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Werden sie die Vergangenheit hinter sich lassen können, um für eine gemeinsame Zukunft zu kämpfen?
Teagan Firestone braucht eine Veränderung in ihrem Leben. Und so zieht sie in die kleine Stadt Pearl Lake, in der auch schon ihr Bruder Van ein Zuhause gefunden hat. Dort trifft sie auf den attraktiven Aaron Saunders, der zwar einen Ruf als Playboy hat, allerdings sonst nicht viel von sich preis gibt. Doch die Anziehung zwischen den beiden ist so stark, dass sie gar nicht anders können, als Zeit miteinander zu verbringen. Und je öfter sie sich sehen, desto mehr blicken sie hinter die Masken, die beide schon seit Jahren tragen. Haben Teagan und Aaron endlich den einen Menschen gefunden, bei dem sie ganz sie selbst sein können? Oder wiegen die Geheimnisse ihrer Vergangenheit zu schwer, um ihre Herzen vollkommen zu öffnen?
"Wenn du Grumpy x Sunshine und Small Town Tropes magst, wirst du diese Geschichte lieben!" Erin Evelyn Reads
Band 2 der PEARL-LAKE-Dilogie
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Seitenzahl: 480
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
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Epilog
Danksagungen
Die Autorin
Die Romane von Helena Hunting bei LYX
Impressum
HELENA HUNTING
Soul Searching
Roman
Ins Deutsche übertragen von Michaela Link
Werden sie die Vergangenheit hinter sich lassen können, um für eine gemeinsame Zukunft zu kämpfen?
Teagan Firestone braucht eine Veränderung in ihrem Leben. Und so zieht sie in die kleine Stadt Pearl Lake, in der auch schon ihr Bruder Van ein Zuhause gefunden hat. Dort trifft sie auf den attraktiven Aaron Saunders, der zwar einen Ruf als Playboy hat, allerdings sonst nicht viel von sich preisgibt. Doch die Anziehung zwischen den beiden ist so stark, dass sie gar nicht anders können, als Zeit miteinander zu verbringen. Und je öfter sie sich sehen, desto mehr blicken sie hinter die Masken, die beide schon seit Jahren tragen. Haben Teagan und Aaron endlich den einen Menschen gefunden, bei dem sie ganz sie selbst sein können? Oder wiegen die Geheimnisse ihrer Vergangenheit zu schwer, um ihre Herzen vollkommen zu öffnen?
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Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für diejenigen, die ihre Liebsten immer an erste Stelle setzen – sogar vor sich selbst.
WILLKOMMEN IN DEINEM NEUEN LEBEN
»Dad, kannst du mal herkommen?«, rufe ich. Einen Moment lang frage ich mich panisch, wie höllisch dieser Morgen werden wird.
Ein Umzugswagen biegt gerade rückwärts in unsere Auffahrt ein.
Vor einem knappen Jahr haben wir die sechshundertfünfzig-Quadratmeter-Villa aufgegeben, die wir uns nicht mehr leisten konnten, es sei denn, wir hätten die meisten unserer wichtigen Organe auf dem Schwarzmarkt verkauft – und sind in ein Haus mit nur noch hundertfünfundachtzig Quadratmetern Wohnfläche gezogen. Fast zwei Jahrzehnte lang hat mein Vater den Verlust meiner Mutter, möge sie in Frieden ruhen, mit exzessiven Ausgaben betrauert oder besser: kompensiert. Erst nach einem Skandal in der Familie wurde ihm klar, dass er einige wichtige Veränderungen in seinem Leben vornehmen musste, unter anderem, dass er kein Geld mehr ausgeben durfte, das er nicht hatte.
Ich lasse das Paket stehen, das ich gerade für meinen jüngeren Bruder packe, und bin schon halb durch den Raum, als mein Vater in der Tür steht. Er sieht besorgt aus. »Was ist denn los?«
»Ich weiß es nicht. Sag du es mir.« Ich gehe nach draußen, wo der Umzugswagen weiter mit einem Alarmpiepen zur Garage zurücksetzt. »Bitte sag mir, dass wir nicht wieder umziehen müssen.«
»Oh! Nein, nein, Teagan.« Er stellt sich neben mich und legt mir einen Arm um die Schulter. »Nein, wir ziehen nicht um. Ich wollte eigentlich vorher mit dir darüber sprechen.«
Meiner kurzlebigen Erleichterung folgt schnell Verwirrung. Mein Vater wirkt … bekümmert? »Worüber willst du mit mir sprechen?«
»Kleinen Moment. Ich muss ihnen eben die Garage aufmachen, dann können wir reden.« Er eilt davon, und kurz darauf höre ich, wie das Garagentor geöffnet wird. Ein Mitarbeiter der Umzugsfirma springt auf der Beifahrerseite aus dem Laster, und mein Vater geht auf ihn zu.
Wenn wir nicht ausziehen, muss wohl jemand anderes einziehen. Es kann keiner meiner Brüder sein, denn Bradley, der jüngste von uns, sitzt im Gefängnis – deshalb stelle ich ihm ja gerade ein Care-Paket zusammen. Manchmal frage ich mich, ob er nicht dort gelandet wäre, wo er jetzt ist, wenn ich eine bessere große Schwester gewesen wäre. Und mein älterer Bruder lebt mit seiner Verlobten in Pearl Lake. So bleibt nur eine weitere Möglichkeit zur Erklärung des Möbelwagens.
Inzwischen bringen zwei Männer in Firmen-T-Shirts und alten zerrissenen Jeans Umzugskisten und Möbel in die Garage. Einen der Stühle, die sie hineintragen, erkenne ich. Er ist auf dem Foto zu sehen, das Dad seit einem halben Jahr als Bildschirmschoner benutzt und das ihn und seine Freundin zeigt.
Ich trete vom Fenster zurück und packe noch einige Nummern des Wall Street Journals und ein paar neue Notizbücher in das Paket. Ich will sichergehen, dass es heute in die Post kommt, damit Bradley es am Wochenende hat. Ein paar Minuten später steht Dad wieder in meiner Tür.
»Danielle zieht bei uns ein«, sage ich, ohne ihn anzuschauen.
»Sie hat mich gestern Abend angerufen, um mir mitzuteilen, dass die Umzugsfirma den Transport für heute statt für Samstag eingeplant hat. Ich wollte mit dir darüber reden, bevor sie eintreffen, aber ich wusste nicht, ob du schon wach bist und wollte dich nicht stören. Ich wollte dich wirklich nicht überrumpeln, Schatz.«
Ich werfe einen Blick auf die Uhr auf meinem Nachttisch. Es ist neun Uhr dreißig. An einem Mittwoch. Es ist unser Homeoffice-Tag, und Dad sagt mir immer, dass ich ausschlafen kann. Was ich so gut wie nie tue.
Dass sein Plan war, mich ein paar Stunden vorher über unsere neue Mitbewohnerin zu informieren, ist keine große Überraschung. Die Hälfte seiner Lebensentscheidungen scheint er sich erst im Nachhinein zu überlegen.
Ich zwinge mich zu einem strahlenden Lächeln. Es ist nicht so, dass ich nicht möchte, dass er jemanden in seinem Leben hat. Wenn jemand Glück verdient, dann ist es mein Vater. Er hat so viele Turbulenzen und Auseinandersetzungen erlebt, dass es auch für mehrere Leben gereicht hätte.
»Du und Danielle habt viel Zeit miteinander verbracht. Ich finde es toll, dass ihr euch entschieden habt, den nächsten Schritt in eurer Beziehung zu machen.«
Es ist nicht so, dass ich mir Sorgen mache, dass Danielle so kurz nach dem Beginn ihrer Beziehung bei uns einzieht. Das Problem ist eher, dass ich Mitte zwanzig bin und immer noch bei meinem Vater wohne. Ich habe sogar vorgeschlagen, mir eine eigene Wohnung zu suchen, als er sich verkleinert hat. Aber dann trennte ich mich von meinem langjährigen Freund, und mein Vater sagte, er würde sich ohne mich einsam fühlen. Und dass er meine Backkünste vermissen würde, also zog ich mit ihm zusammen in das kleinere Haus. Und jetzt das.
Er schenkt mir ein entschuldigendes Lächeln. »Ich wollte, dass wir uns hinsetzen und reden. Danielle hat sich Sorgen gemacht. Ich weiß, wir sind noch nicht so lange zusammen.«
»Wenn man’s weiß, weiß man’s eben, richtig?« Sechs Monate sind nicht lang, aber auch nicht kurz. Und mein Vater hat in den letzten zwei Jahrzehnten niemanden gedatet, also kommt ihm das wahrscheinlich sehr lang vor.
Er lächelt auf mich herab. »Ich bin so erleichtert, dass du das sagst. Ich weiß, dass du und Danielle gut miteinander auskommen werdet.«
»Das werden wir auf jeden Fall.« Ich nicke und versuche, seine Bedenken zu zerstreuen.
Danielle ist eine nette Frau. Sie ist etwa zehn Jahre jünger als mein Vater und hat auch ihren Ehepartner verloren. Sie haben sich bei einer Gruppentherapie kennengelernt und sind seitdem befreundet. Im letzten halben Jahr war sie oft bei uns zu Hause, meistens bevor sie und mein Vater ausgingen. Sie fahren viel mit dem Fahrrad, gehen wandern und verabreden sich zum Abendessen. Sie und ich unterhalten uns immer ein bisschen, aber das war’s auch schon.
»Wir haben nicht damit gerechnet, dass der Möbelwagen so früh kommt, also wird sie erst nach der Arbeit hier sein. Ich könnte uns zum Abendessen was liefern lassen. Vielleicht können wir in dem Sushi-Restaurant bestellen, das ihr beide so liebt?«
Der Gedanke, an dem Abend, an dem die Freundin meines Vaters in das Haus einzieht, mit der »Familie« zu Abend zu essen, ist unangenehm. Wenn ich in das Haus meines Freundes einziehen würde, würde ich nicht wollen, dass mir ein Dritter im Bunde die Freude verdirbt. Schon gar nicht, wenn es sich um eine erwachsene Tochter handelt.
»Ich wollte doch dieses Wochenende Van in Pearl Lake besuchen, Dad. Eigentlich wollte ich am Freitag hinfahren, aber ich könnte auch schon früher aufbrechen, damit du und Danielle die Möglichkeit habt, alles zu regeln.«
Mein Bruder Van hatte mir beiläufig vorgeschlagen, ihn bald zu besuchen, wie fast jedes Mal, wenn ich mit ihm spreche, aber ich hatte mich nicht festgelegt. Hoffentlich hat er nichts dagegen, dass ich spontan vorbeikomme, und zwar mitten in der Woche und mit dem Plan, mehrere Tage zu bleiben.
Dad zieht die Stirn in Falten. »Ich wusste nicht, dass du zu Van fährst.«
»Oh. Ich dachte, ich hätte es erwähnt«, lüge ich.
»Ich möchte nicht, dass du das Gefühl hast, du müsstest früher fahren, weil Danielle einzieht.«
Ich winke ab. »Van wird es nichts ausmachen. Die Ein-Zimmer-Wohnung, zu der er das Obergeschoss der Garage ausbaut, ist fast fertig. Ist es okay, wenn ich mir ein langes Wochenende nehme?«
»Natürlich – du nimmst dir ja selten frei.«
»Ich packe eine Tasche und sage Van, dass ich auf dem Weg zu ihm bin. Diese Woche soll es dort wunderschön sein. Ungewöhnlich warm für Ende April. Ich nehme ein paar Bücher mit und genieße die Sonne, die Entspannung und die Zeit mit meinem Bruder.« Und ich kann seine Gefriertruhe mit selbst gemachten Gerichten füllen wie letztes Mal. Er und Dillion haben beide lange Arbeitstage, und Van schätzt es, für solche Gelegenheiten Vorgekochtes aus dem Gefrierschrank holen zu können.
»Du bist wirklich die beste Tochter, die sich ein Vater wünschen kann. Danke.« Er zieht mich in eine Umarmung und küsst mich auf den Kopf, als wäre ich sechs und nicht sechsundzwanzig Jahre alt. »Vielleicht bereite ich etwas Romantisches für Danielle vor. Das wäre doch schön, oder?«
»Auf jeden Fall!« Und genau das ist der Grund, warum ich dieses Wochenende nicht hier sein möchte. Ich habe kein Problem damit, wenn mein Vater romantische Dinge für Danielle tut, aber ich muss nicht dabei sein.
Er nickt, wendet sich ab und geht beschwingt den Flur entlang zu seinem Büro. Ich schließe meine Schlafzimmertür und lehne mich dagegen. Ich reibe die Stelle zwischen meinen Augenbrauen und versuche, nicht die Stirn zu runzeln. Portia, meine ehemals beste Freundin, hat mir immer gesagt, dass ich keine Emotionen zeigen soll, wenn ich nicht glücklich bin, um nicht vorzeitig Falten zu bekommen. Ich atme tief ein und aus. Normalerweise würde ich meinen Bruder anrufen, aber wenn ich seine Stimme höre, werde ich mich am Telefon verplappern. Also schicke ich ihm stattdessen eine kurze Nachricht.
Teagan: Wie weit bist du mit der Wohnung über der Garage?
Van: 85–90 Prozent. Warum, ist was los?
Teagan: Ich denke darüber nach, ein paar Tage Urlaub zu nehmen, wenn du nichts gegen einen Gast übers Wochenende hast.
Van: Du weißt, dass du immer willkommen bist. Wann kommst du?
Teagan: In einer Stunde oder so. Wäre das okay?
Die Punkte erscheinen und verschwinden ein paarmal. Ich will ihm gerade texten, dass ich bis morgen oder Freitag warten kann, aber da erscheint eine weitere Nachricht.
Van: Klar, du weißt ja, wie du reinkommst. Dillion bittet dich, das Zeug für die Gin-Cocktails mitzubringen, die du machst.
Teagan: Ist gebongt! Bis bald!
Eine halbe Stunde später sind meine Taschen gepackt. Ich verstaue den Gin und die Cocktailzutaten zusammen mit ein paar Flaschen Wein in eine Box und stecke mir meine Rezepte in die Handtasche, damit ich auf jeden Fall genug habe, um übers Wochenendes zu kommen.
Ich schaue noch kurz im Büro meines Vaters vorbei, sage ihm, dass ich am Sonntagabend wieder zurück sei und wünsche ihm ein absolut tolles Wochenende mit Danielle. Dann steige ich in mein Auto und mache mich auf den Weg nach Pearl Lake.
Ich mache am Postamt Halt, um das Care-Paket an Bradley aufzugeben, und hole mir einen Kaffee, um mich aufzuheitern. Ich binde mir das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen, damit ich das Verdeck meines Cabrios öffnen und die frische Luft und den Sonnenschein genießen kann. Obwohl wir die meisten unserer Autos verkaufen mussten, als wir uns verkleinert und die Schulden meines Vaters abgebaut haben, konnte ich mein Cabrio behalten. Aber nur, weil ich es selbst gekauft und bezahlt hatte. Ich habe es, seit ich achtzehn Jahre alt bin, und es hat vor allem einen emotionalen Wert.
Für ein Cabriolet ist es auch nicht der letzte Schrei. Er hat ein Hardtop für den Winter und ein Softtop für den Sommer. Es ist eines der letzten Überbleibsel unseres früheren verschwenderischen Lebensstils. Im letzten Jahr bin ich von wöchentlichen Spa-Terminen und teuren Abendessen mehrmals die Woche dazu übergegangen, meine Fußnägel selbst zu lackieren und zu lernen, wie man kocht. Ich hatte keine Ahnung, wie verwöhnt ich war, bis es vorbei war damit. Und ehrlich gesagt, vermisse ich es gar nicht so sehr.
Der Highway geht bald in baumgesäumte zweispurige Straßen über, und die Vegetation wird mit jeder Meile dichter und üppiger. Je weiter ich mich von Chicago entferne, desto leichter fällt es mir zu atmen. Ich versuche, die Schönheit der Fahrt zu genießen und nicht an Dad und Danielle zu denken oder daran, wie das Haus aussehen wird, wenn ich am Sonntag zurückkehre.
Ich komme kurz nach Mittag in Pearl Lake an. In der Einfahrt vor der Garage steht ein Truck von Footprint Construction. Das ist nichts Ungewöhnliches. Dillion, Vans Verlobte, lebt schon seit Monaten mit meinem Bruder zusammen. Sie fährt oft mit ihrem Vater, dem die Baufirma in der Stadt gehört, zur Arbeit, denn sie und Van wohnen direkt neben ihrer Familie.
Ich beschließe, dass ich es mir in dem Apartment über der Garage gemütlich machen sollte, statt die beiden in ihrem Liebesnest zu stören. Vorsichtshalber, damit sie mich erst gar nicht zu überreden versuchen, in einem der freien Zimmer im Haus zu schlafen.
Ich hole meinen Koffer aus dem Kofferraum und hänge mir meinen Weekender über die Schulter, zusammen mit meiner Handtasche. Das ist eine Menge für ein langes Wochenende, aber ich war noch nie besonders gut darin, sparsam zu packen.
Ursprünglich wollte Van die Garage in eine Einliegerwohnung umbauen, aber dann entschied er, dass es besser wäre, die Garage so zu belassen, wie sie ist. Stattdessen riss er das Dach auf, baute Gauben ein und machte den Raum darüber zu einer Wohnung. Auf diese Weise bleibt die Garage erhalten.
Darin sind eine kleine Werkstatt, jede Menge Werkzeug und Vans BMW, den er aber nur noch selten fährt. Er bevorzugt den alten Pick-up, den Grammy Bee, unsere Großmutter, bis zu ihrem Tod vor anderthalb Jahren fuhr. Sie hinterließ Van das Haus und alles, was sich darin befand. Es stellte sich heraus, dass überall in ihrem Haus noch offene Schuldverschreibungen in Millionenhöhe und haufenweise Geldscheine versteckt waren. Ich habe versucht, ihm klarzumachen, dass ich nichts davon haben wolle, aber er hat trotzdem einen Teil für mich angelegt. Ich habe vor, es nicht anzufassen, bis ich in Rente gehe, oder es vielleicht eines Tages an meine eigenen Kinder weiterzugeben, falls ich welche habe.
In der Garage gibt es eine Treppe, die nicht so steil ist wie diejenige, die von außen in den ersten Stock führt. Aber ich kann mich nicht mehr an den Code zum Öffnen des Garagentors erinnern, also ist die Außentreppe meine einzige Möglichkeit.
Ich schaffe es, mit meinem Koffer in einer Hand und meinen anderen Taschen, die über das Geländer hängen, hinaufzusteigen. Der Treppenabsatz oben ist klein und schmal; das erschwert das Manövrieren mit meinen Taschen.
Ich drehe am Türknauf und gehe davon aus, dass die Tür nicht verschlossen ist, denn hier schließen die Leute ihre Türen nur ab, wenn sie die schlauen Waschbären fernhalten wollen. Als ich über die Schwelle bin, lasse ich gleich meinen Weekender und meine Handtasche fallen und bereue es im selben Moment, denn der Boden besteht noch immer nur aus Sperrholz – so viel zu fünfundachtzig Prozent fertig – und ist von jeder Menge Sägemehl bedeckt.
Mein Koffer steht noch auf dem Treppenabsatz und die Tür weit offen, da bemerke ich, dass ich nicht allein hier bin. Es ist allerdings kein Waschbär, der mir Gesellschaft leistet. Es sind auch keine Eichhörnchen oder Fledermäuse.
Abgesehen von Spinnen, von denen es mit ziemlicher Sicherheit einige hier gibt, ist da ein Mann. Ein Mann ohne Hemd. Er steht gebückt mit dem Rücken zu mir und trägt ein Paar riesige Kopfhörer, die wirken, als kämen sie aus den Achtzigern oder so. Aber es gibt keine Kabel, also müssen sie neu sein. Sie sehen klobig aus. Das könnte erklären, warum er noch nicht bemerkt hat, dass ich hier stehe und seinen bloßen, sehr muskulösen und tätowierten Rücken anstarre.
Das Tattoo ist hell und wunderschön. Die Sonne geht darauf über einem zugefrorenen See unter. Die schneebedeckten Bäume sind in rosa, oranges und gelbes Licht getaucht, das von der Sonne stammt, die auf ihrem Weg zum Horizont durch die Wolken lugt. Flocken wirbeln über die Landschaft, sodass es aussieht, als würde die Sonne versuchen, sich durch einen Schneesturm zu kämpfen. Über ihr wölbt sich eine Schrift, aber sie ist zu klein, um sie durch den ganzen Raum hindurch zu erkennen. Auf seinem linken Trizeps befindet sich eine Sanduhr, in der nur noch ein paar Sandkörner liegen, als ob die Zeit abläuft.
Er ist gerade dabei, am anderen Ende des Dachbodens Dielen zu verlegen. Er nagelt eines der langen Bretter an, wobei sich all seine Muskeln köstlich anspannen. Dann legt er ein weiteres Brett daneben. Er holt einen Bleistift hinter seinem Ohr hervor, macht eine Markierung und steckt ihn wieder weg.
Einen Moment später schiebt er einen Fuß unter das Brett, hält es fest und hebt mit der anderen Hand ein Werkzeug auf.
Ich schreie auf, als es zum Leben erwacht und ich erst mit Verspätung merke, dass es eine Säge ist. Das laute Geräusch verstummt, und sowohl das Brett als auch die Säge krachen auf den Boden.
»Was soll der Scheiß?« Der Mann erhebt sich aus seiner geduckten Position und erreicht seine volle, sehr einschüchternde Größe. Von hinten ist er unglaublich gut anzusehen, aber von vorn ist er einfach … wow. Er ist kein Snack. Er ist ein Sieben-Gänge-Menü, einschließlich Dessert.
Sein dunkles Haar wird von einer umgedrehten Baseballkappe bedeckt, die Enden kringeln sich um seine Ohren und den Schirm. Seine Augen haben die Farbe von Schnee in einer mondlosen Winternacht, ein trübes Grau, das sich wie ein Schatten verändert. Seine Nase ist leicht schief, als wäre sie einmal gebrochen gewesen und nicht richtig zusammengewachsen; seine Lippen sind voll – eine irrwitzige Einladung zum Küssen. Er hat eine Narbe am Kinn, die mir nur deshalb auffällt, weil trotz der vielleicht einige Tage alten Stoppeln auf Wangen und Kinn eine blasse, haarlose Linie zu sehen ist.
Er hat breite Schultern und eine kräftige, gewölbte und ganz leicht dunkelbraun behaarte Brust. Seine Bauchmuskeln wellen sich, und seine kräftigen Armmuskeln spannen sich an, als er die riesigen Kopfhörer abnimmt. Die verwaschenen, mit Farbe bespritzten und teils zerrissenen Jeans hängen ihm tief auf den Hüften und werden von dem Werkzeuggürtel um seine Taille weiter nach unten gezogen, wodurch das prächtige V der Muskeln zum Vorschein kommt, das meinen Blick nach Süden zu dem Zauberstab führt, der hinter seinem Hosenschlitz versteckt ist.
Der Typ wird demnächst auf jeden Fall in meinen Fantasien eine Rolle spielen.
Dann wird er nicht mehr so zornig sein wie jetzt.
Ich reiße meinen Blick schnell wieder nach oben, damit ich ihn nicht mehr anstarre.
Er wirft die riesigen Kopfhörer auf den Boden. In seinen grauen Augen tobt ein Sturm aus Schock und Verärgerung. Er deutet auf die Säge zu seinen Füßen. »Ich hätte mir den Fuß abschneiden können, verdammt!«
»Warum hebst du das Holz auch mit dem Fuß an? Ist das nicht unsicher?« Was zum Teufel ist los mit mir? Seit wann widerspreche ich Leuten, die ich gar nicht kenne? Aber als ich zwischen ihm und der Säge hin und her schaue, wird mir klar, dass ich ihn schon einmal getroffen habe.
Vor Monaten.
Ich habe mich damals auch zum Affen gemacht.
»Ist das dein verdammter Ernst? Regel Nummer eins auf dem Bau: Mach dich immer bemerkbar, wenn jemand mit Maschinen hantiert.«
»Du hattest Kopfhörer auf. Wie sollte ich mich bemerkbar machen, wenn du mich nicht einmal hören kannst? Vor allem nicht bei dem Lärm von diesem Ding.« Ich zeige auf die Elektrosäge, die auf dem Boden liegt.
»Das sind keine Kopfhörer, das ist ein Gehörschutz! Und du hättest nur laut klopfen und Hallo sagen müssen, dann hätte ich dich gut gehört. Ein Banshee-Schrei ist unnötig.«
»Ich konnte nicht wissen, dass du hier drinnen bist! Und ich habe auch nicht erwartet, dass sich diese Säge anhört wie vom Set eines schlechten Horrorfilms!«
»Hast du den Transporter vor der Garage nicht gesehen?« Er schüttelt den Kopf und murmelt etwas, das ich nicht verstehen kann. »Wer bist du überhaupt? Und was machst du hier oben?« Er hält eine Hand hoch, als ich den Mund zum Sprechen öffne. »Warte. Lass mich raten: Du bist die neue Dame von der Stadt, die im Planungsamt eingestellt worden ist, oder? Ich habe für alles Genehmigungen, also verschwendest du deine Zeit. Du kannst deinen Gaucho-Model-Designer-Klamotten-tragenden Hintern gleich wieder vor die Tür befördern.« Er deutet mit einer hochgezogenen Augenbraue auf die Tür.
Gaucho-Model? Ist das eine Beleidigung in Pearl Lake? »Mein Hintern sieht nicht aus wie ein Modelhintern.« Beleidigt klopfe ich auf meinen Hintern und versuche zu entschlüsseln, was er meint. Vielleicht bezieht er sich auf Gucci und Prada, die ich beide nicht trage. »Und ich bin nicht vom Ordnungsamt. Ich bin Teagan.«
»Soll mir das etwas sagen?« Er blickt mich auf eine Art an, die ich nur zu gut kenne.
Es ist ein Blick, wie ihn mir die Mädels, mit denen ich früher in Chicago rumgehangen bin, zugeworfen haben, nachdem Troy die Verlobung mit mir aufgelöst hatte mit der Erklärung, er und Portia seien zusammen.
Ein Blick, der besagt: Wir können es nicht erwarten, dass du weg bist. Wir wollen dich loswerden.
»Du musst nicht so unhöflich sein!«
So macht man einen noch schlechteren zweiten Eindruck im Vergleich zum ersten, Teagan, schimpfe ich in Gedanken mit mir selbst. Es ist mir ohnehin schon peinlich, dass ich ihn zu Tode erschreckt habe und ihm versehentlich ein Glied abgetrennt haben könnte. Jetzt kommt noch die Demütigung hinzu, dass er sich überhaupt nicht mehr an mich erinnert.
Ich fand unser erstes Kennenlernen ziemlich denkwürdig in Anbetracht dessen, wie unbeholfen ich mich angestellt habe, als ich ihm sagte, dass er Hände wie ein Basketballspieler habe, und ihn dazu brachte, unsere Handgrößen zu vergleichen. Und als er mir sagte, dass er Football möge, machte ich eine noch peinlichere Bemerkung darüber, wie viele Ganzkörperumarmungen es bei diesem Spiel gibt.
»Ich bin die Schwester von Donny. Wir haben uns letztes Jahr kennengelernt.« Keine Ahnung, ob es hilfreich sein wird, ihn an unser letztes Treffen zu erinnern.
»Hm?« Er starrt mich ausdruckslos an.
Ich erinnere mich, dass ich die Einzige bin, die meinen Bruder so nennt, und dass es nicht sein Lieblings-Spitzname ist. »Vans Schwester«, ergänze ich. »Letzten Herbst. Wir haben uns getroffen. Ganz kurz. In der Einfahrt.« Ich deute auf die Tür, als ob das helfen würde. »Du bist Aaron. Du arbeitest mit Dillion, der Verlobten von Van, zusammen.« Seine Augenbrauen heben sich überrascht, vielleicht weil ich mich an seinen Namen erinnere und er sich anscheinend überhaupt nicht an unsere Vorstellung.
»Sorry, ich habe ein schreckliches Gedächtnis.« Er reibt sich den Nacken und wirft einen Blick auf die Tür. Ich kann nicht sagen, ob er darüber nachdenkt, abzuhauen oder so. Aber ich kann sagen, dass er seinen Bizeps verlockend anspannt.
Ich wische die Bemerkung mit einer Handbewegung weg und versuche, etwas anderes zu tun, als seine Muskeln anzustarren. »Schon okay. Wie ich schon sagte, war es nur sehr kurz. Jedenfalls bin ich Vans jüngere Schwester. Er sagte, das Apartment hier sei zu fünfundachtzig Prozent fertig und ich könne ein paar Tage bleiben.«
»Das wird es sein, wenn ich mit dem Verlegen des Bodens fertig bin.« Er deutet auf die Bretter, die zu seinen Füßen liegen.
»Toll! Das ist einfach großartig.« Ich möchte etwas mit meinen Händen machen, zum Beispiel ihm über die Brust streichen, aber stattdessen strecke ich sie abwehrend aus. »Ich will mich nicht aufdrängen, weißt du, weil sie sich gerade verlobt haben und so. Ich weiß, dass sie das Haus selbst renoviert haben, oder warst du das vielleicht?« Ich warte nicht auf seine Antwort, sondern fahre fort. Ich kann meinen Mund nicht halten. »Wie auch immer, die Wände sind dünn und ich muss nichts hören, das ich nicht hören sollte.«
»Genau.« Seinen zusammengekniffenen Augen nach zu urteilen, hätte der letzte Teil ungesagt bleiben sollen.
»Ich hole meine Tasche.« Ich zeige mit dem Daumen über meine Schulter.
»Tu dir keinen Zwang an.« Er wendet sich ab und bückt sich, um das Brett aufzuheben, das er fallen gelassen hat, als ich ihn zu Tode erschreckt habe.
In der kurzen Zeit, die ich brauche, um meinen Koffer hineinzuschleppen – Aaron bietet mir keine Hilfe an – hat er seine unglaublichen Muskeln und seine hübschen Tattoos mit einem fadenscheinigen T-Shirt verdeckt. Ich räume ein paar Sachen weg, während er auf dem Boden arbeitet.
Ich weiß, dass ich ihn wahrscheinlich in Ruhe lassen sollte, aber aus irgendeinem Grund bin ich nicht zu bremsen. Ich will ihn dazu bringen, mit mir zu reden.
»Wie lange machst du das schon?«, frage ich, als er mit dem Zuschneiden eines weiteren Dielenbretts fertig ist.
»Dieses spezielle Projekt oder das hier im Allgemeinen?« Er klopft das Brett mit einem Gummihammer ein, bis es einrastet.
Ich warte, bis er wieder mit der Säge fertig ist, bevor ich ihn aufkläre. »Das im Allgemeinen. Hast du schon immer mit deinen Händen gearbeitet? Es ist offensichtlich, dass du sehr gut mit ihnen umgehen kannst.« Ich bekomme wieder nur ein Wort zur Antwort: »Ja.« Anstatt mich abschrecken zu lassen, stelle ich weiter Fragen. Menschen lieben es, über sich selbst zu sprechen und darüber, was sie interessiert und begeistert. Theoretisch müsste er dann eher bereit sein, längere und ausführlichere Antworten zu geben. Und eine Zeit lang ist das auch so. Er fängt an, über den Unterschied zwischen Hartholz mit Nut und Feder und gewöhnlichem Laminat zu reden und darüber, dass Holz besser ist. Ich habe keine Ahnung, was er sagt, ich weiß nur, dass er redet und ich sein hübsches Gesicht anstarren und seiner Stimme zuhören kann.
Zumindest bis er meine Fragerunde abrupt beendet. »Hör zu, Teagan, ich verstehe ja, dass du dich vielleicht langweilst, aber wenn du einen Boden haben willst, der nicht aus Sperrholz besteht, musst du mit den Fragen aufhören. Ich würde hier gern vor Mitternacht alles fertig haben.« Es ist nicht so, dass ich nicht verstehe, dass er das, woran er gerade arbeitet, zu Ende bringen muss. Es geht darum, wie schnell sein Tonfall wechselt und wie scharf er wird. Es ist, als ob ich die Grenze seiner Geduld erreicht hätte und er sich die ganze Zeit über mich lustig gemacht hat. Ich schenke ihm ein schmallippiges Lächeln. »Tut mir leid. Ich mach mich vom Acker.« Ich schnappe mir meine Handtasche und eile die Treppe hinunter, in Richtung Haus und weg von Aaron. Ich weiß gar nicht, warum ich mich so verdammt anstrenge, damit mich jemand mag, den ich nur zu sehr seltenen Gelegenheiten sehen werde. Er ist die Mühe nicht wert.
ZEIT FÜR ENTSCHEIDUNGEN
Ich gehe also in das Haus meines Bruders, werkele dort eine Weile in der Küche herum und bediene mich an seinem Schnapsschrank. In dieser Reihenfolge. Das Mindeste, was ich tun kann, wenn ich schon unerwartet auftauche, ist es, ihm seine Lieblingsspeisen zu machen.
Dann sitze ich auf der vorderen Veranda im Schaukelsessel und nippe an meinem zweiten Martini. Anhand der Ringspuren auf den Beistelltischen vermute ich, dass Van und Dillion abends viel Zeit hier verbringen. Wahrscheinlich kuscheln sie und reden über das Leben, das sie sich gemeinsam aufbauen.
Wenn Troy mich nicht mit meiner besten Freundin betrogen und ihretwegen verlassen hätte, wäre er vielleicht mitgekommen und hätte mit mir in diesem Schaukelsessel gesessen und über unsere gemeinsame Zukunft gesprochen. Bei dem Gedanken schnaube ich fast in mein Martiniglas.
Troy würde niemals in ein so einfaches Haus am See mitkommen. Er ist grundsätzlich allergisch gegen alles Ungeziefer. Troy bekommt schon beim kleinsten Mückenstich Quaddeln und stöhnt dann über die möglichen Narben und den Juckreiz.
Als ich höre, wie ein Motor röhrt und Kiesel spritzt, weiß ich, dass Aaron für heute Feierabend macht. Vermutlich heißt das, der Boden ist fertig verlegt und ich kann bequem in der Garagenwohnung schlafen, ohne meinem Bruder zur Last zu fallen.
Nicht lange nachdem Aaron gefahren ist, machen mich das Rattern eines alten Motors und das Knirschen von Schotter unter den Reifen auf die Ankunft meines Bruders oder von Dillion aufmerksam. Oder vielleicht auch von beiden, je nachdem. Mein Bruder arbeitet für ein Architekturbüro in der Stadt, aber manchmal ist er auch als Berater für Projekte am Pearl Lake tätig, so wie heute. Vor ein paar Stunden hatte er mir geschrieben, dass er bald auftauchen wird.
Eine Minute nach dem Lärm draußen erscheint Van. Seitdem er hierhergezogen ist, hat er sich die Haare wachsen lassen und den Business-Cut gegen einen etwas weniger polierten Look eingetauscht. Das steht ihm gut, genauso wie das T-Shirt, die Khakihosen und das karierte Hemd.
»Hey, Teag, tut mir leid, dass ich nicht früher zurückkommen konnte, um dir Gesellschaft zu leisten.«
»Mach dir keine Gedanken. Ich habe dich ja sozusagen in letzter Minute überrumpelt.« Ich stelle mein Martini-Glas auf den Tisch und ziehe meine Fußspitzen über die Bodenbretter, um die Schaukel anzuhalten. Dann stehe ich auf und lasse mich umarmen.
»War die Fahrt okay?«, fragt er, sobald er mich loslässt.
»Schön wie immer, zumindest seit ich die Stadt verlassen habe. Kann ich dir einen Martini machen? Oder dir ein Bier holen? Ich habe heute Nachmittag Ahornsirup-Speck-Muffins und Speck-Käse-Cracker gebacken, falls du Hunger hast.
»Ich liebe es, wenn du zu Besuch kommst. Machst du irgendwann die mit Speck umwickelten Jalapenos, solange du hier bist?«
»Mach mir eine Liste von allem, was du dir wünschst. Ich mache jetzt ein Tablett mit Snacks fertig. Weißt du, wann Dillion zu Hause sein wird?« Ich folge ihm ins Haus und eile zum Kühlschrank, um ein Bier, ein paar Äpfel und etwas Käse für die Kekse und Muffins zu holen, die ich vorbereitet habe. Ich erwarte von meinem Bruder nicht, dass er mich wie einen Gast behandelt, der bedient werden muss. Und ich weiß, dass mein Auftauchen aus heiterem Himmel wahrscheinlich die Pläne der beiden für diese Woche durcheinandergebracht hat, also möchte ich mich erkenntlich zeigen.
»Wahrscheinlich erst ziemlich spät. Sie und ihr Vater treffen sich mit einer der Familien am anderen Ufer des Sees, und meist geht das dann nahtlos in ein Abendessen über.«
»Oh, wärst du da normalerweise auch dabei?« Ich stöbere im Gemüsefach und finde Cocktailtomaten, Babymöhren und Zuckerschoten, die ich auf das Snack-Tablett lege.
»Ja, aber dank dir hatte ich eine Ausrede und bin dieses Mal drum herumgekommen.«
Ich runzle die Stirn, versuche dann aber, meine Gesichtszüge zu glätten. »Es tut mir leid, ich wäre heute nicht gekommen, wenn ich gewusst hätte, dass ich mich damit in deinen Tagesplan einmische.«
»Du mischst dich zu hundertzehn Prozent nicht ein. Diese Planungstreffen sind reine Zeitverschwendung und dauern stundenlang. Ich meine, versteh mich nicht falsch: Das Essen ist immer gut. Aber es gibt auch Wein oder Cocktails, und ich muss morgen wieder arbeiten, also tust du mir einen Gefallen damit, dass ich dieses Treffen vermeiden kann, und das ist alles andere als eine Einmischung.«
Ich hoffe, dass er nicht versucht, mich wegen meines Überraschungsbesuchs zu beruhigen, aber ich lasse es dabei bewenden.
Zehn Minuten später sind wir wieder auf der Veranda, und er vertilgt seinen dritten Muffin.
»Was ist eigentlich mit diesem Aaron los? Er ist ein bisschen mürrisch, oder?« Ich knabbere an dem Ende einer Zuckerschote.
»Du meinst Aaron Saunders? Der Typ, der in der Garage arbeitet?«, fragt Van mit einem Bissen Muffin im Mund.
»Ich habe ihn zu Tode erschreckt, als ich hier ankam, und er hat mir dafür fast den Kopf abgerissen. Er scheint … nicht der Freundlichste zu sein.« Ich will unbedingt herausfinden, ob ich die Ursache für sein muffeliges Verhalten bin oder ob er immer so ist.
Van runzelt die Stirn. »Vielleicht hast du ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Normalerweise ist er ein ziemlich entspannter Typ.«
»Vielleicht mag er mich auch nicht.« Das scheint der Fall zu sein.
»Unmöglich. Alle lieben dich. Du ziehst Menschen an wie die Sonne.«
»Ich weiß nicht so recht.« Ich stecke mir eine der Oliven aus meinem Martini in den Mund und kaue nachdenklich. »Hast du in letzter Zeit mit Dad gesprochen?«
»Letzte Woche, glaube ich. Warum, ist etwas passiert? Bitte sag mir, dass er nicht wieder Geld ausgibt, das er nicht hat.«
Ich sehe meinem Bruder an, wie er im Kopf schon wieder rechnet.
»Nichts dergleichen. Was die Finanzen angeht, ist alles in Ordnung. Zumindest war das so, als ich das letzte Mal die Kreditkarten- und Kontoauszüge überprüft habe.«
»Okay. Das ist gut. Also, was ist dann los?«
»Danielle zieht bei Dad ein.« Ich denke mir, ich kann es auch gleich ausspucken.
»Wow. Das ist gut, oder? Ich würde sagen, es geht recht schnell, aber Dad war fast zwei Jahrzehnte lang allein, also vielleicht auch nicht. Wann zieht sie ein?«
»Der Möbelwagen ist heute Morgen gekommen, also heute.«
Das bringt eine gerunzelte Stirn auf sein Gesicht. »Wie lange weißt du schon, dass sie einzieht?«
»Seit der Möbelwagen um halb zehn gekommen ist.«
»Hat Dad nicht daran gedacht, es dir zu sagen, bevor der Laster auftauchte?« Vans Augen sehen aus, als würden sie ihm gleich aus dem Kopf springen. In Anbetracht dessen wirkt mein Schock von heute Morgen ganz normal.
»Anscheinend sollte der Umzug erst am Samstag vonstatten gehen, aber sie haben die Tage getauscht oder was auch immer, und Dad hat ihn erst mittags erwartet, also dachte er, er hätte noch Zeit, es mir zu sagen.«
»Trotzdem ist das nicht viel Vorlaufzeit. Man sollte meinen, dass er mit dir darüber geredet hätte, lange bevor es so weit war.«
»Ich hätte es erwarten sollen.« Ich kippe den Rest meines Drinks hinunter. »Sie haben viel Zeit miteinander verbracht, und ich finde immer einen Grund, um außer Haus zu sein, wenn sie eines ihrer Dates haben, was immer öfter der Fall ist.«
»Wie oft ist oft?«
»Drei oder vier Mal die Woche.« Ich lege den Kopf in den Nacken und versuche die letzten Tropfen mit Olivengeschmack aus meinem Glas zu erwischen. »Oh, verdammt. Alle Anzeichen waren da. Dad hat mich immer gefragt, was ich vorhabe, bevor sie kam. Ich habe ihr vorgespielt, dass ich verabredet bin.«
»Ach, Teag. Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es so ungemütlich geworden ist.« Van legt seinen Arm um meine Schulter.
»Es ist aber nicht schlecht. Das ist genau das, was Dad tun sollte: sein Leben so gut wie möglich leben. Ich bin froh, dass er eine Freundin hat. Ich bin froh, dass sie bei ihm einzieht. Das bedeutet, dass er endlich vorankommt, und das hat er verdient. Außerdem ist Danielle nett. Geerdet. Ich kann verstehen, warum sie diesen Schritt machen wollen.«
Jetzt verstehe ich auch besser, warum mein Vater vor etwa einem Monat die Möglichkeit erwähnt hat, zu seinem Nachnamen zurückzukehren. Als er und meine Mutter heirateten, nahm er den Namen Firestone an, auch weil meine Mutter die letzte verbliebene Firestone war und der Name mit ihr aussterben würde. Um ihn am Leben zu erhalten, nahm er ihren Nachnamen an, anstatt dass sie seinen annahm. Ich glaube, es hat mit hineingespielt, dass der Name Firestone etwas galt, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass mein Vater kein gutes Verhältnis zu seiner eigenen Familie hatte.
»Das ist gut, auch wenn es unverhofft kommt.« Van nickt, aber ich merke, dass er überlegt, worauf ich hinauswill.
»Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und wohne noch bei meinem Vater. Das schien nicht weiter schlimm zu sein, bis heute Morgen der Möbelwagen auftauchte.« Und das war es wirklich nicht. Ich war geblieben, um meinem Vater Gesellschaft zu leisten. »Ich muss ausziehen, Van. Ich muss mir eine eigene Wohnung suchen. Ich kann nicht als fünftes Rad am Wagen dortbleiben, während sie sich eine Zukunft und ein gemeinsames Leben aufbauen. Wenn wir noch im alten Haus wohnen würden, wäre es vielleicht möglich gewesen, denn ich hätte in das Haus am Pool ziehen können, wie Bradley es getan hat, oder ich hätte die Nanny-Suite am anderen Ende des verdammten Hauses nehmen können, und ich wäre ihnen nie begegnet, außer vielleicht in der Küche, wenn ich mir etwas zu essen hole, oder beim gelegentlichen Familienessen. Aber in diesem Haus geht das nicht. Da sitzen wir aufeinander. Ich möchte ihrer Beziehung nicht im Weg stehen, und ich möchte mir ehrlich gesagt auch keine Altherren-Romantik antun.«
»Dad ist noch nicht so alt«, sagt mein Bruder mit einem mitfühlenden Lächeln.
»Ich weiß, aber das ist nicht der Punkt. Der Grund, warum ich, als wir uns verkleinert haben, keine eigene Wohnung bezogen habe, war, dass Dad mich überzeugt hat, in seiner Firma anzufangen. Und jetzt das. Ich habe das Gefühl, überall zu viel zu sein. Vielleicht klingt das egoistisch. Aber ich bin seinetwegen geblieben, und jetzt habe ich das Gefühl, dass ich nicht mehr dazugehöre.« Während ich ein Eichhörnchen beobachte, das versucht, von einem Baum zum nächsten zu springen, beginne ich zu verstehen, dass es nicht nur darum geht, mit meinem Vater zu leben; es geht um mehr. »Ich arbeite für Smith Financial, nicht weil ich den Job wollte oder ihn gar liebe. Ich habe es getan, weil Dad so begeistert von der Aussicht war, dass wir in der gleichen Firma arbeiten.«
»Ich wusste nicht, dass du den Job nicht magst«, sagt Van leise.
»Ich kann nicht sagen, dass ich ihn nicht mag. Ich finde ihn nur nicht besonders lohnend. Ich bin ganz gut darin, und Dad hat es gemocht, mich in der Nähe zu haben, also schien alles in Ordnung zu sein. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass ich die meiste Zeit meines Lebens damit verbracht habe, dafür zu sorgen, dass er jemanden hat, der ihn emotional unterstützt, und dass es bei den Entscheidungen, die ich getroffen habe, nicht um mich ging, sondern darum, ihn glücklich zu machen. Und wenn man bedenkt, wie viele Therapien er im Lauf der Jahre hatte, war das ein kompletter Reinfall.«
Van wirft mir einen strengen Blick zu. »Du bist nicht für Dads Glück verantwortlich.«
»Das weiß ich. Und ich glaube, das ist ein Teil des Problems. Logischerweise weiß ich, dass das stimmt. Aber ich habe mich mit Troy eingelassen, weil Dad dachte, er würde gut zu mir passen. Nicht weil ich tatsächlich in Troy verliebt war. Das ist schrecklich und erklärt wahrscheinlich, warum diese Beziehung gescheitert ist.«
»Ich glaube nicht, dass es eine akzeptable Erklärung dafür gibt, warum Troy getan hat, was er getan hat, außer dass er ein Arschloch ist und Portia eine schreckliche Freundin.«
Ich mache mir nicht die Mühe, das zu kommentieren, denn das Warum ist irrelevant. »Der Punkt ist, dass ich alles getan habe, um sicherzugehen, dass es Dad gut geht. Ich weiß nicht einmal, wer ich bin. Oder was ich mag. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich um mich selbst kümmern kann. Als wir in das neue Haus eingezogen sind, musste ich lernen, meine Wäsche selbst zu waschen, und dabei sind die Hälfte meiner Pullover eingelaufen und Dads weiße Hemden wurden lavendelfarben, weil ich aus Versehen einen lilafarbenen BH in seine weiße Wäsche getan habe. Ich wusste überhaupt nicht, dass man die Sachen nach Farben trennen muss!« Ich werfe meine Hände in die Luft und lasse sie auf meinen Schoß fallen. »Und dieser Aaron, der mich nicht einmal kennt, mag mich nicht!« Ich weiß nicht, warum ich mich so auf den letzten Teil versteife, vor allem, weil er buchstäblich nichts mit meiner aktuellen existenziellen Krise zu tun hat.
Van nimmt mich an den Schultern. »Aaron kann dich bestimmt leiden. Er hatte wahrscheinlich einen schlechten Tag. Vielleicht wollte eine der Frauen oder Töchter von der anderen Seeseite, dass er ihren Rasen mäht oder so. Das bringt ihn immer in Rage.«
»Ihren Rasen mähen? Hat das einen übertragenen Sinn?«
»Ja und nein. Ich weiß nicht genau, was ich glauben soll. Es gibt eine Menge Kleinstadtklatsch. Keine Ahnung, was wahr ist und was nicht. Aber wenn wir Aaron mal beiseite lassen – es ist kein Verbrechen, nicht zu wissen, dass man Wäsche nach Farben trennen sollte. Ich hatte auch keine Ahnung, bis ich ausgezogen bin. Wichtig ist, dass du ein großartiger Mensch bist und tolle Eigenschaften hast, zu denen auch gehört, dass du andere Menschen und ihre Bedürfnisse über deine eigenen stellst.«
»Vielleicht ist das etwas, womit ich aufhören sollte«, sage ich.
»Dem muss ich zustimmen. Ich denke, du brauchst etwas Zeit, um dich auf dich selbst zu konzentrieren und darauf, was du mit deinem Leben anfangen willst. Es ist schade, dass Dad dir nichts von Danielle erzählt hat, aber wenn es nicht in seinem Kalender steht, vergisst er diese wichtigen Details.«
»Ich muss mir eine eigene Wohnung suchen. Und vielleicht meinen Job kündigen.«
Vans Augenbraue hebt sich. »Bist du sicher, dass du bei Smith Financial aufhören willst?«
»Ich habe eine Weile darüber nachgedacht. Ich habe erwogen, mich weiterzubilden oder so, aber ich habe keine Ahnung, was ich machen will. Ich hatte nie einen der normalen Jobs, die die meisten Teenager haben. Ich habe nie gekellnert oder in einem fettigen Fast-Food-Laden gearbeitet. Ich habe immer nur mit Dad gearbeitet, und das fühlt sich an, als würde es das Leben aus mir heraussaugen.« Und jetzt, da ich das sage, sehe ich, dass es stimmt. Ich stehe auf und mache meine Arbeit. Aber ich habe keine Lust auf eine Karriere bei Smith Financial. »Ich muss herausfinden, was ich mag und worin ich gut bin.«
Vans kurzes Schweigen wird durch aufgeregtes Vogelgezwitscher in den Bäumen über uns gefüllt. »Warum bleibst du nicht hier? Vielleicht findest du hier einen Job.«
»Hier? In Pearl Lake?«
»Du kannst das Apartment über der Garage haben. Es ist im Grunde schon fertig.«
»Das will ich dir und Dillion nicht antun. Ihr seid in eurer eigenen Flitterwochenphase. Als ob du es nötig hättest, dass deine kleine Schwester dauernd in deine Party reinplatzt.« Aber es hat definitiv seinen Reiz. Und es gäbe keinen großen Gehaltsdruck, nicht wie in der Stadt.
»Du würdest unsere Party nicht stören, Teag. Dillion betet dich an, und ich auch. Wir haben dich beide gern um uns. Außerdem haben wir alle unsere eigene Privatsphäre, du in der Wohnung und Dillion und ich im Haus.«
»Meinst du nicht, du solltest sie zuerst fragen, bevor du mir das Apartment anbietest?«
»Das brauche ich nicht. Ich weiß schon, was sie sagen würde, weil wir dieses Gespräch schon vor langer Zeit geführt haben.«
»Ihr habt darüber gesprochen, dass ich hierherziehe?«
»Ja. Nachdem die ganze Scheiße mit Bradley passiert ist. Ehrlich gesagt, waren wir beide überrascht, dass du damals nicht abgehauen bist.«
»Ich wollte Dad nicht alleinlassen«, sage ich und merke, wie traurig das klingt.
»Aber er ist erwachsen, er kann auf sich selbst aufpassen, und du solltest es dir gönnen, dir Zeit zu nehmen und dich selbst zu finden.«
»Ich muss sehen, ob es im Ort freie Stellen gibt.« Ich fange an, die Haut um meine Nägel herum zu kauen, dann merke ich, was ich tue, und greife stattdessen nach einer weiteren Zuckererbse.
»Das Apartment über der Garage ist mietfrei, und ich nehme an, du hast ein paar Ersparnisse, also besteht wirklich keine Eile. Und du könntest Dad fragen, ob du ein paar Monate unbezahlten Urlaub nehmen kannst, wenn du nicht gleich aufhören willst«, schlägt Van vor.
»Ich weiß nicht, ob das der beste Plan ist, eine Auszeit zu nehmen, meine ich. Es ist wahrscheinlich der klügere Weg, aber dann könnte ich Dad glauben machen, dass ich zurückkomme. Er würde eine Aushilfe einstellen, anstatt jemanden für meine Stelle zu finden. Egal, ich will nicht zurück in den Job. Wenn ich um ein paar Monate Auszeit bitte, ist das so, als würde ich mir selbst einen Ausweg geben, falls es nicht so läuft, wie ich es mir wünsche. Wenn ich eine Rückfallebene habe, werde ich wahrscheinlich nicht so hartnäckig sein.«
»Okay. Du hast also gekündigt.«
»Ich kündige.« Als Sekretärin des Finanzchefs bin ich zwar vom Gehalt her abgesichert, aber es ist nicht die aufregendste Position. »Ich würde aber gerne einen Job haben, bevor ich das mache.«
»Es ist Hochsaison, also ist die Chance groß, dass du schnell etwas findest. Die Stitches können sicher Hilfe gebrauchen.«
»Das weiß ich zu schätzen, aber ich möchte zumindest versuchen, selbst einen Job zu finden, der nichts mit der Familie deiner Verlobten zu tun hat.«
»Schon verstanden, Teag. Du solltest nur wissen, dass du in diesem Fall eine potenzielle Ausweichmöglichkeit hast, wenn du eine brauchst.«
Ich drücke seinen Arm. »Danke, Donny. Du bist der beste Bruder, den man sich wünschen kann.«
SUCHE JOB
Es ist schon spät, als ich mich auf den Weg zur Garage mache. Ich muss die Taschenlampe meines Handys benutzen, um die Treppe hinaufzukommen. Dank der Martinis, die ich im Laufe des Abends getrunken habe, bin ich ein bisschen betrunken, aber das ist nichts, was ein großes Glas Wasser und eine Schmerztablette nicht heilen könnten.
Van begleitet mich nach draußen, zum einen, weil ich ein bisschen Angst habe, von einem Bären gefressen zu werden, und zum anderen, weil ich Hilfe brauche, um die Bettwäsche und den Ventilator auf den Dachboden zu tragen. Es ist zwar erst Frühling, aber ich brauche das Summen, um schlafen zu können, vor allem weil die Vögel hier schon zwitschern, bevor die Sonne überhaupt über den Horizont gelugt hat.
Ich bin überrascht, als wir das Apartment betreten und feststellen, dass nicht nur der Boden fertig verlegt ist, sondern auch ein altes Bettgestell bereits zusammengebaut in einer Ecke des Raumes steht. Außerdem lehnt eine Matratze an der Wand.
»Hast du das gemacht?« frage ich Van.
»Aaron muss es getan haben, bevor er gegangen ist.« Mir dämmert, warum er nicht so begeistert war, all meine Fragen zu beantworten, als er versuchte, seine Aufgabe zu erledigen. »Der Boden sieht gut aus.« Es sind warme, weiß gestrichte, breite Dielen. Das Bettgestell aus dunklem Holz bildet dazu den perfekten Kontrast. Ich plane bereits die Farbpalette in meinem Kopf. Vielleicht kann ich morgen in den Baumarkt gehen und Farb- und Tapetenmuster besorgen, damit ich das Apartment wie mein eigenes gestalten kann.
»Das stimmt. Aaron macht gute Arbeit. Ist es dir recht, dass das Bett dort steht, wo es steht, oder willst du es an einer anderen Wand? Van nickt in Richtung des leeren Gestells.
»Im Moment ist es gut, wo es steht. Ich kann es später umstellen, falls ich will.« Van hilft mir, die Matratze auf das Gestell zu legen, dann umarme ich ihn und schicke ihn hinaus. Ich schließe die Tür hinter ihm und mache mich daran, das Bett herzurichten.
Sobald das erledigt ist, gehe ich ins Bad und packe meine Sachen aus. Meine Medikamente kommen in den Medizinschrank, und ich nehme mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und merke mir, dass ich sie ersetzen muss, weil ich das Gefühl habe, sie könnte Aaron gehören.
Ich nehme eine Schmerztablette zusammen mit meinen Schlaftabletten, um die Gefahr eines Martini-Katers zu vermeiden. Es dauert eine gute halbe Stunde bis fünfundvierzig Minuten, bis die Medikamente wirken, also fahre ich meinen Laptop hoch und schaue mir die Website der Gemeinde Pearl Lake an. Sie ist ziemlich langweilig und nicht besonders übersichtlich. In der Jobbörse gibt es nur zwei Anzeigen, beide für Stellen im Straßenbau.
Unten steht ein Hinweis, dass das Gemeindezentrum die beste Quelle für Stellenausschreibungen ist und dass sich alle Bewerber persönlich bewerben sollen. Ich werde wohl gleich morgen früh einen Ausflug in den Ort machen.
Ich rufe meinen Pinterest-Account auf und gebe in die Suchleiste den Begriff Open Concept Apartments ein. Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit, lustige Ideen zu pinnen, wie man das Beste aus einem kleinen Raum machen kann, und notiere mir Farb- und Einrichtungsideen. Nach einer Weile fange ich an zu gähnen, also klappe ich meinen Laptop zu, lege ihn auf den Nachttisch und kuschle mich unter die Bettdecke.
Morgen beginnt mein neues Leben, und ich kann es kaum erwarten, es zu beginnen.
Ich wache in aller Frühe auf und stelle fest, dass ich als Erstes eine Kaffeemaschine kaufen muss. Auf der Küchentheke stehen eine Dose Instantkaffee und ein alter Wasserkocher, der mit Staub und Dreck bedeckt ist. Ich habe bereits ein Wasser von Aaron getrunken; ich weiß nicht recht, ob ich auch seinen Kaffee trinken sollte.
Ich ziehe mein Reisebügeleisen aus dem Koffer und wünschte, ich hätte gestern Abend ausgepackt, dann wäre meine Kleidung nicht so zerknittert. Ich entscheide mich für ein Outfit, das für ein Vorstellungsgespräch oder eine Bewerbung geeignet ist, addiere auf meiner Einkaufsliste den Punkt Kleiderbügel und bügle alle Falten aus. Sobald ich angezogen und bereit für den Morgen bin, gehe ich hinüber in Vans Haus.
Es ist bereits verlassen. Dillion und Van müssen schon vor über einer Stunde zur Arbeit gegangen sein, und auf dem Küchentisch liegt ein Zettel von meinem Bruder.
Teag,
du weißt, wo der Kaffee steht, also mach es dir gemütlich. Dillion und ich sollten gegen fünf von der Arbeit zurück sein. Wenn du Lust hast, noch mehr von den Muffins zu backen, kannst du das gern tun, denn Dillion und ich haben heute Morgen den Rest verputzt (sie hat sechs Stück gegessen und wird später lügen und sagen, dass ich es war). Ich habe eine Packung Speck aus dem Gefrierschrank genommen und zum Auftauen in den Kühlschrank gelegt, nur für den Fall der Fälle.
Dir einen schönen Tag!
~Van
Ich mache mir eine Kanne Kaffee, gieße ihn in einen Thermobecher und setze mich ein paar Minuten nach draußen auf die Veranda, um die Ruhe zu genießen. Die Vögel zwitschern, und die Eichhörnchen hüpfen von Baum zu Baum. Kolibris flattern aufgeregt umher und verharren ein paar Sekunden lang am Futterhäuschen, bevor sie wieder verschwinden. Finken streiten sich um das Futter im Vogelhäuschen, das an einem Baum zu meiner Linken hängt, und ein lästiges Eichhörnchen versucht immer wieder, den Metallkegel herunterzuklettern. Ich gewinne den Eindruck, dass er mit Öl eingesprüht wurde, denn es klettert wie verrückt, rutscht aber immer wieder ab.
Ich lache, als das Eichhörnchen auf dem Boden landet und zwei Eichelhäher herabstürzen, aufgeregt um es herumflattern und sich dann davonmachen. Das Eichhörnchen quietscht wütend und huscht davon.
Ich verstehe, warum Van es hier so gut gefällt.
Als ich meinen Kaffee zur Hälfte ausgetrunken habe, fülle ich ihn auf und benutze den Drucker meines Bruders, damit ich meinen Lebenslauf ausdrucken kann. Ich habe kein tolles Papier dabei, aber das normale weiße reicht zur Not auch. Ich gehe zurück ins Apartment, um mich zu schminken.
Ich habe mich heute für ein dezentes Outfit entschieden, denn wir sind hier nicht in der Stadt und ich will nicht zu auffällig erscheinen. Ich trage eine weiße Caprihose, eine blassrosa Bluse und taupefarbene Keilsandalen. Ich betrachte mein Spiegelbild, gebe mir selbst einen Daumen nach oben, schnappe mir meine Tasche und meine Schlüssel und mache mich auf den Weg zu meinem allerersten Abenteuer in Pearl Lake.
Mein erster Halt ist das Rathaus, wo ich mir die Jobbörse ansehe. Im nächstgelegenen Ort gibt es ein paar Gesuche für Landarbeiter/innen. Ich habe mich noch nicht mal um einen Fisch gekümmert, geschweige denn um Vieh, das später geschlachtet werden soll. In einer anderen Anzeige wird eine Kinderbetreuerin gesucht, aber auch mit Kindern habe ich nicht viel Erfahrung, also glaube ich nicht, dass das etwas für mich wäre.
Es gibt auch eine Stelle im Kundenservice des Rathauses, also mache ich dort einen Zwischenstopp, bevor ich in die Innenstadt fahren will, wo sich alle Geschäfte befinden.
Eine ältere Frau sitzt an ihrem Schreibtisch und tippt auf ihrer Tastatur herum. Ich warte, bis sie ihren Blick vom Bildschirm abwendet, bevor ich etwas sage.
»Hallo, mein Name ist Teagan Firestone und ich habe gesehen, dass Sie eine Stelle im Kundenservice anbieten.«
Sie wirft mir einen skeptischen Blick zu und zieht ihre Stirn in Falten. »Das ist keine Saisonstelle.«
»Okay. Das ist großartig. Ich habe einen Lebenslauf dabei.« Ich ziehe einen aus meiner Handtasche und reiche ihn ihr.
Ihr Gesichtsausdruck wird ungeduldig, als sie die erste Seite durchsieht. »Sie müssen einen festen Wohnsitz in Pearl Lake haben, um sich für eine Stelle im Rathaus zu bewerben.«
»Oh, das habe ich. Ich bin die Schwester von Donovan Firestone. Er lebt am See, und ich ziehe auch hierher.«
»Aktualisieren Sie Ihren Lebenslauf und Ihren Führerschein und bewerben sich dann.« Sie gibt mir meinen Lebenslauf zurück und schaut wieder auf ihren Computerbildschirm. Offensichtlich bin ich entlassen.
Unbeirrt mache ich mich auf den Weg zur Hauptstraße. Mein nächster Halt ist Pearl Lake Immobilien, die eine Teilzeitkraft fürs Herrichten von Verkaufsobjekten suchen. Ich werde von einem Mann namens Tucker Patrick begrüßt.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
Die Art, wie er mich ansieht, und sein Tonfall sind etwas abschreckend, aber ich versuche, ein Buch nicht nach seinem schmierigen Umschlag zu beurteilen.
»Ich würde gern wissen, ob die Stelle für die Objektbetreuerin schon besetzt ist.« Ich zeige auf das Fenster, in dem das Schild hängt.
»Nicht, soweit ich weiß. Haben Sie einen Lebenslauf zur Hand? Was für Erfahrungen haben Sie mit der Objektbetreuung?«
Ich reiche ihm einen Lebenslauf und versuche, nicht zu zappeln. »Ich habe schon ein paar Häuser eingerichtet und lerne sehr schnell.«
»Firestone ist Ihr Nachname? Sie sind nicht zufällig mit Van verwandt?«
»Das bin ich. Er ist mein Bruder.«
Und schon verzieht sich seine Miene. »Ich weiß Ihr Interesse zu schätzen, aber wir brauchen jemanden mit Erfahrung.« Er reicht mir meinen Lebenslauf zurück. »Einen schönen Tag noch.«
Ich stelle mich noch an zwei weiteren Orten vor und werde noch zweimal abgewiesen. Einmal, weil ich wohl nicht zum Team passe, und ein weiteres Mal, weil meine Adresse in der Stadt liegt. Es ist schwer, sich nicht entmutigen zu lassen oder das Gefühl zu bekommen, dass ich nicht dazugehöre. Ich möchte nicht zurück nach Chicago gehen, zumindest nicht im Moment.
Enttäuscht beschließe ich, eine Pause zu machen und in Harry’s Baumarkt vorbeizuschauen, denn ich brauche etwas für die Wände und ein paar Lampen, um die nackten Glühbirnen zu ersetzen, die derzeit an der Decke hängen.
Ich fahre auf den Parkplatz und bemerke, dass viele Fahrzeuge Pick-ups sind. Normalerweise fällt mein Auto nicht auf, zumindest nicht in der Stadt, aber hier schon.
Ich schultere meine Handtasche und gehe zum Eingang. Ich fühle mich schon ganz schön verunsichert. Und mein Outfit zieht mehr Aufmerksamkeit auf sich, als mir lieb ist, auch wenn ich dachte, ich hätte am Morgen etwas Dezentes ausgesucht.
Ich trete durch die Eingangstür und atme tief ein, atme den Geruch von frisch gesägtem Holz, den chemischen Geruch von Farbe und den stechenden von Reifengummi ein. Ich glaube, ich war noch nie in einem Baumarkt, wenn ich es recht bedenke. Zum Glück gibt es am Anfang jedes Ganges Schilder, die mir sagen, wo sich alles befindet.
Ich schnappe mir einen Einkaufswagen und schlendere dorthin, wo die Farben stehen. Für eine Kleinstadt ist das ein ziemlich großer Laden mit einer ordentlichen Auswahl. Vermutlich haben die villengroßen Häuser auf der anderen Seeseite etwas damit zu tun.
Ich schaue mir zuerst die Tapetenauswahl an, die hauptsächlich aus Landhaus- und Blumenmustern besteht. Ich verharre in der Mitte des Gangs und klopfe mir mit dem Finger auf die Lippe, während ich nach Farben suche, die zu den Möbeln passen, die ich aus Chicago holen möchte.
Ich bleibe vor einem sehr coolen geometrischen Muster in Marineblau und Weiß stehen, das mit grauen Wänden und gelben Akzenten toll aussehen würde. Ich nehme mehrere Farbmuster mit, darunter ein leuchtendes Senfgelb. Ich sehe schon, wie die Stücke zusammenpassen, besonders mit den neutralen Böden und der weißen Landhausküche.
Ich hüpfe ein paarmal auf und ab, klatsche einmal in die Hände und quietsche dabei vor Aufregung. Irgendwann brauche ich ein paar lustige Kunstwerke, aber zuerst die Grundlagen. Ich bleibe am Verkaufsschalter stehen, hinter dem eine Frau, die aussieht, als wäre sie frisch von der Highschool, mit gesenktem Kopf steht und offensichtlich auf ihr Telefon unter der Theke schaut.
Ich warte darauf, dass sie mich bemerkt, aber nach einem Weilchen gebe ich auf und sage: »Hallo.«
Sie schreckt auf und schiebt ihr Handy in die Tasche, während ihre Wangen rot werden. »Oh, hey, hi. Tut mir leid, ich habe Sie nicht gesehen. Was kann ich für Sie tun?«
Ich schenke ihr mein schönstes Lächeln. »Ich bin Anfängerin beim Renovieren und könnte Hilfe gebrauchen, um herauszufinden, was ich alles benötige, um meine Wohnung zu streichen.«
Sie runzelt die Stirn, als sie mein Outfit begutachtet, vielleicht um mich zu beurteilen. »Wohnung?«
»Eher ein Loft.« Zumindest würde ich es so einordnen.
Sie nickt, als ob sie das verstehen würde. »Wie die, die viele Leute über ihrer freistehenden Garage ausbauen?«
Das muss eine beliebte Sache sein, die man hier macht. »Genau.«
»Cool, cool.« Sie nickt wieder. »Sie brauchen also Farbe und so weiter für die Maler?«
»Keine Maler. Ich werde es selbst streichen. Ich brauche alles: Pinsel, Rollen, Schalen und natürlich Farbe.« Ich wippe auf den Ballen und zwinge dann meine Fersen auf den Boden zurück. Das ist eine nervöse Angewohnheit. Eine, die ich mir abgewöhnen muss. »Könnten Sie mir dabei helfen?« Ich habe keine Ahnung, wie viel Erfahrung ein Highschool-Mädchen mit dem Malern hat, aber es ist gut möglich, dass sie sich besser auskennt als ich.
»Aber sicher.« Sie lehnt sich an die Theke. »Haben Sie die Quadratmeterzahl des Raums, den Sie streichen wollen? Wie viele Zimmer, welche Maße?«
»Hmm.« Ich tippe auf meine Lippe. Ich hätte wohl wissen müssen, dass ich diese Informationen brauche. »Ich frage mal meinen Bruder. Ich wette, er hat den Grundriss.«
»Kein Problem, ich bin den ganzen Vormittag hier.« Sie lächelt und zieht ihr Handy aus ihrer Harry’s-Baumarkt-Schürze, wobei sie es unterhalb der Theke hält.