umdrehen konnte, war der beigefarbene Golden Retriever auch schon bei mir. Wasser spritzte hoch, dann sprang er mich ohne Vorwarnung an, sodass ich fast das Gleichgewicht verlor.

»Du bist ja ein Hübscher«, sagte ich und streichelte den Hund mit der linken Hand hinter den Ohren. Da fiel mir der weiße Fleck auf der Brust auf.

Zögerlich wandte ich den Kopf – und entdeckte einen weiteren Grund, aus dem ich der Insel vor zwölf Jahren den Rücken gekehrt hatte: Julian Petersen.

Kapitel 3

Felipe zurückrufen

Mir noch mal das Chaos im Arbeitszimmer vornehmen

Zeit für Hanni finden

Die Kombüse unauffällig in Augenschein nehmen

Mir nicht anmerken lassen, wie nervös ich bin

»Ähm, Felipe, kann ich dich später zurückrufen?«, fragte ich und legte auf, ehe mein Freund eine Chance hatte zu antworten.

Julian stieg mit schnellen und sicheren Schritten die rutschige Böschung hinab, als würde er den ganzen Tag nichts anderes machen. Auch er trug Gummistiefel und eine Regenjacke. Die dunkle Mütze hatte er tief ins Gesicht gezogen, trotzdem hatte ich ihn sofort erkannt. Lächelnd kam er auf mich zu. »Na, wen haben wir denn da? Emily, was für eine Überraschung. Mach mal Platz, Snoopy.«

Er packte den Hund am Halsband und befreite mich von ihm. Im nächsten Moment lag ich in Julians Armen. Es überraschte mich jedes Mal wieder, wie sehr er sich über ein Wiedersehen mit mir freute. Schließlich war unsere Trennung vor vielen Jahren nicht unbedingt schön verlaufen.

Seine vertraute Stimme, der vertraute Geruch brachten mich einen Augenblick lang aus dem Gleichgewicht. Bevor ich realisieren konnte, was passierte, ließ er mich jedoch schon wieder los. »Hallo, Julian«, begrüßte ich ihn ein wenig verlegen und schob eine Haarsträhne zurück unter die Kapuze meiner Regenjacke. »Wie geht es dir?«

»Bei mir ist alles bestens. Und bei dir? Ich hab schon von deiner Mutter gehört, dass du herkommst, aber so schnell habe ich nicht mit dir gerechnet. Konntest du dir so einfach freinehmen?«

»Einer musste nach den Eltern und dem Hotel sehen, und da mein Bruder sich weigert …« Ich zuckte die Schultern.

»Ja, ja, die alte Leier. Wo ist er dieses Mal?«, fragte Julian. »Bermudas?«

»Barbados.«

»Auch nicht schlecht.« Er hob ein Stöckchen auf und warf es in hohem Bogen in die tosende See. Snoopy sprintete hinterher. »Tut mir übrigens leid«, sagte er mit Blick auf meine Hose. »Er scheint dich vermisst zu haben.«

Ich blickte an mir hinab. Der Hund hatte mit seinen matschigen Pfoten Spuren auf meiner Jeans und dem Saum der Jacke hinterlassen. »Ach, das macht nichts. Snoopy ist noch ganz schön rüstig. Müsste er nicht inzwischen …«

»Zwölf«, kam Julian mir zuvor. »Snoopy wird demnächst zwölf Jahre alt.«

»Ein stolzes Alter.«

Eine Weile beobachteten wir schweigend den Hund, der unablässig das Stöckchen apportierte. Es wurde dunkler, der Himmel zog sich wieder zu, und der Wind frischte weiter auf. Trotzdem blieben Julian und ich nebeneinander stehen, die Augen auf das Meer und den Horizont gerichtet. Gerne hätte ich ihn genauer gemustert, aber aus einem kindischen Grund heraus traute ich mich nicht, und außerdem war er wie ich viel zu dick eingemummelt.

»Fuerteventura hat dich verweichlicht, was?«, sagte er irgendwann mit einem amüsierten Blick auf meine Gummistiefel. »Früher hättest du die längst ausgezogen.«

Ich zuckte nur mit den Schultern. Früher war vieles anders gewesen.

»Du bleibst jetzt also ein paar Tage«, fuhr Julian fort. Es war eine Feststellung, keine Frage.

Ich nickte. »Mein Vater versteht zwar nicht, was ich hier soll, aber Mama wollte, dass ich nach dem Hotel schaue.«

Julian schob die Hände in die Taschen seines Anoraks. »Ja, die Strandperle läuft leider nicht mehr so gut wie damals, als deine Mutter sie noch geführt hat.«

»Mama sieht immer noch ziemlich überanstrengt aus. Sie hätte schon viel früher kürzertreten müssen, aber dafür hat sie halt viel zu gerne gearbeitet.«

»Etwas, das du von ihr geerbt hast«, bemerkte Julian, schien es aber im nächsten Moment zu bereuen. Er räusperte sich.

Nach einer Weile fragte ich: »Weißt du, was passiert ist? Die Zahlen sehen nicht sonderlich gut aus, aber ich blicke noch nicht ganz durch, und Papa hüllt sich in Schweigen.«

Julian deutete ein Kopfschütteln an, den Blick immer noch auf den Horizont gerichtet. »Das kann ich dir nicht sagen, dafür habe ich zu wenig Einblick. Mir ist nur aufgefallen, dass die Gäste im Laufe der letzten beiden Jahre immer weniger wurden.«

»Aber im Restaurant läuft es gut?«, fragte ich. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, mich auch in den Bereich einzulesen.«

Nun wandte sich Julian mir zu, auf seinen Lippen lag ein Lächeln. »Die Kombüse läuft ziemlich gut, ich kann nicht klagen.«

»Sehr gut.« Wenigstens etwas, um das ich mir wohl keinen Kopf zu machen brauchte.

»Schau sie dir doch gleich selbst an«, schlug er vor. »Ich könnte uns was zaubern, bevor der Abendtrubel losgeht. Ich für meinen Teil könnte etwas zu essen vertragen.«

Hunger hatte ich. Die letzte Mahlzeit war das Frühstück im Flugzeug gewesen – eher ein Snack. Trotzdem zögerte ich. Ob es so eine gute Idee war, den Abend mit meinem Ex-Freund zu verbringen? Immerhin gab es inzwischen einen neuen Mann in meinem Leben.

»Hast du schon andere Pläne?«, fragte Julian und musterte mich aufmerksam.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht.«

»Na also, dann wäre das abgemacht. Allzu viel Zeit habe ich ohnehin nicht, bevor die hungrigen Gäste einfallen.«

Im gleichen Moment erfüllte ein Grollen die Luft und ließ mich zusammenzucken. Ich sah hinauf in den Himmel. Über uns brauten sich schwarze Wolken zusammen, der nächste heftige Regenschauer würde nicht lange auf sich warten lassen.

»Snoopy!« Julian pfiff auf zwei Fingern und schlug den Kragen seiner Jacke noch höher. »Snoopy, komm! Wir gehen.«

Sofort kam Snoopy aus dem Wasser gerannt, schüttelte sich das nasse Fell und trabte an uns vorbei die Böschung hinauf. Schweigend folgten wir dem Hund zurück zum Hotel.

Pitschnass kamen wir bei der Strandperle an. Ich versprach Julian, in einer halben Stunde bei ihm im Restaurant vorbeizuschauen, dann lief ich schnellen Schrittes den Kiesweg entlang und um das Hauptgebäude herum. Das Haus, in dem meine Eltern lebten, befand sich ein paar Meter abseits des Hotels, ebenfalls an der Steilküste. Mein Ziel war die Einliegerwohnung, in der früher ich selbst, dann mein Bruder gewohnt hatte, bevor er sich entschieden hatte, durch die Weltgeschichte zu reisen, anstatt sich endlich im Familienunternehmen nützlich zu machen. Die Wohnung war nicht sehr groß, verfügte neben dem Schlafzimmer gerade noch über ein kleines Wohnzimmer mit Kochnische und ein Badezimmer, aber immerhin hatte man hier eine wundervolle Aussicht und vor allem seine Ruhe. Wenn ich mir auch nur vorstellte, ich hätte wieder bei meinen Eltern einziehen müssen … Ich schüttelte mich. Auch so fühlte ich mich genug in die Vergangenheit zurückversetzt, als ich die Tür mit dem Schlüssel öffnete, den meine Mutter mir gegeben hatte. Der Duft des vertrauten Hotelwaschpulvers empfing mich und ließ mich an Zeiten denken, in denen ich in der Strandperle als Zimmermädchen gearbeitet hatte.

Noch im Flur stieg ich aus den Gummistiefeln und meiner nassen Kleidung. Ich ließ alles dort liegen und ging direkt ins Badezimmer, um eine heiße Dusche zu nehmen. Anschließend wickelte ich mich in ein Handtuch und sah mir die Wohnung genauer an. Meine Eltern hatten offensichtlich einiges machen lassen: Inzwischen gab es eine Fußbodenheizung, und auch die Fenster und Möbel waren neu. Alles sehr geschmackvoll, wie ich fand. Für das Wohnzimmer hatten sie ein rotes Stoffsofa und eine weiße Schrankkombination ausgesucht, die sowohl Platz für den Fernseher als auch für Bücher bot. Mit einem Lächeln stellte ich fest, dass meine Mutter dort meine alten Kinder- und Jugendbücher aufgestellt hatte: Hanni und Nanni, Nesthäkchen, die Klassiker von Astrid Lindgren.

Die Versuchung war groß, einfach zu Hause zu bleiben und es mir mit einem Buch auf dem Sofa gemütlich zu machen, während der Regen gegen die großen Fensterscheiben prasselte und wie aus weiter Ferne der Donner grollte. Doch ich widerstand ihr, schließlich war ich noch verabredet. Stattdessen sah ich mich weiter um. Vor der Kochnische gab es einen Esstisch mit vier Stühlen, die Küche war mit einer Kaffeemaschine ausgestattet und allem, was man sonst noch brauchte. Ich sah in den Kühlschrank, auch dieser war gut gefüllt, obwohl meine Mutter wusste, dass ich wirklich nicht kochen konnte. Dann fiel mein Blick auf die Uhr über der Spüle. Jetzt aber schnell. Wenn ich nicht zu spät kommen wollte, musste ich mich beeilen. Peer hatte wie versprochen mein Gepäck neben dem weißen Doppelbett im Schlafzimmer abgestellt, auf der Kommode empfing mich zur Begrüßung ein Strauß bunter Tulpen. Ich schnupperte kurz daran, dann holte ich einen Stapel Kleidung aus dem Koffer und legte ihn auf dem Bett ab. Nachdem ich mich für eine frische Jeans und einen weißen Kaschmirpullover entschieden hatte, machte ich mich mit gemischten Gefühlen auf den Weg zur Kombüse.

Snoopy empfing mich bellend und schwanzwedelnd, als ich die Tür zum Restaurant öffnete. Ich war schon ewig nicht mehr in der Kombüse gewesen, und auch hier schien sich einiges verändert zu haben. Neugierig blickte ich mich um. Im Gastraum war es warm und gemütlich, ich fühlte mich sofort wohl. An den Wänden hingen hübsche Strandmotive, gemalt von lokalen Künstlern, oder Schiffsruder und Fischernetze. Und auf jeder freien Stellfläche fanden sich kleine Schiffe oder Leuchttürme, Muscheln und Seesterne. Die Tische zierten keine Blumen, sondern Windlichter, gefüllt mit Sand, Muscheln und einer cremefarbenen Kerze.

Dafür, dass das Restaurant bereits in einer Stunde wieder für die Abendgäste öffnen würde, war es noch relativ ruhig. Nur aus der Küche waren leise Musik und Pfeifen zu hören. Mit Snoopy im Schlepptau folgte ich den Geräuschen. Er schien zu wissen, dass die Küche für ihn Sperrzone war. Missmutig, aber brav tappte er wieder zurück und machte es sich in seinem Korb hinter dem Empfang gemütlich. Als ich die Schwingtür aufstieß, wurde ich sofort von einem herrlichen Duft umfangen. Es roch nach Rosmarin, Butter und gebratenem Fisch. Die Küche war riesig und modern ausgestattet. Trotzdem wirkte sie lange nicht so steril wie die meisten anderen Restaurantküchen: Holz statt Edelstahl, weiß gestrichene Wände statt Fliesen. Überall waren Keramiktöpfe mit frischen Kräutern platziert – Petersilie, Salbei und Basilikum. Julian stand an der Anrichte in der Mitte und verteilte das Essen auf zwei Teller: Heilbuttfilet, dazu Bratkartoffeln und Gurkensalat.

»Perfektes Timing«, sagte er mit einem Lächeln, als er mich erblickte.

Er zog sich die weiße Kochschürze aus und ergriff die Teller. Mit einem Kopfnicken bedeutete er mir vorzugehen, doch ich konnte ihn einen Moment lang nur anstarren. In kompletter Regenmontur hatte er nicht viel von sich preisgegeben, doch nun, in Jeans und einem blauen Pullover, erkannte ich seinen durchtrainierten Körper.

»Alles okay?«, fragte er.