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Engelszungen und Todesgrüße: Der humorvolle Kriminalroman »Sonne, Mord und Sterne« von Lotte Minck jetzt als eBook bei dotbooks. Stella Albrecht ist Astrologin mit Herz und Verstand – und deswegen alles andere als begeistert, auf dem diesjährigen Kongress ihrer Zunft auch Marlene Silberstein begegnen zu müssen: Die gilt zwar als strahlender Stern am Firmament der Astrologieszene, ist aber eine unseriöse Scharlatanin, die ihre gutgläubigen Kunden ausnutzt. Ist sie dabei nun möglicherweise zu weit gegangen? Denn plötzlich findet man Marlene … erschlagen mit ihrer eigenen Siegertrophäe! Stella beginnt sofort zu ermitteln, aber der Fall wird immer verzwickter. So ungerne sie es zugibt, sie wird die Hilfe von Arno Tillikowski brauchen – ausgerechnet dem Polizeikommissar, der so gar nichts von ihrer spirituellen Profession hält … Nach der Erfolgsserie um Loretta Luchs trumpft Lotte Minck in ihrer Reihe um Vollzeit-Astrologin und Hobby-Detektivin Stella Albrecht abermals auf – mit schrägen Szenarien, einer liebenswürdigen Ermittlerin und ihrem unverwechselbaren Humor! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schwungvolle Ruhrpott-Krimi »Sonne, Mord und Sterne« von Lotte Minck – der dritte Band ihrer Reihe um Hobbyermittlerin Stella Albrecht und Polizeikommissar Arno Tillikowski, bei der alle Bände unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 393
Über dieses Buch:
Stella Albrecht ist Astrologin mit Herz und Verstand – und deswegen alles andere als begeistert, auf dem diesjährigen Kongress ihrer Zunft auch Marlene Silberstein begegnen zu müssen: Die gilt zwar als strahlender Stern am Firmament der Astrologieszene, ist aber eine unseriöse Scharlatanin, die ihre gutgläubigen Kunden ausnutzt. Ist sie dabei nun möglicherweise zu weit gegangen? Denn plötzlich findet man Marlene … erschlagen mit ihrer eigenen Siegertrophäe! Stella beginnt sofort zu ermitteln, aber der Fall wird immer verzwickter. So ungerne sie es zugibt, sie wird die Hilfe von Arno Tillikowski brauchen – ausgerechnet dem Polizeikommissar, der so gar nichts von ihrer spirituellen Profession hält …
Nach der Erfolgsserie um Loretta Luchs trumpft Lotte Minck in ihrer Reihe um Vollzeit-Astrologin und Hobby-Detektivin Stella Albrecht abermals auf – mit schrägen Szenarien, einer liebenswürdigen Ermittlerin und ihrem unverwechselbaren Humor!
Über die Autorin:
Lotte Minck, auch bekannt als Stella Conrad oder Frau Keller vom Duo Auerbach & Keller, ist das Pseudonym der Autorin Brenda Stumpf. Sie hat viele Jahre im Ruhrgebiet gelebt, wo sie Popstars bekocht, Events organisiert und in einer Schauspielagentur Termine jongliert hat. Ihre humorvollen Krimis um Stella Albrecht sind eine Liebeserklärung an das Ruhrgebiet, seine Menschen und ihre liebenswerten Eigenheiten.
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Reihe um Hobbyermittlerin Stella Albrecht und Polizeikommissar Arno Tillikowski: »Planetenpolka«, »Venuswalzer« und »Sonne, Mord und Sterne«.
Unter dem Pseudonym Stella Conrad veröffentlichte die Autorin bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Küchenfee«, »Das Glück der Küchenfee«, »Die Tortenkönigin«, »Die Glücksträumerin«, »Der Feind an meinem Tisch« und »Die Glücksköchin« als eBooks.
Als Print-Ausgabe ist von Stella Conrad bei dotbooks »Die Tortenkönigin« erschienen.
Die Website der Autorin: www.roman-manufaktur.de/
Die Autorin auf Instagram: www.instagram.com/romanmanufaktur/
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Aktualisierte eBook-Neuausgabe August 2022
Copyright © der Originalausgabe 2020 Droste Verlag GmbH, Düsseldorf
Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: © HildenDesign unter Verwendung einer Illustration von Ommo Wille, Berlin
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)
ISBN 978-3-98690-251-3
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Lotte Minck
Sonne, Mord und Sterne
Ein Ruhrpott-Krimi mit Stella Albrecht
dotbooks.
Marlene Silberstein stand im Bad ihrer Hotelsuite und betrachtete sich im Spiegel.
Wie immer war sie überaus zufrieden mit dem, was sie sah: eine schöne Frau. Geschicktes Makeup, eine Top-Figur und der kesse, leuchtend rote Bubikopf ließen sie aussehen wie ein Stummfilmstar.
Sie wirkte deutlich jünger, als sie in Wirklichkeit war. Obwohl … Sie beugte sich vor, bis ihre Nase fast die Glasfläche berührte. Da – Fältchen. Um die Augen herum sowieso, und neuerdings auch, wenn sie die Lippen zum Kussmund spitzte. Es war wieder einmal höchste Zeit, sich unters Messer zu legen. Sie stand in der Öffentlichkeit, und es galt, ewig jung und schön zu bleiben, auch wenn das eine Menge Geld kostete. Mittlerweile war sie Profi darin, die Bühnenscheinwerfer perfekt einstellen zu lassen, wenn sie einen Auftritt hatte, das hatte sie sich bei Marlene Dietrich abgeguckt. Andere konnten sich von ihr aus jede Pore einzeln ausleuchten lassen.
Andere wie ihre Kolleginnen aus der Branche zum Beispiel. Die meisten gaben sich ›natürlich‹, wie sie es nannten, in Gewändern aus Bio-Baumwolle und mit Frisuren, die jeder Beschreibung spotteten. Natürlich? Von wegen. Marlene schnaubte leise. ›Ungepflegt‹, das traf es wohl besser. Nicht ohne Grund war sie der Star der Astrologieszene; immerhin war wissenschaftlich erwiesen, dass attraktive Menschen schneller Karriere machten als andere.
Aber: Jeder, wie er wollte. Und sie wollte es glamourös. Ihre Karriere hatte begonnen, als ein damals noch relativ junger Privatsender eine hübsche Vorleserin fürs Tageshoroskop benötigt hatte. Nicht mehr und nicht weniger. Sie – Gudrun Jablonski aus Wanne-Eickel – hatte sich beworben, und bereits vier Wochen später hatte sie zum ersten Mal vor der Kamera gestanden.
Zwei wesentliche Dinge hatten sich während dieser vier Wochen geändert: ihr Name und ihr Aussehen – vorher hübsch und durchaus sexy, danach aufgedonnert wie eine Zirkusprinzessin. Mit einem Foto des Stummfilmstars Louise Brooks war sie zum Friseur gegangen und hatte um genau diesen Pagenschnitt gebeten. Der Friseur war entsetzt gewesen, dass sie ihre langen blonden Locken abschneiden wollte, aber sie war standhaft geblieben. Sie wollte nicht nur eine neue Frisur haben – sie wollte eine andere Frau werden.
Sie hatte Ehrgeiz, und sie wollte Karriere machen, das stand für sie von Anfang an fest. Sie hatte immer ins Fernsehen gewollt, egal wie und egal, als was.
Dass man als Gudrun Jablonski nichts werden konnte, war ihr gleich klargewesen, also hatte sie sich umgehend ein Pseudonym zugelegt: Marlene Silberstein. Den Vornamen hatte sie sich von ihrem Idol Marlene Dietrich ausgeborgt; am Nachnamen hatte sie einige Tage herumgedoktert. Rhythmus sollte der Name haben, mystisch und zugleich edel klingen, und dann hatte sie in einer Zeitungsannonce ›Silberstein‹ gefunden. Marlene Silberstein. Perfekt. Erst später entdeckte sie, dass Silber in der Astrologie das Metall des Mondes und der Mond der Planet der Frauen war.
Kurz hatte sie darüber nachgedacht, noch ein ›von‹ dazwischenzusetzen, aber das war ihr letztendlich doch zu pompös erschienen.
Marlene Silberstein war beim Publikum eingeschlagen wie eine Bombe; ihre Fanpost hatte Säcke gefüllt. Und sofort hatte der Doktor-Brinkmann-Effekt eingesetzt: So, wie man den Darsteller dieser Rolle seinerzeit um medizinische Ratschläge gebeten hatte, ersuchten ihre Fans sie um Horoskope und astrologische Beratung.
Selbstverständlich hatte sie von Astrologie nicht mehr Ahnung gehabt als ein Deichschaf vom Tangotanzen; schließlich las sie lediglich vor, was jemand anderes formuliert hatte. Vermutlich wurden diese Tageshoroskope ohnehin ausgewürfelt oder entstanden per Zufallsgenerator – sie hatte sich anfangs nie gefragt, aus wessen Feder dieser Unsinn stammte.
Allerdings hatte sie mit der ersten Fanpost sofort begriffen, dass sie auf eine Goldader gestoßen war, sie war ja nicht blöd. Umgehend hatte sie den Plan fallengelassen, diese Tageshoroskop-Sache nur als erste Stufe zur großen Samstagabend-Show zu benutzen, und sich auf die Astrologie konzentriert.
Es war die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen.
Kometengleich war ihr Aufstieg zum strahlenden Stern am Firmament der Branche gewesen, und folgerichtig hatte man ihr gestern Abend den ›Saturn‹ verliehen, eine pampelmusengroße, gläserne Skulptur des Planeten auf einem quadratischen Marmorsockel. Nun ja. Das Ding war grottenhässlich und kitschig, und Saturn war außerdem kein sympathischer Planet – aber wozu gab es schließlich Gästeklos?
Mit strahlendem Lächeln – ihre Zähne hatten ein Vermögen gekostet – hatte sie den Preis entgegengenommen. Noch besser als die Auszeichnung selbst waren die missgünstigen und neidischen Gesichter einiger Kollegen gewesen – herrlich. Vor allem einige der Herrschaften, die täglich bei Zodiac TV über die Mattscheibe flimmerten, hatten sich nur unter größten Mühen zu Applaus hinreißen lassen. Diesen Neid hatte sie sich hart verdient, das wusste Marlene Silberstein. Denn den Neid spüren nur diejenigen, die von Venus besonders begünstigt sind.
Die kleine, niedliche Gudrun Jablonski hatte ihr altes Leben damals ohne Bedauern hinter sich gelassen, es war rasch nur noch ein schwaches Echo aus der Vergangenheit gewesen. Kontaktversuche ehemaliger Schulkameraden hatte sie rigoros abgeblockt oder gleich ignoriert.
Und doch war ihre Vergangenheit heute aufgetaucht: Bei ihrer Signierstunde hatte er plötzlich vor ihr gestanden – ein ehemaliger Schulkamerad, dem sie das Abitur versaut hatte, um sich selbst zu retten. Sie hatte mit ihm geschlafen, um an die Prüfungsaufgaben zu kommen, und tatsächlich hatte er die Aufgaben für sie gestohlen. Sie hatte ihn noch einige Male in ihr Bett gelassen und dann abgesägt. Die Prüfungen waren erledigt gewesen, und sie hatte ihn nicht mehr gebraucht. Er flehte und bettelte, aber sie blieb hart. Daraufhin hatte er gedroht, sie auffliegen zu lassen, falls sie das Verhältnis mit ihm nicht fortsetzen wolle. Sie hatte um Bedenkzeit gebeten und sich damit einen entscheidenden, zeitlichen Vorteil verschafft, denn gleich am nächsten Tag hatte sie gehandelt.
Oder anders formuliert: Hätten gewisse zwei Lehrer nicht einen starken Hang zu jungen Mädchen gehabt … nun ja. Wie auch immer, sie hatte ihren Körper schon damals zielgerichtet einzusetzen gewusst. Sie hatte behauptet, er habe Sex dafür verlangt, ihr die Aufgaben zu geben, und die allgemeine Empörung war riesig gewesen. Tatsache war ja, dass er die Aufgaben tatsächlich gestohlen hatte.
Unter großem Tamtam war ihm das hervorragende Abitur aberkannt worden – und heute, mehr als fünfundzwanzig Jahre später, stand er plötzlich vor ihr und klagte sie an, sie habe sein Leben zerstört. Er wolle eine finanzielle Entschädigung von ihr, hatte er gesagt.
Was für ein Spinner.
Zugegeben, sie war zuerst sehr erschrocken gewesen, aber mittlerweile hatte sie sich längst wieder beruhigt. Er wollte ihr Angst einjagen? Nun, dafür musste er schon etwas früher aufstehen. Zwar hatte sie ihm – wie verlangt – ihre Handynummer gegeben, aber sie hatte mehrere davon, und diese eine würde es ab morgen nicht mehr geben. Morgen in aller Frühe ging ihr Flug zurück nach Mallorca, wo sie auf einer luxuriösen, aber versteckt liegenden Finca lebte, deren Adresse nur sehr wenige Menschen kannten. Dort war sie vor ihm sicher.
Sie ging hinüber ins Schlafzimmer der Suite, um sich für ihren späteren Gast umzukleiden. Auf Reisen hatte sie stets eine kleine Auswahl verführerischer Dessous dabei, man wusste ja nie. Böse Zungen bezeichneten sie als nymphoman, das wusste sie genau. Aber was schert es eine Eiche, wenn sich eine Sau an ihr scheuert? Eben. Sie war Venus in ihrer höchsten Perfektion und hatte gern Sex; schließlich war sie eine alleinstehende, selbstbewusste Frau. Sie nahm sich, wonach ihr gerade der Sinn stand. Oft war es ein Mann, zuweilen eine Frau – je nachdem, worauf sie Lust hatte.
Und heute war es ein Mann.
Auch gestern Nacht war es ein Mann gewesen; allerdings hatte sie einer Frau dafür eine herbe Abfuhr erteilen müssen. Die Dame hatte nicht sehr souverän reagiert, das war etwas unangenehm gewesen. Marlene zuckte innerlich mit den Schultern. Manchmal wählte sie rein nach dem Lustprinzip, manchmal kam ein wenig Kalkül dazu.
Schließlich musste sie sehen, wo sie blieb.
Der Herr von gestern Nacht war für sein Alter ganz erstaunlich fit gewesen, und er war ein absoluter Alpha-Mann, auch wenn er rein äußerlich nicht so erschien. Er wirkte etwas versponnen, aber unter dieser Fassade war er ein knallharter Geschäftsmann, das wusste sie. Natürlich bedeutete eine gemeinsam verbrachte Nacht nicht automatisch, dass der beteiligte Herr sich damit einen exklusiven Anspruch auf sie erwarb, und das hatte sie ihm deutlich klargemacht. Er hatte wie ein vollendeter Gentleman reagiert, das musste sie ihm wirklich lassen. Immerhin hatte sie angedeutet, dass sie sich letztlich für ihn entscheiden würde …
Auch heute Nacht war es nicht irgendein Mann, sondern Holger van Aalen, der dieses Branchenevent auf die Beine gestellt hatte. Auf Dracula-hafte Art attraktiv, war auch er international als Astrologe tätig. Er hatte einen Ruf wie Donnerhall, und Verehrerinnen lagen ihm scharenweise zu Füßen, das hatte sie während der letzten zwei Tage beobachten können. Irgendwo hatte sie mal aufgeschnappt, er solle ein sensationeller Liebhaber sein. Nun, das konnte er ihr heute Nacht beweisen. Die perfekte Paarung: König und Königin der Branche.
Heute, beim Abschlussdinner, hatte sie auf Teufel komm raus mit ihm geflirtet, wobei ihr die Tatsache, dass sie seine Tischdame gewesen war, durchaus in die Karten gespielt hatte. Und sie hatte sich nicht einmal davon abhalten lassen, dass sein Mitbewerber mit ihnen am Tisch saß. Manche würden das vielleicht grausam nennen, aber sie spielte stets mit offenen Karten.
Nun ja, van Aalen wusste bisher noch nichts von der Konkurrenzsituation, aber sie würde ihm – später – reinen Wein einschenken. Beide fanden sie nicht nur als Frau attraktiv, sondern auch als potenzielle Geschäftspartnerin. Wenn das mal keine Win-Win-Situation war! Für van Aalen sprach allerdings, dass er deutlich jünger und dynamischer als sein Mitbewerber war.
Das gesamte Programm hatte sie durchgezogen: kleine Berührungen, kokette Augenaufschläge, perlendes Lachen bei jeder seiner auch nur halbwegs geistreichen Bemerkungen, Spielen mit ihren Haaren – und schließlich hatte sie ihm unter dem Tisch die Hand auf den Oberschenkel gelegt, nur für den Fall, dass er bis dahin noch nicht kapiert haben sollte. Man wusste ja nie.
Aber er hatte kapiert – oh ja, das hatte er. Er hatte sofort zugesagt, als sie ihm gegen Ende des Abends diskret die Einladung zu einem Glas Champagner in ihrer Suite ins Ohr gehaucht hatte. Wie zufällig hatte sie ihren Zimmerschlüssel auf den Tisch gelegt.
Herrje, Männer waren so leicht zu manipulieren.
Marlene Silberstein wählte ein halbtransparentes, schwarzes Negligé, dazu einen winzigen Seidentanga und halterlose Strümpfe. Zarte Pantöffelchen aus Satin mit Pfennigabsatz vervollständigten perfekt das raffinierte Outfit, das ihm garantiert gefallen würde, dessen war sie sicher. Sie sah erotisch, aber nicht billig aus.
Sie schlenderte summend durch den Raum und zündete einige strategisch platzierte Duftkerzen an, dann löschte sie alle Lampen. Perfekt. Dann kehrte sie ins Bad zurück, um sich noch einmal im Spiegel zu mustern. Bei schummriger Beleuchtung ging sie locker für Ende zwanzig durch – und sie würde dafür sorgen, dass van Aalen die helle Deckenbeleuchtung nicht einschaltete.
Sie tupfte sich einige Tropfen Chanel in die Kniekehlen.
Natürlich benutzte sie nicht die Plörre, die sie für viel Geld an ihre Fans verhökerte. Angeblich hatte sie höchst selbst die Parfüms für die einzelnen Sternzeichen komponiert. Eine orientalische Note mit Jasmin und einem Hauch Moschus für die sinnliche Stier-Frau, Zitrusfrüchte plus Zimt und Lavendel für die selbstbewusste Löwin, Rose mit Honig und Vanille für die harmoniebedürftige Waage-Lady oder die holzigen Töne von Sandelholz, Zypresse und Zeder für die sachliche Steinböckin. Zugegeben, die recht teure Duft-Linie könnte sich besser verkaufen, aber zur Lösung dieses Problems lag ihr bereits ein Angebot auf dem Tisch.
Marlene Silberstein griff gerade zur Haarbürste, als es an der Tür der Suite klopfte. Sie streckte den Kopf aus der Badezimmertür und rief: »Nur herein, Liebling, es ist offen! Ich brauche noch eine Sekunde!«
Sie kehrte zum Spiegel zurück und kämmte sich. Mit einem Lächeln registrierte sie, dass jemand die Suite betrat.
»Vielleicht öffnest du schon mal den Champagner?«, rief sie herüber. »Er steht neben dem Bett!«
Sie erhielt keine Antwort, aber leise Schritte näherten sich dem Bad.
»Du kannst es wohl kaum erwarten. Man sollte eine Dame aber nicht stören, wenn sie sich für den Herrn hübsch macht«, sagte sie, während sie sich zum Spiegel beugte und konzentriert die Lippen nachzog.
Dann richtete sie sich auf und löschte das Licht.
Deshalb sah sie auch nicht, dass es der gerade erhaltene ›Saturn‹ war, der auf ihren Hinterkopf krachte und sie in Sekundenschnelle vom Leben in den Tod beförderte.
Beziehungsweise sein scharfkantiger Marmorsockel.
Aber das war dann auch schon egal.
Stella Albrecht war zufrieden: die sonntägliche Kaffeetafel war ihr gelungen. Für sich selbst hätte sie nicht einen derartigen Aufwand betrieben, aber ausnahmsweise hatte ihre Mutter zugesagt, Maria und ihr Gesellschaft zu leisten. Dass sie zu dritt zusammensaßen, kam selten genug vor, obwohl sie die Familienvilla gemeinsam bewohnten. Naja, nicht gerade als Wohngemeinschaft, aber sie lebten unter einem Dach: Oma Maria im Erdgeschoss, Felicitas in der Mitte und Stella unterm Dach. Dafür sahen sie sich bemerkenswert selten.
Umso schöner, sich mal wieder zu treffen.
Stella hatte kleine Obsttörtchen gemacht, den Tisch mit Blumen aus dem Garten geschmückt und mit schönem Geschirr eingedeckt. Es war ein sonniger Spätsommernachmittag, und sie hatte für das Treffen die gepflasterte Fläche am Gartenteich ausgewählt. Blieb noch zu hoffen, dass es friedlich verlaufen würde.
Das allerdings war zweifelhaft, stellte sie fest, als sie ihre Großmutter herankommen sah: Maria trug eine staubig wirkende Latzhose mit einem T-Shirt darunter, und ihr Haar war unter einem karierten Tuch verborgen.
»Eine Tischdecke?« Maria stemmte die Hände in die Seiten und musterte die Kaffeetafel. »Kommt die Königin von England zum Kaffee?«
»Dann hätte ich statt Kaffee vermutlich Tee gekocht, denkst du nicht auch? Nein, Mama leistet uns Gesellschaft.«
Maria hob die Brauen. »Das ist nur ein unwesentlicher Unterschied, meine Liebe.«
»Da magst du recht haben«, murmelte Stella und fügte hinzu: »Du würdest dich nicht zufällig umziehen …?«
»Vergiss es. Ich habe bis gerade eben meinen Wagen von außen geputzt; gleich ist der Innenraum dran. Ich habe nur deshalb unterbrochen, weil du gesagt hast, um vier gäbe es Kaffee und Kuchen. Nachher geht es weiter. Ich werde mich jetzt bestimmt nicht aufdonnern, nur weil mein Outfit das ästhetische Empfinden meiner piekfeinen Tochter beleidigen könnte.« Maria setzte sich an den Tisch und griff zur Warmhaltekanne. »Ich brauche jetzt dringend einen Kaffee.«
Felicitas Albrecht kam in diesem Moment über den Weg, der um die Orangerie herumführte, in den Garten. Wie immer war sie tadellos gekleidet. Sie sah stets so aus wie … nun, wie die Oberstudienrätin, die sie war. Egal, ob bei der Arbeit oder in ihrer Freizeit. Stella hatte sie noch niemals in einer Jeans gesehen, fiel ihr ein, als sie ihrer Mutter entgegenlächelte.
»Mama«, sagte sie herzlich, »wie schön, dass du Zeit hast. Setz dich doch.«
Felicitas erwiderte das Lächeln, das allerdings bei Marias Anblick verschwand, als würde Kreideschrift mit einem nassen Schwamm von einer Tafel gewischt. »Du arbeitest neuerdings beim Straßenbau, Mutter?«, fragte sie spitz, während sie sich setzte.
Maria zuckte mit den Schultern. »Irgendwie muss der Mensch ja überleben. Zur Not im Straßenbau.« Sie nahm sich ein Blaubeertörtchen von der Kuchenplatte und verbarg es unter einem Berg Sahne.
»Oma ist gerade damit beschäftigt, ihren Wagen zu putzen«, sagte Stella.
»Heute? An einem Sonntag?« Felicitas konnte es offenkundig nicht fassen.
Maria ließ die Kuchengabel sinken. »Ja, an einem Sonntag. Wen belästige ich damit, wenn ich fragen darf, wenn ich den Wagen putze, der in einer Remise steht? Nicht, dass ich mich vor dir zu rechtfertigen hätte, aber es ist noch einige zu tun, bevor mein schöner Wagen und ich am nächsten Wochenende unseren großen Auftritt haben.«
»Großer Auftritt?« Felicitas war sichtlich alarmiert. »Wie darf ich das denn verstehen?«
Oha – das Gespräch schlug gerade eine Richtung ein, die Stella ganz und gar nicht behagte. Sie betraten gefährliches Terrain, denn Felicitas’ großer Kummer war die Tatsache, dass Stella als Astrologin und Maria als Kartenlegerin und Wahrsagerin arbeitete. Wann immer das Thema darauf kam, wurde es kritisch. Aber nun war es zu spät.
»Mama, du hast doch sicherlich im Ruhrgebiets-Anzeiger von dem Astrologie-Kongress gelesen, der am Wochenende in Bochum stattfindet«, sagte Stella.
»Mein Wagen und ich werden die Attraktion sein«, fügte Maria hinzu.
»Dass ihr an diesem peinlichen Mummenschanz teilnehmt, habe ich schon befürchtet«, gab Felicitas zurück.
»Wieso befürchtet?«, fragte Maria. »Hast du mal wieder Angst, man könnte herausfinden, dass du mit derart peinlichen Verwandten wie Stella und mir gestraft bist? Hm, dann hätte ich die Aufschrift am Wagen wohl nicht ändern sollen …« Sie grinste und fuhr fort: »Dort steht nämlich jetzt Madame Pythia –Durchgeknallte Mutter der seriösen Felicitas Albrecht.«
Felicitas Albrecht schnappte nach Luft und machte Anstalten, aufzustehen, aber Stella legte ihr die Hand auf den Arm. »Lass dich nicht ärgern, Mama. Natürlich nehmen Oma und ich daran teil. Am ersten Tag bleibt die Branche unter sich, und ich werde vor Kollegen einen Vortrag halten. Am nächsten Tag ist allerdings fürs Publikum geöffnet. Vielleicht hättest du ja Lust, zu kommen? Ich führe dich gerne herum.«
»Um mir Geistheiler anzugucken?«, fragte Felicitas. »Und zu sehen, wie meine Mutter sich mit ihrem Zirkuswagen zum Narren macht? Ich glaube kaum.«
»Wie schade«, erwiderte Maria mit einem Achselzucken, »ich hatte nämlich vor, das eingenommene Geld deinem kleinen Damenkränzchen zukommen zu lassen. Aber du legst scheinbar großen Wert darauf, dass die Spenden für eure Arbeit aus seriösen Quellen stammen.«
Stella grinste innerlich – bei dem ›kleinen Damenkränzchen‹, das Maria erwähnt hatte, handelte es sich um eine Gruppe gut situierter Damen der Gesellschaft, die Geld für wechselnde wohltätige Organisationen sammelte.
»Natürlich kann ich kein Geld annehmen, das mit Scharlatanerie verdient wurde«, sagte Felicitas.
»Mama, das ist nicht fair!« Stella schüttelte den Kopf. »Oma ist keine Betrügerin.«
Maria winkte ab. »Du musst mich nicht verteidigen, Kind. Aber ich erkläre es dir gerne genauer, Felicitas: Jeder Kunde darf für meinen Service geben, was er für angemessen hält. Jeder wird wissen, wohin ich das Geld spende. Du weißt genau, dass ich mich bei solchen Veranstaltungen immer mit einem kleinen Augenzwinkern präsentiere. Was nicht bedeutet, dass ich mir irgendwelchen Blödsinn ausdenke, wenn ich jemandem die Karten lege. Das nehme ich stets ernst. Stella hat recht: Sieh es dir doch einfach mal an.« Sie grinste spitzbübisch und fügte hinzu: »Schon allein, um zu sehen, dass ich bei Weitem nicht die Verrückteste der Branche bin. Immerhin behaupte ich nicht, regelmäßig mit Erzengeln zu reden.«
Stella dankte im Stillen dafür, dass ihre Großmutter versöhnliche Töne anschlug, anstatt die Auseinandersetzung mit Felicitas auf die Spitze zu treiben und eskalieren zu lassen – wie es oft genug passierte.
Insgeheim hatte sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ihre Mutter irgendwann einmal von ihrer Tätigkeit zu überzeugen, die von Scharlatanerie weit entfernt war. Psychologische Lebensberatung – das traf es weitaus besser; immerhin hatte sie Psychologie studiert. Oft hatte sie Sätze gehört wie: »Ich lasse mein Horoskop nicht machen, denn ich will meine Zukunft nicht wissen.«
Dass seriös betriebene Astrologie niemals die Zukunft vorhersagte, schienen die meisten Menschen nicht zu wissen. Das war auch kein Wunder, denn beim Fernsehsender Zodiac TV präsentierten sich Kartenleger und vermeintliche Astrologen, die sehr konkrete Vorhersagen dazu machten, wann der ersehnte Traumpartner käme oder wann ein Lotteriegewinn zu erwarten sei. Und das innerhalb von Sekunden, ohne den Anrufer beziehungsweise die Anruferin zu kennen.
»Mit Erzengeln reden – das wäre ja wohl noch schöner«, sagte Felicitas mit gerümpfter Nase. »Das kann doch kein Mensch glauben!«
»Offenbar kennst du Zodiac TV nicht, mein Kind«, erwiderte Maria. »Dort rufen die Menschen im Minutentakt an, um Botschaften von Engeln zu bekommen oder mit lieben Verstorbenen im Jenseits Kontakt aufzunehmen. Das ist ein Riesengeschäft. Im Gegensatz dazu bin ich so seriös wie ein Finanzdienstleister.«
»Also, dass die als seriös gelten, wäre mir neu«, murmelte Felicitas in ihre Kaffeetasse.
Dem musste Stella insgeheim zustimmen, aber sie hütete sich, es laut auszusprechen.
Später ging Stella in die Remise, wo Maria gerade dabei war, ihrem Zirkuswagen – dem geliebten Erinnerungsstück an ihre Vergangenheit auf dem Jahrmarkt – den letzten Schliff zu verpassen. Mittlerweile diente der hölzerne Wagen ihr als Rückzugsort oder manchmal auch für Treffen mit ihrem alten Weggefährten und engen Freund Otto Korittke, wenn den beiden mal wieder danach war, in Erinnerungen zu schwelgen. Daraus, dass sie auch ein Liebespaar waren, machten die beiden längst kein Geheimnis mehr.
Die Tür des Wagens stand offen. Stella stieg die paar Stufen hinauf und spähte hinein: Maria war damit beschäftigt, abzustauben. Stella klopfte an den Türrahmen. »Störe ich dich gerade?«
»Du störst nie, mein Schatz«, erwiderte Maria und stellte den Staubwedel beiseite.
Stella ließ sich auf das gemütliche Sofa fallen. »Danke, dass du den Streit vorhin nicht auf die Spitze getrieben hast.«
»Ach, das wird doch auf Dauer langweilig.« Maria winkte ab. »Wir zicken uns an, und dann rauscht Felicitas beleidigt ab. Schnarch. Öfter mal was Neues.«
»Denkst du, sie kann sich überwinden und kommt zum Publikumstag?«
»Ich weiß nicht, ob du dir das wünschen solltest, Kind. Und wenn, dann müsstest du sie gezielt zum Beispiel an den Knallchargen von Zodiac TV vorbei lotsen. Stell dir nur mal vor, sie sieht diesen Erzengel-Flüsterer in Aktion! Du wirst Jahre brauchen, um sie davon zu überzeugen, dass wir mit denen nichts zu tun haben.«
»Van Aalen war nicht davon abzubringen, ihn zum Kongress einzuladen. Außerdem ist er ja auch der Chef des Senders«, sagte Stella. »Da war van Aalen leider absolut beratungsresistent.«
»Na und?« Maria zuckte mit den Schultern. »Ist ja schließlich seine Veranstaltung. Mich stören diese Typen nicht; ich finde sie lustig. Außerdem braucht er diese Trash-Stars, um Publikum anzulocken, das ihm ordentlich Eintrittsgeld in die Kasse spült. Und ihr Unterhaltungswert ist unbestritten, das musst du zugeben.« Sie schloss die Augen, legte theatralisch die Hand an die Stirn, stieß ein Stöhnen aus und hauchte dann: »Ich konzentriere mich … Engel Galgaliel spricht zu mir … ich habe Kontakt zu höheren Geisteswesen …«
Stella musste lachen – ihre Großmutter parodierte den betreffenden Herrn wirklich perfekt.
Mit normaler Stimme sprach Maria weiter. »Überhaupt sollten wir uns mal wieder einen Fernsehabend mit Zodiac TV gönnen, finde ich. Schon allein, um auf dem Laufenden zu bleiben, wer oder was der aktuelle heiße Scheiß ist. Du weißt, ich halte eine Menge von Marktbeobachtung.«
»Wer dabei ist, werden wir spätestens beim Kongress sehen. Die werden ihre Paradepferdchen durchs Dorf treiben, dessen bin ich sicher. Bestimmt lassen sie sich nicht die Gelegenheit entgehen, im seriösen Segment unserer Branche endlich Anerkennung zu finden.«
»Pfff.« Maria schnaubte. »Da können die aber lange warten. Das, was die am Telefon bieten, ist wirklich reine Abzockerei. Aber noch gespannter bin ich auf Marlene Silberstein. Wenn jemand der unbestrittene Star der Veranstaltung ist, dann doch wohl sie.«
»Dass ausgerechnet sie für die Auszeichnung nominiert ist, hat schon im Vorfeld für böses Blut gesorgt, soweit ich weiß«, erwiderte Stella. »Dennoch hat van Aalen eine kluge Wahl getroffen: Sie ist bekannt genug, um eine Menge Leute anzuziehen. Aber etlichen Kollegen passt das natürlich nicht. Die Silberstein ist ihnen viel zu glamourös. Hinter ihrem Rücken wird viel getratscht. Sie habe sich hochgeschlafen, blablabla. Und das ist genau der Fehler, den ihre Kritiker machen: Sie kritisieren die Frau auf einer sehr persönlichen Ebene. Für ihre fachliche Kompetenz spielt es keine Rolle, ob sie herumschläft.«
»Ich freue mich jedenfalls schon auf die Preisverleihung«, sagte Maria. »Schließlich bin ich ebenfalls nominiert, wenn auch nur als Alibi-Nominierte. Du hast ja leider abgelehnt.«
»Selbstverständlich habe ich das. Ich lasse mich von van Aalen nicht vor den Karren seiner getürkten Wahl spannen. Jeder ahnt, dass Marlene als Gewinnerin längst feststeht.«
Maria zuckte mit den Schultern. »Egal, ich mache den Spaß mit. Immerhin sitzen wir dadurch in der ersten Reihe und sehen die Gesichter derjenigen, die neidisch auf Marlene Silbersteins Auszeichnung sind, aus nächster Nähe. Ist sie eigentlich fachlich kompetent?«
»Das kann ich schlecht beurteilen. Will ich auch gar nicht. Weißt du, beruflich findet sie eher am Rand meines Gesichtsfelds statt. Wir kommen uns nicht in die Quere, da gibt es keine Überschneidungen. Zugegeben, sie inszeniert sich gerne als große Diva, aber …« Stella grinste und fuhr fort: »Aber das tust du ja auch.«
»Allerdings tue ich das. Die Welt braucht große Diven; wir sind das Salz in der Einheitssuppe. Wie sähe es denn bitte aus, wenn ich in Jeans und T-Shirt die Karten legen würde? Meine Klienten wären enttäuscht. Ein bisschen Magie muss schon sein.«
Stella liebte das Madame-Pythia-Styling ihrer Großmutter, das die ganz große Show bot: schimmernder Kaftan aus kostbarem Stoff, Turban aus Samt – wahlweise mit Schmuckstein über der Stirn oder mit wippender Pfauenfeder –, auffälliger Schmuck. Wie man sich eine Wahrsagerin halt vorstellte – und Maria bediente dieses Klischee leidenschaftlich gern. Unnötig, zu erwähnen, dass Felicitas beinahe Schreikrämpfe bekam, wenn sie ihre Mutter in dieser Kostümierung sah.
»Du wirst alle überstrahlen«, sagte Stella. »Selbst Marlene Silberstein.«
Maria nickte lächelnd. »Das hat Otto auch gesagt. Übrigens wird er sich in eine alte Zirkusuniform werfen und vor meinem Wagen Leute anlocken.«
»Großartige Idee; das werde ich mir ansehen. Ich habe am Publikumstag ja weiter nichts zu tun, als abends zum Dinner zu gehen. Das fehlte noch, dass ich in der Halle einen Stand aufbaue und Werbung für mich mache … nie im Leben. Van Aalen hat es mir zwar angeboten, aber ich habe dankend abgelehnt.«
»Natürlich hast du das. Aber er wird es sich wohl kaum entgehen lassen, für seine Horoskop-Fabrik die Werbetrommel zu rühren, oder?«
»Vermutlich nicht. Er hat ja genug Angestellte, die das für ihn machen können. Außerdem investiert er eine Menge Geld in die Veranstaltung. Das Hotel, die Halle … und Marlene Silberstein hat er bestimmt auch nicht umsonst gekriegt. Wie ich mitbekommen habe, ist eine ordentliche Gage fällig, wenn sie als Stargast gebucht wird.«
Maria seufzte theatralisch. »Die Dame weiß, wie’s gemacht wird. Vielleicht sollte ich mich mal mit ihr unterhalten und ein paar Tipps holen?«
»Als hättest du zusätzliche Einnahmen nötig. Oder Werbung. Ben sagt, er will dich für die Berichterstattung über die Veranstaltung interviewen?«
»Ja, wir haben morgen einen Termin. Und Holger van Aalen schafft es endlich ganz groß in den Ruhrgebiets-Anzeiger; damit geht für ihn doch ein großer Traum in Erfüllung, oder? Allerdings widerstrebt es Ben, van Aalen in den Mittelpunkt zu stellen – und da komme ich ins Spiel.«
Stella grinste innerlich – natürlich wusste sie von den meist fruchtlosen Bemühungen ihres Astrologen-Kollegen, sich an prominenter Stelle in der größten Tageszeitung des Ruhrgebiets zu präsentieren. Ben – Benjamin Glaeser – war Lokalreporter und gleichzeitig ein alter Schulfreund von Stella; deshalb erfuhr sie einiges von dem, was hinter den Kulissen der örtlichen Tagespresse vor sich ging. Und dass Ben sich standhaft weigerte, van Aalen ein kostenloses Forum für dessen kommerzielle Vorträge und Seminare zu bieten, mit denen der Astrologe eine Menge Geld verdiente.
»Was will er dich denn fragen, das er nicht ohnehin schon über dich weiß?«
Maria zuckte mit den Schultern. »Keinen Schimmer. Auf jeden Fall will er ein paar Fotos schießen. Ich soll mich schick machen, hat er gesagt. Mit allem Zipp und Zapp. Eine super Gelegenheit, für meine Spenden-Aktion zu werben. Nachdem deine Mutter ja nun doch zugestimmt hat, das Geld gnädigerweise anzunehmen. Eigentlich gehört sie mit aufs Foto, finde ich.«
»Eher zündet sie sich die Haare an«, erwiderte Stella.
»Maria – ich bin geblendet. Du strahlst heller als die Sonne!« Ben stöhnte theatralisch und bedeckte die Augen mit den Händen.
Maria war sichtlich geschmeichelt. »Ich habe also nicht zu dick aufgetragen?« Sie drehte sich kichernd um sich selbst. »Sei ehrlich, Junge.«
»Zu dick auftragen? Du? Niemals.«
»Sie sieht aus, als hätte man sie unbeaufsichtigt den Kostümfundus für Bollywood-Filme plündern lassen«, sagte Stella grinsend. »Wie ein durchgeknallter Maharadscha.«
»Nur kein Neid. Außerdem: wenn schon, dann Maharani, meine Liebe.« Maria wedelte mit den Armen und machte dann eine schwungvolle, klimpernde Verbeugung. Als Madame Pythia war sie ein schillerndes Gesamtkunstwerk.
»Zuerst die Fotos oder erst das Interview?«, fragte Ben.
»Die Fotos«, erwiderte Maria. »Dann kann ich mich für unser Gespräch wieder in meine Alltagskluft werfen.«
Ben nickte und schulterte seine Kameratasche. »Vielleicht sollte ich auch ein paar Bilder von dir in Jeans knipsen. Ich fände es überaus spannend, den Lesern beide Facetten zu zeigen. Was meint ihr?«
»Ich weiß nicht recht.« Maria sah Stella fragend an, aber die zuckte nur mit den Schultern. »Eigentlich ist mir die Trennung der beiden Personen wichtig, Ben. Als Madame Pythia bin ich halt immer in vollem Ornat. Das gehört zu meiner Rolle, das ist Madame Pythia. In Alltagskleidung bin ich Maria Schmidt. Aber mal sehen.«
Sie verließen die Orangerie, in der Stella und Maria ihre Arbeitsbereiche hatten, und machten sich auf den Weg zur Remise, die sich längs der Auffahrt zur Villa erstreckte. Dort stand Marias geliebter Zirkuswagen, mit dem sie früher von Jahrmarkt zu Jahrmarkt gereist war.
Als sie gerade die Villa passierten, kam der Postbote die Auffahrt heraufgeradelt. Bei Marias Anblick verriss er den Lenker und wäre beinahe in die Büsche am Rand der Pflasterung gefahren, aber in letzter Sekunde brachte er sein schwer beladenes Gefährt zum Stehen.
»Sie können mir die Post geben«, sagte Stella.
»Ich … äh … ja.« Fahrig wühlte der Mann in seiner Umhängetasche herum, wobei sein Blick immer wieder zu Maria irrte. Schließlich zog er einige Briefe heraus und überreichte sie Stella. »Hier, für Sie und für … äh … Frau Schmidt …?«
Tatsächlich schien er nicht sicher zu sein, ob es sich bei der – für ihn sicherlich – bizarren Gestalt um die ihm bekannte Frau Schmidt handelte.
»Die bin ich, mein Lieber.« Maria nickte huldvoll und ließ die lange Feder am Turban munter wippen. »Sie haben mich wohl nicht erkannt?«
»Ich … äh … nein. Sonst sehen Sie anders aus.«
»Na, Sie tragen Ihre Uniform doch bestimmt auch nicht vierundzwanzig Stunden lang, mein Guter. Ich bin in Arbeitskleidung, das ist alles.«
»Arbeitskleidung?« Der Postbote war sichtlich verwirrt.
»Aber ja.« Klimpernd trat Maria auf ihn zu und streckte die Rechte aus. »Geben Sie mir Ihre Hand. Ich werde Ihnen etwas über Sie erzählen.« Der überrumpelte Mann tat, worum sie ihn gebeten hatte, und Maria studierte ausgiebig die Innenfläche seiner Rechten. »Hm … ich sehe hier, dass Sie viel an der frischen Luft sind. Sie begegnen sehr vielen Menschen. Sie haben eine wichtige Aufgabe … da … ich sehe Merkur … Sie überbringen den Menschen Botschaften, manchmal gute, manchmal schlechte. Sie sind Teil einer riesengroßen Gemeinschaft von tapferen Frauen und Männern, die den Menschen Botschaften …«
Mit einem Ruck zog der Mann seine Hand zurück. »Sie wollen mich wohl verkackeiern!«
Maria lächelte strahlend. »Nur ein kleiner Scherz, nicht böse sein. Ich schätze Ihre Arbeit und die Ihrer Kollegen sehr hoch ein, das sei Ihnen versichert. Bei Wind und Wetter sind Sie unterwegs … schließlich ist es nicht immer so schön wie heute.«
»Danke«, sagte der Postbote. »Das höre ich viel zu selten, wissen Sie?«
Er nickte zum Abschied, schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr die Auffahrt hinunter.
»Diese fantastische Szene würde ich echt zu gern als Aufhänger für meinen Artikel benutzen.« Ben grinste über das ganze Gesicht. »Eine Begegnung zwischen Wahn und Wirklichkeit. Oder so ähnlich.«
»Nicht frech werden, Bengel«, erwiderte Maria lachend. »Das mit dem Wahn will ich nicht gehört haben. Komm, lass uns die Fotos machen, damit ich schnell wieder aus dem Fummel rauskomme.«
Amüsiert sah Stella dabei zu, wie viel Spaß ihre Oma damit hatte, für Ben zu posieren: vor dem Wagen mit seiner Aufschrift Madame Pythia und natürlich im Inneren zwischen dem esoterischen Firlefanz, mit dem Maria ihren mobilen Arbeitsplatz ausgestattet hatte. Selbst Stella musste zugeben, dass es ein beeindruckender Anblick war, wenn Maria konzentriert in ihre große Glaskugel blickte.
Als er fertig war, sahen sie sich die Fotos auf dem Display seiner Kamera an, und Maria nickte zufrieden. »Sehr schön. Ich ziehe mich um. Wir treffen uns in einer Viertelstunde am Teich.«
Die Sitzgruppe aus verwitterten Korbsesseln, die auf einer gepflasterten Fläche am Teich standen, war Stellas Lieblingsort in ihrem Teil des Gartens. Es war ein Bereich hinter der Orangerie, den sie Felicitas abgetrotzt hatte, die am liebsten das gesamte Areal um die Villa herum in einen pflegeleichten englischen Landschaftspark verwandelt hätte. Hier herrschte eine bunte Vielfalt an blühenden Pflanzen, und auf dem Teich schwammen Seerosen, auf deren Blättern kleine Frösche Sonnenbäder nahmen.
Sie liebte es, hier zu sitzen und nachzudenken, dabei die Libellen und Vögel zu beobachten, die durch das kleine Paradies schwirrten und flatterten. Vereinzelte Essigbäume mit ihrem Laub aus gefiederten Blättern spendeten Schatten, auch über den Korbsesseln, denn Stella saß nicht gerne in der prallen Sonne. Im Herbst verfärbte das Laub sich über Gelb und Orange zu einem intensiv leuchtenden Karmesinrot – ein traumhaft schöner Anblick, wie sie fand. Dafür nahm sie gern in Kauf, ständig die zahllosen Ableger der Essigbäume bekämpfen zu müssen, die überall sprossen. Am liebsten hätte sie die kleinen Bäumchen wachsen lassen, aber dann hätte ihr Garten sich rasch in einen dichten Wald verwandelt, und so weit ging ihre Liebe zu den hübschen Ziergehölzen nun doch nicht.
Ben setzte sich und streckte die Beine aus. »Hier könnte ich bis an mein Lebensende sitzen und nur auf den Teich glotzen«, sagte er mit einem Seufzen.
»Und dich von mir bedienen lassen, nehme ich mal an«, erwiderte Stella.
»Dagegen wehren würde ich mich ganz sicher nicht. Aber das müsste nicht unbedingt sein. Einfach nur hier sitzen, den Tag verträumen, den Fröschen zuhören …« Wieder seufzte er. »Aber was muss ich stattdessen machen? Über den Kongress der Geistheiler, Astrologen und Alchemisten berichten. So viel Wahnsinn auf einem Haufen …«
»Du beleidigst mich. Ich nehme schließlich auch daran teil, vergiss das nicht.«
»Du bist aber nicht halb so wahnsinnig wie diese Clowns von Zodiac TV.«
Stella lachte. »Ich vermute, das sollte ein Kompliment sein. Nicht halb so wahnsinnig … wie schmeichelhaft.«
»Ach, du weißt doch genau, wie ich das meine. Hier …«, er wühlte in seiner Umhängetasche und zog eine schwarzglänzende Mappe hervor, auf der in schwungvollen, goldenen Lettern van Aalens Name prangte. »Das hat der große Guru mir als Informationsmaterial geschickt. Es sollte mich wohl beeindrucken, aber es hat mich nur zum Lachen gebracht.«
»Ich fürchte, du überschätzt dich, mein lieber Ben. Kaum vorstellbar, dass er die Mappe speziell für dich so aufwendig produziert hat.«
»Auch wieder wahr. Trotzdem … da stehen Typen drin, unglaublich. Du musst mir ein paar zusätzliche Infos zu denen geben.«
»Ich glaube, da solltest du besser Oma fragen, die war auf einer Vorbesprechung. Willst du was trinken?«
»Ein Mineralwasser wäre schön. Für ein zischendes Pils ist es ja leider noch viel zu früh.«
»Das entscheidest allein du.« Stella zuckte mit den Schultern. »Wenn du dir vormittags Alkohol in die Birne knallen willst – bitte. Ich bin nicht deine Mami.«
Lachend winkte Ben ab. »Lass mal besser. Mein Chef ist bestimmt nicht begeistert, wenn ich später mit einer Bierfahne in die Redaktion getaumelt komme.«
Stella ging zurück zur Orangerie, um Mineralwasser und Gläser zu holen. Als sie wieder herauskam, gesellte sich Maria zu ihr, die nun verwaschene Jeans, Sneakers und Strickpullover trug.
»Ich sehe, du hast Holgers Mappe bekommen«, sagte Maria zu Ben und setzte sich.
»Kommt mir wie ein schräges Märchenbuch vor«, erwiderte Ben mit einem Nicken. »Ich habe gelesen, dass du für diesen Preis nominiert bist.«
»Schon, aber das ist nur ein Fake. Das muss unter uns bleiben, hört du? Die anderen Nominierten wissen selbstverständlich nicht, dass längst beschlossene Sache ist, wer den ›Saturn‹ bekommt.«
»Nämlich?«
»Marlene Silberstein natürlich«, warf Stella ein, die die Gläser gefüllt hatte und sich nun ebenfalls setzte.
»Ah …«, Ben schlug die Mappe auf und deutete auf das Foto einer schönen Frau. »Das ist diese aufgedonnerte Tussi, wie ich sehe, die zufällig gleichzeitig der Stargast der Messe ist. Autogrammstunden, soso … Ist die denn so bekannt, dass sie Autogramme geben muss?«
Maria nickte. »Das ist sie. Sie ist seit zwei Jahrzehnten in den Medien und das Gesicht der Astrologie. Sie hat etliche Bücher geschrieben und hat vor kurzem zwölf Parfüms auf den Markt gebracht.«
Ben hob die Brauen. »Gleich zwölf? Ist das nicht ein klitzekleines Bisschen übertrieben?«
»Für jedes Sternzeichen eins«, erklärte Stella.
»Und wer sind die beiden anderen?« Er blätterte weiter und las vor: »Filibert Fröhlich und … Moment, wie heißt die? … Sixta Sensualia? Gütiger Himmel. Das sind doch keinen echten Namen, oder? So wie Madame Pythia?«
»Also: Filibert Fröhlich heißt wirklich so«, erwiderte Maria grinsend. »Kaum zu glauben, aber wahr. Er ist der Gründer und Chef von Zodiac TV. Stinkreich. Aber nicht allein durch den Sender, sondern durch die Beratungsplattform, die er parallel betreibt. Das ist so etwas wie eine Astro-Hotline, bei der Hunderte von Beratern arbeiten. Nur die Superstars der Hotline sind im TV zu sehen. Zu denen übrigens auch Filibert selbst gehört. Angeblich wird er ständig von Engeln begleitet. Die Leute vergöttern ihn.«
Stella hob die Hand. »Moment – Astro-Hotline trifft es nicht ganz, denn die Beratungen«, sie malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft, »gehen weit über Astrologie hinaus. Beziehungsweise haben mit der Astrologie, wie zum Beispiel ich sie betreibe, rein gar nichts zu tun. Dort wird Wahrsagerei angeboten, außerdem Jenseitskontakte, schamanisches Hellsehen, Engelkontakte, Aurasehen und dergleichen mehr.«
Ben starrte sie ungläubig an. »Du machst Witze. Wie kann ich denn die Aura von jemandem sehen, mit dem ich lediglich telefoniere?«
»Das frage ich mich auch«, sagte Maria mit einem Achselzucken. »Aber einige der Berater behaupten, dass sie es können. Sie nehmen dann Kontakt mit einem Astralwesen auf, das ihnen alles über den jeweiligen Anrufer mitteilt. Oder so ähnlich.«
»Das muss ich erst einmal verdauen«, murmelte Ben. Dann sah er von Maria zu Stella. »Und mit dieser Masche verdient dieser Dagobert …«
»Filibert«, korrigierte Maria.
Ungeduldig wedelte Ben mit der Hand und fuhr fort: »Damit verdient er sein Geld? Mit den Leuten, die auf diesen Blödsinn hereinfallen? Klingt für mich nach Abzocke. Da gibt es doch bestimmt verzweifelte Menschen, die Rat suchen, immer wieder dort anrufen und Unsummen verplempern.«
»Bestimmt gibt es die«, sagte Stella. »Aber alle sind erwachsen und können mit ihrem Geld machen, was sie wollen. Es ist ja nicht gerade so, dass Fröhlich bei denen an der Haustür klingelt, ihnen eine Knarre an den Kopf hält und sie zwingt, dort anzurufen.«
»Und diese Sixta Sowieso gehört auch zu dieser sauberen Bande?«, fragte Ben.
»Sie ist eine der absoluten Topstars des Senders, ergo auch der Plattform. Sie ist Auraleserin, außerdem ist sie natürlich hellsichtig und kann Gedanken lesen. Nicht nur das: Sie kann angeblich auch die Gedanken des Partners lesen.« Maria kicherte. »Ganz schön ausgeschlafen, wenn ihr mich fragt. Die Gedanken des Partners … darauf muss man erstmal kommen. Deshalb ist sie vermutlich auch so beliebt. Bei ihr rufen wahrscheinlich scharenweise Frauen an, die wissen wollen, was ihr Kerl denkt.«
»Immerhin eins der großen Mysterien der Menschheit: Was denkt mein Mann?«, sagte Stella lachend. »Ist doch super, wenn es jemanden gibt, der diese Frage beantworten kann.«
Ben schüttelte den Kopf. »Ich bin fassungslos, wie dumm Menschen sein können. Aber eines kapiere ich nicht: Van Aalen ist doch ein … hm … seriöser Astrologe, richtig?« Die beiden Frauen nickten, und er fuhr fort: »Warum bietet er diesen Leuten dann ein derart großes Forum auf seiner Veranstaltung? Er schießt sich doch selbst ins Knie, wenn er sich mit denen in ein Boot setzt.«
»Du musst seine Persönlichkeit verstehen«, sagte Stella. »Er ist ein Machtmensch, ein Alpha. Er ist erfolgreich, wohlhabend und durchaus angesehen. Mittlerweile hat er etliche Angestellte, die für ihn die einfachen Horoskope erstellen und verschicken. Das ist das Kleinvieh, das aber eine Menge Mist macht. Bei allem Erfolg ist er aber mit der Astrologie nach wie vor nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Er will noch mehr Geld verdienen. Und er will, dass möglichst viele Leute auf seine Messe kommen.«
»Und da kommt Dagobert ins Spiel«, murmelte Ben.
»Exakt.« Stella nickte mit einem Lächeln. »Noch ein Alphamännchen, aber deutlich erfolgreicher als van Aalen. Fröhlich hat die breite Öffentlichkeit einkassiert, zumindest die Menschen, die für Dinge wie Engel, Tarot, Hellsehen und auch Astrologie empfänglich sind. Das ist immer noch lediglich ein relativ kleiner Prozentsatz der gesamten Bevölkerung, aber denen bietet er die Möglichkeit, binnen Minuten einen Berater zu erreichen und persönlich zu sprechen. Auf der Plattform ist jeder Berater mit einem Kurzportrait zu finden. Du klickst beispielsweise die Kategorie Jenseitskontakte an, und schon werden dir alle aufgelistet, die das anbieten. Du suchst dir einen oder eine aus und wählst eine Telefonnummer – fertig.« Sie griff nach ihrem Glas und trank.
»Ich kapiere immer noch nicht ganz …«, sagte Ben.
Maria grinste und tätschelte seinen Arm. »Du bist doch sonst nicht so schwer von Kapee, Junge. Beinahe alle Menschen im Umkreis von Bochum oder im gesamten Ruhrpott, die zur eben von Stella beschriebenen Kategorie gehören, kennen vermutlich Zodiac TV und die Stars des Senders. Im Ruhrpott leben 5 Millionen Menschen, und wenn nur ein Prozent davon sich für diese Form der Grenzwissenschaften interessiert, sind das 50.000 Leute, die Zodiac TV kennen. Van Aalen macht wie verrückt Werbung für die Messe: Radio, Lokalfernsehen, Presse, Internet. Und jetzt lass nur 10 Prozent der Interessierten zur Messe kommen – das sind 5000 Leute, die 20 Euro Eintritt zahlen, weil sie dort Sixta und Filibert persönlich treffen können. Natürlich wird Holger sich und sein Unternehmen prominent auf der Messe präsentieren und auf Kundenfang gehen. Deshalb hat er sich Zodiac TV ins Boot geholt. Diese Messe ist ein erster Testlauf. Er will in diesem Bereich ganz groß werden. Größer als Filibert.«
»Dafür wird er sich aber ins Zeug legen müssen«, sagte Ben, »bei dem Vorsprung, den Dagobert hat.«
»Na und?« Maria zuckte mit den Schultern. »Holger van Aalen ist verdammt ehrgeizig. Er hat sich ein Ziel gesetzt und wird mit aller Macht versuchen, es zu erreichen – nicht ohne Grund ist Mars-Pluto seine Lieblingskonstellation. Er hat angedeutet, dass eine Zusammenarbeit mit Marlene Silberstein im Raum steht. Sie an seiner Seite …«, sie schnalzte mit der Zunge, »das ist wie Caesar und Kleopatra.«
»Nun, Caesar ist in dieser Verbindung ja bekanntlich nicht sehr alt geworden.« Ben grinste.
»Dann eben Sisi und Kaiser Franz Joseph«, erwiderte Maria. »Alphafrau plus Alphamann, und die bilden dann die strahlende Speerspitze der Astrologiebranche.«
Ben wandte sich an Stella. »Und was sagst du dazu?«
»Ich? Gar nichts. Das alles spielt sich ohnehin lediglich am Rande meiner Wahrnehmung ab. Ich werde auf dem Kongress einen Vortrag halten, weil van Aalen mich wochenlang bekniet und mir letztlich ein finanzielles Angebot gemacht hat, das ich nur ausschlagen könnte, wenn ich vollkommen bescheuert wäre.«
»Was wird dein Thema sein, Liebes?«, fragte Maria.
»Sonne und die Heldenreise im Horoskop«, erwiderte Stella. »Wirst du zu den Vorträgen kommen, Ben?«
»So gern ich dir zuhöre …«, Ben zuckte in gespieltem Bedauern mit den Schultern, »aber leider habe ich Samstag bereits einen anderen Auftrag. Mir reicht gerade, dass ich über die Messe am Publikumstag berichten muss. Außerdem würde ich vermutlich sowieso höchstens die Hälfte verstehen, wenn ihr über Konstellationen, rückläufige Umlaufbahnen und Aszendenten redet. Alles nur böhmische Dörfer für mich. Und wenn dann erst so ein Engelsflüsterer loslegt … herrje. Wie soll ich mich da nicht kaputtlachen?«
»Immerhin scheinst du mittlerweile schon einige Fachbegriffe aufgeschnappt zu haben. Rückläufige Umlaufbahn – ich bin beeindruckt«, sagte Stella.
»Schon, aber ich habe keinen Schimmer, was das bedeutet«, gab Ben zurück. »Planeten, die rückwärts laufen? Reichlich merkwürdig.«
»Ich könnte es dir erklären, wenn du willst«, sagte Maria.
Ben winkte ab. »Nettes Angebot, aber ich verzichte. Ich muss nicht alles auf der Welt verstehen. Lass uns lieber über dich reden, Maria.«
Zwei Tage später erschien Bens Text im Ruhrgebiets-Anzeiger. Er bestand aus einem ausführlichen Bericht über Madame Pythia und ihre Teilnahme an der Messe. Das Foto dazu war großartig und Ben ging auch auf die Tatsache ein, dass Maria dort für ihre Beratungen kein klassisches Honorar verlangte, sondern Spenden für einen guten Zweck sammelte. Das Vortragsprogramm – das ja intern war – wurde nur am Rande erwähnt, während Ben der öffentlichen Messe am Sonntag tatsächlich mehr Zeilen zugestanden hatte, als Stella erwartet hatte.
»Ich glaube ja, Holger hätte auch die Vorträge für Publikum öffnen sollen«, sagte Maria.
»Warum hat er es nicht getan?«, fragte Stella.
»Er sagte, das Hotel sei nicht geeignet dafür. Die Leute müssen ja auch verpflegt werden, und wohin zwischendurch mit denen, die nur einzelne Vorträge aus dem Programm hören wollen? Außerdem sei der administrative Aufwand noch zu groß.«
»Noch?«