Sommerküsse auf Fehmarn - Sandra Grauer - E-Book

Sommerküsse auf Fehmarn E-Book

Sandra Grauer

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Beschreibung

Ein unerwarteter Millionengewinn, ein kleines Café am Strand und zwei Herzen im Glück - erfrischend wie eine Brise am Strand


18 richtige Antworten reichen Evie, um in der Quizshow von Detlef Straub eine Million Euro zu gewinnen. Während sie selbst ihr Glück noch nicht recht fassen kann, wissen ihre Freunde bereits genau, wie sie das Geld anlegen kann. Völlig entnervt flüchtet Evie nach Fehmarn. Auf der idyllischen Ostseeinsel genießt sie die Ruhe und die Natur und findet rasch einen neuen Lieblingsplatz: ein kleines Café am Strand. Dessen attraktiver Besitzer ahnt nichts von ihrem Gewinn, könnte ihre Hilfe aber dringend brauchen. Spontan packt Evie mit an. Gelingt es ihr, neben den Herzen ihrer Kunden auch Alex‘ Herz zu erobern?


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Seitenzahl: 355

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Evies Lieblingsrezepte

Evies Weg zur Million

Dank

Über das Buch

Ein unerwarteter Millionengewinn, ein kleines Café am Strand und zwei Herzen im Glück – erfrischend wie eine Brise am Strand

18 richtige Antworten reichen Evie, um in der Quizshow von Detlef Straub eine Million Euro zu gewinnen. Während sie selbst ihr Glück noch nicht recht fassen kann, wissen ihre Freunde bereits genau, wie sie das Geld anlegen kann. Völlig entnervt flüchtet Evie nach Fehmarn. Auf der idyllischen Ostseeinsel genießt sie die Ruhe und die Natur und findet rasch einen neuen Lieblingsplatz: ein kleines Café am Strand. Dessen attraktiver Besitzer ahnt nichts von ihrem Gewinn, könnte ihre Hilfe aber dringend brauchen. Spontan packt Evie mit an. Gelingt es ihr, neben den Herzen ihrer Kunden auch Alex’ Herz zu erobern?

Über die Autorin

Sandra Grauer wurde 1983 im Ruhrgebiet geboren. Schreiben, Lesen und in die Welt fremder Geschichten einzutauchen war schon immer ihre Leidenschaft. In Heidelberg studierte sie Sprach- und Übersetzungswissenschaften; später absolvierte sie ein fachjournalistisches Fernstudium und ein Volontariat in einer PR-Agentur in Karlsruhe. Mit ihrer Familie lebt sie inzwischen wieder im Ruhrgebiet. Sie schreibt, z.T. unter Pseudonym, Romane für Jugendliche und Frauen, von denen einige bereits mit Leserpreisen ausgezeichnet wurden.

SANDRA GRAUER

Sommerküsse

AUF FEHMARN

Roman

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch die litmedia.agency, Offenburg.

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, KölnLektorat: Dr. Stefanie HeinenEinband-/Umschlagmotiv: © shutterstock: Aleksei Potov | Eisfrei | Magenta10 | art_of_sunUmschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.deE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-7822-1

www.luebbe.dewww.lesejury.de

Für Niklas, Betty und ChristianGib niemals deinen Traum auf!

Prolog

Detlef sah mir tief in die Augen und senkte die Stimme, als er mir die alles entscheidende Frage stellte. Die Frage, die mein ganzes Leben von heute auf morgen ändern konnte.

»Für eine Million Euro möchte ich von Ihnen wissen …«

Im Saal wurde es dunkel und gleichzeitig mucksmäuschenstill. Detlef Straub zögerte den Moment der Wahrheit hinaus. Ich fühlte mich wie in Trance. Sechzehn Fragen hatte ich bis hierhin mithilfe der vier Joker richtig beantwortet, siebenhundertfünfzigtausend Euro konnten mir gehören, doch jetzt war ich auf mich allein gestellt. Die Joker waren weg, und es ging noch einmal um alles. Wenn ich einen Fehler machte, würde ich alles verlieren und mit nur fünfhundert Euro nach Hause gehen. Das war zweifelsohne nicht wenig, aber jetzt, wo die Million bereits zum Greifen nah war, wollte ich sie auch haben.

»Wer gründete 1912 die Universal Studios?« Detlef hob herausfordernd die Augenbrauen. »a) Adolph Zukor, b) Erich Ludendorff, c) Charlie Chaplin oder d) Carl Laemmle?«

Fassungslos schüttelte ich den Kopf, ich war wie erstarrt. Hatte ich mich vielleicht verhört? Nein. Auch als ich die Frage auf dem Bildschirm vor mir noch einmal las, wurde nach dem Gründer der Universal Studios gefragt. Ich sah auf.

Detlef musterte mich besorgt. »Ist alles in Ordnung, Frau Sommer? Angesichts der Eine-Million-Euro-Frage ist uns schon so mancher vom Stuhl gekippt.«

»Wie? Nein, alles in Ordnung.« Ich schwieg kurz, dann sagte ich: »Es ist d. Carl Laemmle hat das Filmstudio gegründet.«

Detlef zog erneut die Augenbrauen hoch. »Sind Sie sicher? Ich fasse noch mal zusammen: Wenn Sie jetzt aussteigen, sind Sie um siebenhundertfünfzigtausend Euro reicher. Wenn Sie falsch antworten, fallen Sie auf fünfhundert Euro zurück, und wenn die Antwort richtig ist, gehen Sie heute Abend als Millionärin nach Hause.«

»Ich bin absolut sicher. Ich erinnere mich noch genau an den Zeitungsartikel anlässlich des einhundertjährigen Jubiläums vor ein paar Jahren. Carl Laemmle stammt aus Laupheim. Das ist nur vierzig Kilometer von Bad Buchau entfernt, wo ich herkomme.« Ich holte tief Luft. »D.«

Die Antwort war eingeloggt, und ich hielt mir die Augen zu. Oh Gott, was hatte ich nur getan? Ich konnte gar nicht hinsehen. Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, dass die Antwort wirklich richtig war. Verwechselte ich irgendwas? Hatte tatsächlich ein Schwabe eines der größten Filmstudios Hollywoods gegründet? Ich hatte bereits die Worte meiner Mutter im Ohr: »Wie konntest du nur so unvernünftig sein, Evie? Siebenhundertfünfzigtausend Euro – eine Dreiviertelmillion – zu verspielen.«

»Also …« Detlef ließ sich nichts anmerken. »Die Frage war wirklich schwer, denn alle vier Herren waren in den 1910er-Jahren Gründer oder Mitbegründer eines Filmstudios.« Durch das Publikum ging ein Raunen. »Erich Ludendorff haben wir die Ufa zu verdanken, Charlie Chaplin die United Artists. Bleiben noch a und d. Adolph Zukor und Carl Laemmle gründeten beide 1912 jeweils eines der sechs größten Filmunternehmen der Vereinigten Staaten. Die Rede ist von den Universal Studios und von Paramount Pictures, Letztere ursprünglich als Famous Players ins Leben gerufen. Doch wer von beiden gründete nun die Universal Studios?« Detlefs Miene war nach wie vor undurchdringlich, und mein Herz klopfte so schnell, dass ich befürchtete, tatsächlich jeden Moment vom Stuhl zu kippen. Da schrie der Moderator nahezu: »D ist richtig! Sie haben eine Million Euro gewonnen, Frau Sommer!«

Goldenes Konfetti rieselte von oben auf mich herab, das Publikum brach in Jubel aus, und Detlef kam auf mich zu, um mir als Erster zu gratulieren. Doch ich konnte nur an eines denken: an das Gesicht meiner Mutter, wenn sie erfuhr, dass ich bei Detlef Straub die Million gewonnen hatte.

Kapitel 1

Auswahlfrage

Ordnen Sie die folgenden Personen nach ihrer Größe, von klein nach groß:

a) Danny DeVito

b) ChrisTine Urspruch

c) Reese Witherspoon

d) Natalie Portman

B, a … Mist, ich muss raten.

»Du willst jetzt deine Mutter anrufen?«, fragte Melanie, als ich die Tür zu unserem Hotelzimmer mit der Chipkarte öffnete.

Ich unterdrückte ein Seufzen. Von Wollen konnte nicht die Rede sein. »Du kennst sie doch. Was soll ich denn machen?« Ich betrat das Zimmer und schaltete das Licht ein.

»Champagner bestellen und feiern? Überlegen, was du mit dem Geld anstellst? Auschecken und in ein vernünftiges Hotel gehen?«

Ich sah mich in dem Zimmer um, das nur mit dem Notwendigsten ausgestattet war: Doppelbett, Kleiderschrank, Fernseher an der Wand. Zumindest der Ausblick aus dem Fenster war nicht schlecht. Er bot mir und meiner Cousine das touristische Köln – die Hohenzollernbrücke samt Dom und Rhein. Allerdings waren die ständig vorbeirollenden Züge schon ein wenig nervig. Die letzte Nacht hatte ich kaum ein Auge zugetan, was natürlich auch an der Aufregung gelegen haben konnte – oder an beidem. In Anbetracht der Tatsache, dass ich seit wenigen Stunden um eine Million Euro reicher war, überlegte ich wirklich einen Moment, uns ein komfortableres Hotel zu gönnen. Aber ich wollte nicht leichtsinnig werden, daher zückte ich nur mein Portemonnaie und reichte Melanie mein letztes Bargeld, das ich extra für den Fall der Fälle abgehoben hatte. Nicht, dass ich wirklich an einen hohen Gewinn geglaubt hatte, denn bisher hatte ich noch nicht mal einen Dreier im Lotto gehabt. Überhaupt war es mit dem Glück und mir nicht so weit her.

»Hier«, sagte ich. »Plünder doch schon mal die Minibar und organisier uns Champagner. Notfalls tut’s auch Erdbeersekt von der Tanke nebenan. Und bring Schokolade und Eis mit.«

Melanie nickte zufrieden. »Siehst du, so gefällst du mir schon besser. Das muss doch gefeiert werden.«

Sie war bereits auf dem Weg zur Tür, als ich ihr hinterherrief: »Vergiss die Familienpackung Toblerone nicht.«

»Oho, jetzt wird sie übermütig.« Melanie zwinkerte mir zu und verschwand im Hotelflur.

Ich musste lachen, doch die Leichtigkeit und das gerade aufkommende Glücksgefühl verzogen sich sogleich, als mein Handy klingelte. Meine Mutter. Endlich einmal gab ich ihr einen Grund, stolz auf mich zu sein. Bisher war mir das nie gelungen. Das nagte an mir, auch wenn mir eigentlich egal sein sollte, was sie dachte. Schließlich hatte ich mit einunddreißig Jahren den Zenit längst überschritten, wie mein kleiner Bruder immer zu sagen pflegte.

Das Klingeln wurde penetranter, und so zog ich schnell das Handy aus meiner Tasche und nahm das Gespräch entgegen. »Mama?«

»Na endlich«, ertönte die Stimme meiner Mutter. »Ich probiere es schon den ganzen Abend. Ist es denn zu viel verlangt, sich mal bei seiner Mutter zu melden und sie auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen? Normalerweise wäre ich schon vor mindestens einer Stunde zu Bett gegangen.«

»Wir sind gerade erst zurück ins Hotel gekommen, Mama. Die Aufzeichnung ging bis halb zehn, und danach mussten wir noch einige Formalitäten klären. Du hättest ruhig schon ins Bett gehen können.«

»Als ob ich schlafen könnte, wenn ich nicht weiß, wie es war. Du hast dich doch nicht vor Detlef blamiert, Liebes, oder?«

Ich unterdrückte ein Seufzen. »Vielleicht hättest du vorher nicht im ganzen Ort herumerzählen sollen, dass ich an einer Quizshow teilnehme.«

»Aber ich war doch so stolz. Ich meine … Detlef Straub!« Sie stieß die Luft aus. »Also ist es nichts geworden, ja? Evie, Evie. Ich hab dir gleich gesagt, dass es vor dem Fernseher immer leichter aussieht, als es tatsächlich ist.«

»Ich hab die Million gewonnen, Mama.«

Stille.

Auch ohne sie sehen zu können, hatte ich das Gesicht meiner Mutter in diesem Moment regelrecht vor mir: die moosgrünen Augen weit aufgerissen, der herzförmige Mund offen, ohne dass ein Wort herauskam. Zumindest äußerlich hatte ich einiges mit meiner Mutter gemeinsam. Allerdings hatten sich in meine grünen Augen braune Sprenkel gemischt, und meine braunen Haare lagen auch nie so akkurat wie die meiner Mutter, was ich auch mit ihnen anstellte. Bad-Hair-Day? Wohl eher Bad-Hair-Life.

Meine Mutter schwieg immer noch, und ich fragte mich, ob sie vielleicht in Ohnmacht gefallen war. Nein, beruhigte ich mich – das würde sie aus Prinzip nicht tun, schon um sich nicht vor Dr. Hausmann zu blamieren, der seit Jahren der Hausarzt meiner ziemlich groß geratenen Familie war. Dann endlich fand sie ihre Sprache wieder: »Die Million? Evie, die Million? Verkohl mich nicht, das macht mein Herz nicht mit.«

»Die Million«, bestätigte ich.

»Ha, ich hab gleich gesagt: Wenn Evie zum Straub geht, holt sie die Million. Helmut. Helmut! Evie hat eine Million Euro gewonnen.« Jetzt schrie meine Mutter so laut, dass mir die Ohren klingelten. Kurz darauf war der Jubelschrei meines Vaters zu hören. Und da sagte mein Bruder immer, unsere Mutter sei mit ihren Gefühlen so sparsam wie Tante Elvira mit ihrem Geld. Absolut typisch für sie war es allerdings, ihre Meinung wie ein Fähnchen im Wind ständig zu ändern. »Was wohl Frau Wölfle dazu sagt, wenn ich ihr morgen beim Brötchenholen die Neuigkeit erzähle? Oh mein Gott, die wird Augen machen.«

»Ähm …« Zögernd unterbrach ich meine Mutter in ihrem Überschwang. »Eigentlich soll ich das noch nicht groß verbreiten. Immerhin wurde die Sendung ja noch nicht ausgestrahlt.«

Doch meine Mutter hörte mir überhaupt nicht zu. »Und dein Onkel Theo erst. Er hatte so gehofft, dass du zumindest ein paar Tausend Euro mit nach Hause bringst. Du weißt doch, er braucht dringend neue Zähne und hat aus lauter Verzweiflung schon überlegt, das Ganze in Polen machen zu lassen.«

»Onkel Theo?«

»Natürlich, du willst ihn doch unterstützen, oder etwa nicht? Er ist immerhin dein Onkel, Liebes, der Bruder deines Vaters.«

»Sicher, aber …«

»Evie Marie Sommer, muss ich dich daran erinnern, wie viel Geld dein Onkel Theo dazugegeben hat, als du deutlich mehr Fahrstunden für deinen Führerschein benötigt hast als der Durchschnitt?« Meine Mutter seufzte. »Du hättest damals einfach noch ein oder zwei Jahre warten sollen, aber du hattest es ja so unglaublich eilig.«

Was eventuell daran gelegen haben könnte, dass ich in einem kleinen Ort am Ende der Welt mit einem miserablen öffentlichen Verkehrsnetz aufgewachsen bin und ein Führerschein Unabhängigkeit bedeutete, aber das sagte ich lieber nicht laut. Meine Mutter hatte ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge. Wenn sie etwas nicht verstehen wollte, konnte man sich den Mund fusselig reden, was ich jahrelang versucht hatte, um es dann doch irgendwann aufzugeben.

Die Zimmertür öffnete sich, und Melanie kam herein, zwei prall gefüllte Tüten in der Hand. »Lass uns das morgen besprechen, wenn wir aus Köln zurück sind«, sagte ich schnell, um die Diskussion abzukürzen. »Melanie ist wieder da, und sie hat Eis mitgebracht.«

»Eis um diese Uhrzeit? Nun gut, dann lasst es euch schmecken. Bestell deiner Cousine liebe Grüße.« Damit legte sie auf.

Ich steckte das Handy weg, nahm Melanie eine Tüte ab und leerte den kompletten Inhalt auf dem Bett aus: Eis – zwei große Becher Salted Caramel Brownie von Ben & Jerry’s, das wir uns nur zu besonderen Anlässen gönnten – und zwei Flaschen Erdbeersekt.

»Und, was hast du nun mit deinem unverhofften Gewinn vor?«, fragte Melanie, während sie den Inhalt der zweiten Tüte ebenfalls auf dem Bett ausleerte. Zum Vorschein kamen einige Schachteln Pralinen, Fruchtgummi und Chips, außerdem die gewünschten Toblerone, eine Packung Plastiklöffel und Pappbecher.

»Meine Mutter hat das Geld bereits für Onkel Theos Zähne verplant«, sagte ich, während ich nach einem Becher Eis und einem der Plastiklöffel griff.

»Das klingt nach Tante Elvira.« Melanie nahm sich den zweiten Eisbecher und setzte sich neben mich ans Kopfende des Bettes. »Aber eigentlich wollte ich wissen, was du mit dem Geld machen möchtest.« Eis löffelnd zog ich die Schultern hoch, doch so schnell gab sich meine Cousine nicht zufrieden. »Komm schon, jeder macht sich Gedanken darüber, was er mit einem Lottogewinn anfangen würde. Ich würde mir zum Beispiel eine Finca auf Mallorca kaufen und dort die ganzen Ferien verbringen.«

Überrascht sah ich sie von der Seite an. »Du würdest nicht deinen Job aufgeben?«

Nun war sie es, die mit den Schultern zuckte. »Warum sollte ich? Ich liebe meinen Job.«

Ich war ein wenig neidisch auf meine Cousine – nicht auf ihre Anstellung als Grundschullehrerin, aber darauf, dass sie einen Job hatte, den sie so sehr mochte, dass sie ihn nicht einmal bei einem Kontostand von einer Million Euro aufgeben würde. Melanie war zwei Jahre jünger als ich und mit sich und ihrem Leben im Reinen. Das konnte sie auch sein, denn neben dem Job, der sie ausfüllte, hatte sie Stefan, den sie bald heiraten würde. Ich hingegen hatte immer von einem eigenen kleinen Café geträumt, aber der Weg dorthin war steinig, und irgendwann musste ich unterwegs die falsche Abbiegung genommen haben, weshalb ich immer noch als einfache Barista arbeitete. Im Moment war ich von meinem Traum weiter entfernt denn je … gewesen. Die Million, die ich gerade eben gewonnen hatte, änderte alles.

»Also?« Fragend sah Melanie mich an.

»Ich würde gern ein bisschen was von der Welt sehen«, sagte ich schließlich. »Island, Schweden, einmal quer durch Großbritannien, von Cornwall bis rauf in die schottischen Highlands. Und dann … würde ich vielleicht über ein eigenes Café nachdenken.«

Melanie setzte sich aufrechter hin. »Ach richtig, davon hast du doch immer geträumt. Das hatte ich glatt vergessen.« Sie aß noch einen Löffel Eis. »Auf mich kannst du zählen. Ein gutes Café kann Bad Buchau definitiv gebrauchen.«

Ich nickte nur. Tatsächlich hatte Bad Buchau als Kurort bereits einige Cafés aufzuweisen, aber das war nicht der Punkt. Sollte ich wirklich eines Tages den Mut aufbringen, es mit einem eigenen Café zu versuchen, würde ich es garantiert nicht im tiefsten Hinterland und in der Nähe meiner Familie eröffnen. Das konnte nur schiefgehen. Ich sah meine Mutter schon vor mir, wie sie sich über die teure Espressomaschine echauffierte, die sie selbst niemals angeschafft hätte. Liebes, warum kaufst du so etwas Teures? Der gute alte Filterkaffee tut es doch auch. Tradition war schon immer das Beste, das sagt Gerda auch. Und dann mein dreizehn Jahre jüngerer Bruder, den ich zwar über alles liebte, der aber unglaublich faul war. Er hatte angekündigt, sich nach dem Abi erst einmal ein Jahr Auszeit zu gönnen – ich wollte mir gar nicht vorstellen, was los gewesen wäre, wenn ich damals auch nur darüber nachgedacht hätte –, und würde garantiert jeden Tag mit seinem Kumpel in meinem Café herumlungern und Gratis-Kaffee erwarten. Und mein Vater würde vermutlich gleich mitmachen und sich durch mein Kuchensortiment futtern. Nein, nein und nochmals nein. Außerdem zog es mich ans Wasser. Wenn ich tatsächlich mein eigenes Café eröffnen würde, würde ich das am Bodensee machen. Ich hätte meine Familie in der Nähe, aber nicht so nah, dass sie mir in alles hineinreden konnte.

Elternhaus von Evie Sommer, die bei Detlef Straub die Million gewonnen hat – über der Tür meines Elternhauses prangte ein großes Schild in der geschwungenen Handschrift meiner Mutter. Entgeistert warf ich meinem Vater, der mich vom Bahnhof abgeholt hatte, einen Seitenblick zu.

»Wusstest du davon?«

Er schüttelte den Kopf. »Aber ich hätte es mir denken können. Deine Mutter ist heute Morgen extra früh zum Bäcker gegangen, um Frau Wölfle ja nicht zu verpassen und ihr die Neuigkeit zu erzählen. Und du weißt, wenn Frau Wölfle erst einmal Bescheid weiß …«

Ich seufzte. Ja, ja, dann wusste es bald der ganze Ort. Dabei hatte ich meiner Mutter extra gesagt, sie möge es vorerst nicht herumerzählen. Sie meinte es nicht böse, das wusste ich. Sie war nur sehr stolz auf mich, was toll war. Und dennoch …

»Wenn du willst, nehme ich das Schild gleich nach dem Kuchen ab«, bot sich mein Vater an.

»Nicht nötig«, sagte ich. Jetzt war es für Geheimhaltung ohnehin zu spät. Ich hoffte nur, ich würde mit dem Sender keinen Ärger bekommen. Mein Vater schulterte meine Reisetasche und wandte sich zum Haus. Ich persönlich wäre gern zuerst in meine Wohnung gefahren, aber meine Mutter hatte darauf bestanden, dass ich erst einmal zum Feiern zur Familie kam. Ich seufzte. »Lass doch die Tasche im Auto.« Immerhin waren wir hier in Bad Buchau und nicht in Köln.

»Ach, richtig. Du wohnst ja nicht mehr hier.« Lachend stellte mein Vater die Reisetasche zurück in den Kofferraum, schlug ihn zu und legte mir einen Arm um die Schultern. »Na komm, stellen wir uns der Meute.«

Eine Sekunde lang hoffte ich, er hätte übertrieben, doch als wir das Haus betraten und uns dem Wohnzimmer näherten, verriet mir das immer lauter werdende Stimmengewirr, dass wirklich eine ganze Meute auf mich wartete. Und tatsächlich – im Wohnzimmer saßen nicht nur meine Mutter, sondern auch Onkel Theo und Tante Elvira, außerdem Frau Wölfle und die Nachbarin meiner Eltern.

»Da seid ihr ja.« Meine Mutter sprang vom Sofa und kam auf mich zu, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben. Dabei strahlte sie übers ganze Gesicht.

»Herzlichen Glückwunsch!«, sagten die anderen im Chor.

Im selben Moment sprang mein Bruder Henrik aus dem Flur ins Wohnzimmer, einen Partyhut auf dem Kopf und Luftschlangen um den Hals. Seine Partytröte war so laut, dass sogar die Nachbarin meiner Eltern zusammenzuckte, obwohl ihr Gehör nicht mehr das beste war. Mit der freien Hand warf Henrik Konfetti in die Luft, was ihm von meiner Mutter lediglich einen tadelnden Blick einbrachte. Ein neuer Fall von Nesthäkchen-Bonus. Ich verzog kurz das Gesicht. Zu gut erinnerte ich mich daran, wie ich ein einziges Mal Konfetti mit nach Hause gebracht und zu Silvester, um Mitternacht, verstreut hatte. Es war die Idee einer Schulfreundin gewesen, und ich war gerade einmal elf Jahre alt gewesen. Trotzdem hatte ich Ärger von meiner Mutter bekommen und musste noch in der Nacht bestimmt eine Stunde lang das Wohnzimmer saugen, um ja keinen bunten Papierfitzel zu übersehen, während alle anderen weitergefeiert hatten. Henrik hingegen durfte sich so gut wie alles erlauben.

»Meine Lieblingsschwester.« Überschwänglich fiel er mir um den Hals. »Ich wusste schon immer, dass du die Einzige in dieser Familie mit Verstand bist.«

»Na, na.« Mein Vater drohte zum Spaß mit dem Zeigefinger und ließ sich sogleich zwischen Tante Elvira und Onkel Theo auf das Sofa fallen. Hungrig betrachtete er die üppige Kuchenauswahl. Wahrscheinlich überlegte er, welche zwei Sorten er heute kosten sollte und ob er sich zur Feier des Tages vielleicht sogar ein drittes Stück Torte leisten konnte. Normalerweise backte meine Mutter selbst. Zum einen wollte sie dem ortsansässigen Bäcker nicht so viel Geld in den Rachen werfen – die beiden kannten sich aus der Grundschule und hatten sich schon früher nicht ausstehen können. Zum anderen war sie der Meinung, mein Vater solle mehr auf seine Gesundheit und seine Figur achten. Dabei musste ich ihr ausnahmsweise einmal recht geben. Aber heute war ein besonderer Tag, und sie hatte es sich ganz sicher nicht nehmen lassen, den Verkäuferinnen haarklein zu erzählen, warum sie so viel Kuchen benötigte.

»Ich hole schnell den Kaffee«, sagte meine Mutter.

»Warte, ich helfe dir«, bot ich an und folgte ihr in die Küche, doch auf dem Weg dorthin winkte sie ab.

»Ich mach das schon, Liebes. Geh dich ruhig ein bisschen frisch machen. Was hast du mit deinen Haaren angestellt? Die sehen aus, als hätte ein Vogel darin gebrütet.«

Eine Stunde später hatten wir uns durch die Kuchenauswahl gefuttert, und das Gespräch wandte sich vom charismatischen Aussehen des Quizshowmoderators zu einem Thema, das ich lieber vermieden hätte: der Frage, was ich mit dem vielen Geld anstellen wollte. Doch die Frage wurde nur pro forma gestellt, niemand schien wirklich eine Antwort zu erwarten, was mich ausnahmsweise nicht störte. Eine Weltreise zu machen und ein eigenes Café zu eröffnen waren nur erste Ideen gewesen. Ich wusste noch nicht, ob ich es auch durchziehen würde. Eine Million Euro konnten mein Leben von Grund auf verändern. Es musste alles gut durchdacht sein, und ich wollte mir nichts zerreden lassen, solange ich noch unsicher war.

»Es ist wirklich nett von dir, dass du deinem Onkel die neuen Zähne bezahlen möchtest«, sagte Tante Elvira in diesem Moment. »Er wollte es schon in Polen machen lassen, weil es in Deutschland so teuer ist, aber du weißt ja, wie viel Angst er vorm Zahnarzt hat.« Mein Onkel nickte darauf, als wäre er bereits zahnlos und könnte deshalb nicht sprechen.

Ich warf meiner Mutter einen überraschten Blick zu. Hatte sie meinem Onkel zugesagt, ohne meine Entscheidung abzuwarten? Nicht, dass ich nicht bereit gewesen wäre, meinem Onkel in der Not zu helfen. Doch er und Tante Elvira hatten eigentlich genug Geld. Das Problem war, dass meine Tante nicht nur sparsam, sondern geizig war, wenn es darum ging, ihr eigenes Geld auszugeben.

Meine Mutter lächelte. »Entschuldige, Liebes, aber ich konnte diese gute Neuigkeit doch nicht für mich behalten. Theo hat sich solche Sorgen gemacht.«

»Das ist sehr großzügig von dir, Evie.« Frau Wölfle nickte. »Deinen Eltern greifst du doch sicher auch ein wenig unter die Arme, oder nicht? Dieses Wohnzimmer könnte einen neuen Anstrich und eine neue Sitzgarnitur gebrauchen.« Demonstrativ sah sie sich im Raum um.

Ich folgte ihrem Blick. In den letzten Jahren hatte sich hier kaum etwas verändert. Der Teppich war derselbe wie der, auf den ich vor so vielen Jahren das Konfetti geworfen hatte, ebenso die Sitzgarnitur. Sie war zwar noch gut und nicht komplett durchgesessen – »Das war noch deutsche Wertarbeit«, pflegt mein Vater stets zu sagen –, aber in nicht allzu ferner Zukunft musste sie durchaus ausgetauscht werden. Einzig die Wände hatten hin und wieder einen neuen Anstrich bekommen, aber der letzte lag sicher sechs oder sieben Jahre zurück. Überhaupt müsste an meinem Elternhaus einiges gemacht werden. Das Dach war in die Jahre gekommen, die Fenster waren größtenteils alt und zugig, und das Bad war schon renovierungsbedürftig gewesen, als ich vor zehn Jahren ausgezogen war. All das instand zu setzen würde nicht billig werden; mindestens fünfzigtausend Euro, eher mehr, schätzte ich. Dazu kamen die Zähne meines Onkels, und wer wusste, was sonst noch alles. Die Familie war groß, und wenn ich einem etwas gab, würden alle etwas erwarten. Natürlich wollte ich meinen Eltern und meiner Familie helfen, wenn sie Geldsorgen hatten, aber sollte ich nicht erst einmal selbst konkrete Pläne haben, was ich mit meinem Gewinn anstellen wollte, bevor ich anfing, ihn zu verteilen?

»Das Geld für einen Eimer Farbe bringen wir schon noch selbst auf«, brummte mein Vater. Er hatte einen guten und sicheren Job, arbeitete beim Finanzamt in Riedlingen. Das Geld reichte also, auch wenn meine Mutter sich auf die Erziehung der Kinder und den Haushalt konzentrierte – ein Umstand, der meinen Eltern immer wichtig gewesen war. »Außerdem soll Evie das Geld mal schön für sich ausgeben oder für später anlegen, damit sie was hat, wenn sie in Rente geht«, fuhr mein Vater fort.

»Na ja, die Renovierung des Elternhauses wäre doch quasi eine Geldanlage für die Zukunft«, meinte Frau Wölfle. »Immerhin werden Evie und ihr Bruder das Haus doch mal erben, oder nicht?«

Während meine Eltern und Frau Wölfle eine Diskussion darüber anfingen, wie man mein Geld am besten anlegen oder besser gesagt ausgeben könne, ließ ich meine Gedanken zum Meer wandern. Ich stellte mir die Wellen vor, wie sie an den Strand rollten und wieder zurückgezogen wurden, und versuchte, im gleichen Rhythmus zu atmen. Das hatte mir schon immer geholfen, ruhiger zu werden.

Mein Bruder schien ebenfalls nicht zuzuhören, denn er beugte sich zu mir. »Deinem Lieblingsbruder tust du aber ein bisschen was in die Spardose, nicht? Mein Fahrlehrer will mich demnächst für die Führerscheinprüfung anmelden, aber was nützt mir der Wisch, wenn ich kein Auto hab?«

Kapitel 2

50 Euro

Redensartlich verhält sich jemand wie ein Elefant im

a) Teeladen

b) Süßwarenladen

c) Porzellanladen

d) Krämerladen

Ich liebe Elefanten. Vielleicht sollte ich eine Patenschaft übernehmen, wenn ich ein bisschen Geld gewinne.

»Markus!« Voller Inbrunst fiel ich meinem Freund um den Hals. Markus war leicht überrascht, so viel Überschwang war er sonst nicht von mir gewohnt, aber ich freute mich dermaßen, ihn zu sehen. Endlich jemand, der mir zuhören und mich nach meinen Wünschen fragen würde.

»Hey, Evie.« Er löste meine Arme von seinem Körper und griff nach meinen Händen. »Ich hab schon gehört, du hast die Million geholt. Herzlichen Glückwunsch! Und du sagst immer, ich sei schlauer als du. Wer weiß, ob mir das gelungen wäre.«

»Du kennst ja die Fragen noch nicht. Hättest du gewusst, wer 1912 die Universal Studios gründete?«

»Carl Laemmle«, antwortete Markus, ehe ich ihm auch nur eine Auswahlmöglichkeit geben konnte. »2012 waren die Zeitungen voll von ihm.«

Ich musste grinsen. »Das habe ich Detlef auch gesagt.«

Markus grinste zurück. »Ich bin sehr gespannt auf die Aufzeichnung. Sicher machst du einen kompetenten Eindruck. Hast du dir schon überlegt, wie du das Geld anlegen willst?«

Ich führte ihn den Flur entlang zum Wohnzimmer. Bisher hatte ich deutlich weniger Geld als meine Eltern zur Verfügung gehabt, trotzdem fühlte ich mich in meiner Wohnung viel wohler als in meinem Elternhaus. Hier konnte ich tun und lassen, was ich wollte. Farben, Bilder, Möbel – alles konnte ich so auswählen, wie es mir gefiel. Das war mir vor meinem Auszug nicht vergönnt gewesen. Noch heute erinnere ich mich mit Schaudern an meinen ersten Versuch, selbst über die Gestaltung meines Zimmers zu bestimmen. Damals war ich sechzehn gewesen, hatte total auf Rot gestanden und unbedingt eine Wand in meiner Lieblingsfarbe streichen wollen. Kein kräftiges Alarmrot, sondern eher ein dezentes Kirschrot. Ein knapper Kommentar meiner Mutter hatte gereicht, um mir die Vorfreude zu nehmen: »Rot? Bist du sicher, Liebes? Versteh mich nicht falsch, ich mag Rot, aber dein Zimmer sieht nachher aus wie ein Freudenhaus.« Am Ende war die Wand weiß geblieben. Langweilig, aber dafür unverfänglich.

Heute strotzten meine Wände nur so vor Farben und Mustertapeten. Und, ja, eine Wand des Wohnzimmers war kirschrot. Meine Mutter sagte immer, sie fühle sich in meiner Wohnung wie auf einem türkischen Basar, weil es hier so bunt und voll war, denn auch die Sofakissen und die Deko sorgten für Farbakzente. Ich aber liebte es, und ich hatte auch mit neuem Kontostand nicht vor, das zu ändern.

Markus und ich kuschelten uns auf das blau-weiß gestreifte Sofa. »Ich weiß noch nicht genau«, sagte ich. »Das waren bisher bloß Überlegungen.«

»Lass hören«, forderte Markus mich auf.

Ich zögerte nicht länger. »Eine Weltreise wäre doch ganz schön, findest du nicht? Wann werde ich sonst noch mal die Gelegenheit dazu haben? Jetzt hätte ich die Zeit und vor allem das Geld. Ich muss nicht wirklich einmal um die ganze Welt reisen, aber es gäbe da schon ein paar Länder, die ich mir unbedingt ansehen will. Schweden zum Beispiel.«

Markus ließ sich nicht anmerken, was er von meinem Plan hielt. »Und weiter?«

»Nun ja, ich habe sicher mal erwähnt, dass ich schon lange von einem eigenen Café träume. Das ist meine Chance, mir diesen Traum endlich zu erfüllen.« Markus spannte sich an, als wolle er seine Sitzposition verändern. »Ich bin mir aber unsicher. Ich meine, ein eigenes Café bedeutet auch ein großes Risiko. Ich könnte es vermasseln und was dann?«

Markus atmete aus. »Ganz genau. Versteh mich nicht falsch, Evie, das ist dein Gewinn, aber ich würde an deiner Stelle nicht alles auf den Kopf hauen. Willst du dir nicht ein finanzielles Polster für die Zukunft aufbauen? Ich würde …« Er verstummte, weil mein Handy klingelte.

Seufzend stand ich auf. »Bin sofort zurück.« Das war bestimmt meine Mutter, die noch einen armen Verwandten aufgetan hatte. Hatte sich Cousine Beatrice nicht schon lange eine Brustvergrößerung gewünscht? Doch die Nummer auf meinem Handy hatte ich zuvor noch nie gesehen. Hoffentlich niemand vom Fernsehsender oder ein Lokaljournalist, der ein Interview wollte. »Evie Sommer?«, meldete ich mich vorsichtig.

»Hallo, Frau Sommer. Wie schön, dass ich Sie gleich erreiche. Die guten Neuigkeiten haben sich bereits wie ein Lauffeuer in Bad Buchau verbreitet, und ich wollte Ihnen persönlich zu Ihrem Gewinn gratulieren. Einfach großartig.«

»Ähm, danke schön.« Wer zum Geier war das? Nicht nur die Nummer war mir unbekannt, auch die Stimme.

»Entschuldigen Sie bitte, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich und unprofessionell. Ich hoffe, Sie verzeihen mir. Steiger, mein Name. Ich bin der Filialleiter der Gemeinschaftsbank, bei der Sie und Ihre Familie seit jeher Ihre Konten haben. Für Ihre Treue möchte ich mich bei dieser Gelegenheit einmal ganz herzlich bedanken.«

»Ähm, gern. Das ist doch selbstverständlich«, antwortete ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Was wollte der Filialleiter von mir?

»Ich möchte Sie gar nicht lange aufhalten, Sie feiern sicher groß Ihren Sieg. Ich wollte Sie nur zu einem persönlichen Gespräch in die Bank einladen. Sicher wollen Sie zumindest einen Teil Ihres neu gewonnenen Vermögens in Fonds und Aktien investieren, wofür wir genau der richtige Ansprechpartner sind. Sehr gern stellen wir Ihnen ein individuelles Konzept zusammen. Momentan können Sie zum Beispiel noch deutlich riskanter spekulieren als in dreißig Jahren. Das wird selbstverständlich alles berücksichtigt, ebenso Ihre eigenen Vorstellungen.«

Oh Gott, was sollte ich nur dazu sagen? Ich hatte doch keine Ahnung von Fonds und Aktien. Ich räusperte mich und versuchte, halbwegs kompetent zu klingen. »Das hört sich sehr vielversprechend an, vielen Dank für Ihren Anruf, Herr Steiger, aber das ist alles noch sehr neu für mich. Wenn es in Ordnung ist, würde ich das Ganze gern ein wenig sacken lassen und mich dann bezüglich eines Termins noch einmal bei Ihnen melden.«

»Aber natürlich, liebe Frau Sommer«, antwortete der Filialleiter enthusiastisch. »Alles nach Ihren Wünschen. Ich freue mich schon auf Ihren Anruf. Dann genießen Sie Ihre Party, und bestellen Sie bitte Ihrer Familie viele Grüße.«

Verwirrt legte ich auf und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

»Deine Mutter?«, fragte Markus.

Ich schüttelte den Kopf. »Der Filialleiter der Bank, Steiger oder so ähnlich. Er hat von Fonds und Aktien gesprochen.«

Markus lehnte sich nach vorne. Er war gut aussehend – nahezu perfekt gebaut, immer frisch rasiert und gut duftend, dazu blond und diese herrlich braunen Augen –, und er war auch gelassen, vernünftig und vor allem verständnisvoll. Äußerlich und auf andere wirkte er meist perfekt, aber das war er nicht. Auch Markus hatte seine Macken, zum Beispiel legte er für meinen Geschmack viel zu viel Wert auf Prestige, aber das war ein anderes Thema. »Das wollte ich dir auch schon vorschlagen. Du solltest unbedingt den Großteil des Geldes gewinnbringend anlegen. Wer weiß, wie viel Rente wir mal bekommen, vor allem du mit deinem Job als Barista. Heute ist es wichtiger denn je, an die Zukunft zu denken.«

Ich nickte. Sicher war die Zukunft wichtig. Wenn ich doppelt so alt war wie jetzt, wollte ich es gut haben und nicht in Mülleimern nach Pfandflaschen suchen müssen. Aber ich war genügsam, und ich verspürte auch den Wunsch, jetzt zu leben. Was brachte mir das ganze Geld in fünfunddreißig Jahren, wenn ich vielleicht gar nicht so alt werden würde? Meine Großmutter war an Krebs gestorben, als ich zwölf Jahre alt gewesen war – mit gerade einmal einundsechzig Jahren. Ihr Lebensmotto trug ich seitdem im Herzen: Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter. Das war keine Ausrede, um unvernünftig sein zu können, aber es steckte auch ein Körnchen Wahrheit darin, oder etwa nicht?

Mein Handy klingelte erneut. Ich nahm es vom Wohnzimmertisch, wo ich es gerade erst hingelegt hatte. Meine Mutter. Kurz erwog ich, den Anruf zu ignorieren, aber ich wusste aus Erfahrung, dass diese Strategie nicht funktionierte. Sie würde es immer wieder versuchen, also brachte ich es lieber gleich hinter mich. »Ja?«

»Evie, hier ist deine Mutter.«

Ich schmunzelte. Würde sie eines Tages noch lernen, dass ich es auf dem Display sehen konnte, wenn sie anrief? »Weiß ich doch. Was gibt’s, Mama?«

»Dein Vater und ich haben noch mal über das Gespräch mit Frau Wölfle nachgedacht. Ganz unrecht hat sie nicht. Das Haus zu renovieren wäre eine Wertsteigerung. Wenn Henrik und du es mal erbt, könntet ihr es viel teurer verkaufen, sollte keiner von euch hier wohnen wollen. Auch wenn wir natürlich hoffen, dass es im Besitz der Familie bleibt.«

»Ich weiß«, wiederholte ich und verkniff mir die Bemerkung, dass sehr wahrscheinlich eine weitere Renovierung nötig sein würde, bis Henrik und ich das Haus eines Tages erben würden, denn ich hatte nicht vor, meine Mutter so früh zu verlieren, wie sie ihre Mutter verloren hatte.

»Sehr gut. Weißt du, nachdem Frau Wölfle diesen Vorschlag gemacht hat, ist es fast unmöglich, das Haus nicht zu renovieren. Versteh mich nicht falsch, Evie, das ist dein Gewinn, und dein Vater und ich wollen bestimmt keine Ansprüche an dich stellen. Aber stell dir nur mal vor, was die Leute im Ort sagen würden. Es sähe so aus, als wäre dir deine eigene Familie nicht wichtig.«

Ja, ja. Ich verdrehte die Augen. Es war schon immer das Wichtigste gewesen, was die Nachbarn denken könnten. Zu meinen Teenie-Zeiten war das extrem anstrengend gewesen. Ich hatte zum Beispiel nie länger als zehn Uhr schlafen dürfen, nicht mal an Neujahr. »Wie sieht das denn aus?«, hatte es dann immer geheißen. »Die Nachbarn denken noch, wir ziehen hier eine Faulenzerin heran, dabei bist du so fleißig. Das können die Leute ruhig sehen.«

Ich hatte jetzt keine Lust, diese Unterhaltung fortzuführen. »Kann ich dich vielleicht später zurückrufen? Markus und ich haben nämlich gerade Sex«, platzte ich heraus. Ich hörte meine Mutter noch nach Luft schnappen, bevor ich auflegte und rot wurde. Hoppla! Was hatte ich denn da gesagt?

Markus lachte. »Das hast du nicht ernsthaft zu deiner Mutter gesagt. Evie, Evie.«

»Das ist mir so rausgerutscht. Ich wusste nicht, wie ich sie sonst abwimmeln soll.«

»Du bringst mich da auf eine Idee … Über Wertpapiere können wir auch später noch reden.«

Er küsste mich und wollte mich mit sich aufs Sofa ziehen, aber ich drückte ihn weg und rieb mir über die Stirn, als habe ich Kopfschmerzen. Ich war enttäuscht, weil nicht einmal er mir zugestand, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.

»Kopfschmerzen?«, fragte Markus, der sofort von mir abließ.

Ich nickte. »Tut mir leid, das ist alles gerade ein bisschen viel. Können wir das auf später verschieben? Ich wäre gern ein bisschen allein, um in Ruhe nachdenken zu können.«

Markus drückte mir einen Kuss auf die Stirn und stand auf. »Klar. Ruf mich einfach an, wenn dir danach ist. Aber denk wenigstens darüber nach, dein Geld zu investieren, okay? Wenn du willst, begleite ich dich zur Bank.« Er hob die Hand zum Gruß, und nur wenige Sekunden später fiel die Haustür ins Schloss.

Seufzend ließ ich mich aufs Sofa sinken. Was hatte ich von dem Gewinn, wenn ich ihn nur gut anlegte und gleichzeitig weiter als Barista arbeitete – in einem Job, den ich zwar mochte, der mich aber nicht erfüllte? Zur Barista war ich ohnehin nur geworden, weil ich nach meiner Ausbildung zur Bürokauffrau und der Erkenntnis, dass das nun wirklich nichts für mich war, weiterhin auf eigenen Beinen hatte stehen und meine Eltern keinesfalls um Unterstützung hatte bitten wollen. Das war jetzt fast zehn Jahre her, und aus dem Übergangsjob war längst etwas Festes geworden, auch wenn ich meinem Chef immer wieder sagte: »Wenn ich was Besseres finde, bin ich weg, Peter.« Inzwischen war dieser Satz zu einem Running Gag zwischen uns geworden, den Peter mir zum Glück nie krummgenommen hatte. Ich machte meine Arbeit gut, und darüber hinaus hatte ich offenbar ein gewisses Talent. Ich wusste immer, was die Gäste wollten, auch wenn sie manchmal etwas anderes bestellten. Peter hatte mich anfangs als verrückt abgestempelt, aber es hatte sich bewährt. Wir hatten tatsächlich Kunden, die nur kamen, wenn ich Schicht hatte. Deshalb wusste ich auch, dass ich durchaus eine Chance hatte, ein eigenes Café zu eröffnen und nach meinen Vorstellungen zu führen.

Was sollte ich nur machen? Ich überlegte gerade, mir ein heißes Bad einzulassen, als schon wieder das Handy klingelte. Tante Elvira. Würde das denn nie aufhören? Um das Telefon nicht mehr hören zu müssen, schaltete ich den Fernseher ein, wo eine Folge von Detlef Straubs Quizshow lief. Bloß nicht! Schnell schaltete ich um.

»Guten Morgen. Na, hast du dich wieder eingekriegt?«

Markus wedelte mit einer Brötchentüte vor meinem Gesicht herum. Der Duft von Laugenbrezeln und Croissants mischte sich mit dem Duft von Kaffee, der aus den beiden Coffee-to-go-Bechern kam. Obwohl ich als Barista durchaus eine gewisse Erfahrung mitbrachte, wie man guten Kaffee zubereitete, mochte Markus meinen Kaffee ironischerweise nicht – was ohne Zweifel vor allem an meiner Kaffeemaschine lag, einem einfachen Kapselautomaten. Markus war der Ansicht, ich sollte mir wenigstens eine vernünftige Maschine leisten, wenn ich schon als Barista arbeitete. Aber dafür fehlte mir bei meinem Gehalt schlicht und ergreifend das Geld.

Ein wenig zerknirscht ließ ich ihn herein. »Du wusstest, dass ich keine Kopfschmerzen hatte?«

»Klar.« Er ging an mir vorbei in die Küche und legte seine Einkäufe auf den Esstisch.

Ich folgte ihm. »Weißt du, ich war einfach enttäuscht. Onkel Theo will neue Zähne, mein Bruder ein Auto und meine Mutter eine Hausrenovierung, weil die Nachbarn sonst denken könnten, sie wäre mir egal. Niemand fragt, was ich will.« Ich unterdrückte einen Seufzer. Außer meiner Familie hatten mich gestern Nacht noch Bekannte und sogar Fremde über WhatsApp oder Facebook kontaktiert:

Liebe Evie,

erinnerst du dich noch an mich? Wir sind in dieselbe Grundschule gegangen und haben in Mathe immer nebeneinander gesessen. Erst mal herzlichen Glückwunsch. Das ist ja Wahnsinn! Ich habe mich gefragt, ob du einer alten Freundin helfen würdest. Es tut mir leid, dass ich dich überhaupt damit belästige, ich will wirklich nicht dreist sein, aber ich weiß nicht weiter. Mein zehn Jahre alter Schäferhund muss dringend operiert werden, der Eingriff kostet aber 1.500 Euro. 500 Euro habe ich mit Mühe und Not zusammengekratzt. Würdest du mir den Rest dazugeben oder wenigstens leihen? Das wäre ganz toll. Ich möchte Pebbles nicht verlieren.

Beste Grüße, Lisa

Liebe Frau Sommer,

als Bürgermeister von Bad Buchau möchte ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, Ihnen persönlich zu Ihrem Gewinn zu gratulieren. Ich bin sehr stolz, dass es eine Bürgerin des Kurorts so weit gebracht hat, und wollte Sie auf ein Projekt aufmerksam machen, das Sie als Bad Buchauerin sicher gern unterstützen möchten: Das Dach unserer Bücherei muss vor dem nächsten Herbst dringend erneuert werden, und wir suchen händeringend nach Spendern. Daher würden wir uns sehr freuen, wenn Sie als neue Berühmtheit des Kurorts mit gutem Beispiel vorangehen würden.

Herzlichst, Franz Birnbaum

Liebe Evie,

hier schreibt deine Cousine Beatrice. Tante Elvira hat bestimmt schon mit dir gesprochen. Du weißt sicher, dass ich seit Jahren unter meinen kleinen Brüsten leide. Die meisten Menschen verstehen das nicht und machen sich darüber lustig, aber du bist anders. Das weiß ich. Mein Therapeut sagt, es sei ein ernst zu nehmendes Problem. Er hat mir sogar schon Antidepressiva verschrieben, doch dauerhaft helfen würde nur ein Eingriff, den die Krankenkasse natürlich nicht zahlt. (Glaub mir, ich habe schon einige Beschwerdebriefe geschrieben. Eine Unverschämtheit, immerhin geht das Ganze auf die Psyche, und das kann ja keiner wollen.) Jedenfalls hatte ich gehofft, du würdest mir vielleicht helfen. Mama und ich legen seit zwei Jahren jeden Cent beiseite, aber es reicht leider immer noch nicht.

Ganz herzliche Grüße von deiner Cousine

Und das war nur die Spitze des Eisbergs. Ich wusste noch nicht, was ich von den ganzen Anfragen halten sollte. Nur ein kleiner Prozentsatz der Menschen, die mich um finanzielle Hilfe baten, war dreist. Die meisten von ihnen hatten ernsthafte Probleme, und ich wollte ihnen gern helfen. Lisa zum Beispiel. Natürlich konnte ich mich an sie erinnern, und ich wollte auf keinen Fall, dass ihr Hund auf weitere schöne Jahre seines Lebens verzichten musste, nur weil kein Geld für die nötige Operation da war. Aber wo sollte das Ganze aufhören? Irgendjemand würde immer Hilfe brauchen, und eine Million Euro reichte bei Weitem nicht, um die ganze Menschheit zu retten.

»Ich habe gefragt, was du willst.« Markus holte Teller und Besteck aus den Schränken und Schubladen und mich aus meinen Grübeleien.

Ich lehnte mich gegen die Arbeitsfläche und sah zu, wie er den Tisch eindeckte und anschließend Butter und Marmelade im Kühlschrank suchte. »Wirklich ernst genommen hast du mich aber nicht«, erwiderte ich. »Weißt du, Markus, es wäre schön, wenn du mich voll und ganz dabei unterstützen würdest, wirklich herauszufinden, was ich will. Stattdessen hast du schon eine genaue Vorstellung davon, wie ich mein Geld anlegen soll.«

»Anlegen ist genau das richtige Stichwort.« Markus setzte sich auf einen der beiden Stühle und nahm sich eine Brezel, die er aufschnitt und großzügig mit Butter bestrich. Ich hingegen blieb stehen. »Es tut mir leid, Evie: Ein eigenes Café ist eine Schnapsidee, und in einer gut funktionierenden Beziehung sollte man sich das auch sagen können. Du hast vielleicht bisher in einem Café gejobbt, nun gut, aber doch nicht als Geschäftsführerin, sondern als Bedienung. Du hast keinerlei Erfahrung, was eine Selbstständigkeit in der Gastronomie angeht. Du müsstest einen Businessplan erstellen, dich mit der Gesundheitsbehörde auseinandersetzen, vorher erst einmal eine geeignete Location finden und dich schlussendlich auch gegen die Konkurrenz durchsetzen, die selbst bei uns auf dem Land nicht gering ist.«

»Na und? Traust du mir das etwa nicht zu? Jeder musste mal klein anfangen.«