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Selbst ist die Frau: Der humorvolle Kriminalroman »Venuswalzer« von Lotte Minck jetzt als eBook bei dotbooks. Nur die allerwenigsten Frauen hätten wohl etwas dagegen, einen gut gebauten Modellathleten bei der Arbeit beobachten zu können – doch der Handwerker, der vor Rubys Fenster herumturnt, ist nicht nur ein wenig ansehnlicher Prolet, er hat auch noch die Dreistigkeit, sie zu belästigen! Als der Fassadenmaler plötzlich schwer verunglückt und die junge Frau damit unter Verdacht gerät, muss die befreundete Astrologin Stella Albrecht ihre Unschuld beweisen – denn ein verzwickter Kriminalfall braucht eine außergewöhnliche Ermittlerin. Und zum Glück kann Stella nicht nur auf die scharfe Auffassungsgabe ihres Berufsstandes zurückgreifen, sondern auch auf die Hilfe des erfahrenen Polizeikommissars Arno Tillikowski … Nach der Erfolgsserie um Loretta Luchs trumpft Lotte Minck in ihrer Reihe um Vollzeit-Astrologin und Hobby-Detektivin Stella Albrecht abermals auf – mit schrägen Szenarien, einer liebenswürdigen Ermittlerin und ihrem unverwechselbaren Humor! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schwungvolle Ruhrpott-Krimi »Venuswalzer« von Lotte Minck – der zweite Band ihrer Reihe um Hobbyermittlerin Stella Albrecht und Polizeikommissar Arno Tillikowski, bei der alle Bände unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 376
Über dieses Buch:
Nur die allerwenigsten Frauen hätten wohl etwas dagegen, einen gut gebauten Modellathleten bei der Arbeit beobachten zu können – doch der Handwerker, der vor Rubys Fenster herumturnt, ist nicht nur ein wenig ansehnlicher Prolet, er hat auch noch die Dreistigkeit, sie zu belästigen! Als der Fassadenmaler plötzlich schwer verunglückt und die junge Frau damit unter Verdacht gerät, muss die befreundete Astrologin Stella Albrecht ihre Unschuld beweisen – denn ein verzwickter Kriminalfall braucht eine außergewöhnliche Ermittlerin. Und zum Glück kann Stella nicht nur auf die scharfe Auffassungsgabe ihres Berufsstandes zurückgreifen, sondern auch auf die Hilfe des erfahrenen Polizeikommissars Arno Tillikowski …
Nach der Erfolgsserie um Loretta Luchs trumpft Lotte Minck in ihrer Reihe um Vollzeit-Astrologin und Hobby-Detektivin Stella Albrecht abermals auf – mit schrägen Szenarien, einer liebenswürdigen Ermittlerin und ihrem unverwechselbaren Humor!
Über die Autorin:
Lotte Minck, auch bekannt als Stella Conrad oder Frau Keller vom Duo Auerbach & Keller, ist das Pseudonym der Autorin Brenda Stumpf. Sie hat viele Jahre im Ruhrgebiet gelebt, wo sie Popstars bekocht, Events organisiert und in einer Schauspielagentur Termine jongliert hat. Ihre humorvollen Krimis um Stella Albrecht sind eine Liebeserklärung an das Ruhrgebiet, seine Menschen und ihre liebenswerten Eigenheiten.
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Reihe um Hobbyermittlerin Stella Albrecht und Polizeikommissar Arno Tillikowski: »Planetenpolka«, »Venuswalzer« und »Sonne, Mord und Sterne«.
Unter dem Pseudonym Stella Conrad veröffentlichte die Autorin bei dotbooks bereits ihre Romane »Die Küchenfee«, »Das Glück der Küchenfee«, »Die Tortenkönigin«, »Die Glücksträumerin«, »Der Feind an meinem Tisch« und »Die Glücksköchin« als eBooks.
Als Print-Ausgabe ist von Stella Conrad bei dotbooks »Die Tortenkönigin« erschienen.
Die Website der Autorin: www.roman-manufaktur.de/
Die Autorin auf Instagram: www.instagram.com/romanmanufaktur/
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Aktualisierte eBook-Neuausgabe August 2022
Copyright © der Originalausgabe 2019 Droste Verlag GmbH, Düsseldorf
Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: © HildenDesign unter Verwendung einer Illustration von Ommo Wille, Berlin
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)
ISBN 978-3-98690-250-6
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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
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Lotte Minck
Venuswalzer
Ein Ruhrpott-Krimi mit Stella Albrecht
dotbooks.
Es war ein prachtvoller Tag.
Die Sonne schien, und Kevin Wehling war der König der Welt. Von ihnen unbemerkt blickte er auf die Menschen hinab, während er hoch über ihnen thronte. Manchmal gönnte er sich den kleinen Spaß, hinunter zu spucken, und lachte sich ins Fäustchen, wenn er tatsächlich jemanden traf. Wie dämlich diese ahnungslosen Würstchen dann aus der Wäsche guckten, wenn ihnen sein Rotz über die Stirn lief! Köstlich!
Kevin liebte seinen Job. Er hatte Maler und Lackierer gelernt, und seit mehreren Jahren arbeitete er nun bei der Firma, die sich darauf spezialisiert hatte, Häuser anzustreichen. So nannte er es, aber bestimmt gab es einen vollkommen blödsinnigen, modernen Begriff dafür, so etwas wie facade refurbishment management, damit es beeindruckender klang. Nein – er strich Häuser an, fertig. Er war rundum zufrieden mit seiner Arbeit und wäre niemals auf die Idee gekommen, sich weiterzubilden oder gar auf eine Meisterschule zu gehen – das war was für Streber und Blödiane. Er war Ende dreißig, glücklicher Single und verdiente genug, um sich gut zu amüsieren und Weiber rumzukriegen.
Meist hatte er mehrere gleichzeitig am Start, wie es sich für einen echten Kerl gehörte. Bloß nicht festlegen, das taten nur Waschlappen. Manchmal schnappte er sich eine Frau nur deshalb, damit er sich anderen noch überlegener fühlte – aktuell zum Beispiel seinem Meister, dessen Tochter er bumste, ohne dass der Alte es ahnte. Allerdings wurde die Kleine gerade ziemlich lästig. Aber Kevin verfügte über jede Menge Strategien, um sich Frauen, die zu viel von ihm wollten, vom Hals zu halten.
Sein Ruf in dieser Hinsicht war wie Donnerhall, zumal er montags im Kollegenkreis gern mit den Eroberungen vom Wochenende prahlte. Oder mit den scharfen Frauen, die ihn angeblich direkt vom Gerüst in ihre Wohnung eingeladen und dort bereitwillig ihren Schlüpfer ausgezogen hatten. Das machte ihn nicht gerade zum Wunschkandidaten für den Posten des Schwiegersohnes, aber derlei Ambitionen hegte er ja ohnehin nicht.
Das Baugerüst war Kevins Königreich, über das er souverän herrschte und das ihn über die anderen Menschen erhob. Er war zwar von wuchtiger Gestalt, aber gelenkig, flink und vor allem schwindelfrei. Wenn er wollte, konnte er das Gerüst innerhalb weniger Sekunden erklimmen oder in luftiger Höhe seinen Standort verändern.
Diese Fähigkeit half ihm bei seiner Lieblingsbeschäftigung während der Arbeit: Leute in ihren Wohnungen beobachten. Frauen, um genau zu sein. Natürlich keine alten oder fetten Weiber, die guckte sich ja kein Mann freiwillig an – es sei denn, er war pervers. Nein, er war ein ganz normaler Mann und sah sich am liebsten junge, knackige Frauen an.
Es war erstaunlich, wie langsam die Leute sich daran gewöhnten, dass ein Gerüst am Haus stand. Unbeirrt zogen sie weiterhin ihre Morgenroutine durch, die zu Kevins Vergnügen oft genug daraus bestand, als Erstes die Vorhänge zu öffnen – und das häufig nur höchst unzulänglich bekleidet. Was er da schon alles gesehen hatte! Durchsichtige Negligés, viel zu kurze T-Shirts als einziges Kleidungsstück oder gleich totale Nacktheit.
Manchmal allerdings war es etwas anderes, das ihn dazu herausforderte, vor einem bestimmten Fenster Position zu beziehen.
Manchmal machte es ihm einfach Spaß, jemanden zu ärgern, immer und immer wieder.
Wie zum Beispiel diese Rotzgöre im zweiten Stock, die es gewagt hatte, ihn auszulachen. Das ließ ein Kevin Wehling sich selbstverständlich nicht gefallen; was bildete diese kleine Ratte sich ein? Wie die schon aussah – wie ein zwölfjähriger Punker: struppige, bunte Haare, zerrissene Jeans, T-Shirts mit Bandnamen, von denen er noch nie gehört hatte. Die war doch nicht mal eine richtige Frau! Bestimmt stand sie auf Weiber, denn einen Mann kriegte sie bei diesem Look garantiert nicht ab. Jedenfalls keinen, der was auf sich hielt.
Auf jeden Fall aber war sie eine Emanze, das bewies schon dieses Weiberzeichen, das an der Scheibe ihres Schlafzimmerfensters baumelte.
Kevin hatte dieses Symbol – ein Kreis auf einem Kreuz – schon häufiger gesehen. Natürlich immer im Zusammenhang mit Lesben oder Emanzen. Oder sie waren gleich beides. Denn für Kevin war klar: Emanzen törnten Männer ab, also wurden sie natürlich ganz automatisch zu Lesben. Es war ihm ein Rätsel, warum die sich ausgerechnet ein Symbol ausgesucht hatten, das wie ein Handspiegel aussah. So hässlich, wie die alle waren, wussten die garantiert nicht, wozu ein Spiegel benutzt wurde: um zu kontrollieren, ob man hübsch genug für die Männerwelt war.
Das Beste an der ätzenden Tusse im zweiten Stock war: Sie arbeitete zu Hause. Den ganzen Tag lang saß sie an ihrem Schreibtisch am Fenster, glotzte auf ihren Monitor und versuchte, sich zu konzentrieren. Das allein war Grund genug für Kevin, besonders viel Lärm zu machen und ständig vor ihrer Nase herumzuturnen.
Aber es gab noch einen Grund, der deutlich schwerer wog: Sie hatte ihn nicht nur ausgelacht, sondern es auch noch gewagt, sich über ihn zu beschweren. Wegen sexueller Belästigung. Statt froh zu sein, seinen prachtvollen Penis in voller Größe zu Gesicht zu bekommen, schrie sie Zeter und Mordio.
Selbstverständlich hatte er alles abgestritten. Andererseits hatte die Beschwerde ihn nur noch mehr angestachelt. Er war schlau genug, seine kleine Vorstellung nur in unregelmäßigen Abständen zu präsentieren; er wollte nicht, dass sie vorbereitet war. Mal ließ er einige Tage vergehen, mal zog er seine Show an zwei aufeinanderfolgenden Tagen ab. Heute war es mal wieder so weit.
Kevin grinste, als er ihren Wecker leise piepsen hörte. Gleich würde sie auftauchen und die Vorhänge öffnen – so trotzig war sie immerhin, diese Gewohnheit nicht zu ändern. »Du Wichser wirst es nicht schaffen, dass ich mein Leben ändere! Diese Macht gebe ich dir nicht!«, hatte sie bei ihrem letzten Zusammentreffen gekreischt.
Nun, dann wollen wir doch mal sehen, wer von uns beiden der Stärkere ist, dachte Kevin, als er vor ihrem Fenster Position bezog. Allein die Vorstellung, wie sie sich gleich wieder aufregen würde, machte ihn heiß.
Heute war ihr letzter Tag auf dieser Baustelle; es waren nur noch einige kleine Details auszubessern, ansonsten waren sie fertig mit diesem Haus. Schon morgen würden sie das Gerüst abbauen. Grund genug, die kleine Lesbe heute zum Abschied mit einer ganz besonderen Vorführung zu verwöhnen.
Langsam zog er den Reißverschluss an der Hose herunter und befreite seinen besten Freund aus seinem dunklen Gefängnis.
Showtime.
Ruby war längst wach, als der Wecker klingelte, obwohl sie bis in die frühen Morgenstunden am Rechner gesessen hatte, damit diese verfluchte Website endlich online gehen konnte. Einmal hatte sie die Deadline bereits nachverhandelt; ein zweites Mal stand nicht zur Debatte. Nicht nur, weil es ihrem Arbeitsethos widersprach – überdies wollte sie den Kunden keinesfalls verlieren.
Seit Wochen litt sie unter den Sanierungsarbeiten am Haus. Sie war kurz davor, Amok zu laufen. Jeden Morgen um halb acht begann der Terror, wenn die Malerbrigade anrückte. Damit auch ja niemand im Haus diesen wichtigen Moment verpasste, wurde umgehend ein plärrendes Radio eingeschaltet, was wiederum dazu führte, dass die Handwerker sich lautstark miteinander verständigen mussten.
Aber das war noch nicht das Schlimmste. Ruby hatte wochenlanges Hämmern und Bohren bereits überstanden, und die Malerarbeiten am Haus waren nun nicht nur vergleichsweise leise, sondern sie markierten überdies den baldigen Abschluss der Sanierungsarbeiten.
Eigentlich hätte sie darüber froh sein müssen – wäre da nicht dieser Prolet von Maler, der es sich offenbar in den Kopf gesetzt hatte, sie in den Wahnsinn zu treiben. Dummerweise stand ihr Schreibtisch am Fenster, und ständig turnte dieser Halbaffe draußen herum und provozierte sie. Einige Male hatte er es sogar gewagt, ihr seinen Pimmel unter die Nase zu halten.
Beim ersten Mal hatte sie souverän reagiert. Sie hatte losgeprustet und gefragt: »Und darauf sind Sie stolz?«
Damit hatte sie das Tor zur Hölle aufgestoßen.
Anstatt sich von ihrer spöttischen Reaktion abschrecken zu lassen, hatte er seine Show wiederholt, und das nicht nur einmal. Sie hatte einsehen müssen, dass sein Auftritt genau ein einziges Mal halbwegs witzig gewesen war.
Mittlerweile befand sie sich am Rande einer ernsthaften Nervenkrise.
Natürlich hatte sie sich über ihn beschwert, aber der Typ hatte alles abgestritten. Zufällig hatte sie gehört, wie er seinem Meister gegenüber gesagt hatte, im Gegenteil hätte sie ihn belästigt und sei nun frustriert, dass er nicht auf ihre Avancen eingegangen sei; nur deshalb würde sie diese Dinge behaupten.
Ob er heute wieder dort stehen würde?
Da sie häufig nachts am Rechner saß und dann bis mittags schlief, hatte sie blickdichte Verdunkelungsvorhänge am Schlafzimmerfenster. Der Baulärm hatte es ihr tagsüber unmöglich gemacht, sich auf ihre Aufträge zu konzentrieren. Normalerweise schätzte sie es, zu Hause zu arbeiten, aber während der letzten Monate hatte sie es oft genug verflucht, Freiberuflerin zu sein.
»Ganz ruhig, Ruby«, murmelte sie, »du bist Herrin der Lage, wenn du es willst. Er ist nur ein armes Würstchen, das sich an deiner Wut aufgeilt. Er hat keine Macht über dich, Ruby. Du hast es in der Hand. Ignoriere ihn einfach. Oder lach ihn aus.«
Diesen Rat hatte ihr Stella Albrecht gegeben, Astrologin und beste Freundin ihres Kumpels Ben. Der hatte ihre Verzweiflung über die Bauarbeiten und besonders über diesen übergriffigen Maler irgendwann nicht mehr ertragen und sie zu Stella geschickt.
Sie hatten sich lange unterhalten, und dann hatte Stella ihr das Venus-Symbol geschenkt, das nun an ihrem Fenster hing. »Venus steht in der Astrologie für die unabhängige Frau. Du siehst sie am Himmel als Morgen- und Abendstern. Sie schenkt Lebensfreude, Sinnlichkeit, Genuss und Harmonie«, hatte die Astrologin gesagt, »aber wenn man sie nicht wertschätzt, verlierst du deine Liebe zum Leben und zu dir selbst, und das kann zu Verbitterung und Einsamkeit führen. Schätze deine Weiblichkeit, Ruby – sie kann dich sehr stark machen.«
Ruby atmete tief durch und zählte langsam bis zehn, dann stand sie auf und ging zum Fenster. Mit einem Ruck zog sie die Vorhänge auseinander – und starrte auf ein erigiertes Glied. Sie blickte hoch und sah ins feiste, unrasierte, grinsende Gesicht dieses Proleten.
Sie konnte buchstäblich hören, wie sie die Fassung verlor – es klang wie ein leises Klirren in ihrem Kopf. Dann durchströmte es sie siedend heiß.
Sie riss einen Flügel des Fensters auf und brüllte: »Es reicht! Ich bringe dich um, du dummes Schwein!«
In diesem Moment – sie konnte es kaum fassen – hatte er einen Samenerguss, und sie wurde von einem Tropfen an der Stirn getroffen. Sie schrie auf und floh ins Badezimmer, um sich zu säubern. Um ein Haar wäre sie über den Staubsauger gestolpert, der mitten im Zimmer lag.
Sein hämisches Lachen folgte ihr, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Kevin stopfte seinen Penis zurück in die Unterhose und schloss den Hosenstall. Das war deutlich besser gelaufen als erhofft, hatte es ihm doch einen unerwarteten Orgasmus beschert. Was für ein wundervoller Tag!
Sinnend starrte er aufs offene Fenster – es zu schließen, hatte die Blauhaarige in ihrer Panik vergessen. Eigentlich könnte er in die Wohnung klettern und sie noch einmal überraschen, aber für heute hatte er genug Spaß gehabt.
Er reckte sich wohlig und drehte sich um. Dann spürte er im Rücken einen Stoß – hatte sich dieses Punkmädchen etwa leise angeschlichen und …
Der Schubs ließ ihn gegen das Brett taumeln, das die Arbeiter sichern und davor bewahren sollte, vom Gerüst zu stürzen. Zu seiner grenzenlosen Verblüffung tat es nichts dergleichen, sondern gab unter seinem Gewicht splitternd nach. Eine halbe Sekunde lang rang er armrudernd um sein Gleichgewicht, doch letztendlich siegte die Schwerkraft. Zu verblüfft, um zu schreien, segelte er gen Abgrund.
Die Schreie der entsetzten Passantin, zu deren Füßen sein Schädel an der Bordsteinkante aufplatzte, hörte er nicht mehr.
Wie jeden Morgen während der letzten drei Wochen wurde Stella Albrecht von Lärm geweckt. Sie stöhnte und hielt sich die Ohren zu, wohl wissend, dass der Lärm trotzdem bleiben würde. Zwar etwas leiser und gedämpfter, aber er war nach wie vor da. Obwohl sie das Dachgeschoss der Villa bewohnte, hatte sie das Gefühl, mitten auf der Baustelle vor dem Haus zu schlafen.
»Venus, gib mir Kraft«, murmelte sie.
Wie lange konnte es eigentlich dauern, die verdammte Auffahrt neu zu pflastern? Zugegeben, sie war nicht gerade kurz, aber trotzdem …
Ihre Mutter hatte sich nach wochenlangen Diskussionen schließlich durchgesetzt und den entsprechenden Auftrag erteilt. Dann, eines Tages, war der Bautrupp angerückt, und mit der Ruhe war es vorbei gewesen. Erst hatten sie die alte Pflasterung herausgerissen, dann ausgeschachtet, dann mit irgendetwas aufgefüllt – und jetzt waren sie endlich dabei, neue Steine zu setzen. Leider mussten diese mit einem grausamen Gerät befestigt oder in den Boden gestampft oder was auch immer werden, was infernalischen Krach verursachte. Dank Ben wusste sie, dass dieses Ding aus der Hölle ein sogenannter Rüttler war, aber das brachte sie auch nicht weiter.
Sie selbst hatte ja gefunden, dass die Auffahrt noch vollkommen in Ordnung war. Gut, das alte Kopfsteinpflaster hatte erforderlich gemacht, dass man ein wenig genauer hinsah, wohin man trat, und es hatte mittlerweile in den Ritzen Moos angesetzt, aber sie hatte das eigentlich sehr charmant gefunden.
Nicht so Felicitas, ihre Mutter. Bei der letzten familiären Zusammenkunft zu diesem Thema hatte sie gesagt: »Mir reichen diese endlosen Diskussionen jetzt. Die Auffahrt sieht mittlerweile richtig verwahrlost aus. Man muss sich ja schämen. Außerdem sind diese alten Steine bei Nässe glatt wie Eis. Ich habe keine Lust, mir den Hals zu brechen. Oder dafür zu zahlen, wenn Besucher ausrutschen.«
»Unsinn. Du übertreibst mal wieder maßlos. Kopfsteinpflaster hat es nun mal so an sich, dass man ein wenig vorsichtig sein muss. Außerdem: Wenn bisher noch nichts passiert ist …«, hatte Maria, Stellas Großmutter, mit einem Achselzucken erwidert, und Stella hatte genickt.
»Also, ich verstehe euch nicht. Täglich geht hier eure Kundschaft ein und aus. Deren Sicherheit sollte euch wirklich am Herzen liegen.«
Innerlich hatte Stella gegrinst. Interessanterweise sprach ihre Mutter in diesem Zusammenhang von ›Kundschaft‹ und nicht von ›Patienten‹, wie sie es sonst zu tun pflegte. So sehr sie sich ansonsten über Stellas und Marias Profession aufregte, so opportun erschien es ihr offensichtlich nun, auf die dringend nötige Sicherheit der ›Kundschaft‹ hinzuweisen.
Nie würde Felicitas, die seriöse Oberstudienrätin, sich damit abfinden, dass Stella als Astrologin und Maria sogar als Madame Pythia in Kaftan und Turban mit Glaskugel, Tarotkarten und Pendel als Wahrsagerin arbeitete. Nur zähneknirschend akzeptierte sie, dass die beiden ihre Kundschaft in der Orangerie im großen Garten der Villa empfingen – aber jetzt war genau das ein schlagkräftiges Argument, um ihre Mitbewohnerinnen von der Notwendigkeit der Sanierung zu überzeugen.
»Wenn es euch ums Geld geht: Auch wenn wir normalerweise alle Ausgaben fürs Haus dritteln, bin ich bereit, hierfür die Hälfte der Kosten zu tragen«, hatte Felicitas noch hinzugefügt.
Vehement hatte Maria den Kopf geschüttelt. »Kommt mir nicht in die Tüte. Du ein Drittel, ich zwei Drittel. Ich übernehme Stellas Anteil.« Sie hatte sich an Stella gewandt, die gerade protestieren wollte. »Davon werde ich nicht abzubringen sein. Und du kennst mich – ich kann sehr, sehr stur sein. Du bist zwar als Astrologin gut etabliert, aber das wäre ein zu großer Brocken für dich. Ich würde es dir leihen, du würdest es abstottern – darauf habe ich keine Lust. Bestimmt kannst du dich irgendwann einmal dafür revanchieren.« Mit einem Seufzen hatte sie dann zu Felicitas gesagt: »Du sollst deinen Willen kriegen. Das ist mir lieber, als mir bis in alle Ewigkeit dein ständiges Genörgel über die angeblich ach so gammelige Auffahrt anzuhören. Von mir aus lass unser wunderbares, historisches Kopfsteinpflaster durch sterile Betonplatten oder was auch immer ersetzen.«
Und genau das passierte gerade. Stella nahm die Hände von den Ohren und ergab sich ihrem Schicksal. Immerhin war ein gutes Dreiviertel der Auffahrt mittlerweile fertiggestellt – das Ende der Arbeiten war also absehbar. Der Rüttler würde noch für ein paar Tage Radau machen, dann musste die neue Pflasterung noch mit Sand eingeschlämmt werden – das hatten die Bauarbeiter ihr erklärt –, und dann war der Terror vorbei. Die paar Tage würde sie jetzt auch noch aushalten.
Stella beschloss, ihren Morgenkaffee in der Orangerie zu trinken, denn dort wurde der Lärm nicht nur durch die dazwischenliegende Villa, sondern zusätzlich durch die Bäume und das Buschwerk des Gartens gedämmt. Außerdem konnte sie Musik anmachen und versuchen, zu ihrer üblichen Gelassenheit zu finden.
Wie immer grüßten die Bauarbeiter freundlich, als sie, die Tageszeitung unter dem Arm, aus der Haustür kam. Immerhin – höflich waren sie. Auch hatten sie stets mit Engelsgeduld alle Fragen beantwortet, mit denen Stella sie gelöchert hatte, und ihr jeden der notwendigen Arbeitsschritte genau erklärt.
Stella war heilfroh, dass sie an diesem Vormittag keine Termine hatte. Je nach Tagesform ertrug sie die Bauarbeiten mal besser und mal schlechter – und heute war sie von innerem Gleichgewicht weit entfernt.
Sie fühlte sich sofort besser, als sie die lichtdurchflutete Orangerie betreten hatte, und kochte sich in ihrer kleinen Büroküche eine große Tasse Milchkaffee. Im Kühlschrank hatte sie immer Brot und etwas Käse, also konnte sie sich ein kleines Frühstück zubereiten. Sie trug Kaffee und belegte Brote zu der Sitzgruppe aus gemütlichen Rattanmöbeln, wo sie sonst ihre Kunden empfing.
Nachdem sie eine CD mit Meditationsmusik eingelegt hatte, ließ sie sich mit einem Seufzen in einen Sessel fallen und blickte durch die verglaste Wand hinaus in den weitläufigen Garten, in dem es jetzt, auf der Schwelle vom Sommer zum Herbst, noch immer üppig blühte. Sie trank kleine Schlucke von ihrem Kaffee, dann schlug sie die Tageszeitung auf. In diesem Moment gab ihr Handy einige Piepstöne von sich und signalisierte damit, dass jemand ihr eine Textnachricht geschickt hatte.
»Ich bin in der Nähe. Hast du spontan Zeit für mich? Es ist dringend!!!«, las sie.
Die Nachricht kam von ihrem besten Freund Ben, der als Journalist für den Ruhrgebiets-Anzeiger arbeitete. Drei Ausrufezeichen, dachte sie und grinste, bestimmt hat er wieder einmal die Frau seines Lebens kennengelernt und benötigt dringend meinen astrologischen Rat.
»Komm vorbei, ich bin im Büro«, schrieb sie zurück und biss in ihr Käsebrot.
Kaum zehn Minuten später kam Ben zur Tür herein. »Die sind ja immer noch nicht fertig mit der Auffahrt!«, sagte er empört. »Wie lange brauchen die denn noch?«
»Willkommen in meiner Welt«, erwiderte Stella und deutete auf den freien Sessel. »Setz dich. Kaffee?«
Ben schüttelte den Kopf. »Nee, ich kann nicht lange bleiben. Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Das hab ich mir schon gedacht. Wie heißt sie und wo habt ihr euch getroffen?«
Aus Bens Blick sprach pure Verblüffung, dann begriff er. »Ach, du denkst, ich hätte meine Traumfrau getroffen? Nein, leider nicht. Es geht um eine Freundin. Also, nicht, was du jetzt vielleicht denkst. Keine romantische Freundin, verstehst du? Ich hatte nie was mit ihr. Untenrum, meine ich. Und das wird auch nie …«
Stella hob die Hand. »Hab’s kapiert. Keine romantische Freundin. Was ist mit ihr?«
»Sie ist kurz vorm Durchdrehen. Sie muss dringend mal mit jemandem über ihren derzeitigen Stress reden. Sie braucht ein paar gute Ratschläge. Und wenn ich es recht bedenke – das Thema passt sehr gut zu deiner momentanen Situation. Ruby wird dir nicht viel erklären müssen, schätze ich.« Mit dem Kopf machte er eine Bewegung, die vage in Richtung der Auffahrt deutete.
Ruby? Stella erinnerte sich schwach, den Namen schon gehört zu haben, wenn Ben von seiner Arbeit erzählte.
»Sie arbeitet bei dir in der Redaktion, nicht wahr?«
Ben schüttelte den Kopf. »Nicht ganz. Ruby – eigentlich heißt sie Andrea Rubikon – ist EDV-Spezialistin. Manchmal recherchiert sie für mich. Sie hat … hm … gewisse Fähigkeiten.«
»Verstehe. Sie beschafft dir Informationen, an die du sonst nicht rankommen würdest.«
»Könnte sein. Rein theoretisch, natürlich.«
»Natürlich. Warum benötigt sie meinen Rat?«, fragte Stella. »Und was hat das mit den Bauarbeiten an meiner Auffahrt zu tun?«
»Ganz einfach: Ruby leidet seit Wochen darunter, dass ihr Haus saniert wird. Genau wie du hat sie ihren Arbeitsplatz zu Hause. Obwohl …«, er hob den Kopf, lauschte und fuhr dann fort: »Hier ist ja fast nichts von dem Krawall zu hören.«
»Mir reicht gerade, was ich mitkriege, wenn ich in meiner Wohnung bin«, sagte Stella. »Ich bin manchmal kurz davor, gewalttätige Fantasien zu entwickeln. Dieser permanente Lärm geht an die Substanz. Und damit aufzuwachen, ist der Horror. Ich habe noch nie so viel Zeit hier unten verbracht wie in den letzten Wochen.«
Ben nickte. »Immerhin hast du die Möglichkeit, dem Lärm auszuweichen. Derart privilegiert ist Ruby leider nicht.«
»Aber was soll ich denn für sie tun? Ich werde ihr nicht vorhersagen können, wann der Terror aufhört. So funktioniert Astrologie nicht.«
»Weiß ich doch. Die Sache ist die: Der Lärm ist nicht das Schlimmste. Jedenfalls nicht mehr. Die Arbeiten, die Krach machen, sind bereits beendet. Mittlerweile wird die Fassade neu gestrichen, und unter den Bauarbeitern ist einer, der sie belästigt. Sexuell. Der Dreckskerl steht morgens auf dem Gerüst vor ihrem Fenster und hat seinen dreckigen Schwengel in der Hand.«
Stella traute ihren Ohren nicht. »Wie bitte? Du machst hoffentlich Scherze.«
»Ich wünschte, es wäre so. Sie hat sich auch schon über das Schwein beschwert, aber der Typ streitet natürlich alles ab. Aussage gegen Aussage. Ich weiß nicht, wie lange sie das noch aushalten kann, ohne durchzudrehen. Es geht ihr wirklich nicht gut.«
»Aber was kann ich tun?«
»Kannst du nicht in ihr Horoskop gucken und ihr klarmachen, wo ihre Stärken liegen oder so was? Sie war immer so stark und lustig und selbstbewusst, aber mittlerweile schwankt sie nur noch zwischen rasender Wut und totaler Verzweiflung. Ich befürchte wirklich …« Ben stockte.
»Was befürchtest du? Dass sie über kurz oder lang zusammenbrechen wird? Ist sie depressiv? So sehr, dass sie selbstmordgefährdet ist?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, im Gegenteil. Ich befürchte, dass sie eines Tages ausrastet und zurückschlägt. Sie wird den Kerl für das, was er ihr antut, bezahlen lassen, todsicher. Ohne Rücksicht auf Verluste. Oder Konsequenzen für sie.«
»Was soll er machen? Sie wegen Körperverletzung anzeigen, weil sie ihn ohrfeigt?«
Ben schwieg eine Zeitlang, dann sagte er: »Ich fürchte beinahe, dazu könnte er dann nicht mehr imstande sein.« Seine Stimme klang düster.
Stella gelang es nicht, ein Grinsen zu unterdrücken. »Oha. Dann doch Kastration?«
»Das ist nicht komisch, Stella! Ich mache mir echte Sorgen um Ruby. Sie ist für mich sowas wie …« Er überlegte, dann fuhr er fort: »Sie ist für mich wie eine kleine Schwester. Seit Wochen und Wochen hat sie diesen Stress. Erst der ständige Lärm, als einige Wohnungen im Haus saniert wurden. Dass sie überhaupt ihre Arbeit noch geschafft hat, ist für mich ein reines Wunder. Ich wäre schon längst durchgedreht. Aber sie ist diszipliniert und hat die Zähne zusammengebissen. Als die Maler anrückten, glaubte sie es geschafft zu haben. Wie viel Lärm konnte es schon machen, die Fassade zu streichen?«
»Aber es ist nicht der Lärm …«, murmelte Stella.
Ben nickte. »Exakt. Es ist dieser Kerl, der sie belästigt. Und das ist Stress auf einer ganz anderen Ebene.«
»Ich sehe, was du meinst. In Ordnung, sie kann zu mir kommen, wenn sie das möchte. Hast du ihre Daten?«
»Noch nicht. Ich wollte zuerst mit dir sprechen. Ob du grundsätzlich dazu bereit bist und so. Ich kann auch nicht einschätzen, ob sie … nun ja, besonders esoterisch scheint sie mir nicht zu sein, wenn du verstehst.«
Stella zuckte mit den Schultern. »Finde es heraus. Sie soll mich anrufen, wenn sie dazu bereit ist.«
»Du bist die Beste.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Ups, schon so spät, ich muss los. Danke für deine Zeit. Du hast was gut bei mir.«
Stella kicherte. »Ich schreibe es zu den anderen Sachen auf die Liste.«
Mit einer Tasse Tee setzte Stella sich auf die Bank vor der Orangerie. Sie fragte sich, wie sie selbst wohl auf diese Form von Belästigung reagieren würde. Nun, sie würde sich wehren, ganz sicher. Oder den Kerl auslachen, was auch immer, schließlich war sie stark und selbstbewusst. Allerdings waren das Attribute, die Ben seiner Freundin Ruby auch zugeschrieben hätte – normalerweise. Konnte es sein, dass der wochenlange Baulärm die junge Frau derart mürbe gemacht hatte, dass sie den Kontakt zu ihrer inneren Stärke komplett verloren hatte und sie deshalb den Übergriffen dieses Mannes hilflos ausgeliefert war?
Ihre Großmutter kam um die Ecke. Sie war im kompletten Madame-Pythia-Ornat. Das bedeutete, dass sie einen Kunden erwartete, denn nur aus diesem Grund brezelte sie sich mit wallendem Kaftan, Samtturban und viel Klimperschmuck auf. Sie stutzte, als sie Stella auf der Bank entdeckte.
»Nanu, du siehst aber nachdenklich aus.«
»Das bin ich auch, Oma.« In kurzen Worten berichtete Stella von Ruby und deren Problemen.
»Wie bitte?« Die Pfauenfeder auf Marias Turban zitterte vor Empörung. »Na, dem würde ich aber … die Flötentöne beibringen.« Maria schnaubte.
»Was würdest du tun?«
»Dem würde ich den Schniedel abschneiden. Oder ihn vom Gerüst werfen.«
»Nein, ernsthaft. Was würdest du tun?«
Maria grinste. »Sag ich doch: Ich würde ihn vom Gerüst schubsen. Und dann so tun, als wäre es ein Unfall gewesen. Ist doch ganz einfach. Tollkühne Männer in schwindelnder Höhe … da passiert schon mal was. Zack, liegt er unten auf der Straße.«
»Red keinen Quatsch«, erwiderte Stella lachend, »das würdest du nicht tun. Aber deine Fantasien sind von beeindruckender Gewalttätigkeit, das muss ich dir lassen. Ich denke allerdings, du würdest ihn eher verfluchen oder sowas. Ich wette, damit kennst du dich aus. So insgeheim.«
»Ach. So denkst du also über mich, ja? Ist ja interessant. Aber das ist tatsächlich eine hübsche Idee, Schätzchen. Ich muss gleich mal nachsehen, ob ich noch einige Spinnenbeine und Blut von jungfräulichen Fledermäusen vorrätig habe; dann könnte ich dir für das arme Mädchen einen Zaubertrank brauen.«
»Und damit soll sie dann was machen?«
»Ist doch klar: ihn besprenkeln, damit er vom Gerüst fällt. Nur das Beste für unsere Kunden. Oder ich bastele eine Voodoo-Puppe von dem Kerl. Anatomisch korrekt natürlich. Und die Nadel könnte man dann genau …«
Stella hob die Hände. »Genug, keine weiteren Details, bitte. Schon klar, wohin die Nadel gehört. Aber sag mal: Wieso bist du eigentlich hier?«
»Ach ja, genau. Hast du Zucker für mich? Meiner ist mir ausgegangen, und ich bekomme gleich Besuch. Die Dame mag ihren Kaffee sehr süß, und ich bin nicht dazu gekommen, einzukaufen.« Sie errötete und fügte hinzu: »Genauer gesagt: Otto hat mich davon abgehalten. Er ist gerade erst gegangen.«
Otto – das war Otto Korritke, Marias alter Weggefährte aus ihrer Zeit beim fahrenden Volk. Er kam häufig zu Besuch, und meist zogen sich die beiden dann in Marias alten Kirmeswagen zurück, der in der Remise stand.
Stella grinste. »Ihr seid mir schon zwei Turteltäubchen …«
Sie ging hinein, um den Zucker zu holen.
Ruby war froh, dass sie mal rauskam.
Eigentlich hatte sie keine Zeit, weil sich auf ihrem Schreibtisch die Arbeit stapelte, und zwar höher als der Kilimandscharo. Uneigentlich allerdings war sie froh über jede Ablenkung, und so hatte sie sofort zugesagt, als Ben Glaeser angerufen hatte, um sie zum Frühstück ins Café einzuladen.
Sie mochte nur wenige Menschen, und noch weniger kannte sie persönlich oder durfte in ihre Wohnung, aber Ben gehörte definitiv dazu. Sie hatte kein romantisches Interesse an ihm, und zu ihrer Erleichterung beruhte das auf Gegenseitigkeit. Ab und zu recherchierte sie für ihn. Aber vor allem half sie Ben, wenn er technische Probleme mit seinem Laptop hatte. Darauf waren viel zu viele vertrauliche Informationen gespeichert, als dass er den Computer jemand anderem anvertraut hätte – schließlich stammten etliche der brisanten Daten selbst für ihn herausgefunden.
Sie stieg die Kellertreppe hinab, um ihr Fahrrad zu holen. Beinahe alle Wege ließen sich damit zurücklegen, und für die anderen benutzte sie öffentliche Verkehrsmittel.
Sie drückte die Klinke der Hintertür herunter und öffnete sie, hielt aber inne, als sie Stimmen und Gelächter hörte. Der Malertrupp machte ausgerechnet jetzt Frühstückspause im Hof, verdammt. Auf keinen Fall wollte sie an den Männern vorbeigehen, das würde sie nicht ertragen. Sie wollte die Tür schon wieder schließen, als sie begriff, dass über sie gesprochen wurde.
»Du solltest es mit der Kleinen im zweiten Stock nicht zu weit treiben, Kevin«, sagte einer der Männer gerade.
Kevin – so hieß das Schwein, das sie immer wieder sexuell belästigte, das hatte sie bereits mitbekommen. Sie erstarrte, als sie Kevin hämisch lachen hörte.
»Das lass mal meine Sorge sein«, erwiderte er mit gesenkter Stimme. »Du willst mir doch wohl keine Ratschläge erteilen, oder? Wenn wir weiterhin zusammenhalten, kann nichts passieren, das wisst ihr doch. Wir haben unseren Spaß, und die Weiber auch, wenn sie schlau sind. Zeig mir eine echte Frau, die nicht auf echte Männer wie mich steht. Und auf ihre Kronjuwelen.«
Brüllendes Gelächter. Ruby hätte sich auf der Stelle übergeben können. Ihre Kronjuwelen … würg. Glaubten die tatsächlich, ihre armseligen Pimmel wären derart toll?
»Würdest du die blauhaarige Lesbe etwa nageln?«, fragte ein dritter Mann. »Die ist doch nun wirklich nicht der Typ Weib, auf den du sonst stehst.«
»Na und? Ich würde es ihr schon deshalb besorgen, damit sie mal erfährt, was sie verpasst. Wetten, die Blauhaarige würde danach keine Frau mehr anpacken? Die würde jeden Morgen am Fenster stehen und betteln.«
Wieder dieses Gelächter.
»Aber bei der nächsten Baustelle bin ich mal dran«, sagte ein vierter Mann. Seine Stimme klang jünger als die der anderen, das musste der Auszubildende sein, der allerdings auch bereits circa Mitte zwanzig war.
Ruby hielt den Atem an. Was sollte das denn bedeuten? Hieß das etwa, dass die Männer jedes Mal ausknobelten, wer seinen Pimmel zeigen durfte?
»Schau mal an – unser kleiner Timmy will auch mal. Na, mal sehen«, sagte Kevin gönnerhaft. »Nur, wenn du es dir verdient hast. Aber ich denke, deine Chancen stehen gut. Vor allem, weil du den Alten so schön davon ablenkst, dass ich seine Tochter ficke. Solange der weiterhin denkt, dass du auf seine kostbare Susi stehst …«
»Ach, hier habt ihr euch verkrochen!«, rief ein weiterer Mann plötzlich quer über den Hof. »Kaum bin ich mal nich da, schon lungert ihr rum. An die Arbeit, ihr faulen Säcke, eure Frühstückspause ist seit zehn Minuten vorbei. Die Zeit holt ihr nach, verstanden? Heute habt ihr zehn Minuten später Feierabend.«
Ruby hörte, wie Schritte sich entfernten, dann sagte der Chef der Truppe: »Kevin, bleib mal da. Ich hab wat mit dir zu besprechen.«
»Um was geht es denn?«
»Um diese Frau aus dem zweiten Stock. Die Blauhaarige. Sie hat sich wieder über dich beschwert.«
»Über mich? Versteh ich nicht. Sind wir zu laut?«
»Quatsch«, zischte der Chef. »Sie sagt, du würdest ihr deinen Pimmel unter die Nase halten.«
»Schon wieder diese alte Leier? Seltsamerweise ist sie die Einzige, die das behauptet. Oder gibt es noch andere? Natürlich nicht. Das sagt doch schon alles.«
»Wer bitte sollte sich sonz beschwern? Sie ist doch die Einzige, die tagsüber im Haus is. Alle anderen Mieter gehen morgens zur Arbeit.«
Kevin stieß ein hämisches Lachen aus und sagte: »Die spinnt, Meister, ehrlich. Eine frustrierte Les… äh, eine frustrierte, alleinlebende Frau, die sich Geschichten ausdenkt, um ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen, das ist alles. Die hockt den ganzen Tag vor ihrem Computer. Kein Wunder, dass ihr die Decke auf den Kopf fällt. Übrigens …« Jetzt flüsterte Kevin beinahe, und Ruby musste die Ohren spitzen, um ihn zu verstehen. »Ich habe es noch nicht erwähnt, weil ich die Blauhaarige nicht bloßstellen wollte, aber es ist tatsächlich so, dass sie uns anmacht. Du kannst die anderen fragen. Hotte und Tim ist es auch schon passiert. Dann stolziert die in einem Bademantel rum, der sich wie zufällig öffnet … Und jetzt ist sie sauer, weil keiner von uns ranwill. Deshalb erzählt die diese Scheiße.« Er kicherte und fügte hinzu: »Willst du wissen, ob die Farbe von ihrem Schamhaar zu der auf ihrem Kopf passt?«
Ruby biss sich auf die Unterlippe, um nicht loszuschreien. Sie war heilfroh, dass keine geladene Knarre in Reichweite war, sonst wäre sie jetzt und sofort rausgestürmt und hätte diesen dreisten Lügner abgeknallt.
»Nein, dat will ich nicht wissen«, gab Kevins Chef brüsk zurück. »Du bis ekelhaft, Wehling. Lass dich nie von mir bei irgendwat von dem erwischen, wat diese Frau behauptet, denn dann hätte ich endlich einen Grund, dich zu feuern – und dat wäre mir eine große Freude. Und jetzt anne Schüppe, Wehling, aber zackig.«
Die Männer gingen weg, und Ruby holte tief Luft, um sich wieder zu beruhigen. Sie lauschte einige Minuten lang nach draußen, um sich zu vergewissern, dass die Männer wirklich vom Hof verschwunden waren, dann schleppte sie ihr Fahrrad die Hintertreppe hoch und schob es durch die Hofeinfahrt nach vorne.
Sie wollte es nicht, aber es passierte von ganz allein: Sie blickte hoch. Ganz oben auf dem Gerüst stand Kevin Wehling und winkte ihr grinsend zu. Er machte eine Bewegung mit dem Kopf, die sie zunächst nicht einordnen konnte. Instinktiv sprang sie ein Stück zur Seite und beobachtete fassungslos, wie ein dicker Flatschen Spucke neben ihren Füßen aufs Pflaster spritzte. Erneut blickte sie hoch, aber ihr Peiniger war verschwunden.
Im Höchsttempo radelte sie durch die Stadt und erreichte vollkommen abgehetzt das Café. Sie rannte hinein. Ben war schon da und lächelte ihr entgegen, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck zu Bestürzung.
»Wie siehst du denn aus?«, fragte er, als sie sich ihm gegenüber auf einen Stuhl fallen ließ. »Als hättest du gerade einen Geist gesehen.«
»Das Schwein hat auf mich gerotzt!«, rief sie so laut, dass alle Gespräche im Café abrupt verstummten. Bestimmt glotzten alle sie an, aber das war Ruby egal. »Auf mich gerotzt«, wiederholte sie, diesmal etwas leiser. »Das muss man sich mal vorstellen.«
»Großer Gott. Hat er dich getroffen?«
Ruby schüttelte den Kopf und fuhr sich durch ihren blauen Irokesen. »Bäh. In dem Fall hätte ich jetzt eine Glatze. Ich konnte seinem ekelhaften biologischen Kampfstoff gerade noch ausweichen. Dieser widerliche Wichser.«
»Versuch, dich zu beruhigen. Hunger? Ich habe uns ein Frühstück für zwei bestellt. Für zwei Verliebte, wenn ich die Frühstückskarte zitieren darf. Mit Erdbeeren, Prosecco, Lachs und allem Pipapo. Ich dachte, das würde dich amüsieren.«
Wider Willen musste Ruby grinsen; das freute Ben.
»Erdbeeren und Prosecco – mehr Klischee geht wohl nicht«, sagte Ruby. »Die haben zu viele schlechte Softpornos aus den Achtzigern geguckt.«
Ben lachte. »Vermutlich. Oder haben in den Achtzigern diese Filme geguckt und halten neckische Spielereien mit Erdbeeren und Sekt noch immer für den Höhepunkt zwischenmenschlicher Erotik.«
»Jeder, wie er will.« Ruby bestellte bei der Kellnerin einen großen Milchkaffee und wandte sich dann wieder Ben zu. »Schwierig wird es nur, wenn der eine seine vermeintliche, fehlgeleitete Erotik jemand anderem aufdrängt, der das gar nicht will.«
»Hat es wieder einen Vorfall gegeben?«
»Ja. Gestern Morgen. Und vorhin habe ich zufällig etwas gehört, das mir die Sprache verschlagen hat. Die stecken alle unter einer Decke, Ben. Dieser ganze Trupp.«
»Was meinst du damit?«
Ruby berichtete ihm von dem kurz zuvor belauschten Gespräch zwischen den Malern. Als das opulente Frühstück serviert wurde, schwieg sie, aber dann fuhr sie fort: »Nicht nur, dass die zusammenhalten wie Pech und Schwefel – der Hammer war, dass dieser Kevin seinem Chef gegenüber behauptet hat, ich hätte ihn angemacht. Und weil er mich abgewiesen hätte, würde ich jetzt behaupten, dass er mich belästigt.«
»Unfassbar.« Bens schüttelte den Kopf und reichte ihr das Sektglas. Dann nahm er seins hoch und stieß mit ihr an. »Komm, den hast du dir jetzt redlich verdient. Eigentlich wäre ein ordentlicher Schnaps fällig, aber dazu ist es echt noch zu früh.«
Während Ben nur nippte, leerte Ruby das Glas in zwei Zügen. Während der nächsten Zeit sprachen sie nicht, sondern widmeten sich – bis auf einen kurzen Disput um die letzte Scheibe Lachs, den Ruby gewann – ganz dem Frühstück.
Irgendwann schob Ruby ihren Teller beiseite und klopfte sich mit der flachen Hand auf den Magen. »Mann, bin ich vollgefressen. Zu Hause würde ich jetzt meinen Hosenknopf aufmachen. Aber ich weiß schließlich, was sich gehört.« Sie lehnte sich zurück und starrte sinnend auf die kümmerlichen Überreste des Frühstücks. Dann blickte sie ihr Gegenüber ernst an. »Weißt du, was ich einfach nicht verstehe?«
Ben grinste breit. »Nein, aber du wirst es mir gleich sagen.«
»Warum gibt es solche Menschen wie diesen Kevin? Und warum muss ich mich mit diesem Abschaum rumplagen? Wenn das Karma sein soll, dann muss ich in meinem letzten Leben ein verrückter, massenmordender Diktator gewesen sein.«
Das war sein Stichwort. »Vielleicht kenne ich jemanden, der dir helfen kann. Eine enge Freundin von mir.«
»Ach, und die ist zufällig Auftragskillerin? Und nicht allzu teuer? Dann immer her mit ihrer Adresse.«
»Na, na, na. Damit scherzt man nicht. Nein, Stella ist keine Auftragskillerin, aber vielleicht hat sie Antworten auf deine Fragen.«
Ruby verschränkte die Arme vor der Brust und grinste. »Na, da bin ich aber neugierig. Und diese ominöse Stella weiß die Antworten, weil …?«
»Weil sie Astrologin ist. Und weil sie … na ja … Weil sie sich mal dein Horoskop ansehen und dann vielleicht sagen könnte, was bei dir gerade los ist. Manchmal hilft das schon.«
»Du willst mich verarschen.«
»Auf gar keinen Fall. Du hast doch bestimmt von dem Todesfall bei den von Breidenbachs gehört, das ist ein paar Monate her. Und da hat Stella gleich Lunte gerochen und letztendlich den Fall aufgeklärt, und zwar mithilfe der Astrologie. Das ist zwar etwas vereinfacht formuliert, stimmt aber im Großen und Ganzen. Da war was in den Sternen, und sie hat sogar die Polizei irgendwann überzeugt.«
Die Kellnerin erschien am Tisch, um abzuräumen, und beide bestellten noch einen Espresso, der umgehend serviert wurde.
»Also, was ist?«, fragte Ben dann. »Was hast du zu verlieren? Gar nichts. Betrachte es als Experiment. Du probierst sonst doch auch alles mal aus. Wenn es ein Flop ist – gut. Ich brauche für Stella nur deine genauen Geburtsdaten. Dann macht sie dein Horoskop, und ihr könnt euch unterhalten.«
Ruby runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht recht. Das ist mir echt zu viel Hokuspokus.«
»Nichts dergleichen, glaub mir. Hokuspokus kriegste nebenan bei Stellas Großmutter, die ist Wahrsagerin. Mit Glaskugel und allem Brimborium, das man sich so vorstellt. Stella ist ganz anders. Sie macht eher so eine Art … wie soll ich sagen … das ist eher Lebensberatung. Glaub mir, sie kann dir helfen. Und stärker machen. Damit du diesen Mann überstehst, ohne durchzudrehen.«
Ruby rang sichtlich mit sich, dann gab sie sich einen Ruck. »Also gut. Schlimmer kann es schließlich nicht mehr werden, oder?«
»Sie hat mir ihre Daten gegeben«, sagte Ben später am Telefon zu Stella.
»Freiwillig oder musstest du Gewalt anwenden?«
Ben lachte, dann sagte er: »Sie ist skeptisch. Aber die Situation spitzt sich aktuell zu. Sie hat mir erzählt …«
Stella unterbrach ihn sofort. »Stopp. Ich will nichts weiter wissen, das könnte mich in meiner Interpretation beeinflussen. Sie kann selbst entscheiden, was sie preisgeben möchte.«
»Okay. Wie lange … also, ich will dich nicht drängen, aber sie braucht wirklich Hilfe.«
»Ich mache ich sofort an die Arbeit«, sagte Stella.
Susanne Braukmann stand in ihrem Zimmer vor dem Spiegel und legte letzte Hand an. Energisch bürstete sie ihre schulterlangen braunen Haare, bis sie richtig glänzten. Die Jeans saß knackig eng, so wie Kevin es mochte.
Kritisch musterte sie die duftige geblümte Rüschenbluse, für die sich entschieden hatte. Viel zu brav, entschied sie nun, schließlich wollte sie nicht wirken wie eine Klosterschülerin. Fürs Büro okay, für ein leidenschaftliches Treffen mit dem heimlichen Geliebten – auf keinen Fall.
Sie knöpfte die Bluse auf und zog sie aus. War ihr Büstenhalter vielleicht zu bieder? Immerhin – er war schwarz und mit Spitze besetzt, das gefiel Kevin. Sie ging zum Kleiderschrank und starrte hinein. Was könnte sie anziehen? Mit einem resignierten Seufzen zog sie das enge schwarze Oberteil mit dem großen Ausschnitt heraus, das sie schon mehrmals bei ihren heimlichen Treffen getragen hatte.
Eigentlich war es ja auch egal, was sie anhatte, denn ihre Kleidung würde ohnehin so schnell wie möglich auf dem Fußboden von Kevins Schlafzimmer landen.
»Das Lied vom Glück erklingt, wenn der Venuswalzer in verliebte Herzen dringt …«, sang sie vor sich hin und lächelte. Das war der Schlager, den Kevin immer für sie gesungen hatte, als er sie noch umworben hatte. Venuswalzer – so nannte er es, wenn sie miteinander schliefen.
Sie setzte sich an ihr Schminktischchen, um sich verruchte Smoky Eyes zu malen. Sie war heilfroh, dass es im Internet unzählige Filmchen darüber gab, wie man das machte. Ohne diese Hilfe würde sie höchstens aussehen wie ein trauriger Panda.
Kevin hatte sie dazu gebracht, sich zu schminken, denn normalerweise tat sie es nicht – erst recht nicht im Büro; dort würde es vollkommen deplatziert wirken. Und die Reaktion ihres Vaters wollte sie sich lieber nicht vorstellen.
Sorgfältig zog sie die Lippen mit einem knallroten Lippenstift nach – erstaunlich, wie ein wenig Schminke das Aussehen veränderte.
Nach einem Blick auf die Uhr nahm sie ihre Handtasche und verließ das Zimmer. Wie üblich um diese Zeit, saß ihr Vater im Wohnzimmer vor der Glotze, eine Flasche Bier in der Hand. Mit gerade mal 50 Jahren führte er schon ein Leben wie ein alter Mann, fand sie. Arbeiten, nach Hause kommen, Jogginghose und Schlappen an, am Esstisch in der Küche stumm die Mahlzeit, die sie gekocht hatte, verputzen, dabei Zeitung lesen, dann ab ins Wohnzimmer und irgendwann vor der Glotze einschlafen.
Kevin war da ganz anders. Zwar ging er bereits auf die vierzig zu, aber das merkte man ihm nicht an, so jugendlich war er unterwegs. Immer coole Klamotten, lustig und charmant. Und sehr sexy, wie sie fand.
»Ich bin dann gleich weg«, sagte Susanne.
Johannes Braukmann löste seinen Blick von der Mattscheibe und sah seine Tochter in der Wohnzimmertür stehen. »Wie siehst du denn aus? Is heute Karneval oder wat soll die Clownsmaskerade?«
Susanne verdrehte die Augen. »Papa, nicht schon wieder. Das haben wir doch schon ausführlich diskutiert. Manchmal schminke ich mich eben ein bisschen.«
»Ein bisschen? Dat is knapp vor Ich-nehm-nen-Fuffi-für-Handentspannung.«
»Papa!«
Braukmann winkte ab. »Nix für ungut. Wenn deine Mutter so rumgelaufen wär … na ja. Dann hätte ich gedacht, so eine is nix für fest. Aber heutzutage is dat wohl anders.« Er nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche und rülpste.
»Du tust gerade so, als wärest du hundert Jahre alt«, sagte Susanne. »Ich glaube, Frauen haben sich auch schon vor meiner Geburt geschminkt.«