Sonnen-Katastrophe - Lawrence E. Joseph - E-Book

Sonnen-Katastrophe E-Book

Lawrence E. Joseph

4,5

Beschreibung

Es ist eine gesicherte, allerdings weithin verdrängte wissenschaftliche Erkenntnis: Ein einziger Energiestoá der Sonne könnte ausreichen, um unsere Zivilisation auszulöschen. Lawrence Joseph verfolgt die Aktivität unseres Zentralgestirns über den gewaltigen Zeitraum hinweg, seit es Menschen gibt; und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Abrupte Veränderungen in und auf der Sonne gingen nicht nur mit gravierenden klimatischen Veränderungen einher. Sie begleiteten auch entscheidende Entwicklungssprünge der menschlichen Zivilisation, ja, sogar die großen politischen und wirtschaftlichen Krisen von den frühen Hochkulturen bis in unsere Zeit. Ein aufrüttelndes Buch, das wachsam werden lässt für die Frage, wie wir unsere empfindliche technische Infrastruktur, aber auch uns selbst vor möglichen katastrophalen Folgen schützen können.

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Lawrence E. Joseph

SONNEN Katastrophe

Eine kosmische Schicksalsbeziehung

Aus dem Amerikanischen von Angela Letmathe

Die amerikanische Originalausgabe ist 2012 unter dem Titel

SOLAR CATACLYSM: How the Sun Shaped the Past and What We Can Do to Save Our Future erschienen.

HarperCollins® and HarperOne™ are trademarks of HarperCollins Publishers. http://www.harpercollins.com

Harper Collins, 10 East 53rd Street, New York, NY 10022, USA

© 2012 by Lawrence E. Joseph.

1. eBook-Ausgabe

© 2013 Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, Berlin · München

Umschlaggestaltung und Motiv: Hauptmann & Kompanie, Zürich

Satz: BuchHaus Robert Gigler, München

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

ePub-ISBN: 978-3-943416-40-4

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.

www.scorpio-verlag.de

Für Phoebe, meinen Sonnenschein,

INHALT

EINLEITUNG

ZUSATZINFORMATION: DIE MOODY-SUN-HYPOTHESE

VERGANGENHEIT

1  Sol liebte Gaia fast fünf Milliarden Jahre lang

2  Sonnenflecken beendeten die letzte Eiszeit

3  Sonnenflecken: eine lange Geschichte der Verleugnung

4  Von der mittelalterlichen Warmzeit zur kleinen Eiszeit

5  Als die Sonne einschlief

GEGENWART

6  Sonnenflecken erwärmen die Welt

7  Der Skandal um die globale Abkühlung

8  Sonnenanbetung im 21. Jahrhundert

9  Die Sonne kann auch heilen

10  Sonnenflecken und das menschliche Gehirn

ZUKUNFT

11  Die Sonne wird bald unsere Energieversorgungsnetze kurzschalten

12  Ein einfacher Weg zum Schutz unserer Zukunft

13  Das Risiko einer Kernschmelze: 100 Prozent!

14  Die Sonne schickt uns geheime Warnungen

15  Drei sich anbahnende Bedrohungen und ein Happy End

Schlussfolgerung

Quellenangabe

Literaturverzeichnis

Danksagung

Stichwortverzeichnis

SONNENAKTIVITÄT SEIT DEM ENDE DER LETZTEN EISZEIT

Anzahl der Sonnenflecken

EINLEITUNG

Haben Sie sich schon einmal dabei erwischt, wie Sie etwas völlig grundlos anstarren? Sie können Ihre Augen nicht davon abwenden, obwohl Sie eigentlich keine Ahnung haben, warum nicht? Als Sonderling, der ich nun einmal bin, starrte ich unlängst völlig fixiert auf ein Kurvendiagramm zur Aktivität der Sonne in den vergangenen 12000 Jahren (oder so ähnlich), also vom Ende der letzten Eiszeit bis zur Gegenwart. Das Diagramm stammt aus A History of Solar Activity over Millennia von Ilya G. Usoskin vom Geophysikalischen Observatorium der Universität Oulu in Sodankylä, Finnland.1 Wie Sie der gegenüberliegenden Seite entnehmen können, gibt es da nicht besonders viel zu sehen. Keine schicken Fraktale, keine schön geschwungenen Kurven, lediglich die Zuckungen lebloser, superheißer Fusionsprozesse in einer Entfernung von kaum mehr als 150 Millionen Kilometern.

120 Jahrhunderte beständiger Fusion und Explosion im flotten Wechsel, gequetscht auf ein einziges Blatt Papier im Querformat. Nach Ewigkeiten verständnislosen Starrens klebte ich das Kurvendiagramm an die Vorderseite meines Druckers, direkt neben eine kleine Post-it-Notiz, auf der stand: »Mein Papi is der beste Papi im Uniwersum!«, ein liebevolles Geschenk in der krakeligen, fehlerbehafteten Schrift meiner zu der Zeit siebenjährigen Tochter Phoebe.

Ihr kleiner Liebesbrief ließ das Diagramm der solaren Aktivitäten plötzlich in einem völlig neuen Licht erscheinen. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass Usoskins Diagramm keineswegs nur den Überlegungen eines Einzelnen entsprang, sondern sehr wohl auch andere Forschungsarbeiten in diesem Bereich reflektierte, stellte ich fest, dass die Geschichte der Sonne letztendlich auch gleichzeitig unsere Geschichte ist. Für alles, was wir tun, ist die Sonne unsere einzige Kraftquelle, unsere Leben spendende Energieversorgung. Nahezu jeder Aspekt der menschlichen Existenz unterliegt den Veränderungen in und auf der Sonne, langfristig aufgrund des Klimawandels, kurzfristig, wenn nicht sogar sehr unmittelbar aufgrund der Möglichkeit, dass Sonnenflecken massive Blackouts hervorrufen können und darüber hinaus viele weitere Ereignisse sowohl zerstörerischer als auch liebevoller Art.

Meine Moody-Sun-Hypothese, d.h. meine »Hypothese der launischen Sonne«, besagt, dass nichts, nicht einmal der Sonnenschein, vom Gesetz des Wandels ausgenommen ist. Willkürliche Schwankungen im Verhalten der Sonne verändern den Lauf der Geschichte, beeinflussen unser tägliches Leben und bestimmen unsere Zukunft sowohl in kleinsten Kleinigkeiten als auch im großen, katastrophalen Stil. Unser Energie spendender Stern ist unerwartet wandelbar und weitaus launischer, als es die meisten von uns, ob Wissenschaftler oder Nichtwissenschaftler, jemals vermutet hätten. Jedes Mal wenn auf der Sonne Eruptionen stattfinden, sie untätig ist oder sich die Zusammensetzung ihrer Strahlung ändert, verändert sich unser Umfeld und somit, auf die eine oder andere Art, verändern auch wir uns. Dennoch muss gesagt sein, dass die Moody-Sun-Hypothese keinen deterministischen Anspruch hat. Unsere Schicksale, sowohl die individuellen als auch die kollektiven, sind nicht unweigerlich verknüpft mit dem Auf und Ab der Sonne. Es ist nur so, dass wir auf die Veränderungen unseres Sterns mit unserem Einfallsreichtum und unseren Überlebensinstinkten reagieren. Die Sonne ist ein wesentlicher Faktor, aber wir sind keineswegs ihre Sklaven. (Weitere Details zur Moody-Sun-Hypothese siehe in den Zusatzinformationen im Anschluss an diese Einleitung.)

Wie eng unser Schicksal mit dem unserer Sonne verknüpft ist, wurde mir wieder bewusst, als ich an einem sonnigen Tag in einem kleinen Park am Ende des Broadways an der Südspitze Manhattans saß, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der General George Washington sich einst überlegte, wie er den Hafen von New York vor einem Angriff der Briten schützen könnte.

Weder Washington noch ich noch irgendjemand sonst wäre je so beeindruckt von diesem speziellen Ausblick gewesen, wenn es nicht am Ende der letzten Eiszeit eine bizarre Laune bei den Vorgängen auf der Sonne gegeben hätte. Schauen Sie noch einmal auf das Diagramm von Usoskin, auf den Anfang vor etwa 12000 Jahren. Damals stiegen aufgrund eines schwachen Impulses in der solaren Aktivität die Temperaturen an. Stellen Sie sich den Moment vor zwölf Jahrtausenden vor, wo der Hudson River, der Tausende von Jahren zugefroren war, letztendlich auftaute. Eine Billion Tonnen von Eis schmolzen zu einer gewaltigen Flut, die die Verrazano Narrows genannte Landenge überflutete und die Wasserwege grub, die heute den Hafen von New York mit dem Atlantischen Ozean verbinden. Wenn die Kraft der Sonne nicht die jüngste Eiszeit beendet hätte, wäre der Hafen von New York heute immer noch ein Frischwassersee und wäre sicherlich niemals das Tor zum großen Ozean und damit die Schnittstelle für Immigranten und der Umschlagplatz des Welthandels geworden. Es war letztendlich dieses Ereignis, das die Stadt zu einer der größten Metropolen der Welt machte.

Fast ebenso bedeutungsvoll wie der gigantische Nach-Eiszeit-Coup der Sonne ist die Zunahme der Sonnenaktivität, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann und bis heute andauert. Was wäre gewesen, wenn die Aktivitäten der Sonne gegen 1850 einen Tiefpunkt erreicht hätten und die Temperaturen gefallen wären, anstatt anzusteigen? Der Hafen von New York wäre eventuell wieder zugefroren, was bedeutet hätte, dass New York City den größten Teil des Jahres über von Land umgeben gewesen wäre. Dann gäbe es nicht den »Big Apple«, dann wäre New York eher eine kleine, unbedeutende Gemeinde. Keine Verrazano Bridge von Brooklyn nach Staten Island, auf der John Travolta und seine Kumpel im Film Saturday Night Fever herumkaspern oder von der sie herunterfallen können. Womöglich wäre der Film niemals gedreht worden!

Des Weiteren ist es der Sonne zu verdanken, dass dieser beste Film über Brooklyn in englischer Sprache gedreht wurde und nicht in Norwegisch, der Sprache der Wikinger. Während des 10., 11. und 12. Jahrhunderts gelang es den ersten europäischen Einwanderern, sich im heutigen Nordamerika anzusiedeln, und zwar in einer warmen Periode des Mittelalters. »Die Blütezeit der Nordmänner, die ungefähr von 800 u.Z. bis 1200 dauerte, war nicht nur eine Nebenerscheinung von sozialen Faktoren wie Technologie, Überbevölkerung und Opportunismus. Die Wikinger machten ihre größten Eroberungen und Entdeckungen zu einer Zeit ungewöhnlich milden und konstanten Klimas, in den vier wärmsten Jahrhunderten der vorangegangenen 8000 Jahre«, schreibt der Klimaanthropologe Brian Fagan in The Little Ice Age (kleine Eiszeit).2 Dann jedoch veränderten sich die solaren Aktivitäten, und die Temperaturen auf der Erde fielen während der Kleinen Eiszeit, etwa von 1300 bis 1750. Dieser Temperatursturz hatte enorm abschreckende Auswirkungen auf das Siedlungsverhalten in der Neuen Welt. Die Schwierigkeiten, die die Nordländer bei der dauerhaften Besiedlung unseres Kontinents hatten, lagen nämlich weniger in militärischen, soziologischen oder kulturellen Problemen als vielmehr in der Tatsache, dass zuvor passierbare Schiffswege über den Nordatlantik plötzlich den größten Teil des Jahres über zugefroren und die Handelswege somit erheblich eingeschränkt waren. »Weinland«, wie die Wikinger ihre Kolonie auf Neufundland nannten, wurde für die Kultivierung der Weinreben zu kalt. Ohne die Profite aus dem Weinexport zurück nach Skandinavien waren die gefährlichen Seereisen nicht mehr rentabel. Als die Temperaturen während der Kleinen Eiszeit zurückgingen, zogen sich auch die Seefahrer in wärmere Gefilde zurück und begannen südlichere Areale, wie die Britischen Inseln, Portugal und Spanien, zu besiedeln, was letztendlich wesentlich dazu beitrug, den Bewohnern dieser Gegenden die Neue Welt zu erschließen und sich dort niederzulassen, was ihnen im Gegensatz zu dem erfolglosen Versuch ihrer skandinavischen Vorreiter auch gelang. So war es dann auch der englischstämmige George Washington, der später die amerikanische Nation im Unabhängigkeitskrieg von der Kolonialherrschaft aus Übersee befreite, und nicht irgendwelche Nachkommen von Leif Eriksson.

Die Moody-Sun-Hypothese hat sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit ihre Gültigkeit. Die Ausbeutung und Kolonialisierung neuer Welten unterliegt heute ebenso sehr den Schwankungen der solaren Aktivitäten wie vor 1000 Jahren. Astronauten z. B. sind extrem gefährdet durch von der Sonne hervorgerufene Strahlenstürme, mindestens genauso, wie es die früheren Seeleute bei Stürmen auf dem Meer waren. Sowohl Astronauten als auch Seefahrer reagieren übrigens auf die gleiche Weise: Sie suchen einen Unterschlupf und warten das Ende des Sturms ab. Aber während die Wikinger im wahrsten Sinne des Wortes von der Kleinen Eiszeit kaltgestellt wurden und ihr Schicksal in der Neuen Welt besiegelt wurde, käme den Astronauten eine Flaute der Sonnenaktivitäten gerade recht. Je weniger Sonnenflecken und je geringer ihre Kraft, umso besser sind die Chancen für das Anfliegen und Erkunden von Mond und Mars, denn es erfordert verhältnismäßig ruhige Wetterbedingungen im Weltall, um Versorgungsverbindungen zwischen der Erde und den Weltraumkolonien herzustellen. Unerwartete Impulsspitzen bei den Sonnenflecken können langfristige Planungen erheblich durcheinanderbringen, wie es z.B. 1977 der Fall war, als Skylab 4, ein Vorgänger der heutigen internationalen Weltraumstation ISS, funktionsunfähig wurde, weil unverhältnismäßig starke Sonnenaktivitäten die Erdatmosphäre erwärmten, wodurch diese sich ausdehnte. Dadurch wurde der Reibungswiderstand auf den Satelliten erhöht, was bei den Systemen zu Fehlfunktionen führte. Glücklicherweise waren zu dem Zeitpunkt keine Astronauten an Bord. Der Schaden war irreparabel, und Skylab 4 stürzte 1979 schließlich vom Himmel. Dieses frühzeitige Ableben des Satelliten versetzte der NASA einen herben Schlag, denn man hatte in der kleinen Weltraumstation eine erste Zwischenstation auf dem Weg zum Spaceshuttle-Programm gesehen, das in den 1980er-Jahren begann.

Durch weitere Forschungen einigten sich die Spezialisten für Weltraumwetter dann weitgehend darauf, dass nach dem nächsten Höhepunkt solarer Aktivitäten, der gegen Ende 2013 überschritten sein wird, eine längere Periode verlangsamter Aktivitäten beginnen wird. Was für ein Pech, wenn nicht gar eine nationale Tragödie, dass zeitgleich mit der einladenden Flaute der Sonnenaktivität das Budget der NASA für tief greifende Weltraumforschungen erschöpft sein wird. Das erinnert an die Parabel von Jared Diamond über das kaiserliche China. China war in der Mitte des 15. Jahrhunderts eine große Seefahrernation, aber weniger als ein Jahrhundert später waren die Chinesen als Folge von politischen Querelen gezwungen, ihre Flotten und Werften auszurangieren, wodurch sie für die nächsten 500 Jahre bezüglich der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Macht hinter den Westen zurückfallen sollten.3

Wenn das Licht ausgeht

Mitunter wird die Sonne richtig übellaunig und stößt explosionsartig Milliarden Tonnen Plasma, im Wesentlichen in Form hochenergetischer Gase, in das Sonnensystem aus. Die meisten dieser Explosionen verpuffen harmlos im All, aber einige wenige, hauptsächlich diejenigen, die vom nordwestlichen Quadranten der Sonnenoberfläche freigesetzt werden, treffen auf die Erde.

Früher oder später, sehr wahrscheinlich schon innerhalb des nächsten Jahrzehnts, werden wir von einem Mordsding getroffen werden, das unsere gesamte Energieversorgung lahmlegen und bis zu 100 Millionen Amerikaner und unzählige andere Menschen auf der ganzen Welt für Monate oder Jahre zu einem Leben ohne Elektrizität verdammen wird. Diese Vorhersage entstammt einem umfangreichen Bericht, Severe Space Weather Events: Understanding Societal and Economic Impacts, der im Dezember 2008 von der Akademie der Wissenschaften der Vereinigten Staaten in Zusammenarbeit mit der NASA veröffentlicht wurde. Die Akademie der Wissenschaften ist in den Vereinigten Staaten und auch für viele andere Nationen der Welt so etwas wie der Oberste Gerichtshof für wissenschaftliche Erkenntnisse. Sie wurde von Abraham Lincoln auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs ins Leben gerufen und ist heute mit Abstand die renommierteste aller wissenschaftlichen Organisationen. Es handelt sich hier also definitiv nicht um eine Exotenmeinung. Im Bericht der Akademie heißt es zu dieser Bedrohung aus dem Weltall, dass Explosionen von dem Ausmaß, wie sie bereits 1859, 1909 und 1921 auf die Erde trafen – also alle vor dem Ausbau großer elektrischer Stromnetze – heute den Super-GAU weltweiter Stromausfälle auslösen würden.

Was für Auswirkungen würde das haben? In dem Bericht der Akademie der Wissenschaften heißt es dazu: »Die Trinkwasserversorgung wäre (vermutlich) innerhalb weniger Stunden beeinträchtigt. Verderbliche Nahrungsmittel und Medikamente wären nach 12 bis 24 Stunden verloren. Sofort oder innerhalb kürzerer Zeit würden Heizungs- und Klimaanlagen ausfallen, Abwasserbeseitigung, Telefon, Transporte, Benzinversorgung und vieles mehr. Das Beheben dieser Versorgungsausfälle könnte möglicherweise Monate dauern und damit Notfalldienste, Banken und Handel und auch das Militär und die Sicherheitseinrichtungen extrem fordern.«4

Viele von uns haben schon einmal einen Stromausfall erlebt, wenn auch meist nur für wenige Stunden oder maximal Tage, nicht eine derartige Katastrophe, wie sie in dem Bericht der Akademie der Wissenschaften vorhergesagt wird. Was für eine düstere Welt, in der Stromausfälle die Regel sind und wir, oder zumindest diejenigen von uns, die überlebt haben, anfangen, die Zeiten freier Verfügbarkeit von Elektrizität in unseren Gedanken und Gesprächen besonders hervorzuheben! Das ist genau das, was passieren wird, wenn das nächste Mal ein massiver Klops solaren Plasmas unser Stromversorgungsnetz außer Kraft setzt und damit auch die vom Strom abhängigen Lebensgemeinschaften.

Nun fragt man sich, ob die Erfahrung derart massiver Stromausfälle so wäre, als würden wir in der Geschichte zurückgehen in Zeiten, zu denen es noch keine Elektrizität gab. Nein, so ist es nicht, es wäre weitaus schlimmer, denn die damaligen Völker wussten, wie man ohne Elektrizität auskommt. Wir wissen das nicht! Das ist das Paradoxe am Fortschritt: Je weiter wir uns entwickeln, desto abhängiger werden wir von unseren Errungenschaften. Heutige Zivilisationen können nicht mehr ohne Elektrizität leben. Kernkraftwerke z. B. werden, wenn sie etwa einen Monat von der normalen Stromeinspeisung benachbarter Elektrizitätswerke abgeschnitten sind, nicht mehr in der Lage sein, ihre Brennstäbe und Abfallprodukte zu kühlen, explodieren, wie eine Kette von Tschernobyls und Fukushimas, und unsere Luft, unser Wasser und den Boden verseuchen. (Mehr dazu in Kapitel 13.)

Die Geschichte von der launischen Sonne

In unserer Beziehung zur Sonne hat es ein ständiges Auf und Ab gegeben. Die frühzeitlichen Menschen sahen in der Sonne einen großen Himmelsgott, der als stürmischer, heißer Partner von Mutter Erde die Himmel regierte. Dann, als sich unsere Vorstellungen von Gottheiten entwickelten, wurde die Sonne als Gottes hell leuchtende physikalische Manifestation angesehen, kreiert vom Allmächtigen, um die Erde zu umkreisen und uns mit Wärme und Licht zu versorgen. Nach und nach stellte sich heraus, dass wir die Sonne umkreisen und nicht umgekehrt, was nur umso mehr ein Grund war, sie als luminöse Kreation anzusehen, die Gott auserwählt hat, von uns umkreist zu werden, und die perfekt, makellos und die reinste aller himmlischen Erscheinungen war.

Gehen wir nochmals zurück und schauen auf das Diagramm der Sonnenaktivitäten. Benutzen Sie es dieses Mal als Rorschachtest. Was sehen Sie? Ein Elektrokardiogramm? Ein verzerrtes Grinsen? Ich sehe darin die 12000 Jahre unserer Beziehung zur Sonne. Als roter Faden dieser Geschichte zeigt sich, wie die durch die Sonne ausgelösten Klimaveränderungen zu Aufstieg und Fall von Zivilisationen beitragen. Ein Nebenschauplatz ist die zeitgenössische Relevanz der völlig altertümlichen Ausübung der Sonnenanbetung, während ein zweiter Nebenaspekt die Auswirkungen jüngster massiver demografischer Verschiebungen der Regionen des Sonnengürtels auf der ganzen Welt ist. Sogar eine märchenhafte Dimension spielt eine Rolle, auch wenn sie sich uns nicht so direkt erschließt, die aber deutlich macht, wieso Sonnenauf- und -untergang bei uns Menschen so unterschiedliche Gefühle hervorrufen können, obwohl sie doch augenscheinlich von einem gegebenen Standort aus völlig identisch sind. Die Handlungswende am Ende des Diagramms stellt dar, wie ein willkürlicher Sonnensturm ganz einfach unser aller Leben in naher Zukunft zerstören kann.

Diese Geschichte, die in Usokins Diagramm anschaulich dargestellt wird, lässt sich mit einer Vielzahl von Fakten untermauern. Seit 1960 haben mindestens 18 Raumschiffe den Sonnenorbit erreicht und uns durch das Vermessen, Analysieren und Fotografieren von Sonnenatmosphäre, -oberfläche, -winden und -stürmen viele unschätzbare Informationen geliefert.

Sonnenflecken wurden erforscht und der Kern der Sonne regelrecht umschwirrt. Viele dieser Raumschiffe zur Erforschung der Sonne wurden ausgesendet im Zusammenhang mit dem Internationalen Heliophysikalischen Jahr (International Heliophysical Year, IHY) 2007/08, dem vielleicht ambitioniertesten weltweiten Zusammenschluss von Wissenschaftlern in der Geschichte, und sicher die bisher bedeutendste Zeit für die Erforschung der Sonne und ihrer Aktivitäten. Während des IHY organisierten sich Tausende von Wissenschaftlern in Dutzenden von Ländern in unzähligen Konferenzen und Initiativen.

In den vergangenen Jahren wurde eine wahre Armada von Raumschiffen zur Erforschung der Sonne auf den Weg gebracht, die uns täglich mit gigantischen Datenmassen versorgt. Beispielsweise wurden im Oktober 2006 die Zwillings-Sonnenobservatorien der NASA-Mission STEREO (Solar Terrestrial Relations Observatory) im Orbit um die Sonne platziert, um dreidimensionale Bilder zu liefern, mit dem Ziel, herauszufinden, wie sich Sonnenstürme mit Materialauswurf und andere zerstörerische Weltraumphänomene vorhersagen lassen. Im Februar 2010 wurde ein Sonnenbeobachtungssatellit (Solar Dynamics Observatory, SDO) von der NASA in eine geosynchrone Umlaufbahn manövriert, um zu analysieren, welche Auswirkungen die von STEREO identifizierten Sonnenstürme auf die Erdatmosphäre haben. SDO hat die bisher spektakulärsten und informativsten Bilder von geomagnetischen Aktivitäten geliefert, die es je gegeben hat. Im März 2010 wurde dann HINODE (japanisch für Sonnenaufgang), ein weiteres Raumschiff zur Erforschung der Sonne, von der japanischen Raumfahrtbehörde (Japan Aerospace Exploration Agency, JAXA) entwickelt und im Weltall ausgesetzt. Mithilfe des an Bord befindlichen Teleskops wurden die Pole der Sonne auf kleine, aber ausgesprochen intensive Sonnenfleckenaktivitäten hin untersucht.

Woher kommt das plötzliche Interesse?

Schauen Sie sich das Diagramm von Usoskin noch einmal genau an. Sehen Sie die Spannungsspitze seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart? Das ist ein Sonnensturm! Wir befinden uns derzeit in einem der massivsten, kraftvollsten und unaufhaltsamsten Sonnenstürme der Geschichte, und man ist sich noch nicht darüber einig, wie lange dieser Sturm noch anhalten wird. Wir wissen, dass die durchschnittliche Anzahl von Sonnenstürmen, mit denen die Sonne unseren Planeten bombardiert, sich seit den 1850er-Jahren etwa verdoppelt hat.

Alle wissenschaftlichen Rekonstruktionen von Sonnenaktivitäten zeigen einen ausgeprägten Anstieg während der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte, wobei einige Studien erkennen lassen, dass das moderne Zeitalter weitaus turbulenter verläuft als irgendeine andere Periode seit der spektakulären Zeit globaler Erwärmung, die das Ende der jüngsten Eiszeit vor 12000 Jahren bedeutete.

Die Grundlagen der Physik und auch der gesunde Menschenverstand sagen uns, dass Energiezufuhr ein bestehendes System anregt, was auch für das globale Ökosystem und somit für die in ihm lebenden menschlichen Zivilisationen gilt. Seit die Sonne vor eineinhalb Jahrhunderten begann, ihre Aktivitäten zu intensivieren, hat sich die Weltbevölkerung von dem Plateau mit 1,5 Milliarden, auf dem sie sich zuvor für ein halbes Jahrtausend mehr oder weniger konstant gehalten hatte, mehr als vervierfacht auf 7,0 Milliarden. In den gleichen eineinhalb Jahrhunderten hat sich der Energieverbrauch verdreißigfacht. Die industrielle Revolution, wenigstens zwei Weltkriege, das Weltraumzeitalter, das Informationszeitalter, verstärkte Migration in die »Sonnenstaaten« der USA und andere warme Regionen der Welt, die globale Erwärmung – bis jetzt wurden all diese Umbrüche den Aktivitäten der Menschen zugeschrieben. Aber wie auch bei vielen Generationen im Mittleren Osten, die aufgewachsen sind, ohne etwas anderes als Krieg zu kennen, und wie bei den Amerikanern, die erwachsen wurden in Zeiten des Aufschwungs, wie z.B. den wilden Zwanziger- oder den Neunzigerjahren im Zeichen des aufkommenden Internets, ist auch bei uns die Wahrnehmung vom Leben verzerrt von der stillschweigenden Annahme, dass das Außerplanmäßige gewöhnlich ist und das Außergewöhnliche die feste Regel. In diesem Buch möchte ich eine weitere Erklärungsmöglichkeit vorstellen und zeigen, dass wir »aufgeputscht« wurden durch ein von der Sonne ausgelöstes Äquivalent für Steroide.

VERGANGENHEIT