Sonne hinter den Bergen - Paul Friedl - E-Book

Sonne hinter den Bergen E-Book

Paul Friedl

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Beschreibung

An der bayerisch-böhmischen Grenze taucht nach dem Krieg eine geheimnisvolle Gestalt auf. Das Volk der Waldler schreibt ihm abenteuerliche Auseinandersetzungen mit den Grenzern zu, es gibt sogar ein Lied, das den tollkühnen Grenzgänger verherrlicht. Als er schließlich festgesetzt wird, kommt seine Lebensgeschichte zutage. Es ist ein besonderes Schicksal zwischen zwei Ländern, die durch einen dichten Wald miteinander verbunden sind.

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2008

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: Studio von Sarosdy, Düsseldorf

eISBN 978-3-475-54624-2 (epub)

Worum geht es im Buch?

Paul Friedl

Sonne hinter den Bergen

An der bayerisch-böhmischen Grenze taucht nach dem Krieg eine mysteriöse Gestalt auf. Die Einheimischen dichten ihr abenteuerliche Geschichten an, viele Gerüchte kursieren um die geheimnisvolle Person, und es gibt sogar ein Lied, das den Grenzgänger verherrlicht. Als der Pascher Gump schließlich gefasst wird, kommt seine Lebensgeschichte ans Licht: Es ist ein besonderes Schicksal, das sich zwischen zwei Ländern abspielt, die durch einen Wald und ein Gebirge miteinander verbunden sind.

Über die Grenzberge des bayerisch-böhmischen Waldgebirges tobte in der Nacht ein Frühlingssturm, wie ihn nur das letzte gewaltige Aufbäumen des abziehenden Waldwinters bringen konnte. Er schlug die Regenmassen und Schneeschauer in schweren Stößen an die froststeifen Bergtannen, daß sie klangen und klirrten, winselte und pfiff im verkrüppelten Geäst, schoß brüllend ins Tal, um aufheulend in wilden Wirbeln am jenseitigen Hang emporzufegen. Wie die wilde Jagd hetzten die schwarzen Wolken am tintenfarbigen Nachthimmel dahin, kaum höher ziehend als die Berggipfel, und schütteten in rauschenden Stürzen die Wasser auf Wald und Tal. Das Jungholz beugte sich schauernd am Toten Köhler, duckend am steilen Waldgehäng, das zum Finstermühltal abfiel. Drunten hatten sich die jungen Fichten schon frühlingsahnend dem lauen Tag entgegengewandt, bis der kalte Sturm sie wieder steif werden ließ. Der Wald beugte sich, als wollten die Bäume mit dem Sturm davonlaufen. Wie ein nächtlicher Höllenspuk dröhnte und prasselte das Unwetter im Hochwald auf der Bergschneide und ließ krachend und brechend da und dort einen standmüden Baum niedergehen.

Wo der Waldsteig aus dem Finstermühltal über den Toten Köhler hinweg ins Böhmische führte, schützte ihn auf halber Höhe eine Felswand vor dem Nordsturm. Oben lärmte der Wind im Holz und brauste in den Gipfeln, unter dem Felsen aber war es ruhig wie in einer Stube. Der Föhn der vergangenen Tage hatte den Schnee gefressen und nur im dichten Gebüsch und unterm Wurzelwerk Reste gelassen, die grau in der Dunkelheit der Nacht schimmerten. Schier warm war es im geschützten Winkel unter dem Fels. Nur ab und zu staute sich im Finstermühltal der Wind und drängte an den Hang zurück, schwang ein wenig die grauen Äste der alten Fichten neben dem Steig und huschte wieder davon.

Leise scharrte ein Stiefel auf einem Stein. Im Dunkel blitzte bei einem modernden Buchenstamm eine Taschenlampe auf. Der abgeblendete Schein fiel auf eine Taschenuhr in der Hand eines Mannes unter einem Wetterumhang. Uniformknöpfe auf grünem Tuch blitzten auf, und als der Mann sich von seinem Sitz auf der Wurzel der Buche erhob, wo er lange unbeweglich gesessen hatte, glänzte matt ein Gewehrlauf vor dem Erlöschen der Lampe auf.

Gegen die graue Felswand zeichnete sich die Dienstmütze ab.

Schon halb zwei! Der Grenzaufseher streckte die steifgewordenen Glieder, zog den Umhang fröstelnd enger und suchte auf einem Baumstumpf neben dem Steig einen besseren Sitz. Entweder rührte sich in der nächsten Stunde etwas oder er war wieder einmal der Narr gewesen.

Dann saß er wieder, ein Stück der finsteren Schatten, unbeweglich und in das Knistern und Huschen, das Knacken und Säuseln um sich hineinlauschend. Lästig kamen die Regenschauer über ihn, und er barg das Gewehr unterm Umhang. Wenn ein stärkeres Geräusch an sein Ohr drang, zuckte er zusammen und faßte das Gewehr fester.

Diese Nächte auf der Lauer zerrten an den Nerven. Vom Stillsitzen taten ihm die Knochen weh, das Genick schmerzte, und vom angespannten Horchen und Lauern hatte er ein Bohren im Kopf, das ihn schon seit Tagen marterte und in den dienstfreien Stunden nicht schlafen ließ.

Es war kein schöner Dienst hier an der alten böhmischen Grenze, die sich in den letzten Monaten so geändert hatte. Der große Krieg war aus, und drüben hatte sich ein neuer Staat gebildet: Aus dem alten Böhmen war die neue Tschechoslowakei geworden, und wo man sich vor dem Krieg mit den österreichischen Kollegen drüben auf der Bergschneide manches Mal zu einem kurzen Plausch treffen konnte, stand man heute neuen Grenzwachen gegenüber, die sich kaum sehen ließen und sich feindselig zeigten, wenn sie das Fernglas auf sich gerichtet wußten. Herüben funktionierte die alte Einrichtung der Grenzwache und des Zolldienstes noch nicht ganz. Ein militärischer Grenzschutz war aufgezogen und patrouillierte in den Grenzdörfern. Hier aber, hart an der Grenzlinie taten die wenigen alten Aufseher ihren Dienst in der grünen Uniform. Die Beamten waren zu wenig, eine geregelte Diensteinteilung war noch nicht möglich.

Und er saß hier, Nacht für Nacht, trotz der Vorschrift, daß an der Grenze kein Beamter allein, sondern nur Streifen von zwei bis drei Mann gehen dürften. Es war auch nicht der reguläre Dienst, der ihn immer wieder an den Toten Köhler trieb. Niemand befahl ihn hierher, und doch opferte er die Nächte und strapazierte seine Nerven.

Mochten die Kollegen es für blinden Übereifer oder Verrücktheit halten — es war da etwas, das ihm einfach keine Ruhe ließ.

Seit zwei Monaten narrte ein Unbekannter die Grenzbehörden, zeigte sich dreist und im sicheren Abstand den Aufsehern, verschwand vor ihnen, als hätte die Erde ihn verschluckt, und schrieb dann Briefe an das Zollamt, in denen er genau aufführte, welche Ware er auf welchem Weg und in welcher Nacht über die Grenze gebracht hatte. Diese Briefe unterschrieb er mit dem Namen „Gump“.

Und die Vorgesetzten waren sauer.

Zu zweit hatten sie ihm schon aufgelauert, er, der Grenzaufseher Weber, und sein Vorgesetzter auf der Station Hinterhaid, der Grenzoberaufseher Zach.

Vor acht Tagen hatten sie weiter oben im Wald auf den Schmuggler gepaßt. Er hatte sie eher bemerkt als sie ihn, und mit einem frechen Juchzer aus sicherer Entfernung hatte er sie gehänselt, während sie am Steig standen und Löcher in die Nacht starrten.

Der Grenzkommissar hatte sie schon gehörig angeschnauzt und auf den Nachteil hingewiesen, den diese Geschichte mit dem Gump seiner Laufbahn bringen konnte. Es mußte bald ein Ende hergehen.

Es war einfach zum Teufelholen!

Es fehlte der geringste Anhaltspunkt. Man wußte gar nichts — rein gar nichts. Und doch mußte dieser Gauner einer von den Burschen oder Männern drunten im Tal sein, einer aus den zehn Bauernhäusern von Hinterhaid oder einer aus der Finstermühle, die da drunten am Haidbach im engen Tal zwischen dem Toten Köhler und dem Roßberg stand.

Es waren ihnen doch alle Leute in diesem Waldwinkel bekannt! Sicher kannten sie den Mann und begegneten ihm vielleicht täglich — aber wer war es?

Einfach zum Verrücktwerden!

Unnütze Gespräche hatten sie schon genug geführt, er und der Oberaufseher Zach, hatten sich über alle Burschen und Männer im Dorf und in der Umgebung unterhalten und überlegt, wer von denen wohl dieser Pascher sein könnte. Sie waren zu keinem Ergebnis gekommen.

Als vor Monaten der Gump von sich reden machte, ging seine Geschichte und seine Verwegenheit waldauf und waldab durch die Orte. Niemand aber war bis jetzt aufzutreiben, der auch nur den geringsten Hinweis geben konnte, obwohl vermutlich genug Leute genauer Bescheid wußten.

Man mußte den raffinierten Schmuggler auf seinen Gängen fassen. Plötzlich war nun auch ein Spottlied auf die Grenzer und die Gendarmen unter den Leuten. Kürzlich hatte er es selber beim Wirt in Hinterhaid gehört, wenn auch die Sänger sofort schwiegen, als er in die Wirtsstube trat. Die Mühlburschen waren es, der Loisl und der Franz, die das Lied sangen. Und wie hieß es?

„Wer kennt den Pascher Gump,

ein Schmuggler und kein Lump,

den fangt kein Grenzer, kein Gendarm —“

Sicher wußte der Dichter dieses Gesanges mehr vom Gump — vielleicht auch die Sänger?

Im hohen Wipfel einer Tanne flatterte ein Vogel auf und schoß mit dem Sturm fort. Der Regen trommelte auf die Bäume und den Waldboden.

Eine verdammt ungemütliche Nacht! Vielleicht gerade recht für einen verbotenen Gang über die Grenze.

Mußte denn dieser Pascher nicht auch Helfer und Hehler haben?

„Wer kennt den Pascher Gump —“

Saudumm, wie diese Weise und diese Worte ihn plagten und ihm nicht mehr aus dem Gehör wollten.

Der Sturm schien zu ermüden und eine Pause zu machen. Helle Flecken zwischen den eilenden Wolken zeigten, daß über dem Gebraus der Mond stand. Nur noch ein leises Rauschen blieb.

Und fast klang es dem gespannt Horchenden wie eine Melodie: „Wer kennt den Pascher Gump —“

Er summte vor sich hin, um dem Schlaf zu wehren, der ihm die Augenlider schwer machte.

Da fuhr er zusammen. Horchte in die hundert kleinen Geräusche und war hellwach. Dieser Klang, der sich in das Tropfen und Tappen mischte, war die Eisenspitze eines Stockes, der auf die Steine des Steiges stieß! Er fuhr hoch, und siedend heiß schoß es ihm durch den Körper, als er das Gewehr hochreißen wollte und es sich in seinem Umhang verhängte. Schlaf und Kälte spürte er nicht mehr, und die Aufregung ließ ihn fiebern. In die Ohren wollte ihm ein Sausen kommen.

War es das Pochen seines Bluts oder der Laut von Schritten? Er starrte in das Dunkel unter den Bäumen, aus dem der Steig kam, daß ihn die Augen schmerzten.

Da!

Ein Schatten löste sich aus der Finsternis und zeichnete sich gegen die grauschimmernde Felswand ab, verschwommen und ungewiß, nur durch seine Fortbewegung erkennbar.

„Halt!“ kreischte der Aufseher Weber mit heiserer, belegter Stimme und ließ die Taschenlampe aufleuchten. Für einen Augenblick traf der Lichtstrahl die Gestalt eines Mannes, ein geschwärztes Gesicht kehrte sich dem Beamten zu, dann aber war der Mann mit einem Satz verschwunden, und ein Lachen, belustigt und fast gemütlich, klang hinter den Stämmen. Suchend riß der Aufseher den Lichtkegel herum und sprang schnell deckungsuchend hinter einen Baum, denn kaum zwanzig Schritte vor ihm blitzte ein Gewehrlauf hinter dem Stamm einer Fichte hervor. Als er sich hastig hinter den schützenden Stamm schob, stieß er mit der Lampe an die rauhe Rinde, und sie entfiel seiner Hand.

„Lump! Das Gewehr weg!“ forderte er.

Wieder kam nur ein Lachen herüber, lustig und herausfordernd.

Weber drückte ab. Wie ein Blitz erhellte der Schein die Nacht, und das folgende Dunkel wurde noch dichter. Der Hall rollte dumpf durch den Wald und kam in lautem Echo vom gegenüberliegenden Roßberg zurück.

Der Gegner rührte sich nicht, so sehr der Aufseher Weber hinhorchte. Eine grimmige Wut erfaßte ihn. Kaum einen Meter von ihm weg lag die Taschenlampe auf dem Waldboden und strahlte ihn an. Das war ein Pech! Er preßte sich hinter den Stamm und schielte hinüber zu seinem Gegner, dessen Gewehrlauf ruhig auf ihn gerichtet war, und von dessen Gesicht nur wenig sich zeigte.

Die Lampe mußte weg! Schnell machte er einen Sprung zur Seite, um sie aufzuheben, ebenso plötzlich aber krachte drüben ein Schuß, und er warf sich, ohne die Lampe erwischt zu haben, zurück hinter den Stamm.

Was tun? Er konnte nicht aufs Geratewohl schießen, das wäre zwecklos. Vorläufig war er für den anderen ein gut beleuchtetes Ziel. Wie das Auge des Bösen funkelte ihn die Linse an. Mit den Schuhen stieß er die modernden Tannennadeln aus dem Boden und schleuderte sie hinüber zur Lampe. Bücken durfte er sich nicht, um nicht aus der Deckung zu kommen.

„Kommen Sie raus! Das Gewehr weg!“ forderte er den anderen noch einmal auf. Er bekam keine Antwort mehr, doch der Gewehrlauf blieb auf ihn gerichtet.

Nun hatte wenigstens das Schürfen seiner Füße Erfolg, und es gelang ihm, den Lichtschein mit Walderde zuzudecken. Tiefe Dunkelheit war jetzt um die beiden Widersacher.

Weber war schier ratlos. Angestrengt versuchte er im Finstern drüben den Stamm und das Gewehr auszumachen. Das Blut hämmerte in seinen Schläfen, daß er das Pochen hörte, als käme es von irgendwo her. Er wartete eine Viertelstunde und länger. Drüben rührte sich nichts.

„Zum letztenmal: Das Gewehr weg und raus!“

Sein auffordernder Ruf hallte dumpf von der Felswand zurück. Er wunderte sich über den müden und fast klagenden Ton des Echos. Eine Wut überkam ihn, daß er am liebsten die Deckung verlassen hätte, um einfach auf den Schmuggler zuzugehen. Er mußte die Taschenlampe wiederhaben. Sie glühte unter den Tannennadeln, als säßen Glühwürmchen auf dem Waldboden.

Er ließ sich auf die Knie nieder und kroch seitwärts.

Da blitzte es drüben auf, der Hall des Schusses donnerte vom Fels zurück, und ein dürrer Ast sank, begleitet von einem Nadelregen von oben herab.

Schnell zog er sich hinter den Stamm zurück. Der Gump wollte ihn also nur warnen und hatte in den Baum hinaufgeschossen.

Der Regen hatte nachgelassen, und ein Blick zum Himmel zeigte ihm dort im stürmenden Gewölk eine helle Stelle.

„Herrschaft!“ stöhnte er. Wenn der Mond nur einen Augenblick herauskäme! Er hoffte vergeblich, und die Zeit verrann.

Gut, dann mußte er eben warten, bis es Tag wurde. Seine Nerven waren angespannt, und seine Knie zitterten. Kein Laut kam von drüben, und der Wald war still. Hauchende Windstöße über der Berghöhe waren die letzten Zeichen des abziehenden Sturms. Drüben auf dem Roßberg rauschten die Bäume, und der vom Tal aufsteigende Luftzug brachte ab und zu das Brausen des Mühlwehrs bei der Finstermühle herauf. Zwei Stunden mochten vergangen sein oder auch drei. Aus dem Dunkel der Nacht wuchsen die Bäume ins Grau des kommenden Morgens, und er konnte schon deutlich den mächtigen Fichtenstamm ausmachen, hinter dem der Pascher Gump sich verborgen hatte. Schwarz und drohend war der Gewehrlauf auf die Deckung des Grenzaufsehers gerichtet.

Er starrte hinüber. War das überhaupt ein Gewehrlauf, der auf ihn gerichtet war? War das nicht nur ein dunkler Aststumpen? Eiskalt spürte er die Zweifel. Es war nur ein Ast, und nichts deutete darauf hin, daß sich dort drüben hinter dem Stamm noch jemand befand. Hatte der Bursche sich aus dem Staube gemacht, oder hatte er das Versteck in der Dunkelheit gewechselt?

Er lauerte die Umgebung ab. Nun war es schon gleich. Er sprang aus seiner Deckung und war mit drei Sätzen drüben. Was er im Dämmer des Morgens noch für einen Gewehrlauf gehalten hatte, war ein dürrer Ast. Die Enttäuschung trieb ihm Zornestränen in die Augen. Weit und breit kein Mensch, und im Wald war es nun totenstill.

Wieder umsonst! War denn das möglich? Hatte dieser Bursche einen Pakt mit dem Teufel? Das ganze Lauern und Horchen hatte nichts genutzt. Nun war der Gump weg! Den kalten Schweiß wischte er sich von der Stirn und sah sich noch einmal zweifelnd um. Da sah er einen Zettel in die rauhe Rinde des Baumes geklemmt und griff hastig danach und fluchte, als er ihn gelesen hatte.

Mit Bleistift war gekritzelt: „Recht gute Unterhaltung wünsche ich. Habe tausend Paketel Zigarettenpapier, fünf Liter Schnaps, fünf Pfund Rauchtabak und ein Pfund Süßstoff bei mir. Es grüßt der Gump.“

Er drehte den Zettel hin und her. Er war aus einem Notizbuch gerissen. Die Schrift war ihm bekannt genug. Er legte den Zettel in seine Brieftasche und wandte sich zum Gehen.

Verfluchte Geschichte! Am besten war, er meldete seinem Vorgesetzten nichts von diesem Vorfall, denn rühmlich war es keineswegs für ihn. Er hatte sich ganz plump hinters Licht führen lassen.

Etwas aber mußte er über seinen Nachtgang berichten, also würde er einfach sagen, daß er wieder einmal umsonst gewartet und vom Gump nichts gesehen hätte. Und künftig würde er dabei bleiben und noch mehr auf eigene Faust versuchen, den Pascher, wie sie hierzulande die Schmuggler hießen, den Gump, zur Strecke zu bringen.

Wie stünde er da, wenn ihm das gelänge! Ha!

Dieser Gedanke in die Zukunft half ihm für einen Augenblick über die erlittene Schlappe hinweg. Dann aber kroch die Müdigkeit ihm in die Glieder, und niedergeschlagen machte er sich auf den Weg ins Tal.

Es war Tag geworden, und über den Grenzbergen spannte der Himmel sich mit dem heiteren Blau des Frühlings über Wald und Tal. Die Morgensonne war über dem Roßberg aufgegangen und schien schon in die Mulde, in der die wenigen Häuser von Hinterhaid standen, etliche Holzbauernhäuser unter breiten Dächern, von Wind und Wetter gebräunt, das Forsthaus und das gemauerte weiße Haus des Kramers, in dem auch die Grenzaufsicht untergebracht war.

Vorbei war der Winter.

Ein Wässerlein rieselte neben ihm auf dem Steig ins Tal, und der Waldboden schien zu schwellen und aufzuatmen. Die Natur kündete Lebenslust und Lebensfreude.

Die Meisen drehten sich zwitschernd an den beknospeten Birkenästen, und am Roßberg meldete sich ein früher Kuckuck. Hier im Finstermühltal, in das er nun niederstieg, hatte die Herrschaft des Winters schon seit Tagen ein Ende, der letzte Schneerest war verronnen.

Der Grenzaufseher Weber folgte steinmüde dem Waldrand und mied den gewöhnlichen Weg an der Mühle vorbei zum Dorf. Am Bach entlang und sich hinter den Bäumen und Sträuchern haltend, überquerte er den Haidbach unterhalb des Dorfes und strebte nun eilig dem Kramerhaus zu. Heute hatte er kein Ohr für die Lerchen, die aus den gelbgrünen Wiesenflecken aufstiegen, und kein Auge für die Leute, die sich zur Feldarbeit rüsteten.

Als er mühsam die schweren Füße über die Stiege in den ersten Stock des Hauses schleppte und in seinem Zimmer verschwinden wollte, trat aus der gegenüberliegenden Tür der Oberaufseher Zach.

„Na? Was los gewesen?“

„Nichts, gar nichts“, murmelte Weber und ging in seine Stube, die ihm Wohnraum und Schlafstelle zugleich war. Zach folgte ihm.

„Waren Sie am Toten Köhler oder droben im Hochwald?“

Weber wich der Frage aus. „Ich muß schlafen, sonst fall ich um.“

„Na, reden wir später darüber“, meinte der Oberaufseher, wünschte guten Schlaf und zog die Tür hinter sich zu.

Mütze, Umhang und Gewehr legte der junge Grenzaufseher zur Seite und ließ sich, noch in den Schuhen, auf das Bett fallen und schlief augenblicklich ein.

Draußen begann das Dorf zu leben und zu arbeiten.

Die Geräusche des Tages schwollen an und schienen die Luft in Bewegung zu setzen, die den Keimgeruch der erwachenden Erde in das Zimmer trug. Der mürrische und ungeduldige Schrei eines Ochsen übertönte das Klappern eines Wagens, und vom Dorfanger her kam das eifrige Schnattern der Gänse, die sich dort um die ersten frischen Grasspitzen stritten.

In den ruhelosen Träumen des Schlafenden spuckte ein geschwärztes Gesicht, das etwas erstaunt, aber mehr belustigt als erschreckt in den Lichtkegel seiner Taschenlampe sah, und ein gutmütig spottendes Lachen marterte das gereizte Gehirn.

An den Hängen auf beiden Seiten des Haidbachs lagen die wenigen Gehöfte von Hinterhaid verstreut, und nur einige Häuser standen am Sträßlein, das durch die enge Talsohle führte, und bildeten das Dorf.

An diesem Morgen zog ein Paar kleiner Waldochsen träge ausschreitend einen knarrenden Wagen, beladen mit Kornsäcken, vom Hollererhäusl am Hang einen Feldweg herab zur Dorfstraße und strebte dem Finstermühltal zu. Die ausgeleierten Radbuchsen schlugen und nackelten an den Achsen, daß es in der stillen Morgenfrühe im ganzen Tal hörbar war. Zu diesem Lärmen des Wagens störte den Frieden auch noch das unmelodische Pfeifen des Hollerer. Gemächlich und sich der Gangart seiner Zugtiere fügend, trottete der Kleinbauer neben seinem Gefährt her und zeigte seine gute Laune den Dörflern durch ein lustiges Peitschenknallen an, das in vielfachem Echo von den Hauswänden der Talhäuser zurückkam. Beim Kramer öffnete sich gerade die Haustür, und der Grenzoberaufseher Zach trat auf die Straße. Sofort stellte der Hollerer das Pfeifen und Peitschenknallen ein, zog seinen speckigen Filzhut vom rothaarigen Schädel und plärrte laut und freundlich:

„Guten Morgen, Herr Oberaufseher!“

Dann drückte er den Hut wieder auf den Kopf, zwirbelte ein wenig verlegen an seinem roten Schnurrbärtchen und trieb die Ochsen an, als wollte er sich schnell von dem Beamten absetzen, der gutgelaunt den Gruß erwiderte:

„Guten Morgen, Hollerer! Wohin denn schon so früh?“

„In die Mühl“, tat der Hollerer Hiasl gleichgültig, holte die Pfeife aus der Tasche, füllte sie umständlich und setzte sie in Brand. Der Oberaufseher Zach blieb an seiner Seite und schritt neben dem Wagen her ebenfalls dem Finstermühltal zu.

Dieser fuchsrote Kleinbauer interessierte ihn schon lange. Dieses Schlitzohr wußte sicher mehr vom Schmuggel an der Grenze als viele andere, kannte vielleicht auch den geheimnisvollen Unbekannten, den großen Pascher, der sich Gump nannte. Sauber war dieser untersetzte Mann neben ihm nicht, das glaubte Zach felsenfest.

Um den Mund des Hiasl zuckte ein verstecktes Lächeln, und er zwinkerte nach dem Oberaufseher, der nicht von seiner Seite wich. Die mächtigen Rauchwolken, die aus seinem hölzernen Pfeifenkopf qualmten, zogen träge hinüber zum Hang und streiften die Nase des Beamten, der beiläufig meinte:

„Böhmischer Tabak?“

„Kann schon sein“, feixte der Hollerer listig.

„Wo gekauft?“

Der Kleinbauer nahm die Pfeife aus dem Mund und deutete mit dem Mundstück über die Schulter zurück: „Beim Kramer.“

„So, so.“

„Mit dem Steuerbandl!“

Zach hatte keine Lust, sich weiter mit dem verschlagenen Mann zu unterhalten, und blieb zurück. Das Fuhrwerk bog in den Wald ein und klapperte auf dem schmalen Weg neben dem Haidbach weiter. Nun pfiff der Hollerer wieder, und der Zach glaubte die Weise zu kennen. Die Dorfbuben sangen sie schon: „Wer kennt den Pascher Gump —“

Jetzt würde das rothaarige Bäuerlein sich eins grinsen. Man sollte sich mit diesen Leuten gar nicht unterhalten, denn es war dabei doch nichts zu erfahren. Der Hollerer aber wurde immer unsicher und verlegen, wenn er ihm begegnete, und das mußte doch seinen Grund haben. Sie hatten ihn einmal im dringenden Verdacht gehabt, der geheimnisvolle Gump zu sein, hatten nächtelang sein Häusl bewacht und sogar eine Haussuchung gehalten.

Und hatten nichts gefunden, rein gar nichts!

Auf einem gefällten Fichtenstamm, etwas abseits vom Sträßlein, setzte er sich hin. Mit der Faust griff er in die Luft nach etwas Unsichtbarem. Einmal müßte man halt einen der Burschen fassen und richtig in die Zange nehmen können. Wenn man nur eine erste Spur hätte! Daß man von den Leuten hier herum keine Unterstützung erwarten konnte, war ihm klar. Die meisten hatten ihr Vergnügen an der Sache und freuten sich über die Verwegenheit und Frechheit des unbekannten Paschers, und ein Schuß Pascherblut steckte schließlich auch in jedem der Grenzdörfler schon von alters her.

Und eines beschäftigte ihn seit Tagen: Wer brachte alles unter die Leute? Man wußte im Dorf von den Zetteln, die der Gump seinen Häschern hinterlegte, man erzählte sich die Streiche, die er den Grenzern lieferte! Von den Aufsehern stammten diese Informationen nicht! Also konnten sie nur vom Gump selber stammen.

Ausgerechnet er mußte in diesem verlassenen Nest hocken und Dienst tun, und gerade in seinem Bezirk mußte dieser Pascher sein Unwesen treiben! Das war Pech.

Sein junger Kollege Weber nahm die Sache noch ernster, vielleicht zu ernst. Er war ehrgeizig, und die Sache mit dem Gump war ihm zur persönlichen Feindschaft mit einem Unbekannten geworden. Ob das gut war? Er lächelte resigniert. Der Oberaufseher Zach konnte sich dabei nicht so sehr aufregen. Bei ihm hatten sich Ehrgeiz und Strebertum die Hörner bereits abgestoßen. Für ihn war der Grenzdienst einfach Beruf. Er kannte seine Pflicht, und es kam ihm auch nicht darauf an, über den regulären Dienst hinaus einmal eine Nacht zu opfern. Darüber hinaus aber sich in Gefahr zu begeben, seine Gesundheit zu ruinieren oder doch einmal bei einem Schußwechsel mit dem Gump zu Schaden zu kommen, dafür fühlte er sich zu alt. Schließlich hatte er auch Frau und Kinder.

Beim Weber war das anders, und ein Feuerkopf war er überdies auch noch.

„Guten Morgen, Herr Oberaufseher!“

Auf einem vom Walde niederführenden Steig war der Förster Schaller herangekommen, ein älterer Mann, der gemütlich schmunzelte und zwinkerte.

Der Oberaufseher erhob sich und freute sich sichtlich über das Zusammentreffen.

„Guten Morgen! Kommen Sie heute schon aus dem Revier?“

„Hab ein bisserl nachschauen müssen. Ist alleweil was los bei uns. Heut Nacht hat es wieder gekracht da droben.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er die Richtung an.

Am Toten Köhler? Hm, da war mein Kollege unterwegs. Hat mir aber noch nichts davon gesagt.“

„Das sind Zeiten!“ seufzte der Förster. „Zwölf Jahre bin ich schon hier, aber so dich ist es noch net hergegangen wie jetzt. Möcht net wissen, wieviel Gewehre die Burschen aus dem Krieg mit heimgebracht haben. Und die vom Grenzschutz? Denen traue ich überhaupt net! Höchste Zeit, daß man diese Leute nach Hause schickt, damit sie wieder zu einer richtigen Arbeit kommen.“

„Wir haben beide keine gute Zeit“, tat der Oberaufseher verdrossen. „Glauben Sie, daß mich mein Geschäft freut? Dieser Gump führt uns ganz schön an der Nase herum, und so lange ich diesen Vogel net habe, muß ich jeden Menschen hier für einen Gauner halten.“

„Jeder Lump legt sich die Schlinge selber, in der er hängen bleibt. Riesengeschäfte sind ja jetzt an der Grenze net zu machen. Wird möglicherweise mehr ein Kunde in meinem Revier sein als in dem Ihren. Hab aber noch nichts mit ihm zu tun gehabt. Ich meine halt: Ein Pascher, der mit einem Gewehr herumrennt, ist doch net so wahrscheinlich wie ein Wilddieb.“

„Wär mir auch lieber, er gehörte zu Ihrer Kundschaft, aber wir haben schon unsere Erfahrung mit ihm.“

„Na ja, ist halt alles noch ein wenig aus der Ordnung“, begütigte der Förster den Zorn des Oberaufsehers, und sie gingen auseinander, der Förster Schalter dem Dorf zu und der Oberaufseher Zach weiter auf dem Sträßlein zur Finstermühle. Der Haidbach hauchte noch die Winterkälte aus, und auf dem Weg splitterte das Eis auf den gefrorenen Wasserlachen unter seinen Tritten wie brechendes Glas. Das Rauschen der eilenden Wasser füllte das enger werdende Tal, und die dicht stehenden Baumbestände ließen die Morgensonne noch nicht auf den Bachgrund scheinen.

Nach ein paar hundert Metern weitete sich das Tal, der Wald wich zurück. Dort lag dicht am Wasser ein alter Mühlenbau mit Mühle und Wohnhaus unter einem Dach. Der vom Berghang kommende Bach wurde in einer Holzrinne über das Wasserrad geleitet, und das Brausen und Plätschern erfüllte Tag und Nacht die Schlucht und die zum Toten Köhler und zum Roßberg ansteigenden Wälder. Erst beim Näherkommen hörte man hinter den Mauern der Mühle das Klappern der Mahlgänge und das Quietschen der hölzernen Kammräder. Wo die Wasser über das Rad wieder in den Bach stürzten, hatten sie seit urdenklicher Zeit im Bachbett gewühlt, und sie drehten sich in einem dunklen Strudel, ehe sie im steinigen Lauf des Baches davoneilten.

Die Morgensonne schien nun auch schon in den Talgrund und auf das erste Grün der Mühlwiese. Der hellgraue Rauch aus dem Kamin des Wohnhauses stieg kerzengerade hoch. Als Zach sich über den Steg der Mühle näherte, luden der Hollerer und die beiden Mühlburschen die Säcke vom Wagen und trugen sie in die Mahlstube. Gerade kam der ältere Mühlknecht heraus, um wieder einen Sack aufzunehmen. Er war ein finster dreinblickender Mann, musterte nur den Beamten gleichgültig und ohne Gruß, huckte den Kornsack auf und verschwand eilig wieder. Inzwischen war der jüngere Mühlbursche gekommen und grüßte mit einem freundlichen Lächeln. Er war gegen den Älteren fast klein und schmal, aber lustige und lebhafte dunkle Augen und ein Lächeln in seinem offenen und ehrlichen Gesicht machten ihn sympathisch.

Erstaunt nahm der Oberaufseher zur Kenntnis, wie leicht der schmächtige Bursche die schweren Säcke lupfte. Interessiert sah er zu und wartete, bis der Mühlbursch wieder zurückkam, um den letzten Sack zu holen. Dann sprach er ihn an:

„Hast ja eine Bärenkraft, Loisl!“

„Solche Säcke lupf ich schon noch!“ lachte der Bursche.

„Kommst du dieser Tage wieder in die Stadt?“

„Ich denk schon.“

„Kannst bei meiner Frau nachfragen, die hat wieder was zu bestellen.“

„Ist recht, Herr Oberaufseher.“ Damit verschwand er mit dem Sack in der Mahlstube, und in deren Tür erschien wieder der ältere Mühlknecht.

Zach ging weiter. Dieser brummige und stoffelige Kerl war ihm widerlich. War wohl ein wenig beschränkt und redefaul und konnte die Grenzer nicht leiden. Kein Wunder, daß dieser verdrossene Mann noch ledig war, obwohl er schon in den Vierzigern sein mußte. Für so einen Klotz fand sich nicht leicht eine bereit, sich für ein Leben lang mit ihm zusammenzutun.

Ehe er in den Wald einbog, sah er noch einmal zurück. Vor der Mühle standen nun der Hollerer und der alte Mühlknecht, der Franz, beisammen und hatten es, den Gebärden nach, sehr wichtig.

Wenn man wüßte, was sie nun redeten, dann wüßte man vielleicht alles! Irgendwie waren ihm diese zwei verdächtig. Auf die Finstermühle hatten sie in letzter Zeit ohnehin ihr besonderes Augenmerk gerichtet. Einige Nächte hatten sie drüben auf der Roßbergseite unter den Bäumen gestanden, aber ohne Erfolg.

Seine Gedanken kehrten zum jungen Mühlburschen, dem Loisl, zurück. Dieser allzeit freundliche junge Mann war ihm sympathisch. Er paßte schier nicht in diese Mühle zu den verschrobenen Mühlleuten. Vor einem Jahr war der Loisl Wettacher aus der Gefangenschaft gekommen und hier in der Mühle als Mühlknecht geblieben, weil er in seine Heimat drüben im Böhmerwald nicht zurück wollte oder konnte. Er mußte sich als österreichischer Kaiserjäger tapfer geschlagen haben, denn einmal hatte er dem Oberaufseher seine Auszeichnungen gezeigt. In Hinterhaid war der Loisl sehr beliebt, da er gut Zither spielen und dazu mit angenehmer Stimme singen und jodeln konnte. Wenn er und der Mühlknecht Franz im Wirtshaus zusammen sangen, dann legte selbst dieser brummige Bursche seine Bärbeißigkeit ab.

Seine Leidenschaft waren Bücher, das wußte man im ganzen Gebiet. Den Hauptteil seines Verdienstes legte er in Büchern an, hieß es, und oft holte er in der Woche zweimal aus der zwei Stunden entfernten Kreisstadt neuen Lesestoff. Dabei war er, da er sehr gefällig war, zum Boten der Beamten geworden, nahm für das Forsthaus und die Grenzaufseher mit, was sie ihm auftrugen.

Der Oberaufseher ging durch den mit Birken gemischen Fichtenwald am Südhang des Toten Köhler und auf dem Waldrücken, aus dem der Haidbach kam und ins Tal zur Mühle hinabstürzte, hinüber zum Roßberg. Es war ein schöner Frühlingstag geworden mit seidigblauem Himmel. Braun und von der Schneelast des vergangenen Winters auf den Waldboden gepreßt, lag der Farn, und kleine Schneereste bargen sich hier oben noch im Dickicht.

Auf dem Toten Köhler hatte es also heute Nacht geknallt?

Daß der Weber ihm davon nichts gesagt hatte! Wollte er ihm etwas verheimlichen? Da mußte er ihn ein wenig ausfragen, wenn er heimkam.

Vom Roßberg folgte er wieder dem Steig, der hier zur Finstermühle hinunterführte. In der Sonne des späten Vormittags lag das alte Haus friedlich am Bach, und am Brunnen wusch ein blondhaariges Mädchen Wäsche.

Die Mariann! Sie war den Mühlleuten noch verblieben, nachdem der Sohn im Krieg gefallen war. Ein recht hübsches Mädchen.

Noch einmal nahm er den Weg an der Mühle vorbei. Sie gewahrte ihn nicht, schwenkte mit den vor Kälte geröteten Armen die Wäsche im Trog, und das blonde Haar hing ihr ins Gesicht.

„So im eiskalten Wasser herumplantschen, das kann doch net gesund sein?“

Mit einer Kopfbewegung warf die Mariann die Haare zurück, richtete sich auf und lachte.

„Das macht mir nix aus, Herr Oberaufseher!“

Nach kurzem Überlegen fragte Zach:

„Sagen Sie mal, Mariann, wie lange ist eigentlich der Franz schon bei euch?“

„Ich denke, daß das schon zwanzig Jahre sind. Er ist weitschichtig verwandt zu uns. Warum?“

„Ich meine nur so“, winkte Zach ab und forschte weiter: „Der kann sich wohl selber net leiden. Ist er alleweil so ein verdrossenes Mannsbild?“

„O ja, der redet net viel, ist aber ein guter Kerl.“

„Und der Loisl?“

„Der Loisl?“ Sie lachte: „Der? Alleweil schnackerlfidel, wenn er net gerade über seinen Büchern sitzt. Und das tut er oft ganze Nächte.“

„Kannst ihn gut leiden, wie?“ neckte der Oberaufseher, und sie errötete. Schnell aber sagte sie:

„Pah, das ist ja ein Spinner.“

Schmunzelnd ging der Oberaufseher weiter, stieg wieder gegen den Roßberg an, um über einen Waldsteig nach Hinterhaid zurückzugehen.

Ringsum dunstete der tauende Waldboden, und die Meisen turnten zwitschernd in den Bäumen.

Immer wieder zog es ihn nach dieser Finstermühle, gerade als triebe ihn eine Ahnung, daß dort, direkt unter der Grenze, sich etwas täte, was ihn anginge. Seinem jungen Kollegen erging es wohl auch so, denn dieser kam noch öfter ins Mühltal. Er konnte aber auch einen anderen Grund haben.

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