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Sommer, Sonne und die Suche nach dem Glück
Der gefühlvolle Liebesroman mit Urlaubsfeeling
Als Madleen herausfindet, dass ihr Mann sie seit Monaten betrügt, bricht ihre als perfekt empfundene Welt zusammen. Völlig verstört flüchtet sie zu ihrer besten Freundin Melanie und die beiden buchen kurzerhand einen Urlaub im Paradies. Einfach mal abschalten, alles vergessen. Doch kaum sind die Freundinnen auf Sardinien angekommen, muss Madleen sich entscheiden, ob sie ihrem alten Leben noch eine Chance geben oder lieber das Abenteuer mit dem temperamentvollen Animateur Antonio suchen will. Madleen ist versucht, sich im Feuer dieser Leidenschaft zu verlieren, aber kann sie einem Mann jemals wieder vertrauen?
Erste Leserstimmen
„Sehr inspirierender Liebesroman über einen Neuanfang auf Sardinien.“
„Weckt Urlaubsgefühle und Schmetterlinge!“
„Eine starke Protagonistin und wahre Gefühle – großartiges E-Book!“
„Durch und durch paradiesische Liebesgeschichte, bei der auch das Thema Freundschaft nicht zu kurz kommt.“
„Gefühlvolle und romantische Feel-good-Romance.“
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Seitenzahl: 336
Als Madleen herausfindet, dass ihr Mann sie seit Monaten betrügt, bricht ihre als perfekt empfundene Welt zusammen. Völlig verstört flüchtet sie zu ihrer besten Freundin Melanie und die beiden buchen kurzerhand einen Urlaub im Paradies. Einfach mal abschalten, alles vergessen. Doch kaum sind die Freundinnen auf Sardinien angekommen, muss Madleen sich entscheiden, ob sie ihrem alten Leben noch eine Chance geben oder lieber das Abenteuer mit dem temperamentvollen Animateur Antonio suchen will. Madleen ist versucht, sich im Feuer dieser Leidenschaft zu verlieren, aber kann sie einem Mann jemals wieder vertrauen?
Erstausgabe August 2020
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-96817-296-5 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-301-6
Covergestaltung: Rose & Chili Design unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © Angelina_Cecchetto shutterstock.com: © Andrew Mayovskyy, © Julia Strekoza, © nuwatphoto Lektorat: Mona Dertinger
E-Book-Version 28.02.2024, 11:16:05.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Für Michael,
meinen Felsen in der Brandung
„Am Ende wird alles gut werden, und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.“
~ Oscar Wilde ~
Es war ein unerträglich heißer Donnerstagnachmittag, sodass ich trotz aller verkehrstechnischen Auflagen in Flipflops ins Auto gestiegen war. Mein Rücken hatte sich bereits in Stefans geliebten Ledersitz eingebrannt. Ich wusste, er hätte protestiert, wenn er gewusst hätte, dass ich mich derart leicht bekleidet hinters Steuer setzte. Selbst wenn es sich dabei um meinen Wagen handelte. Wobei das Wörtchen „mein“ in diesem Fall auch relativ war, da der Wagen natürlich mit Stefans Geld bezahlt worden war. Wie so ziemlich alles, was ich besaß. Mich störte das wenig.
Ich war eine dieser glücklichen Frauen, deren Männer so viel verdienten, dass sie es sich leisten konnten, sich nur um Haus und Garten zu kümmern. Kurz nach unserer Hochzeit vor fünf Jahren hatte ich mich noch schwer damit getan und gefürchtet, in Langeweile zu ertrinken. Doch schon bald hatte ich gelernt, meinen Alltag mit erfreulichen Hobbys zu füllen. Dazu gehörten unter anderem das Erlernen diverser Fremdsprachen und mein donnerstäglicher Yoga-Kurs, den ich zusammen mit meiner besten Freundin Melanie belegte.
Auch sie hatte ich, wenn man es genau nahm, Stefan zu verdanken, denn sie arbeitete als Chefsekretärin in seiner Firma. Wir hatten uns im Mai vor vier Jahren bei einer dieser öden Firmenveranstaltungen kennengelernt. Stefan war – wie immer zu solchen Anlässen – für mich unabkömmlich gewesen. Als Chef eines großen Automobilkonzerns gab es immer viele wichtige Hände zu schütteln, hatte er mir mit einem genervt-entschuldigenden Lächeln erklärt.
Ich war es gewohnt und hatte mich auf einen langen Abend gefasst gemacht, doch zum Glück hatte ich nach kurzer Zeit Melanie kennengelernt. Sie hatte eine abschreckend ehrliche und anziehend offenherzige Natur, die mich von Anfang an fasziniert hatte – was vor allem daran lag, dass ich selbst eher zurückhaltend und introvertiert war. In ihrer Nähe wurde ich zu einer vollkommen anderen Person. Ich konnte gar nicht anders. Sie redete wie ein Wasserfall und spürte sofort, wenn ich mich in meinen Panzer zurückzog, wie sie es nannte. Sie hatte immer die richtigen Mittel, mich wieder hervorzulocken, und bald schon färbte etwas von ihrer kühnen Wildheit auf mich ab. Mel sagte immer, dass sie eben in der Lage sei, das Beste aus mir herauszuholen. Und so war es auch.
In den letzten Jahren, in denen Stefans Geschäftsreisen immer häufiger geworden waren und mich die langen Abende der stillen Einsamkeit immer mehr niederdrückten, war sie meine laute Rettung gewesen, die stets zur rechten Zeit zur Stelle gewesen war.
Ich erwachte jäh aus meinen Gedanken, als mein Handy klingelte. Es war Mel. „Maddi, meine Karre springt nicht an. Ich fürchte, du musst heute ohne mich schwitzen. So eine verdammte Scheiße!“
Ich verdrehte lachend die Augen. Sie wusste genau, dass ich es hasste, wenn sie so ordinär war. Doch wenn ich sie deshalb tadelte, sagte sie stets, dass es im Leben eben ab und an angebracht sei, ordinär zu sein.
„Beruhige dich. Das ist doch kein Weltuntergang. Kläre alles in Ruhe, und wir treffen uns morgen auf einen Drink, okay?“
„Ich bin dir was schuldig.“
Als ich auflegte, schüttelte ich schmunzelnd den Kopf und stellte mir vor, wie Melanies restlicher Abend in einem einzigen Chaos versank. Sie hasste es, wenn etwas nicht nach ihrem Kopf ging. Höchstwahrscheinlich würde das irgendein armer Teufel bei der erstbesten Autowerkstatt, die sie finden konnte, ausbaden müssen.
Ich stand noch einige Minuten unschlüssig auf dem Parkplatz unseres Fitnessstudios und überlegte, ob ich den Abend dennoch wie gewohnt durchziehen sollte. Doch allein konnte ich mich einfach nicht zum Yoga motivieren. Außerdem hatte ich noch deutlich Stefans Worte im Hinterkopf, dass er den Abend heute zu Hause verbringen würde, um etwas Papierkram zu erledigen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann er zuletzt so früh heimgekommen war, wenn auch nur, um dort weiterzuarbeiten.
Gedanklich ging ich die Vorräte in unserem Kühlschrank durch und fragte mich, ob ich meinem Mann daraus wohl etwas Schönes zaubern könnte. Wir waren seit fünf Jahren verheiratet, seit unserem Schulabschluss ein Paar und kannten uns unser ganzes Leben lang. Abgesehen davon, dass Stefan zu viel arbeitete, führten wir in meinen Augen eine echte Bilderbuchehe, und ich fühlte mich in meinem Leben wie eine wahre Märchenprinzessin. Ich wusste, dass meine alten Schulkameradinnen mich um unseren Reichtum und meinen aufmerksamen, liebevollen Ehemann beneideten. Doch ich nahm dieses Geschenk nicht als selbstverständlich und war jeden Tag dankbar dafür. Jeden Tag versuchte ich, ihm eine perfekte Ehefrau zu sein.
Ich warf einen Blick in den Rückspiegel. Meine mandelförmigen Augen waren dezent geschminkt, die blaue Iris stach vorwitzig hervor. Meine Lippen waren zartrosa – laut Melanie ein Farbton, den keine Lippenstiftindustrie der Welt herstellen konnte. Mein hellbraunes Haar fiel mir wie sooft offen fast bis zur Hüfte.
Ich zog mir noch einmal den Lidstrich nach, dann startete ich den Motor und machte mich auf den Rückweg nach Hause. Vielleicht würde ich es schaffen, meinen Mann zu einem Glas Pinot auf unserer Terrasse zu überreden. Je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Idee.
Ich stellte den Wagen in die Einfahrt hinter Stefans Auto und betrat beschwingt das Haus. Da ich Geräusche aus der Küche vernahm, schlug ich sofort diesen Weg ein. Ich musste schmunzeln. Sicher war er bereits ausgehungert auf der Suche nach einem dieser ungesunden Snacks.
Freudestrahlend bog ich um die Ecke, ein liebevolles Grußwort bereits auf den Lippen – als ich den Schock meines Lebens erlebte. Es war, als friere der Moment ein, um sich dann schrecklich unnachgiebig und unglaublich widerwärtig für immer in mein Gedächtnis zu brennen.
Die Geräusche, die ich im Flur gehört hatte, stammten tatsächlich von meinem Mann. Doch er war nicht allein. Es war eine dieser klassischen Szenen, wie man sie aus schlechten Filmen kennt. Stefan hatte die Hose halb heruntergelassen und vögelte eine stark geschminkte Blondine. Auf unserer Küchenanrichte. Sie machten einen solchen Lärm, dass sie mich nicht bemerkten. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, war, dass Stefan sich beim Sex mit mir nie so zügellos verhielt.
Wie zur Salzsäule erstarrt stand ich in der Tür und sah ihnen zu, unfähig, mich zu bewegen oder in irgendeiner Form auf mich aufmerksam zu machen. Mein Kopf war voller Erinnerungen an die Abende, an denen er mich abgewiesen hatte, weil er zu geschafft von der Arbeit war. Ich hatte immer so getan, als mache es mir nichts aus, und hatte das beunruhigende Gefühl, das dabei in mir aufgestiegen war, ein ums andere Mal niedergekämpft. Und nun stand ich hier. Und fühlte neben Ohnmacht und endlosem Schmerz eine alles verzehrende Scham.
Erst als die fremde Frau auf der Anrichte endlich die Augen aufriss und mich bemerkte, kam wieder Leben in meinen Körper. Sie stieß einen hysterischen Schrei aus, woraufhin mein Mann sich umdrehte und mich entdeckte. Er schob die andere so schnell von sich, dass sie beinahe zu Boden gefallen wäre. Es hätte fast komisch sein können, doch war mir alles andere als nach Lachen zumute.
Ich verließ das Haus und stürzte mich fluchtartig zurück ins Auto, fuhr auf direktem Weg zu Melanie. Dass ich heil dort ankam, war ein Wunder. Ich schaffte es gerade noch, aus dem Wagen zu steigen, dann stürzte ich blindlings in die Büsche und übergab mich heftig.
Später fand mich meine beste Freundin dort zusammengerollt im Gras, wo ich lautstark vor mich hin schluchzte.
Sollte es einen Himmel auf Erden geben, so war es mit Sicherheit dieses Fleckchen hier. Die Sonne prasselte von einem babyblauen Himmel auf die Anlage des Baia dei Sogni Resorts. Weit und breit gab es nichts als wunderschöne Finkas umrahmt von wahren Kaskaden an prächtig blühenden Büschen, deren Namen ich nicht kannte.
Ich konnte noch immer nicht glauben, dass ich tatsächlich hier war. Einfach so meine sieben Sachen zu packen und in ein anderes Land abzuhauen passte ganz und gar nicht zu mir. Doch wenn ich auf die Geschehnisse der letzten Wochen zurückblickte, war es meine einzige Möglichkeit gewesen.
Zwei Wochen war es erst her. Zwei Wochen seit ich meinen Mann mit der Blondine in unserer Küche erwischt hatte. Zwei Wochen voller Qual und Tränen, in denen Mel wie ein Engel für mich da gewesen war. Ich hatte mich bei ihr einquartiert, denn das Haus in Nymphenburg wollte ich nur wieder betreten, um meine restlichen Sachen zu holen. Das hatte ich mir geschworen.
Und das hatte ich schneller hinter mich gebracht, als ich es mir zugetraut hätte. Hatte dazu feige auf einen Zeitpunkt gewartet, zu dem Stefan für gewöhnlich nicht zu Hause war. Wieder hatte ich meinen Mann unterschätzt. Er hatte mich erwartet. Später erfuhr ich, dass er die ganzen acht Tage, seit ich das Haus verlassen und nicht mehr für ihn erreichbar gewesen war, darauf gewartet hatte, dass ich zurückkommen würde.
Rückblickend konnte ich kaum glauben, wie unerbittlich und hart ich gewesen war. Wie ich ihm gesagt hatte, dass ich ihn nicht zurücknehmen würde, und wie ich mit Genugtuung den gleichen Schmerz in seinem Gesicht gesehen hatte, den ich selbst fühlte.
„Bitte sag mir, dass du nicht gerade an ihn denkst“, riss Mels Stimme mich aus meinen Erinnerungen.
„Es ist gerade mal zwei Wochen her“, erwiderte ich leise. „Glaubst du wirklich, es wäre so einfach?“
„Das sollte es auf jeden Fall sein“, entgegnete sie unerbittlich. „Schließlich hat es sich dieser Hurensohn auch nicht gerade schwer gemacht.“
Sie war nicht die ganze Zeit so hart und bestimmt gewesen. Als ich an jenem Tag völlig aufgelöst bei ihr angekommen war, hatte sie meinem Gestammel nur mit Mühe entnehmen können, was passiert war, und mich dann in ihren Armen gewiegt wie ein Baby. Volle zwei Wochen hatte sie mich weinen lassen und mich getröstet. Irgendwann hatte sie jedoch beschlossen, dass es so nicht weitergehen konnte, und mich zu dieser Reise überredet.
„Es reicht“, hatte sie gesagt und das Messer, mit dem sie gerade Kartoffeln geschält hatte, frustriert in die Spüle geworfen. „Du hast diesem Arschloch die besten Jahre deines Lebens geschenkt. Jetzt bist du dran!“
Und ohne mir auch nur eine Gelegenheit für eine Erwiderung zu geben, war sie ins Wohnzimmer gestürmt und hatte begonnen, wie eine Besessene auf ihrem Laptop herumzuhacken.
Als ich eine Stunde später zu ihr gestoßen war, um ihr mitzuteilen, dass das Abendessen auf dem Tisch stand, hatte sie mir ebenfalls eine Mitteilung zu machen gehabt. „Ich habe uns eine Reise gebucht, Maddi. Sechs Wochen Sardinien. Das wird dich schon wieder in die richtige Spur zurückbringen.“
Ich hatte protestiert, aber mir waren schnell die Gründe dafür ausgegangen, die Reise nicht antreten zu können. Es gab nichts mehr, was mich in Deutschland hielt. Ich hatte keinen Job, keinen guten Draht zu meiner Familie und seit Neuestem nicht einmal mehr ein Zuhause.
An einem der darauffolgenden Tage war ich ein zweites Mal zu unserem Haus gefahren, während Mel im Büro war. Ich hatte es nicht fertiggebracht, Stefan einfach unwissend zurückzulassen.
Als er von unserem Vorhaben hörte, hatte er verzweifelt den Kopf geschüttelt, als ob er erst da begriffen hätte, wie ernst es mir war. „Hör mir zu, Maddi. Es tut mir so leid, dass du das mitansehen musstest. Wir sind fast zehn Jahre zusammen. Vor dir hat es nie eine andere gegeben, ebenso wenig wie bei dir. Hast du dich nicht auch mal gefragt, wie es wäre?“
Das war der Moment gewesen, in dem ich ihm die widerliche Glastaube an den Kopf geworfen hatte, die seine Mutter uns zu unserer Hochzeit geschenkt hatte.
„Du tust es schon wieder!“, sagte Mel vorwurfsvoll, und ich erwachte aus meinen Gedanken wie aus einer tiefen Trance.
Schuldbewusst sah ich ihr in das gebräunte Gesicht, das von einzelnen Strähnen ihres platinblonden Haares umrahmt wurde, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten. Mit aller Macht versuchte ich, bei diesem Anblick nicht an die stöhnende Blondine auf meinem Küchentresen zu denken, und rang mir mühsam ein Lächeln ab. „Von jetzt an gehört meine Aufmerksamkeit voll und ganz dir.“
Mel lächelte und strich mir kurz tröstend über den Arm. „Braves Mädchen. Wir kriegen dich schon wieder hin. Wirst schon sehen.“
Sechs volle Wochen blieben uns dafür. Danach würde ich mir überlegen müssen, wie es mit mir und meiner Zukunft weiterginge. Ob ich Stefan verzeihen konnte? Wollte ich das überhaupt? Eines stand jedenfalls fest: Meine Liebe zu ihm war in diesen wenigen Augenblicken in unserer Küche in Milliarden Splitter zersprungen, die seitdem schmerzend in meiner Brust festzustecken schienen. Er hatte gesagt, ich solle mir die sechs Wochen Bedenkzeit nehmen, noch mehr, wenn ich das brauchte. Doch wie konnte ich das tun, wenn mich doch stetig der Gedanke quälte, dass er in dieser Zeit vielleicht die nächste Gespielin finden würde?
Melanie hatte mich dazu genötigt, meinen Ehering in Deutschland zu lassen, sodass meinen Ringfinger nun eine seltsam weiße Stelle zierte, die nur noch mehr an den Verrat erinnerte.
„Du hättest mir ruhig mal helfen können. Langsam frage ich mich, wer von uns beiden die Sprachausbildung gemacht hat“, meckerte Mel und fuchtelte mit zwei Schlüsseln vor meiner Nase herum.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir die Rezeption erreicht hatten. Es war ein imposantes Gebäude auf einer Art Hügel, von dem aus man die ganze Anlage überblicken konnte. Unter uns schimmerte verlockend ein Pool zu mir hoch. In der Ferne konnte ich einen Berg ausmachen, der wie ein mächtiger Korken auf dem Meer zu treiben schien. Und davor strahlten unzählige kleine Finkas wie weiße Diamanten im gleißenden Sonnenlicht. In meiner Brust regte sich ein Gefühl, das ich so lange nicht mehr verspürt hatte, dass es einige Zeit dauerte, bis ich es als Freude identifizierte. Mel hatte recht – jetzt waren wir hier, und wir würden das Beste daraus machen.
„Wie ich sehe, hast du es auch ganz gut ohne mich hinbekommen“, erwiderte ich. „Können wir jetzt endlich in unsere Finkas?“
„Tu was du willst, aber ich schleppe diesen Koffer sicher nicht quer über das Areal. Wir wissen ja noch nicht einmal, wo genau wir wohnen.“ Damit ließ sie sich ächzend in einem der Korbstühle nieder, die sich zwischen großen Blumenkübeln gruppierten.
Ich warf einen Blick auf eines der kleinen Golfautos, die in der Nähe standen. „Du willst dich allen Ernstes von einem Shuttle kutschieren lassen?“
Sie zuckte die Schultern. „Ist im Preis mit drin. Spar dir die Luft! Da kommt schon jemand.“ Sie deutete auf das Gefährt, das soeben um die Ecke gebrettert kam. Hinter dem Steuer saß ein Mann um die dreißig, der seine Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte und seine Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille verbarg. Sein strahlend rotes Shirt mit der Aufschrift „Staff“ stand im krassen Kontrast zu seiner düsteren Miene.
Diese schien auch Melanie nicht verborgen geblieben zu sein, denn sie bedeutete mir, dass ich ihn ansprechen sollte.
„Ich spreche kaum Italienisch“, zischte ich.
Sie winkte ab. „Du machst das schon.“
Ich sah zu dem Mann, der finster zurückstarrte und keine Anstalten machte, zu uns herüberzukommen. Wütend auf Mel und den Fremden stapfte ich zu ihm und kramte die Brocken längst vergessenes Italienisch hervor, die ich während einiger spärlicher Abendkurse vor Jahren gelernt hatte.
„Buongiorno. Äh … Dové …?“ Hilflos hielt ich meinen Schlüssel hoch, an dem ein Anhänger mit der Nummer meiner Finka baumelte.
Der Mann gab ein verächtliches Schnauben von sich, nahm den Schlüssel wortlos an sich und begann, unsere Koffer auf die Gepäckablage seines Wagens zu werfen.
„Was für ein unfreundlicher Kerl! Ich dachte, Italiener seien so warmherzig“, beschwerte ich mich bei Mel, die den Mann auf Englisch fragte, ob wir einsteigen sollten. Da er eine Sonnenbrille trug, war ich mir nicht ganz sicher, doch ich glaubte zu sehen, wie er ungeduldig die Augen verdrehte, ehe er nickte.
„Der ist doch unmöglich!“, regte ich mich auf, als wir eingestiegen waren.
Er fuhr so scharf an, dass mein Kopf unsanft gegen die Lehne knallte, und ich warf ihm im Rückspiegel einen wütenden Blick zu, ehe ich mich abwandte und die Arme vor der Brust verschränkte.
„Süße, jetzt entspann dich. Wir sind ihn gleich los, und dann beginnen sechs Wochen am so ziemlich schönsten Ort der Welt.“
„Ich habe einfach genug von rücksichtslosen Männern“, brach es aus mir heraus.
„Nicht alle Männer sind wie Stefan oder dieser Typ. Wir sind hier, um Spaß zu haben. Schau dich doch mal um!“ Sie zeigte auf die gepflegten Rasenflächen voller prächtiger Sträucher und niedlicher Finkas. Gelächter hallte aus jeder Richtung zu uns. Es roch nach Sonnencreme und einem schweren Blumenduft.
Ich lächelte das erste Mal seit meiner Ankunft aufrichtig und frei. „Du hast recht. Tut mir leid.“
Dennoch atmete ich erst auf, als wir vor unseren Finkas zum Stehen kamen. Während der Fahrer ausstieg, um unsere Koffer abzuladen, rannten wir ungestüm in die Unterkünfte. Ich hörte, wie Mel ausstieß, was mir selbst durch den Kopf schoss, als ich den schönen klimatisierten Raum betrat. „Heilige Scheiße! Der Herr im Himmel meint es gut mit uns!“
Es war in der Tat ein kleines Paradies. Ein großes Himmelbett beherrschte den Raum. Gegenüber befand sich ein helles Sideboard mit kleinem Fernseher, und an der Wand bei der Tür stand ein großzügiger Kleiderschrank. Das angrenzende Bad war hell und freundlich und verfügte über eine geräumige Dusche.
Ein Geräusch hinter mir ließ mich zusammenzucken. Der Mann war mit meinem Koffer erschienen. Er hatte eine Präsenz, die den ganzen Raum einzunehmen schien. Ich spürte, wie er mich hinter seiner Sonnenbrille taxierte.
„Grazie“, sagte ich und hoffte, dass er bald verschwinden würde. Hinter ihm war Melanie in der Tür erschienen, die das Geschehen argwöhnisch beobachtete.
Da sprach er das erste Mal, völlig unverhofft und in einem nahezu perfekten Deutsch. „Zum Strand können Sie das Shuttle nutzen. Rufen Sie einfach bei der Rezeption an. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“
Ich glaube, in diesem Moment klappte uns beiden die Kinnlade herunter. Er hatte also jede meiner Beleidigungen ihm gegenüber verstanden, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Der Gedanke ließ Melanie verlegen lachen. Mich machte er rasend vor Wut. „Hätten Sie uns nicht einfach sagen können, dass Sie Deutsch sprechen?“
„Sie haben nicht gefragt, Signora“, erwiderte er kühl. „Sie waren zu beschäftigt damit, mit Ihrem Italienisch zu brillieren. Benvenuti.“ Er tippte sich mit einem sarkastischen Grinsen an die Mütze und ließ uns stehen.
Ich fühlte mich wie eine dumme Gans. Fassungslos drehte ich mich zu Melanie um. „Was für ein unmöglicher Widerling!“
Doch meine Freundin hatte sich bereits vergnügt grinsend abgewandt, um sich in meinem Badezimmer umzusehen. „Reg dich ab, Maddi. Du hast keinen Grund, so rumzuzicken. Verdammt, dein Badezimmer ist doppelt so groß wie meins!“
Ohne dass ich es hätte verhindern können, breitete sich ein Lächeln auf meinen Zügen aus. „Ich nehme an, dass ich es einfach verdient habe.“
„Ach, halt die Klappe“, sagte sie lachend und warf einen prüfenden Blick zur Uhr. „Kurz nach vier. Die perfekte Zeit, um den Pool abzuchecken.“
„Wollen wir nicht erst mal auspacken?“, fragte ich, doch sie winkte ab. „Das können wir machen, wenn die Sonne untergegangen ist. Vorausgesetzt, dass ich da nicht mit einem heißen Italiener in meinem Bett liege.“
Da sie bei dem Satz keine Miene verzog und es sich eben um Melanie handelte, musste ich davon ausgehen, dass das ihr Ernst war. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir sind gerade erst angekommen!“
Sie nickte. „Und es ist an der Zeit, etwas Spaß zu haben. Gott, wie lange hatte ich diese Art von Spaß nicht mehr! Und ganz ehrlich, Süße, für dich wirds auch mal wieder Zeit.“
„Okay, okay. Gehen wir zum Pool“, sagte ich schnell, ehe sie auf noch mehr dumme Gedanken kommen konnte, zerrte Handtuch und Bikini aus dem Koffer und machte mich daran, mich umzuziehen.
Am Pool angekommen, fiel aller Ballast von mir. Zahlreiche Liegen gruppierten sich um die große Wasserfläche. Da noch keine Sommerferien waren, war nur gut die Hälfte von ihnen mit Urlaubern besetzt, hauptsächlich handelte es sich dabei um junge Paare oder ältere Leute. Es herrschte eine freundliche, gediegene Atmosphäre. Ein Hauch von lateinamerikanischer Musik wehte von der Poolbar zu uns herüber.
Wir suchten uns zwei Liegen mit Blick aufs Meer. Während Melanie den Schirm aufspannte, ließ ich mir den Wind sanft durchs Haar streichen und sah auf den Ozean hinaus, der hinter dem Resort zwischen den Bergen funkelte. Wieder fiel mein Blick auf den einen im Wasser treibenden Berg, über dem watteweiche Wolken hingen, und ein Zauber erfasste mich. Sein Anblick ließ meine Probleme plötzlich vollkommen nichtig erscheinen, gab mir das Gefühl, dass nichts anderes zählte als dieser Moment.
„Ich glaube, ich muss dir danken“, sagte ich, nachdem Mel sich ebenfalls auf ihrer Liege niedergelassen hatte.
„Glaub mir, Süße, ich tue das nicht allein für dich“, erwiderte Mel mit einem trägen Lächeln, schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und lehnte sich zurück.
Ich blieb noch eine Weile sitzen und genoss die Gegenwart einiger lachenden Kinder, denen ich dabei zusah, wie sie sorglos im Pool spielten. Ein riesiges aufblasbares Einhorn trieb in ihrer Mitte. Mit angenehm leerem Kopf und leichtem Herzen lehnte ich mich schließlich zurück. Ehe ich mich versah, hatte der Schlaf mich überwältigt.
Laute Musik ließ mich hochschrecken. Da es das erste Mal seit dem traumatischen Erlebnis in meiner Küche gewesen war, dass ich traumlos hatte schlafen können, sah ich mich verärgert nach der Lärmquelle um und erwartete, einen Halbstarken mit seinem Handy zu entdecken. Als ich richtig wach wurde, erkannte ich jedoch, dass die Musik aus großen Boxen direkt vom Pool kam, wo sich einige Leute in orangefarbenen T-Shirts versammelt hatten.
Mel, die immer für Aufregung zu haben war, richtete sich auf wie ein Hund, der eine Fährte aufgenommen hatte. „Die scheinen etwas aufführen zu wollen.“
Ich stöhnte. „Muss das sein? Ich fühle mich wie ein Party-Tourist.“
„Du klingst eher wie eine verbitterte alte Ziege.“ Ihr Grinsen entschärfte ihre Worte, doch ich wusste, dass sie meinte, was sie sagte.
Das tat sie immer, darum schätzte ich sie so sehr. Und das Schlimmste war – sie hatte meistens recht. Zum Glück blieb es mir erspart, weiter darüber nachdenken zu müssen, denn in diesem Moment wurde Ed Sheerans „Shape of you“ gespielt und die Animateure begannen zu tanzen.
„Hier wird einem ja richtig was geboten“, kommentierte Mel beifällig und ließ ihre Blicke ungeniert über die männlichen Animateure gleiten. Mel war bereits Ende dreißig, sodass die meisten der Männer eigentlich zu jung für sie wären, doch ihre guten Gene ließen meine Freundin nie im Stich, und wir gingen fast immer als gleichaltrig durch, obwohl ich gerade mal siebenundzwanzig war. Da ich mich in letzter Zeit jedoch fühlte, als hätte ich mein Leben bereits hinter mir, wirkte ich nach außen wahrscheinlich nicht gerade jung und dynamisch.
„Mamma Mia!“, riss Mel mich aus meinen deprimierenden Gedanken.
Als mein Blick zum Pool wanderte, war mir sofort klar, was den Ausruf ausgelöst hatte. Die Animateure hatten ihre Shirts ausgezogen und ihre trainierten, schokoladenbraunen Körper entblößt. Es machte mich immer verlegen, Männer so anzustarren. Oft beschwerte ich mich, dass Mel über Männer redete wie über ein Stück Fleisch. Aber da mein eigener Mann offenbar mit der Hälfte der Münchener Frauen vögelte, gönnte ich mir heute ganz demonstrativ einen besonders langen Blick auf einen der Männer, der mir besonders gefiel.
Als hätte er meine Aufmerksamkeit gespürt, fuhr er zu mir herum und musterte mich mit einem wohlwollenden Grinsen. Er tanzte nicht weit von uns und sah mir dabei mit einer Intensität in die Augen, die mir die Schamesröte in die Wangen trieb.
Schnell wandte ich den Blick wieder ab. Als ich vorsichtig wieder aufsah, starrte er mich noch immer an. Er hatte ein attraktives Gesicht, und in seinen tiefbraunen Augen las ich eine stumme Herausforderung. Seine Haut erinnerte an Milchkaffee, und sein lockiges schwarzes Haar glänzte in der Sonne.
Mel rammte mir den Ellbogen in die Seite. „Die Sahneschnitte hat ein Auge auf dich geworfen.“
Das war eine unleugbare Tatsache. Ich schob mir meine Sonnenbrille auf die Nase und erwiderte: „Dafür bin ich sicher nicht hier.“
„Und ob du das bist, Liebling“, widersprach Mel. „Wenn du ihn dir nicht angelst, tu ich es, obwohl du mit deinen Killer-Beinen eindeutig die besseren Chancen bei ihm hättest.“
Mel war von jeher neidisch auf meine langen schlanken Beine gewesen, obwohl ich selbst fand, dass ich damit wie ein Storch wirkte. Ich hatte meine Haare bis knapp über den Po wachsen lassen und trug sie stets offen, um diesen Eindruck abzuschwächen.
„Da bin ich anderer Meinung“, erwiderte ich. „Tu dir also keinen Zwang an.“
Trotzdem konnte ich die Augen nicht von ihm lösen. Sein Lächeln schien zu sagen, dass er mich ganz und gar durchschaute, selbst wenn er gar nicht zu mir sah. Sein kurzes lockiges Haar verlieh ihm trotz der muskulösen Statur etwas wild Romantisches. Sein Körper sah aus, als hätte Gott jeden Winkel davon genauestens bemessen.
Mamma Mia, dachte ich. Das trifft es wirklich.
Als die Vorstellung vorbei war, nahmen einige der Animateure die umstehenden Kinder bei der Hand, um sie zum Fußballspielen in den Mini-Club mitzunehmen.
Der Mann, der mich beobachtet hatte, baute die Musikanlage ab und klemmte sich die Boxen unter die Arme. Als er an uns vorbeikam, warf er mir ein Grinsen zu, das jeder Frau die Knie hätte weich werden lassen.
„Buongiorno, Signora“, sagte er mit einer Stimme, die perfekt zu seinem sinnlichen Aussehen passte.
„Buongiorno“, erwiderte ich heiser. Er nickte auch Mel zu und war dann ebenfalls verschwunden.
„Der legt dich flach, ehe die zweite Woche um ist“, kommentierte Mel neben mir.
„Hör schon auf mit dem Unsinn“, erwiderte ich gereizt.
Wie zu erwarten gewesen war, entlockte ihr diese Reaktion nur ein breites Grinsen. „Als ob dir andere Gedanken durch den Kopf gegangen wären, als du ihn gerade gedanklich ausgezogen hast. Jetzt gib es doch wenigstens zu, wir sind unter uns, Maddi. Vor mir musst du nicht die Unnahbare spielen.“
„Schön!“, stieß ich hervor. „Ja, ich finde ihn attraktiv. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir miteinander im Bett landen werden.“
Sie legte sich wieder zurück, stützte ihren Arm auf und sah mich aufmerksam an. „Und wenn doch, wäre das so schlimm?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann jetzt einfach nicht über so etwas nachdenken.“
„Warum denn nicht, um Himmels Willen?“, fragte sie fassungslos. „Jetzt ist der beste Zeitpunkt für dich, um über genau so etwas nachzudenken. Aber lass mich raten, du geißelst dich lieber weiter mit dem Gedanken daran, wie dein Mann dieses Flittchen vögelt.“
„Wenn ich hier mit dem Erstbesten ins Bett springe, bin ich nicht besser als er“, fauchte ich. „Außerdem hast du doch gesagt, ich soll nicht mehr über Stefan nachdenken!“
„Als ob du das nicht schon die ganze Zeit auch ohne ein Wort von mir getan hättest“, erwiderte sie besorgt. „Madleen, deine Situation hier kann man mit seiner gar nicht vergleichen. Du bist auf dem Weg zur Scheidung, es wäre also kein Ehebruch.“
Ich schwieg, sah demonstrativ in Richtung des großen Berges im Wasser und hoffte inständig, dass sie das Thema fallen lassen würde. Was sie natürlich nicht tat.
„Das bist du doch, oder?“ Zweifel und Fassungslosigkeit ließen ihre Stimme höher klingen.
Ich brachte es nicht fertig, sie anzusehen, weil ich mich in diesem Moment für mich selbst schämte. „Er hat mich mehrmals gebeten, mir Zeit zu nehmen und noch einmal über alles nachzudenken.“
„Sag mir nicht, dass du ihm das zugesichert hast“, flüsterte sie wütend.
Mir war klar, dass sie nur so leise sprach, um sich selbst davon abzuhalten, mich anzuschreien. Ich biss mir auf die Lippe, ehe ich beherrscht erwiderte: „Ich führe eine Ehe, Mel. Ich kann nicht beim kleinsten Streit aufgeben.“
Wie sollte sie es auch verstehen, sie hatte nie geheiratet. Nein, sie machte es sich leicht und suchte Liebe auf Zeit, ohne jegliches Risiko. Ich war so wütend, dass ich ihr all das ins Gesicht geschrien hätte, hätte ich zuvor nicht in ihre Augen gesehen. In diese grünen Katzenaugen, in denen ich hinter der Sonnenbrille eine seltsame Art der Bewunderung lesen konnte.
„Ist deine Liebe denn so stark?“
In meiner Kehle stieg ein Kloß auf, den ich nur mit Mühe hinunterschlucken konnte. „Sie war es auf jeden Fall mal. Darum ist sie mir heilig. Ich möchte glauben, dass es die Sache wert ist zu kämpfen.“
Ich dachte an Stefans Augen voller Tränen und den Zwiespalt in seinem Gesicht. Er hatte es nicht nur dieses eine Mal getan, hatte er mir gestanden. Sondern oft und mit verschiedenen Frauen. Fremden, Bekanntschaften aus Partynächten, in denen er mir gesagt hatte, er müsse länger arbeiten. Sogar mit Prostituierten. Er hatte das Leben erfahren, sich ausprobieren müssen, hatte er gemeint. Warum er das nicht mit mir zusammen hatte tun können, konnte er mir nicht erklären.
Meiner besten Freundin hatte ich nur von dieser einen Frau erzählt. Um ihn zu schützen oder eher mich selbst? Mich selbst und meine ausweglose Hoffnung und die Angst vor einem Neuanfang ohne den Mann, von dem ich bis vor vierzehn Tagen noch geglaubt hatte, dass er die Liebe meines Lebens war.
„Ich werde für dich da sein, egal, wofür du dich entscheidest.“ Mels Hand lag beruhigend auf meinem Arm. Ich wusste, was sie diese Worte kosten mussten.
„Danke“, flüsterte ich. „Noch muss ich gar nichts entscheiden.“
Es war ein sonniger Tag wie aus dem Bilderbuch. Einfach perfekt für den Anfang meiner Bilderbuchehe. Die weißen Stühle glänzten in Reih und Glied, an ihren Lehnen waren rosa Bänder und duftende weiße Rosen befestigt. Am Ende des Ganges zwischen den Stuhlreihen, über den jemand einen weißen Teppich gelegt hatte, stand ein wunderschöner Rundbogen. Sein Metall verflocht sich in komplizierte weiße Verzierungen, an denen abermals unzählige weiße Rosen befestigt waren. Stefan stand in der Mitte des Bogens, und sein Lächeln zeigte mir, dass er innerlich fast vor Stolz und Freude platzte. Hinter ihm glitzerte der Starnberger See in der warmen Mitte-Mai-Sonne.
Ich schritt anmutig in einem weißen Prinzessinnenkleid und von meinem Vater geführt den Gang entlang. Der Schleier fiel mir sacht über die Schultern. In diesem Moment fühlte ich mich als unbesiegbare Gewinnerin des Lebens. Ich würde nicht eine dieser Frauen sein, die sich erst mit dreißig für einen Mann entschieden. Meine Entscheidung war vor Jahren schon gefallen. In der achten Klasse, als ich Stefan das erste Mal gesehen hatte. Er hatte sich mit diesem selbstgefälligen Grinsen neben mich gesetzt und so lange um mich geworben, bis ich nachgegeben hatte. Wir waren immer Freunde gewesen. Verbündete und schließlich Liebende.
„Macht was draus“, sagte mein Vater rau, als er mich an meinen zukünftigen Mann übergab. Ihm passte es natürlich nicht, dass ich so früh heiratete, doch ich hatte jede Diskussion diesbezüglich gewonnen.
„Du bist die heißeste Braut“, sagte Stefan mit eben jenem Grinsen, in das ich mich vor sechs Jahren verliebt hatte.
„Und du mein absoluter Traummann“, sagte ich überwältigt.
Als das Gelübde verlesen wurde, versuchte ich, mir so gut es ging jedes Detail dieses Augenblicks für immer einzuprägen, damit ich mich auf ewig daran erinnern würde. Der schwere Geruch der Rosen, das Geräusch der sanften Wellen auf dem See, das leise Tuscheln unserer Gäste. Selbst die näselnde Stimme des Standesbeamten. Ich sog all das in mich auf, bis es ein Teil meiner selbst wurde …
Ich setzte mich auf und rang nach Atem. Es war ein Uhr in der Nacht, und ich bekam kein Auge zu, weil diese und ähnliche Bilder wie Stechmücken durch meinen Kopf rasten. Würde es von nun an immer so sein, wenn die Stille kam?
Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, Mel zu wecken, aber das erinnerte mich einfach zu sehr an ein Kind, welches bei Gewitter Schutz bei der Mutter suchte. Wenn ich jetzt nicht lernte, meine Dämonen zu bekämpfen, würde ich mein Leben lang vor ihnen davonlaufen.
Ich verließ die Finka und wurde von einer herrlich lauen Nacht begrüßt. Kurzentschlossen ging ich noch einmal zurück, zog meinen Bikini unter mein hellblaues Sommerkleid und schnappte mir ein Badetuch. Wenn ich schon mitten in der Nacht wach war, konnte ich ebenso etwas für meine Figur tun und einige Runden im Pool drehen. Mein Haar band ich mir im Gehen zu einem unordentlichen Knoten zurück. Die sanfte Brise löste einige der Strähnen wieder.
Fast alles um mich herum war still und dunkel. Von fern konnte ich das Meer gegen die Brandung schlagen hören. Hier und da hörte ich das Gelächter und Fetzen von Unterhaltungen der Angestellten, die im Mini-Club alles für den nächsten Tag vorbereiteten. Von den italienischen Worten, die der Wind zu mir trug, verstand ich nur einige wenige. In meiner Ausbildung zur Reisekauffrau hatte ich nur Spanisch und Französisch gelernt. Eine Ausbildung übrigens, die ich Stefan zuliebe niemals weiterverfolgt hatte. Und gerade er redete von verpassten Gelegenheiten.
Ich beschleunigte meine Schritte, zählte meine Atemzüge und tat alles, um mich vom Gedanken an meinen Mann abzulenken. Wie schwer es mir nach all den Jahren fiel, mich wieder ganz auf mich selbst zu konzentrieren!
Am Pool angekommen, entledigte ich mich sofort meines Kleides und ließ es zusammen mit dem Badetuch auf einer der Liegen zurück, ehe ich mich sanft ins Wasser gleiten ließ. Es war herrlich angenehm und hatte genau die richtige Temperatur, um mich zu erfrischen, ohne dass ich dabei fror. Hier fiel es leicht loszulassen, während ich auf dem Rücken sanfte Kreise zog und auf den sternenübersäten Himmel sah. Lächelnd gratulierte ich mir zu dieser glorreichen Idee und beschloss, jede Nacht hierherzukommen. So lange, bis mein Körper bereit für den Schlaf war.
Ich wusste nicht, wie lange ich schon durchs Wasser getrieben war, als ich in meiner unmittelbaren Umgebung ein Geräusch vernahm, das mich aufschrecken und herumfahren ließ. In der Dunkelheit war jemand. Ich war dermaßen erschrocken, dass ich stocksteif und mit wild schlagendem Herzen auf der Stelle verharrte.
„Es ist selten, dass unsere Gäste fernab der Partys derartige Nachtschwärmer sind“, ertönte eine melodische Stimme, die mir entfernt bekannt vorkam.
Er sprach englisch mit einem starken italienischen Akzent. Seinen Worten entnahm ich, dass es sich um jemanden aus der Belegschaft handeln musste. Verlegen und mit dem Gefühl, erwischt worden zu sein, schwamm ich zum Rand des Pools. Da erst erkannte ich ihn im Licht einer Laterne. Es war der attraktive Animateur vom Nachmittag.
„Ich wollte kein Aufsehen erregen“, entschuldigte ich mich auf Englisch. „Ich konnte nicht schlafen.“
Er hatte diese Art zu lächeln, die sich automatisch auf die gesamte Umgebung übertrug. „Wer kann Ihnen das in einer so schönen Nacht verdenken? Aber es ist kühl geworden. Sie werden sich erkälten.“
Er reichte mir eine Hand, um mir aus dem Wasser zu helfen. Sie war herrlich warm und männlich. Ohne Probleme zog er mich zu sich hoch und reichte mir mein Handtuch, welches ich mir schnell um den Körper schlang. Tatsächlich war ein kühler Wind aufgezogen, der mir eine Gänsehaut über die Beine schickte.
„Können Sie mir sagen, wie spät es ist?“, fragte ich, überrascht über den raschen Temperaturwechsel.
Er lachte. „Es ist drei Uhr morgens.“
Für einen Moment entglitten mir die Gesichtszüge. War ich wirklich so lange geschwommen? Auf einmal fühlte ich mich hundemüde. Das schien ihm nicht verborgen zu bleiben. „Darf ich Sie zu Ihrer Finka zurückbegleiten?“
Das Angebot kam so plötzlich, dass ich ins Straucheln geriet. In dieser Sekunde wurde mir – deutlich wie nie zuvor – bewusst, dass ich die Spezies Mann überhaupt nicht kannte. Geschweige denn, dass ich wusste, wie eine Frau sich in einer solchen Situation verhalten sollte. „Das müssen Sie wirklich nicht.“
„Ich möchte es aber“, sagte er lächelnd. „Es ist spät, und auch im Resort weiß man nie, was nachts alles passieren kann. Gerade einer so schönen Frau wie Ihnen.“
Nun war ich definitiv neben der Spur. Ich spürte förmlich, wie ich in seiner Gegenwart dahinschmolz, und trotzdem konnte ich nichts dagegen tun. „Wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht, gern. Ich wohne in der einundzwanzig.“
„Eine wirklich schöne Finka“, erwiderte er lächelnd und reichte mir mein Kleid von der Liege. Als der dünne Stoff durch seine Finger glitt, fuhr mir ein wohliger Schauer über den Rücken. War ich verrückt geworden? Wenn ich so weitermachte, würde Mel mit ihrer Prognose recht behalten.
Als wir losgingen, suchte ich krampfhaft nach unverfänglichen Gesprächsthemen, um das bedeutungsvolle Schweigen zwischen uns zu durchbrechen. „Arbeiten Sie schon lange hier?“
Er nickte „Seit sechs Jahren.“
„Das erklärt auch die professionelle Tanzeinlage heute am Pool.“ Kaum war es heraus, wünschte ich mir bereits, ich hätte nichts gesagt. So viel zu unverfänglichen Themen.
Er sah nun mit derselben Herausforderung zu mir herüber wie bei besagter Tanzeinlage. „Hat es Ihnen gefallen?“
Die Luft war plötzlich zum Schneiden dick. Hitze stieg in meine Wangen und schoss hinunter in meinen Bauch. Ich fühlte mich wie ein liebeskranker Teenie und versuchte verzweifelt, mich zur Ordnung zu rufen. Das führte allerdings nur dazu, dass meine Antwort wie die einer vertrockneten Jungfer klang. „Es war unterhaltsam.“
Sein warmes Lachen lockerte die Atmosphäre wieder auf, und ich kam nicht umhin, diesen romantischen Spaziergang in der Dunkelheit zu genießen. Immer wieder warf ich ihm verstohlene Seitenblicke zu und erkannte, dass ich völlig fasziniert von diesem Mann war. Er verströmte eine unerschütterliche Aura aus Charisma, Unbeschwertheit und Sex-Appeal.
„Sie sprechen tadelloses Englisch. Sind Sie Britin?“, fragte er.
Lachend schüttelte ich den Kopf. „Ich komme aus München.“
„Und wie gefällt es Ihnen bei uns?“
Mir fiel auf, dass er seine Schritte verlangsamte, je näher wir unserem Ziel kamen. Am liebsten hätte ich ihn gebeten, die ganze Nacht weiter mit mir über die Anlage zu spazieren.
„Es ist ein Paradies“, hauchte ich.
„Das ist es“, stimmte er mir zu. „Obwohl die ganze Insel schön ist, nennen wir das Resort Il propio cielo.“ Wenn er die Stimme senkte, wurde sie angenehm kratzig und heiser, ein Verführer durch und durch.
„Unser eigener Himmel“, übersetzte ich flüsternd.
Fasziniert sah er mich an, ehe er in seiner Muttersprache fragte: „Sie sprechen Italienisch?“
Ich lachte. „Solo un poco.“ Wir waren bei meiner Finka angelangt.
„Da wären wir“, sagte er wieder auf Englisch, machte allerdings keine Anstalten zu gehen.
Kurz stellte ich mir vor, wie er mich ins Zimmer begleitete und mich dort heiß und innig liebte, ehe ich mich – schockiert über meine eigenen Gedanken – abermals zur Ordnung rief. „Danke, dass Sie mich begleitet haben.“
„Es war mir ein Vergnügen …“ Er sah mich fragend an.
„Madleen“, sagte ich leise. Mein Herz hämmerte so wild gegen meine Brust, als fürchtete es zu explodieren, wenn es nicht möglichst bald seiner Nähe entkam.
„Maddalena“, wiederholte er. Wie er es sagte, klang mein Name plötzlich verführerisch und verwegen wie der einer Sirene. Was mir seltsam gefiel. „Ich bin Antonio. Vielleicht gehen wir irgendwann noch einmal zusammen spazieren.“
Ich schluckte hart und versuchte mich an einem lockeren Lächeln. Doch meine Stimme klang heiser vor Verlangen und verriet mich. „Das wäre sehr schön.“
Und da war es geschehen. Ich hatte eine Grenze überschritten, die mich von meinem Leben mit Stefan trennte.
„Buonanotte, Maddalena.“
„Buonanotte, Antonio.“ Ich sah ihm nach, wie er sich auf dem schönen Pfad entfernte, bis er nicht mehr zu sehen war.