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Im Sommernachtstraum verhandelt Shakespeare wie in allen seinen großen Dramen den Menschen in seinen verschiedenen Daseinsformen, ganz besonders aber Fragen von Traum, Realität und magischen Metamorphosen. In diesem intellektuell gewitzten, ungeheuer lesbaren Büchlein spürt der große ShakespeareÜbersetzer Frank Günther diesen Motiven nach und ordnet das Drama literatur- und ideengeschichtlich ein. Besondere Zugabe: mit viel Sinn für Spannung und Humor schildert er darüber hinaus ein albtraumhaftes und persönlich erfahrenes Erlebnis auf einer abgeschiedenen griechischen Insel, bei dem ein liebestoll gewordener Esel die Hauptrolle spielt ...
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Seitenzahl: 62
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ars vivendi
Frank Günther
Sommernachtstraum eines Esels
ars vivendi
Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe
© 2019 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg
Alle Rechte vorbehalten
www.arsvivendi.com
Gestaltung: Armin Stingl
Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag
eISBN 978-3-86913-967-8
Inhalt
Shakespeare – auch heute noch aktuell! oder Shakespeare – heute vollkommen verstaubt!
Sommernachtstraum eines Esels oder Magische Metamorphosen von Menschen, Tieren und Maschinen
Anonymus-Regisseur Roland Emmerich hat auf YouTube1 ein paar Fragen zur Identität Shakespeares gestellt und Frank Günther gibt ihm gerne Antworten
Fußnoten
Shakespeare – auch heute noch aktuell! oder Shakespeare – heute vollkommen verstaubt!
Es gibt nur wenige Autoren der Weltliteratur, bei denen man auf eine vergleichbare Wirkungsgeschichte zurückblicken kann; Dante könnte man nennen, und Cervantes, auch wenn sein Don Qujiote – trotz Windmühlen und Dulcinea – niemals Shakespeares breitgefächerte Wirkungsmacht erreichte. Shakespeare ist eine einzigartige literarische Ikone.
Was sagt man über eine 450 Jahre alte Ikone? Über Shakespeares ist dieser Tage als bewunderndes Statement häufig zu lesen, er sei »auch-heute-noch-aktuell«. Das sagt sich so leicht dahin. Unklar ist, was es bedeuten soll. Es ist nämlich ein seltsam vergiftetes Lob. Im »auch-heute-noch« schwingt als Unterton ja mit, daß solche uralten Werke nach 400 Jahren eigentlich längst zum historischen Schutt gehören müßten. Aber nein, nicht bei Shakespeare – und dann folgt dieses Wörtchen »aktuell«. Shakespeare ist auch heute noch aktuell! Also wichtig, relevant, bedeutsam für unsere heutigen Probleme, für dich und mich, hier und jetzt. Noch aktuell. Also morgen vielleicht schon nicht mehr?
Es ist gut gemeint, aber etwas glitschig, dieses schlagzeilenhascherische Adjektiv »aktuell«. Wir gebrauchen es gewöhnlich im Kontext der »aktuellen Nachrichten«, des »aktuellen Straßenzustandsberichts«, der »aktuellen Herbstmode«, der »aktuellen Frühjahrsfarben«, der »aktuellen Looks«, der »aktuellen Trends« – das heißt, für lauter entschieden flüchtige, nur für den konkreten Moment gültige Erscheinungen, zumeist in ranschmeißerischer Werbesprache formuliert. Was »aktuell« ist, ist schnellebig; es trägt sein baldiges Ende schon in sich, denn das Wörtlein »aktuell« signalisiert, daß es alsbald von noch »Aktuellerem« abgelöst werden wird. Was heute aktuell ist, ist schon morgen von gestern. Shakespeare, der »auch heute noch aktuell« sein soll, soll offenbar einen entscheidenden Beitrag zum heutigen Aktuellen leisten. Was aber sind unsere aktuellen Probleme zu Shakespeares Geburtstag? Die Euro-Krise. Die Griechenland-Krise. Die Energie-Krise. Die Ukraine-Krise. Die Migrationsproblematik. Der NSU-Skandal über Nazi-Umtriebe. Der NSA-Skandal über Geheimdienst-Umtriebe. Die Probleme mit Very Big Data. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Die Quotenregelung für Frauen in Führungspositionen. Die EU-Regelung zu Energiesparbeschränkungen bei Staubsaugern und Kaffeemaschinen. Haben Shakespeares Werke uns dazu irgendetwas zu sagen? Nein, natürlich nicht. Die Rede vom »auch heute noch aktuellen« Shakespeare entpuppt sich schnell als hilflose Hohlfloskel. Seinem Werk ist mit solchen wohlfeilen Etiketten nicht so recht beizukommen.
Der Shakespeare-Neuling, der durch die Sirenengesänge von der angeblichen »Aktualität« Shakespeares angelockt wurde, wird sich enttäuscht abwenden. Nichts »Aktuelles« findet er in Shakespeares Werken, im Gegenteil: Verliebte turteln in klassischen Blankversen oder altmodischen Sonetten wie Romeo und Julia, und es fällt schwer, in solchen Formen heutiges Balzverhalten in der Disco wiederzufinden; ein Machthaber erklärt, »Wer Gottes Schwert will führn auf Erden/Muß grad so fromm wie heilig werden« (in Maß für Maß) – und es fällt schwer, darin einen aktuellen Beitrag zum Thema Machtausübung und Machtmißbrauch der gewählten Repräsentanten in heutigen demokratischen Gesellschaften zu sehen; und wer hofft, beißend kritische In-tyrannos-Darstellungen von uns Unterdrückten und Entrechteten gegen die Unterdrücker da oben an der Spitze zu finden, wird bei Coriolan enttäuscht werden: Da werden die Plebejer des römischen Volkes genauso abstoßend charakterlos und wetterwendisch geschildert wie die korrupten Senatoren. Der Shakespeare-Neuling, enttäuscht vom Aktualitätsversprechen, wird vielleicht zum Schluß kommen, daß dieser Shakespeare inzwischen hoffnungslos verstaubt ist. Man hört es immer häufiger. Und das ist traurig. Es stimmt so wenig wie der schnelle Spruch vom aktuellen Shakespeare.
Denn natürlich schrieb Shakespeare nicht für unsere Zeit; von Demokratie in unserem Sinne hatte er noch nie etwas gehört. Er schrieb vor über 400 Jahren für das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums seiner Zeit – Was ihr wollt und Wie es euch gefällt heißen nicht zufällig zwei seiner Komödien. Er bot den Leuten, was sie sehen wollten. Sein Publikum kam aus der breiten Volksmasse, die zu 70% bis 80% analphabetisch war; aus der kleineren Schicht eines aufstrebenden Bürgertums, zu der er selbst gehörte, und aus der ganz kleinen Kaste machtgieriger Aristokraten, die einander und den Thron wie hungrige Wölfe umkreisten. Die bis in die Kleiderordnung streng gegliederte Gesellschaftspyramide war überwölbt von einem eisernen christlichen Glaubensgebäude, in fundamentalistisch katholischer und protestantischer Spielart. Himmel und Hölle waren real. Shakespeares Stücke bedienten die Träume und Sehnsüchte, die Hoffnungen und Ängste seiner Zeit.
Ben Jonson, Shakespeares Freund, Kollege, Rivale, Nebenbuhler und Neider, formulierte wohl als erster jenes Paradoxon, das Shakespeares Werke charakterisiert. Shakespeare, für seine Epoche schreibend, schrieb – so Ben Jonson – nicht für seine Epoche (not for an age), sondern for all times: Für alle zukünftigen Zeiten. In gewisser Weise behauptet Ben Jonson das Gegenteil dessen, was wir mit dem flinken Spruch von Shakespeares »Aktualität« bezeichnen. Das ehemals Zeitaktuelle in Shakespeares Stücken, die geschilderte Gesellschaftsform, die sich in ihr ergebenden Konflikte und Probleme erscheinen uns in der Tat, je mehr wir uns mit den Texten beschäftigen, lediglich als historische Oberfläche, deren Elemente zweitrangig und austauschbar sind im Wandel der Zeiten. Das Zeitaktuelle gibt nur die Rahmenbedingungen ab für jene essentielle Tiefenschicht, welche Shakespeares Stücke erfahrbar machen – für das, was mit den Menschen, zwischen den Menschen und vor allem in den Menschen im Weltenlauf geschieht, in dem sie handeln müssen und sich verwandeln; für das unauslotbare innere Getriebe im menschlichen Wesen, in dem die Möglichkeit angelegt ist, zur Bestie zu werden oder zum Engel, mit unvorhersehbarem Ausgang. Unter der »Aktualität« der Oberflächenzeitumstände, die von »verstaubten« Verhältnissen erzählen mag, brodelt sehr lebendig das Eigentliche, das Shakespeares Glanz ausmacht: Die niemals an ein Ende kommende, niemals auserzählbare existentielle menschliche Werdens- und Wandlungsmöglichkeit.
So kommt es, daß wir durch Shakespeares paradoxe Erzählkunst uns selbst auch hinter der verblichenen Aktualität vergangener Weltverhältnisse wiedererkennen können. In seinen zahllosen fremden Gestalten, in ihren Leiden und Freuden, ihren Gemeinheiten und Bösartigkeiten, ihren Irrtümern und Selbsttäuschungen, ihren Egoismen und ihrer Fähigkeit zu Güte, Liebe und Mitleid erscheinen wir uns selbst, nah und vertraut.
Und all das ist keineswegs eindeutig und klar beschrieben, im Gegenteil: Zwischen Shakespeares Sätzen, hinter seinen Geschichten scheinen immer neue Verstehensmöglichkeiten auf. Ebenso vieldeutig und endlos interpretierbar, wie es unsere eigenen wirklichen Beziehungen und Lebensverhältnisse zu anderen Menschen sind, ebenso unergründlich, niemals bis ins Letzte erforschbar treten uns Shakespeares Gestalten entgegen – und fordern uns. Wir müssen sie ausfüllen mit dem, was wir von der Welt und uns selbst wissen. Wir sind immer Co-Autoren Shakespeares. Seine Stücke sind immer nur so reich – oder so arm – an Welterfahrung, wie wir selbst es sind. Shakespeare übermittelt keine Botschaften. Er liefert nichts fertig an, das wir schwarz auf weiß nach Hause tragen könnten. Wir können zu den unterschiedlichsten Schlußfolgerungen über seine Gestalten und Geschichten gelangen. War Shakespeare eher ein Konservativer, den status quo Bewahrender, oder war er ein verkappter Rebell gegen die Weltverhältnisse? Wir wissen es nicht. Wir machen ihn immer zu dem, den wir selbst wollen. In seinem Spiegel treten wir uns immer selbst, wie unter einem Vergrößerungsglas, entgegen.