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2015 haben Forscher erstmals Signale verschmelzender Schwarzer Löcher empfangen – der Beginn einer neuen Ära der Kosmologie. Doch nicht nur damit betreten Astronomen unbekanntes Terrain: Raumsonden offenbaren verblüffende Vorgänge im Sonnensystem, Teleskope blicken auf ferne Sterne und ihre Planeten, und selbst noch entlegenere Objekte gelangen immer genauer ins Visier von Hightechinstrumenten. Dabei zwingen erstaunliche Erkenntnisse die Wissenschaftler, einige ihrer Modelle zu überdenken.
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Seitenzahl: 168
Von Mike Beckers, Redakteur dieses Hefts
»Wo warst du, als sie die Entdeckung der Gravitationswellen verkündet haben?« Diese Frage fiel bei einem Gespräch unter Physikern. In der Wissenschaftsgemeinde gilt der erste direkte Nachweis jener Wellen, die das Gefüge von Raum und Zeit verzerren, als epochaler Wendepunkt. Erkenntnisse in mehreren Bereichen der Kosmologie werden in Zukunft in die Kategorien »vor« und »nach dem Beginn der Gravitationswellenastronomie« eingeteilt werden. Erst recht, seit es Forschern im August 2017 gelang, eines dieser Raumzeitbeben zugleich so gut zu orten, dass sie die sichtbaren Nachwirkungen mit klassischen Teleskopen verfolgen konnten (S. 56).
Viele Erfolge der beobachtenden Astronomie aus jüngster Zeit verdanken sich der atemberaubend raschen technischen Entwicklung. Einerseits werden die Geräte an sich immer größer und teurer; so wird das nächste Mammut-Weltrauminstrument, das James Webb Space Telescope (S. 22), wohl mehr als acht Milliarden Euro kosten. Andererseits ermöglichen erst die Digitalisierung und der weltweite Austausch Beobachtungen, die noch vor einem Jahrhundert als undurchführbar galten – Einstein selbst schloss aus, dass Gravitationswellen nachweisbar sind (S. 52). Ein Teleskop vom Durchmesser der Erdkugel beispielsweise klingt wie Sciencefiction, doch so etwas gibt es bereits: Gleichzeitige Messungen vieler Sternwarten lassen sich inzwischen verrechnen und erzeugen ein ungleich größeres virtuelles Observatorium. 2017 wurde das mit einem Event Horizon Telescope genannten Verbund versucht – erfolgreich. Supercomputer werten die Messungen derzeit aus und liefern, wenn alles klappt, das erste Bild vom Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraße.
Die Pressekonferenz zur Entdeckung der Gravitationswellen im Februar 2016 habe ich gemeinsam mit Kollegen im Spektrum-Verlagshaus verfolgt. Der Moment hatte etwas Triumphales und fühlte sich tatsächlich an, als ob man eine Zäsur setzen kann. Ich denke jedoch an eine Lektion, auf die mein Geschichtslehrer Wert legte: Menschen verknüpfen Revolutionen gern mit symbolischen Ereignissen, aber wichtiger sind die zahllosen Schritte, die über Jahrzehnte dorthin geführt haben. Ob Gravitationswellen oder Superteleskope, sie alle basieren auf internatio naler Zusammenarbeit, Datenaustausch und mutigen Projekten. Wenn wir diese Prozesse weiterhin schätzen, wird zwar auch die nächste Entdeckung unvorhersehbar sein, aber keinesfalls aus dem Nichts kommen.
Bereit für die nächste Revolution, Ihr
Artikelnachweise: Abschiedsgrüße vom Saturn SdW 11/2017 · Blick in die Atmosphären fremder Welten SdW 9/2017 · Aufbruch nach Alpha Centauri; Schwarze Löcher als Sternzerstörer SdW 7/2017 · Die Schwarzen Löcher des Urknalls SdW; »Bald wird es erst richtig spannend« SdW 10/2017 · Das Raumzeitbeben von NGC 4993; Im Inneren eines Neutronensterns SdW 1/2018 · Tabbys Stern – ein kurioses Himmelsobjekt SdW 8/2017 · Wie entstand der Mond? SdW 2/2018
EDITORIAL
PLANETENERKUNDUNG
SONNENSYSTEM I
ABSCHIEDSGRÜSSE VON SATURN
Die Cassini-Mission hat mehr als ein Jahrzehnt lang Daten vom Ringplaneten übertragen und damit unser Bild des Gasriesen und seiner Begleiter revolutioniert.
Von Carolyn Porco
SONNENSYSTEM II
PLUTOS ENTHÜLLUNG
2015 flog die Raumsonde New Horizons an Pluto vorbei. Der kurze Besuch änderte alles, was Astronomen bislang über diesen fernen Himmelskörper zu wissen glaubten.
Von Alan Stern
EXOPLANETEN
BLICK IN DIE ATMOSPHÄREN FREMDER WELTEN
Das James Webb Space Telescope könnte nicht nur weit entfernte Galaxien beobachten, sondern auch Erkenntnisse über Planeten in unserer kosmischen Nachbarschaft liefern.
Von Kevin Heng
RAUMFAHRT
AUFBRUCH NACH ALPHA CENTAURI
Der Plan wirkt wahnwitzig: Hochleistungslaser sollen winzige Sonden zum nächstgelegenen Sternsystem schicken. Im Prinzip könnte das sogar funktionieren.
Von Ann Finkbeiner
EXTREME OBJEKTE
GALAXIENKERNE
SCHWARZE LÖCHER ALS STERNZERSTÖRER
Kommt ein Stern einem extrem massereichen Schwarzen Loch zu nahe, reißt dieses ihn in Stücke. Mit neuen Teleskopsystemen lässt sich die stellare Katastrophe bis in die Details studieren.
Von S. Bradley Cenko und Neil Gehrels
KOSMOLOGIE
DIE SCHWARZEN LÖCHER DES URKNALLS
Schon gleich nach seinem Beginn könnte eine Schar Schwarzer Löcher das junge Universum durchsetzt haben. Etliche von ihnen haben vielleicht bis heute überlebt.
Von Juan García-Bellido und Sébastien Clesse
INTERVIEW
»BALD WIRD ES ERST RICHTIG SPANNEND«
Karsten Danzmann und sein Team waren maßgeblich an der Entdeckung von Gravitationswellen beteiligt. Ein Gespräch über die Astronomie der Zukunft.
Von Manon Bischoff und Robert Gast
GRAVITATIONSWELLEN
DAS RAUMZEITBEBEN VON NGC 4993
Die Kollision zweier Neutronensterne hielt tausende Forscher wochenlang in Atem.
Von Robert Gast
ASTRONOMIE
IM INNEREN EINES NEUTRONENSTERNS
Physiker haben unterschiedliche Theorien über die am dichtesten gepackte Materie im Kosmos. Neue Experimente dürften Einblicke gestatten.
Von Joshua Sokol
MODELLE AUF DEM PRÜFSTAND
ASTROPHYSIK
TABBYS STERN – EIN KURIOSES HIMMELSOBJEKT
Das auffällige Verhalten des Sterns KIC 8462852 gibt den Astronomen Rätsel auf.
Von Kimberly Cartier und Jason T. Wright
GEOLOGIE
WIE ENTSTAND DER MOND?
Forscher bezweifeln das Lehrbuchszenario zur Entstehung unseres Trabanten und suchen nach alternativen Erklärungen.
Von Rebecca Boyle
Die Raumsonde Cassini ist am 15. September 2017 planmäßig auf den Saturn gestürzt. Bis dahin hatte die Mission mehr als ein Jahrzehnt lang einzigartige Aufnahmen und Daten vom Ringplaneten übertragen. Damit hat sie unser Bild von dem Gasriesen und seinen Begleitern revolutioniert.
Carolyn Porco ist Planetologin am Space Science Institute in Boulder, Colorado. Sie war als Leiterin des Imaging Science Teams der Cassini-Huygens-Mission für die Kamera der Raumsonde Cassini verantwortlich.
►► spektrum.de/artikel/1505993
AUF EINEN BLICKENDE EINER ENTDECKUNGSREISE
1 Nach 13 Jahren im Orbit um den Planten Saturn ist die Raumsonde Cassini am 15. September 2017 planmäßig in dessen Atmosphäre gestürzt.
2 Das Manöver sollte angesichts schwindender Treibstoffvorräte und drohender Manövrierunfähigkeit verhindern, dass die Eismonde im Fall einer Kollision mit irdischen Mikroben verunreinigt werden.
3 Die Mission gilt als eine der erfolg- und ertragreichsten in der Geschichte der unbemannten Raumfahrt. Astrobiologen mussten sogar ihre Vorstellung über mögliche Orte für extraterrestrisches Leben erweitern.
Am 15. September 2017 hat die Raumsonde Cassini ihren Umlauf um Saturn planmäßig beendet. Sie stürzte in die Atmosphäre des Gasplaneten, aus dessen Orbit sie 13 Jahre lang Ehrfurcht gebietende, detailreiche und geradezu intime Bilder geschickt hat. Dieses kontrollierte Ende war nötig, um jedes Risiko einer Kollision mit einem der Saturnmonde auszuschließen; in naher Zukunft hätte sich die Sonde wegen zur Neige gehender Treibstoffvorräte nicht mehr steuern lassen.
Meine Kollegen und ich haben seit 1990 an der Mission mitgewirkt. Als Leiterin des für die Kamera verantwortlichen Teams begleitete ich Cassini durch die Planung und den Bau und war schließlich beim Start am 15. Oktober 1997 in Cape Canaveral in Florida dabei. Sieben Jahre später verfolgte ich gebannt, wie wir am Ziel ankamen. Nach all den Jahren des Wartens begann in diesem Augenblick eine neue Ära der Planetenforschung.
Keine Raumsonde hat jemals aus solcher Nähe und über einen so langen Zeitraum ein so vielfältiges System wie dasjenige des Planeten Saturn erkundet. Auf seinem Eismond Titan entdeckten wir Seen aus Kohlenwasserstoffmolekülen und Umweltprozesse von vergleichbarer Komplexität wie auf der Erde. Wir haben verfolgt, wie in Saturns Atmosphäre gewaltige Stürme ausbrachen und wieder abflauten. In seinen Ringen konnten wir bis dahin nie gesehene Vorgänge untersuchen. Wir kartografierten die formenreichen Landschaften seiner Monde, entdeckten neue Begleiter und bizarre Objekte innerhalb der Ringe selbst. Und uns gelang nicht zuletzt der meiner Meinung nach bemerkenswerteste Fund: Am Südpol des Mondes Ence ladus sprühen mehr als 100 Fontänen aus einem im Untergrund verborgenen Ozean, der vielleicht sogar lebensfreundliche Bedingungen bieten könnte (siehe Spektrum Juni 2015, S. 32). Die Geschichte Cassinis ist die einer einträglichen Expedition ins äußere Sonnensystem – eine Geschichte, die nun endgültig vorbei ist.
Astronomen meldeten erstmals in den 1980er Jahren Bedarf an einer umfassenden Untersuchung des Saturnsystems an. Da waren nämlich gerade die beiden Raumsonden der Voyager-Mission auf ihrem Weg ins äußere Sonnensystem (siehe Spektrum November 2016, S. 46) an dem Planeten und seinen Monden vorbeigeflogen und hatten erste interessante Erkenntnisse gebracht, letztlich aber vor allem mehr neue Fragen aufgeworfen. Die Daten legten die Komplexität von Saturns Innenleben, seiner Atmosphäre und seines Magnetfelds offen. In der gigantischen Eisund Staubscheibe seiner Ringe waren ansatzweise die gleichen Prozesse der Strukturbildung zu erkennen, die wahrscheinlich unser Sonnensystem entstehen ließen und Planeten um ferne Sterne formen. Voyager entdeckte Hinweise auf dynamische Vorgänge auf zahlreichen Saturnmonden; die Oberfläche des größten Trabanten, Titan, blieb allerdings unter einer dichten Atmosphäre verborgen. All diese Phänomene erschienen vielen Astronomen als ideale Ziele für eine neue Mission, die hier gleich mehrere Schlüsselprozesse des Sonnensystems aus der Nähe untersuchen könnte.
Cassini war von Anfang an ein internationales Projekt, bei dem die Partner der US-Raumfahrtbehörde NASA und der europäischen Raumfahrtagentur ESA das Voyager-Programm in allen Aspekten deutlich übertreffen wollten. Das gelang nicht nur bei der Größe des Gefährts, sondern auch bei dessen Ausstattung. Sie umfasste die bis dahin modernsten jemals ins äußere Sonnensystem geschossenen Geräte sowie die vier Meter große, aerodynamisch optimierte Landesonde Huygens, die mitsamt sechs wissenschaftlichen Instrumenten an Bord in die Atmosphäre des Monds Titan eintauchen sollte.
Nach seiner Reise durch das innere Sonnensystem erreichte Cassini am 1. Juli 2004 den Saturn und trat in eine Serie von Umlaufbahnen ein, die auf den ersten Blick verworren wirken, tatsächlich aber höchst präzise berechnet waren (siehe »Die Bahnen der Raumsonde«, S. 11 oben). Damit wir das System unter möglichst unterschiedlichen Blickwinkeln, Lichtverhältnissen und Abständen betrachten konnten, führten wir Cassini mal enger, mal weiter sowie in verschiedenen Bahnneigungen um den Planeten. Manchmal entdeckten wir etwas besonders Spannendes und änderten bestehende Pläne, um die Kamera der Sonde noch ein weiteres Mal – und manchmal viele Male – auf dieselbe Stelle auszurichten.
Die Länge der Mission war von entscheidender Bedeutung für ihren Erfolg. Einerseits stiegen so die Chancen, Zeugen zufälliger Ereignisse wie Kollisionen in den Ringen zu werden. Andererseits konnten wir nur so die jahreszeitlichen Änderungen verfolgen, die sich durch die wechselnde Beleuchtung während der Bahnbewegungen des Planeten und seiner Monde ergaben – ein Jahr auf Saturn entspricht 29,5 irdischen. Die Primärmission von Cassini dauerte nur vier Jahre, doch die bis 2008 erzielten Erfolge sowie der zweifellos enorme Wert einer weiterhin voll funktionsfähigen und höchst produktiven Raumsonde im Orbit erleichterten es uns, mehrere Verlängerungen durchzusetzen. Ein erster Lohn war die Tag-und-Nacht-Gleiche im August 2009: Wir wurden Zeugen, wie das Licht der Sonne genau parallel über die Ebene der Ringe streifte und jede Erhebung darauf lange und deutlich erkennbare Schatten warf (siehe Bild S. 12).
Insgesamt blieb Cassini beinahe ein halbes Saturnjahr im Orbit. Die Raumsonde erreichte den Planeten in dessen spätem Südsommer und beendete ihre Arbeit im Nordsommer. Wir konnten also fast alle Jahreszeiten beobachten, freilich nicht auf der gleichen Halbkugel: Wir verfolgten anhand der südlichen Hemisphären von Saturn und Titan, wie diese Welten vom Sommer in den Winter übergingen, und auf den nördlichen Hemisphären die Veränderungen zwischen Winter und Sommer.
Bis zum Beginn des Raumfahrtzeitalters dachten Wissenschaftler noch, die Monde im äußeren Sonnensystem wären geologisch betrachtet tote, öde Eisklumpen. Seit Voyager war klar, dass es sich dabei um einen gewaltigen Irrtum handelte; die Cassini-Mission sollte nun dabei helfen, die Entstehungsgeschichte der unterschätzten Trabanten aufzuklären.
Im Fall des Mondes Iapetus war dessen Zweiteilung lange ein Rätsel: eine Hälfte von ihm schien weiß wie Schnee, die andere tiefschwarz. Cassinis hochauflösende Bilder und seine Temperaturmessungen enthüllten, dass der Mond sogar auf kleineren Skalen schwarz-weiß gescheckt ist, und lieferten zugleich eine mögliche Erklärung. Offenbar handelt es sich um einen selbst verstärkenden Prozess, der so nur auf dem langsam rotierenden Mond auftritt. Anfangs etwas dunklere Regionen heizen sich durch die höhere Lichtabsorption auf, verdampfen Eis und werden dadurch immer dunkler und heißer. Hellere Bereiche hingegen kühlen aus und fangen das sublimierte Eis wieder ein, was sie noch heller macht. Aber wie konnte sich diese Zweiteilung über eine ganze Hemisphäre erstrecken? Während Iapetus Saturn umkreist, durchkreuzt er Regionen mit dunklem, fein verteiltem Material, das von einem weiter entfernten, irregulären Satelliten namens Phoebe stammt. Die in Iapetus‘ Bewegungsrichtung gelegene Mondhälfte sammelt diesen Staub ein und wird dadurch dunkler, wärmer und eisfrei. Rätsel gelöst.
Ein weiterer bemerkenswerter Mond ist Titan. Die Kameras von Cassini waren dafür ausgelegt, im sichtbaren und nahinfraroten Spektralbereich möglichst tief in den Dunst der Atmosphäre zu blicken; insbesondere das Radarinstrument konnte diese Schicht gut durchdringen. Dazu kam die Sonde Huygens, die während ihres Abstiegs 2005 ganze zweieinhalb Stunden lang Panoramabilder aufnahm, die Atmosphärenzusammensetzung vermaß und Wind- und Temperaturdaten aufzeichnete, bevor sie schließlich auf dem Boden landete. Die Welt wirkte wie aus einem Sciencefiction-Roman: Zwar sahen die Landschaften und die Strömungen und Schichtungen der Atmosphäre irgendwie vertraut aus, sie bestehen aber aus ganz anderen Substanzen als ihre irdische Entsprechung.
Wie wir herausfanden, enthalten die Seen auf Titan kein Wasser, sondern flüssiges Methan. Am Südpol des Monds sichtete die hochauflösende Kamera von Cassini ein solches Reservoir etwa vom Ausmaß des amerikanischen Ontariosees. Weitere Instrumente bestätigten, dass der (deswegen Ontario Lacus genannte) See tatsächlich mit Methan gefüllt ist. Wir haben noch weitere solcher Seen von sehr unterschiedlicher Größe gefunden, von denen die meisten in den nördlichen Breiten vorkommen. Radarbilder enthüllten zerklüftete Küstenlinien, die aber nicht aus Felsen bestehen, sondern aus steinhartem Eis. Huygens war dagegen auf einer der am Äquator gelegenen Ebenen gelandet. Sie sind eher trocken und mit Dünen aus herabgeregnetem organischen Material bedeckt, werden gelegentlich von Hochebenen unterbrochen und erstrecken sich einmal um den ganzen Mond. Die mit flüssigen organischen Substanzen gefüllten Seen boten viel Anlass zu Spekulationen über mögliches Leben darin. Allerdings ist die Oberfläche minus 180 Grad Celsius kalt. Ähnliche Reaktionen, wie sie für ein uns bekanntes Leben nötig sind, finden unter solchen Bedingungen wohl kaum statt.
Die meiner Ansicht nach größte Entdeckung gelang jedoch auf einem zehnmal kleineren Eismond: Enceladus. Bereits die Voyager-Mission brachte faszinierende Bilder, die sehr ebene Bereiche auf der Oberfläche offenbarten und auf Vorgänge im Inneren schließen ließen, möglicherweise sogar auf flüssiges Wasser unter der Eiskruste. Das hatten Astronomen bei einem so kleinen Mond nicht erwartet.
Cassini lieferte die ersten Anzeichen für eine solche Aktivität bereits im Januar 2005. Wir sahen eine Fontäne von Eispartikeln am Südpol – und nicht nur wir, sondern die ganze Welt, da alle Bilder sofort für die Öffentlichkeit verfügbar waren. Im Internet machte sich Aufregung breit. Kurz darauf bestätigten Messdaten von anderen Instrumenten, dass es sich um ein reales Phänomen handelte. Die Missionsplaner machten sich umgehend daran, die Umlaufbahnen der Sonde anzupassen, um das näher zu betrachten. Diese ersten Beobachtungen waren verblüffend, doch erst die Verlängerung der Mission 2008 erlaubte es uns, den Vorgängen mehr Zeit und Ressourcen zu widmen.
Enceladus präsentierte sich als Mond, den die starke Anziehung seines Planeten regelrecht durchknetet. Diese Gezeitenkräfte erzeugen eine enorme Wärme im Inneren, genug, um einen bis zu 50 Kilometer tiefen Ozean unter dem wenige Kilometer dicken Eis der Oberfläche flüssig zu halten. Mehr als 100 Geysire schießen aus Rissen am Südpol und schleudern Eis und Dampf hunderte Kilometer in die Höhe. Der Großteil davon fällt wieder zurück auf Enceladus, doch etwas Material entkommt und erzeugt den diffusen, aber ausgedehnten so genannten E-Ring Saturns. Cassini ist einige Male durch diese Dämpfe geflogen und hat ihre Zusammensetzung analysiert. Die Tröpfchen enthielten komplexe organische Moleküle und andere Verbindungen, die insgesamt frappierend hydrothermalen Tiefseequellen auf der Erde ähnelten. Auch der Salzgehalt schien irdischen Verhältnissen zu entsprechen. Im Dampf fanden sich einfachere organische Verbindungen, Kohlenstoffdioxid und Ammoniak.
Nun war offensichtlich: Unter der Oberfläche von Enceladus herrschen die richtigen Bedingungen und sind alle Zutaten vorhanden, um Leben aufrechterhalten oder möglicherweise sogar aufkommen zu lassen. Auf keinem anderen Himmelskörper passen nach aktuellem Wissensstand alle Umstände besser zusammen als hier, um einige der bedeutendsten Fragen der Astrobiologie zu beantworten. Ist ein zweites Mal in unserem Sonnensystem Leben entstanden? Lässt es sich in den Fontänen nachweisen? Einige meiner Kollegen sind davon so fasziniert, dass sie bereits Missionen planen, um dem nachzugehen.
Das, was Saturn berühmt gemacht hat, sind freilich seine imposanten Ringe. Ein Hauptziel der Cassini-Mission war, ihre Entstehungsgeschichte, ihren Aufbau und die dynamischen Vorgänge darin zu verstehen. Solche Ringe sind ein natürliches Endprodukt beim Kollaps einer rotierenden Staubwolke. Somit sind sie zugleich ein gutes Modell für die Entstehung von Planetensystemen auf größeren Skalen.
Infolge der Messungen mit Cassini konnten wir verstehen, wie es zu den meisten der Strukturen gekommen ist. An einigen Stellen beeinflusst die Gravitationswirkung eines der weiter außen gelegenen Monde die Umlaufbahnen der Staubteilchen und regt beispielsweise wellenförmige Störungen an, die sich in Spiralmustern ausbreiten. In anderen Regionen befinden sich Monde innerhalb der Ringe, was für interessante Effekte sorgt. So trägt der nur 30 Kilometer große Mond Pan entlang des Äquators eine Art Halskrause aus Material, das er unterwegs aufliest.
Dort, wo in den Ringen eine besonders hohe Dichte herrscht, haben wir Wellen mit Längen zwischen 100 Metern und hunderten Kilometern entdeckt. Sie entstehen durch kleine Störungen, werden von abrupten Unterschieden in der Staubkonzentration zurückgeworfen und interferieren dadurch miteinander, was für eine auf den ersten Blick chaotische Gestalt sorgt. Unser Verständnis von den Vorgängen umfasst nun auch Prozesse, die mein Kollege Mark Marley von der NASA und ich bereits 1993 vorhergesagt haben: Akustische Oszillationen auf Saturn wirken sich auf die Struktur der Ringe aus. Diese sind somit eine Art riesiger Seismograf.
Die Tag-und-Nacht-Gleiche 2009 hielt für uns die meisten Überraschungen bereit. Entlang der Außengrenze des massereichsten B-Rings fanden wir eine 20 000 Kilometer lange Reihe von spitz zulaufenden Schatten, durch die sich eine Art Bergkette verriet – Wellen von Staubteilchen, die bis zu drei Kilometer hoch aus der Ringebene herausragten. Sie entstehen möglicherweise durch die extreme Kompression von Material in der Umgebung sehr kleiner Trabanten am Rand der Ringe – wie irdische Wasserwellen, die auf eine Steilküste prallen und hochschießen.
Außerdem fanden wir ein sehr subtiles Spiralmuster, das sich ohne Unterbrechung 19 000 Kilometer weit quer durch die inneren C- und D-Ringe erstreckte. Durch hartnäckige Detektivarbeit erklärte ein Team um Matt Hedman, der nun an der University of Idaho forscht, dieses Phänomen schließlich mit Einschlägen von Material aus einem Kometen. Sie fanden vermutlich im Jahr 1983 statt. Dieses Ereignis brachte alle Ringteilchen in der Impaktregion in leicht geneigte Umlaufbahnen und führte zu Taumelbewegungen, deren Wechselspiel im Lauf der Jahre ein Riffelmuster erzeugt hat. Das alles existierte zum Zeitpunkt des Vorbeiflugs der Voyager-Sonden noch nicht. Die Entstehung und Verwandlung solcher Strukturen verdeutlichen nicht nur, auf welch faszinierende Weise sich Saturns Ringsystem in kleinen Zeiträumen verändern kann, sondern führt uns zugleich die unvorstellbare Dynamik und Komplexität des gesamten Sonnensystems vor Augen, das ja den gleichen Gravitationsgesetzen gehorcht, lediglich auf anderen Zeit- und Größenskalen.
Auch in der Atmosphäre des Saturns deckte Cassini einige unerwartete Vorgänge auf. Mit ihren Instrumenten konnte die Sonde in verschiedene Höhen blicken und identifizierte globale Windmuster sowie vertikale Strukturen und die Zusammensetzungen der einzelnen Schichten. Wie sich herausstellte, teilt sich die Atmosphäre des Saturn in ähnlicher Weise in Bänder auf wie die seines größeren Nachbarn Jupiter. Allerdings ist das von außen nicht so leicht zu erkennen, da ein dichter Nebel die Wolkendecke aus Ammoniak einhüllt. Als Cassini dort hindurch in die Troposphäre schaute, wurde klar, dass die Abfolge der Bänder vom Breitengrad abhängt. Schmalere sind dunkler und zeigen Starkwindregionen an, während breitere Bänder tendenziell heller und von geringeren Geschwindigkeiten geprägt sind, vielleicht bis hin zum Stillstand relativ zur Eigendrehung des Planeten. Insgesamt scheint die Atmosphäre Saturns ein recht dauerhaftes Gebilde zu sein. Selbst eine interessante hexagonale Struktur über dem Nordpol, die Voyager entdeckt hat, veränderte sich seither kaum. Wie sich langsam herauskristallisiert, scheint Stabilität eine charakteristische Eigenschaft der Gasplaneten zu sein: Da es keine feste Oberfläche unter den Strömungen gibt, welche die Bewegungen durch Reibung bremsen könnte, halten sich Muster sehr lange, sobald sie einmal angeregt worden sind.
Saturns Atmosphäre ist aber nicht vollkommen unveränderlich, sondern wechselt mit den Jahreszeiten. Als Cassini den Planeten erreichte, bot die nördliche, winterliche Atmosphäre einen überraschenden Anblick: Der Himmel war blau! Durch die geringere Einstrahlung von ultraviolettem Licht sowie die Abschattung durch die zur Sonne gekippten Ringe dünnte die Dunstglocke über der Winterhemisphäre aus. Die Atmosphäre wurde klarer und ermöglichte eine stärkere Streuung des Sonnenlichts analog zu den Effekten im blauen Himmel der Erde; außerdem schluckte das Methan die roten Wellenlängen.